Secret Service - Carol Leonnig - E-Book

Secret Service E-Book

Carol Leonnig

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Beschreibung

Kann der Secret Service den US-Präsidenten noch schützen? Das erste Buch über den Secret Service überhaupt - Pulitzer-Preisträgerin Carol Leonnig erzählt die Geschichte des Geheimdienstes, der vor allem dafür bekannt ist, den Präsidenten der USA zu schützen. Ihre Recherchen lassen die Erfolge und Skandale des Secret Service in völlig neuem Licht erscheinen. Sie erzählt von stolzen Agenten, die sich in den Kugelhagel werfen, der auf Präsident Reagan niedergeht, aber auch vom großen Versagen bei dem Mord an John F. Kennedy. Davon, wie das Selbstverständnis, die Demokratie und den Präsidenten zu schützen, im Laufe der Zeit immer weiter erodiert, wie internes Fehlverhalten und Budgetkürzungen bewirken, dass der Secret Service seiner Aufgabe zunehmend nicht mehr gerecht wird. Unter Obama und Trump eskaliert die Situation hinter den Kulissen schließlich. Leonnigs Fazit: Heute ist der Dienst praktisch nicht mehr in der Lage, Joe Biden zu schützen, einen Präsidenten, der so schwerwiegende Drohungen erhält wie kaum ein Präsident vor ihm. Mithilfe von Top-Secret-Informationen gelingt es Leonnig, tief in die Arbeitsweise und das Selbstverständnis des Secret Service einzusteigen, der Geheimdienst, der wie kein zweiter in die dramatischen Momente der US-Geschichte verwickelt war.  - Die New York Times nannte das Buch "eine erschütternde Aneinanderreihung haarsträubender, bislang nicht bekannter Vorfälle" und einen "Weckruf". - Die Washington Post nannte es "unglaublich gründlich recherchiert, schonungslos". - "Ein alarmierender Blick auf jene, die den Präsidenten eigentlich schützen sollten. Das muss Konsequenzen haben." - The Guradian - "Echter, aufrichtiger Investigativjournalismus wie er sein sollte. Unglaublich gut." - The Wall Street Journal

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Seitenzahl: 1259

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Carol Leonnig

Secret Service

Die geheime Geschichte der Agenten, die den US-Präsidenten schützen sollen

Aus dem Englischen von Marlene Fleißig, Jens Hagestedt, Nikolaus Hansen, Hans-Peter Remmler und Thomas Stauder

Hoffmann und Campe

Für meinen Ehemann John und meine Töchter Elise und Molly

Hinweis der Autorin

Als ich im Jahr 2012 begann, über den Secret Service der Vereinigten Staaten zu berichten, steckte dieses einmalige Exekutivorgan im augenscheinlich peinlichsten Skandal seiner jüngeren Geschichte: Ein Dutzend Agenten und Beamte wurde beschuldigt, eine Reise des Präsidenten in einen Ferienort in Südamerika in eine Art Junggesellenabschied Marke Las Vegas verwandelt zu haben, Saufgelage und Prostituierte inbegriffen. Zu jener Zeit schockierte dieses Fehlverhalten das Land gerade deshalb, weil die Männer und Frauen des Secret Service so lange als Synonym für unermüdliche und selbstlose Wachsamkeit gegolten hatten, als verschworene Truppe von Patrioten, die zum Schutz von Amerikas Demokratie bereit sind, das eigene Leben zu opfern.

Doch je eingehender ich mich mit der Sache beschäftigte, desto mehr erfuhr ich über einen Skandal, der viel bedenklicher war als diese Eskapaden à la Mad Men: Diese lange Zeit hoch angesehene Behörde wurde ihrer vornehmsten Pflicht nicht gerecht – für die Sicherheit des Präsidenten zu sorgen. Agenten und Beamte wurden zu meinen Fremdenführern, verschafften mir Einblicke, die mir Schritt für Schritt zeigten, wie sich der Secret Service in einen Papiertiger verwandelte, geschwächt durch eine arrogante, von der praktischen Realität abgekoppelte Führung, aber auch durch chronische Unterfinanzierung und veraltete Technologie. Mit ihrer Hilfe beschloss ich, noch tiefer zu bohren; ich wollte herausfinden, wie es so weit kommen konnte, und ich wollte die zurückliegenden fünf Jahrzehnte des einst stolzen Secret Service aufzeichnen. Wie hatte er sich nach dem Attentat auf Präsident Kennedy berappelt, seine Sicherheitstruppe wieder so aufgebaut, dass er vom Rest der Welt beneidet wurde, und wie hatte später der allmähliche Abstieg begonnen, der seine Akteure an vorderster Front so sehr aufgebracht hatte?

Ein wichtiger Hinweis zu meinen Beweggründen: Einige Führer und Ehemalige des Secret Service haben gelobt, gegen meine Arbeit vorzugehen, haben behauptet, ich wollte ihre ehrwürdige Institution in ein schlechtes Licht rücken und ihre Defizite in den Mittelpunkt stellen. Dabei geht es mir, wenn ich von diesen unbequemen Wahrheiten berichte, gerade um die vorderste Front des Secret Service, um die Zukunft genau der Leute, die den Kopf hinhalten. Ich bin voller Ehrfurcht vor den Agenten und Beamten, die an einem Strang ziehen, um dieses so wichtige gemeinsame Ziel zu erreichen, und vor allem beeindruckt mich, was sie unter all dem Stress und dem Druck, der auf ihnen lastet, dennoch Tag für Tag leisten. Sie schuften immer weiter, oft genug ohne ein Wort des Dankes, ohne angemessene Unterstützung und ohne proaktive Strategie von oben. Ich schreibe, weil diese Menschen Besseres verdient haben.

Dieses Buch basiert auf Hunderten Stunden Interviews mit mehr als 180 Personen, darunter aktuelle und ehemalige Agenten, Beamte und Direktoren des Secret Service, Kabinettsmitglieder, Berater und hohe Regierungsbeamte unter acht früheren Präsidenten, Kongressabgeordnete und deren Mitarbeiter, sowie weitere Zeugen der hier beschriebenen Ereignisse. Ich sprach mit Personal des Secret Service, das in unmittelbarer Nähe des Präsidenten gearbeitet hatte und in entlegenen Außenposten, und mit ihren nicht minder engagierten Angehörigen. Die meisten Menschen, die bei meinen Recherchen kooperierten, erklärten sich bereit, ehrlich und freimütig zu sprechen unter der Bedingung, dass ihre Anonymität gewahrt bleibt, entweder um ihre Karriere zu schützen oder weil sie Vergeltung durch die Behörde und Ehemalige fürchteten, die es darauf anlegen, schlechte Nachrichten zurückzuhalten und den guten Namen der Behörde aufzupolieren. Viele teilten ihre Erfahrungen und Erlebnisse in Form von Hintergrundwissen und gestatteten mir, ihre Informationen zu nutzen, solange ich ihre Identität nicht preisgab und darauf verzichtete, ihnen bestimmte Details namentlich zuzuordnen.

Als objektive Journalistin sehe ich meine Aufgabe darin, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Hier ging es mir darum, eine Darstellung vorzulegen, die der vollen Wahrheit so nahekommt, wie ich es auf der Basis hartnäckiger Recherche und Berichterstattung herausfinden konnte. Szenen, von denen Sie in diesem Buch lesen werden, sind rekonstruiert aus Berichten erster Hand und, wo immer möglich, durch mehrere Quellen belegt. Sie sind außerdem untermauert durch meine Recherchen in internen Berichten und Memos der Regierung. Gewiss gibt es die Tendenz, Angaben anonymer Quellen als unzuverlässig abzutun. Viele der Menschen, die vertraulich mit mir redeten, unterwarfen sich jedoch auch einem rigorosen Faktencheck und stellten mir Notizen, Terminkalender und Korrespondenz aus der jeweiligen Zeit zur Verfügung, um ihre Darstellungen zu untermauern. Dialog kann nicht immer hundertprozentig exakt sein, aber die hier gemachten Angaben basieren auf der Erinnerung mehrerer Personen an die jeweiligen Ereignisse. In einigen wenigen Fällen waren unterschiedliche Quellen über wesentliche Aussagen und Darstellungen verschiedener Ansicht, und wo erforderlich, weise ich darauf hin – der Tatsache Rechnung tragend, dass sich ein Ereignis zwar nur auf eine Weise zugetragen haben kann, dass die Erinnerungen unterschiedlicher Zeitzeugen an dieses Ereignis aber dennoch unterschiedlich ausfallen können.

Dieses Buch ist das Nebenprodukt meiner Berichterstattung für die Washington Post. Einige der Episoden, von denen Sie in Secret Service lesen werden, nahmen ihren Anfang mit meinen Reportagen und Berichten für die Zeitung, oftmals mit Hilfe meiner klugen Kolleginnen und Kollegen. Die Mehrzahl der Szenen, Dialoge und Zitate sind jedoch meine Buchoriginale und basieren auf der umfassenden journalistischen Arbeit, die ich exklusiv für dieses Projekt durchführte.

Die historische Berichterstattung profitierte in erheblichem Maße von tagesaktuellen Nachrichten und Reportagen in der Washington Post und anderen öffentlichen Medien. Ich stützte mich auch auf eine Handvoll überzeugender Bücher zu bestimmten Zeitabschnitten, darunter auch manche Werke ehemaliger Agenten, die erkannt hatten, dass ihre Erfahrungen und Erlebnisse tatsächlich Stoff für die Geschichtsschreibung hergeben. Ich erwähne es selbstverständlich, wenn ich wichtige Informationen diesen Werken verdanke, entweder mit einem direkten Verweis im Text oder in den jeweiligen Anmerkungen.

Prolog

Am Abend des 30. März 1981 saß ein achtjähriger Junge in Norfolk, Virginia, gebannt vor dem Fernseher im elterlichen Wohnzimmer. An jenem Tag hatte John HinckleyHinckley jr., John W. jr. versucht, Ronald Reaganversuchte AttentateReagan, RonaldReagan, Ronaldversuchtes Attentat vor dem Washington Hilton zu erschießen. Aber als CBS News das Geschehen in einer Endlosschleife in Zeitlupe zeigte, richtete sich die Aufmerksamkeit des jungen Mannes nicht auf den Präsidenten. Sie galt dem Mann, der von der Seite plötzlich ins Bild trat.

Immer wieder beobachtete Hinckley jr. mit ungläubigem Staunen, wie sich dieser Mann mit dem kantigen Kinn in seinem hellgrauen Anzug in Richtung des Schützen wandte, zu Boden fiel und die Hände an den Bauch presste. Indem er sich in den Schuss warf, sagte der Fernsehjournalist, rettete Tim McCarthyMcCarthy, Timwahrscheinlich das Leben des Präsidenten. In diesem Moment wusste der junge Brad Gable (Name geändert) ganz genau, was er einmal werden wollte, wenn er groß war:

Er wollte Agent des Secret Service werden.

Heute, dreißig Jahre danach, hatte Gable diese Mission tatsächlich erfüllt. Er gehörte zum Counter AssaultCounter Assault Team (CAT) Team (CAT) im Secret Service. Innerhalb des Gesamtgefüges des Präsidentenschutzes kommt dem CAT die wohl gefährlichste Aufgabe zu. Den Secret Service verbinden die meisten mit der Vorstellung von Agenten in Anzug und Krawatte, die den Präsidenten beschützen und ihn in Sicherheit bringen, wenn Gefahr im Verzug ist. Die schwer bewaffnete CAT-Truppe hat eine andere Aufgabe: Sie muss so schnell wie möglich in Richtung einer Gefahrenquelle eilen – Gewehr- oder Pistolenfeuer, oder auch eine Explosion –, die eine Bedrohung für Leib und Leben des Präsidenten darstellen könnte, und versuchen, diese Gefahrenquelle zu neutralisieren. Das Credo des Counter Assault Team (CAT)Teams reflektiert die beiden einzig denkbaren Schicksale, die nach seiner Überzeugung jedem Angreifer blühen, der ihm begegnet: »Tod oder Verhaftung.«

Gable war stolz auf seine selbst gewählte Karriere. Er genoss den Respekt der Kollegen wegen seines Patriotismus und auch wegen seiner praxisbezogenen Detailversessenheit. Warum also hatte er, als er im Spätsommer 2012 in einem Restaurant in der Nähe von Fort Bragg, North Carolina, saß, plötzlich das Gefühl, sich übergeben zu müssen?

Gable und seine Agentenkollegen hatten ein Familienrestaurant besucht, zusammen mit Leuten aus der Delta-Force-Spezialeinheit, die das jährliche Training des CAT-TeamsCounter Assault Team (CAT) beaufsichtigten. Gables Truppe war fast eine Woche lang von diesen stahlharten Jungs von den Special Forces gedrillt worden, hatten Attentatsversuche und Blindattacken simuliert, um zu lernen, wie sie sich selbst und ihre Kameraden im Nahkampf schützen konnten.

Nach einem Dinner mit Spareribs, Steaks und Chicken Wings setzte sich Gable mit einem der namenlosen Helden von 9/11 auf ein paar Bier zum Small Talk zusammen. Er war Oberstabsfeldwebel bei der Delta Force – nennen wir ihn John. John war offen und ehrlich, geradeheraus, und genau das gefiel Gable an ihm. Und er hatte echte Kampferfahrung – zwei Wochen nach den Anschlägen vom 11. September war er beim Angriff auf das Gelände von Mullah Omar in Kandahar dabei gewesen, aber er prahlte nicht damit herum – und auch das trug ihm sofort Gables Vertrauen und Respekt ein.

Beim zweiten Bier traute sich Gable, John eine Frage zu stellen, die ihn schon lange beschäftigt hatte: »Nachdem Sie jetzt so viele Akteure und Agenten der Exekutive ausgebildet haben, was denken Sie über die generelle Einsatzfähigkeit des Secret Service?« Der Oberstabsfeldwebel druckste ein wenig herum, aber Gable ließ nicht locker.

»Ganz im Ernst, wie würden Sie uns einschätzen?«

»Sehen Sie«, meinte John schließlich, »ich habe Mitleid mit euch Jungs. Der Service hat euch hängen lassen. Einen echten Angriff werdet ihr niemals aufhalten können.«

Das war nicht die erhoffte Antwort, und als Gable sich anhören musste, wie John den Service wegen der veralteten Ausrüstung und der lückenhaften Ausbildung regelrecht zerpflückte, wurde ihm tatsächlich flau im Magen. Im tiefsten Innern war ihm durchaus klar, wie schlecht ausgerüstet und technologisch hinter dem Mond der Secret Service war, aber es derart deutlich aus dem Mund einer solchen Respektsperson zu vernehmen, machte es unmöglich, das Offensichtliche zu leugnen. Ihm kamen all die Gelegenheiten in den Sinn, bei denen er selbst erlebt hatte, wie der Service im entscheidenden Moment versagt hatte – zuletzt bei einer Reise nach Mumbai mit Präsident ObamaObama, BarackMumbai-Reise im Jahr 2010, bei der seine Einheit um ein Haar einen ernsten internationalen Zwischenfall heraufbeschworen hätte: Beinahe wäre dabei eine unbekannte bewaffnete Person erschossen worden, die sich hinterher als örtlicher Polizeibeamter herausstellte. Szenarien wie diese waren Generalproben für einen echten Anschlag auf den Präsidenten, und in seinen fünf Jahren beim CATCounter Assault Team (CAT) hatte er zu oft miterlebt, wie dem Service entscheidende Fehler unterliefen.

Gable sah sich mit einer brutalen Wahrheit konfrontiert: In zunehmendem Maße erfüllte der Secret Service seine Mission »Zero Fail«, bei der unter keinen Umständen etwas schiefgehen darf, auf der Grundlage nicht etwa von Können, Personal, Training oder Technologie, sondern schlicht auf der Basis von reinem Dusel. Wie lange würde es dauern, bis dieses Glück aufgebraucht war? Gable stand mit seiner Ansicht nicht allein da. Er kannte noch andere engagierte Agenten, die ein wachsendes Gefühl der Desillusionierung verspürten, vor allem hinsichtlich der Führungsebene der Agentur. Aus Furcht vor nachteiligen Folgen hatten sie jedoch geschwiegen. Aber irgendwann wurden die Risiken einfach zu groß.

 

Ich befasse mich seit 2012 mit dem Secret Service. Es begann mit der Berichterstattung über »HookergateHookergate (2012)«, ein Skandal, bei dem Agenten Prostituierte in ihre Hotelzimmer kommen ließen, während sie mit Vorbereitungen für Präsident ObamasObama, BarackCartagena-Reise Besuch im kolumbianischen Cartagena befasst waren – und der mir einen ersten Blick auf die grundlegenden institutionellen Probleme des Service vermittelte. In den Jahren seither jedoch haben mir zahlreiche Agenten ihre Zweifel offenbart, was die Fähigkeit der Institution anging, die Präsidenten, ihre Familien und andere wichtige Regierungsmitglieder zu beschützen. Sie beschreiben eine überlastete Organisation, die in neuen Missionen geradezu ertrinkt und von Sicherheitsrisiken bedroht ist, die auf ein fundamentales Misstrauen zwischen einfachen Agenten und der Leitungsebene zurückgehen.

Diese Agenten haben das Gesetz des Schweigens, das im Service galt, gebrochen zugunsten eines höheren Guts, deshalb haben sie Alarm geschlagen. Sie kamen zu mir in der Hoffnung, eine investigative Journalistin der Washington Post möge die Aufmerksamkeit auf ihre Bedenken lenken, die Führung der Agentur beschämen, die ihre Mitarbeiter im Regen stehen gelassen hatte, und helfen, das Schiff wieder auf Kurs zu bringen. Um ihre ganze Geschichte erzählen zu können, führte und studierte ich Hunderte von Interviews mit Agenten, Beamten, Direktoren, Abgeordneten, Präsidenten und ihrem jeweiligen Mitarbeiterstab. Ich arbeitete mich durch Tausende Dokumente, darunter Präsidentenarchive sowie interne Berichte des Secret Service, Ermittlungsakten und Sicherheitsüberprüfungen, die bisher noch nie öffentlich zugänglich waren. Was ich herausfand, war eine reichhaltige und komplexe Geschichte – über Mut und Käuflichkeit, über Heldentum und Inkompetenz –, eine Geschichte, vor der Amerika nicht die Augen verschließen kann und darf.

Dieses Buch ist keine geschichtswissenschaftliche Abhandlung. Meine Absicht liegt darin, den Fokus auf den Aufstieg und den ganz und gar vermeidbaren Niedergang des Secret Service über die letzten sechzig Jahre zu richten, von Kennedy bis Trump. Wir vergessen bisweilen, dass diese stolze, weitgehend unsichtbare Streitmacht zwischen dem Präsidenten und allen denkbaren Angreifern steht. Indem sie den Präsidenten schützt, schützt sie die Demokratie. Einst stand diese Institution einmal für Hingabe und Perfektion gegen alle Widerstände, heute jedoch findet sie sich in einem Zustand noch nie da gewesener Gefährdung wieder.

Auf den folgenden Seiten versuche ich, das Porträt einer Agentur zu zeichnen, die durch eine einmalige Kombination von Widersprüchen gekennzeichnet ist: eine sich ständig wandelnde und undurchschaubare Mission, gekoppelt mit unrealistischen Erwartungen an deren Erfüllung. Eine starre Verwaltungsstruktur, die die Disziplin fördert, zugleich aber auch Unmut und Rebellion hervorruft. Eine Organisation, deren Leistungsstandards weit höher und deren moralische und bestimmte persönliche Verhaltensstandards weit niedriger liegen als bei jeder anderen Bundesbehörde. Eine Streitmacht, deren Fußvolk oftmals ein normales Leben opfert und sich selbst bis zur Erschöpfung treibt, um eine nahezu unmögliche Mission zu erfüllen, und das sich sklavisch manchen Führern unterwirft, die nur aufs eigene Wohl bedacht und nicht in der Lage sind, die kühnen Entscheidungen zu treffen, die ihrer Truppe weiterhelfen könnten.

Mein Ziel ist es, einen Blick hinter die Kulissen einer Organisation zu ermöglichen, die einen niemals endenden Kampf an gleich mehreren Fronten zu führen hat: Sie will ihren Ruf verbessern, ihre Ressourcen aufrüsten und ihre Moral heben. Vielleicht liegt darin ja eine ultimative Ironie: Ich präsentiere Ihnen eine Behörde, die anscheinend nur zur Besserung fähig ist, wenn vorher etwas geschehen ist, das zu verhindern sie geschworen hat: eine Tragödie.

In den vergangenen sechs Jahrzehnten ist der Secret Service von dreihundert Agenten und einem Budget von fünf Millionen Dollar auf eine Größe von 7600 Agenten, Beamten und anderen Mitarbeitern und ein Budget von über 2,2 Milliarden Dollar gewachsen. Und auch seine Aufgaben sind gewachsen. Anstatt einen Führer des Landes zu schützen, hat die Agentur nun seine komplette Familie abzuschirmen, auch entfernte Verwandtschaft, viele seiner Untergebenen und sogar seine politischen Gegner. Sie ist nicht allein darauf fokussiert, die Kugel eines Attentäters abzuwehren, sie muss auch Drohnen fernhalten, die vielleicht Giftgas transportieren könnten, oder eine Cyberattacke, die die Energieversorgung des Landes ins Wanken bringen könnte, und jede Bedrohung eines ausverkauften Stadions beim Super Bowl. Eine solche Mission würde jede Organisation vor gewaltige Herausforderungen stellen. Aber der Service hat nicht bloß immer mehr Aufgaben zu schultern. Nach den Maßstäben der eigenen Mitarbeiter sind die Standards und die Kapazitäten der Agentur, ihren Kernaufgaben nachzukommen, immer weiter ins Trudeln geraten, was gleich mehrere entscheidende Fragen aufwirft:

Wie konnte sich der Secret Service von einer erstklassigen, hart arbeitenden Truppe von Patrioten, die nach der Ermordung von JFK gelobten, alles Notwendige zu tun, um künftige Präsidenten zu beschützen, zu einer Art Burschenschaftskultur herunterwirtschaften, geprägt von internen Querelen, Nachlässigkeit und Überalterung?

Wie wurde aus einer eingeschworenen Gemeinschaft, die mit Stolz auf ihr unparteiisches Credo »vom Volk gewählt, von uns beschützt« verweisen konnte, eine Organisation, die von Präsidenten feige als politische Waffe genutzt wird und das Gefühl hat, sich fügen zu müssen, um die Gunst der Herrschenden nicht zu verlieren?

Und wie konnte der Service von einer Institution, die die Phantasie eines achtjährigen Jungen in Norfolk, Virginia, zu beflügeln vermochte, zu einer Organisation verkommen, die die Leute gar nicht schnell genug einstellen kann, um all die Abgänge auszugleichen, und die zuletzt drei Jahre in Folge als der verhassteste Arbeitsplatz bei der Regierung auf Bundesebene gegolten hat?

Mein Buch zeichnet eine Chronik dieses Niedergangs nach – über Jahrzehnte, über Führungswechsel, über Ereignisse, die die Welt veränderten. Zwar musste die Agentur viele beschämende Fehlschläge hinnehmen, aber es darf auch nicht übersehen werden, dass seit John F. Kennedy, John F.TodKennedy unter ihrer Aufsicht zumindest kein Präsident mehr ermordet wurde. Viele engagierte Männer und Frauen, die an Seilabsperrungen stehen und Menschenmassen auf der Suche nach den leisesten Anzeichen für Gefahr unter die Lupe nehmen, wurden wiederholt auf die Probe gestellt, und zumindest gemessen an ihrem eigenen Pflichtgefühl haben sie ihrem Motto Ehre gemacht: »Worthy of Trust and Confidence« (Wir sind das Vertrauen wert) – und sie verdienten in der Tat das Vertrauen, das ihnen entgegengebracht wurde. Leider kann ihre Organisation einen potenziellen Attentäter nicht mit hartnäckiger Hingabe allein aufhalten.

Beim Schreiben dieses Buches wurde mir klar, dass der Verfall des Service schon seit Jahrzehnten voranschreitet, ich lernte aber auch die vielen Agenten hoch zu schätzen, die auf ihren Posten bleiben, trotz des Chaos und des planlosen Managements um sie herum. Tag für Tag trotzen diese Staatsdiener, die Eisenhower einst »Soldaten ohne Uniform« nannte, Kälte, Wind und Regen an den Pforten des Weißen Hauses und ertragen Stunden tödlicher Langeweile, wenn sie in Treppenhäusern von Kongresszentren oder Hotelkorridoren Wache schieben. Sie schwitzen ihre Hemden und Socken durch, wenn sie stundenlang bei einer Wahlkampfveranstaltung nach der anderen auf den Beinen bleiben müssen. Sie wahren über Stunden, oft über Tage, die Art von höchster Aufmerksamkeit, die einen normalen Menschen schon nach zehn Minuten an den Rand der Erschöpfung treiben würde.

Ich begann auch zu verstehen, wie der Secret Service aus jenem fundamentalen Spannungsfeld heraus geboren wurde, das im Kern von Amerikas Demokratie liegt: dem Spannungsfeld zwischen Symbolik und Sicherheit. Die Last auf ihren Schultern wurde für mich greifbar, als mir einige Agenten von ihrer Einführung in den Schutz des Präsidenten durch eine vorbildliche Führungspersönlichkeit im Personenschutz Präsident ClintonsClinton, Bill berichteten. Special Agent Larry CockellCockell, Larry hatte die Unterweisung damit begonnen, den neuen Agenten den Nachruf auf jenen Agenten zur Kenntnis zu bringen, der am Steuer von Präsident KennedysKennedy, John F.Attentat Limousine saß, als dieser ermordet wurde. Nach dem ersten Schuss hatte der Mann den Wagen zunächst abgebremst. Die ersten Zeilen der Todesanzeige beschrieben die Rolle des Agenten bei einer Tragödie, die den Rest seines Lebens prägen sollte.

»Ihr seid nun Teil einer Institution, die Verantwortung trägt für das Leben des Präsidenten und die Stabilität unserer Demokratie«, sagte CockellCockell, Larry nach der Erinnerung dieser Agenten. »So sieht Scheitern aus. Ich kann nur erfolgreich sein, wenn ihr erfolgreich seid. Wenn wir nicht alle an einem Strang ziehen, werden wir alle scheitern. Ich erwarte von euch die Fokussierung genau darauf, mit vollem Einsatz, unbedingter Verlässlichkeit und zu jedem Zeitpunkt, und wenn ihr der Ansicht seid, dass es etwas gibt, was dem im Wege stehen könnte, dann bitte ich euch, das Personenschutzkommando noch heute zu verlassen.«

Amerika möchte das Bild von Freiheit und Offenheit in die Welt senden, das Bild von einem »Land des Volkes«. Erst 1881, 16 Jahre nach der Ermordung LincolnsLincoln, Abraham und kurz nach derjenigen James GarfieldsGarfield, James, wies das Land jeden Gedanken an einen speziellen Sicherheitsdienst für den Präsidenten zurück, weil dies den Beigeschmack von »Monarchen« vermitteln könnte, die sich hinter einer Palastwache verschanzen. Trotz der damit verbundenen Risiken tricksten Bill ClintonClinton, Billohne PersonenschutzKennedy, John F.ohne Personenschutz und JFK ihre Personenschützer immer wieder aus, um näher an die begeisterten Fans heranzukommen. Letzterer entwischte in einer berühmten Episode einmal seinen Agenten, um an einem öffentlichen Strand in Kalifornien schwimmen zu gehen. Reagan, Ronaldversuchtes AttentatReagans Leute hatten einmal eine hitzige Debatte mit dem Service wegen des optischen Eindrucks, den der Einsatz von MetalldetektorenMetalldetektoren beim ersten öffentlichen Auftritt des Präsidenten nach dem Attentat hinterlassen würde. Sogar intern gerieten sich Agenten beinahe in die Haare wegen Themen wie der Frage, ob Langwaffen auf dem Dach des Weißen Hauses den Eindruck vermitteln würden, der Führer der freien Welt lebe auf einem militärischen Gelände.

Ein seltener Erfolg bei der Vereinigung dieser widerstreitenden Impulse stellte sich bei Barack ObamasObama, BarackSiegesansprache Siegesansprache am Abend des 4. November 2008 ein. Damals sahen über 71 Millionen Fernsehzuschauer zur besten Sendezeit eine fröhliche, fast spontane Veranstaltung im Grant Park zu Chicago zur Feier der Wahl des ersten schwarzen Präsidenten der Vereinigten Staaten. Unsichtbar für die Kameras war die Tatsache, dass der Luftraum zur Flugverbotszone erklärt worden war, und auch die beiden riesigen Scheiben schusssicheren Glases, die den gewählten Präsidenten vor potenziellen Heckenschützen abschirmten. In praktischer wie in symbolischer Weise vermittelte diese Szenerie alles, was man über die alltäglichen, ganz selbstverständlichen Erwartungen an den Service wissen muss.

Dieses Buch geht auch auf diese wohltuende Episode ein, aber die Geschichte, die das Buch erzählt, ist letztendlich eine viel persönlichere. Es geht darin um aktuelle und frühere Agenten, Beamte und Verwaltungspersonal in dieser verschwiegenen Bruderschaft, die sich entschlossen haben, ihre Geschichten mit mir zu teilen. Ich werde ihnen ewig dankbar sein, weil sie ihre Karriere aufs Spiel gesetzt haben – nicht bloß, weil sie verlockenden Tratsch über Präsidenten und ihre Familien ausplaudern wollten, sondern weil sie wissen, dass der Service defekt ist und dringender Reparaturen bedarf. Indem sie ihre Geschichte erzählen, hoffen sie, den Service, den sie lieben, zu neuem Leben zu erwecken. Sie verdienen es, dass sich der Staat zum Wiederaufbau ihrer Behörde öffentlich bekennt, um nicht in ständiger Angst vor dem Versagen leben zu müssen, ganz zu schweigen vom beständigen Risiko, persönlich Schaden zu nehmen.

Amerika, seine Präsidenten und seine Bürger, haben den Secret Service in der Vergangenheit als Selbstverständlichkeit betrachtet, nur zu oft mit tragischem Resultat.

Teil 1Die Tragödie, aus der ein neuer Secret Service erwuchs

Kennedy bis Nixon (1963 bis 1974)

Kapitel 1Schutz für Lancer

Win LawsonLawson, Win spürte an diesem besonderen Tag in Buffalo, wie seine Brust ein wenig breiter wurde, wie das Anspannen der Schultern seinen schlaksigen Körper noch ein wenig größer und aufrechter wirken ließ. Stolz. Ja, das durfte er sich sehr wohl eingestehen. Win LawsonLawson, Win, der schüchterne, schweigsame Krieger, empfand Stolz.

Der 34-Jährige war in einem Städtchen an den Ufern des Eriesees aufgewachsen, in dem es noch nicht einmal eine Ampel gab und von dem außerhalb von Upstate New York die wenigsten jemals gehört hatten: Portland, New York. Die Gemeinde, knapp hundert Kilometer südlich von Buffalo gelegen, war, wenn überhaupt, bekannt für ihre kühle Seeluft, Rebflächen und Apfelplantagen, und für Familien, die so winterfest waren wie die Früchte, die sie anbauten.

Lawson, WinLawson, Sohn einer Grundschullehrerin und eines örtlichen Bankangestellten, war im Sommer nach dem Abschluss der Highschool in Richtung College aufgebrochen. Er machte seinen Abschluss, heiratete die Schwester eines Freundes aus seiner Studentenverbindung und schloss sich zu Beginn des Koreakriegs einer geheimdienstlichen Abteilung der Army an.

Heute, zwölf Jahre später, an diesem Herbsttag im Jahr 1962, kehrte LawsonLawson, Win zurück in heimatliche Gefilde, allerdings in einer prestigeträchtigen neuen Rolle: Er war Agent beim Secret Service, und er hatte die Aufgabe, den Präsidenten der Vereinigten Staaten zu beschützen.

Fast zweihunderttausend Menschen drängten sich auf dem größten Platz im Zentrum von Buffalo und wollten einen Blick auf den berühmtesten Mann auf dem Planeten erhaschen, John Fitzgerald KennedyKennedy, John F.. Und Win LawsonLawson, Win stand neben ihm.

Kennedy kam am 14. Oktober 1962 nach Buffalo, am Tag der in der Stadt so beliebten polnischen Traditionsparade. Als er die Menschenmassen sah, die in acht Reihen hintereinander entlang der Route der Präsidentenlimousine Spalier standen, dachte sich LawsonLawson, Win: Ob polnisch oder nicht, heute ist ganz Upstate New York auf den Beinen, um den schicken neuen Präsidenten zu sehen.

LawsonLawson, Win und die sieben anderen Mitglieder der persönlichen Schutztruppe des Präsidenten hatten eine Aufgabe, die ihre volle Konzentration verlangte: KennedyKennedy, John F. von der ersten bis zur letzten Sekunde dieses Trips zu beschützen. Sie schirmten ihn ab, als er aus der Air Force One stieg, als er in seiner Limousine auf der letzten halben Meile der Parade dem Volk zuwinkte, und auch jetzt zum Schluss, als er sich an die riesige Menschenmenge wandte, im Herzen der Stadt – auf dem Niagara Square.

Diese Kerntruppe des Personenschutzkommandos erledigte eine einzigartige Bewachungsaufgabe, die größtenteils auf sensorischen Instinkten und angespannten Muskeln beruhte. Sobald »der Boss« – so titulierten sie den Präsidenten intern – die Bühne betrat, hielten die Bewacher Augen und Ohren offen, um in der Menschenmenge irgendwelche seltsamen Gestalten, ungewöhnlichen Bewegungen oder Leute mit den Händen in den Hosentaschen auszumachen. Kennedy, John F.Kontakt mit der ÖffentlichkeitWenn Kennedy Hände schüttelte, was er sehr gerne tat, flankierten ihn die Spezialagenten von beiden Seiten und behielten diese ausgestreckten Hände im Auge, immer auf der Suche nach potenziellen Gefahrenquellen. Ihre Pflicht: im Ernstfall den eigenen Körper zwischen den Präsidenten und eine Schusswaffe, ein Messer oder irgendwelche anderen Bedrohungen zu werfen.

LawsonLawson, Win stand am Sockel der Holzbühne vor der City Hall, wendete den Kopf von links nach rechts und suchte den Platz ab, ein menschliches Periskop, dessen Blick über zahllose Köpfe, Gesichter und Arme strich, aufmerksam für jedes Anzeichen von Gefahr.

Bei diesem Besuch hatte LawsonLawson, Win die zusätzliche Aufgabe, als Chef der Sicherheitsplanung des Secret Service zu dienen. Er war drei Tage zuvor eingetroffen, um die Sicherheit jedes einzelnen Schritts zu bewerten, den der Präsident bei dem Besuch tun würde, eine ausgeklügelte Choreographie, bekannt als »die Vorhut«. Er hatte entschieden, welche Straßen für die Wagenkolonne abgesperrt werden, wie nahe an der Straße die Schaulustigen stehen durften und welche Posten im Umkreis die örtliche Polizei und die Fahrer der Motorradeskorte beziehen sollten.

Aber LawsonsLawson, Win akribische Planung konnte an den Gesetzen der Physik nichts ändern: Er und seine Agentenkollegen waren letztendlich nicht mehr als winzige Punkte in den wuselnden Menschenmassen, die auf den Platz strömten.

Jubel kam auf, als KennedyKennedy, John F. der Menge versicherte, sie hätten Polen in ihren Herzen behalten, und als er sie aufforderte, dafür zu beten, das polnische Volk möge eines Tages frei von kommunistischer Herrschaft leben können.[1] »Und wie es in dem alten Lied heißt: ›Solange du lebst, lebt Polen‹«, fuhr Kennedy fort. Donnernder Applaus erfüllte den Platz. Kennedy lächelte, weil er so lange warten musste, bis er seine Rede fortsetzen konnte.

Kennedy, John F.Kennedy eroberte die Herzen und – wie seine politischen Mitstreiter hofften – die Wählerstimmen. Um den Demokraten zum Gewinn von Sitzen bei den Kongresswahlen im November zu verhelfen, wollte das Weiße Haus, dass möglichst viele Wähler den Präsidenten zu sehen bekommen. Insgeheim waren die Agenten des Secret Service nicht damit einverstanden, wie nahe KennedyKennedy, John F.Kontakt mit der Öffentlichkeit seinem Volk kommen wollte, aber sie hatten nicht die Macht, sich über seine Pläne hinwegzusetzen. Jedenfalls war den Agenten klar: Je länger die Route der Parade und je mehr Hände der Boss an den Seilabsperrungen schüttelte, desto größer war die Gefahr, dass etwas passiert.

So schwer auch zu glauben war, dass der Präsident des Schutzes vor den jubelnden Massen auf dem Niagara Square überhaupt bedurfte, mussten LawsonLawson, Win und die anderen Personenschützer doch zu jedem Zeitpunkt davon ausgehen, dass irgendwo im Gedränge ein Feind lauerte. KennedyKennedy, John F. mag ja gut aussehend, reich und umwerfend charmant gewesen sein, aber viele Menschen im Land verachteten ihn. Und einige wenige wollten ihn tot sehen.

Der 43-jährige Politiker war eine Bedrohung für den Status quo. Er war der erste Katholik im Präsidentenamt, ein Schock für eine ältere Generation, die in den Protestanten von jeher den Adel der Nation gesehen hatten. Viele Amerikaner waren auch zutiefst verunsichert, weil Kennedy darauf beharrte, dass Schwarze es verdienten, dieselben Schulen zu besuchen, dieselben Toiletten zu benutzen und in denselben Restaurants zu speisen wie Weiße.

Einige Wochen nach KennedysKennedy, John F. Wahlsieg 1960 lud Richard PavlickPavlick, Richard, ein pensionierter Postangestellter von 73 Jahren mit einer von psychischen Problemen und Tiraden gegen Katholiken geprägten Vorgeschichte, sieben Stangen Dynamit in den Kofferraum seines Buick. Er fuhr vom heimatlichen New Hampshire nach Palm Beach, wo sich der Präsident vor seiner Amtseinführung aufhielt. Pavlick, RichardPavlick wollte Kennedy in die Luft jagen, indem er dessen Fahrzeug rammte, wenn dieser zum Besuch des Gottesdienstes aufbrach, aber er ließ den Plan fallen, als er sah, dass Kennedy in Begleitung von Frau und Kindern unterwegs war. Die Polizei von Palm Beach nahm PavlickPavlick, Richard ein paar Tage später fest; sie hatten einen Tipp von einem besorgten Kollegen bekommen, der verschiedene Puzzleteile zu der Schlussfolgerung zusammengefügt hatte, dass PavlickPavlick, Richard hinter Kennedy her war.[2]

In KennedysKennedy, John F. ersten sechs Wochen im Amt gingen im Weißen Haus dreimal mehr Drohbriefe gegen den Präsidenten ein als durchschnittlich üblich. »Wir haben genug von den dreckigen schwarzen Katholiken«, hieß es in einem anonymen Brief mit Poststempel aus Los Angeles. »Die nächste Bombe ist für Sie, Mr. Kennedy, John F.MorddrohungenKennedy.«

Die für den Personenschutz des Präsidenten rund um das Weiße Haus zuständigen Agenten fürchteten insgeheim um Kennedys Sicherheit – und das nicht bloß deshalb, weil eine gewisse Paranoia zu ihrem Job gehörte. Für die Öffentlichkeit war Präsident KennedyKennedy, John F. ein eleganter und kluger Führer mit einer Bilderbuchfamilie. Insgeheim sahen Kennedys Secret-Service-Agenten in ihm einen Mann, der die Gefahr magisch anzog.

Kennedy drückte im Vergleich zu seinen Vorgängern unablässig aufs Tempo, und seine Personenschützer brachte er damit an den Rand der Erschöpfung. Er ging auch extrem fahrlässig mit seiner eigenen Sicherheit um. Sein Gebaren gab einigen seiner Bewacher ein ungutes Gefühl, andere machte es schlicht wütend. Die Personenschützer Kennedys mochten den neuen Präsidenten persönlich, aber aus professioneller Sicht war er ihr bislang schwierigster Fall.

Als KennedyKennedy, John F. mit seiner jungen Familie im Januar 1961 ins Weiße Haus einzog, war der Service so klein, dass er weniger wie eine Bundesbehörde wirkte, eher schon wie die Polizeitruppe einer harmlosen Kleinstadt. Der oberste Beamte des Service hieß tatsächlich auch noch »Chief«. Die Behörde hatte ein Budget von fünf Millionen Dollar und beschäftigte gerade einmal gut dreihundert Agenten, die meisten davon waren an irgendwelchen Außenstellen stationiert und über sämtliche fünfzig Bundesstaaten verteilt. Nur 34 Agenten waren für den Schutz des Weißen Hauses eingeteilt – der Teil der Truppe, der den PräsidentenKennedy, John F. zu beschützen hatte. Sie arbeiteten üblicherweise in Teams von sechs Leuten im Umfeld des Präsidenten, in Wechselschichten von acht Stunden.

Diese Agenten – allesamt Männer, die meisten stammten aus Arbeiterfamilien – waren im Schatten des Zweiten Weltkriegs aufgewachsen und verfügten über ein ausgeprägtes Pflichtgefühl gegenüber ihrem Land. Der typische Vertreter war ein athletischer, sittenstrenger College-Absolvent Ende zwanzig oder Anfang dreißig, im Militärdienst oder bei einer örtlichen Polizeiabteilung beschäftigt.

Neue Agenten wurden stets zuerst in eine Außenstelle geschickt, aber Kandidaten für den unmittelbaren Personenschutz wurden zur Probe innerhalb der ersten ein oder zwei Jahre ins Weiße Haus beordert. Der Service schloss einen Deal mit der Bundesregierung, um den quotierten Einstellungspool der Bundesstaaten zu umgehen und stattdessen jeden Agenten zu verpflichten, den der Chief haben wollte.[3] Im Rahmen dieser Vereinbarung musste der Secret Service diese relativ neuen und jungen Agenten innerhalb von zwei Jahren für den Personenschutz des Präsidenten abstellen, wenn der Service sie in dem Job halten wollte.

Die Agenten erhielten kein spezielles Training für den Personenschutz, sie lernten bei der Arbeit von erfahrenen Kollegen, worauf es ankam. »So lief das beim Secret Service. Sie führten dich in den Job ein und stellten dir einen guten Kollegen an die Seite«, sagte Tim McIntyreMcIntyre, Tim, ein ehemaliger Personenschützer KennedysKennedy, John F.. »Der Service teilte dich üblicherweise für eine bestimmte Aufgabe ein und erwartete, dass du entsprechend reagierst. Wenn du an verschiedenen Stellen eingesetzt wirst, konnte das überall sein, zum Beispiel auch in einem Auditorium. Sie haben keine Zeit, dir alles zu erklären. Sie spielen dir einfach den Ball zu und erwarten dann, dass du den Ball aufnimmst und losrennst.«

Die Arbeit eines Agenten, an einem festen Posten Wache zu schieben, war aufreibend – und zugleich langweilig. Aber an der Seite des leutseligen, höflich-eleganten KennedyKennedy, John F. zu arbeiten, verlieh dem Job ein besonderes Gütesiegel. Und anders als sein Vorgänger, der General, gab sich dieser Präsident wirklich Mühe, seine Agenten persönlich kennenzulernen, er grüßte sie mit Namen. Sein mondänes Leben, bei dem man auch regelmäßig Größen wie Frank SinatraSinatra, FrankMonroe, Marilyn, Marilyn Monroe und die Königin von England zu sehen bekam, ließ auch das Sicherheitsteam ein wenig an dem Glamour teilhaben. Die Agenten genossen es, in nächster Nähe des historischen Geschehens tätig zu sein.

»Ich fahre zur Ranch von LBJ, ich habe die Nachtschicht. Ich stehe unter einer dieser riesigen Eichen vor dem Anwesen. Und es ist zwei Uhr morgens, und es ist kalt.« LawsonLawson, Win verzog das Gesicht bei der Erinnerung an einen solchen Einsatz. »Du denkst dir, ›Was um alles in der Welt tue ich hier? Ich habe immerhin einen College-Abschluss, und jetzt stehe ich hier und schiebe Wache, mitten in der Nacht im Nirgendwo. Ich bin schon lange von zu Hause weg, es ist Weihnachtszeit‹, solche Sachen.

Und dann, vielleicht zwei Wochen später, bist du bei einer Veranstaltung, die zu besuchen du dir nie im Leben leisten könntest. Ich war in Cape Canaveral … für den ersten Start zum Mond. Ich war dabei, als sie in den Himmel stiegen«, sagte er. »Du denkst, ›Oh Mann, ich bin bloß ein Typ aus einem Kaff im Westen von New York, und jetzt schau mal, wo ich gerade dabei war.‹«

Auch die polnische Traditionsparade war einer dieser Tage für LawsonLawson, Win. Als die Parade vorbei war, sprang der Präsident der Vereinigten Staaten in seine offene Limousine und fuhr wieder weg aus Buffalo – keine besonderen Vorkommnisse.

Danach traf LawsonLawson, Win, wie vorher abgemacht, seine Eltern und seinen Bruder auf dem Parkplatz des Flugplatzes von Niagara Falls und brachte sie rasch an einer ausgewählten Stelle am Absperrzaun unter. Er wusste, dass der Präsident dort Hände schütteln würde, das berühmte Bad in der Menge, bevor er in sein Flugzeug nach Washington stieg. Kennedy, John F.Kontakt mit der ÖffentlichkeitKennedy liebte diesen Teil seiner Ausflüge in die Öffentlichkeit ganz besonders: der direkte Kontakt mit Wählern, die stundenlang gewartet hatten, um ihn persönlich zu begrüßen.

Als sich der Präsident LawsonsLawson, Win Familie näherte, stand er hinter der linken Schulter KennedysKennedy, John F. und nickte kurz seinen Eltern zu. LawsonsLawson, Win Schichtführer Floyd BoringBoring, Floyd hielt an ihrem Abschnitt der Absperrung kurz inne.

»Mr. President«, sagte BoringBoring, Floyd, »das ist die Familie von Agent LawsonLawson, Win.«

Zuvorkommend wie immer setzte der Präsident sein strahlendstes Lächeln auf, reichte LawsonsLawson, Win Bruder und Vater die Hand und dankte ihnen für den Dienst, den Win leistete. LawsonsLawson, Win Mutter hatte sich extra in Schale geworfen, trug Pillbox-Hut mit Blumendekoration in Pink und Lavendel, und streckte ihm entschlossenen Blicks die rechte Hand entgegen.

»Es tut mir leid, wie sehr wir Ihren Sohn mit Arbeit überhäufen«, sagte KennedyKennedy, John F.Kontakt mit der Öffentlichkeit und ergriff den blassen weißen Arm von LawsonsLawson, Win Mutter. Und dann das Markenzeichen KennedysKennedy, John F.: sein spontaner Humor. »Er scheint seine Arbeit gut zu machen, schließlich hat mich noch niemand erschossen«, meinte der Präsident staubtrocken.

 

Bizarrerweise hatten die Personenschützer Kennedys just an dem Tag in Buffalo eine überdeutliche Erinnerung an die Gefahren vor Augen, denen Präsidenten der Vereinigten Staaten bei ihren alltäglichen Ausflügen immer ausgesetzt sind. Das McKinley-Monument ragte in der Mitte des Platzes wie ein steinerner weißer Finger in die Höhe – Präsident KennedyKennedy, John F. blickte bei seiner Rede direkt in Richtung des Denkmals. Die Stadt hatte den marmornen Obelisken als eine Art Entschuldigung an William McKinleyAttentateMcKinley, WilliamMcKinley, William errichten lassen, den 25. Präsidenten, der im Jahr 1901 genau hier von einem arbeitslosen Einsiedler ermordet worden war. Sein Tod war der Grund, warum der moderne Secret Service eingerichtet wurde. Die Kugel eines Attentäters, abgefeuert am Anfang des 20. Jahrhunderts, hatte LawsonLawson, Win und seine Kollegen just auf die Posten gebracht, auf denen sie heute Dienst taten.

Leon CzolgoszCzolgosz, Leon, der Sohn polnischer Einwanderer, die sich in Detroit niedergelassen hatten, hatte den größten Teil seines Lebens in schrecklicher Armut verbracht. Seine Mutter starb, als er zehn Jahre alt war, und er hatte schon als Teenager in Glasfabriken und Stahlwerken gearbeitet. Mit 28 Jahren lagen wegen der Wirtschaftskrise von 1893 mehrere Jahre Arbeitslosigkeit hinter ihm. Von einer Atemwegserkrankung geplagt zog er auf die Farm seines Vaters und wurde dort immer isolierter und verbitterter wegen der – in seinen Augen – sozialen Ungerechtigkeit des kapitalistischen Systems in Amerika. Er las die Flugblätter sozialistischer und anarchistischer Gruppen, und er war überzeugt, die Regierung helfe reichen Geschäftsleuten und Unternehmern dabei, die unteren Klassen auszubeuten, und sie würde deren Verarmung ignorieren. Nachdem er eine Rede der berühmten amerikanischen Anarchistin Emma GoldmanGoldman, Emma in Cleveland im Mai 1901 gehört hatte, erfuhr er, dass einige Monate zuvor ein anderer Anarchist König Umberto I. von ItalienAttentateUmberto I. von ItalienUmberto I. von Italien erschossen hatte.[4] Dieses Verbrechen wurde zu seiner Inspiration. Der Attentäter erklärte, diese kühne Tat begangen haben zu müssen, um auf die Misere der kleinen Leute aufmerksam zu machen.

Im September 1901 fuhr CzolgoszCzolgosz, Leon nach Buffalo, stellte sich in eine Warteschlange und erschoss McKinleyAttentateMcKinley, WilliamMcKinley, William aus nächster Nähe auf der Weltausstellung von 1901.[5]

Kongressabgeordnete waren zu jener Zeit schockiert, wie leicht es dem Täter gefallen war, McKinleyMcKinley, William zu töten, und beklagten, das Land hätte nun, nach den Morden an LincolnAttentateLincoln, Abraham und GarfieldGarfield, JamesAttentateGarfield, James, innerhalb von 36 Jahren bereits drei Präsidenten durch Attentate verloren. Der Kongress beauftragte bald darauf den Secret Service, ein kleines bundesstaatliches Team der Exekutive, das damals in erster Linie für den Kampf gegen Geld- und Scheckfälscher zuständig war, von nun an den Schutz des Präsidenten zu übernehmen. Aber der Kongress bürdete dem Service diese Mission zusätzlich auf – auf die Schnelle und ohne durchdachte Strategie.

In einer ähnlich schludrigen und übereilten Reaktion war der Secret Service im Frühjahr 1865 ins Leben gerufen worden. Präsident LincolnLincoln, Abraham und sein Finanzminister waren noch immer dabei, sich von der dreisten Flucht des Pete McCartneyMcCartney, Pete, eines Geldfälschers in großem Stil, und dessen Rückkehr zu seinem lukrativen Verbrecherleben zu erholen. Der Bürgerkrieg war gerade erst überstanden, was Anlass zu großen Feierlichkeiten gab, aber die Geißel der GeldfälschereiGeldfälscherei, nach dem Bürgerkrieg destabilisierte auch weiterhin die fragile Wirtschaft des auf dem Weg der Erholung befindlichen Landes. Während des Krieges hatten die Bundesstaaten größtenteils ihr eigenes Papiergeld ausgegeben, ein unüberschaubarer Flickenteppich, der es Händlern und Banken schwer machte, bei den vielen Variationen auf dem Laufenden zu bleiben, und entsprechend einfach für Fälscher, ihre Produkte in die Wirtschaft zu schleusen. 1862 hatte das FinanzministeriumFinanzministerium begonnen, bundeseinheitliche Banknoten von 1 bis 1000 Dollar auszugeben. Diese hießen im Volksmund Greenbacks, wegen der grün bedruckten Rückseite der Geldscheine. Aber die Fälscher stellten sich zügig auf die Neuerung ein und kopierten sogleich das Siegel der Bundeswährung: Sie stellten kurzerhand ihre eigenen Druckplatten her. Experten des Bundes schätzten, dass im Jahr 1865 ein Drittel bis die Hälfte des im Umlauf befindlichen Papiergelds Falschgeld war.

Jahrelang war McCartneyMcCartney, Pete ein besonders tiefsitzender Stachel im Fleisch der US-Finanzbehörden gewesen. Er war ein intelligenter Mann der leisen Töne, der vielleicht auch die väterliche Farm in Illinois hätte erben können. Er nahm als Teenager aber lieber eine Arbeit bei einem Graveur namens William JohnsonJohnson, William an. Johnson war heimliches Oberhaupt eines GeldfälscherclansGeldfälscherei, nach dem Bürgerkrieg aus Lawrence im Bundesstaat Indiana. Und in Pete McCartneyMcCartney, Pete erkannte JohnsonJohnson, William ein Naturtalent. Der junge Mann hatte einen scharfen Blick für Details und Schattierungen, und er war auch ein begabter Zeichner und Drucker. Außerdem war er ein gut aussehender und freundlicher junger Mann. Ab den 1840er Jahren bildete JohnsonJohnson, WilliamMcCartneyMcCartney, Pete zu einem wahren Meisterfälscher aus.

Als der Bürgerkrieg begann, war McCartneyMcCartney, Pete ein reicher Mann, mit einer eigenen Fälscherbande in Indianapolis und einer unübertroffenen Fertigkeit, Blüten zu drucken. Er war entschlossen, die kriegsbedingte Inflation zu seinem Vorteil zu nutzen, als der schiere Umfang des in Umlauf befindlichen Geldes erwarten ließ, dass Händler seinen Fälschungen nur schwer auf die Schliche kommen würden. Er überschwemmte Indiana regelrecht mit falschen Zehn- und Zwanzigdollarnoten und behielt das sich immer weiter anhäufende Wechselgeld schön für sich. Im Sommer 1864 nahm man an, dass McCartneyMcCartney, Pete und seine Bande Greenback-Blüten im Wert von hunderttausend Dollar in Umlauf gebracht hatten, ein Betrag, der 1,5 Millionen Dollar in heutiger Kaufkraft entspricht.

Mit seiner Blütenwerkstatt hatte sich McCartneyMcCartney, Pete einen eindrucksvollen Spitznamen eingehandelt: Er war der »König der GeldfälscherGeldfälscherei, nach dem Bürgerkrieg«, aber er war natürlich auch zum Ziel der Strafverfolgungsbehörden geworden. Agenten des FinanzministeriumsFinanzministerium unter Führung eines bärbeißigen staatlichen Ermittlers und ehemaligen Kavallerieoffiziers namens William P. WoodWood, William P. verstärkten ihre Nachforschungen zu den Banden von JohnsonJohnson, William und McCartneyMcCartney, Pete. Wood leitete eine doppelte Durchsuchungsaktion, der im Sommer 1864McCartneyMcCartney, Pete im Postamt von Indianapolis ins Netz ging, Mitglieder der Johnson-Bande wurden in Lawrence festgenommen. Man schaffte die Gefangenen in einen Zug nach Washington, aber McCartneyMcCartney, Pete hatte andere Reisepläne. Nach Einbruch der Dunkelheit, als die Wachen gerade in eine andere Richtung schauten, rannte McCartneyMcCartney, Pete, noch immer mit Ketten an Armen und Beinen, davon und sprang von der hinteren Plattform des Zuges, während dieser mit rund 55 Stundenkilometern weitertuckerte. Wood, William P.Wood ließ den Zug anhalten und stellte einen Suchtrupp zusammen, aber die Agenten konnten den Gesuchten nicht finden.

Die Flucht führte zu peinlichen Schlagzeilen in der Presse und zu weiterem Murren innerhalb der Lincoln-Regierung wegen der fortbestehenden Gefahr, dass Dollarblüten das US-Finanzsystem aus den Angeln heben könnten. Präsident LincolnLincoln, Abraham verlangte alsbald nach einer Kommission, die das Problem in Angriff nehmen sollte.

Finanzminister Hugh McCullochMcCulloch, Hugh hatte eine Idee, wie man die Sache dauerhaft in Ordnung bringen könnte: durch Schaffung einer »regulären und permanenten Truppe, deren Aufgabe es wäre, diesen Fälschern das Handwerk zu legen«. Er schlug eine Spezialeinheit innerhalb des FinanzministeriumsFinanzministerium vor, die die Bösewichte finden, festnehmen und vor Gericht stellen sollte.

Aber LincolnLincoln, Abraham lebte nicht lange genug, um McCullochsMcCulloch, Hugh Idee in die Tat umzusetzen. Am Abend des 14. April 1865 besuchte LincolnLincoln, Abraham mit seiner Frau MaryLincoln, Mary das Theaterstück Our American Cousin im Ford’s Theatre im Zentrum von Washington. Der Präsident hatte schon vielfach TodesdrohungenMorddrohungen gegen PräsidentenLincoln, Abraham erhalten, und seine Helfer hatten ihn nach Jahren davon zu überzeugen vermocht, dass er einen Leibwächter brauchte. Ein Team von vier Polizisten, die man bei der örtlichen Polizeiabteilung ausgeliehen hatte, begleitete ihn abwechselnd auf seinen Reisen, bei denen er mit der Öffentlichkeit in Kontakt kam. Aber der an jenem Theaterabend diensthabende Polizist war der schwächste des Teams, bekannt dafür, dass er gerne einen über den Durst trank und bei der Arbeit einschlief. Er verließ den Korridor zur Präsidentenloge, um sich selbst das Stück anzusehen, dann schlenderte er über die Straße in den Star Saloon, um sich einen Schluck zu genehmigen. John Wilkes BoothBooth, John Wilkes, ein Schauspieler, der mit den Konföderierten sympathisierte und vom bevorstehenden Theaterbesuch des Präsidenten erfahren hatte, schlich sich in die Loge links von der Bühne, trat hinter LincolnAttentateLincoln, AbrahamLincoln, AbrahamAttentat und schoss ihm in den Kopf. Nach Sonnenaufgang am nächsten Morgen war der Präsident tot.

 

Über die Jahre entstand der Mythos, LincolnLincoln, Abraham hätte ein Gesetz zur Schaffung des Secret Service unterschrieben, und zwar bei einem Treffen mit McCullochMcCulloch, Hugh just am Morgen des Tages, an dem er von den Kugeln des Attentäters tödlich getroffen wurde. Die Geschichte ist natürlich reich an Ironie, allerdings ist sie auch zweifelhaft. Möglich ist jedoch, dass LincolnLincoln, Abraham die Idee grundsätzlich gebilligt hatte. Einige Historiker glauben, McCullochMcCulloch, Hugh hätte seinen Vorschlag zum Kampf gegen die Fälscher unterbreitet, als er sich mit LincolnLincoln, Abraham an jenem Nachmittag traf, und LincolnLincoln, Abraham solle positiv auf den Gedanken des Finanzministers reagiert und ihn grundsätzlich ermutigt haben, die Sache weiterzuverfolgen.[6] Andere bestreiten vehement, dass es ein derartiges Gespräch jemals gegeben hat.

Was auch immer jedoch LincolnLincoln, AbrahamAttentatAttentateLincoln, AbrahamLincoln, AbrahamMcCulloch, Hugh und McCulloch an jenem Nachmittag besprachen, das Land veränderte sich in dieser Nacht. Die Ermordung des Präsidenten im Ford’s Theatre führte zu einer massiven Verbrecherjagd durch Agenten, die den Killer zur Strecke bringen wollten. Das Attentat löste auch eine tiefergehende monatelange Untersuchung aus, die mögliche Mitverschwörer ausfindig machen sollte, wobei ein interessanter Detektiv eine zentrale Rolle spielte. William WoodWood, William P., der schlaksige, bärbeißige Ermittler des FinanzministeriumsFinanzministerium, der McCartneyMcCartney, Pete dingfest gemacht und dann wieder verloren hatte, wurde mit der Unterstützung bei der Untersuchung des LincolnLincoln, AbrahamAttentatAttentateLincoln, AbrahamLincoln, AbrahamWood, William P.-Attentats beauftragt. Wood hatte sich als gefeierter Kavallerieoffizier im Mexikanisch-Amerikanischen Krieg einen Namen gemacht, war danach ins FinanzministeriumFinanzministerium gewechselt und wurde zum Experten für die Jagd auf Geldfälscher. Er hatte einen gewissen Ruf als Schaumschläger, und er war auch bekannt für brutale Methoden, mit denen er Verdächtige dazu brachte, sich gegenseitig zu verpfeifen. Unter LincolnLincoln, Abraham wurde er zum Leiter des Old Capitol Prison ernannt, in dem Spione und Verräter der Konföderierten einsaßen und verhört wurden. Dennoch betraute das Finanzministerium WoodWood, William P. auch weiterhin mit investigativen Spezialaufträgen, wann immer es Bedarf hatte.[7]

Zwölf Tage nach den Schüssen fanden und erschossen Agenten des Kriegsministeriums John Wilkes BoothBooth, John Wilkes in einer Scheune in Port Royal, Virginia. Die Mission der staatlichen Agenten wandte sich danach einer neuen Frage zu, bei der WoodWood, William P. eine entscheidende Rolle spielen sollte: War die Tat BoothsBooth, John Wilkes möglicherweise Teil einer viel größeren Verschwörung der Konföderierten, vielleicht sogar unter der Regie von Jefferson DavisDavis, Jefferson, dem Präsidenten der Konföderierten Staaten von Amerika? Wood, William P.Wood schnappte und verhörte zuerst Dr. Samuel MuddMudd, Samuel, dann befragte er den Rest der mutmaßlichen Mitverschwörer in seiner Haftanstalt. Im Juni desselben Jahres wurden vier von ihnen zum Tod verurteilt.

Am 5. Juli 1865 wurde WoodWood, William P. als erster Chief der Secret Service Division des FinanzministeriumsFinanzministerium von Minister McCullochMcCulloch, Hugh vereidigt. Zehn weitere Männer – die sogenannten Operatives – schlossen sich seinem Team an und erklärten sich bereit, ihre Arbeitszeit in beliebigem Umfang für die Aufgabe zur Verfügung zu stellen, für einen Tageslohn von höchstens drei Dollar. Der Secret Service wurde spontan und ganz beiläufig ins Leben gerufen, ohne schriftliche Dokumente, die seine genauen Pflichten beschrieben. Zukünftige Präsidenten und Kongresse sollten die Mission des Secret Service in gleicher Weise um neue Aufgaben erweitern.

Der Secret Service war eine zu jener Zeit einzigartige staatliche Institution – und wurde entsprechend mit einigem Argwohn betrachtet. Zu dem Zeitpunkt verfügte die Bundesregierung nur über wenige Exekutivorgane, teils wegen des anhaltenden Widerstands der noch jungen Demokratie gegen alles, was irgendwie Ähnlichkeit mit europäischen Institutionen oder zentralisierten Bürokratien hatte, die in die Privatsphäre oder die Freiheiten der Bürger eingreifen könnten. Innerhalb von zwei Jahren jedoch beschloss LincolnsLincoln, Abraham Nachfolger, Präsident Andrew JohnsonJohnson, Andrew, dieses Ermittlerteam könnte auch zur Ausmerzung anderer Probleme dienlich sein, die das Land quälten. 1867 erhielt der Secret Service die neue Aufgabe, »Personen ausfindig [zu] machen, die zum Schaden der Regierung Betrug begingen«. Diese Macht sollte den Service später in die Lage versetzen, kriminelle Aktivitäten einer großen Bandbreite von Verdächtigen unter die Lupe zu nehmen. Dieses umfangreiche neue Mandat war ganz nach dem Geschmack des stellvertretenden Leiters des Secret Service, Hiram C. Whitley, Hiram C.Whitley.

Whitley, Hiram C.Whitley legte 1869 seinen Amtseid ab und begann fast augenblicklich mit dem Umbau des Service nach dem Vorbild einer professionellen Bürokratie. Er führte auch einiges von der militärischen Ordnung ein, die er in seiner Zeit als Offizier der Union verinnerlicht hatte. Der mit seinen zwei Metern und acht Zentimetern ausgesprochen imposante Chief, ein ehemaliger Ermittler im Bereich Schwarzbrennerei und Schmuggel, ernannte einen stellvertretenden Chief und eine Reihe untergeordneter Beamten, die sein Team von zwanzig Agenten führen sollten. Er säuberte die eigenen Reihen von einigen ehemaligen Kriminellen, die zu Informanten und dann zu Operativen geworden waren, und startete dann seine Bemühungen, Agenten mit möglichst weißer Weste zu rekrutieren. Whitley, Hiram C.Whitley stellte eine Reihe neuer Regeln für Agenten auf, um Konflikte und Fehlverhalten möglichst auszuschließen, er verlangte tägliche Berichte von den Agenten, die ihre Aktivitäten und Ausgaben stundengenau zu dokumentieren hatten, und er schuf ein Beförderungssystem auf der Grundlage von Verhaftungen und gerichtlichen Verfahren. Außerdem dehnte er die Aktivitäten des Service auch auf andere Ermittlungsbereiche aus, die in seinen Augen hohe Priorität besaßen: Banküberfälle, Postraub, Schwarzbrenner- und Glücksspielringe, Schmuggel und mehr. Für ihn lag in der Erweiterung des Mandats eine Aufwertung des Secret Service und auch eine Zunahme seiner eigenen Macht innerhalb der Regierung.

Diese Macht sollte zur Folge haben, dass sich der Kongress an WhitleyWhitley, Hiram C. wandte, als im Süden erneut die Gewalt um sich griff, diesmal in den Händen des in weiße Kutten gekleideten Ku-Klux-KlanKu-Klux-Klan. Die Nachforschungen über den KKKKu-Klux-Klan durch den Service begannen im Jahr 1871, kurz nachdem der Kongress eine Resolution vorgelegt hatte, die die Organisation und ihre Lynchmorde verurteilte.[8] Präsident GrantsGrant, Ulysses S. Justizminister wies WhitleyWhitley, Hiram C. an, acht neue Agenten für die KKKKu-Klux-Klan-Ermittlungen einzuteilen.[9] In den nächsten drei Jahren beschatteten sie Klan-Anführer im gesamten Süden, von North Carolina bis Florida, und brachten über fünfhundert Personen vor Gericht, denen die Verwicklung in Aktivitäten des Klans zur Last gelegt wurde, und weitere stellten sich selbst den Behörden.

Aber diese ehrenvolle Arbeit, und damit auch ein großer Teil des guten Rufs des Secret Service, geriet unter Beschuss, als Chief WhitleyWhitley, Hiram C. im Jahr 1874 selbst in einen Skandal verwickelt wurde. Im Verlauf einer Ermittlung gegen einige örtliche Beamte, die beschuldigt wurden, Bundesmittel im District of Columbia abgezweigt zu haben, wurden mehrere Kontobücher – wichtige Beweismittel in dem Fall – aus dem Safe des örtlichen US-Staatsanwalts entwendet. Mit den Ermittlern kooperierende Zeugen beschuldigten WhitleyWhitley, Hiram C., mitgeholfen zu haben, für die Verdächtigen in dem Fall einen verlässlichen Dieb zu organisieren, der den Safe für sie ausräumen sollte. Whitley, Hiram C.Whitley bekannte sich zu keinerlei Fehlverhalten und wehrte sich zunächst standhaft gegen die angeblich haltlosen Vorwürfe, aber der damalige Finanzminister bestand auf seinem Rücktritt, um den Service vor Schaden zu bewahren. Er folgte der Aufforderung im September 1874.

Der Skandal schwächte die Schlagkraft des Service für die nächste Dekade ganz erheblich.[10]1880 musste die Abteilung eine 40-prozentige Kürzung ihres Budgets verkraften, und eine umfassende Untersuchung durch den Generalstaatsanwalt noch dazu. Der Kongress verabschiedete darüber hinaus eine Zusatzklausel, die die Agentur wieder auf ihre einzige ursprüngliche Mission begrenzte: den Kampf gegen GeldfälscherGeldfälscherei, nach dem Bürgerkrieg. In ihrer Hochzeit hatte die Agentur 47 Operative beschäftigt, aber 1880 war sie wieder auf durchschnittlich 25 Mann zusammengeschrumpft.[11]

Die dramatischen Einschnitte in die Finanzierung und Reichweite des Service stellten sich kurz vor einer weiteren nationalen Krise ein. Sechzehn Jahre nach dem AttentatAttentateLincoln, Abraham auf LincolnLincoln, AbrahamAttentat wurde ein weiterer Präsident niedergestreckt.

Am 2. Juli 1881 eilte Präsident James GarfieldAttentateGarfield, JamesGarfield, James mit seinen Helfern zur Bahnstation Baltimore and Potomac im Zentrum Washingtons, wo er einen Zug besteigen und zu einem Sommerurlaub an der Küste von New Jersey aufbrechen wollte. In der Menschenmenge dort wartete auch Charles GuiteauGuiteau, Charles. Dieser meinte, GarfieldGarfield, James zum Wahlsieg verholfen zu haben, und war nun wütend, weil ihm der Präsident nie einen Posten in seiner Regierung angeboten hatte. Er hatte von den Reiseplänen des Präsidenten aus der Zeitung erfahren. Guiteau, CharlesGuiteau feuerte aus nächster Nähe zwei Kugeln auf ihn ab – in den Arm und in den Rücken. Der Präsident verharrte mehrere Monate in einer ungewissen Phase der Erholung, starb aber im September an einer schleichenden Blutvergiftung und letztendlich an einem massiven Herzanfall.

Es mag aus heutiger Sicht überraschend anmuten, aber nach GarfieldsGarfield, James Tod konnten sich weder der Kongress noch die Regierung dazu durchringen, eine permanente Schutztruppe für den Präsidenten einzurichten. Die Morde an LincolnAttentateLincoln, AbrahamGarfield, JamesAttentateGarfield, James und Garfield hatten zwar Diskussionen im Kongress über die Verstärkung der Sicherheitsvorkehrungen für den Präsidenten ausgelöst, aber die Amerikaner und ihre Politiker blieben auch weiterhin politisch allergisch gegen alles, was für sie den Ruch einer »königlichen Garde« besaß. Stattdessen überredeten die Helfer im Weißen Haus die jeweiligen Präsidenten, viele davon widerwillig, sich von ein paar örtlichen Polizisten bei ihren Reisen in der Öffentlichkeit bewachen zu lassen.

Als sich der Secret Service endlich des Schutzes von Präsidenten annahm, war dies eine inoffizielle Funktion, die ohne Erlaubnis erledigt wurde. Im Frühjahr 1894 wurde William HazenHazen, William, damals Direktor des Secret Service, zunehmend unruhig, als er von seinen Einsatzkräften in Colorado hörte, dass einige Glücksritter und Anarchisten dort Todesdrohungen gegen Präsident Grover ClevelandMorddrohungen gegen PräsidentenCleveland, GroverCleveland, Grover von sich gegeben hatten. Er wies zwei seiner Leute an, sich sofort im Weißen Haus zum Dienst zu melden, um dem Präsidenten unbegrenzten Schutz zuteilwerden zu lassen. Nur eine Handvoll Leute in der Abteilung wussten über diese heimliche, informelle Bewachungspflicht Bescheid.

Später in jenem Sommer weilte die First Lady am Urlaubsort der Familien in Buzzard’s Bay, Massachusetts, und dort hörte sie von einem Gerücht über ein Komplott zur Entführung ihrer Familie. Sie wusste Bescheid über HazensHazen, William inoffiziellen Schutz für ihren Gatten. Ganz verzweifelt wandte sie sich direkt an HazenHazen, William und bat ihn um Hilfe beim Schutz ihres Heims in New England. Er schickte drei Agenten, die sich für den Rest der Urlaubssaison einsatzbereit hielten. Der Präsident kehrte von einer Reise zurück und akzeptierte stillschweigend den zusätzlichen Schutz für seine besorgte Ehefrau. In den folgenden Jahren hielten die Clevelands, HazenHazen, William und ein paar wenige Eingeweihte des Service das Geheimnis unter Verschluss: Sie hatten Agenten für einen Zweck eingesetzt, der weder vom Kongress noch von der Regierung abgesegnet war, ja, der, wie manche meinten, sogar ausdrücklich verboten war.

Sobald dieses heimliche Arrangement – nach dem Einzug von William McKinleyMcKinley, William ins Weiße Haus – aufgedeckt war, wurde HazenHazen, William degradiert und der missbräuchlichen Verwendung von Bundesmitteln beschuldigt. Im selben Jahr allerdings, mit Beginn des Spanisch-Amerikanischen Krieges, erlangte der Secret Service die Berechtigung auf Basis einer Notverordnung, vier seiner Agenten für den Schutz von McKinleyMcKinley, William abzustellen. Nach dem Krieg erlosch diese Notfallberechtigung wieder, aber ein paar Agenten begleiteten den Präsidenten weiterhin auf seinen Reisen. AttentateMcKinley, WilliamMcKinley, WilliamAls McKinley 1901 ermordet wurde, während er Besucher bei der Pan-Amerikanischen Ausstellung in Buffalo, New York, begrüßte, war tatsächlich ein Agent mit ihm unterwegs gewesen, der eigentlich an seiner Seite hätte stehen sollen, aber er erklärte sich einverstanden, etwas mehr Abstand zu halten, als der Direktor der Ausstellung darum bat, für die Begrüßung der Öffentlichkeit neben dem Präsidenten stehen zu dürfen.

Erst nach McKinleysAttentateMcKinley, William Tod – der dritte ermordete Präsident innerhalb von 36 Jahren – stimmte der Kongress endgültig der Schaffung einer permanenten Schutztruppe für die Sicherheit des Präsidenten zu. Die Abgeordneten wiesen den Secret Service formell an, seine Schutzfunktion als Vollzeittätigkeit zu übernehmen. Erst 1906, nach weiteren fünf Jahren, autorisierte der Kongress offiziell die Geldmittel für die Entlohnung der Zwei-Mann-Schichten, die den Präsidenten rund um die Uhr zu bewachen hatten.

In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hielt die doppelte Aufgabe, Geld und Präsidenten zu beschützen, den Service gehörig auf Trab. Diese kleine Abteilung des FinanzministeriumsFinanzministerium investierte auch weiterhin den Großteil ihrer Zeit in den Kampf gegen Geldfälscher, und die Abgeordneten waren davon ausgegangen, der Schutz des Weißen Hauses würde nur einen Bruchteil der Arbeitslast des Service ausmachen. Aber die Mannstunden, die für die Sicherheit des Präsidenten anfielen, wurden immer mehr. Zwei Weltkriege und eine ganze Serie von Attentaten in Europa veranlassten den Service, die Zahl seiner Agenten im speziellen Personenschutz zu erhöhen, damit potenzielle Attentäter ihre finsteren Pläne nicht in die Tat umsetzen konnten. Die Agenten erlegten der Bewegungsfreiheit ihrer Staatsführer zudem weitere neue Restriktionen auf.

Theodore RooseveltRoosevelt, Theodore, der erste Präsident, der den Schutz durch den Secret Service genoss, nannte seine neuen Agenten »einen kleinen, aber sehr notwendigen Stachel im Fleisch«.[12] Natürlich setzte er nicht sehr viel Vertrauen in ihre Fähigkeiten. Er erzählte seinem Freund Henry Cabot LodgeLodge, Henry Cabot im selben Brief, sie hätten »nicht den geringsten Nutzen«, wenn ein ernsthaft entschlossener Attentäter ihn umzubringen gedachte. Aber das nächste Mal, als ein amtierender Präsident mit einer Schusswaffe konfrontiert war, zeigten die Beamten des Secret Service, die fürs Gelände des Weißen Hauses zuständig waren und damals als Polizei des Weißen Hauses tituliert wurden, und die Agenten in seiner persönlichen Schutztruppe, dass sie eben doch ihr Geld wert waren.

Im Herbst 1950, als im Weißen Haus Renovierungsarbeiten liefen, wurde Präsident Harry S. TrumanTruman, Harry S. vorübergehend im nahe gelegenen Blair House einquartiert. Am Nachmittag des 1. November fanden zwei Nationalisten aus Puerto Rico Trumansversuchte AttentateTruman, Harry S.Truman, Harry S. Aufenthaltsort heraus und beschlossen, sich den Weg ins Blair House freizuschießen und zu versuchen, den Präsidenten zu töten. Die Attentäter in spe, Oscar CollazoCollazo, Oscar (36) und Griselio TorresolaTorresola, Griselio (25), hofften damit die Aufmerksamkeit auf die Frage der Unabhängigkeit ihrer Insel von den Vereinigten Staaten zu lenken. Sie gingen aus entgegengesetzten Richtungen die Pennsylvania Avenue hoch, TorresolaTorresola, Griselio von Westen, CollazoCollazo, Oscar von Osten.

Floyd BoringBoring, Floyd, Agent des Secret Service, der später einer der leitenden Personenschützer von Präsident KennedyKennedy, John F. werden sollte, hatte in der östlichen Kabine des Sicherheitsdienstes in der Nähe der Eingangstür des Blair House Dienst. Sein Kollege, Officer Leslie CoffeltCoffelt, Leslie von der White House Police, befand sich in einem Wachhäuschen an der Westseite, wandte sich um und sah einen Mann mit einer Pistole auf sich zukommen.

»Der PräsidentTruman, Harry S.versuchte AttentateTruman, Harry S. war im oberen Stockwerk und machte ein Nickerchen, bevor er in Arlington einen Termin für eine Kranzniederlegung hatte«, erzählte BoringBoring, Floyd später. »Wir waren draußen auf den Stufen, als sich zwei Männer dem Gebäude näherten, einer zog eine Waffe und zielte damit auf mich. Ich hörte einen Knall, zog meine Waffe und schoss zurück. Dann schossen alle zugleich.«

Boring, FloydBoring und ein weiterer Beamter verließen die östliche Kabine des Wachdiensts, zogen ihre Pistolen und eröffneten das Feuer auf CollazoCollazo, Oscar. Eine Kugel durchschlug CollazosCollazo, Oscar Brustkorb, und er fiel auf die vorderen Stufen. Secret-Service-Agent Stewart StoutStout, Stewart, der zum Personenschutz TrumansTruman, Harry S. gehörte, vernahm die Schüsse draußen und holte eine Maschinenpistole aus einem Waffenschrank. versuchte AttentateTruman, Harry S.Truman, Harry S.Truman war von der Schießerei aufgewacht und ans Fenster gegangen. Eine Wache draußen erblickte das Haupt des Präsidenten und schrie TrumanTruman, Harry S. an: »Zurück! Zurück!«

Draußen richtete TorresolaTorresola, Griselio seine Luger auf CoffeltCoffelt, Leslie und schoss ihm zweimal in die Brust und einmal in den Bauch. Coffelt, LeslieCoffelt taumelte in der Wachstube zu Boden. TorresolaTorresola, Griselio schoss auf zwei weitere Beamte, sprang über eine Hecke und rannte auf den Hauseingang zu.

Aber CoffeltCoffelt, Leslie war noch nicht ausgeschaltet. Er zog sich wieder hoch und zielte mit seinem Revolver auf TorresolasTorresola, Griselio Kopf. Er feuerte, und der Angreifer fiel tot auf den gepflasterten Fußweg. Danach brach CoffeltCoffelt, Leslie wieder in seinem Wachhäuschen zusammen.

Mehrere Agenten und Beamte waren getroffen worden und überlebten. Coffelt, LeslieCoffelt wurde eilig ins Krankenhaus gebracht, erlag aber vier Stunden später seinen Verletzungen. Er ist der erste und bis heute einzige Beamte des Secret Service, der im Dienst zum Schutz eines Präsidenten zu Tode kam.

In der Öffentlichkeit gab sich Trumanversuchte AttentateTruman, Harry S.Truman, Harry S. unbeeindruckt. »Ein Präsident muss mit solchen Dingen rechnen«, erzählte er Reportern bei einer Lagebesprechung am Tag nach der Schießerei.

Als Hauptmann im Ersten Weltkrieg hatte TrumanTruman, Harry S. Soldaten unter seinem Befehl sterben gesehen, aber privat schien ihm CoffeltsCoffelt, Leslie Tod auf andere Weise nahezugehen. Er versicherte CoffeltsCoffelt, Leslie Witwe und Freunden, er sei zutiefst betroffen; CoffeltCoffelt, Leslie war eine der beliebtesten Wachen im Weißen Haus gewesen.[13] Er schrieb eine persönliche Nachricht an seinen Außenminister und beschrieb darin CoffeltsCoffelt, Leslie Tod als »höchst unnötigen Vorfall«, und »die Menschen, die schwer verletzt wurden, waren großartige Männer«.[14]