Shades of Fifty - Sandra Schönthal - E-Book

Shades of Fifty E-Book

Sandra Schönthal

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Beschreibung

Woher, um Himmels willen, kommen diese Falten? Eines Tages ist es so weit, die Protagonistin des Buches begreift: Hilfe, ich werde alt! Panisch recherchiert sie im Internet, kauft Ratgeber zum Thema Anti- Aging und macht sich auf, dem Verfall Einhalt zu gebieten. Verjüngende Gesichtsmasken und Oberlippenwaxing, High Heels und sexy Outfits – sie lässt nichts unversucht. Doch es ist wie verhext: Flirts in einer Cocktail-Bar laufen ins Leere, die anwesenden Männer behandeln sie wie Luft. Ihr Plan, sich einer Single-Reisegruppe anzuschließen, scheitert am Alterslimit. Sie startet eine Fitness-Offensive, die ihr aber außer einem verstauchten Knöchel nicht viel einbringt. Klischee für Klischee demontiert Sandra Schönthal die Illusionen über ewige Jugend, denen Frauen nachhängen, und kommt zum Schluss: Pfeif drauf! Du bist so alt, wie du dich fühlst, mach das Beste daraus!

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www.kremayr-scheriau.at

ISBN 978-3-7015-0592-0 Copyright © 2016 by Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG, Wien Alle Rechte vorbehalten Schutzumschlaggestaltung: Sophie Gudenus, Wien unter Verwendung eines Fotos von Ralwel/Shutterstock.com Typografische Gestaltung und Satz: Sophie Gudenus, Wien Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien

Ich liebe jede Falte

Man ist so alt, wie man sich fühlt

Reisen für Fortgeschrittene

Ich bin mein bester Kamerad

Willkommen in den besten Jahren

Auf zu neuen Horizonten

Fünfzig ist das neue Dreißig

Wahre Schönheit kommt von innen

Hurra, wir leben noch!

Sagt die Frau zum Arzt:„Herr Doktor, ich habe Rückenschmerzen.“Der Arzt: „Das ist das Alter.“Sie: „Ich möchte eine zweite Meinung.“Er: „Gerne. Hässlich sind Sie außerdem.“

Ich bin stolz auf die Falten.Sie sind das Leben in meinem Gesicht.

BRIGITTE BARDOT

Ich liebe jede Falte

Der Tag, an dem Sie Ihren Vergrößerungsspiegel kauften, war kein guter. Dank patenter Selbstklebetechnik erfolgte die Montage ohne Zuhilfenahme eines Mannes, der Dübel in die Wand zu jagen versteht, solo. Halleluja. Ein Zeuge hätte Ihnen gerade noch gefehlt.

Der zarten Weitsichtigkeit waren Sie sich längst bewusst, die Lesebrille war Ihre ständige Begleiterin, auf die Sie bei abendlichen Rendezvous jedoch verzichteten. Statt im Restaurant den Stuhl zu erklimmen, um in stehender Position die auf dem Tisch liegende Speisekarte zu entziffern, schlossen Sie sich charmant-feminin dem Menü Ihres Begleiters an. Schminken hingegen war problematisch geworden.

Die großflächigen Anwendungen, Fond de Teint und Rouge, beherrschten Sie so blind wie Eye Shadow, Augenbrauenpuder, Lippenstift. Nur der Lidstrich wollte in letzter Zeit nicht recht gelingen. Um die Region über dem oberen Wimpernkranz anzuvisieren, kniffen Sie die Augen zusammen, wodurch statt der schwungvollen Linie ein verwackelter Balken entstand. Egal. Tuschen lautet die Alternative. Per Extraportion Mascara an den Außenwimpern kann man einen nicht minder dramatischen Katzenblick zaubern. Könnte man. Wenn man die Wimpern träfe.

Als das Bürstchen zum fünften Mal in Ihrem Auge gelandet war, verstanden Sie: Die Zeit ist reif für einen Vergrößerungsspiegel. Sie erwarben das schickste Modell im Laden. Dreistufige Touch-on-Beleuchtung, ausziehbarer Doppelgelenkarm, Edelstahl matt. Nebst dem praktischen Aspekt harmonierte das hübsche Utensil perfekt mit Ihren Badezimmerarmaturen. Schnell war Ihr neuer Freund an der Wand montiert, der Klebstoff hielt, was die Verkäuferin versprochen hatte, und er hielt länger als die Freude.

Der Anblick der Fünffach-Vergrößerung lässt Sie zurückprallen und um ein Haar hintüber in die Badewanne kippen.

Woher, um Himmels willen, kommen diese Falten? Unter den Augen, auf der Stirn, zwischen Nasenflügel und Mundwinkel. Ganz zu schweigen vom Hals. Sie gleichen einer greisen Henne. Augenlider, Wangen, Kinn, alles Opfer der Schwerkraft. Dazu ein Schatten über der Oberlippe. Im Gegensatz zu Ihrem Haupthaar, das deutlich graumeliert ist, erstrahlt der Schnurrbart in rassigem Schwarz.

Lifting!, rast es durch Ihr Hirn. Mit beiden Händen pressen Sie Fleisch im Genick zusammen und erblicken einen straffen Hals. Schieben die Wangenhaut in Richtung Ohren, siehe da, Doppelkinn wie Nasolabialfalte verschwinden. Gleichzeitig verformen sich Ihre Lippen – der frustig hängende Mund war Ihnen gar nicht aufgefallen – zu einer Art Lächeln. Gröberen Widerstand leisten die Schlupflider, die erst kapitulieren, als Ihre aufwärts gequetschten Augenbrauen beinahe den Haaransatz erreichen, was die sanften Stirnfalten in Furchen verwandelt.

Sie löschen das Licht und verlassen Ihr Badezimmer. Das abendliche Beautyprogramm – Meersalzkörperpeeling, Olivenölhaarpackung, Honigjoghurt-Gesichtsmaske – ist gestrichen. Wozu? Auch auf die neue Almodóvar-DVD, zu der Sie, frisch gepflegt in kuscheligem Nicki-Jumpsuit und Frotteeturban mit einer Kanne Kräutertee lachen wollten, verzichten Sie. Stattdessen entzünden Sie im Wohnzimmer drei Kerzen, öffnen eine Flasche Rioja und beginnen, die Schokotrüffeltorte, die zum portiönchenweisen Verzehr im Laufe der Woche gedacht war, in sich hineinzustopfen. Dazu eine CD mit sizilianischen Klageliedern, und das Unglück ist perfekt.

Dass das Außenthermometer am nächsten Morgen bereits um 8.00 Uhr 25 Grad anzeigt, lässt Sie kalt. Der See läuft nicht davon. Während andere, sorgenfreie Städter Badetaschen, Rucksäcke und Picknickkörbe schultern und Richtung Natur aufbrechen, werden Sie den Junisonntag nutzen, um sich zu Hause per Internet in Sachen kosmetische Chirurgie schlau zu machen.

Nach Müsli, Tee und Dusche werfen Sie den Computer an. Bei der dritten Facelift-OP auf YouTube ist Ihnen übel. Blank liegendes Fleisch, Gezerre an Hautlappen, schwarze, blutverkrustete Nähte rund um die Ohren. Die Kanüle, die wie ein Presslufthammer im filetierten Gesicht wütet, um Fett abzusaugen. Also doch nur eine kleine Lidkorrektur? Der blanke Horror. Bei dem augennahen Geschnipsel könnte die Freude am jugendlich frischen, offenen Blick, den der Eingriff verheißt, durch Erblindung getrübt werden.

Wodka! Auf den Schock, gegen die Übelkeit, zur Entspannung. Gut, dass Sie keine harten Getränke gebunkert haben. Abgesehen von der Tageszeit, es ist noch nicht 12.00 Uhr, trieft der Schweiß dank mittlerweile 32 Grad auch ohne Alkohol. Sie duschen, diesmal kalt.

Das Projekt Beauty-OP ist gestorben. Wer unterzieht sich freiwillig dermaßen grauenhaften Prozeduren? Abgesehen vom Risiko einer Vollnarkose. Verrückt. Das Schmökern in den Vorher-Nachher-Bildern unserer Weltstars besiegelt Ihr Entsetzen. Einst individuelle Schönheiten, sehen einander Nicole Kidman, Kim Basinger, Cameron Diaz von Jahr zu Jahr ähnlicher. Als würden sie per Standardschablone modelliert. In der Liga der Katastrophen konkurrieren die ramponierten Visagen einer Melanie Griffith, Meg Ryan oder Donatella Versace. Kein Lachen weit und breit. Die Angst vor platzenden Nähten plus eine Überdosis Botox lassen die Gestrafften ihre Schlauchbootmünder nur dezent, beinahe vorsichtig, zu einer Art Lächeln verziehen.

Bald führt Ihre Internetrecherche in optimistischere Gefilde: zu attraktiven, garantiert unoperierten, in Würde, ja freudvoll alternden Damen unserer Breiten. Schauspielerinnen, die den Hollywood-Irrsinn verdammen, sich nie unters Messer legen würden, sogar minimalinvasive Eingriffe wie Botox-Injektionen, Kollagen-Unterspritzungen, Fruchtsäurepeelings ablehnen und das Hohelied der natürlichen Schönheit singen. Gott sei gedankt, dass sie, statt das Geheimnis für sich zu behalten, ihre Beautytricks in Bestsellern mit uns teilen.

Als Sie nach Durchforsten des Angebots zwei Ratgeber bestellt haben, teilt Ihnen der Online-Buchhändler mit, dass Kunden, die diese Artikel gekauft haben, sich auch für Fit mit 100 – Jung bleiben, länger leben interessierten, was wiederum gerne zusammen mit Opa, das kannst du auch! – Mein Enkel erklärt mir den Computer und als Gehirnjogging, Denksport oder Rätselspaß getarnte Literatur erworben wird, deren Zielgruppe im Klartext Menschen sind, die in Richtung Demenz schlittern. Kurz kokettieren Sie damit, Ihre Bestellung angesichts der dreisten Empfehlungen rückgängig zu machen, beschließen jedoch, vernünftig zu sein: Sie brauchen die Bücher dringend.

Drei Tage später liegen Ihre Bibeln im Postfach, Sie stürzen sich auf die Lektüre.

Falten, speziell die Krähenfüßchen rund ums Auge, sind, so erfahren Sie, schön. Weil sie vom Lachen kommen. Von gelebtem Leben. Nicht verfluchen wollen wir sie, sondern begrüßen und lieben als Freunde, die uns durch die Jahre begleitet haben. So hübsch ein junges, glattes Gesicht sein mag – was hat es zu sagen? Nichts. Ihre Fältchen erzählen Geschichten. Ein reifes Antlitz ist spannender als jedes Buch.

Okay. Bleibt die Frage, wie spannend Schlupflider, Hängebacken, Doppelkinn oder gar Altweiberschnurrbart sind. Auch hier wissen die Damen Rat. Was nicht schönzureden ist, darf, freilich noninvasiv, bekämpft werden. Ganz oben auf der Maßnahmenliste steht Gesichtsgymnastik.

Man starte mit Lächeln, der Königin aller Disziplinen. Lächeln strafft die gesamte Muskulatur, hebt Ihre Mundwinkel und lässt die Augen strahlen. Dem äußerlichen Effekt folgt die psychische Wirkung: Sie fühlen sich, konsequente Praxis vorausgesetzt, glücklicher. Und werden im Kontakt mit Menschen, erraten, Lächeln ernten. Was wiederum Sie erfreut, weshalb Sie bald von Herzen lächeln.

Das leuchtet ein. Sie gewöhnen sich an, nonstop grundlos vor sich hin zu grinsen. Beim Blick in den Spiegel, auf der Straße, bei Besprechungen. Ihre Umwelt reagiert tatsächlich. Passanten wenden den Kopf ab, bei Meetings werden Augenbrauen hochgezogen, allein Ihr Spiegelbild erwidert das Lächeln. Nur Mut. Von muffigen Zeitgenossen lassen Sie sich nicht einschüchtern.

Sie sind reif, die Übungen für Fortgeschrittene in Angriff zu nehmen. Nachdem Sie das Dickicht der durchblutungsfördernden, hautstraffenden, fettschmelzenden Grimassen durchforstet haben, finden Sie Ihren Favoriten. Der Löwe. Man reiße den Mund auf, strecke die Zunge so weit wie möglich Richtung Kinn, verharre sechs Sekunden. Zunge retour, Mund zu, drei Atemzüge und da capo. Nach einer Woche regelmäßigen Trainings im trauten Heim wird Ihnen der Löwe zur zweiten Natur. Bis zu dem Moment, da das in der U-Bahn gegenüber sitzende Mädchen lautstark fragt: Mama, was hat die Frau? Und die fette, schweißnasse, Kebab fressende Mutter – pssst, Vanessa, sei still, die Frau ist krank – ihr Gör zum Schweigen bringt. Während das verängstigte Kind den Kopf einzieht, klaubt die Erzieherin, deren Doppelkinn nach Löwengymnastik schreit, Halbzerkautes, das sie beim Sprechen verspuckte, vom Rock, um ihr Futter in den Mund zurück zu schaufeln.

Sie fassen zwei Entschlüsse: Gesichtstraining auf daheim beschränken. U-Bahn-Fahrten bis zum Herbst vermeiden. Weder möchten Sie als spastische Irre eingestuft werden noch Duftwolken aus Zwiebeln, Knoblauch, Bratenfett einatmen, die in der sommerlichen Hitze nicht nur besonders gut gedeihen, sondern sich gerne mit Achselschweiß und Fußgeruch vermengen. Das neue Auto gehört ohnehin eingefahren, kurze Strecken kann man für sportliche Märsche nutzen.

Um dem Schnurrbart, der weder auf Lächeln noch Gesichtssport reagiert, zu Leibe zu rücken, erwerben Sie im Drogeriemarkt ein Bleichmittel.

Das war ein Fehler. Nicht weil die Creme im Gegensatz zur Produktbeschreibung – mild, allergiegetestet, hautfreundlich – brennt wie Chili. Was wiegen fünf Minuten Folter gegen die Entfernung eines Schandflecks. Nachdem Sie die piksende Paste abgewaschen haben und frohen Mutes in Ihren Vergrößerungsspiegel blicken, möchten Sie schreien. Jetzt, in frischem Tussiblond, kommt der Schnauzer erst recht zur Geltung. Glänzend, keck und formvollendet. Clark Gable auf Gelb.

Das Ding muss weg. Hier hilft, Sie ahnten und verdrängten es, nur Harzen. Ihr groteskes Aussehen besiegt die Angst vor dem Schmerz. Sie vereinbaren einen Paniktermin bei der Kosmetikerin Ihres Vertrauens, die sich seit Jahren um Beine, Achseln und Bikinizone kümmert und die Kleinigkeit, beruhigen Sie sich bitte, das dauert keine zwei Minuten, morgen zwischen zwei Behandlungen einschieben kann. Es wird, vielleicht, ein bisschen wehtun, ja, aber danach haben Sie einen Monat lang Ruhe. Plus, das wissen Sie doch, je öfter wir harzen, desto schwächer verläuft à la longue der Nachwuchs. Weil zwanzig Prozent der Haarwurzeln, die wir ausreißen, absterben.

Im Zuge Ihres Verjüngungsprogramms sind Sie vom altgedienten schwarzen Audi A3 auf einen TT Roadster in Vulkanrot metallic umgestiegen. Statt die freitagnachmittags chancenlose Suche nach einem legalen Parkplatz zu starten, stellen Sie Ihr Cabrio für den kurzen Kosmetiktermin wie die wilde Biene, die Sie einst waren, ins absolute Halteverbot.

Das Oberlippenwaxing haben Sie, nahe der Ohnmacht, überlebt. Da werden Sie mit dem Polizisten, der soeben Ihr Kennzeichen notiert, locker fertig.

Hallo, sagen Sie, lassen beim Einsteigen den Spitzensaum Ihres Negligés unter dem Rock vorblitzen und schenken ihm ein strahlendes Lächeln. Im Gegensatz zu den Beamten Ihrer Jugend, die nach kurzem Schäkern das Strafmandat zerrissen und gute Fahrt wünschten, starrt der Mann Sie an. Ich bin doch nur ganz kurz, Herr Kommissar, zwitschern Sie. Bevor Sie den Satz beenden können, überreicht er wortlos seinen Zettel, schüttelt den Kopf und geht ab. Idiot.

Statt dem Mann zu zürnen, empfinden Sie Mitleid. Armes Bürschchen. Klar würde der lieber im schicken Cabriolet durch die Gegend kurven, als sich in trister Uniform bei Regen, Schnee und Kälte oder, wie heute, unter brennender Sonne die Beine in den Bauch zu stehen. Genüsslich atmen Sie den frischen Geruch der Lederbezüge ein, schalten das Radio an und kippen den Rückspiegel, um ihre Lippen zu bemalen. Sie sehen aus, als wäre leuchtendes Rot schon aufgetragen, über dem Mund. Hier schreit zwei Zentimeter breit ein knallrot angeschwollener Balken, der farblich nicht nur mit dem Cabrio, sondern auch mit Ihrem Kinn – die paar Härchen nehmen wir gleich mit, hatte die Fachfrau entschieden – harmoniert. Sie schließen das dunkelgraue Verdeck, stornieren den geplanten Parfümeriebesuch und fahren nach Hause.

Anderntags müssen Sie den nächsten Schritt in Sachen Anti-Aging – Erwerb der von Ihren Beauty-Coaches aus der Schauspielbranche empfohlenen Masken, Seren und Cremen – erneut verschieben. Die Pickel, die die roten Schwellungen über Nacht abgelöst haben, passen besser in eine Apotheke als in die Parfümerie. Das Timing könnte schlechter nicht sein. Ob Sie die kosmetischen Produkte heute oder gestern oder nächste Woche erwerben, ist egal, nur: Auf keinen Fall möchten Sie Ihrer Lieblingsnichte, die Sie jeden ersten Samstag im Monat zu einem All-inclusive-Tag in der Innenstadt ausführen, absagen.

Der Concealer, mit dem Sie die grellroten Pickel zupappen, schluckt Farbe, betont jedoch die Unebenheiten, sodass Kinn und Oberlippenregion ein Warzenrelief bilden, derweil an Hals und Wangen frische rosa Bläschen sprießen. Als Ihre Augenlider zuzuschwellen beginnen, greifen Sie schweren Herzens zum Telefon.

Schade, sagt die Kleine fröhlich, dann darf sie mit Sabine ins Kino, gute Besserung Tante, und übergibt an Papa.

Sie hören das Grinsen Ihres Bruders, während er sein Beileid zum Kosmetikunfall ausdrückt. Die Suche nach einem Alternativtermin im Juli scheitert nicht an Ihnen, die Samstage wären frei, sondern am dichten Programm seiner Tochter, deren Wochenenden mit Kinderjause, Schwimmturnier und Feriencamp verplant sind.

Allergische Reaktionen auf Warmwachs seien, erfahren Sie im Telefonat mit Ihrer Kosmetikerin, selten, aber möglich. Danke, das hilft. Haben Sie bitte ein wenig Geduld, in zwei, höchstens drei Tagen sind die Pustelchen verschwunden. Die gute Frau hat nicht zu viel versprochen: Gegen Abend mutieren die Pustelchen zu Eiterbeulchen. Wie günstig, dass Sie auch morgen nirgends eingeladen sind und sich samt Ihrer Visage, die an einen Fliegenpilz erinnert, zu Hause verkriechen können.

Eine Woche später, Sie sehen wieder aus wie ein Mensch, schreiten Sie zum Einkauf. Auf die in TV-Spots angepriesenen, wohlfeilen, im Drogeriemarkt ums Eck erhältlichen Jugendelixiere, deren Wirkung anhand fröhlich hüpfender 25-Jähriger demonstriert wird, ist gepfiffen. Sie sind ja nicht blöd. Hier muss, das sagen sogar die naturbelassenen Bestsellerautorinnen, ernsthaft investiert werden.

Die Verkäuferin, die Sie mit der Miene eines Arztes, der schlimme Nachrichten zu überbringen hat, berät, duldet wenig Widerspruch.

Maske ohne Peeling? Sinnlos. Eine Allroundcreme für Tag und Nacht? Sie sieht Sie an, als lebten Sie hinter dem Mond. Auf die Lifting Essence, die, als erster Schritt nach der Reinigung aufgetragen, die Wirkung der Tages- wie Nachtcreme um ein Vielfaches potenziert, zu verzichten, wäre Wahnsinn. Und für Ihre Augenpartie, diagnostiziert sie seufzend, kann man nur das absolute Spitzenprodukt in Sachen Wrinkle Repair empfehlen. Letztlich fällt der Expertin ein, dass heute Vormittag, ein Strahlen erhellt das ernste Gesicht, endlich die Haarpflegelinie des Hollywood-Starfriseurs, dessen Namen Sie nie gehört haben, eingetroffen ist. Schwuppdiwupp gesellen sich Ultraglanz-Shampoo, Antispliss-Conditioner und Cashmereseidenpackung – das Minimalprogramm – zu Ihrem Produktberg.

Die Schachteln wandern in eine große goldene Tüte, pinke Kunstnägel rasen über die Kassentastatur, ein paar Gratisproben noch, und – die Summe hebt Sie aus den Schuhen. Sie widerstehen dem Impuls, einen Teil der Artikel zu retournieren. Das wäre nicht nur kleinlich, sondern dumm. Weil es sich um ein sorgsam abgestimmtes Gesamtpaket handelt. Was sind schon 975 Euro – Sie zücken die Kreditkarte – gemessen an der Schönheit, die aus der Goldtüte winkt.

Die Overnight Hydrolift Firming Mask hinterlässt ihre deutlichsten Spuren im Kissenbezug. Was Sie daran erinnert, dass Sie einen wichtigen Rat nicht befolgt haben.

Man soll, ja muss, da gehen die ansonsten unterschiedlich gestrickten Damen konform, bei leicht erhöht gebettetem Kopf, so regungslos wie möglich, auf dem Rücken schlafen. Weil die Position dem Anschwellen der Augenpartie plus resultierender Faltenbildung entgegenwirkt. Zusätzlich vermeiden Sie nebst Spurrillen im Gesicht die gefährlichste Tücke der Seitenlage: Knitterfalten an Hals, Dekolleté und zwischen den Brüsten.

Dankenswerterweise vertreibt eine frappant prallhäutige, naturbelassene, knapp 70-jährige Mimin, die einst durch die Ehe mit einem Hollywoodstar Berühmtheit erlangte, Schönheitskissen. Die Werbefotos im Onlineshop stimmen skeptisch. Auf dem von einer rechteckigen, bunt bestickten Kissenwurst umrahmten Loch ruht man, Fettschwarte im Gesicht, Genick nach hinten überdreht, wie im Sarg. Kein hübscher Anblick. Was soll’s, seit der Trennung schlafen Sie solo. Sie bestellen. 39,98 Euro und vier Tage später sind Sie stolze Besitzerin eines Schönheitskissens in Margeritendesign.

Als Single kommt man auch mit Harndrang gut zurecht.

Dass Sie sich zwecks Entgiftung, der Basis natürlicher Hautreinigung, von 7.00 Uhr früh bis Mitternacht gehorsam drei Liter Wasser reinpfeifen, schränkt untertags Ihren Bewegungsradius ein. Ob Job, Wanderung, Shoppen – die nächste Toilette muss schnellstens zu erreichen sein. In der Nacht jedoch stehen Sie nicht unter Pipistress. Das Klo ist nahe und keiner fragt, wenn Sie das fünfte Mal lostrapsen, warum Sie sich aus seiner Umarmung lösen.

Da Ihre Gesichtshaut nach zweiwöchigem Programm erstrafft, Schlupflider schwinden und die frustigen Mundwinkel aufwärts wandern, kann Haarausfall Sie nicht erschüttern.

Ein saisonbedingtes Problem, dem, wie Sie aus Erfahrung wissen, das amerikanische Wässerchen, das im Oktober vor zwei Jahren blitzschnell half, gewachsen ist. Ihr Gynäkologe hatte Sie beruhigt, vermehrter Abstoß sei in Herbst und Frühling normal, Ihnen dennoch sein persönliches, beim letzten Aufenthalt im kalifornischen Zweitdomizil erworbenes Wundermittel verraten. Vom Verdacht, dass der Juli weder zu Herbst noch Frühling gehört, lassen Sie sich nicht beirren. Sie ticken eben anders.

Auf dem Weg zur Apotheke möchten Sie für die 50er-Geburtstagsparty Ihres Jugendfreundes ein Billet erstehen. Erschüttert durchforsten Sie die flotten Sprüche. Weder Prost, auf dass du so alt wirst, wie du aussiehst! noch Mach es wie die Glühbirne: Trag’s mit Fassung! oder gar Lächle, solange du noch Zähne hast! treffen den Ton, in dem Sie gratulieren wollen. Sie beschließen, selbst zu dichten.

Der Laden ist voll. Statt sich über die zähe Warteschlange zu ärgern, bedauern Sie diese Menschen, die die Apothekerin mit Kreuzschmerzen, Hühneraugen, Schwindelanfällen zutexten und, nachdem sie die empfohlene Arznei bezahlt haben, mit dem Säckchen in der Hand an der Kasse stehenbleiben, um ein wenig weiterzuplauschen. Wie traurig, wenn man niemanden zum Reden hat. Wenn die Einsamkeit so schlimm ist, dass man das Murren aus dem Hintergrund in Kauf nimmt, bloß um ein paar Worte mit einer Fremden wechseln zu können.

Am ärmsten aber ist die Apothekerin. Eine alte Frau, tiefe Falten, graues Haar, gebückter Gang. Wieso arbeitet sie noch? Die müsste längst in Rente sein. Die Zeiten werden immer brutaler.

Als Sie endlich an der Reihe sind, nennen Sie der Armen den Namen des Haarwassers. Gerne verkaufe sie Ihnen das teure Produkt, aber, verschwörerisch senkt sie die Stimme und beugt sich über den Tresen, in unserem Alter sind es die Hormone. Da können wir uns in die Kopfhaut schmieren, was wir wollen, hier hilft nur Östrogen. Gehen Sie zum Arzt, und dann kommen Sie mit dem Rezept wieder zu mir. Bezahlt die Krankenkasse. Glücklich, Sie so gut beraten zu haben, strahlt die alte Kuh Sie an, schönen Tag noch. Ja, du mich auch.

Den schönen Tag beenden Sie mit Pizza Diavolo, Chianti und Rückenschmerzen vor der Glotze.

Statt die Werbepausen zum Bestücken des Geschirrspülers, Checken von E-Mails oder für einen entgiftenden Toilettengang zu nutzen, bleiben Sie, vollgefuttert und grantig, auf der Couch liegen. Die Spots, in denen Testimonials Ihrer Altersklasse vom Bildschirm lächeln, lobpreisen Mittel gegen Blasenschwäche, Gelenkschmerzen, Blähungen, Gedächtnisprobleme oder als Schlafstörungen verkleidete senile Bettflucht. Dass Sie der Zielgruppe für Schwangerschaftstests, Kondome und Aknetinkturen entwachsen sind, ist klar, doch fragen Sie sich jetzt, wie lange es dauern mag, bis Sie in orthopädischen Schlapfen zur Apotheke schlurfen werden, um Rheumasalben, gehirnzellenaktivierende Nahrungsergänzungsmittel und Inkontinenzwindeln zu erwerben.

Als Sie zu Bett gehen, pfeffern Sie das Schönheitskissen in die Zimmerecke, Sie haben keine Lust, sich hautschonend aufzubahren. Knitterfalten, na und? Die verschwinden von selbst. Gegen vom Wein verquollene Augen kann auch die Margeritenkissenwurst nichts ausrichten. Und das Problem Lachfalten wird sich, sinnieren Sie düster, bald von selbst erledigen.

Nach vier Stunden erwachen Sie schweißnass aus einem Albtraum. Sie sitzen im Rollstuhl, urinieren in die Windelhose, und Ihre Betreuerin, die Oma aus der Apotheke, sagt sanft, das macht doch nichts, das ist ganz normal in unserem Alter. Sie schnellen hoch, spüren einen Stich im Rücken und betasten panisch das Laken. Schweiß, Lendenwirbelschmerz und Harndrang sind real, das Bett hingegen ist gottlob trocken. Sie düsen zur Toilette, trinken in der Küche einen halben Liter kaltes Wasser gegen den Alkoholbrand und finden keinen Schlaf mehr. Das hat man von der Werbung.

Als die Sonne über einem wolkenlosen Himmel aufgeht, reißen Sie sich am Riemen.

Was ist denn los mit Ihnen, dass ein sturer Verkehrspolizist, unbedachte Worte einer Apothekerin, an Millionen Menschen gerichtete Werbespots Sie dermaßen aus dem Gleichgewicht bringen? Wo ist Ihr Selbstbewusstsein? Und wo, verdammt nochmal, die liebevoll gepflegte Löwenmähne? Das zumindest wissen Sie: im Badezimmer. Längst graut Ihnen davor, sich zu kämmen, zu spüren, wie Hunderte Haare über den nackten Rücken gleiten und zu Boden schweben. Vielleicht sollte man die toten Locken einsammeln und auf eine Eigenhaarperücke sparen.