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Jack the Ripper ist tot. Diese einfache Wahrheit mag nicht sonderlich verwundern, liegt doch das blutige Wüten im Londoner Elendsviertel Whitechapel 130 Jahre zurück. Aber es ist nie wirklich still um den ersten Serienmörder der Moderne geworden. Und so macht sich der ehemalige Ermittler des Scotland Yard, Frederick Abberline, viele Jahre nach seinem Tod erneut auf die Suche des Frauenmörders. Begleitet wird er von einem mysteriösen Fremden, der behauptet, die wahre Identität von Jack zu kennen. Mark Roth hat seine Analyse zu Jack the Ripper, doppeldeutig als "Betrachtung in neun Szenen" untertitelt, als Theaterstück angelegt. Auf einer Bühne treffen Frederick Abberline und der Unbekannte, der so erstaunlich viel über die Morde im Londoner East End weiß, aufeinander. Zusammen gehen die beiden ungleichen Protagonisten den Fall noch einmal durch, bewerten Indizien, verhören Verdächtige, machen sich erneut auf die Suche nach Jack. Auch einige der Mordopfer werden gehört. Aber diese "Autopsie einer schrecklichen Faszination" ist weit davon entfernt, reine Fiktion zu sein. Die Indizien und Fallbeschreibungen spiegeln den derzeitigen Stand der Ripperforschung wider und gründen sich nicht zuletzt auf die umfangreichen Recherchen namhafter Autoren wie Begg oder Sugden. Auch auf das in den 1980er Jahren vom FBI erstellte Täterprofil wird eingegangen. Roth gelingt es dabei, sowohl die historische Authentizität zu wahren, als auch einen kurzweiligen Abriss der Geschehnisse im London des Jahres 1888 zu geben. Seine Auflösung der Identität des Rippers ist folgerichtig nichts gänzlich Neues - wenngleich sie noch nie auf diese Weise erzählt worden ist.
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Seitenzahl: 142
Veröffentlichungsjahr: 2017
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für
Evi, Lissy, Annemarie, Beate, Andrea3 & Carlos
Autopsie /[aʊʊ tɔˈpsiː]/
αὐτός ὄψις
selbst sehen
Whitechapel, im Londoner East End gelegen, war das Elendsviertel der Metropole. Hier lebten im ausgehenden 19. Jahrhundert zusammengedrängt und in unvorstellbarer Armut Zehntausende von englischen Wanderarbeitern und Immigranten aus ganz Europa. Sie waren vor dem Elend in ihrer Heimat geflohen und fanden sich doch nur in Verzweiflung wieder. Wer hier gestrandet war, hatte keine Hoffnung auf ein Entrinnen.
In dieser Hölle auf Erden verübte ein Unbekannter im Jahre 1888 fünf grauenhafte Morde. Seine Opfer waren Straßendirnen, die ihren Körper für eine billige Unterkunft oder ein Glas Gin verkauften.
Der Mörder wurde als Jack the Ripper weltberühmt – und nie gefasst.
Beamte der Londoner Polizei und des Scotland Yard
Frederick Abberline
Inspector beim Scotland Yard
George Godley
Polizeibeamter
Sir Charles Warren
Polizeichef (Commissioner)
Sir Melville Macnaghten
Assistent des Polizeipräsidenten
Joseph Chandler
Polizei Inspektor
Die Opfer des Rippers
Mary Ann „Polly“ Nichols
Elendsprostituierte
Annie „Dark Annie“ Chapman
Elendsprostituierte
Elizabeth „Long Liz“ Stride
Elendsprostituierte
Catherine „Kate“ Eddowes
Elendsprostituierte
Mary Jane Kelly (Marie Jeanette)
Elendsprostituierte
Martha Tabram
Elendsprostituierte
Die Tatverdächtigen (Auszug)
George Chapman aka Seweryn Kłosowski
Montague John Druitt
Michael Ostrog
John Pizer aka Leather Apron (Lederschürze)
William Bury
Joseph Carey Merrick
Sir William Gull
Joseph Barnett
George Hutchinson
...
Ferner
Andrew Mearns
Reverend
John Davis
Anwohner
George Lusk
Gründer der Bürgerwehr
Louis Diemshutz
Hausmeister
Israel Schwartz
Zeuge
Sarah Lewis
Anwohnerin
Thomas Bowyer
Mieteintreiber
Thomas ***
Aufseher im Doss House
PrologDeath Dance, Adrian Ziegler
Szene 1The Way, Zach Hemsey
Szene 2Your Dying Heart, Adrian Ziegler
Szene 3R'lyeh, Sephiroth
Szene 4Traces of Nothingness, Svartsinn
Szene 5Dark Scary Ambient, Noctilucant
Szene 6Man on fire, Lisa Gerrard
Szene 7Towards Desolation, Raison D'etre
Szene 8Victorian Meltdown, Atrium Carceri
Szene 9The Shadows are bent by my presence, Nordvargr
EpilogIn an hour darkly, Sopor Aeternus
„Eines Tages wird die Menschheit zurückblicken und sagen, dass ich das 20. Jahrhundert eingeleitet habe.“
From Hell
Abberline alleine. Er hält eine gefaltete Zeitung, liest daraus angestrengt vor:
„Heute, am 7. April 1903, wurde im Wandsworth Gefängnis der gebürtige Pole Seweryn Kłosowski, auch bekannt als George Chapman, durch den Strang hingerichtet. Er war für schuldig erklärt worden, seine drei Ehefrauen mittels Gift ermordet zu haben. Diese Verbrechen, abscheulich und grauenvoll für sich selbst, werden aber von einem weitaus schrecklicheren Verdacht überlagert. Mit Seweryn Kłosowski soll nun auch der berüchtigte Jack the Ripper zur Strecke gebracht worden sein. Der seinerzeit die Untersuchungen leitende Inspector Abberline schrieb an den ermittelnden Beamten im Fall Kłosowski: Zu guter Letzt ist es dir doch gelungen, lieber Godley, Jack zu fassen!
Herzlichste Grüße von deinem dir auf immer verbundenen Kollegen und Freund Frederick Abberline.“
Abberline, aufblickend:
„Es hat ein Ende gefunden. Nach den Jahren des Zweifels, kann nun endlich Hoffnung bestehen, dass dieser Schrecken verblasst. Das Phantom des Rippers baumelt in einer einsamen Gefängniszelle.“
Er – eine Stimme aus dem Publikum heraus:
„Es klingt beinahe, als ob Ihr der zerstörten Magie Jack's nachtrauert!“
Abberline fährt hoch, sucht im Publikum nach dem Sprecher:
„Wer hat das gesagt?“
Schweigen. Abberline wendet sich ab:
„Jack war eine Bestie. Was könnte an ihm bewundernswert sein?“
In einer der vorderen Reihen erhebt sich ein Mann, kommt auf die Bühne.
Er:
„Ihr habt ihn jahrelang gejagt, wart in seinen Gedanken. Ihr versuchtet zu denken wie er, nur um ihm endlich den einen Schritt voraus zu sein; den Schritt, der nötig gewesen wäre ihn zu fassen.
Während einer so langen Zeit kommt man sich zwangsläufig näher.“
Abberline, resignierend:
„Nicht nahe genug.“
Er:
„Ihr beglückwünscht Godley zur Ergreifung des Rippers. Was Ihr aber meint ist, dass eigentlich Ihr es wart, der Jack demaskiert hat, auch wenn es Euch nicht vergönnt war, ihn zu ergreifen.
Bescheidenheit klingt anders.“
Abberline:
„Ihr mögt denken, was Ihr wollt. Ihr wart nicht dabei. Wie wollt Ihr nachvollziehen, was damals passiert ist? Nennt es Überheblichkeit. Aber Ihr werdet mir nicht die Genugtuung nehmen, das Monstrum gefasst zu wissen.“
Er:
„Nein, natürlich nicht. Kłosowski wurde 15 Jahre nach den Morden von Whitechapel hingerichtet; den Morden, die man Jack the Ripper zuschreibt. Es ist eine lange Zeit, um einen Fall abzuschließen.“
Abberline:
„Dafür gab es gute Gründe!
Aber auch ich bedauere, dass wir nicht früher erfolgreich waren.“
Er:
„Ihr seid 25 Jahre nach der Hinrichtung von Kłosowski gestorben. Habt Ihr Euch dem Rest Eures Lebens bewusst dieser Täuschung hingegeben um … doch noch so etwas wie Frieden zu finden?“
Abberline, Ihn argwöhnisch musternd:
„Ihr habt Zweifel, dass Kłosowski der Ripper war?“
Er:
„Was ich glaube, ist nicht von Bedeutung. Entscheidend ist, ob Ihr von seiner Täterschaft so überzeugt seid, wie ihr vorgebt zu sein.“
Abberline:
„Ihr unterstellt mir, ich hätte der Öffentlichkeit mit dem Schreiben an Godley etwas vorgemacht?“
Er:
„Nein – nur Euch selbst. Aber dennoch, der Vollständigkeit wegen: Erklärt dem anwesenden Publikum, warum Kłosowski Eurer Meinung nach Jack the Ripper war.
Und wir alle können diesen Abend zügig beenden.“
Abberline, abweisend:
„Ich habe es häufig genug ausgeführt. Man kann es überall nachlesen!“
Er, auf das Publikum deutend:
„Inspector Abberline – es muss ja nicht jedes ermüdende Detail sein. Aber ich denke, diese Menschen würden es gerne für sich selbst nachvollziehen können.“
Abberline, zögernd:
„Also gut.
Kłosowski ist … war ein überführter Frauenmörder, ein Serienmörder, auch wenn diese Begrifflichkeit sich damals erst zu formen begann.“
Er:
„Und wir suchen einen Serienmörder; vielleicht sogar den ersten der Geschichte.“
Abberline:
„Jack the Ripper war mit Sicherheit nicht der erste Verbrecher, den es zu fortgesetzten Morden zwang. Aber seine Taten erzeugten als erste diesen ungeheuren Widerhall in der Öffentlichkeit.“
Er, nickend:
„Die damals modernen Medien, die überall verfügbaren Zeitungen mit ihren tagesaktuellen Nachrichten; sie ermöglichten diese bis dahin nicht gekannte Nähe zu den Ereignissen. Jack war der Star der Berichterstattung. Er war berüchtigt … berühmt.
Ist es vielmehr immer noch. Letztendlich wurde er nie gefasst ...“
Abberline, etwas unwirsch:
„Sollte ich nicht ausführen, warum ich glaube, dass Kłosowski ...?“
Er:
„Ja – natürlich. Entschuldigt bitte.
Doch gesteht mir eine Frage zu – mag sie vielleicht naiv in Euren Ohren klingen, da ich kein Experte in solchen Dingen bin: Ist es nicht ungewöhnlich, wenn ein Serienmörder seinen modus operandi ändert? Jack's Opfer wurden die Kehlen aufgeschlitzt, ihre Körper bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Kłosowski hat mit Gift gemordet. Das klingt mir nicht nach großer Übereinstimmung.“
Abberline, abwehrend:
„Ich war Polizist und kein Psychologe. Meine Aufgabe bestand darin, den Mörder zu fassen, nicht sein Verhalten zu verstehen oder zu erklären.“
Er:
„Jetzt heuchelt Ihr, Abberline. Gerade Ihr habt Euch sehr damit beschäftigt, ihn zu verstehen. Ihr habt Euch stets dagegen gestemmt, seine Handlungen einfach als wahnsinnig abzutun. Nicht weil sie es nicht gewesen wären, sondern weil Ihr darin Eure Chance gesehen habt, die Bestie zu stellen.
Erzählt mir jetzt nicht, es würde keine Zweifel in Euch wecken, wenn der Mörder so ... uninspiriert das Messer mit dem Gift getauscht haben soll.“
Abberline schweigt, sammelt sich und fährt mit nüchterner Stimme fort:
„Whitechapel war kein schöner Ort. Armut und Elend ließen die Menschen abstumpfen. Gewalt und selbst Morde waren nichts Ungewöhnliches.
Doch es war mein Bezirk. Ich hatte dort den größten Teil meiner beruflichen Laufbahn verbracht. Ich kannte die Menschen.
Im Herbst 1887 war ich dann als Inspector zum Scotland Yard versetzt worden.“
Er:
„Glückwunsch! Sicherlich keine selbstverständliche Karriere.“
Abberline:
„Im August des Folgejahres begannen Jack's Morde. Mit Zunahme der öffentlichen Beunruhigung übertrug man mir die Ermittlungen.“
Er:
„Jack war aus dem Dunkel des Londoner Nebel getreten und hat Euch zurück in die Slums von Whitechapel gezerrt.“
Abberline:
„Er ist eben nicht herausgetreten! Er ist nie greifbar geworden– die ganze Zeit über nicht.
Und was haben wir alles versucht!“
Er:
„August bis November. Drei Monate, fünf Opfer – und ein ganzes Land in Aufruhr. Sogar die Krone verfolgte die Morde mit einer unsicheren Mischung aus Verachtung und Besorgnis.
Besorgnis, dass aus den bedeutungslosen Morden eine Bedrohung für das Establishment erwachsen könnte. Die Lebensbedingungen der Arbeiter schrien förmlich nach dem entzündenden Funken der Revolution.
Verachtung … ganz London blickte auf das East End und deren Bewohner herab - sofern man bereit war, sie überhaupt wahrzunehmen. Doch genau dazu zwang sie Jack.“
Abberline:
„Dann, nach dem Mord an Mary Jane Kelly in der Nacht vom 8. auf den 9. November, endete es ebenso unvermittelt wie es begonnen hatte.“
Er:
„Nun, es wurden danach durchaus noch weitere Leichen gefunden, die man …“
Abberline, abwehrend:
„Die hat es ebenso davor gegeben. Jack's unmenschliches Werk endete mit dem Mord an Mary Jane Kelly!“
Er:
„Ich will mit Euch darüber nicht streiten. Ihr wart … seid der Ermittler. Ich stelle nur meine eigenen, einfachen Überlegungen an.
Aber wir waren bei Kłosowski.“
Abberline:
„Kłosowski war kurz vor dem ersten Mord nach London gekommen, lebte und arbeitete in Whitechapel. Als er später mit seiner damaligen Frau in die Vereinigten Staaten auswanderte, endete auch die Serie.
So ist der Mythos rasch entzaubert: Ein Frauenmörder, der die erforderliche Ortskenntnis besaß. Die zeitliche Übereinstimmung seiner Ausreise mit dem Ende der Mordserie. Wenn im Herbst 1888 nicht zeitgleich zwei Serienmörder nebeneinander in Whitechapel gelebt haben, dann kann es nur Kłosowski gewesen sein.“
Er, mit ruhiger aber verstörender Stimme:
„Es müsste uns in der Tat mit Schrecken erfüllen, wenn sich das Böse weitaus öfters manifestiert, als wir es wahrhaben wollen.“
Abberline ist irritiert, findet keine passende Antwort.
Er:
„Doch so ganz fremd kann Euch dieser Gedanke nicht sein, oder?“
Abberline:
„Habt Ihr eine Ahnung, wie viele Theorien und Alternativen wir damals durchgespielt hatten? Immer und immer wieder – nächtelang. Waren wir besessen von der Jagd auf ihn? Vielleicht. Aber ein Gefühl war noch stärker als diese Besessenheit: Angst! Angst davor, am Morgen wieder zu einem Tatort gerufen zu werden, wieder einen Leichnam zu sehen, der uns erneut vor Augen führte, dass Jack nicht der Spuk war, als den wir ihn uns so oft erhofften.“
Abberline wendet sich ab, mehr zu sich selbst sprechend:
„Es war kein Name mehr auf der Liste. Wir hatten alle anderen ausschließen können … müssen. Nur Kłosowski war übrig geblieben.“
Er:
„Ihr würdet Euch wundern, wie die Liste der Verdächtigen nach eurem Tod angewachsen ist. Aber ich gebe Euch recht: All diese Theorien oder mehr willkürlichen Beschuldigungen kamen der Klärung des Falles nicht wirklich näher.
Dabei hattet Ihr, Frederick Abberline, Inspector von Scotland Yard, bereits begonnen die richtige Frage zu stellen: Was ließ ihn töten?
Vielleicht erfüllt es Euch mit posthumem Stolz, wenn ich sage, dass in den folgenden einhundert Jahren nach Jack eine eigene Wissenschaft entstanden ist, die sich ausschließlich mit dem Phänomen des Serienmörders auseinandersetzt. Viele Eurer Ansätze, oftmals rein aus dem Instinkt heraus gewählt, sind in der Polizeiarbeit nun fest verankert.
Aber da ist auch noch die Frage nach dem Ende der Serie. In den seltensten Fällen hört der Mordtrieb einfach auf. Das Gegenteil ist richtig. Er steigert sich immer mehr, lässt den Killer jede anfängliche Vorsicht vergessen. Auch Jack's Verhalten zeigte dieses Muster. Seine Morde wurden zunehmend zerstörerischer, geradezu genährt von der Gewissheit, dass die staatliche Gewalt seinem Treiben machtlos gegenüberstand. Dennoch endete Jack's Wüten so unvermittelt wie es begonnen hatte. Warum hat er aufgehört? Ihr habt bereits damals darauf hingewiesen, dass Jack nicht freiwillig davon abließe, hierzu vermutlich gar nicht in der Lage wäre.
Vielleicht ist er gestorben? Oder selbst Opfer eines Verbrechens geworden? Vielleicht hatte man ihn wegen einem anderen Delikt inhaftiert, so dass er seinem Trieb nicht mehr nachgehen konnte? Vielleicht hat er das Land verlassen ...“
Abberline, sich räuspernd:
„Wie ich im Fall von Kłosowski bereits ...“
Er:
„Was nicht wirklich passt! Kłosowski ist Mitte 1891 nach Amerika ausgewandert. Nach dem Crescendo seines Totentanzes im Herbst 1888 binnen drei Monaten müsste er eine dreijährige Abstinenz eingelegt haben. Diese Erklärung liefert mehr Fragen als Antworten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie Euch wirklich überzeugt hat. Damals wie heute.“
Abberline schweigt. Dann fügt er leise an.
„Es war kein anderer Name mehr auf der Liste.
Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich keine Ahnung hatte, wo ich Jack noch suchen konnte.“
Er:
„Ihr hattet bereits Eure Aufmerksamkeit auf Jack gerichtet! Er saß Euch gegenüber, Ihr habt ihn verhört. Nur habt Ihr ihn zu leichtfertig wieder aus dem Kreis der Verdächtigen entfernt.“
Abberline:
„Was sagt Ihr da? Das kann nicht sein!“
Er:
„Was uns zur letzten und wohl wichtigsten Frage führt:
Warum hat Frederick Abberline versagt? Ihr habt selbst angeführt, dass Whitechapel Euer Hinterhof war, dass Ihr die Leute dort kanntet. Ihr wusstet, wie Ihr sie anpacken musstet, damit sie mit Euch redeten. Ihr habt nach dem Muster in den Morden gesucht, damit diese Euch den Weg zu Jack zeigten. Und Ihr wart in der Lage, genau dies von den Menschen zu erfahren. Dennoch seid Ihr gescheitert.
Sagt, Frederick Abberline: Warum?“
Abberline wendet sich ab, will nichts mehr hören. Dann tritt er wieder an Ihn heran. Abberline:
„Ihr meint, der Name wäre auf der Liste? … dass ich ihn kenne?“
Er:
„Ja. Vollständig, komplett. Kein Synonym eines mysteriösen Spuks.“
Abberline:
„So bräuchten wir die Verdächtigen nur noch einmal durchgehen, die Argumente dafür und dagegen bewerten … und wir würden Jack finden?“
Ein Zögern, Er:
„Im Prinzip ja ...“
Abberline:
„Pah! Es kann nicht so einfach sein! Genau das haben wir getan. Immer und immer wieder.“
Er:
„Ihr habt auch den gleichen Fehler immer und immer wieder begangen.“
Abberline, nun misstrauisch:
„Woher wollt Ihr das alles wissen?“
Er:
„Ich beobachte, mache mir Gedanken und … mit einem Mal ist es einfach.“
Abberline:
„Ich traue Euch nicht!“
Er:
„Ihr habt auch keinerlei Veranlassung dazu.“
Abberline, nach einem Moment des Überlegens: „Sei es wie es soll! Ich lasse mich darauf ein. Mit wem wollen wir beginnen?“
Er:
„Es ist eure Liste. Wählt einen Namen aus!“
Abberline:
„Also gut. Fangen wir an mit … John Montague Druitt!“
Er:
„An den habt Ihr selbst nie wirklich geglaubt! Einer der Verdächtigen, den eine beinahe mystische Aura umgab. Selbst sein Name war lange nicht bekannt, kaum mehr als ein Gerücht: Jack the Ripper habe sich nach dem Mord an Mary Jane Kelly selbst gerichtet, in der Themse ertränkt.
Ihr habt den Verdacht gegen Druitt aufgrund fehlender Beweislast nach kurzer Zeit fallen gelassen.“
Abberline:
„Vielleicht war genau das mein Fehler?“
Er, lächelnd:
„Wie Ihr möchtet. Also Druitt.
Was habt Ihr damals über ihn ermitteln können?“
„Die Wahrheit lag auf dem Grund der Themse.“
Sir Melville Leslie Macnaghten; Auszug aus seinem Memorandum zu den Ripper Morden aus dem Jahr 1894
Von Ihm sieht man nur noch eine vage Silhouette. Abberline ist alleine im Scheinwerferlicht.
Abberline:
„Die Wahrheit lag auf dem Grund der Themse. Diese eine Äußerung hat den Verdacht gegenüber John Montague Druitt legitimiert. Assistant Commissioner Sir Melville Macnaghten hatte sie getätigt, Jahre nach den Morden in Whitechapel ...
… allerdings ohne die Details zu Druitt umfänglich zu kennen
Druitt war im Jahr 1888 31 Jahre alt. Er stammte aus einer angesehenen Familie, hatte Rechtswissenschaft studiert und arbeitete als Lehrer. Gebildet, gesellschaftlich verankert, eine bürgerliche Zukunft vor Augen. Wenn etwas auf Druitt zutraf, dann, dass er mit Sicherheit nicht in das Milieu des East End gehörte.“
Er, aus dem Hintergrund:
„Was ihn noch nicht entlastet.“
Abberline, scharf formulierend:
„Ebenso wenig wie es ihn anklagt.“
Er:
„Macnaghten hatte sicherlich einen Grund, Druitt's Namen mit dem Ripper in Verbindung zu bringen.“
Abberline:
„Es gab Schatten in Druitt's Leben. Einer ist in der Geschichte seiner Familie verankert. Geisteskrankheit, vermutlich erblich bedingt, trat im mütterlichen Zweig auf. Seine Tante wurde schwachsinnig, ebenso die Großmutter. Diese beging sogar Selbstmord. Druitt's Mutter wurde nach dem Tode ihres Mannes in ein Irrenhaus eingewiesen. Druitt selbst schrieb in privaten Aufzeichnungen davon, dass er Angst habe '...wie Mutter zu werden'.“
Er:
„Damit würde Druitt die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit bedienen, dass der Ripper nur ein Wahnsinniger sein konnte.“
Abberline:
„... bei einer entsprechend allgemeingültigen Interpretation von Wahnsinn – vielleicht. Doch es lastete noch mehr auf Druitt. Während er sich in den Rechtswissenschaften weiterbildete, arbeitete er für seinen Lebensunterhalt als Privatlehrer an einer angesehenen Knabenschule. Dieses Beschäftigungsverhältnis wurde im November 1888 einseitig beendet. Die Gründe ließen sich auch bei einer Befragung der Schulleitung nicht ermitteln. Doch es machte schnell das Gerücht von Pädophilie die Runde.“
Er:
„Womit aus unserem jungen Anwalt ein Geisteskranker mit sexuell abartiger Veranlagung wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass dieses Muster damals gut zum Phantom des Rippers gepasst hat – nicht nur in der Vorstellung des einfachen Mannes von der Straße.
Aber war das alles?“
Abberline:
„Nein. Ende Dezember fand man den bereits stark verwesten Leichnam eines Mannes in der Themse treibend. Er war vollständig bekleidet, in den Jackentaschen befanden sich Steine, die wohl den Körper unter Wasser ziehen sollten. Doch die Fäulnisgase hatten sich letztendlich durchgesetzt. Der Todeszeitpunkt wurde auf vier, vielleicht sechs Wochen vor dem Auffinden geschätzt. Dies trifft in etwa den Zeitpunkt des Mordes an Mary Jane Kelly, des letzten Opfer des Rippers.“