Schräge Töne - Britta Blum - E-Book
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Schräge Töne E-Book

Britta Blum

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Beschreibung

Nordsee statt Karibik – Friesen-Tee statt Piña Colada: „Schräge Töne“ von Britta Blum jetzt als eBook bei dotbooks. Lea liebt ihre vier Söhne ... ehrlich! Trotzdem träumt sie schon lange von etwas Zeit nur für sich. Wenn denn nur die Ex-Schwiegermama ihre vier frechen und gefräßigen Mini-Monster hüten würde, damit Lea endlich Karibik-Urlaub machen kann. Doch falsch gedacht! Auch dieses Jahr geht es mit den chronisch bronchialkranken Kids an die Nordsee. Als sie auf einer abgelegenen, stinklangweiligen Insel allerdings Torsten – einen Bilderbuchfriesen mit Wikinger-Charme – trifft, ist die Südsee schnell vergessen. Mit ihrer Rasselbande nimmt er es locker auf und Geld hat er auch … Zu schön, um wahr zu sein? Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Schräge Töne“ von Britta Blum. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag

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Seitenzahl: 407

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Über dieses Buch:

Lea liebt ihre vier Söhne ... ehrlich! Trotzdem träumt sie schon lange von etwas Zeit nur für sich. Wenn denn nur die Ex-Schwiegermama ihre vier frechen und gefräßigen Mini-Monster hüten würde, damit Lea endlich Karibik-Urlaub machen kann. Doch falsch gedacht! Auch dieses Jahr geht es mit den chronisch bronchialkranken Kids an die Nordsee. Als sie auf einer abgelegenen, stinklangweiligen Insel allerdings Torsten – einen Bilderbuchfriesen mit Wikinger-Charme – trifft, ist die Südsee schnell vergessen. Mit ihrer Rasselbande nimmt er es locker auf und Geld hat er auch … Zu schön, um wahr zu sein?

Über die Autorin:

Britta Blum arbeitete lange als Paartherapeutin, bevor sich die erprobte Vierfachmutter ganz dem Schreiben widmete. Ihre eigenen Söhne schickte Blum nicht nur zum Fußball oder Kampfsport, sondern obendrein zum Ballett und in die Tanzschule – wofür ihr die Damenwelt bis heute dankbar ist. Mit viel Herz und Augenzwinkern verarbeitet die Autorin, die im Rheinland lebt, in ihren Romanen Geschichten aus dem prallen Familienleben.

Britta Blum veröffentlicht bei dotbooks auch folgende Romane:Familienleben auf FreiersfüßenMama geht badenKleine Männer sind die größtenBabys fallen nicht vom HimmelHonig und Stachel

***

Neuausgabe August 2015

Copyright © der Originalausgabe 1977 by Scherz Verlag, Bern, München, Wien

Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Alex Oakenman

ISBN 978-3-95824-320-0

***

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Britta Blum

Schräge Töne

Roman

dotbooks.

Kapitel 1 Taler, Taler ...

»Lüge«, sagt die Männerstimme an meinem Ohr.

»Wie sind Sie denn drauf?« Von wegen Lüge! Ich variiere lediglich ein Rezept, das angeblich schon einem Kölner Privatbankier den Knast versüßt hat und meinen Söhnen zum drittenmal in Folge ein »Is’ okay!« entlocken soll. Ob ich noch etwas Ketchup ...?

»Ich heiße so, Lüge mein Name, könnte ich wohl Frau Wilde?«

»Infinitiv«, sage ich mechanisch und rühre in dem blubbernden Erbseneintopf nach einem Rezept »Für Feinschmecker« aus meiner Fernsehzeitung, in dem natürlich kein Ketchup vorgesehen ist. Nur einen winzigen Teelöffel vielleicht? Das wäre wie ein Stück Heimat im Suppenteller.

»Infinitiv?« echot es an meinem Ohr.

»Sie haben den Infinitiv geschludert«, erwidere ich und ziehe die Kühlschranktür auf, um besagte Flasche herauszunehmen. Die Marke. Wenn es um dieses süßlich-rote Zeug geht, haben meine Minimänner das feinste nur denkbare Geschmackssensorium.

»Prächtig.« Es wiehert. Er wiehert. »Da weiß man doch gleich, man hat’s mit einer Lehrerin zu tun. Obendrein sind Sie noch Mutter und ...«

»Und Köchin«, unterbreche ich den Mann hastig, bevor er mit seiner Aufzählung in die delikate Abteilung abgleitet.

»Und obendrein noch bescheiden«, darauf er. »Sie haben doch auch ...«

»Täten Sie Ketchup an die Erbsen?«

»Pfui Teufel!« Schon beginnt Herr Lüge mir aufzuzählen, was in eine echt rheinische Erbsensuppe gehört. Er kennt sich aus, vergißt weder die Speckschwarte noch die Einweichzeit. »Aber nie im Leben Ketchup und erst recht kein Schnellkochtopf, das ist eine Sünde und eine Schande.«

Zum Glück besitze ich kein Bildtelefon. Außerdem sündige ich gelegentlich ganz gern, sofern ich dazu komme, was bei vier Jungs nicht eben oft ist.

»Haben Sie sonst noch was auf dem Herzen?« frage ich laut.

»Aber Sie haben doch gefragt, ob ich ...«

»Vergessen Sie’s!«

»Eigentlich wollte ich ja etwas über Ihren Kamellenpapa bringen, wirklich ganz reizend, Ihre kleine Geschichte. Kamellenpapa, herrliches Wort! Haben Sie schon einmal Rahmkaramellen selbst gemacht? Ganz einfach, Sie müssen nur ...«

Diesmal höre ich mir geduldig an, wie Herr Lüge gute Butter, Zucker und Sahne zusammenzurühren pflegt. Nicht, weil ich derlei jemals nachzuahmen gedenke, da sei der Himmel vor. Aber der Mann ist von der Presse, er repräsentiert quasi jenen roten Zeitungskasten bei uns vorm Haus, und während ich den Herd ausschalte, den Topf beiseite ziehe und lausche, wie die karamelisierte Masse auf eine Platte zu streichen – »Am besten nehmen Sie Marmor. Haben Sie Marmor?« – und endlich zu portionieren ist, erliege ich der Vision einer Headline:

»Kölner Erfolgsautorin kreiert den Kamellenpapa!«

Meine Vision ist so stark, daß ich darüber die Frage nicht mitbekomme, die offensichtlich nicht mehr toffeebezogen ist. »Wie war das gerade?«

»Ob Sie mir wohl Ihre Vita und Rezensionen rüberfaxen könnten, eine kleine Auswahl genügt.«

»Mach’ ich, mach’ ich doch glatt.« Dank Jochen Rosenfeld, der seinem ältesten Sohn sein altes Faxgerät, sein altes Mobiltelefon und ein Modem fürs Internet geschenkt und mir eine explodierende Telefonrechnung angedreht hat, kann ich faxen. »Danke vielmals, dear Jochen!«

»Erich«, sagt es an meinem Ohr, »überhaupt habe ich zu danken.« Klick.

»Na ja!« Fabian hält mir seinen Teller zum Auffüllen hin, blind, weil sein Kopf noch über die neueste Ausgabe von »fit for fun« gebeugt ist. »Is’ ganz okay, höchstens ’n bißchen hart.«

»Al dente«, verbessert Maxi, mein Elfjähriger, und läßt seinen leeren Teller über die Marmorplatte Richtung Suppenterrine schürgeln.

»Al dente gibt’s nur bei Nudeln, du Doof!« Fabian zupft sich Kräutergrünes vom Dreitagebart.

»Müssen wir zum Zahnarzt?« Jonas sieht erschrocken hoch.

»Träum weiter!« Diesmal machen meine beiden Ältesten gemeinsam gegen ihren drittgeborenen Bruder Front, der beharrlich ein wiedererkanntes »dente« verteidigt: »Steht auch auf der Zahnpastatube, aber mit dem ›al‹ hintendran, ›dental‹ steht da, und bei Fabian auf ’m Computer macht einer, der Dentist heißt, komische Sachen mit ’ner Schwester, die ganz anders aussieht als die Frau Nacken bei unserem Doc.«

»Stimmt.« Lucas, der Jüngste im Bund, nickt eifrig. »Die Nacken knöpft auch nie ihren Kittel auf und so. Gibt’s Nachtisch?«

»Ich glaub’s nicht.« Ich fixiere Fabian. »Ich glaub’s einfach nicht.«

Fabian seziert eingehend ein vergessenes Würstchenstück und diagnostiziert ein Pfefferkorn: »Wenn ich da draufgebissen hätte.«

»Verschlüg’s dir die Sprache«, wirft Maxi ein, »obwohl heute der Erste ist. Heute gibt’s T-a-s-c-h-e-n-g-e-l-d.« Er wirft seinem die Volljährigkeit ansteuernden Bruder einen bedeutungsvollen Blick zu.

»Apropos Erster«, Fabian paart die zerfledderte Wurst mit einer einsamen Erbse, »wir haben uns da mal schlau gemacht. Du willst doch nicht, daß deine Söhne schief angesehen werden, Muttchen?«

»Oder Ladendiebe werden«, assistiert Maxi, »alle anderen bekommen nämlich viel mehr Taschengeld.«

Vorsorglich melden meine beiden Jüngsten auch schon einmal an, daß sie eine Aufstockung beantragen, weil sie als einzige sich nicht jeden Tag ein Überraschungsei und Fußballsticker am Kiosk leisten können.

»Spinnt nicht rum!« Ich stelle laut klappernd unsere Teller zusammen. »Es gibt frisches Obst«, vier Mundwinkel senken sich, »oder Eis.« Eissüchtig sind sie alle.

»Schoko«, sagt Lucas, »ich nehm’ Schoko.«

»Ich auch.« Jonas nickt.

»Da sieht man wieder mal, was ihr für Kindsköpfe seid.« Fabian und Maxi stellen klar, daß sie sich keinesfalls ködern lassen und nun, nachdem sie bereits drei Tage aufopferungsvoll meinen Hülsenfrüchtetick mitgemacht haben, umgekehrt auf Entgegenkommen rechnen: »Da gibt’s Tabellen! – Kannst du selbst nachlesen! – Im Durchschnitt ...«

Ich bestehe darauf, die Tabellen zu sehen. Das kenne ich.

Das Beweismittel stammt aus der Elternzeitschrift, die ich selbst abonniere, und beziffert in einem unscheinbaren Kästchen auf der vorletzten Seite das per annum verfügbare Kapital eines Elfjährigen auf eintausendachthundertfünfundzwanzig Mark.

»Siehste!« Maxi teilt mir mit, daß seine »Unterfütterung« bei sage und schreibe eintausendvierhundertfünfundsechzig Mark liege. »Ich kriege achtzig Prozent weniger als alle.«

Ich bin sprachlos. Erstens wegen dieses Wortes »Unterfütterung«, das in seinem Antrag auf Aufstockung des Kindesunterhalts stand. Ob dieser Wicht ...? Außerdem erschlägt mich das Gewicht dieser unglaublichen Summe.

Mein Jungmann veranschlagt soeben sein eigenes Defizit auf das Doppelte der höchsten Einkommenskategorie – die Tabelle hört bei fünfzehn Jahren auf –, dividiert aber fairerweise gleich selber durch zwölf: »Fehlt mindestens ein Blauer, Muttchen!«

Ich bin so sprachlos, daß ich einen Moment lang glatt vergesse, dieses Rechenexempel zu kontrollieren, und im Geist schon einen Elternbrief an die Zeitschrift entwerfe, der es in sich hat. Dann entziffere ich den Hinweis auf die in diesen Beträgen enthaltenen Sonderzuwendungen und atme auf. »Ihr irrt«, sage ich und erkläre sachlich, wie diese Zahlen zustande kommen: »Alles inklusive, Geburtstag und Weihnachten und Zeugnisse, tutto completo.«

»Aber du schenkst uns nie Bares!« widerspricht Maxi. »Niemals. Deshalb ...«, Daumen und Zeigefinger schaben bedeutungsvoll gegeneinander.

»Aber die anderen.« Um ein Haar hätte ich »Gegenseite« gesagt. Es ist mir ein Dorn im Auge, wie mein Geschiedener und dessen Sippe meinen Söhnen aus purer Bequemlichkeit lieber Geld zustecken.

»Uns predigst du immer, du wolltest dich nicht mit gewissen Erziehungspraktiken gemein machen.« Fabian steht auf, er überragt mich schon im Stehen, hoch über meinem Stuhlformat wirkt er geradezu gigantisch.

»Nun«, sage ich und überlege. »Gewiß will ich das nicht, trotzdem wäre es unverantwortlich, euch nur in Anbetracht unserer Familiensituation mit Summen auszustatten, die weder eurem Alter noch meinem Portemonnaie entsprechen.« Energisch klappe ich die Elternzeitschrift zu.

Ich hätte es bleibenlassen sollen. Auf dem Cover steht der Preis, Maxi zeigt darauf: »Für so ’n Blödsinn gibst du jeden Monat ...« Umgehend ergänzen seine Brüder, wofür ich sonst noch pausenlos gutes Geld hinauswerfe. Falsche Farbe in den Haaren und nicht mal kußechten Lippenstift und Kochrezepte, bei denen nur die Bilder schön sind. Die Hochrechnung ergibt, daß ich mir locker ein angemessenes Taschengeld für meinen Nachwuchs leisten könnte, wenn ich nur an den richtigen Stellen sparte.

»Damit ihr noch mehr Schwachsinn kauft?« Ich stehe auf, mitsamt Tellerstapel, die Löffel kippeln und fallen auf das Foto des properen Säuglings. Ich beschließe, dieses Blatt umgehend abzubestellen, das erwachsene Menschen mit Hochglanzfotos in den Pfuhl treibt, damit sie dort produzieren, was allenfalls bis zum Eintritt in die Krabbelgruppe so herzig daherkommt. Die durchwachten Nächte abgezogen.

»Wir kaufen keinen ...« Vierfach. Einstimmig.

»Tut ihr doch!« Geschirr zurück auf den Tisch, Finger auf das nackte Girl von »fit for fun«, auf dem der Ellbogen meines Ältesten ruht. »Da!« Mein Finger wandert weiter, umkreist den Inhalt eines Überraschungseis, die neueste Serie Fußballsticker und ein haariges Gummimonster: »Da – da – da!«

»Der Schlager ist Asbach-uralt«, informiert mich Fabian und beweist im Duett mit Maxi, wie unglaublich viel zumindest meine beiden Ältesten von meiner in sich schlüssigen Beweisführung behalten haben: Acht Lippenstifthülsen dokumentieren den Kaufrausch, dem ich selbst verfallen bin, doch meine Söhne gönnen’s mir, weil selbst Frauen mittleren Alters gelegentlich noch aus ihren Fehlern lernen können.

»Wenn du dich beispielsweise von mir für ein Abo von ›fit for fun‹ werben läßt«, sagt Fabian, »gibt’s als Prämie Hanteln, die ich dir für dein Brusttraining leihen könnte, damit sparst du auf Dauer sogar den BH.«

»Learning by doing«, assistiert Maxi, »trial and error.«

»Gibt’s das auch bei Fabi auf dem ’puter?«

»Träum weiter!« Kopfnuß für Jonas, die für mich folgt verbal: »Sie käm’ nicht mal in ihr Lernprogramm rein – ihren Kamellenpapa hat sie unter Budgetplanung abgespeichert – Jochen hat sich schiefgelacht.«

Sie bin ich, Jochen ist mein Geschiedener, das fehlerhafte Abspeichern resultierte aus dessen Anruf während meiner Arbeit an einer Kollektion fiktiver Papas, die sich nur darum rissen, für mich und meine Kids Kamellen aufzufangen. Jochen ist mitten hineingeplatzt in mein Happy-End. Sein Thema war mein Antrag auf Aufstockung des Kinderunterhalts: »Frag doch mal deinen anderen Beschäler, schließlich hat der dich noch nach mir genossen.« Ich habe gewütet und umgehend an meinem PC »Finanzen« angeklickt. Irgendwie haben sich die beiden Dateien wohl vermengt. Purer Zufall, denn meine anfängliche Scheu vor dem elektronischen mouse-man und allem, was so dranhängt, habe ich längst überwunden.

»Ich habe keinerlei Berührungsängste«, sage ich, »und lass’ sie mir auch nicht von euch einreden.«

»Wir reden von Technik, Muttchen.« Fabian zeigt Richtung Decke.

»Glaubst du, ich hätte vergessen, wo mein Computer steht?« frage ich.

»Im Moment geht’s eher um dein Telefon.«

Die Diskussion über die absolut schwachsinnige Installation eines Anschlusses exklusiv für mich – »Wo sie’s noch nicht mal selbst läuten hört!« – verfolgt mich bis ins Obergeschoß.

»Wilde«, sage ich leicht atemlos.

»Lüge«, sagt es an meinem Ohr, »ich hätte da noch ein winziges Problemchen.«

Winzig ist gut. Der Mann teilt mir mit, daß er ein Foto von mir bräuchte: »In unserem Archiv ist leider nichts von Ihnen!« Woher auch? Ich denke bereits an einen Friseurbesuch und den Kauf eines fotogenen Tops, als er mir mitteilt, daß der Kollege bereits unterwegs sei: »Dürfte gleich bei Ihnen sein, ist doch in Ordnung?« Es folgt die muntere Beschreibung meiner Selbstdarstellung im »Kamellenpapa« als Naturgirl. Naturschön, immer fröhlich, umringt von vier putzmunteren Knaben: »Ihre Rasselbande haben wir dann gleich in einem im Kasten.«

Ich bin sprachlos. Klick. Ich sprinte los. Fünfzehn Minuten.

»Avanti! Abräumen! Umziehen!«

»Eis«, antwortet es mir vierstimmig.

»Presse, dalli, dalli. Das Eis gibt’s später.«

»Und das mit dem Taschengeld?« Maxi sieht mich unschuldsvoll an. Ein Engelsgesicht, äußerlich betrachtet.

»Darüber reden wir auch später.« Teller, Löffel, Gläser, Papierfetzen, Müll.

»Du hast meinen Flieger ...«, setzt Jonas an, diesmal erhält er unerwartet Rückendeckung von seinen beiden älteren Brüdern: »Du hast seinen guten Flieger aus dem Überraschungsei in die Suppenschüssel geworfen!«

»Entschuldigung.« Ich fische nach silbernem Plastik mit Wurstpelle. »Würdet ihr jetzt bitte.«

Sie rühren sich nicht: »Du sagst immer später.«

Noch elf Minuten. Haare wie Sauerkraut, Gammeljeans, naturfad. Wir einigen uns: Sie helfen mir, ich ihnen, sie räumen sogar freiwillig ab, und meine Zusage auf Erhöhung ihres frei verfügbaren Geldes hat einen pädagogischen Angelhaken, der ihnen – gierig, wie sie sind – entgeht.

»Ja-ja-ja-ja!« Vier Heinzelmännchen flitzen hin und her, ich düse ab ins Bad, verpasse mir nicht kußechten Lippenstift – zwei von den acht Hülsen sind leer, die zählen nicht –, werfe den Kopf vor und wieder zurück, damit das Sauerkraut wenigstens nach viel Sauerkraut aussieht, und setze gerade zum Umstieg in meine engste Jeans an, als es klingelt.

Dann murmelt es männlich.

Ich brülle: »Komme schon!« – Der Reißverschluß klemmt, hoffentlich liegt’s an der expansiven Wirkung der Erbsen!

Das Männerbrummen rückt näher, begleitet von der glockenhellen Stimme meines Elfjährigen: »Sie hübscht sich bloß noch an.«

»Nee, nee, Junge«, sagt die Männerstimme, »eure Mami ist so ’ne Art Naturgirl, die hat das gar nicht nötig, das hab’ ich hier schwarz auf weiß.«

Mein Auftritt unterbricht die plastische Beschreibung meiner acht Lippenstifthülsen sowie der zugehörigen Konturenstifte: »Sie hat auch ’nen schwarzen für besonders schwierige Fälle.«

»Hören Sie einfach nicht hin«, schlage ich vor, »das sind eben Jungs, rotzfrech, aber mit ’nem unglaublich weichen Kern und Güteklasse A.«

»Wollen Sie nicht ein paar Tage bleiben?« fragt Maxi und beobachtet den Kameramann, der soeben seine schwere Ledertasche auf meinem hochempfindlichen Marmortisch auszupacken beginnt.

»Bleiben?«

»Sie mag Pressemänner, wir auch, dann sind wir«, Maxi spitzt die Lippen, »G-ü-t-e-k-l-a-s-s-e!«

»Nee, nee, Jungs, laßt mal! Zum Kamellenpapa taug’ ich nicht, mir hat schon der Job das Kreuz ruiniert.« Er zeigt auf seinen sperrigen Koffer und die sich auf meinem Marmor ausbreitenden Objektive.

Maxi grinst: »Die Nummer läuft sowieso nich’ mehr, weil der Lucas nich’ mehr beim Rosenmontagszug zu Fremden auf die Schultern will.«

»Oho.« Das Kameraauge zoomt mich an. Klick.

Automatisch ziehe ich den Bauch ein, stelle ein Bein vor das andere, stemme meine Oberweite vor und nehme sie wieder zurück, weil ich leider nicht mehr dazu gekommen bin, auch noch dieses Stück fotoästhetisch zu richten.

Es wird eine lange Session.

»So janz jenau weiß ich nicht, wat der Chef will!« Kaffee mit unglaublich viel Zucker und Milch, die Butter-Cookies werden getaucht, vier bräunliche Kringel und sehr viel mehr Kekskrümel dokumentieren die schwierige Aufgabe des Pressefotografen. Hätte ich nur darauf verzichtet, höflich zu sein! Den Dialekt nähme ich in Kauf, notfalls auch noch das Gesuppe auf meinem Tisch. Grundsätzlich hätte ich auch nichts dagegen, wechselweise mit Kochlöffel, als Autorin mit mouse-man in der Faust und den Gummibaum anschwärmenden Augen oder hingeräkelt auf dem rot gefütterten Tigerfell, das ich mir zu meinem letzten Löwinnengeburtstag gegönnt habe, zu posieren.

Aber meine Söhne stören. Und ich bin nicht vorbereitet.

Den Menschen von der Presse stört das nicht: »Ich hab’ Zeit, Sie sind heute mein letzter Termin, gehen wir’s hösch an.«

»Hösch hat die Mami immer zu meinem Papa gesagt, wenn ...«

»Wollen Sie vielleicht noch ein Stück Marmorkuchen?« rufe ich dazwischen. »Selbstgebacken.«

»Vor ’ner Woche und aus der Packung«, ergänzt Maxi, »dafür is’ die Schokoglasur schön dick.«

»Gern«, sagt unser Gast. Am ersten Bissen kaut er deutlich am längsten, dann »zoppt« er wieder: »Janz wie bei Muttern!« Er sieht mich an; während er seine Tasse vollbröselt, danebenbröselt und zuletzt liebevoll meinem Jüngsten durch die Locken wuschelt: »Da is’ der Papi von euch wohl auch en waschechter Kölner?«

Drei Köpfe nicken, der meines Fünfjährigen nicht.

Die letzte Ecke durchtränkter Marmorkuchen verharrt in der Luft. Es tropft.

»Meiner kommt aus Hamburg«, verkündet Lucas stolz, »da gibt’s ganz große Schiffe und ’ne Reeperbahn nur für die Männer.«

»Schon, schon.« Mein Marmorkuchen in seiner Hand gibt auf, bricht ab. Plop. »Also ist der Papa ein ›Imi‹.«

»Was ist ein Imi?« will Lucas wissen.

»Ein Zugezogener.«

Es wird laut. Alle reden durcheinander, wollen erklären, der Mann hat’s nicht leicht, wahrlich nicht. Aber ich selbst bin noch viel bedauernswerter. Wie stehe ich denn da mit zwei Vätern für vier Kinder, und keiner davon ist verfügbar?

»Bei uns gab’s nämlich zwei echte Papas und danach nur noch Kamellenmänner und so«, erklärt Maxi soeben.

»Tja, wenn das so ist.« Die Kaffeetasse wird erneut angesetzt, hastig geleert, es bleibt ungeklärt, ob das angewiderte Mienenspiel des Trinkers nur auf den Brei aus Keksen-Kuchen-Schokoglasur zurückzuführen ist. Vielleicht malt er sich auch gerade aus, was ihm hier alles hätte widerfahren können. »Ich jeh’ dann wohl mal besser, is’ ja jetzt alles im Kasten.« Objektive, drei Filmdöschen, alles wandert zurück in den schwarzen Lederkoffer. »Moment mal! Stop! Hätt’ ich doch jlatt den Scheck verjessen.«

»Toll!« Meine Söhne umringen den Fotografen. Sie finden es toll, daß sie wie echte Stars fürs Posieren bezahlt werden, und loben sich schon gegenseitig hoch, als ich sie rasch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückhole: »Mein Kamellenpapa wird in der Zeitung abgedruckt, und dafür bekomme ich ein Honorar.«

»Bitte hier quittieren!«

Ich quittiere, geleite den Mann von der Presse zur Tür und bewaffne mich mit Wischleder und Poliertuch. Wie kann ein ausgewachsener Mann nur so ferkeln? Ob ich als Tiger-Lilly oder Kochtopf-Autorin veröffentlicht werde? Preis des Ruhms. Ich rubbele drauflos. Hoffentlich en face, da fällt mein sauerkrautplatter Hinterkopf nicht so auf. Hätte ich mir doch bloß einen Tag früher die Haare gewaschen ...

»Mallorca«, sagt es hinter mir.

»Quatsch, der is’ passé, vielleicht reicht’s ja für Australien.«

»Was reicht?« Ich höre auf zu wienern, drehe mich um und sehe meinen Zweitgeborenen mit der sicherheitshalber mit der Leerseite nach außen zusammengefalteten Quittungskopie wedeln. Meine Söhne nutzen meine Putzwut, um die sinnvolle Verwendung meines Autorenhonorars zu diskutieren.

Schließlich dauert es nicht mehr lange bis zu den Herbstferien. Der Nachhall von vier Wochen Finca-Abenteuer beginnt zu verblassen, zumal auch der zugehörige Besitzer wenigstens für das nächste halbe Jahr nach Tschechien abgetaucht ist. Offiziell, um in Prag eine deutschsprachige Schule zu etablieren, was aber nichts besagt, weil Männer bekanntermaßen einen guten Riecher für Nebengeschäfte dieser und jener Art haben. Ich mache mir da nichts vor.

Geckos gegen Känguruhs, warum peilen sie nicht gleich eine Safari von meinen zweihundertsechsundfünfzig Mark Zeilenhonorar an?

Offen gestanden habe ich mir bei der telefonischen Ankündigung, meine Geschichte abdrucken zu wollen, auch mehr versprochen. Millionenauflage. Ich habe schon ein Aufleuchten im Gesicht meines arg gebeutelten Kundenbetreuers bei der Sparkasse gesehen, das jedesmal nach Extraktion eines eitrigen Zahns aussieht, wenn er mir meinen Kontostand präsentiert.

»Ballaballa, wie?« Ich tippe mir gegen die Stirn, verpasse mir dabei eine unfreiwillige Gesichtswäsche mit dem Spüllappen und ergänze nach einem herzhaften Fluch – »und uns sagst du immer, wir sollen nicht ...!« –, daß ich mir als Alleinerziehende sowieso keinen Zweiturlaub leisten kann: »Und wenn schon, höchstens einpaar Tage im Sauerland oder so.«

Wandern durch die Herbstlandschaft des Kahlen Astens wird einstimmig abgelehnt.

»Dann bleiben wir eben hier.«

»Papa hat gesagt ...« Jochen Rosenfeld hat offensichtlich erneut seinen Karibikzauber aufleben lassen, diesmal sogar dreifach.

Dreimal hat er gezeugt, das war noch der angenehmste Teil, besonders am Anfang, als er sogar kreativ genug war, um zwei auseinanderdriftende Ehebetthälften in der »camera undici« mit seinem Bademantelgürtel zu zähmen.

»Prima!« sage ich laut. »Nur zu.«

»Du meinst, du hast nichts dagegen, wenn wir dich allein lassen?«

»Ich werd’s überleben.« Nicht allein, hundertprozentig nicht, obwohl ich allmählich davon träume, mal wieder kinderlos loszulegen. Bloß eine Woche so wie früher, himmlisch!

»Könnt’ uns ja auch weh tun«, sagt Maxi in meine Gedanken.

»Wir hätten gar nichts dagegen, mit dir mal ’ne hübsche Kurzreise zu machen.«

»Disneyland ging’ notfalls auch noch.« Die Anregung meines Jüngsten wird aufgegriffen, und eine Liste von Minimalforderungen folgt. Ich brauche gar nicht erst das Mienenspiel meines Kundendienstberaters bei der Sparkasse abzuwarten, um zu wissen: Rien ne va plus.

Es sei denn, mein Konterfei in dem Millionenblatt brächte den Durchbruch.

Nachts träume ich von Beuteltieren, die mit meinen Söhnen im Bauch hinter mir herhoppeln. Nicht etwa, daß ich selbst laufen müßte, meine Känguruhs sind unglaublich wandlungsfähige Wesen. Sie passen ihre Anatomie sogar dem Gardemaß meines mich um einen Kopf überragenden Ältesten an und lassen ihn voll Wohlbehagen in seiner Felltasche schaukeln, während die Vorderläufe, die mich selbst umschlingen, immer menschlicher und männlicher werden.

»Sie ist schon wach, hundertprozentig.« Etwas berührt meine schlafwarme Brust, kitzelt meinen Hals, berührt zart mein Kinn.

»Hmm!« Dann schieße ich aus dem Bett. Maxi hat seinen Gast-Hamster auf mir abgesetzt, der sich nun ersatzweise zwischen meinen weißen Laken vergnügt.

»Seht ihr!« Maxi strahlt seine Brüder an und rettet den Hamster. Er weiß nur zu gut, daß ich alles rund um die Familie »Maus« hasse, das liegt an dem Nagegebiß und diesen Krallenfüßen und der Art, sich anzuschleichen. Einzige Ausnahme: Freund mouse-man, der ist aus Plastik und an der Strippe und gehorcht mir mittlerweile aufs Wort. Fast.

Kapitel 2 Der Kamellenpapa geht um

»Nee, nee aber auch«, die Marktfrau hält mir zwei Apfelsorten zum Vergleich hin, »dat Sie in de Zeitung stehn! Jupp, hab’ ich jesacht, dat is’ unser Frau Wilde, die mit dene viele Kinder. Also ich hab’ Se sofort erkannt.«

Ich greife ins Obst. Es kullert. Rechts die Sorte Gala, links Cox Orange. Links schnellt eine Männerhand vor: »Bitte sehr!« Bilde ich mir das nur ein, oder mustert mich der hilfsbereite Kunde, dem ich regelmäßig jeden Freitag beim Großeinkauf begegne, mit einem Interesse, das ihm sonst höchstens die ersten Frühlingskartöffelchen oder pflückfrische Brombeeren entlocken?

»Danke«, sage ich, »danke vielmals.« Mein Puls rast, die Jacke ist viel zu warm, mir ist nach luftigem Hängerkleidchen im September. Oder besser noch nach dem antaillierten Leinenmini, der käme auch in den Medien besser rüber. Hoffentlich waren meine Haare nicht zu sauerkrautmäßig. Die Marktfrau kann ich schlecht fragen.

Statt dessen mime ich Gleichmut, was gar nicht so einfach ist, weil alles in mir danach drängt, jedes Detail meiner Entwicklung zur »schreibenden Kölner Hausfrau« preiszugeben. Diese Formulierung meines Herrn Lüge finde ich zwar weder besonders peppig noch wahrhaftig, doch ich verzeihe ihm. Ich, die Erfolgsautorin, der Jupp heute sogar höchstpersönlich die Korbtasche einpackt und außen herum trägt: »Is’ ja viel zu schwer für Se, Frau Wilde.«

Auch diese Anrede ist neu, denn obwohl ich seit nunmehr sechs Jahren von Jochen Rosenfeld getrennt bin, hängt mir noch immer sein Name an. Heute nicht.

Leichtfüßig passiere ich den Eierstand, die Wurstbude und die Blumenecke, grüße munter all die bekannten Gesichter – ob sie auch ...? – und bin schon auf die andere Straßenseite übergewechselt, als mir auffällt, daß etwas nicht stimmt. Eine Tasche ist noch leer. Umkehren?

Ich gehe weiter. Zur Feier des Tages gibt’s eben Aufschnitt aus der Metzgerei, die Jochen als Veterinärapotheke zu bezeichnen pflegte. Ob Jochen auch schon ...?

An der »Blume« bleibe ich kurz stehen, zögere, denke einen bunten Herbststrauß an – da fällt mir ein, daß möglicherweise heute sogar Fleurop für mich aktiv werden könnte. Blitzschnell passieren die Gesichter aller alten Verehrer, die im Einzugsbereich der Kölner Yellowpress leben, mein geistiges Auge. Sie alle hatten gewisse Vorzüge, der eine schenkte lange Stengel, der andere mit Wurzel, bei manchen ist es auch bei den Gebinden geblieben, die ihnen meine Phantasie zuordnete, bei gelben Teerosen etwa.

Immer wenn unsere Blicke sich in der Straßenbahn über seiner Zeitung kreuzten, dachte ich: Teerosentyp. Fast zwei Wochen lang saßen wir uns jeden Morgen gegenüber, Knie an Knie, seins immer sehr korrekt mit Bügelfalte, trotzdem hatte er etwas, bloß keinen Mumm. Einmal habe ich ihn mit dem Blatt erwischt, das jetzt mich abdruckt, und er hat etwas von seinem »Hausmeister« gemurmelt. Zwecks Aufmunterung habe ich ihm gestanden, tagtäglich gegen meinen Willen die Headline und den Text zu studieren, den der Zeitungskasten vor meiner Haustür freigibt. »Sex-and-crime-süchtig.« Dazu habe ich gelacht, er ebenfalls, leider mußte ich an der nächsten Station raus, und dann wechselte mein Stundenplan.

Ich hätte nichts gegen einen Busch gelber Teerosen. Der Kasten vor unserem Haus ist unverändert rot, der Schlitz für die Münzen sperrt sich kurz, dann greife ich zu.

»Sie sind mir ja eine Heimlichtuerin, Frau Wilde!«

Neckisch. Die Stimme gehört zu dem Feinkosthändler an der Ecke, bei dem zu kaufen Jochen uns strengstens untersagt hat: »Die reinste Fressalienapotheke!« Seine Söhne haben brav genickt und den Laden nur betreten, wenn die Luft rein war. Rosenfeldrein! Trotzdem hat dieser Krämer weiter meinem Ex die Treue gehalten, selbst als der längst keine Zigaretten oder Coke mehr bei ihm kaufte – derlei fiel nicht unter »Fressalien«. Bis heute war ich nur Frau Rosenfeld. Tempi passati.

»Wieso?« frage ich und lasse flugs die Zeitung zwischen meinen Äpfeln verschwinden.

»Das nützt Ihnen nichts, jetzt haben wir’s schwarz auf weiß. Haben Sie übrigens schon mal meine neuen belgischen Rahmkaramellen probiert?«

Ich schüttele den Kopf und fliehe. Womöglich geht unter den Männern dieser Stadt der Toffeewahnsinn um. Ausgelöst durch meine Geschichte?

Noch in Schuhen, beginne ich zu blättern, alle möglichen Banalitäten steigern die Spannung, sind quasi mein Vorprogramm: Da! Um mein Konterfei hätte ich mich nicht weiter sorgen müssen, es ist kaum größer als eine Briefmarke, dafür ist die »schreibende Hausfrau« fett gedruckt, der Verweis auf meinen »pointensicheren Humor und jede Menge Lokalkolorit« ist nicht übel, es folgt ein Hinweis auf den Abdruck in zwei Folgen. Morgen geht es los. M-o-r-g-e-n.

»Gibt’s heute nichts zu essen?« Die Kinderzimmertür mit dem Schild »Zutritt verboten« rumst gegen meine Einkaufstasche, die kippelt.

Ich bücke mich, um die Apfel am Kullern zu hindern. »Gleich, mein Schatz!«

»Auweia!« Fabian dreht sich um. »Komm mal, Maxi, mit Muttchen stimmt was nicht.«

»Ich brauch’ sowieso noch Geld für ’n Geschenk.« Maxi erscheint.

»Wieso brauchst du Geld?« Ich berufe mich auf den pädagogischen Angelhaken, den ich an die gestrige Taschengelderhöhung geknüpft habe. »Ja«, haben sie gesagt, alle vier wie auf Kommando, und jetzt traut mein Elfjähriger sich, so zu tun, als hätten wir keine Selbstbeteiligung an Präsenten-Fahrkarten-Schreibwaren bis maximal zwanzig Mark für ihn vereinbart.

Maxi verschwindet. Stumm.

Learning by doing, denke ich und bin nicht unzufrieden mit mir. Schon beginne ich, Eierkuchenteig zusammenzurühren, als eine nicht sonderlich saubere Hand einen Kassenbon zwischen meine Eierschalen plaziert.

»Deshalb.«

»Muß ich nicht kapieren, wie?« Ich rühre weiter.

»Soll ich’s dir vorlesen?«

Ich jage Mehlklümpchen. Mein Teeny hat neuerdings einen Ton am Leib ...

»Vierunddreißig Märker minus zwanzig«, die Hand wölbt sich, »macht vierzehn Miese.«

Das Fett in der Pfanne zischt. Ich kippe den Rührbecher, der Teig fließt, steigt hoch, ich ziehe den Schneebesen über den Pfannenboden und errege mich. So haben wir nicht gewettet, wahrlich nicht. Ich rede von »Nattern an meiner Brust« und Obergrenzen, die seit »hundert Jahren« gelten. Passend dazu zischt und spritzt es von der Herdplatte.

»Was hat ein Brötchen gekostet, als du so alt wie der Lucas warst?« Maxi tut einen Schritt zurück.

»Fünf Pfennig oder so, lenk nicht ab!« Die nächste Spritzfontäne erwischt meine Hand, ich wechsele schleunigst zum Wasserhahn über.

»Macht dreißig Pfennig Steigerung in vierzig Jahren, in hundert wären’s zweikommafünfmal soviel.« Maxi leitet aus meinen »hundert Jahren« die Anpassung der Obergrenze für Geschenke an ein aktuelles Preisniveau ab.

»So kann man das nicht sagen. Alles mögliche ist sogar billiger geworden.« Nylons etwa haben mal ein Vermögen gekostet, weiß ich noch genau, meine Mutter hat sogar die Laufmaschen aufnehmen lassen.

»Dann sag mir mal irgendwas Gutes, was billiger geworden ist.«

»Nylonstrümpfe«, entfährt es mir.

»Toll! Würde Freder sich bestimmt wahnsinnig drüber freuen.« Maxi präsentiert mir eins seiner Fußballbeine, korrekt mit Stulpen. Er und sein Kumpel Frederik kicken bei Regen und bei Sonnenschein und sogar noch in unserem Wohnzimmer.

»Buch«, verbessere ich mich hastig, überlege: »Spiel, CD, na eben was in der Richtung.«

Ein paar Minuten später ist mein Handrücken noch immer rot gesprenkelt, der Fünf-auf-einen-Schlag-Pfannkuchen ist im Müll gelandet, die exemplarische Auswahl von »Kleinigkeiten« aus dem »Zutritt verboten«-Zimmer ist gesichtet, und ich habe resigniert: Mir ist nie richtig bewußt geworden, daß der Preis für ein Kindergeschenk genauso gestiegen ist wie der für Brötchen. Wohl weil ich die Neigung habe, mich bei »Feldhaus« angesichts von Puppenwagen-Ritterburgen-Legolandschaften in Klein Lea zurückzuverwandeln und mich von meiner Begeisterung über schnöde Preisschildchen hinwegtragen zu lassen.

Immerhin hat Maxi für seinen besten Freund ein Buch besorgt, sogar ein lehrreiches über vier Millionen Jahre Menschheitsgeschichte, das versöhnt mich. »Aber nächstes Mal sprichst du das vorher mit mir ab, okay?«

»Ja-ja.«

»Hier riecht’s aber komisch.« Das sind meine beiden Jüngsten, und bevor Maxi ihnen die Story meines verunglückten Pfannkuchens petzen kann, schlage ich unseren Italiener an der Ecke vor: »Wie wär’s mit Nicco?«

»Ja-ja-ja-ja!« Vierfach, glücklich.

Zum Dessert – wenn schon, denn schon, und sie lieben Spaghettieis – eröffne ich ihnen, daß meine Geschichte und mein Foto in der Zeitung erschienen sind.

»Spitze!« sagt Fabian und löffelt drauflos. Seine Brüder nicken zustimmend.

»Morgen geht’s weiter«, sage ich.

»Zweimal hintereinander zu Nicco?« Ungläubig, strahlend: »Du bist die Größte, Muttchen!«

»In der Zeitung geht’s weiter«, stelle ich klar.

»Ach sooo.« Löffelklappern, Mundabwischen, dann springen sie auf und vergnügen sich auf dem Zierrasen draußen.

Die Ringanlage soll meine Stadt schmücken, auf »Zutritt verboten«-Schilder wurde wohl nur aus Gründen der Optik verzichtet. »Tor!« brüllt einer, und obwohl ich den Ball nicht erkennen kann, ist mir klar, daß meine fußballbegeisterte Truppe zumindest einen Tennisball dabeihat, für den das »Abseits« die Blumenbeete sind.

Ich sollte sie ermahnen, aber ich tu’s nicht. Statt dessen ziehe ich die Zeitung aus meiner Handtasche und vertiefe mich in das briefmarkengroße Foto: Meine Augen kommen gut rüber, finde ich, irgendwie feurig.

»Wollt ihr frische Brötchen? Oder lieber Hörnchen?« Zehn vor sieben, Portemonnaie in der einen und Schlüssel in der anderen Hand, blicke ich auf Räkeln, Gähnen und Suchen: »Wer hat mein Unterhemd geklaut?«

»Da ist es doch, du Doofi.« Ich zeige auf Maxis Po. Er sitzt drauf.

»Brötchen?« Maxi tastet über den Teppichflor. »Hörnchen?« Er beäugt sein Hemd, wahrscheinlich weil er wieder nicht weiß, wo vorne und wo hinten ist.

Die hilfreichen »Poupette«-Etiketten trennt er nämlich heraus, seitdem sein zur Hälfte französischer Freund ihm den Herstellernamen übersetzt hat: Mein Sohn ist schließlich kein »Püppchen«, und ich habe es lediglich dem »echt ätzenden« Muster der anderen Knabengarnituren zu verdanken, daß Maxi die kastrierten »Poupettes« anzieht.

»Wie du willst«, antworte ich nun.

»F-a-b-i-a-n!« Maxi brüllt trotz Ringelmako über dem Kopf laut genug, um seinen großen Bruder aus dem Bad zu locken. Es folgt die Mitteilung, daß mit mir wirklich ernsthaft etwas nicht in Ordnung sei: »Gestern leckeres Mittagessen bei Nicco, und heute will sie für uns zum Bäcker gehen, kapierst du das?«

Mein Ältester findet, man sollte das einfach von der praktischen Seite nehmen, und ordert »Croissants«.

Alle wollen Croissants.

Einmal ist keinmal, entscheide ich und renne treppab, zerre an der Türklinke – abgesperrt, was sind wir doch für ’n ordentliches Haus! – und stoppe vor dem roten Kasten. Ich sehe mich um, niemand in Sicht, trotzdem warte ich bis zur Einfahrt am Postamt, um zu blättern.

Laut Hinweis auf der Vorderseite bin ich unter »Histörchen« abgedruckt, ziemlich weit hinten, dafür erneut mit Bild, diesmal mit einem aus der Kochszenerie, fast doppelt so groß wie gestern. Ich sehe mich einhändig in dem Kochtopf rühren, von dem nur der Fotograf, meine Söhne und ich wissen, daß er leer war. Die Einhändigkeit erklärt sich aus dem bunten Bleistift, den ich über ein leeres Blatt zu führen vorgebe. »Eben so, wie unsere Leser sich eine Schriftstellerin zwischen Erbsensuppe und Windelwechseln vorstellen.«

Lucas hat natürlich umgehend gegen die Windeln protestiert. Ich war ebenfalls unzufrieden, weil ich schließlich noch anderes als ewig nur Hülsenfrüchte koche, hauptamtlich Lehrerin bin und außerdem höchst professionell mit mouse-man an meinem Computer arbeite. »Zu nüchtern!« hieß es auf meinen letzten Einwand hin, und ich habe klein beigegeben, weil ich einem positiven Leserecho nicht selbst im Weg stehen wollte.

Man erkennt wirklich nicht, daß der Topf leer ist. Es ist erstaunlich, wie überzeugend ich den sinnenden Blick hinbekommen habe, der von mir erbeten worden war. Nicht übel! Und dann der Text, mein Text! Voll Rührung lese ich über unsere Vorbereitungen zu den Schul- und Viertelszügen vor zweieinhalb Jahren, als mein Jüngster noch so winzig und so niedlich war.

Mein Gott, wie die Zeit rast. Eulenspiegel war er, bei jedem Schritt hat’s gebimmelt, besser gesagt bei jedem Hopser, denn von normalem Gehen hielt er nicht viel. Vom Sprechen in vollständigen Sätzen auch nicht. »Mami, müde!« Schwups, schon hatte ich ihn wieder auf dem Arm, kuschelig und schwer, immer schwerer, und so mancher edle Ritter ist mir zu Hilfe geeilt und hat meinen Lockenkopf auf seinen Schultern reiten lassen. Nicht nur beim Karnevalszug, doch da hat’s besonders gewirkt. Geburtsstunde der Kamellenpapas. Am Aschermittwoch ist alles vorbei. Ich seufze tief.

»Ist aber doch wirklich ’ne hübsche Geschichte.« Unser Briefträger schließt soeben die Ledertasche an seinem Fahrrad, was darauf hindeutet, daß er schon längere Zeit dasein muß. »Und der Richtige kommt bestimmt auch noch, mit oder ohne Kamellchen. Schönen Tach denn auch!« Spricht’s, schwingt sich auf sein Rad, fährt los.

Die Bilder von potentiellen »Richtigen« begleiten mich bis in die Bäckerei, wo mein Ruhm ebenfalls schon die Runde gemacht hat, weshalb es bereits halb acht ist, als ich endlich heimkomme.

»Wußte ja, daß irgendwas faul an der Sache is’.« Maxi sieht von seiner Schüssel mit Frühstücksflocken hoch.

Ich entschuldige mich, streiche Croissants, ekle mich vor dem blättrigen Gebrösel und weiß: Als pressegeile Rabenmutter habe ich kein Dankeschön verdient.

Zum Glück habe ich die Körnerbrötchen für mich selbst nicht vergessen, die sind tausendmal besser als tätschiges Oberländer oder Croissants, die meine kaufaulen Söhne bevorzugen. Ab sofort stehe ich jeden Morgen eine halbe Stunde früher auf, dann frühstücken wir auch unter der Woche alle zusammen. Vollwertig und gemütlich. Leider stehe ich aber nicht jeden Tag in der Zeitung. Ich beschließe, auch daran zu arbeiten. Löwin, gib Gas!

Es ist unglaublich, wie viele Menschen in meinem Bekanntenkreis eine Zeitung lesen, die sie eigentlich »grundsätzlich nicht lesen« und sowieso anders nennen. »Dieses Blättchen«, sagen manche, einige nennen es »Revolvergazette« oder »Sexpostille«, die meisten erwerben es auch nicht redlich per Münzeinwurf, sondern stauben es bei Hausmeistern und Reinigungsfrauen ab oder finden zufällig ein Exemplar in öffentlichen Verkehrsmitteln. Sogar ein Kollege, von dem ich hundertprozentig weiß, daß er sogar zum Bäcker einen Block weiter mit dem PKW rollt, beruft sich auf die Straßenbahn als Quelle: »Da steige ich doch nichtsahnend ein, schaue einem über die Schulter, und was entdecke ich? Unsere Frau Wilde unter Kölner Histörchen.«

Hätt’ste mich mal als Tiger-Lilly auf dem rot gefütterten Kunstfell erleben sollen, denke ich.

Nicht nur einmal an diesem Tag denke ich das, und gegen Abend hin tut es mir fast leid, all jene, die so hartnäckig auf meiner volkstümlichen Präsentation nebst Kochgeschirr herumreiten, nicht mit meinem liegenden Akt konfrontieren zu können. Käme trotz Sauerkrautfrisur bestimmt gut an, schließlich sind mein Hüftschwung und meine langen Beine nicht von schlechten Eltern, und im Liegen macht sich das besonders gut.

Die Bilder von meinem Modell-Ich lassen mich lange nicht einschlafen, alles in mir prickelt und vibriert, zuletzt gesellt sich die Wut dazu, von diesem duseligen Fotografen als Muttchen verbraten worden zu sein, nachdem er sich zuvor an meinem Kuchen schadlos gehalten hat. Oder ist Herr Lüge schuld an der falschen Auswahl? Zuzutrauen wäre es ihm. Pralinendrehermentalität! Ich drehe mich in meinem Bett von rechts nach links, decke mich auf und wieder zu und verpasse morgens früh prompt das Klingeln meines Weckers.

»Toll!« Maxi rüttelt mich wach und dröhnt mich mit der Botschaft zu, daß es bislang ja immerhin noch »liebloses Labbelsbrot und ’ne Vitamintablette« gab. Nach Rücksprache mit seinen Brüdern pfiffe er darauf, eine Mutter mit »pointensicherem Humor« zu haben, wenn sie deshalb alle verhungern müßten.

»Quatsch mit Soße!« Ich stolpere aus dem Bett und schnurstracks in die Küche. Mein Elfjähriger setzt mir nach und will wissen, ob er die »Soße« auch ohne den Quatsch haben könne. Gerade will ich mit einem »Haha, wie lustig!« kontern, als mein Ältester mir das Wellschliffmesser aus der Hand nimmt: »Is’ ja widerlich.«

»Wie?« Ich sehe auf den Brotlaib, der langweilig wie immer aussieht und nicht die winzigste Spur Schimmel aufweist.

Fabian meint aber nicht das Oberländer, sondern mich. Seiner Meinung nach ist es schlicht ein Schock für seinen Frühstückshunger, mich ungekämmt, ungewaschen und im Nightie in der Küche zu sehen: »Womöglich warst du gerade auf dem Klo.«

»War ich nicht.« Weil der Protest meines Jungmannes jedoch umgehend Wellen schlägt und keiner von den vieren willens ist, mit »so was Unhygienischem« zusammen zu essen, rücke ich notgedrungen die Frühstücksflocken heraus, die es schon gestern gab und die laut Übereinkunft nur einmal die Woche zulässig sind.

Löffelklappern und Kicherlaute folgen mir ins Bad. Ich werde das Gefühl nicht los, schon wieder ausgetrickst worden zu sein. Viermal unterbreche ich meine Verwandlung in ein hygienisch unbedenkliches Mutterwesen, um verlegte Anoraks, Federmäppchen und Minisalamis für die Pause anzureichen. Trotzdem klingelt es noch zweimal: Jonas hat wieder mal seinen Ranzen vergessen, und Lucas ist den Tränen nahe, weil ich vergessen habe, ihn zu küssen: »Das is’ ’n ganz schlechtes Omen.«

Zum Ausgleich küsse ich ihn mehrmals hintereinander auf seine Pausbacken und stecke ihm rasch eine »Yogurette« zu. Hinter der Schokolade verbirgt sich bester Sauerrahm mit Erdbeeren, wenigstens behauptet das die Werbung. Lausbübisches Strahlen belohnt mich, durch die Gitterstäbe des Geländers sehe ich ihn nach unten poltern und sich gleichzeitig das Gesicht abwischen. Meine Küsse ...

Weil es mir widerstrebt, gutes Essen wegzuwerfen, esse ich mich durch drei von vier vorgeschmierten Scheiben Graubrot und verlasse die Wohnung mit dem Gefühl, glattweg das Zeug zum Hängebauchschwein zu haben. Es rumpelt und pumpelt und quillt. Alles, was mich aufrecht hält, ist die Aussicht auf mich in der Zeitung.

Münze rein, Blatt raus, Sprint zur Bahn, jetzt! Auf der Titelseite werden wie gestern »Histörchen« angekündigt, bloß der Name dahinter stimmt nicht, das Metier auch nicht. Sicherheitshalber schlage ich trotzdem die vorletzte Seite auf. Es bleibt dabei: Eine Mitbürgerin stiehlt mir mit einem Ziegenbock die Schau. Nicht zu fassen, da reitet diese Person auf einem Bock, den sie einem Obdachlosen für fünf Mark abgekauft haben will, auf der Polizeiwache in Niehl vor und kocht mit der Story von ihrem Ehemann, der sie nicht mit dem Viech teilen will, einen Schupo weich. Die Polizei, dein Freund und Helfer. Garantiert eine Zeitungsente. Und wo bleibe ich?

Die Bahn hält. Weil ich die Haltestange losgelassen habe, schleudert es mich vor, bis der Fahrkartenautomat rechts und ein rudernder Arm links mich bremsen.

»Können Se nich jefälligst aufpassen?« schnaubt es jenseits des signalroten Jackenärmels.

Glaubt die Person, ich hätte freiwillig mit ihrem dem topmodischen Rot entströmenden Körpermief Kontakt aufgenommen? »Sorry!« murmele ich immerhin und dränge weiter Richtung Ausstieg. Fehlt nur noch, daß ich eine Station zu weit fahre und zu spät zur ersten Stunde komme.

Ich habe Glück. Jedenfalls schaffe ich den Absprung in letzter Sekunde, handle mir allerdings Bimmeln und Stirnlippen des Fahrers sowie die konzentrierte Aufmerksamkeit aller Insassen auf der mir zugewandten Fensterseite ein. Megatoll!

»Unsere kleine Wildkatze!« ertönt es hinter mir, kaum halte ich notgedrungen an der Ampel an. »Tja-tja.«

Ich teile meinem Kollegen mit, daß ich den Streifgang einer Wildkatze allemal vergnüglicher fände als die bevorstehende Doppelstunde in seiner Klasse.

»Tja-tja.« Sonst nichts.

Grün. Ich marschiere los, er nebenher, daran kann ich ihn schlecht hindern, ebensowenig wie am Reden. Der Kuckuck mag wissen, was seine beharrlichen Anspielungen auf »gewisse Streifzüge in Kätzinnenmanier« bedeuten sollen.

Ausgerechnet mein Schulleiter spielt den »Kuckuck«. Nach der wie üblich gräßlichen Doppelstunde Deutsch in einer sechsten Klasse, die auf Frontalunterricht nach Schulbuch gedrillt ist, will ich gerade aufs Klo entwischen, als Herr Dr. Obermeier mich abfängt.

»Wir hätten da wohl ein paar Takte miteinander zu reden, werte Frau – eh – Kollegin.«

Mir fällt brennendheiß ein, daß ich den Stoffverteilungsplan für das neue Schulhalbjahr noch immer nicht abgeheftet habe: »Spätestens morgen, mir fehlt nur noch der Januar, okay?«

»Im Moment brennt mir etwas anderes unter den Nägeln.« Mein Vis-à-vis hebt eine sorgsam manikürte Hand in Augenhöhe, und mich durchschießt der Gedanke, daß sich unter diesen ebenso kurz wie glatt gefeilten Nägeln nicht mal ein winziger Schwelbrand wohl fühlen würde. Ein Erbsenzähler, wie er im Buch steht. Mit zusammengepreßten Beinen – ich muß mal, ganz dringend sogar – betreibe ich Gewissensforschung, hake die Kaffee-Sekt-Kasse und die Pausenaufsicht ab und lande bei den Lehrerschränken. Anscheinend ist er mir draufgekommen, daß ich zwei davon blockiert halte.

»Okay, ich miste in der nächsten Freistunde aus! Aber das meiste ist sowieso noch von meiner Referendarin.«

»Das, worum es hier und heute geht, hat garantiert nichts mit einer netten jungen Kollegin in spe zu tun.« Er drückt die Tür zu seinem Chefzimmer auf. »Sie sollten sich wirklich überlegen, ob Sie derlei coram publico besprechen wollen.«

»Ich müßte mal eben ...« Ich zeige hinter mich, wo ein paar Türen weiter die Lehrertoiletten sind.

Anscheinend mißversteht Dr. Obermeier mich schon wieder, was kaum für sein pädagogisches Einfühlungsvermögen spricht. »Das hätten Sie sich vorher überlegen sollen.« Energisch dirigiert er mich via Ellenbogen vorwärts, und wenn ich kein Spektakel für die lieben Kollegen bieten will, bleibt mir nichts weiter übrig, als ihm nachzugeben.

»Tja«, er rückt seinen Stuhl hinter dem Schreibtisch gerade und zeigt eher zögernd auf den Besucherstuhl, auf dem ich nur deshalb noch nicht Platz genommen habe, weil das die Sache über Gebühr hinauszögern könnte.

Ich schüttele den Kopf. »Ich müßte wirklich gleich, eigentlich sogar sofort ...«

Ich breche den Satz ab. Das ist nicht mein Tag, wahrlich nicht, und warum? Bloß wegen dieses Weibes, das sich mit einem Ziegenbock aufspielt. Wobei ich von Herrn Lüge nach unserem Endlosplausch über die Verfertigung von Rahmkaramellen auch etwas mehr Solidarität erwartet hätte.

Vor mir räuspert sich Dr. Obermeier energisch. Dann hebt sich die Stimme unseres »Primus inter pares« – das ist sein Selbstbild, er gibt sich mindestens einmal wöchentlich und bei jeder Konferenz sowieso als »Gleicher unter Gleichen« aus –und teilt mir mit, daß er zwar sehr wohl verstehen könne, wie peinlich es mir sei, quasi nackt dazustehen, doch das hätte ich mir eben vor meiner Liaison mit der Skandalpresse überlegen sollen.

»Liest heute jeder«, widerspreche ich. Wäre mein Harndrang nicht so heftig, ich würde ihm glatt aufzählen, wer von all den »Gleichen« in unserem Kollegium dazugehört. Gestern war ich Pausengespräch, und falls er nicht auf seinen Ohren gesessen hat, dürfte ihm mein Ruhm als schriftstellernde Vierfachmutter kaum entgangen sein. Für mich ziehe ich die Schlußfolgerung, daß seine Frau ihm Saures gegeben hat. Sie ist Professorin für frauenorientiertes Design und bekannt dafür, daß sie ihn von der Socke bis zum Haarschnitt zu stylen pflegt.

Seine Socken kann ich im Moment nicht erkennen, weil er hinter seinem Schreibtisch thront. Allerdings kommen sowieso nur gedämpfte Farben in Betracht, ebenso wie zwischen Ohrläppchen und Haaren stets ein akkurater Zentimeter Platz ist. Sie braucht ihm die Erzählung nur wahrheitsgetreu wiedergegeben zu haben. Das würde für ihn reichen.

Ich teile meinem Vorgesetzten mit, daß ich ernsthaft der Meinung bin, privat tun und lassen zu können, was ich will: »Ich habe die Kamellenpapas auch garantiert nicht während meines Unterrichts zu Papier gebracht und hundertprozentig keinen Kollegen abgebildet.« Ich verkneife mir den Zusatz, daß derzeit auch niemand dabei wäre, dem ich meinen niedlichen Lockenschopf auf die Schultern setzte. Leider.

Herr Dr. Obermeier erhebt sich, stützt beide Hände auf die Platte zwischen uns, die Daumen spreizen sich nicht sonderlich ästhetisch nach außen, dann legt er los. Angeblich zwinge ich ihn mit meiner albernen Art dazu, unverblümt auszusprechen, was davon zu halten ist, daß eine Lehrerin sich in einem Blatt mit Millionenauflage unter »Erotisches« outet: »Damit können Sie sich eine Dienstaufsichtsbeschwerde einhandeln, Kürzung der Dienstbezüge, E-n-t-l-a-s-s-u-n-g.«

Es läutet. Ende der großen Pause. Fünf Minuten bis zum Beginn meiner nächsten Unterrichtsstunde. Fünf Minuten, um mir noch einmal das »Skandalblatt« vorzunehmen, das ich wütend in meine Tasche zurückgestopft habe. Fast vergesse ich mein dringliches Bedürfnis, als ich mich tatsächlich unter »Erotik« angekündigt finde. Viel weiter vorne und erneut mit einem Foto, das gemessen an dem briefmarkengroßen Porträt von vorgestern geradezu riesig ist. Ich als Tiger-Lilly, ausgestreckt auf meinem Kunstfell, mit malerisch drapierten Beinen und wollüstigem Hüftschwung und einer Headline, die mich als auf »süße Jungs spezialisierte Lehrerin« ankündigt. Dann folgt der Abdruck des zweiten Teils meiner Geschichte. Das Mittelstück haben sie gekappt, weshalb sich rückblickend selbst der erste Teil wie das skrupellose Jagdmanöver einer Wildkatze liest, die nicht davor zurückschreckt, ihre eigenen Kinder als Köder zu benutzen.

Ich schäume. Diesen Herrn Lüge verklage ich. Hundertprozentig. Dann fällt mir der Vertrag wieder ein, den ich unterschrieben habe.

Als ich an Herrn Dr. Obermeier vorbeihaste, hebt er bloß sein Handgelenk. Die Uhrmarke kenne ich, klotzig und teuer, davor ist selbst mein Geschiedener zurückgeschreckt. Ich reiße die nächstbeste Klassenzimmertür auf, lande im erstaunten Lächeln einer Kollegin – »Sie haben sich wohl geirrt!« – und irre weiter.

Lautes Grölen geleitet mich zu den Elf- bis Zwölfjährigen, die auf ihre Unterweisung in der Kunst des Berichtschreibens warten. Nüchtern, streng zur Sache, leider verwechsle ich die Arbeitsblätter. Meine Aufforderung, den ausgeteilten Text zu analysieren und die »nackten facts« wie für ein Polizeiprotokoll zusammenzufassen, entfesselt einen neuen Tumult.

»Dürfte ich bitte einmal erfahren, was hier los ist?« Herr Dr. Obermeier, seines Zeichens »Primus inter pares«.

Meine Schüler verpetzen nur zu bereitwillig, was lediglich auf einem Irrtum beruht.

»Sorry!« Ich bitte um Rückgabe der Arbeitsblätter, aus denen einzelne Schüler bereits Goethes Walpurgisnacht rezitieren:

»Du bist es, mein Liebchen ...«

»Derbe Frauen, gefällig wild ...«

»Die es nun mit heißen Küssen, treulich uns verdanken müssen ...«

»Stop!« rufe ich dazwischen. »Alles kehrt marsch, war bloß ein Irrtum!«

Mein Boß teilt mir per Augensprache mit, daß gewisse Irrtümer schlicht unentschuldbar sind. Seine Empörung ist gewaltig, sein Gesicht legt sich in Falten, zum erstenmal beobachte ich, wie Haarspitzen sein Ohr berühren. Das Ohr wackelt. Es sieht urkomisch aus, meine Schiller prusten los. Leider scheint der Ohrenwackler nicht mitbekommen zu haben, daß für den dritten Tumult ausschließlich er selbst verantwortlich ist.

Nach der sechsten Stunde bin ich fix und alle. Es ist zwanzig nach eins.

Um zwei Uhr stehe ich am Herd, brate Reibekuchen aus Instantflocken, lasse mich auf eine fruchtlose Diskussion über das selbstgemachte Kompott und die selbstgemachten Kartoffelpuffer meiner Schwiegermutter ein, führe meine Extrembelastung als alleinerziehende Mutter-Lehrerin-Hausfrau ins Feld und muß mir anhören, daß ich mir schließlich den größten Streß selbst zufüge.

»Bei uns in der Schule wollte der Direx wissen, ob das unter Erotik etwa meine Mutter ist.«

»Was für Maße du hast«, ergänzt Maxi.

»Will das auch der Direktor wissen?« frage ich perplex und denke an den eher schüchternen Mann, der vorzugsweise an seinem Brillengestell knabbert. Neulich hatte ich einmal einen etwas kürzeren Rock statt der üblichen Jeans an und nachgerade Angst, er könnte an seinem Brillenbügel ersticken.

»Nee«, posaunt Maxi, »bloß so ’n paar Jungs aus der Oberstufe, und ob ich nich’ noch ’n paar von deinen anderen Geschichten losmachen kann. Ich hab’ denen gesagt, daß du unglaublich kreativ bist.« Maxi schwenkt die Hüften.

Ich drohe alles Schreckliche an, was mir einfällt, als Jonas mich sinnend ansieht und verkündet, daß ihm seine Lehrerin unter Berufung auf die heutige Skandalpresse bloß über den Kopf gestreichelt hat.

»Heute ist Elternsprechtag«, ergänzt Lucas.

Ich überlege, ob ich krank bin. Genaugenommen bin ich’s.

»Frau Wirsing hat gemeint, du kämst wohl sowieso nicht«, sagt Jonas in mein Nachdenken hinein. »Aber schließlich hätt’ ich ja auch noch einen Papi, sagt sie.«

»Ich auch«, trompetet mein Jüngster.

Meine Phantasie gaukelt mir prompt das Bild der beiden Erzeuger vor, denen ich meine Frohschar verdanke. Ich sehe sie schon gemeinsam auf winzigen Stühlchen schaukeln und sich über meine Qualitäten austauschen: Am Herd und anderswo, nicht auszumalen ...

Ich bestehe umgehend auf guten Essensmanieren und teile mit, daß ich bislang noch an jedem Elternmeeting teilgenommen hätte und selbstverständlich auch diesmal hingehen würde: »Notfalls schlepp’ ich mich auf dem Zahnfleisch hin.«

»Immer noch besser als im Leopardenfell«, konstatiert mein Ältester und steht auf. »Das Zeug schmeckt übrigens zum Kotzen.«

Dreifaches Nicken.

Zum Beweis dafür, daß Instantflocken heutzutage genauso schmackhaft sind wie altmodisch handgeriebene Kartoffelschnipsel, stopfe ich sie in mich hinein.

»Is’ dir noch immer nich’ übel?« erkundigt sich mein Jüngster interessiert.

»Warum sollte mir ...?« Weiter komme ich nicht. Das Bad erreiche ich in allerletzter Sekunde. Immerhin bin ich nun auch das Oberländer von heute früh wieder quitt. Dafür ist mir sterbenselend.