5,99 €
2,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 5,99 €
"Alle sehen gleich aus – doch wer wagt es noch, sich selbst zu zeigen?" In einer Zukunft, in der künstliche Intelligenz das ultimative Ideal geschaffen hat – perfekte Schönheit für jeden Menschen – scheint die Welt endlich frei von Diskriminierung. Keine Makel mehr. Keine Unterschiede. Keine Hässlichkeit. Aber auch keine Individualität. Keine Tiefe. Keine echten Verbindungen. Elen lebt in dieser perfekten Welt. Bis sie Noa begegnet – einem Menschen, den sie nie gesehen hat, aber mit dem sie schreibt, denkt, fühlt. Zwischen ihren Worten entsteht etwas, das keine Schönheit fassen kann: Echtheit. "Sichtbar" ist ein zutiefst berührender Roman über die Wiederentdeckung von Menschlichkeit in einer Welt der Gleichförmigkeit. Eine Geschichte über Liebe ohne Blick, Wahrheit ohne Maske – und die leise Revolution des Herzens gegen den Zwang zur Perfektion. Für alle, die sich nach Tiefe sehnen. Und den Mut haben, mit dem Herzen zu sehen.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 47
Veröffentlichungsjahr: 2025
Inhaltsverzeichnis
Perfektion – Die Welt der äußeren Gleichheit
Leere Gespräche – Oberflächlichkeit trotz Perfektion
Noa – Ein Mensch mit Tiefe, der anders wirkt, ohne anders auszusehen
Spiegel der Seele – Elen beginnt, sich selbst zu hinterfragen
Charakterarbeit – Erste Schritte in die eigene Tiefe
Die ersten echten Tränen – Emotionale Öffnung
Lernen zu fühlen – Elen beginnt, lieben zu lernen – und sich selbst
Konflikt: Perfektion stürzt – Die Gesellschaft beginnt zu erkennen, dass Schönheit allein keine Verbindung schafft
Wortliebe – Eine Beziehung, aufgebaut nur auf Gedanken, Sprache, Ehrlichkeit
Sichtbar – Elen sieht in Noas Gesicht – und erkennt nicht sein Äußeres, sondern seine Seele
Kapitel 1: Perfektion – Die Welt der äußeren Gleichheit
Ich war schön. So wie alle anderen.
Wir waren makellos, von der KI entworfen, genetisch optimiert. Gesichter wie aus dem Bilderbuch. Symmetrisch. Haut porenfrei. Lippen, Wangen, Augen – alles in vollendeter Harmonie. Es gab keinen Neid mehr auf das Aussehen, keine Konkurrenz um Attraktivität. Wir waren alle Sieger in einem Wettbewerb, der gar nicht mehr existierte.
Ich war zwanzig, als ich es das erste Mal wirklich begriff: Niemand konnte mich begehren, weil niemand mich erkennen konnte. Ich war ein Gesicht unter unzähligen gleichen. Jede Geste, jeder Blick war wie ein Echo von Millionen anderer. Und ich konnte nicht mehr sagen, wer ich selbst war, außerhalb dieser schönen Hülle.
Früher, sagten sie, wurden Menschen diskriminiert, ausgeschlossen, beneidet – nur wegen ihres Äußeren. Die Pille, erfunden von der Superintelligenz OMNIA, hatte das für immer beendet. Innerhalb zweier Generationen waren alle Menschen genetisch vereinheitlicht worden. Keine Hautfarben mehr, keine körperlichen Unterschiede. Nur noch ideale Schönheit.
Ein revolutionäres Konzept. Und ein Fluch.
Denn die Sehnsucht verschwand nicht. Sie verwandelte sich nur. Die Welt wurde ruhig, fast zu ruhig. Wir lebten in einem Zustand harmonischer Oberflächlichkeit. Konflikte waren verschwunden, ja. Aber mit ihnen auch die Leidenschaft.
Ich erinnere mich an einen Morgen, als ich durch den öffentlichen Korridor zur Arbeit ging. Die Gesichter um mich herum hätten Klone sein können. Ich beobachtete sie: gleichlange Wimpern, dieselben schimmernden Augen, dieselben Zähne. Wir lächelten identisch. Unser Gang war synchronisiert. Die Kleidung unterschiedlich, ja, aber was nützte Mode, wenn der Körper darunter immer derselbe war?
Liebe war schwierig geworden. Nicht, weil sie verschwunden war – sondern weil man niemanden mehr auswählen konnte. Es gab keine äußeren Anhaltspunkte mehr. Kein "Er hatte dieses Lächeln" oder "Ihre Augen waren so besonders". Es gab nur noch: "Er war wie alle anderen, und trotzdem... irgendwie anders." Nur das Innere konnte jetzt noch faszinieren. Nur das, was man nicht sehen konnte.
Und plötzlich wurde die innere Welt wichtig. Nicht über Nacht. Langsam. Erst war es nur ein Trend, in Gesprächen nicht mehr über Hobbys zu sprechen, sondern über Empathie. Über Werte. "Was bewegt dich?" war die neue Anmachzeile. Später kamen die Profile. Apps, die nicht mehr Bilder zeigten, sondern Texte, Gedanken, Aufnahmen der Stimme.
Ich arbeitete in einer sogenannten Seelensicht-Station. Mein Job war es, Menschen bei der Erkennung und Entwicklung ihrer inneren Merkmale zu unterstützen. Wir nannten es die Charakterarbeit. Es war kein psychologisches Coaching, eher eine neue Form der ästhetischen Bildung. "Dein Inneres ist jetzt dein Gesicht", lautete unser Slogan.
Manche rebellierten. Sie fanden Wege, sich durch kleine Nuancen zu unterscheiden. Andere verzweifelten. Ohne ihr äußeres Alleinstellungsmerkmal waren sie verloren. Aber viele begannen still, fast ehrfürchtig, sich zu fragen: Wer bin ich, wenn mich niemand von außen erkennen kann?
Eines Tages traf ich in der Station auf jemanden, den ich nicht vergessen konnte. Obwohl er wie alle aussah, war da etwas. Seine Worte hatten Tiefe, seine Gedanken lagen auf der Zunge wie Musik. Ich nannte ihn Noa. Er war nicht sein Gesicht. Er war eine Erfahrung.
Damals begann ich zu verstehen: Perfektion ist der Anfang, nicht das Ziel. Die wahre Arbeit beginnt, wenn niemand mehr etwas vorzuzeigen hat – außer sich selbst.
Die Tage nach meinem Treffen mit Noa veränderten sich leise. Ich begann, genauer hinzuhören. Menschen sprachen in der Station von Sehnsüchten, von Erinnerungen, die ihnen niemand mehr ansah. Eine Frau erzählte mir von einem Schmerz, den sie seit Jahren trug – dem Tod ihres Bruders. Und ich merkte, wie ihre Stimme zitterte, obwohl ihr Gesicht ruhig blieb. Früher hätte man es vielleicht gesehen. Heute musste man zuhören, tief zuhören, um jemanden zu erkennen.
Die Seelensicht-Station hatte keine Spiegel. Wir hatten sie abgeschafft. Stattdessen hingen Zitate an den Wänden. "Der Blick nach innen ist der längste Weg." Oder: "Du bist, was du denkst, wenn du allein bist." Menschen kamen hierher, um ihre Innenwelt zu trainieren wie früher ihre Körper in Fitnessstudios. Es gab Stille-Übungen, Empathie-Parcours, Dialogräume.
In einem dieser Räume traf ich auf ein junges Mädchen, vielleicht sechzehn. Sie war wie ich – makellos. Doch ihre Stimme war voller Angst. "Ich weiß nicht, wer ich bin, Elen. Ich weiß es einfach nicht." Sie hatte keine Geschichte, sagte sie. Keine Kindheit, die ihr Gesicht gezeichnet hätte. Kein Schmerz, der ihr Lächeln geformt hatte. Alles war glatt. Alles war leer. Ich erinnerte mich an mich selbst, mit sechzehn. Wie viel Hoffnung ich hatte, auf Liebe, auf das Gesehenwerden. Und jetzt sah ich diese junge Seele vor mir, gefangen in einer perfekten Hülle.
Wir sprachen lange. Ich fragte sie, was sie fühlte, wenn sie alleine war. Was sie träumte. Was sie fürchtete. Und langsam, ganz langsam, formte sich aus ihren Antworten ein erster Umriss. Nicht eines Gesichts – sondern einer Seele. Und sie spürte es auch. Zum ersten Mal weinte sie. Und ihre Tränen waren nicht aus Trauer, sondern aus Erleichterung. Weil endlich etwas sichtbar wurde, das wirklich ihr gehörte.