Schöne Mädchen fallen nicht vom Himmel - Susanne Fülscher - E-Book

Schöne Mädchen fallen nicht vom Himmel E-Book

Susanne Fülscher

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Beschreibung

Manchmal ändert sich an einem Tag das ganze Leben: Erst wird Karen, 17 Jahre alt und gertenschlanke 1,77 Meter groß, auf der Straße von einer Modelagentur entdeckt. Anschließend begegnet sie im Freibad auch noch ihrer großen Liebe. Robin hat die Schule geschmissen und will Schauspieler werden. Während der Sommerferien taumelt Karen wie im Rausch vom Fotostudio zum nächsten Date. Doch dann will die Agentur, dass sie ihre Haare raspelkurz schneiden lässt. Karen ist schockiert. Auch Robin ist total dagegen. Und wenn sie trotzdem zustimmt, was wird die Agentur wohl als nächstes verlangen?

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Seitenzahl: 265

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Über das Buch:

Manchmal ändert sich an einem Tag das ganze Leben: Erst wird Karen, 17 Jahre alt und gertenschlanke 1,77 Meter groß, auf der Straße von einer Modelagentur entdeckt. Anschließend begegnet sie im Freibad auch noch ihrer großen Liebe.

Robin hat die Schule geschmissen und will Schauspieler werden. Während der Sommerferien taumelt Karen wie im Rausch vom Fotostudio zum nächsten Date. Doch dann will die Agentur, dass sie ihre Haare raspelkurz schneiden lässt. Karen ist schockiert. Auch Robin ist total dagegen. Und wenn sie trotzdem zustimmt, was wird die Agentur wohl als nächstes verlangen? 

Susanne Fülscher

Schöne Mädchen fallen nicht vom Himmel

Edel Elements

Edel Elements Ein Verlag der Edel Germany GmbH

© 2016 Edel Germany GmbH Neumühlen 17, 22763 Hamburg

www.edel.com

Copyright © 1997 by Susanne Fülscher

facebook.com/SusanneFülscherwww.susanne-fuelscher.de

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München.

Covergestaltung: Designomicon

Konvertierung: Datagrafix

Alle Rechte vorbehalten. All rights reserved. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des jeweiligen Rechteinhabers wiedergegeben werden.

ISBN: 978-3-95530-865-0

facebook.com/EdelElementswww.edelelements.de

Inhalt

Über das Buch

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Glossar

1

Der Sommer, in dem mein Leben den gewissen Kick kriegte, war heiß und schwül. Jahrhundertsommer sagten die einen, Klimakatastrophe die anderen. Mir war das mehr oder weniger egal. Hauptsache, ich konnte ins Schwimmbad gehen, regungslos auf einer Decke liegen und dem Flug der Schwalben zusehen. Eigentlich waren sie ständig und überall zu hören, sie waren sozusagen das Aushängeschild des Sommers, und manchmal träumte ich von ihrem flirrenden Gezirpe.

Ansonsten träumte ich von gar nichts. Weil das Leben alles in allem ziemlich langweilig war: Schule, Basketball, abends Fernsehen, am Wochenende Disco – ein ewiger Kreislauf. Nichts passierte groß, außer dass ich Englisch mal vergeigte, mal nicht, und ab und zu gab es einen Jungen, der sich auf der Straße nach mir umdrehte. Das war auch schon alles. Ödnis total.

Anna sagte immer: »Karen, du hast eben keine wirklichen Probleme. Denk an die vielen Kinder, die verhungern, misshandelt werden oder krank sind …« Natürlich hatte sie Recht, natürlich war ich ein undankbares Wohlstandskind, wofür ich mich auch schämte, aber was half mir diese Erkenntnis, wenn es darum ging, mal wieder ein paar langweilige Stunden rumzukriegen?

Und dann kam doch alles anders, dann kam der Tag aller Tage. Am Morgen sah die Welt noch aus wie immer: Ich stand auf den letzten Drücker auf, warf mich ohne zu duschen in meine Klamotten, Zähneputzen, eine Tasse Tee im Stehen, in aller Eile zur Schule radeln. Natürlich verspätete ich mich, was aber nicht so schlimm war, weil wir ohnehin demnächst Zeugnisse kriegten und alle Noten feststanden. Ebenso gleichgültig verbrachte ich auch den Tag. Ich starrte aus dem Fenster, quatschte ein bisschen mit Elfi und verabredete mich mit unserer Mädchenclique für den Nachmittag im Schwimmbad. Meistens gingen wir zu viert oder fünft, je nachdem, was noch so anstand, und da wir alle ohne Freund waren, stand eigentlich selten etwas anderes an.

Heute konnten nur drei von uns: Lena, Katja und ich. Elfi wollte mit ihren Eltern ins Reisebüro, Annett zum Ballettunterricht. Nichts, aber auch gar nichts deutete darauf hin, dass heute der Tag aller Tage sein würde, alles war eigentlich wie immer: Bevor ich zu Hause meine Badesachen packte, schob ich Minibaguettes in die Mikrowelle, die ich dann bei offener Balkontür vor dem Fernseher aß. Am frühen Nachmittag kam zwar nichts Vernünftiges, aber es war immer noch besser, sich idiotische Talkshows anzugucken, als den Geräuschen einer Wohnung zu lauschen, in der höchstens mal der Kühlschrank surrte.

Thema: dicke Beine. Im Studio standen fünf Frauen mit mehr oder weniger unförmigen Beinen. Eine hatte sich Fett absaugen lassen, eine andere machte die vierundsiebzigste Diät (ohne sichtbaren Erfolg), die dritte trug nur lange Röcke, während die übrigen beiden so taten, als würden sie zu ihren monströsen Stampfern stehen. Dazu gesellten sich drei Milchbubis, von denen zwei dicke Beine abstoßend fanden und einer meinte, es wäre ihm egal, Hauptsache, er würde sich mit seiner Freundin gut verstehen. Die Moderatorin, eine hübsche Dunkelhaarige mit sehr schlanken Beinen, hopste durch die begrünte Studiodekoration und hielt hier und da ihr Mikro in die Menge.

Irgendwie fühlte ich mich angesprochen. Ich hatte nämlich ein ziemlich mieses Verhältnis zu meinen Beinen. Zwar musste ich mich nicht auf zwei Elefantensäulen durchs Leben schleppen, aber da die Natur mich mit schnurgeraden Stelzen in der Farbe eines Harzer Käses ausgestattet hatte, die zudem oben, wo Schenkel normalerweise zusammenkommen, nur ein unförmiges Loch bildeten, schämte ich mich in gewissen Momenten zu Tode. Beispielsweise beim Sport oder im Schwimmbad, wo ich meinen knochigen Körper meistens mit schlabbrigen T-Shirts verhüllte.

Kaum hatte ich meine Baguettes aufgegessen, stellte ich den Fernseher aus, ging in mein Zimmer und öffnete meinen Kleiderschrank. Ein durch und durch trostloser Anblick: Die zwei alten Jeans lagen unter einem Stapel langweiliger Sweatshirts und außer den halbwegs neuen Shorts gab es überhaupt nichts, was mich vom Hocker riss. Vielleicht sollte ich in den Ferien jobben, um mir endlich mal ein paar neue Sachen zulegen zu können. Ein Urlaub mit meinen Eltern war sowieso nicht drin. Vor knapp einem Jahr hatten sie eine Pizzeria gepachtet und damit so viel um die Ohren, dass sie den Laden nie und nimmer für die Ferien dichtmachen würden.

Ich zog die Shorts an, fuhr dann mit meiner Badetasche in die City. Ein kleiner Abstecher zu meinen Eltern. Anna rannte hektisch hin und her, um ein paar Männern mit Schlips und Kragen Pizza zu servieren.

»Wenn du was essen möchtest«, rief sie mir zu. »Robert macht dir schnell ein paar Nudeln.«

»Ich habe schon gegessen. Wollte nur Hallo sagen.«

Anna strich mir im Vorbeigehen über den Kopf. »Iss wenigstens einen Salat.«

»Jaja.«

Ich ging nach hinten in die Küche, wo Robert ebenso hektisch in mehreren Töpfen herumfuhrwerkte. Antonio, sein Boy für alle Fälle, zerhackte gerade Kräuter.

»Na, Kleines?«

»Papa, ich bin eins siebenundsiebzig!« Manchmal, wenn ich guter Laune war, sagte ich zu meinen Eltern Papa und Mama, auch wenn sie sich dann so schrecklich alt fühlten.

»… und du bist mindestens fünf Zentimeter kleiner.«

Das war Antonio. Er kam hinter seinem Tisch hervorgesprungen und küsste mir galant die Hand. Antonio war Klasse. Gut aussehend, ziemlich italienisch und vor allem einen ganzen Kopf kleiner als ich.

»Und du bist jetzt entlassen!« Robert lachte Antonio an, ich klaute eine Tomate und biss hinein.

»Hunger? Möchtest du Scampi?«

»Ich hab gerade gegessen!« Ich fand es ja nett, dass meine Eltern mich so umsorgten, trotzdem konnte ich mich ab und zu auch mal um mich selbst kümmern. Wir redeten noch eine Weile – Antonio machte mir wie immer schöne Augen –, dann zuckelte ich wieder ab.

Ich wollte mich gerade auf mein Fahrrad schwingen, als eine Frau mittleren Alters auf mich zugeschossen kam und mich am Arm festhielt. Ich dachte zuerst, ich hätte irgendeine Verkehrsregel missachtet oder einen Rentner angerempelt, aber da fragte sie mich, ob sie ein Polaroid von mir machen dürfe.

»Wieso das?«, stotterte ich.

»Weil ich glaube, dass du alle Voraussetzungen hast, um Model zu werden.«

»Model? Ich?« Ich war total perplex und fing einfach an zu lachen. Die Frau musste sich irren, das war doch völlig absurd.

Ohne auf meine Frage zu antworten stellte sie sich als Hilke Deny von der Agentur Today Model Agency vor, sie sei Talent-Scout, immer auf der Suche nach jungen, frischen Gesichtern.

Warum ich?, dachte ich die ganze Zeit. Das ist doch ein Scherz! Ich bin dürr und bleich und meine Haare sind voller Spliss – von wegen frisch!

Dann ging alles ganz schnell. Die Frau zückte ihre Kamera, ich versuchte besonders nett zu gucken, klick, klick, klick machte es, schon notierte sie Namen, Adresse und Telefonnummer in einem roten Lederkalender unter der Nummer 35.

»Du hörst von uns. Und vielen Dank.« Mit diesen Worten verschwand die Frau in der Menge.

Ich stand wie bedeppert da. Erst jetzt merkte ich, dass mir der Schweiß den Rücken runterlief. Ich und Model! Models waren schöne Frauen, mondän mit sinnlichen Mündern, sie hatten dickes glänzendes Haar und nicht einen Pubertätspickel im Gesicht! Keine sah aus wie ein bleiches Gerippe, keine bewegte sich hölzern und ungeschickt!

Egal. Schließlich hatte ich nichts unterschrieben, niemand würde irgendetwas von mir verlangen können. Ich machte mich auf den Weg ins Schwimmbad und maß dem Vorfall einfach keine große Bedeutung bei.

Lena lag schon wie tot auf ihrem Handtuch.

»Du bist verrückt, dich so in die Sonne zu knallen«, sagte ich und lief einfach an ihr vorbei unter den nächsten Baum. Zwei Minuten später kam sie angekrochen.

»Neben dir sehe ich ja superbraun aus«, meinte sie stolz.

»Ja und? Ich werde eben nur knallrot. Also kann ich die Braterei doch gleich lassen.«

Es nervte mich schrecklich, dass mich alle Welt auf meine weiße Haut ansprach. Natürlich hätte ich es auch schöner gefunden, knusprig und goldbraun wie ein Imbisshähnchen durchs Leben zu laufen, aber was nicht ging, ging eben nicht.

Lena ließ sich auf ihr Handtuch plumpsen, Füße in den Schatten, Kopf in die Sonne. Ich betrachtete sie – besonders hübsch war sie eigentlich nicht, und nur weil sie eine andere Hautfarbe als ich hatte, brauchte sie sich noch lange nichts einzubilden.

»Eben hat mich eine Frau auf der Straße angesprochen. Sie meinte, ich könnte Model werden.«

»Waaas?« Mit einem Ruck kam Lena hoch.

»Sie hat Polaroids von mir gemacht.«

»Fantasierst du?«

»Kein bisschen.«

Ich merkte, wie ich langsam sauer wurde – schließlich war ich doch keine Schreckschraube mit Aussatz im Gesicht. Im gleichen Moment kam zum Glück Katja anmarschiert, sonst hätten wir uns wahrscheinlich richtig in die Haare gekriegt.

»He, Karen wird Model!«, rief Lena ihr zu.

Katja blieb daraufhin erst mal ganz cool. Ich musste die Geschichte mit den Polaroids ein zweites Mal erzählen; Katja merkte dann nur nüchtern an, das sei ja das absolute Klischee, ein Mädchen wird auf der Straße angesprochen, man macht Fotos von ihr und ein paar Monate später ist sie auf der Elle.

»Solche Typen wollen doch nur die Mädchen ins Bett kriegen«, sagte Lena.

»Blödsinn. Und außerdem – es war eine Frau.« Keine Ahnung, warum Lena es mir nicht gönnte, dass mich diese Frau aus der Menge herausgepickt hatte.

»Oder sie lotsen dich in irgendeine Modelschule, wo du viel Geld bezahlst und hinterher nicht einen einzigen Job kriegst.«

»Ist doch gar nicht gesagt«, meinte Katja. »Wart doch erst mal ab.« Sie stupste mich in den Arm. »Gib bloß niemandem deine Kröten. Das geht nur nach hinten los.«

»Ich bin ja nicht blöd!« Schnell rappelte ich mich hoch und lief zum Becken. Hätte ich nur nicht davon angefangen! Jetzt zerrissen sie sich die Mäuler, jede wollte es besser wissen, dabei war die Modelsache überhaupt noch nicht spruchreif. Ich würde später mal Tierärztin werden oder Journalistin, von mir aus auch Köchin in unserer Pizzeria – aber Model??

Das kühle Wasser tat gut. Mit voller Kraft schwamm ich ein paar Bahnen, und als ich endlich schnaufend am Rand Halt machte, quetschte sich ein Junge neben mich. Wir sahen uns an und ich dachte, seltsam, dass jahrelang nichts passiert und dann verliebt man sich auch noch Knall auf Fall.

2

Es war wirklich so etwas wie Liebe auf den ersten Blick. »Wart mal …«, sagte er und langte mir im selben Moment mit einer Wucht an den Kopf, dass ich einen dumpfen Knall spürte.

»Schon weg. Du hattest da eine Wespe.«

»Danke.«

Ich sah ihn wie benommen an und fand, dass die Wassertropfen, die in seinen Wimpern hingen, wunderschön glitzerten. Das war’s dann auch schon. Er tauchte weg und ich dachte, Mist, jetzt bist du verliebt und weißt nicht, wohin mit deinen Gefühlen. So etwas war mir in langen siebzehn Jahren noch nicht passiert.

Zurück zu Katja und Lena, die beide in der Sonne brutzelten. Ich musste mich zusammennehmen, um meinen Mund zu halten. In meiner Magengegend zog sich alles krampfhaft zusammen, Hunger oder Völlegefühl, nicht mal das konnte ich noch unterscheiden. Ich sollte mich also in einen völlig Fremden verliebt haben. Das war doch durch und durch idiotisch. Einbildung. Sonnenbedingter Hormonschub. Der Wahnsinn!

Vielleicht ging Lena demnächst mal ins Wasser, dann könnte ich Katja fragen. Stattdessen fing Lena wieder mit der Modelsache an, die sie offensichtlich wie verrückt wurmte.

»Hat die Frau denn gesagt, für wen sie arbeitet?«

»Für eine Agentur. Today Model Agency.« Ein Wunder, dass mir unter diesen Umständen der Name einfiel.

»Hört sich ziemlich unseriös an.«

»Woher willst denn du das wissen?«

Ich zog Shorts und T-Shirt über meinen nassen Badeanzug und ging einmal quer über den Rasen zum Kiosk. Lena sollte mich bloß in Ruhe lassen. Da sprach doch der pure Neid aus jeder Pore ihres brathähnchenbraunen Körpers. Mein Gott! Es kam mir bald vor, als hätte ich bereits oben ohne für irgendein Schmuddelblatt posiert und würde jetzt endgültig auf die schiefe Bahn geraten. Ich holte mir ein Eis und ertappte mich dabei, wie ich unauffällig das Terrain sondierte. Wie würde der Junge außerhalb des Schwimmbeckens in Klamotten und mit trockenen Haaren aussehen? Würde ich ihn überhaupt wiedererkennen?

Als ich mich auf einen der Stühle an der Balustrade setzte, kam Katja dazu.

»Lena hat wohl grad einen Sonnenstich«, sagte sie und lachte. »Darf ich mal probieren?«

Ich hielt ihr mein Eis hin und guckte mich noch einmal um, dann erzählte ich ihr die Episode von vorhin beim Schwimmen. »Sei mal ehrlich. Hältst du mich jetzt für völlig bekloppt?«

Katja hob die Schultern: »Na ja, mir ist so was eben noch nicht passiert, aber möglich ist …«

Weiter kam sie nicht, weil ich ihr einen ordentlichen Rippenstoß versetzte. Besagter Junge näherte sich mit Siebenmeilenschritten und es hatte ganz den Anschein, als ob er direkt auf uns zusteuerte.

»Hat sie dich auch wirklich nicht gestochen?« Schon war er über mir und betastete meine Haare. Während ich glaubte, ich müsse auf der Stelle ohnmächtig werden, ging Katja taktvoll zum Kiosk.

Was bloß reden? Mir fiel nichts ein.

»Möchtest du ein Eis?« Er strahlte mich an.

»Ich hab doch noch …«, stotterte ich.

»Eins auf Vorrat?«

Ich nickte, dann verschwand er in Richtung Kiosk. Zeit genug, um mir einen Schlachtplan zurechtzulegen. Erstens: ihn nach seinem Namen fragen. Zweitens: Alter. Drittens: Lieblingseis … Noch während ich so vor mich hin sponn, tauchte Lena klatschnass am Schwimmbadhorizont auf und war eins, zwei, drei bei mir. Die fehlte mir noch.

Doch dann passierte etwas Verrücktes: Der Typ kam mit zwei Eistüten zurück und Lena fiel ihm theatralisch um den Hals.

»Oh! Du hast mir ein Eis mitgebracht, Robin!«

»Das ist eigentlich für sie.« Er zeigte auf mich und meine wackelpuddingweichen Storchenbeine.

»Ihr kennt euch?«, fragte Lena.

»Ja. Seit ein paar Minuten«, entgegnete der Junge, der also Robin hieß.

Ich nahm mein Eis und ließ das andere in den Papierkorb wandern. Derweil spürte ich die ganze Zeit Lenas eisigen Blick auf meinem Rücken.

»Und woher kennt ihr euch?«, fragte ich, indem ich um mindestens fünf Zentimeter in den Himmel wuchs.

»Lena ist meine Cousine.«

»Wie lustig«, sagte ich ohne vernünftigen Grund.

Robin schlug vor, wir sollten unsere Sachen holen und uns zu ihm legen, aber Lena wollte unbedingt an ihrem Lieblingsplatz bleiben.

»Vielleicht morgen oder übermorgen.«

Merkwürdig, dass sie Robin nicht bat zu uns zu kommen.

»Na dann …«, sagte er und warf mir einen Blick zu, der mein Eis fast zum Schmelzen brachte.

Ich wedelte kurz mit der Tüte. »Bis dann!«, rief ich, während ich Lena folgte. Liebend gerne hätte ich meine Sachen gepackt und wäre ins andere Lager gewechselt, aber das konnte ich ja schließlich nicht einfach machen. Kaum dass wir wieder auf unseren Decken lagen, war Katja plötzlich neben mir. Sie drückte unauffällig meine Hand und grinste. Wahrscheinlich sah man auf einen Kilometer Entfernung, was gerade mit mir passiert war: die seltsame Wandlung eines Neutrums in ein schrecklich verknalltes Wesen.

* * *

Am Abend stellte ich mich nackt vor den Spiegel und versuchte mich mit den Augen eines Jungen zu sehen. Wie würde er meine dünnen Beine finden, meine Minibrüste? Ich guckte und guckte, aber irgendwie wollte es mir nicht gelingen, meine Erscheinung im Ganzen wahrzunehmen. Mal hatte ich nur die knochigen Knie im Auge, mal die etwas zu breit geratene Nase – es gab mich zwar, das war unbestreitbar, aber statt eine ganze Person zu sein zerfiel ich immer wieder in lauter Einzelteile. Egal ob ich die kritische Brille oder die wohlwollende aufsetzte, es kam immer das Gleiche dabei raus.

Als Anna und Robert gegen eins in die Wohnung kamen, hatte ich immer noch kein Auge zugetan. Wie früher als kleines Kind tapste ich auf den Flur und warf mich Anna in die Arme.

»Ich kann nicht schlafen!«, jammerte ich.

»Bald sind Ferien. Dann kannst du alles nachholen.« Anna ging voraus in die Küche. »Ich mach uns einen Milchshake.«

»Jetzt noch?« Wenn Anna mitten in der Nacht Milchshakes zubereitete, war es immer Zeit für intime Geständnisse. Meinerseits – versteht sich. Etwas missmutig tapste ich hinter Anna her in die Küche, beschloss ihr den Vorfall mit Robin erst mal vorzuenthalten. Dafür war alles zu frisch, zu belanglos, einfach zu unausgegoren. Da erzählte ich schon lieber die Sache mit den Modelfotos.

Anna sah mich schräg von der Seite an, dann meinte sie, im Prinzip solle ihre Tochter werden, was sie wolle, aber wenn ich sie fragen würde, Model sei nicht gerade der Beruf, bei dem sie vor Begeisterung an die Decke springen würde.

»Von Beruf ist doch gar nicht die Rede. Die Frau hat ein paar Polaroids von mir gemacht – das ist alles.«

»Und? Würdest du gerne …?«

Der Rest des Satzes ging im Brummgeräusch des Mixers unter. »Wäre vielleicht ganz lustig. So nebenbei ein bisschen Geld verdienen.«

Anna füllte den Milchshake in zwei Gläser und stellte mir eines davon hin. »Vanille.« Dann begutachtete sie mich, als würde sie mich zum ersten Mal in ihrem Leben sehen.

»Kann schon sein, dass du das Zeug dazu hast«, stellte sie trocken fest. »Objektiv betrachtet.«

»Was sind das denn plötzlich für Töne?«

»Na ja, du bist groß und schlank, deine Augen sind schön, dein Mund ist sinnlich und deine Haare …«

» … sind nicht mehr wert als Spaghetti aglio olio.«

Anna fing tatsächlich an zu lachen. »Glaubst du etwa, alle Models haben dicke Mähnen, die sie nur zu schütteln brauchen und schon fallen sie in üppigen Locken auf die Schultern?«

»Hört sich ja fast so an, als wolltest du mich jetzt plötzlich zum Model machen.«

Ich trank meinen Milchshake in hastigen Schlucken.

»Nein. Absolut nicht.« Anna grinste. »Es gibt nichts Schrecklicheres als Eltern, die ihre Kinder in bestimmte Berufe pressen wollen.«

Als ich wieder im Bett lag, dachte ich zum ersten Mal, dass es ziemlich cool wäre, Model zu werden. Im Rampenlicht zu stehen, schön wie eine Göttin – aber wie sollte ausgerechnet mir das gelingen?

3

Stimmt das? Du wirst Model?«, kam es am nächsten Morgen in der Schule von allen Seiten. Ich hätte sie würgen mögen, und an allererster Stelle Lena.

In der großen Pause knöpfte ich sie mir vor.

»Warum verbreitest du eigentlich so einen Unsinn?«, fragte ich sie.

»Ich hab’s nur Britta erzählt«, kam es kleinlaut zurück.

»Echte Glanzleistung. Danke.«

»Tut mir Leid.« Lena zupfte an meinem Ärmel. »Robin fragt, ob du heute Nachmittag wieder ins Schwimmbad kommst.«

»Ja?« Ich merkte, wie ich selig zu grinsen anfing. Es war mir vor Lena zwar peinlich, aber ich konnte es eben nicht verhindern.

»Er ist jedenfalls da. Ab drei.«

»Danke.« Ich machte mich schnellstens aus dem Staub und musste im Klo erst mal Wasser über mein heißes Gesicht laufen lassen. Robin, die Frau von der Modelagentur – irgendwie fuhr mein Kopf seit gestern Karussell.

Ich konnte es kaum erwarten, nach der Schule nach Hause zu fahren. Schnell etwas essen, dann wieder die Kleiderschrankprozedur, die wie am Vortag endete: Shorts und T-Shirt – basta.

Endlich war es drei. Ich ging ins Bad, prüfte noch einmal im Spiegel, ob alle Teile meines Gesichtes auch wirklich an ihrem Platz waren. Nase und Augen okay, mein Mund grinste mir etwas schief entgegen. Wenn ich jetzt losging und in der Fußgängerzone noch ein Eis aß, dann würde ich gegen Viertel vor vier da sein, das war gut getimt.

Ich nahm meinen Rucksack, den Schlüssel und hatte schon die Türklinke in der Hand, als das Telefon klingelte.

Frau Deny von der Today Model Agency. Sie klang nicht freundlich, auch nicht zickig, eher neutral wie eine automatische Bandansage. Meine Fotos seien in der Agentur gut angekommen, man würde mich gerne zu weiteren Tests einladen.

»Ja«, sagte ich und schaute auf meine Zehen, die mir riesig vorkamen. Und ich dachte: Ich komme noch zu spät und dann ist Robin weg.

Frau Deny redete und redete, und so absurd es auch war: Ich bekam nur die Hälfte von dem mit, was sie sagte. Ich notierte mir Tag, Ort und Uhrzeit, und als ich schließlich aufgelegt hatte, fiel mir ein, dass ich wieder nicht gefragt hatte, ob mich der Spaß etwas kosten würde.

Wütend verließ ich die Wohnung. Noch während ich das Thema Modeln abhakte, stellte sich automatisch das Phänomen Gummibeine ein. Dabei lag das Schwimmbad noch längst nicht in Reichweite. Ich fühlte mich so albern, machte ich doch offensichtlich gerade das durch, was ich seit Jahren an meinen Freundinnen kritisierte. Herzklopfen. Zittrige Hände … Und wenn ich mich nicht zusammenriss, würde ich wahrscheinlich auch noch genauso dummes Zeug wie manchmal Lena oder Elfi daherplappern. Er ist so süß! Und guck dir mal seine Augen an! Wie er seinen Po durch die Gegend schiebt! Und das eine Haar, das ihm oberhalb seiner rechten Augenbraue wächst!

Als ich im Schwimmbad ankam, war mein ganzer Mut dahin. Ohne nach links und rechts zu schauen lief ich zu unserem Sonnenplatz und ging auf meiner Decke in Tauchstellung.

Lena stieß mich in die Seite.

»Robin wartet am Kiosk auf dich.«

»Wie?«

»Mein Gott, bist du schwer von Begriff.« Ohne ein weiteres Wort stand sie auf und lief zum Schwimmbecken.

Katja richtete sich auf und kniff mich in die Seite. »Du gehst jetzt da hin und kommst nicht eher wieder, bevor du drei Sätze rausgebracht hast.«

»Wieso gerade drei?«

»Weil … wenn du erst mal drei Sätze gesagt hast, werden es automatisch mehr.« Katja richtete sich auf. »Los! Mach schon! Er ist doch kein Monster!«

»Wenn du meinst …«

Katja meinte, und da ich nicht als absoluter Feigling dastehen wollte, stand ich auf und ging auf wackligen Beinen über den Laufsteg namens Rasen. Ich erkannte Robin schon von weitem. Er trug abgeschnittene Jeans und ein weißes T-Shirt und guckte ziemlich konzentriert in die entgegengesetzte Richtung. Wenn ich’s mir recht überlegte, war mir nicht mal klar, was ich so toll an ihm fand. Eigentlich sah er ziemlich durchschnittlich aus, er war weder klein noch groß, weder blond noch dunkel, weder hübsch noch hässlich und trotzdem hatte er etwas an sich, das mein Herz zum Rasen brachte. Das gewisse Etwas, den Faktor X, irgendetwas Unbegreifliches, das ich zuvor noch bei keinem Jungen erlebt hatte. Jetzt oder nie, dachte ich und dann stand ich schon vor ihm.

»Hallo«, kam es kieksig aus meinem Mund und er antwortete ebenso stimmbruchmäßig mit »Nice to meet you«. Wahrscheinlich hatte er sich den Spruch schon heute Morgen zurechtgelegt.

Noch zwei Sätze, dachte ich und schaute verkrampft auf meine Füße.

»Hast du die Jeans so fertig abgeschnitten gekauft?«, fragte ich schließlich und musste danach erst mal tief Luft holen. Mit der Frage hatte ich mich intellektuell so gut wie verausgabt. Robin fing an zu lachen. Nein, erwiderte er, die habe er mit der Nagelschere abgeschnitten, und ob ich sonst noch Fragen hätte.

Okay, jetzt war es auch egal. Keine Ahnung, woher ich plötzlich den Mut nahm, als ich ihm Katjas Behauptung von den drei Sätzen erzählte. Und dass mir keine vernünftige Frage als die nach seinen Jeans eingefallen wäre.

»Doof?«

»Überhaupt nicht. Was meinst du, wie nervös ich bin.« Er schüttelte seine Haare nach hinten. »Ich hab schon geglaubt, du kommst nicht mehr … Oder du würdest ewig auf deiner Decke liegen bleiben.«

Ich musste lächeln. Wie er mich ansah! Auf einmal wusste ich, dass ich gar keine große Lust hatte, all die gängigen Fragen zu stellen. Alter? Schule? Klasse? Was willst du mal werden?

Robin schien es genauso zu gehen, jedenfalls nahm er mich einfach bei der Hand und so spazierten wir aus dem Schwimmbad.

An der nächsten Straßenkreuzung fiel mir ein, dass ich meine Badesachen vergessen hatte.

»Nehmen deine Freundinnen sie nicht mit?«, fragte er.

»Ich weiß nicht.« Seine Hand lag immer noch in meiner. »Wo gehen wir eigentlich hin?«

»Zu mir?«

Ich schluckte. Offensichtlich musste ich da erst mal was klären.

»Für einen One-Night-Stand bin ich nicht zu haben.«

Er blieb stehen, sah mich an und drückte mich an sich. »Ich auch nicht«, flüsterte er in mein Ohr. »Außerdem haben wir noch lange keine Night!«

Zwanzig Minuten später fand ich mich in einem winzigen Etwas von Zimmer wieder. Ein Bett, ein Schreibtisch und zwei ausrangierte Kinositze. An den Wänden hingen Ölbilder in schrillen Farben.

»Selbst gemalt?«

»Mein Bruder. Er ist Maler.«

»Kann er davon leben?«

»Mehr schlecht als recht, aber er kommt über die Runden.« Robin zögerte und kratzte sich verlegen am Ellenbogen. »Ich zeichne auch hin und wieder. Aber nur Porträts.«

Wir schwiegen eine Weile.

»Lena hat mir erzählt, dass du Model bist.«

»O mein Gott! Die blöde Kuh!«, platzte es aus mir heraus. »Glaub bloß nicht immer alles, was Lena sagt!«

Robin zog erst die Augenbrauen hoch, grinste dann schief. Möglich, dass ich seine Lieblingscousine beleidigt hatte, aber es war mir egal.

»Also, stimmt es nicht?«

»Nein, verdammt.«

»Es hätte aber gut sein können.«

Ja, mach mir nur Komplimente, dachte ich, das nützt jetzt auch nichts mehr. Meine ganze gute Laune war plötzlich verschwunden.

Ich ließ mich in einen der Kinosessel fallen und befahl mir bei null anzufangen. Einfach so tun, als habe es die Szene eben nicht gegeben.

»Ich hab zu Lena auch nicht das innigste Verhältnis«, sagte Robin. »Magst du was trinken? Wasser? Kaffee?«

»Wasser.« Mein Mund war wie ausgedörrt.

Robin ging aus dem Zimmer und kam kurz darauf mit Mineralwasser und Apfelsaft wieder.

»Weißt du was?«, fragte er, während er mir Wasser einschenkte und sich selbst einen Gespritzten zusammenmixte. »Du bist das Mädchen meines Lebens.«

Er sagte das völlig ungerührt. Mir stockte nur eine Zehntelsekunde lang der Atem, dann musste ich über so viel Unverfrorenheit lachen.

»Das ist nicht komisch.« Robin sah mich jetzt an. »Schon als ich dich am Beckenrand sah, hatte ich so ein Gefühl: Das ist der Moment! Auf den hast du so lange gewartet!«

»Entschuldige, aber das ist Blödsinn.« Mein Herz raste.

»Kein Blödsinn.« Robin reichte mir das Glas.

»Und woher willst du das wissen? Du kennst mich doch gar nicht.« Im selben Moment kam mir in den Sinn, dass es eventuell eine Masche von ihm war, vielleicht kriegte er die Mädchen damit reihenweise ins Bett.

»Ich weiß es nicht … Das ist ja das Verrückte.« Er guckte tief in sein Glas. »Ich weiß nur, dass du es eben bist.«

»Vielleicht solltest du das mit deinem Psychiater besprechen«, sagte ich barsch und stand auf. Mit einem lauten Klack klappte die Sitzfläche hoch. Mir wurde die Sache langsam unheimlich – wer weiß, was er noch so vorhatte. Mir fielen haufenweise Hitchcock-Filme ein, der Krawattenmörder und so, bestimmt waren wir ganz alleine in der Wohnung … Ich ging zur Tür, aber Robin stand jetzt auch blitzschnell auf und packte mich an den Schultern.

»Bitte bleib!«

»Nein!« Ich hörte mich keuchen, versuchte mich loszumachen.

»Du hast doch nicht etwa Angst?« Robin ließ mich auf der Stelle los, ging zu seinem Schreibtisch. »Das ist absurd!« Er fasste sich an den Kopf. »Es tut mir Leid, ich wollte dich ganz bestimmt nicht erschrecken.«

Wie hypnotisiert blieb ich in der Tür stehen und hatte plötzlich wahnsinnige Lust, ihn zu küssen.

»Wenn du magst, treffen wir uns das nächste Mal wieder im Schwimmbad. Oder bei dir.« Er lächelte. »Wo du willst.«

»In Ordnung«, sagte ich und verließ die Krawattenmörderwohnung mit einem Gefühl absoluten Verliebtseins.

4

Today Model Agency stand draußen auf einem Messingschild. Ich klingelte, da ging die Tür auch schon surrend auf. Kein Flur – ich befand mich sofort in einem hellen, freundlichen Raum, lauter Grünpflanzen, zwei Schreibtische gepflastert mit Akten, Mappen, Modelfotos – und an die Wände waren Sedcards gepinnt. Ein Typ mit Ziegenbart und langen Haaren kam auf mich zu, er heiße Peter, sagte er, und arbeite als Booker in diesem Laden.

»Hallo, ich bin Karen.« Schüchtern streckte ich meine Hand aus, aber Peter war schon zu einem der Schreibtische gegangen, wo er in einem Stapel Mappen herumwühlte.

»Testfotos?«, fragte er ohne aufzusehen.

»Ja. Frau Deny …«

Dann klingelte das Telefon. Peter nahm ab, o Eddie!, wie schön, dass du anrufst, blablabla, so ging das minutenlang, die Tür klappte, ein paar Mädchen huschten durch den Raum, ebenso bleiche und dürre Geschöpfe wie ich, sie kicherten und waren gleich wieder draußen, warten …

Irgendwann bequemte sich Peter und legte endlich den Hörer auf.

»Ja … Ich hab hier eine Notiz. Du kriegst den Jo. Ein junger Fotograf …« Er hielt inne und taxierte mich von oben bis unten. »Ja, ganz nett«, murmelte er. »Weißt du überhaupt, was wir mit dir anstellen?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Erst mal nehme ich deine Daten auf, danach gehen wir zu Jo rüber, der macht erste Testfotos von dir. Da kannst du dich ein bisschen vor der Kamera ausprobieren und wir sehen, wie du rüberkommst.« Er lächelte mich freundlich an. »Normalerweise produzieren wir mehrere Testreihen. Für die provisorische Sedcard und um dein Book aufzubauen.«

Bevor er weiterreden konnte, fragte ich ihn, ob mich das Ganze etwas kosten würde.

»Im Prinzip schon. Aber die Agentur schießt die Kosten für die Fotos vor. Wenn du später Aufträge bekommst, wird das Geld verrechnet.«

»Und wenn ich keine Aufträge kriege?«

»Das ist dann unser Risiko.«

»Also muss ich jetzt keinen Cent bezahlen?«, hakte ich nach.

»Keine Angst.« Er lachte immer noch so nett, wie Antonio es manchmal tat, wenn er mir ein besonders leckeres Häppchen hinhielt. »Wir sind eine seriöse Agentur.«

Einigermaßen beruhigt ließ ich mich ins Nebengebäude bringen, wo Jo noch bei einem Shooting mit einer schönen Schwarzhaarigen war.

»Du kannst inzwischen diesen Bogen ausfüllen.« Schwups, war er draußen. Ich hockte mich auf einen freien Stuhl und trug Namen, Adresse, Größe und Gewicht ein – bei den Maßen musste ich passen. Also machte ich weiter mit Augenfarbe, Haarfarbe, Schuhgröße und Konfektionsgröße. Englisch, Französisch trug ich bei den Sprachen ein, Führerschein hatte ich nicht – fertig. Dann hieß es warten, warten und nochmals warten. Niemand in diesem verdammten Studio nahm Notiz von mir. Vielleicht war alles ein Missverständnis und man hatte mich gar nicht für diesen Nachmittag eingeplant. Was könnte ich in diesem Moment alles anfangen! Robin treffen, ins Schwimmbad oder ins Café gehen, etwas für die Schule tun, Staub saugen – es machte doch überhaupt keinen Sinn, stundenlang hier rumzuhocken. Doch dann ging auf einmal alles ganz schnell: Die Schwarzhaarige verließ das Studio, der Fotograf kam auf mich zu, plötzlich war ein Haufen Menschen um mich herum, man diskutierte, taxierte mich, griff mir in die Haare und schon saß ich bei der Visagistin auf dem Stuhl. Als Erstes drehte sie meine Spaghettihaare auf heiße Wickler, dann wandte sie sich meinem nackten, bleichen Gesicht zu. Sie massierte mir eine Feuchtigkeitscreme in die Haut, ließ sie eine Weile einziehen, bevor sie eine flüssige Grundierung auftrug, dann tauchte sie einen Pinsel in transparenten Puder und bestäubte mein Gesicht. Anschließend experimentierte sie mit unzähligen dunklen Lidschattenfarben und vollendete ihr Werk mit schwarzem Kajal, den sie rund um die Augen auftrug. Als Krönung tuschte sie noch meine Wimpern und malte