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Wieso packte der Nobelpreisträger und bekennende Tierfreund Erwin Schrödinger eigentlich eine Katze in die imaginäre Kiste? Warum sollte man insbesondere auf den Philippinen bestimmte Lieder nicht zum Besten geben? Weshalb kann es gefährlich sein, jedem gehypten Trend hinterherzulaufen? Drei Fragen, die dieser Roman durchaus beantworten kann!
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Seitenzahl: 171
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Wieso packte der Nobelpreisträger und bekennende Tierfreund Erwin Schrödinger eigentlich eine Katze in die imaginäre Kiste?
Warum sollte man insbesondere auf den Philippinen bestimmte Lieder nicht zum Besten geben?
Weshalb kann es gefährlich sein, jedem gehypten Trend hinterherzulaufen?
Drei Fragen, die dieser Roman durchaus beantworten kann!
Oliver J. Petry wurde 1965 in Saarbrücken geboren und ist seiner saarländischen Heimat bis heute treu geblieben. Der Kfz-Prüfingenieur und Sachverständige betreibt im Nordsaarland eine kleine Prüfstelle. Seine spannenden Kurzgeschichten und Romane sind von seiner Liebe zur Technik, Musik, Natur, Tieren und Kunst geprägt.
Kapitel 1
Schrödingers Katze
Kapitel 2
Sinatra (My way Killings)
Kapitel 3
Die dubiose Schokolade
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Story:
Leseprobe: »Der andere Judas- Catalunya Hardcore«
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Leseprobe: »KARMA- Rückmeldung vom Universum«
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Buchbeschreibung:
Leseprobe: »Irish Disaster«
»It's raining cats and dogs!«, dachte Erwin seufzend, während er einen Brief zu Ende schrieb. Schwerer englischer Regen prasselte vehement gegen die Fensterscheibe. Oh ja, gerade schüttete es draußen wie aus Kübeln. Doch drinnen war es mollig warm. Herr Schrödinger saß gut gelaunt an seinem Schreibtisch. Beinahe bettfertig trug er seinen karierten Pyjama und seine geliebten grauen Filzpantoffeln. Es war schon recht spät, aber er wollte den soeben verfassten Brief an Albert noch unterschreiben, in einen Umschlag stecken und abschließend frankieren. Das tat der Mann auch, nachdem er seine runde Nickelbrille zurechtgerückt hatte. Doch bevor er den Federhalter ablegen konnte, war aus dem Flur, der sich unmittelbar vor seinem hell erleuchteten Arbeitszimmer befand, ein lang gezogenes, ja beinahe klägliches Heulen zu hören. Der Mann stutzte kurz, versuchte allerdings, diese Störung weitestgehend zu ignorieren. Die Geräuschquelle kannte Erwin nur zu gut und er verstand auch recht schnell, an wen oder was sich das wiederkehrende Jaulen richten sollte. Langsam legte er den Füllfederhalter äußerst akkurat, beinahe parallel, ja nahezu pedantisch zur Schreibtischkante ab. Genauso bedächtig wie kontrolliert stand er gleich danach auf, um augenblicklich genervt loszubrüllen. »Verdammt Burschie! Was machst du denn für einen ungeheuren Krach da draußen? Ich bin doch hier am Arbeiten!« Natürlich war Erwin durchaus bewusst, dass sein zweijähriger Collie kein Wort von dem verstand, was da gerade lautstark über seine Lippen kam, aber der Wissenschaftler musste seinem Unmut irgendwie Luft machen. »Annie, kannst du den Hund nicht auch mal rauslassen?«, schrie er hinterher, wobei er sich im gleichen Moment schon darüber im Klaren war, dass auch diese vorwurfsvolle Frage ungehört bleiben würde. Immerhin war es schon spät und seine Frau ging früh zu Bett. Da sie es sich zudem angewöhnt hatte, unmittelbar vor dem Schlafengehen ein Mittelchen zu nehmen, das sie komplett ausknockte, war an Hilfe ihrerseits ohnehin nicht zu denken.
Herr Schrödinger hasste es, wenn er während seiner Arbeitsphasen gestört wurde, vor allem durch etwas in seinen Augen völlig Belangloses wie das jämmerliche Jaulen seines Hundes. Trotzdem versuchte er gedanklich langsam herunterzuzählen. Somit gelang es ihm, seinen Zorn nicht vollends auf seinen Vierbeiner zu projizieren. Schließlich konnte der Hund beileibe nichts dafür. Wenn er nach draußen musste und sich dementsprechend Gehör verschaffte, wäre das doch allemal besser, als seine Notdurft in diesem feinen britischen Cottage zu verrichten.
Sobald Erwin den düsteren Flur betrat, rannte ihn sein Collie auch schon beinahe um. »Hey Burschie, na … na … Langsam, bleib ruhig, … schön brav… Lass das … Jetzt aber ruhig, Burschiiiie!« Doch der Collie war so froh, dass sein Herrchen letzten Endes doch noch auf sein Hilfegesuch reagiert hatte, dass er sich gar nicht mehr beruhigen konnte und wild an dem Menschen hochsprang, um Sekunden später zur Haustür zu rennen. Eigentlich machte der Hund es seinem Besitzer leicht, denn er zeigte unmissverständlich an, was er wollte. Abwechselnd rannte Burschie immer wieder zur Tür, um im nächsten Moment wiederum winselnd an Erwin hochzuspringen.
Warum konnte nicht alles so simpel sein? Erwin dachte an seine Studenten, die oft doch nur vortäuschten, irgendetwas von dem zu verstehen, was er während seiner zahlreichen Vorlesungen so von sich gab und ausschweifend zu erklären versuchte. Vor beinahe zwei Jahren hatte er zusammen mit einem weiteren Wissenschaftler den überaus begehrten Nobelpreis bekommen. Natürlich völlig zu Recht, sinnierte er, während er die Haustür öffnete. »Los Burschie, jetzt aber. Raus mit dir!« Erwin versuchte seinen Hund keinesfalls anzuschreien, als er ihm Befehle gab. Nun stand die Tür sperrangelweit offen, aber der Collie schaute nur kurz hinaus in die Dunkelheit und gähnte, während er sich nervös am Ohr kratzte. »Jetzt lauf schon; ab in die Wiese. Mach endlich dein Geschäft!« Erwin Schrödinger stand nun beinahe ratlos neben seinem Hund in der offenen Tür und kratzte sich ebenfalls am rechten Ohr. Wobei diese Geste höchstwahrscheinlich keine Übersprungshandlung, sondern eher Verwunderung darstellte. Momentan hatte der englische Regen eine kurze Pause eingelegt. Nachdem Herr Schrödinger feststellen musste, dass sein Vierbeiner keine Lust hatte, sich seine Pfoten auch nur ansatzweise zu befeuchten, nahm Burschies Herrchen die dunkelbraune Lederleine von der Kommode, um sie an dem überbreiten Hundehalsband zu befestigen. Der Collie reagierte nicht auf das Handeln seines Herrchens. Vielmehr starrte er verunsichert ins Dunkel der Nacht. Dann begann der Hund leise zu knurren. Irritiert versuchte Erwin sich das Verhalten seines Vierbeiners zu erklären, dachte aber gleichzeitig schon daran, wie wohl Albert auf seinen Brief reagieren würde. Vielleicht hätte er dieser Korrespondenz doch noch das eine oder andere beifügen können.
Beispielsweise die Redewendung: „Da haben Sie den Nagel wieder mal auf den Kopf getroffen“, denn es war kein Geheimnis, dass sich die beiden zumindest auf akademischer Ebene bestens verstanden und überaus schätzten. Schrödinger lächelte, denn er liebte diese weitestgehend intellektuellen Schriftwechsel mit den wissenschaftlichen Granden seiner Zeit ungemein. Nur dieses Lächeln verschwand, als er feststellen musste, was Burschie in diesem Moment veranstaltete. Das warme, wohlige Gefühl, das gerade seinen Gedanken entsprungen war, wurde durch ein ähnliches Wärmegefühl definitiv manifestiert. Der Collie hatte sich treudoof unmittelbar neben ihn gestellt, ein Bein gehoben und seinem Herrchen ans selbige gepinkelt. »Verdammt Burschie! Damischer … Deppada … Burschie!« Wenn Erwin Schrödinger richtig wütend wurde, schimpfte er irgendwann in seiner Muttersprache und die war nun einmal österreichisch. Aber das war dem apathisch wirkenden Collie ohnehin egal, denn Burschie verstand weder das eine noch das andere. Er war nur zusätzlichem Stress ausgesetzt und hechelte wie wild. Bedingt durch die Schwerkraft kannte der Hundeurin jedenfalls nur eine Richtung. Er lief an Erwins linkem Bein herunter, um sich gleich darauf im dichten Filz seiner häuslichen Fußbedeckung zu sammeln. Erwin zog erbost an der Leine und begann seinen Hund damit nach draußen zu ziehen, aber Burschie wehrte sich vehement. Winselnd versuchte der Collie dagegen zu halten. ImGegensatz zur stabilen Lederleine war Erwins Geduldsfaden kurz davor durchzureißen. Vor wem oder was da draußen hatte Burschie nur so eine Angst, dass er sich nicht auf der kleinen Wiese vor dem Haus erleichtern wollte. Wiederum stierte Erwin in die Dunkelheit. Zwischenzeitlich begann es erneut zu regnen. Aber davor hatte Burschie doch wenig Respekt. Im Gegensatz zu Österreich war das Wetter hier in England selten ausgesprochen gut. Trotz all der lautstarken Äußerungen seines tierischen Gefährten zog Schrödinger seinen Hütehund jetzt mit aller Gewalt nach draußen. Das Tier versuchte derweil sich seines Halsbandes zu entledigen, was ihm partout nicht gelingen wollte. Nun standen Hund und Herrchen auf der kleinen Veranda vor dem Haus und starrten zusammen in die Dunkelheit. Auch das Dächelchen darüber hielt den immer stärker werdenden Regen nicht wirklich ab. Erwin fasste nun einen Entschluss. Er musste sich seinem Hund gegenüber durchsetzen und ihn auf die Wiese ziehen. Das nasse Gras würde zumindest seinen linken uringetränkten Filzpantoffel nicht mehr ruinieren können, das war wohl das einzig Gute an der Sache.
Irgendwann gab Burschie auf und fügte sich mit eingeklemmter Rute seinem Schicksal. Nun standen beide auf der Grasfläche. Erwin begann beschwichtigend auf seinen Collie einzureden. Irgendwie erinnerte ihn diese Situation an die ersten Tage nach Burschies Einzug. Das war nun auch schon fast zwei Jahre her. Damals war der Hütehund gerade mal acht Wochen alt und immer wenn dieser Welpe sich nicht im Haus, sondern auf der Wiese löste, sprich seine Notdurft verrichtete, musste Herrchen oder Frauchen ihn anschließend ausgiebig loben. Mit gutem Zureden und darauffolgendem »Feiiiin gemacht, guter Junge« wurde diese Handlung dann auch untermauert. Das gehört nun einmal zur Welpen Erziehung, die im Allgemeinen mit der Stubenreinheit beginnen sollte. Heute Abend funktionierte das Erlernte allerdings ganz und gar nicht. Wobei Herr Schrödinger auch noch so beruhigend auf seinen Hund einreden konnte. Burschie verharrte stocksteif neben seinem Herrchen und anstatt, dass er sich endlich erleichterte, begann er wiederum leise zu winseln. Erwin wartete irgendwann nur wortlos neben seinem Haustier. Ihm wurde langsam bewusst, welch ein erbärmliches Bild sie jetzt gerade abgeben mussten. Im strömenden Regen standen ein gestresster Mann und sein überaus nervöser Hund mitten in der Nacht draußen herum und nichts passierte. »Zeit ist doch nur der Begriff von vorher und nachher«, flüsterte Erwin in der Erwartung, dass Burschie nun endlich loslegen würde. Doch dann ging alles furchtbar schnell. Aus einer Entfernung von ungefähr zwanzig Metern war ein wütendes Fauchen zu hören, das den herabfallenden Regen bei weitem übertönte. Erwin erschrak kurz, fing sich aber gleich wieder, ganz im Gegensatz zu Burschie. Der Hund reagierte mit panischer Flucht. Dabei riss er sich unvermittelt los. So schnell er nur konnte, rannte der Collie nun angsterfüllt zurück ins Haus, wobei er die nasse Lederleine hinter sich herzog. Erwin rief ihm etwas hinterher, verlor durch den abrupten Zug an der Leine das Gleichgewicht auf dem rutschigen Untergrund, um danach schmerzhaft auf seinen Allerwertesten zu fallen. Durch den beinahe filmreifen Sturz verlor er zu allem Unglück auch noch seine vollgesogenen Pantoffeln und fiel erneut, um sich letztendlich in einer Lehmpfütze wiederzufinden. Hätte irgendjemand diese Szenerie beobachtet, wären dessen Gefühlsregungen wohl äußerst vielschichtig gewesen. Zuerst gab Erwin wohl das traurige Männlein im strömenden Regen ab. Danach hätte sich der imaginäre Zuschauer wohl den Bauch vor Lachen halten müssen, um dann wiederum in einer mitleidigen Empfindung zu verharren. Gott sei Dank hatte er kein Publikum, außer vielleicht diese fauchende Kreatur, die sich in einem nahen Busch versteckte. Diese Gedanken schossen Herrn Schrödinger durch den Kopf, nachdem er sich wieder aufgerappelt hatte, um im nahen Haus Schutz zu suchen.
Allerdings gab es nun ein Problem, das Erwin erst erkannte, als er unmittelbar davorstand. Die Haustüre war zugefallen. Scheinbar hatte entweder eine Windböe oder sein geliebter Hund den offenen Hauseingang in einen fest verschlossenen verwandelt. Keine Zustandsänderung, die er in seiner Situation auch nur ansatzweise begrüßte. Nun stand er da, riss und drückte hektisch am Türgriff, worauf nichts passierte. Erwin fluchte laut. Zwischenzeitlich versuchte er seine regennasse Nickelbrille zu putzen, aber das war auch nur eine Handlung, die wenig erfolgversprechend erschien. Schließlich war sein Pyjama völlig durchnässt und außerdem über und über mit braunem Lehm verschmiert. Als er sich sein Gesicht abwischen wollte, rieb er sich den Dreck letztlich noch bis hinter die Ohren. Nur Sekunden später begann er mit seinen Fäusten wild gegen die Tür zu trommeln. Mit dem Resultat, dass nichts passierte, wenn man mal davon absah, dass drinnen irgendwo sein Hund leise winselte und er sich beim Schlagen gegen die massive Holzplatte sogar die rechte Hand verletzte. Eine Prellung des Handballens war die simple Folge für seinen durchaus nachvollziehbaren Ausraster. Mit schmerzverzerrter Miene rief Erwin immer wieder den Namen seiner Frau, aber er realisierte schnell, dass das Schreien wohl nichts brachte. Zum einen würde Annemarie sicherlich nicht erwachen und zum andern heulte und pfiff der Wind, der ihm nicht nur sprichwörtlich in den Rücken fiel, ausgesprochen laut. Das himmlische Kind übertönte mit Leichtigkeit Schrödingers Geschrei und Geklopfe. So extrem, dass selbst ein Mensch, der keine Schlaftabletten eingenommen hätte, höchstwahrscheinlich nicht aufgewacht wäre.
Nun überlegte Erwin angestrengt, was er denn anstellen könnte, um schnellstmöglich ins Trockene zu kommen. Irgendwie musste er schließlich aus dem kalten Wind und dem Regen, nur wie? Mittlerweile war es 23:00 Uhr. Wenn er bis zum nächsten Morgen hier warten müsste, könnte eine heftige Erkältung, Unterkühlung oder gar eine schwere Lungenentzündung die Folge sein. Mit diesen Gedanken im Kopf schaute er nach oben. Er sah zum Hausgiebel und erkannte etwas. Ein Fenster im ersten Stock schien einen Spalt weit offen zu stehen. Zumindest sah es so aus, da die von ihm eingeschaltete Beleuchtung im Erdgeschoss auch die Treppe erhellte, die zum darüberliegenden Stockwerk führte. Aber selbst wenn er das Fenster von außen öffnen könnte, wie um Gotteswillen sollte er dort hinaufkommen? Schließlich war Herr Schrödinger zwar recht schmal, allerdings war er mit seinen 48 Lenzen beileibe kein Athlet, obwohl seine Frau ihn in gewissen Situationen gerne mal als ihren „Tarzan“ betitelte, so konnte er sich dann doch nicht von Ast zu Ast oder von Liane zu Liane schwingen. Selbst mit einem Seil oder Strick wäre es nicht einfach gewesen, unbeschadet zum oberen Fenster zu gelangen. »Wenn ich jetzt doch bloß eine Leiter hätte«, sinnierte Erwin. Im gleichen Moment ärgerte er sich über sich selbst, denn seine Holzleiter hatte er ein paar Tage zuvor einem Nachbarn ausgeliehen. Der gute Mann hatte sie zum Äpfel pflücken, von ihm geborgt und bislang nicht zurückgegeben. Das wäre gewiss auch ein Wunder gewesen. Nein, Mister Williams trug absolut keine Schuld daran, die Leiter immer noch nicht zurückgebracht zu haben. Erwin wusste, dass die Holzkonstruktion an diesem riesigen Apfelbaum lehnte. Nur waren die letzten drei Sprossen in einem bemerkenswert schlechten Zustand. Mister Williams musste die Tragfähigkeit der Steighilfen irgendwie überschätzt haben, denn letztlich fiel er kopfüber zur Erde, um sich kurz darauf seinen bleichen britischen Hals zu brechen. Für Erwin war das tragische Ableben seines Nachbarn in vielerlei Hinsicht dramatisch, denn zum einen arbeitete Mister Williams auch an der berühmten Universität in Oxford. So hatten die beiden seit Monaten eine verlässliche Fahrgemeinschaft. Zum anderen konnte er die frischgebackene Witwe Williams derzeit nur schlecht nach der Rückgabe seiner Leiter fragen. Gewissermaßen aus Pietätsgründen wäre diese Forderung sowohl bei der Frau des kürzlich Verstorbenen als auch bei seiner Gattin alles andere als gut angekommen. Aber es half nichts, denn er brauchte seine Leiter, und zwar noch heute Nacht. Während er weiterhin vor seiner fest verschlossenen Haustür stand, traf er eine Entscheidung, indem er nacheinander mehrere Optionen ausschloss. Ohne diese Leiter und der Möglichkeit, damit zu dem zumindest teilweise geöffneten Fenster zu gelangen, müsste er entweder die Türe eintreten oder anderweitig Gewalt anwenden, was er definitiv nicht wollte. Um die Uhrzeit würde er auch weder im örtlichen Pub noch sonst wo in diesem kleinen Ort irgendwelche Helfer auftreiben können. Selbst der Dorfpolizist, ein gewisser Sergeant Brixley, wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht greifbar. Schließlich war heute Sonntag und am Wochenende traf sich der Ordnungshüter mit seinen Dartfreunden im Dorfgasthaus, um nach etlichen Pints wieder entspannt nachhause zu wackeln. Also verwarf Erwin auch diese Möglichkeit, nach einem Retter in der Not zu suchen. Eine weitere Option wäre Mister Hollister gewesen, nur nicht bei diesem Sauwetter. Der hagere Siebzigjährige galt als gute Seele des kleinen Friedhofs, der sich genau zwischen Herrn Schrödingers Häuschen und dem in etwa doppelt so mächtigen Anwesen seines gerade erst verstorbenen Nachbarn befand. Mister Hollister war Totengräber, Friedhofsgärtner und einfach für all das zuständig, was dort so anfiel. Übermorgen würde er auch Mister Williams in das eigens dafür geschaufelte Loch legen. Dabei war die designierte Grabstätte gar nicht mal so weit vom Ort seines Ablebens entfernt. Wenn sich Mister Williams am Tag des Jüngsten Gerichts aus seinem Grab erheben würde, träfe sein getrübter Blick vielleicht als Erstes auf den riesigen Apfelbaum. Mister Hollister hingegen war praktisch zu jeder Zeit an seiner Arbeitsstätte anzutreffen. Manche Leute im nahen Dorf spekulierten schon seit langem, ob sich der komische Kauz in irgendeiner Grabstätte oder der winzigen Leichenhalle häuslich niedergelassen hätte. Aber das waren natürlich nur wilde Mutmaßungen, die sich keinesfalls bestätigen ließen. Jedenfalls war Hollister heute Abend in der Dorfkneipe „Black Sheep“ gewesen, hatte exzessiv getrunken und war dort dermaßen versackt, dass der Wirt ihn nach der Sperrstunde einfach vor die Tür setzte.
Das wusste Erwin natürlich nicht, als er an der Friedhofsmauer vorbeischritt. Nun ja, als Schreiten konnte man seine Gangart beileibe nicht bezeichnen. Es war eher ein langsames Schlurfen, da sich seine Filzschlappen, wie erwähnt mit Schmutz, Hundeurin und Regenwasser vollgesogen hatten. So fühlte es sich für den malträtierten Pyjamaträger an, als ob er tonnenschwere Bleigewichte an den Füßen hätte. Barfuß zu laufen war auf dem steinigen Weg auch keine Option. Also latschte er mühsam in Richtung des Nachbarhauses, das sich ungefähr einen Kilometer von seinem eigenen befand. Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen und der Vollmond, der sich durch die Wolken schob, spendete wenigstens ein wenig schummriges Licht. Übrigens konnte Schrödinger damals natürlich nicht ahnen, dass fünfunddreißig Jahre später sogar ein Mondkrater nach ihm benannt werden würde. Das hätte ihm in dieser besagten Nacht aber auch nicht wirklich etwas gebracht.
Der Wissenschaftler hatte in etwa dreiviertel der Wegstrecke zurückgelegt, als er ein drohendes Fauchen vernahm. Dieses Geräusch war schon angsteinflößend. Erwin erschrak, blieb kurz an der alten Bruchsteinmauer stehen, schaute sich um, aber konnte bei der Dunkelheit nur wenig erkennen. Es war doch das gleiche Geräusch, das vor nicht allzu langer Zeit aus den Büschen vor seinem Grundstück zu kommen schien. Die lautstarke Drohung, die seinen Hund völlig aus der Fasson gebracht hatte. Erwin spürte, dass sich seine Nackenhaare aufstellten. Unwillkürlich bekam er eine Gänsehaut. Plötzlich fiel es ihm wieder ein oder sprichwörtlich wie Schuppen von den Augen. Es musste diese verwilderte Katze sein, die ihm nun blödsinnigerweise auch noch folgte. Vor ein paar Tagen hatte seine holde Ehefrau ihm doch irgendwas über eine Katze erzählt, die sich mit seinem Collie nicht nur angelegt, sondern ihn sogar attackiert hatte. Annie erwähnte doch am Frühstückstisch etwas darüber, nur hatte er wie so oft nicht richtig zugehört. Kein Wunder, denn seit einigen Wochen beschäftigte ihn ein schwieriges physikalisches Problem, für das er noch keine tragfähige Lösung gefunden hatte. Daher musste er beim Nachdenken natürlich Prioritäten setzen und so überhörte er gewissermaßen ganz selbstverständlich irgendwelche Banalitäten. Seine wissenschaftliche Arbeit ging schlicht und ergreifend vor. Er mochte keinen Smalltalk, nicht einmal zuhause. Vor allem dann nicht, wenn ihn eine in seinen Augen nahezu epochale Frage der Quantenmechanik quälte. Außerdem war es nur eine Katze, die ihm nachlief und nicht etwa ein Tiger, ein Löwe oder ein anderes Raubtier, das ihm gefährlich werden konnte, also ging er einfach weiter.
Als Erwin das eiserne Friedhofstor passierte, kam ihm plötzlich ein Gedanke. Er könnte sich doch einige Meter ersparen, wenn er nur quer über die Begräbnisstätte lief. So müsste er nicht außen herum, was seinen schweren Beinen entgegenkommen würde. Erwin schlurfte also an den Ruhestätten vorbei und weil das eine oder andere Grablicht brannte, konnte er sich einigermaßen orientieren. Dort vorn war die kleine Mauer, hinter der er schon die Umrisse des Apfelbaumes erkannte. Genau dort würde sich auch seine Leiter befinden. Schrödinger lächelte, als ihn völlig unerwartet etwas von hinten traf. Der Mann erschrak, stolperte und fiel kopfüber nach vorn. Dabei versuchte Erwin sich mit den Händen abzustützen, aber da gab es nichts, wonach er greifen oder sich gar festhalten konnte. Der Mann fiel nicht etwa auf den weichen Friedhofsboden, sondern geradewegs in ein tiefes Loch. Eine Grube, die sich nicht weit von der Mauer und dem dahinterstehenden Obstbaum befand. Frisch ausgehoben und bereit, in Kürze die letzte Ruhestätte für Mister Williams zu werden. Es dauerte ein paar Sekunden, bis Herr Schrödinger realisierte, was soeben passiert war. Was hatte ihn bloß aus dem Gleichgewicht gebracht? Hatte irgendjemand einen schweren Stein nach ihm geworfen. Oder hatte ihm jemand in den Rücken getreten? Erwin richtete sich in der pechschwarzen Grube langsam wieder auf und schaute entgeistert