Seasons in Truffle Falls - Frühlingsknistern - Lilly Autumn - E-Book

Seasons in Truffle Falls - Frühlingsknistern E-Book

Lilly Autumn

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Beschreibung

Vertraue nie einem Fremden. Selbst, wenn du glaubst, er wäre deine Rettung – denn er könnte dein Untergang sein. Violet braucht dringend eine Lösung, um die Konditorei ihrer Familie vor dem Ruin zu retten. Als ein Fremder im Laden auftaucht und bereit ist, für wenig Geld für sie zu arbeiten, glaubt Violet an ein wahr gewordenes Wunder. Allerdings entpuppt Hudson sich als jemand, der gern das Kommando übernimmt. Immer wieder stellt er Violets Autorität infrage. Violet ist kurz davor, ihn zu feuern, da entlädt sich die knisternde Anspannung in innigen Küssen und verändert ihre Welt. Doch Hudson ist nicht der, der er vorgibt zu sein, und kämpft gegen seine Gefühle für Violet an. Denn sein eigentliches Ziel ist: Violets Konditorei in seinen Besitz zu bringen. Teil der "Seasons in Truffle Falls" Kleinstadt Reihe. Jeder Band ist unabhängig von einander lesbar. Gleich loslegen und eine Cozy Romance mit knisternden Gefühlen, Strangers to Lovers Trope und Opposits attract lesen.

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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SEASONS IN TRUFFLE FALLS

FRÜHLINGSKNISTERN

SEASONS IN TRUFFLE FALLS

BUCH ZWEI

LILLY AUTUMN

Copyright © 2024 by Lilly Autumn

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

65817 Eppstein

www.lillyautumn.at

[email protected]

Umschlaggestaltung: Nina Hirschlehner

Lektorat&Korrektorat: Diana Steigerwald

Satz: Bettina Pfeiffer

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Für die, die ihren wahren Wert noch erkennen müssen.

INHALT

Prolog

1. Violet

2. Hudson

3. Violet

4. Hudson

5. Violet

6. Hudson

7. Violet

8. Hudson

9. Hudson

10. Violet

11. Hudson

12. Hudson

13. Violet

14. Hudson

15. Violet

16. Hudson

17. Violet

18. Hudson

19. Violet

20. Hudson

21. Violet

22. Hudson

23. Violet

24. Hudson

25. Violet

26. Violet

27. Hudson

28. Violet

29. Violet

30. Hudson

31. Violet

32. Hudson

Epilog - Tessa

Danksagung

Hol Dir gleich Band 3

Kennst Du schon die kostenlose Novelle rund um Mrs Everdeen?

So geht es in Band 3 weiter …

In dieser Reihe erschienen …

Über den Autor

Weitere Bücher

PROLOG

Kichernd schritt sie auf den Spielplatz zu, in den Händen eine Box mit Zimtschnecke mit extradickem Zuckerguss. So hatten sie es ausgemacht und sie stand zu ihrem Wort. Besonders, wenn sie damit dem Jungen eine Freude machen konnte, der ihr Herz zum Hüpfen brachte. Sie war erst zehn, aber sie wusste, dass sie einmal heiraten und viele Kinder haben wollte. Am liebsten mit dem Jungen, der seit zwei Jahren im Klassenraum neben ihr saß. Und der endlich verstanden hatte, dass sie in ihn verliebt war.

Lässig lehnte er am Klettergerüst. Er war groß für sein Alter und der Schwarm vieler Mädchen. Aber er hatte sich für sie entschieden. Der Gedanke ließ ihr Herz einen Salto schlagen.

»Hallo!«, rief sie laut.

Er schmunzelte. »Hallo. Hast du die Zimtschnecken mit, meine Schnecke?«

Sie kicherte noch einmal. »Natürlich, wie versprochen.«

Breit grinsend reichte sie ihm die mintgrüne Box, die er sofort nahm. Er hatte sie auf dem Schulhof darum gebeten und ihr versprochen, im Gegenzug ihre Hand zu halten. Vielleicht sogar mehr. Sie freute sich darauf, endlich zu sagen, sie hätte einen Freund.

Insgeheim beneidete sie ihre beiden älteren Schwestern, deren beste Freunde ihnen immer zur Seite standen. Sie hatte sich das für sich auch lange gewünscht. Nun war es so weit.

Nachdem er die Box geöffnet, genickt und sie wieder geschlossen hatte, wippte sie auf den Fußballen vor und zurück.

»Alsoooo, ich habe dir die Zimtschnecken gebracht«, wisperte sie.

Er runzelte die Stirn. »Oh«, machte er und grinste. »Klar. Wir hatten einen Deal. Dann schließ mal die Augen.«

Alles in ihr kribbelte. Er würde sie jetzt küssen, oder? Sie hatte schon gesehen, wie Jungs Mädchen küssten. Immer hielten sie die Augen dabei geschlossen.

Schnell kniff sie die Lider fest zusammen, hob das Kinn und befeuchtete ihre Lippen. Oder war das eine schlechte Idee gewesen? Nein, oder?

Vor Aufregung konnte sie kaum noch atmen, wartete … und wartete … aber nichts geschah.

Blinzelnd öffnete sie die Augen. Der Junge war fort, mitsamt der Zimtschnecken.

Keuchend sah sie sich um und erstarrte, als sie ihn entdeckte. Ihn und ein Mädchen aus ihrer Klasse mit langen, blonden Haaren und schicken Schleifen darin. Er reichte ihm eine Zimtschnecke und sie beide lachten. Dann bekam dieses Mädchen den Kuss und nicht sie.

Tränen brannten in ihren Augen. So schnell sie konnte, rannte sie davon. Ihre älteren Schwestern wären zu diesem Jungen gegangen und hätten ihn gefragt, wieso er sich so verhielt. Aber sie nicht. Sie … wollte die Antwort gar nicht kennen.

Ein Riss bildete sich in ihrem Herzen. Als könnte sie den Schmerz darin lindern, presste sie die Hände an ihre Brust und schwor sich, ab jetzt vorsichtiger zu sein, ihr Herz nicht mehr leichtfertig zu öffnen oder gar zu verschenken. Allerdings … brach sie den Schwur, wodurch der Riss so groß wurde, dass sie ihr Herz hinter einer dicken Schutzmauer verstecken musste.

1

VIOLET

Hastig ziehe ich die Kühlschranktür auf und halte meinen Kopf in die Kälte. Nur einen Moment. Ich brauche nur diesen einen Moment, sonst breche ich in Tränen aus. Vielleicht sollte ich den Wisch zwischen meinen Fingern in den Tiefkühler packen, damit ich ihn vergesse. Aber bei meinem Glück stoße ich bei der nächsten Gelegenheit darauf und werde daran erinnert, was ich bin. Eine Versagerin.

Meine Augen brennen so sehr wie meine Lunge, weil ich wieder einmal den Atem anhalte, um nicht zu weinen.

Vielleicht ist es besser, wenn ich es akzeptiere, sage ich mir immer wieder in Gedanken.

Solange mein Kopf im Kühlschrank ist, kann ich mir das einreden. Doch ich fürchte, sobald ich ihn rausziehe und mich in der Backstube umschaue, wird mir die Wahrheit bewusst. Natürlich ist es nicht besser, wenn ich es akzeptiere. Aber welche Wahl habe ich noch?

Mit einem tiefen Atemzug richte ich mich auf und schließe den Kühlschrank, der sicher älter ist als ich. Zögerlich lasse ich den Blick durch den Raum schweifen, in dem ich den Großteil meiner Kindheit verbracht habe. All die Geräte und Möbel waren schon damals da. Und sie waren schon damals alt.

Seufzend hebe ich die Hand mit dem zerknüllten Brief. Ich habe die Bank von Truffle Falls um einen Kredit gebeten. Nach sorgfältiger Prüfung – zumindest steht das auf dem Zettel – sind sie zu der Erkenntnis gekommen, dass ich nicht kreditwürdig bin. Ich, Violet Williams, in fünfter Generation Eigentümerin der beliebtesten Konditorei in Truffle Falls. Ja, wir sind die einzige in dieser Stadt. Das ändert aber nichts.

Mein Kopf wird zu schwer, um ihn hochzuhalten, also lasse ich ihn sinken und schluchze leise. Seit Neujahr bin ich für den Laden verantwortlich. Und ich habe meinen Eltern versprochen, dass ich das Ruder wieder herumreiße. Wie soll mir das gelingen, ohne das nötige Geld, um die alten Geräte auszutauschen und den Laden zu renovieren?

»Hallo? Jemand da?«, ruft eine weibliche Stimme aus dem Gastraum.

Schnell wische ich mir die Tränen aus den Augenwinkeln, schiebe den Brief in meine Schürze und setze mir ein Lächeln auf.

Ich trete hinter die Vitrine, die aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg stammen muss, und sehe die Kundin an, deren Haare bereits ergraut sind. Es handelt sich um eine Touristin. Das weiß ich, weil ich alle Einheimischen von Truffle Falls kenne. Diese Stadt ist klein, wir laufen einander nun einmal schnell über den Weg.

»Was kann ich für Sie tun?«, frage ich.

»Die nette Dame von nebenan meinte, Sie hätten die besten Kirschtartelettes der Welt«, erwidert die Frau.

»Oh, die Kirschherzen.« Ich lächle breiter und deute auf die Reihe mit den etwa handflächengroßen Gebäckstücken. »Ja, die sind tatsächlich die weltbesten. Ich stelle sie nach einem altbewährten Familienrezept her.«

Die Frau betrachtet die Herzen, die aus einem buttrigen Blätterteig bestehen, mit einem samtig-süßen Kirschragout gefüllt und mit rosa Zuckerguss und Herzstreuseln dekoriert sind. Auf ihren Lippen breitet sich ein Schmunzeln aus.

»Die sind so hübsch«, meint sie und sieht zu mir auf. »Ich hätte gern zwei.«

»Darf ich sie in eine Schachtel packen?«

Die Dame nickt, also hole ich die mintfarbene Schachtel der Konditorei heraus, schiebe zwei Herzen hinein und hebe den Kopf.

»Sonst noch einen Wunsch?«

Die Kundin verneint, bezahlt und nimmt die Box entgegen. Nachdem sie sich verabschiedet und den Laden verlassen hat, sinken meine Mundwinkel genauso wie meine Schultern herab.

Leider kann ich meiner Familie nicht erzählen, wie schlecht es um die Konditorei steht, die meine Ururgroßeltern gegründet haben. Auch wenn meine Eltern wissen, dass die Auftragslage schlechter ist als vor zwei Jahren. Das liegt an diesem verdammten Hans van de Kamp, der Zanes Chocolaterie beinahe ruiniert hätte und auch meiner Konditorei schadet. Seit Hans sein eigenes Geschäft mithilfe eines Marketingexperten bewirbt, geht er Kooperationen mit großen Ketten ein und hat es geschafft, dass die Ortschaften rund um Truffle Falls meine Konditorei kaum noch für Großaufträge buchen. Früher haben wir Veranstaltungen weit über die Grenzen der Stadt hinaus beliefert. Die Konditorei hat meine Familie nie reich gemacht, aber wir kamen gut über die Runden. Heute … steht mir das Wasser bis zum Hals.

Das behalte ich für mich, um meine Familie nicht zu enttäuschen. Es genügt, wenn ich selbst weiß, dass ich versage. Meine Schwester Holly scheint aber etwas zu ahnen, denn sie schafft es regelmäßig, mir Kundschaft der Chocolaterie herzuschicken, die sie gemeinsam mit Zane führt. Seit diese Stadt gegründet wurde, steht die Chocolaterie de Bruin neben der Konditorei Williams. Es tut mir im Herzen weh, dass die Konditorei vielleicht bald schließen wird. Früher oder später werden die uralten Geräte ihren Dienst versagen. Bisher konnte Dad sie immer wieder reparieren. Aber was mache ich, wenn der Ofen sich nicht mehr in Gang setzen lässt? Dann ist es aus.

Das Gewicht des Briefs in meiner Tasche zerrt an mir. Vielleicht kann ich mit der Bank verhandeln. Ich könnte die Summe niedriger ansetzen, um nur einen Ofen zu kaufen. Die Dinger kosten mittlerweile ein Vermögen, aber die Investition zahlt sich sicher aus. Eigentlich wollte ich alles auf einmal erneuern. Aber wenn es nicht anders geht …

Hoffnung keimt in mir auf. So werde ich es machen. Mit der Bank sprechen und die Kreditsumme reduzieren. Hah, ich bin doch keine Versagerin!

Beschwingt kehre ich in die Backstube zurück und überprüfe den Lagerbestand. Da klingelt die kleine Glocke der Eingangstür und ich haste hinaus, um die Kundschaft zu bedienen.

Seit ich den Laden leite, stehe ich allein im Geschäft. Ich suche zwar eine Aushilfe und Bewerbungen bekomme ich genug, nur leider wollen die Leute ein weit höheres Gehalt, als ich im Moment zahlen kann. Deswegen muss ich das Geschäft vorerst allein stemmen, zwischen Backstube und Verkaufsraum umherlaufen, noch früher als üblich aufstehen, um Gebäck und Kuchen zu produzieren, und länger bleiben zum Saubermachen. Das nagt an mir und ich weiß nicht, wie lange ich diese Belastung noch bewältige.

Ich seufze. Ein neuer Ofen wird mir zwar Sicherheit schenken, aber ohne größere Aufträge kann ich die Konditorei nicht ewig halten.

Ich schiebe die Gedanken von mir, bediene die Kunden und plaudere höflich mit ihnen. Es fällt mir immer schwerer, das Lächeln aufrechtzuerhalten, weil es so falsch ist, dass es schmerzt. Aber niemand soll ahnen, wie es in mir aussieht.

Während ich eine Mutter mit ihren zwei Kindern bediene, tritt Hazel ein. Diesmal ist mein Lächeln echt, auch wenn meine Schwester die Schultern tief hängen lässt und ihre Augen weniger strahlen als früher.

Eigentlich hätte Hazel kurz vor Weihnachten heiraten sollen. Aber sie hat herausgefunden, dass ihr Verlobter Mason – der Mistkerl – sie monatelang betrogen hat. Hazel hat fürchterlich gelitten, auch wenn sie es vor uns verbergen wollte. Umso mehr bewundere ich sie dafür, dass sie Zane vorgeschlagen hat, Holly an dem Tag zu heiraten, an dem Hazel und Mason es hätten tun sollen. Alles war vorbereitet und Holly sollte ihre Vergangenheit endlich hinter sich lassen und nach vorn schauen können. Hazel hingegen ist nur noch ein Schatten ihrer selbst.

»Hey.« Ich strahle meine Schwester an, nachdem ich mich von den Kunden verabschiedet habe. »Wie geht es dir?«

»So weit okay.« Hazel lächelt, doch es erreicht ihre Augen nicht. »Ich möchte etwas für eine kleine Firmenfeier bestellen.«

Schnell zücke ich Block und Stift. »Schieß los.«

»Wir brauchen drei Dutzend Cupcakes, verschiedene Sorten. Es muss eine vegane und eine glutenfreie geben.«

»Soll die vegane auch glutenfrei sein?«

»Ich glaube nicht, aber ich frage mal nach.«

»Irgendwelche Sorten, die ihr nicht wollt?«

»Nein, bloß der Wunsch nach Schokolade ist mehrmals gefallen. Wir brauchen also definitiv viel Schokolade.«

Ich schmunzle. »Kein Problem. Wann brauchst du sie?«

»Übermorgen.«

Die kleine Glocke läutet und ein Mann betritt den Laden. Er sieht sich um und in meinem Magen kribbelt es, als unsere Blicke sich treffen. Das helle Blau seiner Augen nimmt mich für einen Moment gefangen. Hastig sehe ich wieder Hazel an, die mir gerade erzählt, dass ihre Chefin Geburtstag hat und bald in Rente gehen wird.

Ich höre nur halbherzig zu, da mein Herz wild schlägt. Verstohlen mustere ich den Mann mit dem kantigen Gesicht und dem kaum erkennbaren blonden Bartschatten. Er lässt sich an einem der fünf Tische in der Konditorei nieder und nimmt die Karte in die Hand.

»Violet?« Hazels Hand landet auf meiner. »Alles okay?«

Räuspernd sehe ich meiner Schwester ins Gesicht. »Ja, ich bin nur etwas müde«, sage ich schnell.

»Viel zu tun?«

Ich nicke. »Ziemlich.«

Die Wahrheit ist, dass ich nicht übermäßig viel zu tun habe, aber alles doppelt so lange dauert, weil ich es allein schaffen muss. Meine Eltern haben mir zwar ihre Unterstützung angeboten, doch die beiden werden auch nicht jünger. Ich möchte, dass sie sich zurücklehnen und erholen können. Sie waren immer für uns da und jetzt will ich für sie da sein.

»Das ist doch gut.« Hazel schenkt mir ein Lächeln. »Violet Williams, ich bin stolz auf dich, weil du alles so gut meisterst. Du wirst diese Konditorei noch bekannter machen, als sie ohnehin schon ist.«

Meine Augen brennen wieder und ich spüre das Gewicht des Briefs in meiner Tasche noch stärker.

»Danke«, krächze ich.

»Du kommst doch heute zum Familienessen, oder? Bitte, sag ja, Violet. In letzter Zeit hast du öfter abgesagt, weil du so viel zu tun hast.«

Ich schlucke gegen den Kloß in meinem Hals an. »Na ja, es ist eben wirklich viel los und ich suche noch immer nach einer passenden Aushilfe. Außerdem turteln Holly und Zane die ganze Zeit. Was süß ist. Aber eben auch anstrengend.«

Hazels Lachen klingt gekünstelt. »Da hast du recht. Die beiden sind süß und anstrengend.« Sie drückt meine Hand. »Deswegen brauche ich dich als moralische Unterstützung.«

»Du hast doch Tessa und Noel.«

»Ja, aber ich möchte dich an meiner Seite. Du … verstehst, was in mir vorgeht.«

Ich weiß, was sie meint. Wir beide wurden von den Männern betrogen, denen wir unsere Herzen geschenkt hatten. Der Unterschied ist nur, dass ich nicht vorhatte, einen davon zu heiraten. Okay, vielleicht habe ich es mir insgeheim ausgemalt, aber im Gegensatz zu Hazel und Mason war ich nicht monatelang verlobt. Hazel war zudem die Einzige, die Will kennengelernt hat, weil er meine Familie nicht treffen wollte. Da hätte mir schon klar sein müssen, dass er es nicht ernst meinen kann.

»Ach, Violet.« Hazel seufzt tief. »Ich hätte nie gedacht, dass ich mit einunddreißig noch bei meinen Eltern wohne und einem Typen nachweine, der keine einzige Träne wert ist.«

Ich tätschle ihre Hand. »Du könntest zu mir ziehen. Mein Haus ist für mich allein viel zu groß.«

Meine Schwester schmunzelt. »Wir beide in einem Haus? Ich fürchte, wir würden recht bald zwanzig Katzen haben und Mrs Everdeen Konkurrenz machen, was Schrulligkeit betrifft.«

»Gegen Katzen ist nichts einzuwenden, die enttäuschen einen nicht.« Noch einmal drücke ich ihre Hand. »Überleg es dir. Mein Angebot steht.«

»Okay, ich lasse es mir durch den Kopf gehen. Danke.« Sie zieht ihre Hand zurück. »Ich muss wieder ins Büro. Komm bitte auf jeden Fall heute Abend.«

»Ich bemühe mich«, sage ich und ringe mir ein Lächeln ab.

Hazel wirft mir einen Blick zu, der deutlich zeigt, dass sie sauer wäre, wenn ich mich drücke. Kaum ist sie fort, atme ich geräuschvoll aus und lege den Kopf in den Nacken.

Ein Räuspern lässt mich zusammenfahren. Hastig sehe ich zu dem Tisch, an dem der Fremde sitzt. Wie konnte ich ihn nur vergessen? Mit einem gewinnenden Lächeln schnappe ich mir Block und Stift, ehe ich zu ihm schlendere.

»Entschuldigen Sie, dass Sie warten mussten«, sage ich und betrachte den Mann vor mir genauer.

Er hat die langen Beine ausgestreckt. Seine blonden Haare sind seitlich gescheitelt und ordentlich frisiert. Das karierte Hemd schmiegt sich an seinen Oberkörper. Er hat nicht die breiten Schultern eines Footballspielers, dennoch erahne ich, dass er trainiert ist. Seine Miene ist undurchdringlich, aber seine hellblauen Augen nehmen meine gefangen, als wollten sie mir ein verruchtes Angebot machen. Und, die Engel mögen mir beistehen, ich würde es annehmen. Dieser Kerl sieht zum Anbeißen aus. Genau deswegen sollte ich ihn nicht länger betrachten, sondern …

»Haben Sie etwas gefunden?«, frage ich und richte meinen Blick auf den leeren Block.

»Allerdings.« Seine Stimme klingt tief und rauchig. Innerlich schaudere ich, weil es sich anfühlt, als hätte er mich nur mit diesem einen Wort liebkost.

Verdammt, ich muss mich zusammenreißen. Das ist nicht der erste attraktive Mann, der diesen Laden betritt. Vielleicht der erste, der ihn allein betritt, aber deswegen muss sich mein Verstand nicht in eine Pfütze verwandeln.

»Okay, was kann ich Ihnen bringen?« Ich sehe auf und schenke ihm ein Lächeln, das er nicht erwidert.

Sein Blick gleitet über meine Schürze bis zu meinen Schuhen und wieder hoch in mein Gesicht. Immer noch ist seine Miene unlesbar und wirkt kühl. Zusehends verkrampft sich alles in mir. Wieso macht mich dieser Kerl so nervös?

»Sir?«, frage ich, weil er gefühlt fünf Minuten geschwiegen hat.

Tief atmet er ein. »Ich möchte einen Job.«

2

HUDSON

Mit strahlend hellgrünen Augen sieht sie mich einen Moment an.

»Einen Job?«, wispert sie schließlich.

Ich versuche mich an einem Lächeln und hoffe, es wirkt gewinnend und nicht abschreckend. Ich bin es gewohnt, das Sagen zu haben. Diese untergeordnete Rolle ist neu für mich und behagt mir kein bisschen. Aber da muss ich durch.

»Sie haben doch ein Schild am Schaufenster, dass Sie eine Aushilfe suchen«, erwidere ich ruhig.

Ihr Blick gleitet von meinem Gesicht über meinen Körper und wieder zurück. Langsam wandert eine Augenbraue höher.

»Sie wissen, was eine Aushilfe verdient?«, fragt sie.

Zögerlich nicke ich. Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung, aber es kann nicht viel sein. Und ich ahne, dass sie mir diese Frage stellt, weil ich nicht wie ein Student aussehe, der dieser Arbeit nebenbei nachgehen will. Oder weil meine Kleidung zu neu aussieht, als dass ich auf diesen Job angewiesen wäre. Vor meiner Ankunft hier habe ich mich zwar in einem Laden für günstige Kleidung eingedeckt, aber die Sachen sind eben neu – und kratzen fürchterlich.

Aber hey, ich wollte eine Auszeit. Drei Monate, in denen ich mit weniger Geld klarkommen muss und zu mir selbst finden kann. Dass ich ausgerechnet in Truffle Falls gelandet bin, ist kein Zufall. Es zeigt, dass ich nicht ganz aus meiner Haut kann.

»Haben Sie schon einmal in einer Konditorei als Aushilfe gearbeitet, Mr …«

Oh, verdammt, ich habe die Kardinalfrage vergessen und mir keinen neuen Namen ausgedacht. Hastig sehe ich mich im Raum um, entdecke ein Bild von einem Wald mit einem Kompass in der oberen rechten Ecke.

»Westwood.« Ich räuspere mich und vertiefe mein Lächeln. »Hudson Westwood.«

Mein Vorname ist hoffentlich kein Problem. Er kommt häufiger in den Staaten vor und in Kombination mit dem falschen Nachnamen sollte sie mich nicht über Suchmaschinen im Internet finden. Hätte ich ihr meinen richtigen Namen – Fox – genannt, würde sie bei einer Recherche ziemlich schnell auf Bilder und Berichte über mich stoßen. Und ich habe keine Lust, dass sie herausbekommt, wer ich bin. Wie gesagt, das soll meine Auszeit sein. In der ich dennoch für mein Unternehmen arbeite. Was das wohl über mich aussagt?

»Okay, Hudson«, nuschelt sie und lässt den Block sinken. »Ich kann Ihnen gerade mal den Mindestlohn ohne große Sozialleistungen anbieten. Der Job ist eher für Schüler gedacht, um sich etwas dazuzuverdienen.«

Einen Moment überlege ich zu verhandeln. Die meisten Arbeitgebenden behaupten, nur wenig bezahlen zu können, und nennen irgendwelche fadenscheinigen Gründe dafür. Die braucht diese Frau gar nicht. Ein Blick durch den Gastraum genügt, um zu wissen, dass das Lokal lange vor meiner Geburt zum letzten Mal renoviert wurde. Alles ist sauber, aber alt. Die Vitrine könnte bereits in einem Museum stehen, von den Tischen und Stühlen ganz zu schweigen. Reich wird diese Frau nicht mit ihrem Laden. Na, vielleicht ist sie dadurch eher gewillt, ihn mir zu überlassen.

»Ich bin nicht anspruchsvoll«, sage ich.

»Das ist schön und gut, aber Sie können sich dadurch sicher nicht viel leisten.«

Ich hebe die Schultern. »Wenn es für eine Wohnung reicht …«

Geräuschvoll atmet sie ein. »Leben Sie denn in Truffle Falls? Ich habe Sie noch nie gesehen.«

Ja, das ist wohl der Nachteil einer Kleinstadt wie dieser. Alle kennen einander und ein Neuling wie ich fällt auf. Solange mich keiner enttarnt, ist aber alles gut. Und wer sollte das? Ich bin kein Filmstar und vermutlich für die wenigsten Leute hier interessant genug, um mich aktiv in Zeitschriften oder im Internet zu suchen.

»Ich möchte gern herziehen«, erkläre ich. »Ein wenig Ruhe finden.«

»Darf ich fragen, weswegen?«

Entweder ist sie ziemlich neugierig oder misstrauisch. Beides ist mir gerade unrecht. Jetzt muss eine überzeugende Geschichte her, damit sie es dabei belässt.

»Ich bin jahrelang mit dem Truck von der Ostküste an die Westküste und wieder retour gefahren«, antworte ich. »Man hat nicht viel von seinem Leben, wenn man fünfzig Wochen im Jahr auf der Straße verbringt.«

Ich habe keine Ahnung, ob es wirklich Menschen gibt, die solche Strecken regelmäßig mit dem Truck fahren oder wie viel Zeit sie tatsächlich auf der Straße verbringen. Aber da sie es wahrscheinlich auch nicht weiß, bin ich safe.

»Nach zehn Jahren habe ich gekündigt und möchte jetzt endlich an einem Ort ein richtiges Zuhause finden. Als ich Truffle Falls bei meiner Suche entdeckt habe, wurde ich neugierig. Und hier bin ich.«

Ein schwaches Lächeln zupft an ihren rosa geschminkten Lippen. Da sie schweigt, habe ich einen Moment, um sie zu mustern. Die mintfarbene Schürze ist sicher auch schon älter, die Farbe ist ziemlich ausgeblichen. Darunter trägt sie eine schwarze Stoffhose und einen weißen Rollkragenpullover. Ihre hellbraunen Haare hat sie zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden, die Augen betont sie nur mit etwas Wimperntusche. Ihr herzförmiges Gesicht besitzt eine niedliche Schönheit. Eine natürliche. Wenn sie lächelt, ist das deutlich zu erkennen.

»Und da suchen Sie sich gleich einen Job?«, fragt sie immer noch lächelnd.

Ich zucke mit den Schultern. »Na ja, irgendwann sind meine Geldreserven aufgebraucht. Also, denken Sie, ich kann mir mit dem Lohn, den Sie mir zahlen, eine Wohnung in Truffle Falls leisten?«

»Hm. Es gäbe da schon eine Möglichkeit. Über dem Laden befindet sich eine kleine Wohnung, die meine Familie für Gäste nutzt, die nicht im Haus meiner Eltern unterkommen können.«

Oh, das klingt hervorragend. Wenn ich direkt über dem Laden lebe, bieten sich mir einige Chancen, mich hier umzusehen.

»Darf ich sie besichtigen?«, frage ich und hoffe, es klingt beiläufig.

»Sicher.« Sie steckt den Block und den Stift in eine ihrer Taschen. Dann hält sie mir die Hand hin und lächelt so strahlend, dass mir einen Moment die Luft wegbleibt. »Ich bin übrigens Violet Williams, die Eigentümerin des Ladens.«

Ja, das habe ich mir schon gedacht. Obwohl ich mir eine Pause vom Job gönnen möchte, habe ich nämlich alles Wichtige über diese Konditorei recherchiert.

Langsam erhebe ich mich. Violets Augen werden größer, als ich direkt vor ihr stehe. Ihre Nasenflügel bewegen sich. Sie rührt sich nicht, sieht mich nur an.

»Die Wohnung?«, frage ich.

»Oh, ja, sicher.« Sie kichert und dreht sich um. »Folgen Sie mir.«

Violet führt mich durch die Tür, hinter der die Backstube liegt. Auf halbem Weg zwischen dem Gastraum und der Backstube befindet sich eine schmale Treppe, die Violet erklimmt.

»Es hat schon länger niemand mehr dort übernachtet«, sagt sie über die Schulter hinweg. »Eventuell ist es etwas staubig, aber sonst ist die Wohnung bezugsfertig. Sie könnten also gleich einziehen.«

Die Worte, dass ich auch bei ihr einziehen könnte, liegen mir auf der Zunge. Sie stammen von der Person, die ich sonst bin und die in Violet eine Beute für eine heiße Nacht sieht. Da sie aber keine Ahnung hat, wer ich bin, wird sie kaum so reagieren, wie die Frauen es sonst tun. Im Gegenteil, Violet könnte die Worte als Beleidigung auffassen und ich wäre bei ihr unten durch.

Aber wenn sie vor mir geht, ich den perfekten Blick auf ihren perfekt geformten Hintern habe, gehen die Hormone mit mir durch. Wenn ich den Job bekomme und Violet mir vertraut, kann ich ja versuchen, sie zu erobern. Immerhin habe ich nicht behauptet, in meiner Auszeit enthaltsam zu leben.

»So, da wären wir«, sagt sie, während sie die Tür öffnet. »Es gibt natürlich einen Schlüssel, ich muss ihn nur suchen.«

Kichernd tritt sie ein und bleibt mitten im Raum stehen. Ich folge ihr und sehe mich um.

Die gesamte Wohnung besteht aus einem Zimmer. Geschätzt hat es vierzig Quadratmeter. Ein breites Bett steht an einer Wand, ein alter Fernseher an einer anderen, davor ein kleiner Tisch und eine Couch. In der winzigen Küche, die aus drei schmalen Schränken und einer Arbeitsfläche darauf besteht und einen Zwei-Platten-Herd besitzt, gibt es einen runden Tisch mit zwei Stühlen. Ein Schrank neben dem Bett rundet alles ab. Ich schätze die Tür, die sich neben dem Fernseher befindet, führt ins Badezimmer, das vermutlich so groß wie eine Briefmarke ist. Luxus sieht anders aus. Ich hatte Wandschränke, die größer waren als diese Wohnung, aber ich werde schon drei Monate hier zurechtkommen.

»Bettwäsche kann ich Ihnen leihen«, sagt Violet. »Handtücher auch, das wäre kein Problem.« Sie sieht sich mit hochgezogenen Schultern um. »Und wie gesagt, ein wenig Staub wischen wäre sicher nötig.«

»Es funktioniert alles?«, frage ich. »Also Strom, Abfluss, Toilettenspülung?«

Violet betätigt einen Schalter und das Licht über dem Couchtisch geht an. »Ich prüfe es nicht regelmäßig, aber ja, es sollte alles funktionieren. Wenn nicht, kann ich es natürlich richten lassen.«

Sie schluckt geräuschvoll und ich ahne, warum. So leicht könnte sie es eben nicht richten lassen. Ich habe mir eine Kopie ihres Kreditantrags sowie sämtlicher Unterlagen, die sie dafür eingereicht hat, beschafft. Es steht schlecht um ihre Finanzen.

»Wäre die Wohnung Teil meines Gehalts oder müsste ich Miete bezahlen?«

»Oh, ich würde Sie hier kostenlos wohnen lassen. Dafür kann ich doch keine Miete fordern.«

Sie lächelt wieder und ihre hellgrünen Augen wirken unendlich warm.

Für einen Sekundenbruchteil bekomme ich ein schlechtes Gewissen, weil ich dieser Frau ihren Laden wegnehmen will. Schnell verdränge ich es. In Wahrheit tue ich ihr einen Gefallen, wenn ich ihr zeige, dass sie ohnehin keine Zukunft hat. Und vielleicht – nur vielleicht – helfe ich ihr sogar, danach wieder auf die Beine zu kommen. Manchmal bin ich skrupellos, aber ich kann auch großzügig sein.

»In Ordnung, dann akzeptiere ich«, sage ich.

»Okay. Ich würde eine Woche Probezeit vorschlagen – in der Sie natürlich bezahlt werden. Aber wenn es nicht passt für einen von uns, können wir das Dienstverhältnis dann schnell auflösen.«

»Oh, da wäre noch etwas.« Ich hoffe, es sieht verlegen aus, wie ich mir durch die Haare fahre. »Wäre es irgendwie möglich, dass Sie mich nicht anmelden, sondern … so beschäftigen?«

Sie blinzelt. »Wie bitte?«

Gut, ich brauche wieder eine Geschichte, damit sie darauf eingeht. »Wissen Sie, meine Familie war enttäuscht, dass ich den Job als Trucker aufgegeben habe«, sage ich so niedergeschlagen, wie ich kann. »Es kam zum Streit und ich möchte erst einmal Abstand halten. Deswegen … wäre es gut, wenn sie mich eine Weile nicht finden kann. Sonst mischt sie sich wieder in mein Leben ein.«

Vorhin habe ich das Gespräch mit dieser anderen Frau mitbekommen. Ich schätze, sie ist Violets Schwester – eine von drei. Familie scheint den Williams wichtig zu sein, aber so, wie ich das Gespräch wahrgenommen habe, versteht Violet, wie es sich anfühlt, wenn die Familie Druck macht. Also sollte sie auf die Story – die gar nicht so sehr von der Wahrheit abweicht – anspringen.

Sie beißt auf ihre Unterlippe und räuspert sich. »Ich würde sagen, lassen Sie uns die Probezeit abwarten. Wenn es passt, reden wir noch einmal darüber, ob ich Sie anmelde oder nicht.«

Bingo, es hat geklappt.

»Einverstanden, Ma’am.«

Ein Lächeln zupft an ihren Mundwinkeln. »Sagen Sie bitte nicht Ma’am zu mir, da komme ich mir so alt vor. Violet reicht.«

Ich neige den Kopf. »Gern, Violet.«

Schnell dränge ich den Impuls nieder, ihr zuzuzwinkern. Später. Ich kann später versuchen, sie für mich zu gewinnen. Gleichgültig ist sie mir gegenüber bestimmt nicht, immerhin gleitet ihr Blick ständig über mich und ihre Wangen färben sich dabei dunkler.

»Dann suche ich mal den Schlüssel für die Wohnung«, sagt sie.

»Darf ich schon mein Gepäck raufbringen? Mein Wagen steht vor der Tür.«

»Sicher, nur zu. Ich hole Ihnen noch Putzzeug.«

Bei der Vorstellung, dass ich hier selbst sauber mache, muss ich innerlich lachen. Nie hätte ich gedacht, dass ich mal einen Staubwedel schwingen würde. Aber ich kann Violet nicht bitten, für mich zu putzen. Das würde seltsam wirken, also muss ich da wohl durch. So viel zu tun gibt es auch gar nicht. Ja, ein paar Staubflocken liegen am Boden herum und ja, im Sonnenlicht, das durch die Fenster fällt, erkenne ich den Staub in der Luft. Das ist aber kein Grund, stundenlang zu putzen.

»Einverstanden«, sage ich, weil Violet mich ansieht, als würde sie auf eine Antwort warten.

Sie nickt, wendet sich dem Ausgang zu und schreitet die Treppe hinab. Ich folge ihr.

Während sie in einem kleinen Raum neben der Backstube verschwindet, gehe ich zu meinem Auto. Ich habe für diese Auszeit extra einen älteren Toyota Highlander gewählt. Damit würde ich in New York nie freiwillig fahren, aber hier passt der Wagen perfekt hin.

Ich habe nur wenig Gepäck, weil es nicht aussehen soll, als besäße ich jede Menge Geld. In den nächsten Wochen bin ich Hudson … ähm … Westwood. Genau. Ehemaliger Trucker und bodenständiger Mann.

Ich hieve den Koffer und die Reisetasche aus dem Wagen und schleppe beides in die Konditorei. Violet bedient gerade eine Familie mit drei Kindern, die aufgeregt auf die Süßigkeiten in der Vitrine deuten. Ich muss gestehen, das Zeug sieht richtig lecker aus. Bestimmt werden sie nach traditionellen Rezepten zubereitet. Ein wenig bedaure ich, dass dieser Laden schließen wird.

Als unsere Blicke sich treffen, nickt Violet mir mit einem schüchternen Lächeln zu. Ich kann es nicht erwarten, sie zu erobern, denn Violet ist sicher verdammt sinnlich im Bett.

Schnell vertreibe ich den Gedanken aus meinem Kopf. Erst muss ich ihr Vertrauen gewinnen, dann sehen wir weiter.

»Ich komme gleich nach«, flüstert sie mir zu, als ich hinter die Vitrine trete.

»Okay, danke.«

Ich schenke ihr ein Lächeln, das hoffentlich nicht zu gewagt ist. Violet ist vermutlich eher zurückhaltend Männern gegenüber. Ich darf sie also nicht zu offensiv behandeln.

In der Wohnung angekommen schließe ich die Tür, reiße dafür die Fenster auf und atme tief durch. Die Luft in diesem Städtchen ist so viel klarer, so erfrischend. Ganz anders als in New York.

Ja, die Auszeit wird mir guttun und meinem Großvater gleichzeitig beweisen, dass ich bereit bin, die Geschäfte zu übernehmen. Er schätzt mich falsch ein und das beweise ich ihm.

Schmunzelnd ziehe ich das Handy aus meiner Tasche und tippe eine Nachricht an meinen besten Freund seit Kindertagen. Nur er weiß, wo ich mich gerade aufhalte.

Der Adler ist gelandet.

Es dauert nicht lange, da antwortet Leslie. Und? Wie ist es?

Provinziell, wie erwartet.

Vielleicht kannst du deine Auszeit dann ja doch genießen.

Erst muss ich herausfinden, wie ich bekomme, was ich will.

Er schickt einen Lachsmiley. Immer auf der Jagd. So kenne ich dich. Dann tu, was du nicht lassen kannst. Melde dich, wenn du was brauchst.

Ich sende einen Daumen hoch und stecke das Handy weg. So wie ich das sehe, werde ich keine Hilfe brauchen. Ich schaue mir den Laden genau an, lerne Violet kennen und finde ihre Knackpunkte. Genau so, wie ich es immer mache. Was soll da schon schiefgehen?

3

VIOLET

Schon vor der Tür höre ich das Lachen meiner Familie und halte inne. Ich sollte nicht hier sein, bin im Moment die Regenwolke am strahlend blauen Himmel. Sosehr ich mich auch bemühe zu lächeln, es fällt mir mit jedem Tag schwerer. Der Brief heute hat sein Übriges getan. Nicht einmal kreditwürdig bin ich, obwohl ich das Konditoreigebäude als Sicherheit angeboten habe.

Mit einem tiefen Seufzen hole ich den Schlüssel aus der Manteltasche. Dabei fällt der Zettel heraus, auf dem Hudsons Telefonnummer steht. Ich habe ihn darum gebeten, nachdem ich ihm meine gab. Damit wir einander erreichen können, falls etwas sein sollte.

Dass ich ihm alles, was er mir erzählt hat, glauben darf, bezweifle ich. Deswegen habe ich ihm auch gesagt, in der Konditorei wären überall Überwachungskameras installiert. Ich weiß nicht, ob er mir das abgenommen hat, aber möglicherweise hält ihn das davon ab herumzuschleichen. Nicht, dass es viel gäbe, das er klauen könnte, aber … Verdammt, wieso habe ich ihm diese Wohnung angeboten? Ich sollte wirklich misstrauischer sein gegenüber fremden Menschen. Irgendwann wird mir mein Mitgefühl fürchterlich auf die Füße fallen.

Oh, halt, das ist es schon. Will hat mich – wie viele Männer vor ihm – ausgenutzt. Er hat sich bei mir einquartiert, keinen Cent zu den Kosten beigetragen, weil er sparen wollte für sein eigenes Geschäft. Kaum hatte er, was er wollte, war er weg. Er und der Fernseher, den ich für uns gekauft hatte. Ich bin nur froh, dass er aus Truffle Falls fortgezogen ist, sonst müsste ich sein falsches Lächeln ständig sehen. Will war auch so eine verlorene Seele, wie Hudson es zu sein scheint. Auf der Suche, von der eigenen Familie unverstanden, gut aussehend …

Bei der Erinnerung daran, wie Hudson mich gemustert hat, wie er meinen Hintern angeglotzt hat und dachte, das würde mir entgehen, steigt Hitze in mir auf. Eigentlich stehe ich nicht auf blonde Männer, aber Hudson hat eine Ausstrahlung, die mich magisch anzieht. Gefährlich. Der Kerl ist gefährlich für mich und mein Herz. Denn ich bin sicher, dass er nicht lange hier sein wird. Außerdem habe ich das Gefühl, er verheimlicht etwas.

Spaß könntest du trotzdem mit ihm haben, flüstert eine Stimme. Willst du bis zu deinem Tod enthaltsam leben? Mach doch einmal das, was die Männer immer mit dir gemacht haben. Nutz Hudson für deine Zwecke und dann lass ihn ziehen.

Schnell schüttle ich den Kopf. Zwar könnte ich mir vorstellen, unverbindlichen Sex zu haben. So keusch, wie meine Familie vielleicht denkt, bin ich nicht. Aber mit dem Vorsatz, einmal mit einem Kerl zu schlafen und ihn dann stehen zu lassen, komme ich nicht klar.

Dann mach eben eine längere Affäre daraus, säuselt die Stimme. Wenn Hudson ohnehin noch auf der Suche ist, gibt es so oder so ein Ablaufdatum für euch. Begeh bloß nicht den Fehler, Gefühle für ihn zu entwickeln, dann ist alles gut.

Ich würde der Stimme gern glauben, aber ich bezweifle, dass ich für so etwas geschaffen bin. Also schiebe ich sie von mir, so weit ich kann, stecke den Schlüssel ins Schloss und öffne die Tür.

Das Lachen wird lauter und herzlicher. Ich schlüpfe aus den Schuhen und dem Mantel, gehe durch den Windfang ins Innere und bleibe an der Wohnzimmertür stehen.

Holly jagt gerade unser Nesthäkchen Noel durch den Raum. Die beiden waren sich schon früher so nahe und sind herumgetollt. Jetzt wird er siebzehn, ist damit aber immer noch fünfzehn Jahre jünger als Holly und zwölf Jahre jünger als ich.

»Da ist Violet!«, ruft Noel, als Holly ihn beinahe erwischt.

Abrupt bleibt sie stehen und Noel entkommt ihr lachend.

»Violet!« Holly streckt die Arme in die Höhe und stürmt auf mich zu.

Im nächsten Moment umarmen wir uns und meine Schwester drückt mich an sich.

Endlich ist sie wieder in Truffle Falls, nachdem sie sich über zwei Jahre in New York verkrochen hat. Holly hat sich die Schuld am Tod ihres Ex-Freundes gegeben und wollte deswegen ihr Zuhause hinter sich lassen.

---ENDE DER LESEPROBE---