Schwanger macht lustig - Maeve Haran - E-Book

Schwanger macht lustig E-Book

Maeve Haran

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Beschreibung

Sich verlieben, heiraten, Kinder kriegen – aber nicht unbedingt in dieser Reihenfolge

Francesca Tyler, Journalistin mit Leib und Seele, hört ihre biologische Uhr unverschämt laut ticken. Den Heiratsantrag des attraktiven Dr. Laurence Westcott nimmt sie deshalb einigermaßen beglückt an. Doch zwei Monate später, nach einer beschwipsten Nacht mit ihrem Erzrivalen Jack Allen, ist sie schwanger. Fragt sich nur, von wem …

Mit ihren turbulent-witzigen Geschichten über die Liebe, Freundschaft, Familie und die kleinen Tücken des Alltags erobert SPIEGEL-Bestsellerautorin Maeve Haran die Herzen ihrer Leser im Sturm!

»Maeve Haran erweist sich immer wieder als Spezialistin für locker-amüsante Geschichten mit Tiefgang!« Freundin

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Seitenzahl: 497

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Buch

Francesca Tyler, Journalistin mit Leib und Seele, hört ihre biologische Uhr unverschämt laut ticken. Den Heiratsantrag des attraktiven Dr. Laurence Westcott nimmt sie deshalb einigermaßen beglückt an. Doch zwei Monate später, nach einer beschwipsten Nacht mit ihrem Erzrivalen Jack Allen, ist sie schwanger. Fragt sich nur, von wem …

Autorin

Maeve Haran hat in Oxford Jura studiert, arbeitete als Journalistin und in der Fernsehbranche, bevor sie ihren ersten Roman veröffentlichte. »Alles ist nicht genug« wurde zu einem weltweiten Bestseller, der in 26 Sprachen übersetzt wurde. Maeve Haran hat drei Kinder und lebt mit ihrem Mann in London.

Von Maeve Haran bereits erschienen

Liebling, vergiss die Socken nicht · Alles ist nicht genug · Wenn zwei sich streiten · Ich fang noch mal von vorne an · Schwanger macht lustig · Und sonntags aufs Land · Scheidungsdiät · Zwei Schwiegermütter und ein Baby · Ein Mann im Heuhaufen · Der Stoff, aus dem die Männer sind · Schokoladenküsse · Mein Mann ist eine Sünde wert · Die beste Zeit unseres Lebens · Das größte Glück meines Lebens · Der schönste Sommer unseres Lebens

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Maeve Haran

Schwanger macht lustig

Roman

Deutsch von Ariane Böckler

Die Originalausgabe erschien 1998 unter dem Titel »All That She Wants« bei Little, Brown and Company, London.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright dieser Ausgabe © 2020 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright der Originalausgabe © 1998 by Maeve Haran

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 1998 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Covergestaltung: Buchgewand Coverdesign | www.buch-gewand.de unter Verwendung von Motiven von depositphotos.com: © loriklaszlo, © Lisla, © agrino, © nebojsa78, © DinaL

DN · Herstellung: sam

ISBN978-3-641-26298-3V001

www.blanvalet.de

Für Stephanie Leigh, eine warmherzige und großzügige Freundin, die mir den ersten Geistesblitz für diese Geschichte lieferte, und für ihre Tochter Becky, Urheberin des herrlich treffenden Ausspruchs von der »Oldtimer-Krankheit«.

1. Kapitel

»Himmeldonnerwetter!«, fluchte Francesca, während sie wütend das Foto ihres ehemaligen Verlobten und seiner dümmlich grinsenden Braut betrachtete, das die halbe Titelseite des Woodbury Express einnahm, dem Konkurrenzblatt zu ihrer eigenen Zeitung. Darunter war eine widerlich genaue Beschreibung jedes einzelnen Kleidungsstücks der Braut zu lesen, bis hin zu den Strapsen aus blauem Satin, die sie den Gästen nach sechs Gläsern Asti Spumante bereitwillig gezeigt hatte.

Was die Journalistin in Fran aufbrachte, war die Tatsache, dass das Bild überhaupt auf der Titelseite erschien. Auch wenn Hochzeiten das Alltagsgeschäft der Lokalpresse waren, schafften sie es meist nur dann auf die erste Seite, wenn ein Tiger als Brautjungfer fungierte oder das Brautpaar per Helikopter eingetroffen war. Francesca vermutete schwer, dass es ein Schachzug von Jack Allen war, seines Zeichens Chefredakteur des Express und Frans ewige Plage. Jack hatte in der Zeitung ihres Vaters gelernt und ihr nie ganz verziehen, dass sie die Tochter des Chefs war und sein Reich geerbt hatte. Vetternwirtschaft war für Jack ein Schimpfwort, und er ließ nicht zu, dass sie es je vergaß.

Fran musterte das Foto erneut und war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass ihre Gefühle nichts als himmelschreiende Eifersucht waren. Nicht einmal die Tatsache, dass die mit Bändern, Schleifen und gerüschtem Tüll ausstaffierte Braut eine unglaubliche Ähnlichkeit mit der neben ihr stehenden Hochzeitstorte hatte, konnte Fran aufheitern.

Sie riss die empörende Seite heraus, knüllte sie zu einer Kugel zusammen und warf sie mit gewohnter Zielsicherheit in den Papierkorb. Nicht dass sie ihn selbst gern geheiratet hätte, denn auch wenn er ein aufstrebender junger Geschäftsmann war, hatte er sich doch auch als aufstrebender junger Drecksack entpuppt. Was Fran an die Nieren ging, war, dass sie es nicht schaffte, ihre Beziehungen dauerhaft zu gestalten. Im Gegensatz zu der errötenden Braut, die allen Ernstes zu glauben schien, dass Männer gottähnliche höhere Wesen waren, fand Fran immer allzu schnell heraus, wo ihre kleinen – und großen – Schwächen lagen.

Infolgedessen war Francesca mit ihren vierunddreißig Jahren, obwohl sie groß (zu groß, wie sie selbst fand) und schlank war, ihr Haar die Farbe eines nagelneuen Pennys hatte (also fast rot war) und sie faszinierende grüne Augen besaß, nie über die magische Sechsmonatsmarke hinausgekommen und unumstößlich Single geblieben. Ihre Mutter behauptete, es läge daran, dass sie zu frech sei und außerdem Männer kluge Frauen nicht leiden könnten. An dieser Stelle suchte Fran regelmäßig den Blick ihres Vaters, der schweigend den Kopf schüttelte. Als Fran, nachdem ihr Vater in den Ruhestand gegangen war, seine Position als Chefredakteurin der von ihm gegründeten Zeitung übernommen hatte, hatte ihre Mutter gesagt, dass damit nun wohl alles besiegelt sei. Welcher Mann würde schon eine Frau wollen, der der Redaktionsschluss mehr am Herzen lag als ein Reihenhaus?

All das kümmerte Fran nur wenig. Sie liebte ihren Beruf als Chefredakteurin des Woodbury Citizen, hatte eine eigene Wohnung, einen Kater, an dem sie mit ganzem Herzen hing, weil er nicht ins Pub ging, keine langweiligen Geschichten erzählte, in denen er selbst die Hauptrolle spielte, und sich weder für Fußball noch für Golf oder Kricket interessierte.

Doch in letzter Zeit hatte sich etwas Unerhörtes in Frans Gefühlswelt eingeschlichen. Hatten ihre Träume einst um Exklusivberichte und Übernahmeangebote gekreist, so handelten die Gedanken, die jetzt in ihre arbeitsamen Nächte drangen, von duftenden Küchen, heimeligen Herden und – wie sie zutiefst beschämt zugeben musste – von einer rüschengeschmückten Wiege unter einem Baldachin, der mit fröhlichen Märchenfiguren bestickt war.

Diese tödliche Information hatte sie vor jedem geheim gehalten, selbst vor Stevie, ihrer Stellvertreterin. Stevie Grey, die achtundfünfzigjährige Nachrichtenredakteurin der Zeitung, interessierte sich ungefähr so sehr für Babys wie ein Alkoholiker für ein Glas Milch.

Wie auf ein Stichwort erschien Stevies Kopf mit der kompromisslosen eisgrauen Haartracht an Frans Tür. »Psssst!«, zischte Stevie laut genug, um noch in drei Meilen Entfernung Aufmerksamkeit zu erregen. »Feind im Anmarsch!«

Fran bahnte sich den Weg aus dem imposanten Büro, das einst ihrem Vater gehört hatte. Am anderen Ende der Redaktion, lässig auf den Tisch ihrer jüngsten und hübschesten Volontärin geschwungen, saß Jack Allen. Zweifellos gab er ihr gönnerhafte Ratschläge, wie sie im Journalismus Karriere machen könnte. Und das dumme Mädchen, das nicht erkannte, dass dies nicht mehr weit von sexueller Belästigung entfernt war, saugte alles begierig auf.

Wenigstens besaß er genug Anstand, um aufzustehen, als er Fran wütend auf sich zukommen sah; allerdings ohne den geringsten Anflug des Bedauerns in seinen lachenden blauen Augen.

»Was machst du denn hier?«, fragte Fran unfreundlich. »Musst du nicht die nächste Ausgabe fertigstellen, oder delegierst du jetzt alles an deine Lakaien?« Dass Jack einen Hang zum Delegieren hatte, war allgemein bekannt. Deshalb klopften ständig junge Reporter an seine Tür, die auf ihre große Chance hofften. Fran jedoch vermutete dahinter – zumindest zum Teil – Faulheit.

»Passende Worte für eine geborene Cheftochter. Du musstest dir selbstverständlich deine Sporen durch harte Arbeit verdienen, nicht wahr?«

»Aber, aber, Kinder«, schalt Stevie. »Gesunde Rivalität ist ja in Ordnung, doch man soll es nicht übertreiben.«

»Entschuldigung, Frau Lehrerin«, sagte Jack mit einem Zwinkern. Stevie gehörte zu den Menschen, die er am liebsten mochte, und er hätte ihr das doppelte Gehalt gezahlt, wenn er sie damit von Fran hätte weglocken können. Aber er wusste, dass Stevie nicht im Traum daran dachte, den Citizen zu verlassen.

»Also, Jack Allen.« Fran reckte sich, bis sie fast auf gleicher Höhe mit ihm war. »Was führt dich denn hierher, außer dass du versuchst, unsere Volontärinnen anzumachen?«

»Ich bin jedenfalls nicht gekommen, um mich an Woodburys Hochzeit des Jahres zu weiden«, spöttelte er, da er wusste, wie sie das ärgerte. »Obwohl du eine wesentlich hübschere Braut abgegeben hättest. Elfenbein, würde ich sagen, kein jungfräuliches Weiß, und ein paar Volants weniger. Du bist zu grobknochig für den Scarlett-O’Hara-Look.«

Hinter ihnen prustete Stevie in ihren Kaffee und musste sich ein Stück Küchenkrepp holen.

»Ich weiß genau, dass du diese Hochzeit mit Absicht als Titelgeschichte gebracht hast«, warf Fran ihm vor und vergaß völlig, dass sie sich ja ruhig und herablassend hatte geben wollen.

»Quatsch.« Jacks Augen wurden vor gespieltem Entsetzen ganz weit. »Adrian Blakes Hochzeit war von großem lokalem Interesse. Sein Vater beschäftigt hier am Ort eine Menge Leute.« Fran hatte den ärgerlichen Eindruck, dass er sich über sie lustig machte. »Offen gestanden bin ich gekommen, um dir zu gratulieren.«

Jacks Lächeln war so charmant, dass sie auf der Stelle Verdacht schöpfte. »Wozu?« Fran merkte selbst, dass ihr Tonfall nicht besonders freundlich war, aber schließlich versuchte der Express ständig, ihnen ihre hart erkämpften Exklusivgeschichten abzujagen.

»Zu deiner Reportage über dieses miese Busunternehmen natürlich. Das war erstklassige Arbeit.«

»Dir verdanke ich das Resultat jedenfalls nicht«, erklärte Fran. »Dein Reporter war dermaßen scharf auf die Story, dass er sie um ein Haar uns allen beiden vermasselt hätte.«

Jack grinste. »Diese jungen Hitzköpfe sind schwer im Zaum zu halten. Für eine Story tun sie alles. Genau wie du früher einmal, wenn ich mich recht erinnere.« Vielsagend zog er eine Augenbraue hoch. »Erinnerst du dich noch an diesen Lederrock, den du anhattest, als du mit den Polizisten einen heben gegangen bist? Der hat dir doch zu einigen deiner besten Artikel verholfen, oder nicht?«

Fran lief rot an. Zu Beginn ihrer Laufbahn hatte es eine kurze Phase gegeben, in der sie unbedingt beweisen wollte, dass sie nicht nur Daddys Liebling war. Sie hatte ihre Reize mitsamt fünfzehn Zentimeter schwarzen Leders eingesetzt, um von der Ortspolizei ein paar Hinweise zu bekommen. Dadurch gelang es ihr, die anderen Reporter beim Citizen davon zu überzeugen, dass sie bereit war, sogar zu noch mieseren Tricks zu greifen als sie, und so wurde sie als eine von ihnen akzeptiert. Außer natürlich von Jack. Trotzdem würde sie vor Scham sterben, wenn sie diesen Rock heute trüge. Er war so sittsam gewesen wie zwei breite Gummibänder. Klar, dass sich Jack Allen daran erinnern musste.

»Bringst du morgen noch mehr darüber?« Er sah nach hinten, wo die Zeitung des nächsten Tages zusammengestellt wurde.

»Nein«, antwortete Fran vorsichtig. Jack führte eindeutig etwas im Schilde. Er würde nicht nur seine Großmutter, sondern seine gesamte Familie für einen Exklusivbericht verkaufen. »Im Moment ist alles abgeschlossen. Warum interessierst du dich auf einmal so dafür?«

Bevor er antworten konnte, wurden sie von einem durchdringenden, jammervollen Wimmern unterbrochen. Fran wandte sich um und sah Eileen, eine ihrer früheren Telefonistinnen, am anderen Ende des Büros stehen, ein kleines, lärmendes Bündel in einem roten Jäckchen im Arm, dessen winziges Köpfchen von einer Strickmütze bedeckt war, die kaum größer war als die einer Puppe. Eileen reichte das Baby Stevie, die so begeistert darauf herabsah wie eine Klosterschwester auf ein Kondom. »He, Fran, versuch du’s mal«, rief sie und schob das Baby, das bei genauerem Hinsehen einen unschönen roten Ausschlag aufwies, der verblüfften Fran in die Arme.

Fran schob sachte das Strickmützchen beiseite, ignorierte den weißlichen Milchschorf und bettete den kleinen Kopf unter ihr Kinn. Das Gefühl körperlicher Nähe war so stark, dass sie die Augen schloss und das Baby sanft wiegte. Allerdings teilte es Frans heitere Gelassenheit keineswegs, sondern brüllte nur noch lauter als zuvor.

»Komm, lass mich mal. Ich sehe doch, dass das nicht gerade deine Stärke ist.«

Fran war zu verblüfft, um sich zu wehren, als Jack ihr das Baby wegnahm und es dicht an seine Schulter legte, wo sein Gesichtchen so tief im kratzigen Stoff seines Sakkos vergraben wurde, dass Fran fürchtete, es werde ersticken.

Sie konnte sich Jack Allen vorstellen, wie er sich an einem Bartresen aufstützte, nachdem er den ganzen Abend einer schwer greifbaren Geschichte hinterhergelaufen war oder unwirschen Beamten Informationen entlockt hatte, oder wie er alte Damen dazu überredete, ihre Geschichte lieber dem Express als dem Citizen anzuvertrauen, während er zu diesem Zweck seinen strahlenden Charme versprühte. Was sie sich aber nie ausgemalt hätte, war, wie Jack Allen seinen kleinen Finger ausstreckte, damit er fester als in einem Schraubstock umklammert würde, wie seine tweedumhüllte Schulter vollgesabbert wurde oder wie er Schlaflieder in ein neugeborenes Ohr säuselte. Aber entweder war das Baby ein Rasierwasser-Junkie, oder Jack hatte echtes Talent, denn nach nur einer halben Minute hatte es zu schreien aufgehört, sich begeistert wie ein Klammeraffe an ihn gedrückt und starrte nun mit seinen unergründlichen dunkelblauen Augen in Jacks von Falten umgebene blassblaue. Mit einem Anflug nicht ganz gerechtfertigten Ärgers vermutete Fran, dass es wahrscheinlich gelächelt hätte, wenn es schon gewusst hätte, wie.

Jack gab Fran das Baby zurück. »So eines würde dir auch gut stehen, wenn du den Dreh erst einmal rausgekriegt hast«, bemerkte er provokant. Bevor Fran etwas erwidern konnte, wies er mit der Hand zu der Ansammlung von Schreibmaschinen hinüber, die von relativ modernen elektrischen Exemplaren bis hin zu Vorkriegsmodellen von Remington, bei denen das »e« fehlte, alles umfassten. »Ihr benutzt also immer noch die alte Technik?« Im Gegensatz zu Frans Zeitung gehörte der Express einer finanzkräftigen Gruppe an und verfügte über nagelneue Computerterminals auf jedem Schreibtisch der Redaktion.

»Wir sind vielleicht nicht auf dem neuesten Stand der Technik«, entgegnete Fran stolz, ohne zuzugeben, wie hart sie in letzter Zeit darum gekämpft hatte, den Citizen ins Internet zu bringen, »aber wenigstens sind wir unabhängig.«

»Nett von ihm, dass er vorbeigeschaut hat.« Stevie sah Jacks davonstrebendem Rücken voller Zuneigung nach. Ein Jammer, dass er beim Citizen aufgehört hatte, aber Jack Allen war nicht der Typ, der jemand anderem den Platz warmhielt, erst recht nicht der Tochter des Chefs. »Ich habe mir schon oft überlegt, ob du und er nicht vielleicht irgendwann …« Stevie ließ die empörende Vermutung unausgesprochen.

»Du spinnst wohl!«, protestierte Fran und gab das Baby zurück, bevor es sie bloßstellte und erneut zu brüllen begann. »Ich möchte ihm nicht auf zehn Meter nahe kommen. Jack Allens Testosteronspiegel ist vermutlich gesundheitsschädlich.«

»Ich dachte nur immer«, fuhr Stevie mit einem Seitenblick fort, »was für ein guter Vater er sein muss.«

Fran musterte das Gesicht der Älteren. Ahnte Stevie etwa die Wahrheit, nämlich dass ihre Sehnsucht nach einem Kind immer übermächtiger wurde und sie kurz davor war, sich aus einem Kinderwagen ein fremdes Baby zu schnappen?

»Wenn er ein so guter Vater ist«, wollte Fran wissen, »warum ist dann seine Frau nach Australien abgezogen und hat das Baby mitgenommen? Er muss etwas ziemlich Schreckliches gemacht haben, um das zu verdienen.«

Stevies von Falten gezeichnetes Gesicht verlor seine gewohnte Munterkeit und wurde etwas verträumter. »Aber sein Sohn hat sich dafür entschieden, bei ihm zu bleiben, stimmt’s? Und wenn du mich fragst, steckt mehr hinter der Geschichte, als man auf den ersten Blick sieht. Carrie Allen konnte Woodbury nie leiden. Sie hat Jack ständig bedrängt, nach London zu ziehen, aber ihm hat es hier gefallen.«

»Du klingst ja, als wärst du selbst halb in ihn verliebt, Stevie.«

Stevie warf Fran einen verschwörerischen Blick zu. Sie kannten beide die Wahrheit. Stevie war unverheiratet geblieben, weil sie in jemand ganz anderen verliebt war: in Frans Vater. Diese Tatsache brachte Frans Mutter seit dreißig Jahren ständig zur Weißglut.

»Dein Vater hat übrigens angerufen.« Stevies Stimme wurde weicher, wie immer, wenn sie von Ralph sprach. »Er sagt, in Chepstow sei um halb drei ein interessantes Rennen, von dem er dir gern erzählen würde. Ach, und ob du ihm eine Flasche Malzwhisky mitbringen könntest? Macallan wäre ihm recht, aber sag deiner Mutter nichts davon.«

Fran lachte. Der geheime Pakt zwischen ihrem Vater und ihr reichte bis in ihre Kindheit zurück. Seit sie sechs Jahre alt war, hatte Ralph sie hin und wieder in die Redaktion oder zum Pferderennen mitgenommen. Beide Orte, so schien es Fran rückblickend, waren herrlich aufregend gewesen. Ein weiterer Vorzug dieser Ausflüge war, dass sie dadurch von ihrer Mutter und deren erstickender Fürsorglichkeit wegkam – einer Fürsorglichkeit, deren Ursache, wie Fran vermutete, nicht Mutterliebe war, sondern Angst vor weiteren Unannehmlichkeiten. Nachdem sie ihrer Tochter die unermessliche Ehre erwiesen hatte, sie zur Welt zu bringen, hatte ihre Mutter von Fran erwartet, dass sie ihr nie wieder Umstände machen würde. Es war Frans Vater gewesen, der für Zauber und Vergnügen gesorgt und ihr das Gefühl gegeben hatte, klug und hübsch genug zu sein (zwar eine subjektive Sichtweise, aber irgendwie war es ihm gelungen, Fran davon zu überzeugen), um im Leben alles erreichen zu können, was sie wollte. Daraus hatte sich eine Bindung zwischen Vater und Tochter entwickelt, die stärker war als bei allen anderen Vätern und Töchtern, die Fran kannte. Und das störte ihre Mutter ganz gewaltig.

»Dein Problem«, erläuterte Stevie, »ist, dass du nie einen Mann wie deinen Vater finden wirst.«

»Ich weiß«, griente Fran. »Aber du auch nicht.«

Ein kurzes Lächeln besiegelte ihre Einigkeit.

Stevie drehte sich um. »Also, ihr zwei«, wandte sie sich an die beiden ihnen am nächsten sitzenden Reporter, die offensichtlich mitgehört hatten, »habt ihr denn nichts Besseres zu tun, als anderer Leute Gespräche zu belauschen?«

»Aber, Stevie«, beschwerte sich Mike Wooley, der Jüngere, Vorlautere der beiden, »ich dachte, genau das ist die Aufgabe eines Journalisten.«

»Ich mache mir Sorgen um Franny«, erklärte Frans älteste Freundin Henrietta ihrer halbwüchsigen Tochter Sophie. Es war sieben Uhr abends, und der Himmel vor dem Fenster war von einem tiefen Samtblau, dem gleichen Blau wie das angewärmte Badetuch, das Henrietta für ihre sechsjährige Tochter Lottie bereithielt, die fröhlich im Badezimmer ihres georgianischen Pfarrhauses herumplanschte. Lottie war zugleich ein Nachkömmling und eine willkommene Versicherung dafür, dass Henrietta ihr verhätscheltes Leben weiterführen konnte, ohne Angst davor, vor Ablauf von mindestens weiteren zehn Jahren arbeiten gehen zu müssen.

»Was hat sie denn jetzt schon wieder gemacht?«, wollte Sophie wissen.

»Sie schreckt Männer ab.«

»Du meinst, sie schreckt die Sorte Männer ab, die sie deiner Meinung nach toll finden soll«, entgegnete Sophie mit der ganzen Weisheit ihrer sechzehn Jahre. »Sie ist eben lange nicht so konventionell wie du, Mum. Nicht dass das besonders schwer wäre. Vielleicht ist sie einfach gern unabhängig und glaubt nicht an legalisierte Prostitution wie du.«

Henrietta wollte gerade Einwände gegen diese Beschreibung des heiligen Standes der Ehe erheben, als es an der Tür klingelte und Fran höchstpersönlich eintraf. Sie rannte die Treppe hinauf und kam zu ihnen ins Badezimmer.

»Tante Fran!«, krähte die kleine Lottie, sprang entzückt auf und übergoss dabei ihre Mutter mit einem Wasserschwall. »Gehst du mit mir zu Old McDonald’s?« Mit ihren sechs Jahren hatte Lottie die kulturelle Konvergenz von Hamburgern und Kinderliedern noch nicht ganz erfasst.

»Na klar!«, stimmte Fran zu. »Aber lieber ein andermal, wenn du etwas anhast, oder?«

»Komm jetzt endlich raus, Lots«, forderte Henrietta und griff nach dem Handtuch, das zum Wärmen auf der Heizung lag.

»Darf ich sie abtrocknen?«, fragte Fran, umarmte den kichernden, sich windenden kleinen Körper und hüllte ihn in den warmen Frotteestoff. Lotties Kopf kuschelte sich heimelig unter ihr Kinn, als wäre er dafür gemacht. »Glaubst du, dass ich irgendwann jemanden finde, mit dem ich so etwas produzieren kann?«

»Du meine Güte, Fran«, schimpfte Henrietta, die auf der allgemein gültigen Skala aller Dinge Männer für wichtiger hielt als Kinder. Kinder waren gut und schön, wo sie hingehörten. Aber die Rechnungen von Harrods konnten sie nicht bezahlen. Jedenfalls nicht, bis sie erwachsen wurden und eine gute Partie machten. »Such dir zuerst einen Ehemann. Du hast lächerlich romantische Gefühle Kindern gegenüber. Bleib nur da, bis es ans Haare föhnen geht, dann erlebst du die Wirklichkeit.« Sie ging drohend auf Lottie zu, die angesichts der Haarbürste zu kreischen begann, als wäre es ein mittelalterliches Folterwerkzeug.

Fran nahm sie fester in die Arme und hatte plötzlich einen revolutionären Einfall. »Glaubst du, dass ich unbedingt einen Mann brauche? Ich meine, heutzutage …«

»Aber natürlich brauchst du einen Mann«, unterbrach sie Henrietta, die sie absichtlich missverstand. »Sie haben dieses Ding da, weißt du, das sie dir irgendwie reinstecken und …«

»Sie meint Sex«, erläuterte Lottie mitleidig, hocherfreut über die Ablenkung und die Möglichkeit, ihr überlegenes Wissen anzubringen. »Du musst Sex mit einem Mann machen, wenn du ein Baby kriegen willst, Tante Fran. Das weiß doch jeder.«

Fran kicherte. »Ich meine einen Mann auf Dauer. Einen, der bei mir wohnt.«

Henrietta, der selten die Worte fehlten, war empört. »Du meinst doch nicht im Ernst …« Doch auf der Stelle erkannte sie, dass Fran genau das meinte. »Das kannst du nicht machen. Es wäre nicht fair dem Baby gegenüber. Babys brauchen Väter.«

»Ist doch Scheiße«, kommentierte die sechzehnjährige Sophie mit der gepflegten Aussprache, die an ihrer Privatschule gelehrt wurde. »Unmengen von Leuten kriegen heute alleine Babys.«

»Aber nicht in Woodbury«, schnaubte Henrietta. »Und komm mir nicht mit solchen Wörtern. Da werfe ich jedes Jahr zweitausend Pfund für deine teure Privatschule raus, und du verwendest solche Ausdrücke. Wo hast du denn das her?«

»Aus meiner teuren Privatschule natürlich. Komm schon, Mum.« Manchmal hatte Sophie das Gefühl, dass ihre Eltern, die in einem Haus mit sechs Schlafzimmern in einem noblen Ortsteil von Woodbury wohnten und sowohl einen Gärtner als auch eine Putzfrau beschäftigten, auf einem anderen Planeten lebten. »Du bist ja so was von out.«

»Nein, deine Mum hat schon recht«, räumte Fran ein. »Ein Baby zu bekommen, nur weil man sich eines wünscht, wäre unglaublich verantwortungslos.«

Später, nachdem Fran gegangen war, lag Henrietta, die Herausforderungen liebte und sich langsam dabei langweilte, Spenden für die üblichen guten Zwecke aufzutreiben, im Bett und dachte über Frans Worte nach. Leute zu verkuppeln war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen, aber eine solche Mission hatte sie noch nie auf sich genommen. Den idealen Vater für Frans Baby zu finden könnte wirklich eine interessante Aufgabe zu sein.

»Aber du versuchst doch schon seit Jahren, einen Mann für sie zu finden«, murmelte ihr Ehemann Simon, während er sich nach Kräften bemühte, Henriettas Lust auf Sex zu wecken. »Sie umschwärmen sie alle wie Motten das Licht, dann sagt Fran ihnen, sie sollen sich davonscheren, und sie wechseln nie wieder ein Wort mit dir.«

Henrietta spürte, wie sich das Glied ihres Mannes an ihren Schenkel drückte, sein gewohnt subtiles Vorspiel zu einer Verführung.

»Das ist etwas anderes. Da ging es um einen geeigneten Ehemann. Jetzt aber um einen geeigneten Vater.« Sie sah ihm in die Augen. »Du möchtest dich nicht vielleicht freiwillig melden?« Damit wäre seine Erektion garantiert erledigt. Doch unerwarteterweise wurde Simons Organ doppelt so beharrlich.

»Simon«, keuchte Henrietta schockiert. »Du geiler alter Sack. Ich wusste nicht, dass du auf meine beste Freundin stehst!«

Fran sah auf die Uhr im Auto und beschloss, auf dem Nachhauseweg bei ihren Eltern vorbeizuschauen. Sie war nachmittags zu beschäftigt gewesen, ihren Vater zurückzurufen, da im Polizeifunk eine große Geschichte über einen Einbruch gemeldet worden war. Ihr wurde ganz mulmig, wenn sie daran dachte, wie ihre Mutter sie wegen der Vorteile ins Gebet nehmen würde, auf die sie verzichtet hatte, weil sie nicht Mrs. Adrian Blake geworden war. Aber das musste sie über sich ergehen lassen.

Die Türklingel tönte mit sattem Schnarren durch das weitläufige Haus. Fran fiel auf, dass es langsam anfing, etwas heruntergekommen zu wirken. Doch es war ja auch wesentlich schwerer, nur von der Rente ihres Vaters zu leben. Zu ihrer großen Freude war er es, der ihr die Tür öffnete.

»Franny! Das ist aber schön.« Die Zuneigung in seinem Gesicht wärmte Fran wie die Sonne an einem Wintertag. Ihn zu sehen heiterte sie stets sofort auf. Ihr Vater strahlte eine Energie und einen Enthusiasmus aus, wie sie es noch nie an jemand anderem erlebt hatte. Selbst wenn sein Haar weiß war, wirkte er mit seinen fünfundsechzig noch schlank und jungenhaft, als würde er jeden Moment zu einem der großen Abenteuer des Lebens aufbrechen. Von Natur aus ruhig, aber entschlossen und beständig wie ein Fels, hatte Ralph ihr eine solch solide Basis von Liebe und Sicherheit gegeben, dass sie mit allen erdenklichen Widrigkeiten fertigwerden konnte. Sie wussten das beide, sprachen es aber nur selten aus. Zwischen ihnen zählte das am meisten, was ungesagt blieb.

»Wo ist Ma?«, fragte sie.

Das Wohnzimmer war ausnahmsweise unaufgeräumt und besaß eine gemütliche, maskuline Note. Eine halb aufgegessene Schweinefleisch-Pastete – die sie als eine der berühmten hausgemachten von Metzger Singer erkannte und die ihre Mutter auf der Stelle als zu cholesterinhaltig ablehnen würde – lag mit zwei Tomaten und einer sauren Gurke auf einem Teller. Außerdem war es Ralph gelungen, auf irgendeinem obskuren Kabelkanal ein Pferderennen zu finden. Die neueste Ausgabe von Sporting Life lag ordentlich zusammengefaltet neben seinem Sessel. »Mittwoch. Bridgeabend.«

Fran musterte sein einsames Abendessen und empfand leisen Ärger auf ihre Mutter. Phyllis hatte Ralphs Ausscheiden aus der Zeitung mit kaum verhohlenem Märtyrergehabe aufgenommen, als hätte er seine Entscheidung nur mit der Absicht getroffen, sie zu ärgern. Es schien ihr nie in den Sinn zu kommen, wie es für ihn sein mochte. Zum Glück war Ralph, der schon immer beliebt gewesen war, als Ratgeber und Galionsfigur für verschiedene gute Zwecke nach wie vor sehr gefragt. Fran wusste allerdings, dass ihm die Zeitung schrecklich fehlte. Aber Ralph würde lieber tot umfallen, als das zuzugeben.

»Du hättest mich anrufen sollen«, sagte sie und wies auf sein Abendessen. »Wir hätten zum Inder gehen können.«

»Mein Schatz. Die Mittwochabende sind mir die liebsten.« Er setzte sein ansteckendes Schmunzeln auf, mit dem er sicher auch vor vielen Jahr das Herz ihrer Mutter erobert hatte. Anhand der alten Familienfotos konnte man sehen, dass Phyllis früher tatsächlich jung und hübsch gewesen war und die Frische eines Mädchens vom Lande ausgestrahlt hatte. Fette Sahne anstelle des sauren alten Joghurts, dem sie heute ähnelte. »Pferderennen im Fernsehen, und ich habe drei eingelegte Zwiebeln verdrückt, nicht nur die eine, die der Feldwebel erlaubt. Herzlichen Glückwunsch übrigens. Klasse Geschichte über diese Mistkerle von der Busgesellschaft.«

Das rasche Lächeln, das sie wechselten, bezeugte, wie viel sie ihm verdankte. Er hatte sie gut ausgebildet. Immer, wenn sie an einer heiklen Geschichte arbeitete und jemand von offizieller Seite sie anlog, fragte sie sich, was ihr Vater wohl getan hätte. Noch heute forderte der Aufkleber an der Heckscheibe seines alten Volvo nicht dazu auf, dem Rotary Club beizutreten, Jesus zu finden oder die Tories zu wählen. Sein Aufkleber verlangte schlicht und einfach in auffälligen roten Lettern: MISSTRAUDEROBRIGKEIT. Ihrer Mutter war der Aufkleber zuwider, deshalb parkte sie bei Sainsbury’s immer so dicht wie möglich an der Wand.

Fran fand es beeindruckend, dass ihre Eltern mehr als fünfunddreißig Jahre zusammengeblieben waren. Manchmal allerdings, wenn sie daran dachte, wie viel glücklicher beide mit einem anderen Partner geworden wären, erschrak sie. Sie mussten, so folgerte sie, es getan haben, weil sie sich einmal geliebt hatten.

»Danke, Dad. Stell dir vor, Jack Allen ist auch vorbeigekommen, um mir zu gratulieren.« Sie hielt inne, da sie wieder an ihr Misstrauen gegenüber Jacks Motiven denken musste.

»Wie geht’s Jack? Der beste Journalist, den ich je ausgebildet habe.« Einen Augenblick lang verdüsterte sich die Miene ihres Vaters. »Ach, da fällt mir ein – ich wollte mit dir über ihn sprechen.«

O nein, dachte Fran. Du nicht auch noch. »Ich hoffe, du willst mich nicht mit ihm verkuppeln.«

»Nein, ich würde dir nicht empfehlen, Jack nachzustellen. Er ist nicht dein Typ. Zu maskulin. Handelt, bevor er denkt. Du brauchst jemand Zurückhaltenderen. Aber trotzdem solltest du ihn im Auge behalten. Ich habe gerüchteweise gehört, dass der Express ein Gratisblatt gründen will, und sie haben Jack gefragt, ob er die Redaktionsleitung übernimmt.«

Eine Schockwelle der Angst überrollte Fran. Wie sie so sarkastisch zu Jack gesagt hatte, verfügte der Citizen über Unabhängigkeit und eine loyale Leserschaft. Aber würden diese loyalen Leser in solch harten Zeiten der Anziehungskraft einer völlig kostenlosen Zeitung widerstehen können? Noch dazu einer, die einen Chefredakteur von Jacks Format besaß?

»Ich kann mir nicht vorstellen, dass Jack dazu bereit ist.« Fran klang zuversichtlicher, als ihr zumute war. »Ich habe ihn schon oft sagen hören, dass Gratisblätter nichts als bessere Werbung seien und kein Journalismus.«

Ralph tätschelte ihr beruhigend die Hand. »Da hast du wahrscheinlich recht. Hoffen wir es mal.« Fran wollte gerade gehen, als ihr die Flasche Whisky wieder einfiel, die noch in ihrer Handtasche steckte. Macallan natürlich, die Lieblingsmarke ihres Vaters.

Sie reichte ihm die Flasche mit verschwörerischem Zwinkern. »Aber jetzt nur ein Tröpfchen, sonst lässt Ma die Hunde los.«

Ralph machte sich begeistert über den Whisky her. »Herrlich. Deine Mutter hat sämtliche Spirituosen versteckt. Man könnte meinen, ich sei ein hemmungsloser Säufer, so wie sie sich aufführt.«

»Ach, komm schon, Dad, du hattest immerhin einen Herzinfarkt. Sie hat ganz recht, wenn sie dich auf halbe Ration setzt.«

»Schon, aber es muss ihr doch nicht zusätzlich so viel Spaß machen, oder?«

Keiner von beiden musste zu dieser treffenden Bemerkung noch einen Kommentar abgeben.

Ralph erhob sein Glas. »Auf die beste Zeitung von Woodbury. Du weißt, dass ich richtig stolz auf dich bin, weil du sie so gut führst.«

Fran stieß mit ihm an und sonnte sich in den warmen Lobesworten des Menschen, vor dem sie am meisten Respekt hatte.

Auf dem Kies in der Einfahrt knirschten Reifen. Sie lachten beide auf und versteckten ihre leeren Gläser unter dem Sofa.

2. Kapitel

Als Henrietta endlich den idealen Mann für ihre Freundin Fran entdeckte, befand sie sich in einer ausgesprochen ungünstigen Lage. Jede andere Frau wäre kleinlaut gewesen und hätte versucht, an etwas anderes zu denken, während sie flach auf dem Rücken lag, die Füße in den vorgesehenen Halterungen hatte und sich von einer Horde Medizinstudenten in die Scheide starren ließ. Doch Henrietta war aus härterem Holz geschnitzt. Sie konzentrierte sich stattdessen auf den Arzt im weißen Kittel, den sie gerade im Vorraum gesehen hatte. Er war ihrer Schätzung nach Mitte dreißig, also in einem schönen, soliden Alter. Während die meisten Klinikärzte eine Blässe zur Schau trugen, die an Schweinekoteletts auf dem Ladentisch eines Metzgers erinnerten, glänzte dieses Exemplar mit gesunder Après-Ski-Bräune. Sein Haar war maisfarben, und auf seiner Nase prangte eine goldgeränderte Halbbrille, die ihm eine vertrauenerweckende und seriöse Ausstrahlung verlieh. Außerdem war Henrietta nicht entgangen, dass sogar seine älteren Kollegen respektvoll, ja geradezu ehrfürchtig lauschten, wenn er sprach.

So aufgeregt war Henrietta über ihre Entdeckung, dass sie den stählernen Kuss des Spekulums gar nicht spürte, als das Instrument wieder entfernt wurde. Hinterher reichte ihr die Schwester ein Papierhandtuch und sagte ihr, dass sie sich nun anziehen könne.

Kaum war Henrietta wieder in ihr seidenes Höschen geschlüpft, stürzte sie sich schon auf die verblüffte Schwester.

»Dieser Arzt, der da draußen am Empfang war – recht jung, blond –, wie heißt er?«

»Es waren mindestens zehn Ärzte am Empfang«, erwiderte die Schwester unwirsch.

»Sie wissen schon, welchen.« Henrietta hätte gewettet, dass jede Schwester in der Klinik wusste, welchen Arzt sie meinte. »Den, der aussieht wie Robert Redford, als er noch wie Robert Redford aussah.«

»Tja …« Die Stimme der Krankenschwester nahm eine an Heiligenverehrung grenzende Färbung an, so als spräche sie von Mutter Teresa oder dem Papst. »Sie meinen vielleicht Dr. Westcott. Er leitet das Zentrum für Fruchtbarkeitsstörungen hier im Haus.«

Henrietta seufzte zufrieden auf und genoss die Vorstellung, dass dieser Mann dazu berufen war, kinderlosen Frauen Freude und Erfüllung zu bringen. Warum sollte er nicht noch eine kinderlose Frau froh machen? Frans spezielle Situation erforderte vielleicht ein bisschen mehr Engagement, als für einen Arzt allgemein üblich war, doch das war in Henriettas Augen nebensächlich.

Plötzlich ging ihr der einzige Pferdefuß an diesem Tagtraum auf.

»Dieser Dr. Westcott. Ist er verheiratet?«

Die Schwester seufzte. »Dr. Westcott hat sich mit Leib und Seele der Klinik verschrieben.«

Henrietta lächelte selig, während sie ihr cremefarbenes Leinenkostüm zuknöpfte. In diesem Fall standen sämtliche Möglichkeiten offen. Wenn er eine Klinik leitete, lag es in der Natur der Sache, dass dort Geldmangel herrschte. Und Gelder aufzubringen war etwas, was Henrietta außerordentlich gut beherrschte. Die Beziehung war – zumindest in Henriettas Vorstellungswelt – bereits besiegelt. Nun musste sie die beiden nur noch zusammenbringen.

Sie ging auf die Tür zu, und ihre Schuhe klickten auf dem neuen pseudomarmornen Fußboden der staatlichen Klinik. An der Tür blieb sie stehen, da ihr einfiel, dass sie eine wichtige Einzelheit vergessen hatte. »Wie heißt er mit Vornamen?«, fragte sie.

Die Schwester zog ein Gesicht, als handelte es sich um eine streng geheime Information. »Laurence«, antwortete sie schließlich.

»Laurence«, flüsterte Henrietta und kostete jede Silbe aus. »Laurence.« Selbst wenn Fran mit dem Gedanken spielte, alleine ein Kind aufzuziehen, würde sie doch bald zur Vernunft kommen, wenn sie jemand Passenden kennenlernte. Es war der natürliche Lauf der Welt. »Laurence«, sagte sie noch einmal vor sich hin. »Dr. Laurence Westcott und Mrs. Laurence Westcott.«

Die Schwester beobachtete Henrietta stirnrunzelnd, wie sie gebetsmühlenartig Dr. Westcotts Namen wiederholte. Vielleicht war die Frau verrückt. Die Sozialfürsorge ließ ja einiges zu wünschen übrig. Nur weil sie ein Leinenkostüm trug, hieß das nicht, dass sie keine gefährliche Schizophrene war, die sich sämtliche Kleider vom Leib riss und auf Dr. Westcott losstürzte, wenn er heute Abend Dienstschluss hatte. Vielleicht hätte sie seinen Namen nicht verraten dürfen.

Ohne etwas von den Befürchtungen der Schwester zu ahnen, ging Henrietta lächelnd auf den Parkplatz zu. Sie spürte, dass eine Liebesgeschichte in der Luft lag.

An der Ampel am Ortsrand von Woodbury, direkt gegenüber den Blocks mit den Sozialwohnungen, lauerten ihr zwei kleine Scheibenputz-Banditen, bereits alte Feinde von ihr, mit ihren schmutzigen Schwämmen auf. Da es zu spät für ihre gewohnte Taktik war, nämlich einfach die Scheibenwischer einzuschalten, sobald sie die beiden sah, musste sich Henrietta die Windschutzscheibe verschmieren lassen. Mit enormer Genugtuung stellte sie fest, dass sie kein Kleingeld hatte, und einen Fünf-Pfund-Schein würde sie den beiden garantiert nicht geben. »Da«, sagte sie, nahm die Papiertüte vom Beifahrersitz und reichte sie mit großer Geste hinaus. Sie konnte es sich erlauben, mit der Welt und all ihren Bewohnern im Einklang zu leben, jetzt, nachdem sie Dr. Westcott ausfindig gemacht hatte. »Die könnt ihr haben. Es sind Croissants.«

Der Junge äugte verblüfft in die Tüte, während Henrietta davonpreschte. »He, Shane!«, rief er dem anderen Bengel zu. »Was sind Krossangs?«

»Spreche ich mit Miss Francesca Tyler? Oder soll ich lieber Mrs. Francesca Tyler sagen?«

Der Sarkasmus in der Stimme veranlasste Francesca, aufzuhorchen und nicht an ihrem Text weiterzutippen. Vermutlich war es ein wütender Bürger, der anrief, um sich über Wanderer zu beschweren, die unerlaubt sein Land durchquerten, oder über Hundebesitzer, die nicht ordentlich mit Schaufel und Tüte ans Werk gingen. Die Zeitung bekam viele solcher Anrufe, obwohl die meisten davon glücklicherweise nicht bis zu Fran durchdrangen. »Ganz richtig.«

»Die Chefredakteurin des Citizen.«

»Genau.«

»Dann habe ich eine sagenhafte Geschichte für Sie. Ein Familienbetrieb, der vor achtzig Jahren gegründet wurde, muss morgen dreißig Leute entlassen. Vielleicht würden Sie gern Fotos machen.«

»Sind Sie in Woodbury?« Frans Instinkt ließ sie gleich nach einem Block greifen.

»Einer unserer Angestellten ist fünfzig Jahre bei uns gewesen.« Im Tonfall des Anrufers lag etwas Unangenehmes, das Fran wachsam machte. »Aber er bekommt keine goldene Uhr, nicht einmal eine billige.«

»Wie heißt die Firma?«

»Ich kann es mir nicht leisten, den Leuten auch nur einen Penny zu bezahlen, wissen Sie.«

»Sie haben mir den Namen Ihrer Firma noch nicht genannt«, drängte Fran.

»Wir sind unten an der Umgehungsstraße. ›Wadey’s Busse‹. Sagt Ihnen der Name etwas?«

Fran stockte der Atem. Das war der Chef dieses miesen Busunternehmens!

»Dreißig Menschen stehen auf der Straße. Wegen Ihnen. Abschaum sind Sie, Abschaum.«

Fran hätte am liebsten den Hörer aufgelegt, doch er schien an ihrem Ohr zu kleben.

»Scheinheiliger Abschaum.« Die Stimme des Mannes wurde nun schrill und spuckte Gift und Galle. »Sie halten sich für superschlau, dabei sind Sie nur eine blöde Fotze. Passen Sie gut auf sich auf, Mizzz Francesca Tyler, sonst passiert Ihnen demnächst ein schlimmer Unfall. Ein Zusammenstoß mit einem Bus oder so.«

Der Hass in der Stimme des Mannes quoll aus dem Telefonhörer, und Fran hätte ihn am liebsten fallen lassen. Doch sie musste an sich halten. Was hatte ihr Vater ihr stets gepredigt? Bleib Rüpeln gegenüber standhaft, dann geben sie klein bei. In Wirklichkeit sind sie nämlich Feiglinge.

»Möchten Sie mir drohen, Mr. Wadey?« Fran gab sich alle Mühe, ihre Stimme stahlhart klingen zu lassen. »Ich zeichne nämlich alle meine Gespräche auf.« Das war eine Lüge, da es viel zu kostspielig gewesen wäre. Aber das brauchte der ja nicht zu wissen.

»Dann lecken Sie mich am Arsch, und ich hoffe, Ihre Scheißzeitung geht pleite, dann wissen Sie auch, wie das ist.« Er knallte den Hörer auf.

Fran schloss die Augen. Sie wusste, dass es richtig gewesen war, den Artikel zu drucken. Es war eine gute Geschichte gewesen, und »Wadey’s Busse« hatten ein Risiko für die Allgemeinheit dargestellt. Trotzdem war es ein scheußliches Gefühl, angebrüllt zu werden, und ein noch scheußlicheres, Menschen um ihren Arbeitsplatz zu bringen. In ihren Augen brannten Tränen. Gott sei Dank war keiner der Reporter in der Nähe.

Fran spürte eine Hand auf ihrer Schulter und zuckte zusammen.

»Du hast dich wacker geschlagen. Dafür sind wir doch da, Fran. Vergiss das nicht. Es hätte jemanden das Leben kosten können.« Fran war so in ihren Gefühlen gefangen gewesen, dass sie ihren Vater gar nicht hatte kommen hören. »Na komm, momentan ist kein Redaktionsschluss. Wie wäre es da mit dem Essen beim Inder, das du mir versprochen hast?«

Fran griff dankbar über die Ablenkung nach ihrer Jacke. Sie musste hinaus in die Wintersonne und Woodburys saubere, kühle Luft spüren, die inzwischen noch erfrischender war, nachdem der Citizen erfolgreich für eine Umgehungsstraße gekämpft hatte. Das war auch ihre Leistung gewesen, und es hatte die Lebensqualität hier merklich verbessert, obwohl sie vermutete, dass darunter das eine oder andere Geschäft gelitten und sie verflucht hatte. Herrgott noch mal, sie würde tatsächlich noch unter einen Bus kommen, wie es der unangenehme Mr. Wadey angedroht hatte – aber nur, wenn sie sich nicht zusammenriss.

Immer wieder wurde Ralph gegrüßt, als sie die High Street entlanggingen, deren Fachwerkfassaden zwar Läden von »Boots« und »The Body Shop« beherbergten, die aber immer noch schön und erstaunlich unverdorben war.

Der Kellner bei »Bengal Bertie’s« war ein alter Freund von Ralph. Er brachte ihnen gar nicht erst die Speisekarte. Fran aß immer Hühnchen Dopiaza und Ralph das schärfste Currygericht, das es gab. Einmal war das Lamm Vindaloo so extrem gewürzt gewesen, dass der Koch mitsamt dem Küchenpersonal herausgekommen war und Ralph zugejubelt hatte, als er es wortlos verputzte. Der Kellner ließ es sich nicht nehmen, ihm hinterher ein Pint indisches Bier der Marke Kingfisher auszugeben.

»Ihr Vater«, erklärte der Kellner in einem Ausbruch politischer Unkorrektheit, »hätte Empire regieren sollen. Dann müssten wir nicht britische Dreckskerle rausschmeißen.«

»Dad«, begann Fran, die gewartet hatte, bis das Kulfi kam, bevor sie ein anderes Thema anschnitt, das ihr Kopfzerbrechen bereitete, »wenn der Express eine Gratiszeitung herausbringt, kommen schwere Zeiten auf uns zu. Wir haben jetzt schon zu kämpfen.«

»Ich weiß«, beruhigte Ralph sie, »aber wir schaffen es schon. Du bist eine großartige Chefredakteurin mit einem hervorragenden Instinkt dafür, was die Menschen bewegt. Guter Journalismus zählt immer.«

Fran lachte. Er schaffte es regelmäßig, sie aufzurichten. Wenn es nur noch einen Mann wie ihn gäbe. Nur leider wusste sie aus bitterer Erfahrung, dass dem nicht so war.

»Komm jetzt«, forderte Ralph sie auf. »Wenn ich dich noch länger aufhalte, frisst Stevie mich zum Frühstück.«

Und tatsächlich erwartete Stevie sie bei ihrer Rückkehr schon ungeduldig, während sie auf ihrem Schreibtisch lehnte und die zahlreichen Rufe um ihre Aufmerksamkeit um sie herum ignorierte. Für Stevie waren lärmende Redaktionen entspannender als Aromatherapie-Massagen.

»Wie geht’s, Stevie?« Ralph gab ihr einen Kuss auf die Wange und hielt ihre Hand einen winzigen Moment länger als üblich. Die strenge Stevie, die am liebsten identische Röcke und Blusen aus unattraktiven Synthetikfasern trug, die allesamt aussahen, als wären sie in einem lichtlosen Raum angezogen worden, und dazu vernünftige Treter mit dicken Strümpfen, errötete wie ein junges Mädchen auf ihrer ersten Party.

»Gut. Zumindest bis ich das hier gesehen habe.« Sie hielt ein Exemplar des Express in die Höhe.

Unfassbar und empörend für Fran, brachte ihr Konkurrenzblatt einen groß aufgemachten Artikel über Wadeys Busunternehmen, ihre Geschichte! Fran hatte soeben erst wegen dieser Reportage Beleidigungen und Beschimpfungen über sich ergehen lassen, und nun hatte der Express sie gestohlen.

»Diese frechen Mistkerle«, sagte Stevie, die, obwohl sie ebenso wütend war wie Fran, gelungenen Journalismus in jedem Fall zu schätzen wusste. »Sie haben einen dieser Todesfallen-Busse gemietet und ihn zur offiziellen Sicherheitsüberprüfung gebracht. Er ist in jedem einzelnen Punkt durchgefallen. Wadey wird verklagt werden, dass ihm Hören und Sehen vergeht. Warum sind wir nicht auf diese Idee gekommen?«

»Weil wir nicht so hinterhältig sind wie Jack Allen«, fauchte Francesca. »Wie kann er es wagen, unsere Geschichte zu klauen? Wahrscheinlich ist er deshalb gestern hier gewesen. Um mir zu gratulieren, so ein Märchen!«

»Aber du musst zugeben«, meinte Stevie und hielt die Zeitung mit der Schlagzeile DIESERBUSKANNTÖTEN in die Höhe, »dass es ein verdammt cleverer Schachzug ist.«

»Stevie«, begann Fran, nahm ihr das Blatt aus der Hand und warf es in den Papierkorb, »auf welcher Seite stehst du eigentlich? Du weißt genau, dass wir nicht Hunderte von Pfund hinauswerfen können, um einen dieser verdammten Busse zu mieten.«

Das würde sie Jack Allen nie verzeihen. Ja, sie würde ihn sogar auf der Stelle zur Schnecke machen, solange ihr Zorn noch loderte.

Stevie sah ihr hinterher, während Ralph die Zeitung aus dem Papierkorb nahm und ausbreitete. »Ein schlauer Kopf, der gute Jack, was? Da möchte ich gern die Fliege an der Wand sein, wenn Franny in sein Büro gerauscht kommt. Jemand, der es fertigbrächte, die beiden zur Arbeit in ein und derselben Zeitung zusammenzuspannen, hätte ein phänomenales Blatt.«

»Mhm«, stimmte Stevie zu, »außer dass die Funken zwischen ihnen wahrscheinlich das ganze Gebäude niederbrennen würden.«

Der jeweilige Sitz des Citizen und des Express, so schien es Fran, als sie vom einen Ende des lebhaften Städtchens zum anderen fuhr, brachte die Unterschiede zwischen den beiden Blättern auf den Punkt. Der Citizen hatte sein Domizil in der High Street, einer Top-Lage. Aber die Miete war in die Höhe geschossen, die Räumlichkeiten waren beengt, und Parkplätze gab es praktisch keine. Ein Vorzug war allerdings, dass man durch die Sprossenfenster das Dach der Kathedrale sehen konnte. Im Lauf der Jahre waren die Wasserspeier und Strebebogen für Fran alte Vertraute geworden. Ihr Lieblingswasserspeier hatte ein langes, kummervolles Gesicht und sah aus, als hätte er einen Dauerkater. Regenwasser rann unaufhörlich aus seinem Mund, ein vielsagender Kommentar zur Verrücktheit der modernen Menschen Dutzende von Metern unter ihm, die vor McDonald’s oder dem Multiplex-Kino Schlange standen. Fran nahm die beengten Bedingungen allerdings gern in Kauf, da die Redaktion im Zentrum der Geschehnisse lag.

Der Express dagegen residierte in einem schicken Bürogebäude in einem Industriegebiet, zwischen »21st Century Computers« und einem Elektronik-Großmarkt. Fran fand es gesichtslos und fade, auch wenn sie einen Fuhrpark hatten, in dem jeder Wagen mit dem Aufdruck Der Express – stets zuerst zur Stelle versehen war, was in Frans Augen sowieso nicht stimmte, dazu kühle Zierbrunnen auf jeder Etage sowie für jeden Mitarbeiter, der ein Auto hatte, einen eigenen Parkplatz.

Zu Frans großem Ärger war der Platz, der durch ein großes Schild mit der Aufschrift »Chefredakteur« gekennzeichnet war, gähnend leer. Falls Jack nicht zur Arbeit gejoggt oder geradelt war, war er nicht da. Die unerwartete Enttäuschung nahm ihr den Wind aus den Segeln, was – so sagte sie sich selbst – daher rührte, dass sie ganz auf eine Auseinandersetzung programmiert war. Sie versuchte, ihre Frustration zu verdrängen, indem sie sich im Außenspiegel die Lippen nachzog. Plötzlich ertönte hinter ihr ein durchdringendes Hupen, das sie vor Schreck veranlasste, von der Nase zum Ohr einen Strich zu ziehen, der an Picassos braune Periode – das war die nach der blauen – erinnerte.

»Du blockierst meinen Parkplatz«, brüllte Jack Allen fröhlich, als sie rückwärts herausfuhr. »Hübsche Kriegsbemalung. Ist das jetzt nach Body Piercing der letzte Schrei in Sachen Körperkunst?«

Fran fluchte. Irgendwie schaffte Jack Allen es regelmäßig, sie in ein schlechtes Licht zu rücken. Es war geradezu eine Kunst – falls man ein boshafter Mensch war. Sie griff nach einem Kleenex und stieg so aus dem Wagen, dass es – wie sie hoffte – anmutig und selbstsicher zugleich wirkte.

»Du Mistkerl«, begrüßte Fran ihn freundlich wie eine Klapperschlange. »Das war unsere Geschichte, und das wusstest du genau. Kein Wunder, dass du neulich so verlegen dreingesehen hast. Herumschleichen, um rauszukriegen, ob wir euch voraus sind. Also, ich glaube jedenfalls nicht an diese krampfhafte Fixierung auf den großen Knüller.«

Jack machte die Tür seines alten Saab Cabrios auf, eines Wagens, den er schon fuhr, seit Fran ihn kannte. »Ach, nicht? Dann hast du wohl jeglichen Biss verloren. Früher hättest du für eine Story einen Mord begangen. Oder zumindest einen halben Meter Oberschenkel zur Schau gestellt.«

Fran ignorierte ihn. »Zufällig bin ich der Ansicht, dass wir alle an einem Strang ziehen sollten, um das Leben in dieser Stadt angenehmer zu machen, und nicht miteinander darum konkurrieren, miese Geschäftemacher an den Pranger zu stellen.«

»Ach.« Er grinste provokant, so dass es Fran juckte, ihm eine Ohrfeige zu verpassen. »Dann bist du ja sicher damit einverstanden.« Er reichte ihr einen Brief. »Der Express und der Citizen sind beide unter den Kandidaten für die Wahl zur besten regionalen Wochenzeitung.«

»Dann hoffe ich nur, dass das bessere Blatt gewinnt«, sagte Fran zweideutig, als sich die Beifahrertür öffnete. Sie hatte gar nicht gesehen, dass er jemanden dabeihatte.

Noch dazu so jemanden …

Ein paar sehr lange Beine in einem sehr kurzen Rock, nicht wesentlich anders als jener, den Fran selbst einmal getragen hatte, schwang sich aus dem Wagen, gefolgt von einem überaus zierlichen Körper und einem atemberaubend hübschen Gesicht. Leicht schräg stehende dunkle Augen unter einem fransigen, jungenhaften Pony betrachteten Fran und machten ihr den verschmierten Lippenstift peinlich bewusst.

»Ich glaube, du hast Miriam Wolsey noch nicht kennengelernt«, sagte Jack, der galant wie immer keinen Finger gerührt hatte, um der jungen Dame die Tür aufzumachen. Allerdings erweckte Miriam ganz den Eindruck, als hielte sie Türaufmachen für eine ebenso krasse Beleidigung wie Hinterherpfeifen oder den Spruch »ein Hintern wie ein Brauereipferd«. Also war auch durchaus denkbar, dass Jack ganz ungewohnte Sensibilität an den Tag legte. »Miriam ist frisch von der Journalistenschule zu uns gestoßen.«

Damit war sie, so schätzte Fran, gerade mal zwanzig. Höchstens einundzwanzig. Zu jung für Jack. Aber sicher war Jack reif genug, um das einzusehen.

Miriam und Jack gingen auf das Gebäude zu, in dem der Express residierte. »Der Express gewinnt auf jeden Fall«, vernahm Fran Miriams Stimme über die asphaltierte Fläche. »Der Citizen ist doch nicht viel mehr als ein Gemeindeblatt, oder? Ich meine, du liebe Zeit, angeblich benutzen sie dort noch Schreibmaschinen.«

»Wenn du ihr jetzt zustimmst, bringe ich dich um, Jack Allen«, murmelte Fran unhörbar.

»Miriam, lassen Sie sich eines gesagt sein«, begann Jack, und ausnahmsweise verzieh ihm Fran diesmal den herablassenden Tonfall, »im Journalismus geht es nicht um Technik; es geht um Instinkt, darum, ein Gefühl dafür zu haben, was die Leser bewegt. Und das machen sie verdammt gut beim Citizen, wenn man bedenkt, dass ihre Redaktion nur aus einem Mann und einem Hund besteht.«

Fran knallte die Tür zu. Typisch für Jack, dass er ein Kompliment in eine Beleidigung verwandelte.

Wenn ich ein Hund bin, so schwor sich Fran, als sie aus dem Parkplatz herausfuhr und beschleunigte, dann komme ich vielleicht eines Tages und zerfleische dich.

Jack, der Miriam gepackt und sicherheitshalber auf den Gehsteig gezerrt hatte, als Fran den Motor aufheulen ließ, ließ sie wieder los. Wegen der Begegnung mit Fran würde er nun ein paar Minuten zu spät zu seiner Verabredung mit dem Vorstandsvorsitzenden, Murray Nelson, kommen, einem Mann, für den Pünktlichkeit Religion war. Verdammt! Manchmal beneidete er Francesca Tyler mehr, als sie ahnte. Wenigstens besaß sie die Freiheit, die Fehler zu machen, an die sie glaubte.

Murray Nelson saß bereits in dem kahlen, funktionellen Besprechungsraum, als Jack eintraf, eine Minute und dreiundvierzig Sekunden zu spät. Jack vermutete, dass Nelson jede einzelne Sekunde davon gezählt hatte.

Jack setzte sich. Er hatte sich angewöhnt, sich bei Murray Nelson nie zu entschuldigen und nie zu rechtfertigen. Dadurch wurde Jack dem Mann zwar nicht sympathischer, aber zumindest wahrte er seine Würde. Im Lauf von fünfzehn Jahren war Nelson vom Verkäufer von Sendezeit im Werbefernsehen zum Vorstandsvorsitzenden der gesamten Express-Gruppe aufgestiegen, die zwanzig Regionalzeitungen und ein Dutzend lokale Radiosender umfasste. Und das hatte er nicht geschafft, indem er immer lieb und nett war. Jack wurde allgemein als Nelsons einziger ernstzunehmender Rivale betrachtet, doch das war es nicht, was den älteren Mann ihm gegenüber so unduldsam machte. Was Nelson an Jack am meisten störte, war, dass jeder, angefangen vom Motorradboten übers Reinigungspersonal bis hin zum Drachen am Empfang, Jack mochte. Das fand Nelson unverzeihlich.

»Also«, begann Nelson und sah auf die Uhr, als würde er der Angelegenheit, die sie besprechen wollten, maximal fünfzehn Minuten einräumen. »Wegen der neuen Zeitung. Kann ich davon ausgehen, dass Sie bereit sind, die Leitung der Redaktion zu übernehmen?«

Jack hatte seit Tagen darüber nachgedacht. Er wusste so gut wie jeder andere, dass Woodbury zu klein war, um drei Zeitungen zu tragen. Eine von ihnen würde untergehen. Und weil er ohnehin unter Geldmangel litt und nicht von einer finanzkräftigen Gruppe gestützt wurde, würde das wahrscheinlich der Citizen sein. Andererseits war es aber in der gnadenlosen Welt des Konkurrenzkampfes Aufgabe eines Chefredakteurs, Mittel und Wege zu finden, sich dem Lauf der Zeit anzupassen und zu überleben. Ein Teil dessen, was Zeitungen so anziehend machte, war ja das Element des Risikos, sonst hätte man gleich Bankangestellter werden können. Wenn Francesca Tyler das nicht begriff, dann hatte sie es verdient, dass ihre Zeitung einging.

»Sicher.« Jack konnte ebenso direkt sein wie Nelson. »Unter zwei Bedingungen.«

»Ja? Und die wären?«

»Dass ich weiterhin Chefredakteur des Express bleibe.«

Nelson nickte. Das wäre eine Kostenersparnis. »Und?«

»Dass Sie mir ein Marketing-Budget zur Verfügung stellen, damit ich mit dem neuen Blatt Aufsehen erregen kann – ein paar Aktionen organisieren, die für Interesse sorgen. Wenn ich es schon mache, will ich es nicht mit halber Kraft angehen.«

Nelson grinste ihn vielsagend an. »Dass Sie irgendetwas mit halber Kraft angehen würden, sagt man Ihnen auch nicht unbedingt nach, Jack, soweit ich gehört habe.«

Jack ignorierte die Anspielung. »Ich bräuchte fünftausend.«

»Der arme alte Citizen. Er wird gar nicht wissen, wie ihm geschieht. Sie haben doch früher mal dort gearbeitet, oder, Jack? Sie wollen nicht zufällig eine alte Rechnung begleichen?«

»Natürlich nicht. Ich möchte nur der neuen Zeitung eine reelle Chance geben, Eindruck zu machen, weiter nichts.«

»Verstehen Sie mich nicht falsch, Jack. Ich bin durchaus für Konkurrenz, je unfairer, desto besser. Ich stehe hundertprozentig hinter Ihnen. Mir ist es egal, wenn der Citizen untergeht. Vielleicht könnte ich sogar den Titel aufkaufen. Aber was ist mit Francesca Tyler? Es heißt, sie sei sehr attraktiv.«

»Wenn Francesca die Konkurrenz nicht verkraftet, darf sie keine Zeitungsredaktion leiten.«

»Ist sie eine von dieser seltenen Spezies, eine Frau, die Sie abgewiesen hat, Jack?«

»Es ist rein beruflich. Ich gehe eben gern Risiken ein.« Jack sah Nelson an, als wäre er eine besonders ekelhafte Art von Bazillus.

»Zum Glück machen Sie Ihre Arbeit verdammt gut, Allen.« Murray Nelson sprach leise und beinahe zärtlich. »Sie gehen gern an die Grenzen, sagt man, und dafür werden Sie bewundert. Aber wagen Sie sich nicht zu weit vor, das rate ich Ihnen.«

Jack war schon auf halbem Weg zur Tür, als Nelson wieder zu sprechen begann. »Wir kennen die Geschichte alle, wissen Sie. Wie man Ihnen den Spitzenjob in der Fleet Street angeboten hat, dann der Skandal über Sie ans Licht kam und das Angebot zurückgezogen wurde. Werden Sie also nicht zu übermütig, ja, Jack? Sonst enden Sie noch bei einem Schundblatt.«

Jack würdigte ihn keiner Antwort. Nelson würde die Wahrheit sowieso nicht begreifen. Es war wesentlich komplizierter gewesen. Und viel unangenehmer. In Wirklichkeit war er es gewesen, der die Stelle abgelehnt hatte, nicht umgekehrt. Aber er würde den Teufel tun und sich gegenüber Murray Nelson rechtfertigen.

Seine Frau Carrie hatte ihn kurz zuvor verlassen und ihre Tochter Louise mitgenommen, aber Ben, sein wundervoller Sohn Ben, hatte sich dafür entschieden, bei seinem Vater zu bleiben. Wie hätte Jack ihn der großen Karriere in London und eines Jobs wegen sitzenlassen können, bei dem er seinen sieben Jahre alten Sohn nie zu Gesicht bekommen hätte? Also hatte er abgelehnt. Und mit Ben zusammenzuleben, ihn heranwachsen zu sehen und eine Beziehung zu ihm aufzubauen, wie sie nur wenige Väter je zu ihren Söhnen hatten, entschädigte ihn reichlich. Außerdem mochte er Woodbury und wollte dem Ort die bestmögliche Zeitung liefern.

»Danke.« Jacks Tonfall und Lächeln waren tödlich. »Ich werde mir Ihren Rat zu Herzen nehmen.«

Nach einer Besprechung in der Vorstandsetage die Redaktion zu betreten war für Jack wie Einkaufen auf einem überfüllten Straßenmarkt nach der kalten Anonymität eines Großmarkts am Ortsrand. Jeder schrie ihm etwas entgegen und wollte eine Stellungnahme hören, eine Entscheidung über eine Schlagzeile oder ein Okay zu einer Fotostrecke. Hier herrschten Lärm, Trubel und Hektik, vor allem, wenn der Redaktionsschluss nahte. Für Jack war es sein Zuhause.

Es war schon sechs Uhr vorbei, als die Leute anfingen, ihre Sachen zusammenzupacken. Jack wollte gerade seinen Computer abschalten, als ihm einfiel, dass er noch nach E-Mails sehen musste. Und tatsächlich fand sich, umrandet von einer poppigen Graphik, eine Nachricht von seinem Sohn. »Nicht vergessen«, besagte die elektronische Gedächtnisstütze, »Heute Abend ist Video-Abend.«

Seit er denken konnte, zelebrierten Jack und Ben an den Dienstagabenden ein eingespieltes Ritual, bei dem sie gemeinsam einen Videofilm anschauten und Pizza aßen. Zu Beginn war es Postmann Pat gewesen, jetzt eher Wenn der Postmann zweimal klingelt, doch der Ablauf blieb unverändert. Jack fühlte sich insgeheim geschmeichelt, dass sein cooler, fast erwachsener Sohn freiwillig mit ihm zu Hause blieb, wo er doch scheinbar unablässig angerufen wurde. Ja, sogar derart unablässig, dass Jack bereits erwogen hatte, ihm einen eigenen Anschluss legen zu lassen.

Das einzige Problem, so überlegte Jack, als er eine halbe Stunde später im Videoverleih die Regale durchstöberte, war, Filme zu finden, die sie alle beide sehen wollten. Ben stand auf die neuesten Horrorschocker, während Jacks Geschmack eher zu französischen Schwarzweiß-Filmen über Liebe und Verlust tendierte. Schließlich wählte er Nosferatu – den Original Vampirfilm in zittrigem Schwarzweiß. Die bedrohliche Atmosphäre, die von ihm ausging, beinhaltete für Jack alles, was ein Horrorfilm brauchte.

Da ein schwarzweißer Stummfilm mit Zwischentexten vielleicht ein bisschen zu egoistisch war, wollte er als Ergänzung noch etwas Moderneres heraussuchen.

»Was leihen sich denn Teenager zurzeit gern aus?«, fragte er das dicke Mädchen mit den Schweinsäuglein, das umringt von Liebesromanen hinter dem Tresen hockte. Sie besaß, so hatte Jack im Lauf der Zeit festgestellt, einen hervorragenden Geschmack und kannte sich bestens mit Filmen aus.

»Wie alt?«

»Vierzehn.«

»Je schauriger, desto besser.« Sie reichte ihm eine schwarze Hülle herüber, auf der neongrüner Schleim aus einem Schädel troff. »Keine Sorge. Es ist alles nur gestellt. Aber bitten Sie Ihren Sohn, dass er Sie ins Bett bringen soll, falls Sie hinterher Alpträume kriegen.«

Jack lachte. »Danke. Klingt toll. Aber Sie wissen ja immer das Richtige. Sie sollten Kritikerin werden.«

Das Mädchen strahlte, und die Augen in ihrem sonst unattraktiven Gesicht leuchteten. Sie freute sich auf die Dienstage, wenn Jack kam.

Als Jack mit den Pizzas mit extra viel Pilzen (wie Ben sie am liebsten mochte) nach Hause kam, waren diese schon abgekühlt. Doch Ben und er waren Meister an der Mikrowelle, und in null Komma nichts saßen sie vor dem Fernseher, wo der Vorspann zu Nosferatu begann.

Zu Jacks Enttäuschung mampfte Ben während der gesamten gruseligen und traurigen Geschichte über den ersten Kinovampir nahezu ohne jegliche Reaktion vor sich hin. Das Problem mit Jugendlichen war, so dachte Jack im Stillen, dass sie sich nur für plakative Gewalt im Stil von Quentin Tarantino interessierten. Von Filmgeschichte hatten sie keine Ahnung. »Na, was meinst du?«, traute er sich schließlich zu fragen. »Besser als irgendein konfektionierter Quatsch aus Hollywood?«

»Nicht schlecht«, räumte Ben ein und kniff die blassblauen Augen zusammen wie sein Vater, »ein geradezu klassisches Beispiel für den deutschen Expressionismus. Aber wo ist das andere Video, das ich in deiner Aktentasche gesehen habe?«

Jack gab nach und fragte sich, wann genau sein Sohn eigentlich gelernt hatte, ihn so komplett zu manipulieren.

»Und jetzt«, sagte Ben, während er das Video per Fernbedienung seine blutrünstige Handlung beginnen ließ und sich gemütlich zurücklehnte, »sagst du mir, was du von einem echt klassischen Horrorthriller hältst.«

Nachdem der letzte Schädel von Invasoren aus dem Weltall dezimiert worden war, die aus einem für Jack nicht ganz nachvollziehbaren Grund wie mittelalterliche Mönche aus dem vierzehnten Jahrhundert gekleidet waren, verkündete er, dass er nun schlafen ginge. In letzter Zeit ging er relativ oft vor Ben zu Bett, und er fragte sich, ob das auch in konventionellen Familien mit zwei Elternteilen vorkam. Aber heute Abend konnte er nicht mit der gewohnten Leichtigkeit einschlafen. Der Anblick der wütenden Francesca Tyler auf dem Parkplatz kam ihm wieder in den Sinn. War es unfair von ihm gewesen, eine Story weiterzuverfolgen, die der Citizen so unmissverständlich als sein Eigentum betrachtete? Ein bisschen schuldbewusst war er schon, aber in der Welt der Zeitungen war doch wohl alles erlaubt? Er grübelte weiter nach, bis ihm klar wurde, dass das Problem weniger mit unfairer Rivalität zwischen den zwei Blättern zu tun hatte, als vielmehr damit, dass der Chefredakteur des Express sich immer stärker zu seinem Gegenstück beim Citizen hingezogen fühlte. Ein Bild von Francesca, ihr glänzendes Haar von den gewohnten Spangen befreit, entstand vor seinen Augen. Unterbrochen wurde es von einem merkwürdig scharrenden Geräusch, gefolgt von einem leisen »Pst«. Er setzte sich auf. Was war da los? Er packte seinen Bademantel und schlich sich nach unten, während er auf einmal Angst um Ben bekam. Mit einem Ruck schaltete er das Licht in der Küche ein.

Ben kniete auf dem Fußboden, die Arme um einen Hund geschlungen, der eine unglückliche Mischung aus einem Bearded Collie und einem Hühnerhund zu sein schien. Um seinen schmuddeligen Hals war ein großes, rot-weiß getupftes Kutschertuch gebunden. Der Hund war auf jeden Fall extrem heruntergekommen.

»Ben«, begann sein Vater vorwurfsvoll, während vor seinem geistigen Auge Jahre voller Tierarztrechnungen, zerbissener Polstermöbel und Hundevaterschaftsklagen vorüberzogen, »wo kommt dieses Tier her?«

»Bitte lass mich ihn behalten«, flehte Ben. »Einer von diesen Pennern hat ihn angebunden am Marktplatz sitzenlassen, und er wäre sonst weggebracht und eingesperrt worden.«

Anstelle des hochgewachsenen Teenagers mit Discman und Rollerblades sah Jack lediglich einen traurigen Siebenjährigen vor sich, der, nachdem ihn seine Mutter verlassen hatte, zehnmal am Tag um ein Hündchen bettelte. Jack, der es bereits anstrengend genug fand, mit einem Beruf, einem Kind und einer Reihe finnischer Au-pair-Mädchen fertigzuwerden, hatte sich außerstande gesehen, auch nur ein Gramm mehr Verantwortung auf sich zu nehmen, und abgelehnt. Doch er hatte nicht mit den Schuldgefühlen gerechnet, die auf ihn lauerten und brutaler waren als jeder Kampfhund.

»Ist anzunehmen«, stöhnte Jack und kniete sich neben Ben. Auf der Stelle überschüttete ihn das Tier mit schlabbrigen, ekligen Küssen. »Namen hat er wohl keinen?«

»Doch. Er steht auf dem Anhänger an seinem Hals. Er heißt Wild Rover.«

»Wild Rover«, wiederholte Jack matt, »wie auch sonst?« Er schob den Hund beiseite und in Bens freudig ausgebreitete Arme. »Bei dem Namen bin ich nur froh, dass du derjenige bist, der dann im Park nach ihm rufen darf.«

Francesca ließ sich genüsslich in die Badewanne zurücksinken und überlegte, was sie heute Abend anziehen sollte. Sie war erstaunt gewesen, als Henrietta sie zu einem »kleinen Wohltätigkeitsessen zugunsten des Zentrums für Fruchtbarkeitsstörungen der Klinik« einlud. Fruchtbarkeitsstörungen standen normalerweise nicht auf Henriettas Liste der guten Zwecke, vor allem, wenn es nicht um unfruchtbare Prominente ging. Henriettas Spendenaufrufe ergingen normalerweise zugunsten notleidender Lloyd’s-Syndikalisten oder der »Gertrude-Jekyll-Gesellschaft« für arthritische Gärtnerinnen. Als sie ein Erdbeerkuchenessen für den Restaurationsfonds der Kirche veranstaltete, musste Fran ihr erklären, dass es nichts damit zu tun hatte, wieder das alte Gebetbuch anstelle der grässlichen modernen Liturgie einzusetzen, sondern lediglich darum ging, das Dach neu zu decken.