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Japan, Oktober 1581 Die mächtigen, zahlenmäßig weit überlegenen Streitkräfte Oda Nobunagas dringen von allen Seiten immer tiefer in die winzige Provinz von Iga ein, wobei sie alles zerstören und jeden töten, der sich ihnen in den Weg stellt. Yujiro und seine Waffenbrüder tun alles, um diesen brutalen Kriegsherrn aufzuhalten und ihre geliebte Heimat zu verteidigen. Trotz all ihrer Bemühungen versinkt Iga in Chaos und Yujiro muss machtlos zusehen, wie nicht wenige seiner Landsleute und ihm Nahestehende, einer nach dem anderen, gnadenlos niedergemetzelt werden. Was er durchlebt, kann einen Mann prägen … oder ihn brechen. Als er danach versucht sein Leben in Frieden weiterzuführen, taucht sein Erzfeind Takeru auf. Dieser lockt Yujiro zu sich, indem er seine Nichte als Geisel nimmt. Angetrieben von selbstzerstörerischem Hass schlägt Yujiro zusammen mit einer Handvoll treuer Krieger und Waffenbrüder in Takerus Unterschlupf zu. Zu spät begreift er, dass seine tief sitzende Rachsucht seine Konsequenzen hat … Konsequenzen, die sein Leben für immer verändern.
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Seitenzahl: 603
Veröffentlichungsjahr: 2022
Danny Seel
Shinobi
Die Auslöschung
© 2022 Danny Seel
Umschlaggestaltung: Sabina Acker
ISBN Softcover: 978-3-347-50523-0
ISBN Hardcover: 978-3-347-50524-7
ISBN E-Book: 978-3-347-50525-4
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:
tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany
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Vorwort
1. Grausiger Alptraum
2. Düstere Zeiten
3. In Erwartung der Oda
4. Der Sturmangriff
5. Hölle auf Erden
6. Flieh oder Stirb
7. Schmerzvolle Prozeduren
8. Ryuzaki
9. Kashiwara
10. Wiedervereinigt
11. Der Feind vor dem Tor
12. Der Kriegsrat
13. Der Tunnel
14. Der Überraschungsangriff
15. Akemis Bedrängnis
16. Das Stürmen der Festung
17. Vernichtende Neuigkeiten
18. Verzweifelt
19. Ausweglos
20. Der wahre Sturm
21. Das Gemetzel der Unschuldigen
22. Das Blutbad
23. Mehr Opfer
24. Von den Oda umschwärmt
25. Gnadenlos
26. Die Selbstaufopferung
27. Der Fluchtweg
28. Noch ein Kriegsopfer
29. Der neue Anführer
30. Kanagis Rachsucht
31. Die Ruinen von Nabari 147
32. Ein bekanntes Gesicht
33. Auf der Flucht
34. Der Engpass
35. Sawadas Selbstlosigkeit
36. Die selbstmörderische Versuchung
37. Wieder Noriaki
38. Von Bestien umzingelt
39. Von Raubtieren gejagt
40. In der Klemme
41. Rintaros Weisheit
42. Eine unerwartete Begegnung
43. Vieles zum Nachholen
44. Der Nanban
45. Die Rōnin
46. Senichis Vorschlag
47. Die Trauerzeit
48. Der Verstoß
49. Die Steuereintreiber
50. Sünden der Vergangenheit
51. Ein öffentliches Beispiel
52. Schutt und Asche
53. Die Plünderung
54. Erschüttert
55. Das Dilemma
56. In Sakurai
57. Die Kunoichi
58. Entführt … schon wieder
59. Das waghalsige Vorhaben
60. Riskante Verhörmethoden
61. In Takerus Klauen
62. Der koordinierte Angriff
63. Die Befreiung
64. Vor dem Aufbruch
65. Takerus Unterschlupf
66. Im Rachen des Todes
67. Unübertroffen
68. Von Feuer umgeben
69. Der Wasserfall
70. Falsch eingeschätzt
71. Überleben des Stärkeren
72. Blinder Zorn
73. Das Verderben eines großen Kriegers
74. Takerus Offenbarung
75. Die andere Perspektive
76. Feier und Frieden
Nachwort
Japanisches Glossar
Vorwort
Dies ist das dritte und abschließende Buch der Shinobi-Reihe. Der Leser sollte verstehen, dass es sich hier keinesfalls darum handelt das Vergangene möglichst idyllisch auszuschmücken. Stattdessen wird hier der Versuch unternommen, bestimmte historischen Ereignisse, nämlich die Invasion von Iga, so nahe an die Realität darzustellen, wie es gewesen sein mochte.
Dazu sei es noch angemerkt, dass diese Buchreihe in einem Aspekt leider einen Irrglauben verbreitet haben könnte: Obwohl die Shinobi gewesen sein mochten, so wie es in den drei Romanen beschrieben wird, ist es wichtig zu verstehen, dass nicht jeder von ihnen alle der Künste des Ninjutsu beherrschte. Dies bedeutet, dass nicht alle Shinobi – zum Beispiel – Krieger oder Saboteure waren; nicht jeder besaß die gleichen Fertigkeiten. Was sie jedoch gemeinsam haben, ist die Tatsache, dass sie alle Spione und Aufklärer waren. Außerdem waren viele der Waffen, die sie in diesen Büchern verwenden, wie beispielsweise die Shuriken, bei weitem nicht ausschließlich Shinobi-Werkzeuge, sondern wurden auch – vielleicht zur Überraschung mancher – von Samurai oder anderen genutzt.
Hier, in diesem letzten Teil, möchte der Autor deutlich zeigen, dass die Shinobi gewöhnliche Menschen waren, auch wenn die kontemporäre Populärkultur sie als tapfere Helden, gefühllose Bösewichte oder gnadenlose Attentäter darstellt. In diesem Roman wird der Leser sehen, dass die Shinobi genauso handeln, fühlen und leiden können wie auch andere Menschen. Sie sind ebenso Menschen wie auch jeder andere. Obwohl es stimmt, dass ihre Fähigkeiten unglaublich sind, sollte ihre Menschlichkeit auf gar keinen Fall untergraben werden.
Denn in diesem Buch wird gezeigt, was der Krieg wahrhaftig ist. In diesem Buch wird darauf hingewiesen, wozu die menschliche Brutalität führen kann. In diesem Buch wird verdeutlicht werden, was die Bewohner von Iga vermutlich durchlebt haben mussten: Schmerz, Leid und Tod.
1. Grausiger Alptraum
Japan, irgendwo in Iga, November 1581
Blut. Überall wo Yujiro hinschaute, sah er nur Blut. Ein brennender Schmerz durchzuckte sein Bein und er verspürte mächtiges Kopfweh, sodass er gegen die aufkeimende Bewusstlosigkeit ankämpfen musste. Die Zähne zusammenbeißend, unterdrückte er ein Stöhnen. Völlig kraftlos öffnete er die Augen, die sich wieder jede Sekunde zu schließen drohten, und richtete dann seinen verschwommenen Blick auf seinen Körper. Es dauerte einen Moment, bis das Bild vor seinen Augen deutlicher wurde.
Erschrocken schnappte er nach Luft. Er realisierte, dass er wehrlos neben einem Baum in einem dunklen Wald lag. Doch dies war nicht der Grund für sein Entsetzen. Das Blut, das er überall gesehen hatte, konnte er nun viel besser erkennen und er musste erschaudern, als er verstand, wem es gehörte.
Es war sein Blut.
Zu seiner Entrüstung bemerkte er, dass sein Kimono, seine Kleidung, an mehreren Stellen zerrissen war und frische Blutspuren aufwies. Die vielen schmerzenden Wunden musternd, die durch die Risse zum Vorschein kamen, fiel ihm besonders sein rechtes Bein sowie seine Brust auf, auf denen karminrotes Blut klebte. Vor Unglauben weitete er die Augen. Einige Verwundungen waren Schnitte, die meisten jedoch Kratzer und … Bisse?
Unfähig seinen eigenen Augen zu trauen, setzte er sich auf und lehnte sich leicht an den Baum hinter sich an. Dann schaute er hinauf in die dunklen und hohen Baumkronen, die über ihm aufragten. Es schien Nacht zu sein, obwohl er mit seiner Sicht und seinen anderen Sinnen, die immer wieder kamen und gingen, sich nicht sicher sein konnte.
Vor Schmerz aufstöhnend versuchte er, sich daran zu erinnern, was mit ihm eigentlich geschehen war. Völlig durcheinander blieb er dort ein oder zwei Sekunden lang sitzen, bis ein Geräusch ihn zusammenzucken ließ.
Ein gedämpfter Todesschrei ertönte, dem kurz darauf ein bestialisches Knurren und das Zerreißen von Fleisch folgte. Hastig sah sich Yujiro über die Schulter. Entsetzt weitete er die Augen, als er etwas weiter entfernt durch die Büsche Bestien erblickte, die gerade dabei waren, einen Menschen auseinanderzureißen.
Wo bin ich?, fragte er sich fassungslos. Wie in aller Welt bin ich in diesen Alptraum geraten?
Bestürzt beobachtete er, wie nichts weiteres als Blut und Knochen vom Opfer dieser Kreaturen übrig blieb, von denen eines ein langes Heulen von sich gab. Ein kalter Schauer lief ihm den Rücken hinunter. Schlagartig überkamen ihn die Erinnerungen, als er begriff, wer das Opfer war.
Plötzlich vernahm er leise Bewegungen vor sich. Er wusste, dass es keine Menschen sein konnten, da er vier Schritte hörte, begleitet von einem wilden Knurren.
Alarmiert kniff er die Augen zusammen und blickte in die Dunkelheit, um potenzielle Bedrohungen ausfindig zu machen. Er schnappte nach Luft, als er in eisige, braune Augen schaute, die nicht die geringste Ähnlichkeit mit denen eines Menschen hatten.
Erschrocken spürte er, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Sofort fiel seine Aufmerksamkeit auf ein Tantō, das im Gras neben ihm lag. Instinktiv packte er das Messer, ohne dessen Klinge zu beachten, auf der bis zur Parierstange Blut klebte – ein Zeichen dafür, dass sie tief in einem Körper gesteckt hatte. Verkrampft sah er wieder auf.
Statt ein braunes, tierisches Augenpaar in der Dunkelheit zu sehen, erblickte er zwei Bestien, die langsam aus den Schatten des Waldes schlichen und ihn mit gefletschten Zähnen anknurrten. Speichel tropfte ihnen aus den hungrigen Mäulern, während sie sich ihm bedrohlich näherten.
Verzweifelt schaute sich Yujiro um und suchte nach einem Ausweg aus seiner aussichtslosen Situation. Doch es war zu spät. Mit einem wilden Knurren warfen sich die beiden Bestien gleichzeitig auf ihn …
2. Düstere Zeiten
Fünf Wochen zuvor …
„Yujiro! Wach auf!“
Verwirrt öffnete Kiyonori Yujiro die Augen. Sein Blick fiel sofort auf einen jungen Mann, der ihn wachrüttelte. Dieser hatte feingeschnittene Gesichtszüge und sah nicht allzu erfahren aus, obwohl sein Alter dafür ein Faktor sein könnte. Sich das Bein kratzend, erhob sich Kiyonori vom Gras, auf dem er eingeschlummert war, und blickte kurz zum Himmel auf.
Ich muss fünf oder sechs Stunden lang geschlafen haben, sagte er sich, als er feststellte, dass der Nachmittag bereits eingetreten war. Letzte Nacht war er ins feindliche Lager eingebrochen und hatte vergeblich versucht Nobukatsu, den Sohn des großen Daimyō, des Kriegsherrn, Oda Nobunaga, der ihre Heimat angriff, zu töten, sodass er komplett ermüdet war. Er verspürte einen schmerzlichen Stich in der Brust, als er sich daran erinnerte, was ihn zu dieser selbstmörderischen Tat veranlasst hatte: Teruos Tod.
Teruo, sein treuer Waffenbruder, der ihn vor einem halben Jahr verraten und anschließend wieder gerettet hatte, war während einer der Guerilla-Angriffe umgekommen. Yujiro hatte alles versucht, um ihm zur Hilfe zu kommen, war jedoch zu spät gewesen.
„Suzaku, wieso hast du mich geweckt?“, fragte er den jungen Mann, der etwas ungeduldig wirkte.
„Momochi-sama ruft dich“, erwiderte Suzaku rasch. „Du verspätest dich für den Kriegsrat.“
„Oh nein!“ Die Augen weitend, schnalzte Kiyonori mit der Zunge.
„Ich finde, du solltest dich etwas beeilen“, meinte sein Waffenbruder.
Yujiro setzte ein sarkastisches Lächeln auf. „Das hätte ich mir jetzt nicht gedacht.“
Suzaku schmunzelte kopfschüttelnd zurück. „Geh doch schon.“
Seinem Freund dankbar zunickend, entfernte sich Kiyonori und eilte durch die schmalen Straßen seines Heimatdorfes Nabari. Schließlich erreichte er nicht weit vom Dorfplatz das Anwesen des Jōnin, des Anführers ihres Clans, in dem nun die vielen Chūnin, Assistenten des Jōnin, zu denen auch Yujiro zählte, diesmal ohne den Clan-Ältesten, die nach Kashiwara gezogen waren, für einen Kriegsrat zusammengerufen wurden.
Er betrat Tanbas Anwesen, ging ans Ende des Korridors und öffnete die Doppeltür. Sein Blick fiel auf den großen Empfangsraum, wo sich bereits alle anderen Chūnin versammelt hatten. Diese knieten vor einer Estrade am Ende des Empfangszimmers, auf welcher Momochi saß, ein älterer, weiser Mann mit grauweißen Haaren sowie einem Kinn- und Schnurrbart. Sofort spürte Kiyonori die Augen aller Anwesenden auf sich.
Sich entschuldigend verbeugte er sich vor ihnen. „Ich bitte um Verzeihung für meine Verspätung.“
Der Jōnin nickte einfach schnell. Mit einer weiteren, flüchtigen Verbeugung nahm Yujiro auf den Tatami, den Strohmatten, Platz. Zu seiner Linken saß Sawada, sein ehemaliger Lehrmeister, der ihm während seiner Kindheit beinahe wie ein Vater gewesen war. Dieser begrüßte ihn mit einem kaum merklichen Nicken. Tanba vergeudete keine Sekunde und begann sofort.
„Wir haben nicht viel Zeit. Lord Nobukatsus Truppen rücken immer näher an Nabari heran und werden in wenigen Stunden hier sein.“ Er seufzte, bevor er fortfuhr: „Lord Nobunagas Armee dringt immer weiter in Iga vor und brennt auf dem Weg Dörfer, Schreine sowie Tempel nieder, ohne Frauen, ältere Menschen oder Kinder zu verschonen. Mir scheint es, dass die Geschichte sich wiederholt. Er wird mit uns genauso rücksichtslos verfahren wie mit den Kriegermönchen vom Berg Hiei vor zehn Jahren.“
Momochi hielt kurz inne und musterte seine Untergebenen mit einer äußerst ersten Miene. „Wie es manche von euch bereits wissen, setzt Lord Nobunaga – laut unseren Spionen – insgesamt mehr als vierzigtausend Männer gegen uns ein. Eine größere Armee als Lord Nobunagas hat es in Japan noch nie gegeben. Was wären eure Ratschläge über unsere Handlungsweise?”
„Wir können uns nicht länger verstecken!“, meinte einer der jüngeren Chūnin unvermittelt. „Wir müssen bleiben und kämpfen! Wir können nirgendwohin fliehen!“
„Ich entschuldige mich für meine Respektlosigkeit“, fing ein anderer an, dessen Gesicht leicht rot vor Wut war, „aber haben Sie den Verstand verloren? Mithilfe von den Koga wird es Lord Nobunaga leichtfallen, Iga einzunehmen, vor allem weil er nun viele unserer Tricks und Guerilla-Taktiken kennt, die nun wertlos sind … Und außerdem könnten wir uns in die Festung Kashiwara zurückziehen.“
„Und was dann?“, fragte Sawada gelassen.
Es entstand Schweigen, als jeder begriff, dass sie nirgendwo wirklich hinkonnten. Alle Provinzen um sie herum waren entweder unter Nobunagas Kontrolle oder gehörten seinen Verbündeten. Und Nobunaga war kein Mann, der für seine Barmherzigkeit bekannt war. Im Gegenteil. Es gab nicht wenige Menschen in Japan, die aufgrund seiner Brutalität dachten, dass er die lebendige Verkörperung eines Dämons war. Nobunaga selbst nannte sich der „Dämonenkönig“.
„Die Oda kesseln uns ein“, setzte Sawada fort, nachdem er seinen Standpunkt verdeutlicht hatte. „Wir müssen alles in unserer Macht Stehende tun, damit sie die Festung von Kashiwara nicht erreichen, wo die Frauen, Kinder und ältere Menschen Zuflucht suchen.“
Nach einem Moment des Schweigens äußerten andere Chūnin und Ältesten ihre Meinung, bis man anfing Nobunagas Absichten sowie Ambitionen genauer zu analysieren, um effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Eine heftige Diskussion entstand, an der sich alle außer Yujiro beteiligten. Dieser schien ungewöhnlich still und nachdenklich zu sein. Auch Tanba bemerkte dies und sprach ihn darauf an, sobald er seine debattierenden Untergebenen beruhigt hatte.
„Und was meinen Sie dazu, Kiyonori-san? Sie haben bisher noch kein Wort gesagt.“
Yujiro, der die ganze Zeit aufmerksam zugehört und nachgedacht hatte, spürte, wie sich alle Augen auf ihn richteten. Nach einer kurzen Überlegung gab er seine Antwort.
„Etwas scheint hier ganz und gar nicht zu stimmen. Wieso würde ein machtgieriger Kriegsherr durch eine winzige Provinz wüten und jeden auf dem Weg umbringen?“ Er schüttelte den Kopf. „Dieser ganze Krieg geht nicht nur um territoriale Erweiterung …“
Er hielt kurz inne und blickte dem Jōnin todernst direkt in die Augen. „Ich glaube, Lord Nobunaga möchte uns alle auslöschen.“
Es entstand Stille. Fassungslos starrten viele vor sich hin, als sie begriffen, was Kiyonori meinte. Wieder einmal dachten alle daran, was aus ihnen werden würde, wenn sie den Krieg verlören … Ihr Schicksal wäre besiegelt.
Grübelnd strich sich Momochi über den Bart. Schließlich brach er das Schweigen. „Uns läuft die Zeit davon, deshalb werde ich nun unsere Strategie besprechen.“
3. In Erwartung der Oda
„Seid leiser!“
Sobald der Ruf ertönte, senkten die Krieger ihre Stimmen. Yujiro ließ seinen Blick über die Reihen seiner Truppe vor ihm wandern. Es waren ungefähr fünfzig Shinobi, die, genauso wie er, mit Yari, Lanzen, bewaffnet waren. Die meisten von ihnen trugen einfache Bauernkleidung mit einer leichten Rüstung darüber, die aus schwerem Stoff mit lackierten Metallplättchen bestand, die alle mit dünnen Stücken von Kettenpanzer verbunden waren.
Ihnen den Rücken zudrehend, schaute der Chūnin auf die überfluteten Reisfelder, die sich vor ihm erstreckten. In der Ferne, hinter den Feldern, konnte er das Heer von zehntausend Eliteeinheiten sehen. Schon seit zwei ganzen Stunden stand ihnen die Oda-Armee gegenüber und hatte dort ihr Lager aufgeschlagen. Er wusste, dass sie jeden Moment eine Offensive starten konnten.
Diese fast unzählbaren Krieger ließen ihn an einen bestimmten unter ihnen denken: Sowano Takeru. Bei seinem Einbruch ins Lager der Oda hatte er seinen Erzfeind mitten unter ihnen entdeckt – und dieser ihn auch. Sowano hatte ihm einen Blick zugeworfen, der ihm zu sagen schien, dass er sich freute, ihm bald ein Ende zu setzen.
Yujiro wusste, dass er Takeru auf dem Schlachtfeld treffen würde. Er spürte es. Und er wusste auch, dass er wahrscheinlich nicht siegen würde, denn er hatte bereits dreimal gegen ihn gekämpft und jedes einzelne Mal eine Niederlage erlitten …
Seine Nervosität stieg ein wenig und er wandte sich sofort von den Oda-Soldaten ab. Sein Blick fiel auf Sawada, dessen Truppe direkt neben der seinen platziert worden war. Obwohl Sawadas Krieger dreimal zahlreicher als Kiyonoris waren, waren es bloß Bauern, die als Fußsoldaten ausgebildet worden waren und nur einfache Manöver beherrschten.
Sawada nickte Yujiro ermutigend zu, sobald er seinen Blick auf sich spürte. Der Letztere erwiderte das Nicken, bevor er sich wieder zu seinen Männern umdrehte. Er steckte seinen Yari in die Erde vor sich und nahm sich vor, die Formation seiner Truppe erneut zu überprüfen. Mit hinter dem Rücken verschränkten Armen, schritt er an seinen Kriegern vorbei und inspizierte sie. Er hielt an und ging dann zwischen zwei der mittleren Reihen, bevor er vor zwei jungen Männern stehen blieb. Angespannt umklammerten diese den Schaft ihrer Speere so sehr, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
„Ryuzaki-kun, bist du bereit für die Schlacht?“, fragte er den Ersteren.
„Ich weiß nicht, Onkel Yujiro“, antwortete Ryuzaki ein wenig nervös.
„Und Sie, Imai-kun?“
Imai Ayato, Ryuzakis bester Freund, tauschte einen unsicheren Blick mit seinem Gefährten aus.
„Nun … ich äh …“, begann Ayato zögernd.
„Aha …“, sagte Kiyonori einfach, wobei er die Augenbrauen hob. „Also eher nicht. Glaubt mir, Nervosität zu empfinden ist normal, doch wenn ihr euch innerlich nicht auf den Kampf vorbereitet, wird man euch ohne jegliche Schwierigkeiten auf dem Schlachtfeld niedermähen. Vergesst alles und konzentriert euch nur auf eure Aufgabe. Habt ihr mich verstanden?“
Die beiden Fünfzehnjährigen nickten.
„Wir werden unser Bestes geben“, sagte Ayato.
Der Chūnin schmunzelte billigend, bevor er sich von ihnen abwandte. Sich umschauend, schritt er weiter, wobei er bemerkte, dass die meisten seiner Männer eher still waren und nicht miteinander sprachen. Offensichtlich waren auch sie nervös.
Er ging weiter die Reihen seiner Truppe entlang, bis er seine vier Waffenbrüder erblickte. Sich ihnen nähernd, öffnete er den Mund, um ihnen etwas zu sagen, doch Daisuke, ein großer, eher ungepflegter Mann, der seine Haare in einem Haarknoten trug und dessen Gesicht von einem zerzausten Kinn- sowie Schnurrbart bedeckt war, kam vor ihm ans Wort.
„Und Yujiro, wie steht es? Wann, glaubst du, werden sie angreifen?“
Die anderen drei Männer neben Daisuke, die bisher nur schweigend vor sich hin gestarrt hatten, schauten auf und sahen zu Kiyonori, der vor ihnen stehen blieb.
„Haltet euch bereit. Es wird bald sein. Sehr bald“, antwortete er und hielt kurz inne. „Nun … wie ist eure Stimmungslage?“
Fragend ließ er seinen Blick über seine vier Waffenbrüder wandern.
„Ich bin bereit die Oda von ihrem Leid zu erlösen!“, erwiderte sein Bruder Izuya entschlossen und verschränkte die Arme vor seiner muskulösen Brust.
Daisuke grinste und nickte zustimmend. „Da bin ich mit dir vollkommen einverstanden.“
„Bin ich etwa der Einzige, der sich Sorgen darüber macht, am Leben zu bleiben?“, erkundigte sich Suzaku mit einem nervösen Lächeln.
Die anderen lachten leise vor sich hin, als sie dies hörten.
„Keine Angst“, machte ihm Rintaro Mut, ein schweigsamer und weiser Mensch. „Deine Gedanken widerspiegeln die meinen.“
Wortlos sahen sich Kameraden gegenseitig an. Sie verstanden, weshalb er so etwas sagte. Ihnen war bewusst, dass er zutiefst hoffte, irgendwie zu überleben, um seine Frau und Tochter wiederzusehen, sowie um, als die Zeit kam, sein zweites ungeborenes Kind zu Gesicht zu bekommen.
Yujiro war der Erste, der das Schweigen brach: „Beide eure Stellungnahmen sind korrekt. Wir müssen versuchen den Oda möglichst viel Schaden zuzufügen, aber ohne dabei leichtsinnig unser Leben zu riskieren.“
Daisuke nickte. „Er hat Recht. Lasst uns lieber positiv denken. Nur so werden wir eine Chance gegen die Oda haben.“
Suzaku schmunzelte. Nun schien er sich ein wenig beruhigt zu haben. Auch Izuya lächelte, doch aus einem ganz anderen Grund. Man konnte ihm seine Abneigung den Oda gegenüber aus dem Gesicht ablesen und erkennen, wie ungeduldig er war und nur darauf wartete, sich ihnen zu stellen. Sein Blick fiel auf Rintaro, der ungewöhnlich unsicher aussah und ins Leere starrte.
„Rintaro“, versuchte er ihn zu ermutigen, „Was ist mit dir? Bist du bereit, es mit ihnen aufzunehmen?“
Rintaro schmunzelte. „Sicher … Ein Pfeil bricht, zehn Pfeile brechen nicht. Wenn wir zusammenhalten, werden wir es überstehen.“
Etwas ermuntert schaute der Chūnin seine Waffenbrüder noch einmal kurz an. „Dann bis später.“
Sich von ihnen abwendend, ging er weiter und inspizierte seine Truppe. Es waren Männer jedes Altes: Unter seinen Leuten konnte er einige sehen, die mindestens fünfzig Jahre alt sein mussten, während es jedoch auch andere gab, die so jung waren, dass es ihm schwerfiel, sie als Männer zu bezeichnen. Sein Blick blieb auf einem zitternden Burschen hängen. Unverzüglich wurde er von Mitleid zu ihm ergriffen.
„Wie alt bist du, Junge?“, fragte er ihn, als er vor ihm anhielt.
Überrascht blickte der junge Mann kurz zu seinem Vorgesetzten auf. „V-vierzehn, Sir.“
„Du scheinst unruhig zu sein“, untertrieb Yujiro gewaltig, wobei er diese Bemerkung bewusst milderte. „Dies muss deine erste Schlacht sein, nicht wahr?“
Der junge Mann, der sich vor Nervosität kaum kontrollieren konnte, blickte Kiyonori unsicher an. „I-ich bin noch nie auf einer wirklichen Mission gewesen, Sir, geschweige denn auf einem Krieg.“
Auf einmal wurde der Chūnin ein wenig wütend, dass man überhaupt solche unerfahrenen jungen Männer an einer Schlacht teilnehmen ließ. Ohne Erfahrung würden sie fast gleich im Kampf sterben und dazu noch in so einem jungen Alter. Zornig richtete er seine Wut auf Nobukatsu, der dafür verantwortlich war, dass sie jede nur mögliche Streitkraft, inklusiv Minderjährigen, nutzen mussten, um überhaupt einen kleinen Funken Hoffnung auf Sieg zu haben.
Mit einiger Empathie, stellte er dem jungen Mann eine weitere Frage. „Wie heißt du?“
„Haku, Sir.“
„Nun, Haku-kun, ich kann dir sagen, dass du dich nicht so sehr zu fürchten brauchst. Schließlich hast du ja beinahe dein ganzes Training hinter dir …“
Haku schluckte noch einmal. Zögernd blickte er auf und schaute seinem Vorgesetzten mit einer Mischung aus Unschuld und Verständnislosigkeit direkt in die Augen.
„Sir, wieso tun wir dies?“, wollte er wissen, sich auf die kommende Schlacht beziehend. „Dies ist Selbstmord!“
Yujiro seufzte, denn er wusste, dass Hakus Worte nicht weit entfernt von der Wahrheit waren. „Vielleicht. Doch ich werde nicht der Mann sein, der einfach nur dagestanden und zugesehen hat, wie Iga niedergebrannt wurde. Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um diesen Tyrannen aufzuhalten. Auch wenn ich sterben muss, werde ich so viele vom Oda-Abschaum mit mir in den Tod reißen wie ich nur kann.“
Haku schien über Kiyonoris Aussage eher verwirrt zu sein. Anscheinend konnte er es nicht glauben, dass es Männer gab, die nicht ausschließlich nur ans Überleben dachten, sondern auch daran den Feind möglichst viel zu schwächen.
Der Chūnin nahm dies zur Kenntnis und beschloss den jungen Mann unter seinen Schutz zu nehmen. „Wenn die Schlacht anfängt, bleib hinter mir.“
Haku lächelte schwach, doch Yujiro konnte sehen, dass es tief empfundene Dankbarkeit war. „Vielen, vielen Dank, Sir.“
Kiyonori erwiderte sein Schmunzeln, bevor er ihm mit einem aufmunternden Nicken den Rücken zuwandte. Wieder zurück an die Spitze seiner Truppe gehend, zog er seinen Yari aus der Erde. Er wollte gerade zurück zur Oda-Armee blicken, als ein plötzliches Gebrüll, gefolgt von dem Dröhnen von Kriegstrommeln, ihn aus seinen Gedanken riss. Er blickte auf und sah viele feindliche Truppen, die so schnell es ihre Rüstungen nur zuließen, vorwärts stürmten.
Ein Schauder lief ihm den Rücken hinunter. Die entscheidende Schlacht hatte begonnen.
4. Der Sturmangriff
Yujiro beobachtete, wie die unzähligen Oda-Soldaten in der Ferne auf ihn und seine Kriegskameraden zurannten. Schnell stieß er seinen Yari wieder in die Erde, als er eine Bewegung aus seinen Augenwinkeln auffing und ihr dann mit dem Blick folgte. Zu seiner Rechten sah er Tanba, der die gleiche Ausrüstung wie seine Männer trug und der nun vor seine Truppen trat. Etwas hinter ihm waren weitere Jōnin von einigen der anderen Clans von Iga. Entschlossen schaute Momochi geradeaus und visierte die rasenden Oda-Soldaten mit seinem ernsten Blick an.
„Ich brauche einen Bogen“, sagte er emotionslos und streckte die Hand zur Seite aus, ohne seine Augen abzuwenden.
Unverzüglich kam ein Samurai herbei und überreichte Tanba einen Bogen sowie einen Köcher voller Pfeile. Immer noch auf die laufenden Angreifer starrend, nahm der Jōnin den Bogen sowie einen Pfeil. Währenddessen legte ihm der Bushi, der Samurai, den Köcher vor die Füße und entfernte sich mit einer unbeachteten Verbeugung. Ausdruckslos spannte Momochi seinen Bogen und zielte. Yujiro wusste, dass Tanba die Reichweite ihrer Bogen testen würde.
Auf einmal ließ der Jōnin die Sehne los und ein Zischen ertönte, als der Pfeil nach vorne raste. Im hohen Bogen durch die Luft fliegend, dauerte es einige Sekunden lang, bis das Projektil sich in die Erde bohrte, in einen kleinen Pfad, der sich zwischen den Reisfeldern vor ihnen hindurchschlängelte. Die rennenden Oda-Krieger befanden sich mehrere Dutzend Meter hinter dem Pfeil, wobei sich die Entfernung zwischen ihnen und dem Projektil jeden Moment verringerte.
Momochi wusste, dass er nur noch wenig Zeit hatte, bevor ihre Feinde in Reichweite ihrer Bogen waren. Aus den Augenwinkeln sah er, wie sich alle anderen Jōnin an die Spitze ihrer Krieger stellten und ihnen Befehle erteilten. Mit leicht zusammengekniffenen Augen drehte sich Tanba zu seinen Truppen, als genau in diesem Augenblick eine Explosion die Erde erschütterte und aus manchen der Kriegsrufe Schmerzensschreie wurden. Seine Miene erhellte sich ein wenig, sobald ihm klar wurde, dass es eine der Umebi-Minen war, die vor ein oder zwei Tagen in den Feldern eingegraben worden waren.
„Männer!“, rief er laut und deutlich, nachdem eine weitere Explosion ertönt war. „Hier und jetzt wird sich unser Schicksal entscheiden. Verlieren wir, so werden wir uns zu unserem letzten Stützpunkt zurückziehen müssen, von wo aus wir unser letztes Gefecht führen werden. Gewinnen wir, so können wir die Oda noch in die Flucht schlagen. Heute werden viele Menschen ihr Leben lassen und viel Blut wird vergossen werden. Jedoch unabhängig davon wie es ausgeht, merkt euch eines …“
Plötzlich stieß er seinen Bogen nach oben, bevor er so laut schrie, dass sein Gesicht sich rot verfärbte: „ES LEBE IGA!“
Alle Iga-Krieger streckten ihre Waffen in die Luft und antworteten ihm im Einklang: „ES LEBE IGA!“
Sobald die Schreie schließlich abnahmen, befahl Momochi: „Zielt!“
All seine Männer, die einen Bogen besaßen, befolgten sofort den Befehl und nahmen feindliche Krieger ins Visier, die eilig auf den Pfaden liefen. Der Jōnin hob die Hand leicht vor sich, wobei er entschlossen seine Angreifer fixierte. Einen Augenblick lang wurde es beinahe still, als die Iga verstummten und nur noch das Kriegsgeschrei, das ständige Echo der dröhnenden Kriegstrommeln sowie die gelegentlichen Explosionen weiter entfernt hörbar waren.
„Schießt!“, brüllte Tanba auf einmal.
Plötzlich erfüllte ein lautes Zischen die Luft, als Hunderte von Pfeilen abgeschossen wurden. Wie ein Regen des Todes prasselten die Projektile auf die Oda-Krieger nieder, von denen nicht wenige ihr Ziel trafen. Die Oda-Soldaten rannten einer hinter dem anderen auf den kleinen, schmalen Pfaden, die zwischen den überfluteten Feldern verliefen, und kamen deshalb nur langsam vorwärts.
„Beeilt euch!“, rief Yujiro seiner Truppe zu, während er seinen Bogen erneut spannte.
„Schießt!“, befahl er und ließ seine angespannte Bogensehne los.
Dem Abschuss seines Projektils folgten viele andere. Hunderte von Schmerzensschreien ertönten, als ein zweiter Pfeilhagel auf die Oda niederregnete. Manche der feindlichen Krieger taumelten mit einem Pfeil im Körper ins Wasser und tauchten in einem überfluteten Reisfeld unter.
Weitere Pfeilsalven wurden abgegeben und viele der Oda-Soldaten wurden getroffen. Doch nach vier oder fünf konsekutiven Abschüssen gelang es den Oda, weiter vorzudringen, bis sie beinahe das Ende der Reisfelder erreichten.
„Schneller, schneller, schneller!“, konnte Kiyonori einen der Chūnin schreien hören.
Nach genauem Zielen feuerte auch Yujiro ab. In nur ein oder zwei Sekunden hatte sein Pfeil bereits die Entfernung zwischen ihm und seinem Ziel überwunden. Geschwind streifte er den konischen Helm eines rennenden Ashigaru, eines Fußsoldaten, der aus lackiertem und gehärtetem Leder bestand und bohrte sich ihm ins Gesicht. Der Ashigaru schwankte einige Schritte vorwärts, bevor er von einem seiner Kriegskameraden vom Pfad geschubst wurde und ins Wasser taumelte.
„Stopp! Nicht mehr schießen!“, befahl Momochi laut schreiend, als er sah, wie nahe die Oda an sie herangekommen waren. Nicht wenige von ihnen befanden sich nun zwischen den Reisfeldern und dem Dorfrand und konnten viel leichter ausschwärmen.
„Die Schleudern!“, brüllte Tanba.
In wenigen Sekunden hatten viele seiner Männer eine Schleuder in der Hand und nahmen eine Granate aus ihren kleinen Beuteln an ihren Gürteln, die sie als Munition benutzten. Hastig begannen sie die Schleudern über ihren Köpfen zu kreisen und zielten.
Sobald sie genügend Schwung hatten, warfen sie die Bomben auf die rennenden Oda-Horden. Unzählige ohrenbetäubende Knalle erfüllten die Luft, sodass Yujiro meinte, davon taub zu werden. Doch den Schaden, den ihre Granaten dem Feind zufügten, lohnte sich sehr, als er sah, wie Hunderte von Oda-Soldaten umhergewirbelt wurden und auseinanderflogen, nachdem die Bomben detoniert hatten.
Mit Genugtuung beobachtete er, wie viele der Krieger unter lauten Schreien starben und wie manche Arme, Beine oder gar den Kopf bei der Explosion verloren. Es war eine grauenhafte Darbietung: Blut spritzte in alle Richtungen und viele Menschen, die in ihren letzten Atemzügen lagen, brüllten laut vor Schmerzen.
Obwohl nur wenige der feindliche Soldaten der ersten Welle überlebten, dauerte es nicht lange, bis die Toten und Sterbenden durch andere Krieger ersetzt wurden, die rasend vor Wut auf die Iga zurannten. Tanba wusste, dass sie keine Zeit hätten, um weitere Granaten zu schleudern, und wandte sich deshalb an seine Soldaten.
„Meine Kriegskameraden!“, rief er, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „Greift zu euren Waffen! Zeigt ihnen, mit wem sie es hier zu tun haben! Zeigt ihnen, dass wir nicht so leicht untergehen! Zeigt diesen Feiglingen, dass die Iga ihre Heimat bis zum letzten Atemzug verteidigen werden! Los, Männer! Kämpft für unsere Familien! Kämpft für die Freiheit! FÜR IGA!”
Mit diesen Worten ergriff der Jōnin seinen Speer und stürmte laut brüllend direkt auf die rennenden Oda-Soldaten zu. Sich die Lungen aus dem Hals schreiend, rannten ihm seine Krieger entschlossen hinterher.
„Vorwärts!“, rief Yujiro seiner Truppe zu, der seinen Yari hob, während ihm seine Männer folgten.
Ins furchteinflößende Kriegsgeschrei einstimmend, das sogar das Dröhnen der Kriegstrommeln zu übertönen schien, raste er den flachen Hügel hinab. Im Himmel hoch über sich bemerkte er einen feindlichen Pfeilhagel, der direkt auf ihn und seine Männer zuflog. Ein Pfeil sauste knapp an ihm vorbei, sodass ihn eine Sekunde lang die Furcht ergriff. Doch nicht jeder hatte solches Glück. Als er sah, wie nicht wenige seiner Kriegskameraden mit Schmerzensschreien niedergestreckt wurden und als er die enorme Oda-Armee vor sich erblickte, überkamen ihn Zweifel.
Der Junge hatte Recht, dachte er, sich an Hakus Worte erinnernd. Dies ist Selbstmord.
5. Hölle auf Erden
Eine Stunde später …
Yujiros Herz raste, als er einem Schwertstoß mit großer Mühe auswich. Laut brüllend schleuderte er eine Pulvermischung ins Gesicht seines Angreifers. Dies setzte den Oda-Bushi lange genug außer Gefecht, sodass er fliehen konnte.
Wir haben verloren. Dieser Gedanke traf den Chūnin wie ein schmerzlicher Schwertstoß, der tief in sein Herz drang. Wir haben verloren.
Die Schlacht hatte sich als ein pures Massaker erwiesen. Chaos herrschte überall. Der Gestank von Blut stach ihm in die Nase. Das Zischen von vorbeifliegenden Pfeilen sowie die ohrenbetäubenden Schmerzens- und Todesschreie der Kämpfer beider Seiten erfüllten fortdauernd die Luft, während die Iga-Krieger von den Oda in die Flucht geschlagen wurden und hastig das Schlachtfeld zu verlassen versuchten. Hunderte seiner Kameraden lagen nun tot oder sterbend auf dem Feld, der Gnade des erbarmungslosen Oda Nobunaga ausgeliefert.
Dies muss die Hölle sein, schoss es Yujiro durch den Kopf, als er einen schreienden Iga-Samurai sah, der vergeblich versuchte auszuweichen, kurz bevor ihm ein Oda-Krieger eine Klinge ins Gesicht stieß. Kiyonoris Augen huschten alarmiert in alle Richtungen, während er sowie Suzaku, der ihn begleitete, so schnell sie nur konnten von den Tausenden Oda-Soldaten flohen und mit größter Mühe ihren sterbenden Kameraden stützten: Rintaro.
Seinen Arm umklammernd, brüllte Rintaro pausenlos wie ein Wahnsinniger, als unbeschreibliche Schmerzen seinen gesamten Körper durchzuckten. Der Chūnin musste keinen Blick auf den verkrampften Arm seines Gefährten werfen, um zu wissen, dass er sechs blutige Löcher aufwies, aus denen Blut ununterbrochen strömte; sechs Löcher, die Kugeln hinterlassen hatten. Er wusste, dass Rintaro bald verbluten würde.
„Yujiro! In Deckung!“, brüllte plötzlich Suzaku und warf sich auf Kiyonori. Erschrocken spürte der Letztere, wie ein zischender Pfeil seinen Hinterkopf streifte, während er von seinem Waffenbruder zu Boden mitgerissen wurde. Unvorbereitet auf dieses Manöver misslang es ihm, seinen Sturz mit den Händen abzudämpfen und er schlug deshalb mit dem Gesicht auf der Erde auf. Schmerzen durchrüttelten seinen Körper und seine Sicht verdunkelte sich, als ein vor kurzem erlebtes Ereignis ihm vor den Augen aufblitzte …
„Die Lage ist aussichtslos!“, rief Rintaro, der Yujiro an der Schulter packte und zurückzog, die Augen auf ein Dutzend brüllender und rennender Oda-Krieger heftend. „Wir müssen uns jetzt zurückziehen! Es sind viel zu viele!“
Unsicher schüttelte der Chūnin den Kopf. „Momochi-sama hat keinen Befehl dazu gegeben!“
Sich Blut von der Wange abwischend, öffnete er den Mund, als sie einen lauten Schrei vernahmen.
„FEUER!“
Alarmiert drehte er sich um.
„Runter!“, hörte er Rintaro rufen, bevor er einen heftigen Stoß spürte, der ihn zu Boden warf. Im selben Moment ertönten Schüsse. Im Bruchteil einer Sekunde begriff er, dass sie die Mitte des Gefechts verlassen hatten und sich in gerader Schusslinie einer Luntenschloss-Arkebusen-Einheit befanden. Während er fiel, hörte er das ekelerregende Geräusch, wenn Kugeln menschlichen Körper durchbohren. Kaum schlug er auf dem Boden auf, vernahm er Rintaros Schmerzensschrei direkt vor seinem Ohr.
Die Schüsse waren genauso schnell vorbei, wie sie begonnen hatten. Yujiro wartete nicht länger als zwei Sekunden ab, bevor er sich mit geweiteten Augen neben seinem Waffenbruder hinkniete. Rintaro hatte seine Lippen fest zusammengepresst und versuchte mit all seiner Macht seine Schmerzensschreie zu unterdrücken, die ihm entweichen wollten. Sein ganzes Gesicht hatte sich knallrot gefärbt und sein linker von Kugeln durchlöcherter Arm blutete aus sechs verschiedenen Stellen.
„Rintaro! Rintaro?!“, stieß Kiyonori erschüttert hervor.
Statt einer Antwort erhielt er einen Schmerzensschrei.
„Nein! Nein! Nein!“, zischte der Chūnin und versuchte seinem Waffenbruder auf die Beine zu helfen. Rintaro hielt es nicht mehr aus und fing an laut zu brüllen. Aus Angst seinem Kameraden noch mehr Schmerzen zuzufügen, ließ ihn der Chūnin vorläufig los. Er konnte sich die Qual seines Freundes vorstellen, denn er wusste aus eigener Erfahrung, wie schmerzvoll es war eine Kugel im Körper zu haben.
„Rintaro, komm, du schaffst es“, murmelte er zutiefst beunruhigt über seinen Kameraden und konnte ihn endlich auf die Beine ziehen. Hastig blickte er sich um und versuchte Nabaris Häuser inmitten des Gewühls auszumachen.
Plötzlich vernahm er Tanbas befehlenden Ruf. „RÜCKZUG!“
Yujiro sah, wie viele der Iga-Krieger begannen sich zurückzuziehen und flüchteten. Fassungslos stand er mit geweiteten Augen da, während er Rintaro stützte und die brüllenden Soldaten um sie herum ansah.
Wir haben verloren.
Unaufhörlich hallte diese Erkenntnis in seinen Ohren wider.
Wir haben … verloren.
Plötzlich spürte Kiyonori, wie er an der Schulter ergriffen und gerüttelt wurde. Schlaff schüttelte der Chūnin den Kopf, während er fühlte, wie sich seine Finger in die matschige Erde unter ihm gruben. Der Ohnmacht nahe, verlor er die Kontrolle über all seine Sinne.
Langsam öffnete er wieder die Augen und konnte ein verschwommenes Bild einer menschlichen Gestalt vor sich ausmachen, die neben ihm auf der Erde lag. Erschrocken zuckte er auf und erschauderte. Er starrte in die weit aufgerissenen Augen einer reglosen Leiche.
Immer noch vollkommen desorientiert versuchte er sich zu erheben. Fast sofort meldete sich der Schmerz in allen seinen Gliedern, sodass er zuerst innehalten und nach Luft schnappen musste. Nichts außer dem Pochen seines eigenen Herzens hörend, brachte er sich in die vertikale Position. Unerwartet kehrte sein Geruchssinn zurück, als ihm der überwältigende, ekelerregende Gestank von Blut, Innereien und Leichen in die Nase stach. Es war der Geruch des Todes.
Langsam hob er den Blick, bis er das Schlachtfeld vor sich sehen konnte. Auf einmal kehrte sein Gehör zurück und er konnte die Klagelaute vernehmen, die unzählige Männer ausstießen. Hysterische Schmerzensschreie erfüllten die Luft und er sah, wie Krieger von Pfeilen getroffen wurden und zu Boden gingen, wie Männer Körperglieder verloren und dann vor Schmerzen wie Verrückte brüllten. Vor seinen Augen wurde ein Oda-Ashigaru von einem Speer niedergeworfen, ein Bushi hackte einem Iga-Shinobi nach dem Kopf und ein Fußsoldat schnitt einem anderen die Kehle durch.
Angewidert kniff er die Augen zusammen. In diesem Moment verspürte er einen tiefen Hass sowie eine riesige Abneigung dem Krieg gegenüber, der unzählige Menschen in den Tod riss, nur um die Interessen einer einzelnen mächtigen Person zu befriedigen.
Plötzlich spürte er, wie ihn jemand von hinten an der Schulter packte und ihn anschrie. Instinktiv schlug er nach diesem und traf ihn am Kopf. Als er sich umdrehte, sah er Suzaku, der sich die Stirn hielt und einen oder zwei Schritte zurücktaumelte.
„Entschuldigung“, sagte er seinem Waffenbruder mit einigem Schuldgefühl.
„Schnell, hilf mir Rintaro zu tragen, bevor uns noch jemand angreift!“, rief Suzaku und ergriff erneut den brüllenden Rintaro an einem Arm, während Yujiro ihn am anderen packte.
Die Fassung wiedererlangend, begannen sie, sich in einem quälend langsamen Tempo fortzubewegen, wobei sie Rintaro mitschleppten, der unaufhörlich schrie. Kiyonoris blutbesudelte Hände glitten beinahe von Rintaro, aus dem diese rote Flüssigkeit ununterbrochen herausströmte. Wieder einmal wurde ihm klar, dass sein Waffenbruder bald an Blutmangel sterben würde. Sie mussten ihn dringend in Sicherheit bringen, um seine Wunden rechtzeitig behandeln zu können.
Verzweifelt biss sich der Chūnin die Zähne zusammen. Ihnen lief die Zeit davon. Und zwar schnell. Ihre Überlebenschancen waren jetzt schon gering; ein bloßer umherstreifender Blick um ihn herum ließ ihn ihre katastrophale Lage erkennen. Leichen übersäten das gesamte Schlachtfeld und er bekam andauernd Kriegsgräuel zu sehen. Die weit aufgerissenen Augen in den dreckigen, verschwitzten Gesichtern seiner Waffenbrüder, die pure Verzweiflung zeigten, sowie ihre blutbefleckte Kleidung, die an manchen Stellen zerrissen war und Fleischwunden offenbarte, ermutigten ihn keinesfalls.
Dies alles ließ ihn an all seine anderen Kriegskameraden, die unter seinem Kommando standen, denken. Wo war bloß sein Bruder? Izuya hatte er bereits seit Beginn der Schlacht aus den Augen verloren. Und was war mit Haku? Tot. Er hatte ihm einmal das Leben retten können, war jedoch zu spät, um ihm ein weiteres Mal zu helfen. Sein gellender Todesschrei hallte immer noch in seinen Ohren nach, als ihn ein Ashigaru mit seinem Yari durchbohrt hatte.
Und Ryuzaki? Entweder im Gewühl verloren, tot oder sterbend, während ein Oda-Samurai ihm grinsend ein Ende setzte. Tot oder lebendig, musste sein Neffe irgendwo hinter ihm sein, denn er hatte ihn zuletzt an der Frontlinie gesehen. Ob er noch am Leben war? Yujiros Kehle schnürte sich zusammen, als ihm die Erinnerung an sein letztes Zusammentreffen mit Ryuzaki auf dem Schlachtfeld durch den Kopf schoss:
Sich den Schweiß von der Stirn wischend, zog Kiyonori seinen Yari aus dem bewegungslosen Körper eines Oda-Ashigaru. Endlich konnte er sich die Zeit nehmen, sich etwas umzuschauen. Sein Blick fiel sofort auf Ayato, der sich mithilfe eines Katana, eines Langschwerts, gegen einen Fußsoldaten wehrte. An seiner Seite stand Ryuzaki, der seine gesamte Konzentration darauf richtete, sich gegen einen Samurai zu verteidigen. Vor Schreck weitete der Chūnin die Augen, als er einen Oda-Ashigaru erblickte, der sich von hinten an Ryuzaki heranschlich und kurz davor war, ihn mit seinem Yari aufzuspießen.
„Ryuzaki! Hinter dir!“, brüllte er und warf einen Shuriken, einen Wurfstern, auf den Fußsoldaten. Unverzüglich versuchte er sich so schnell wie möglich einen Weg durch die kämpfenden Krieger beider Seiten zu bahnen, wurde jedoch von einem attackierenden Oda-Bushi dabei aufgehalten.
Der Ashigaru zuckte zusammen, als sich der Shuriken in seinen Rücken bohrte. Dabei ließ er ungewollt seinen Yari ein wenig vom Kurs abweichen. Alarmiert drehte sich Ryuzaki um, um gerade noch aus den Augenwinkeln aufzuschnappen, wie ihm der hinterhältige Fußsoldat die Speerspitze wie durch ein Wunder seitlich durch den leichten Brustpanzer in den Bauch stieß.
„Aaaaahhhhh!“, brüllte Ryuzaki laut vor Schmerzen auf und warf leicht den Kopf zurück.
Vergeltend nutzte er eine Lücke in der Verteidigung seines verwirrten Gegners und streckte ihn nieder. Mit geweiteten Augen sah Ayato zu, wie der vorherige Widersacher seines Freundes, nämlich der Samurai, einen Schwertstoß ausübte, um Ryuzaki zu köpfen. Yujiro musste zurückweichen, denn sein neuer Gegner trieb ihn mit einer Reihe von Hieben zurück, sodass er seinen Neffen vollständig aus dem Blick verlor …
Eine plötzliche Bewegung, die Kiyonori aus den Augenwinkeln auffing, riss ihn aus seinen verzweifelten Gedanken.
„Zurück!“, brüllte er einen Oda-Ashigaru an, der mit erhobenem Yari auf ihn zulief, und versuchte ihn mit einem Schwerthieb zurückzutreiben.
Der Chūnin wusste, dass er den Fußsoldaten unmöglich besiegen konnte, während er Rintaro stützte. Dieser schien es zu wissen, denn er rannte ihnen beharrlich hinterher. So schnell sie nur konnten, liefen sie weiter Richtung Nabari, wo sie hofften vorläufig Zuflucht zu finden. Doch mit jedem Schritt, den sie machten, wurde Rintaro immer schwächer, wobei er unaufhörlich seine Schmerzen laut und deutlich ausdrückte. Dazu noch kam ihnen der Ashigaru immer näher.
Yujiro bemerkte, dass sie nicht mehr weit vom Dorfrand waren, musste jedoch stehen bleiben, als ihr Verfolger sie erreichte. Von dem Fußsoldaten abgelenkt, erblickte er die Leiche eines Kriegskameraden nur zu spät und stolperte über sie, wobei er aus Versehen sein Katana losließ. Genau in diesem Moment schlug der Ashigaru zu.
„Kiai!“, schrie dieser und stach mit seinem Yari nach ihnen.
Voller Entsetzen weitete Kiyonori die Augen, als er sah, wie die Speerspitze auf Rintaros Kopf zusauste. Er wusste, dass er nicht mehr rechtzeitig zu seiner Waffe greifen konnte.
Plötzlich tauchte ein Krieger wie aus dem Nichts auf und parierte den Stoß. Kraftvoll trat dieser dem Fußsoldaten ins Gesicht. Während der Ashigaru schockiert zurücktaumelte, rammte ihm der Iga-Krieger seinen Yari in den Brustpanzer, was ihn zu Boden warf, bevor er ihn erledigte.
Schwer atmend und schweißüberströmt, drehte sich der muskulöse, breitschultrige Mann, der seine Haare zu einem Haarknoten zusammengebunden hatte und der keinen Brustpanzer trug, zu ihnen um; anscheinend hatte ihm jemand während der Schlacht wie durch ein Wunder die unteren Schnüre des Harnischs durchtrennt, sodass sich dieser von seiner Rüstung gelöst hatte. Verwundert hob der Chūnin die Augenbrauen, als er in ein vertrautes Gesicht blickte, an dessen gestutzten Bart Blut klebte.
„Izuya!“
Sein Bruder nickte einfach. „Beeilt euch! Ich werde euch den Rücken freihalten!“
„Danke“, zischte ihm Suzaku zu, als er und sein Begleiter ihre Anstrengungen verdoppelten, um Rintaro, der inzwischen das Bewusstsein verloren hatte, schneller ins Dorf zu bringen.
Doch während sie wegrannten, sah Izuya, wie eine Vielzahl von Oda-Kriegern ihnen jede Sekunde näherkam, wobei nicht wenige von ihnen die zwei eher langsamen Männer anvisierten, die ihren ohnmächtigen Kameraden trugen. Izuya runzelte die Stirn. Er wusste, dass seine drei Gefährten bei diesem Tempo nie rechtzeitig davonkommen würden. Jemand musste sie vorläufig aufhalten oder zumindest ablenken, um den anderen etwas mehr Zeit zu verschaffen, denn sonst würden sie alle zweifellos sterben.
Mit sich selbst kämpfend, warf er einen Blick auf seine Waffenbrüder, dann wieder auf die angreifenden Oda. Unsicher dachte er einen Moment nach, bevor er einen langen Seufzer ausstieß und kurz die Augen schloss.
Er hatte seinen Entschluss gefasst.
„Yujiro“, rief er seinem Bruder zu, der zusammen mit Suzaku stehen blieb und ihn ansah. „Hier trennen sich unsere Wege.“
Schockiert schaute ihm der Chūnin in die Augen. „Wie meinst du das?“
„Ich muss zurückbleiben.“ Sein Blick schweifte über die fliehenden Iga-Krieger sowie die stürmenden Oda-Soldaten. „Sonst schafft ihr es nicht.“
„Nein!“, protestierte Yujiro verzweifelt. „Ich befehle dir mit uns zu kommen! Wir finden schon einen anderen Ausweg. Wir können–“
„Yujiro“, unterbrach ihn Izuya ruhig.
Dieser sah ihm in die trüben, aber entschlossenen Augen. Er begriff, dass sein Bruder seine Entscheidung bereits getroffen hatte.
„Es gibt keinen anderen Ausweg …“, sagte Izuya traurig.
Zutiefst bedrückt schaute ihn der Chūnin an. „Bitte … verlass uns nicht.“
Wie sehr er auch wollte, dass Izuya auf ihn hörte, wusste er, dass sein Bruder das Richtige tat.
Izuya blickte Yujiro ein letztes Mal an. „Leb wohl … Bruder.“
Ohne zurückzuschauen, drehte er sich um und brüllte laut auf, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sich die Seele aus dem Leib schreiend, wobei er mit seinem herumwirbelnden Yari um sich schlug, was viele der angreifenden Oda-Krieger zurückweichen ließ.
„Yujiro!“, drängte Suzaku seinen Freund.
Widerwillig wandte der Chūnin seinen Blick von seinem Bruder ab. Zusammen mit Suzaku stützten sie Rintaro, während sie ihren fliehenden Kriegskameraden hinterherliefen.
Nach einer Viertelminute erreichten sie endlich den kleinen Wassergraben, der den Großteil des Dorfes umgab. Doch sie konnten nicht hinüber. Auf der anderen Seite der Grube war ein hoher Erddamm, der es äußerst schwierig machte, den Graben auf jegliche Weise zu überqueren. Beunruhigt blieben sie stehen und beobachteten einige Iga-Soldaten, die anderen Flüchtenden dabei halfen hinüberzukommen.
Kiyonori blickte zu einem Iga-Samurai, der hinter dem Erddamm stand und zusammen mit anderen Kriegern Pfeile abschoss, um die Oda zurückzuhalten. Er öffnete den Mund, um den Bushi um Hilfe zu bitten, als ihm ein plötzlicher Schmerzensschrei das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Izuya!
6. Flieh oder Stirb
Erschrocken schauten Yujiro und Suzaku zurück. Mit offenem Mund und schockierten, weit aufgerissenen Augen stand Izuya einige Dutzend Armlängen von ihnen entfernt erstarrt da und ließ schlaff seinen Speer sinken. Ein Krieger hatte ihm eine Naginata, eine Gleve, in die Brust gestoßen. Yujiros und Izuyas Blicke trafen sich ein letztes Mal und der Chūnin meinte die schmerzvolle Qual seines Bruders selbst aus dieser Entfernung spüren zu können, als ihn Izuya abschiednehmend ansah.
Auf einmal trat ihm sein Mörder in die Brust und zog somit seine Naginata mit einem Ruck aus dessen Körper heraus. Den Blick emporhebend, stürzte Izuya rücklings ins überflutete Reisfeld. Auf dem Wasser aufprallend, tauchte er unter, wobei sich die Wasseroberfläche schnell rot färbte.
„NEIN!“, brüllte Yujiro und fiel kraftlos auf die Knie. „NEIN!“
Gramerfüllt senkte er den Blick. Die Schwäche überwältigte ihn und er wurde von solcher Trauer erfasst, dass er dachte, davon sterben zu müssen.
„W-wir müssen los!“, rief ihm Suzaku stammelnd zu, der ebenfalls Mühe hatte, seine Gefühle zu kontrollieren. „Er hat sich geopfert, damit wir entkommen können. Schnell, sonst ist sein Opfer umsonst!“
Kiyonori sammelte seinen restlichen Mut, denn er wusste, dass sein Waffenbruder Recht hatte. Langsam aufstehend, hob er den Blick. Er erstarrte. Seine Augen richteten sich auf das vernarbte Gesicht des Mannes, der seinen Bruder auf dem Gewissen hatte und auf dessen Stirn eine Tätowierung zu sehen war. Dieser lächelte ihn nun spöttisch an. Es fiel dem Chūnin wie Schuppen von den Augen.
„Takeru!“, zischte er rasend vor Wut, als er seinen Erzfeind, den Mörder seines Vaters und nun auch seines Bruders, erblickte. Er hielt es nicht mehr aus, denn das überstieg nun alle Grenzen. Bevor er jedoch in Sowanos Richtung rennen konnte, wurde er plötzlich von Suzaku an der Schulter gepackt.
„Was tust du da? Das ist Selbstmord!“
Mit einem hasserfüllten Blick in den Augen sah ihn Yujiro an. „Lass mich los!“
Gewaltsam befreite er sich aus Suzakus Griff, bevor er einem sterbenden, am Boden liegenden Iga-Krieger, erbarmungslos ein Katana aus der Hand riss und auf Takeru zustürmte. Ein überlegenes Lächeln erschien auf den Lippen des Letzteren, als er dem Chūnin herausfordernd zunickte.
„Und ein weiteres Kiyonori-Familienmitglied ist gestorben“, höhnte er.
„Ich bring dich um!“, brüllte Yujiro, blind vor Zorn.
Er verengte die Augen zu Schlitzen und nahm Anlauf. Unverzüglich sprang er in die Luft und brachte sein Schwert auf Sowanos Kopf nieder. Sich duckend neigte sich Takeru zur Seite und wurde nur knapp von der Klinge verfehlt.
Während der Chūnin neben ihm landete, hackte dieser mit seinem Naginata horizontal nach ihm. Ein wenig unvorbereitet hob Kiyonori sein Katana. Gerade noch rechtzeitig wehrte er den Stoß ab, wurde jedoch dabei vom Aufprall zurückgeworfen.
„Stirb!“, schrie Sowano, dessen verächtliches Lächeln nie sein Gesicht zu verlassen schien.
Ohne sich die Zeit zu nehmen, um seine Naginata wieder zurückzuziehen, schwang er das stumpfe Ende der Gleve in einem hohen Bogen nach unten, es direkt auf das Haupt seines Widersachers niederbringend. Yujiro schnappte nach Luft. Schnell hob er sein Schwert über den Kopf, wobei er mit der linken Hand die untere, flache Seite seiner Klinge nahm, um sich dem gegnerischen Hieb leichter widersetzen zu können.
Mit einem dumpfen Schlag prallten sie aufeinander, als der Chūnin den hölzernen Schaft der Naginata auffing. Währenddessen nutzte Takeru diesen Augenblick aus, um seinem Gegner einen starken Tritt in den Bauch zu versetzen, der Kiyonori zu Boden warf.
Unsanft kam Yujiro auf der Erde auf und blickte unverzüglich nach vorne. Erst jetzt bemerkte er, dass er einer der letzten Iga-Krieger war, der sich noch gegen die Oda wehrte. Diese Erkenntnis sowie der Aufprall halfen dabei, ihn zur Vernunft zu bringen. Er würde gleich sterben, wenn er nicht sofort floh.
„Ist das alles, was du kannst?“, spottete Sowano.
Doch Yujiro ging darauf nicht ein und sprang stattdessen fluchtbereit auf die Beine.
„Nein, du entkommst mir nicht!“, rief Takeru.
Sowano, der seine Gleve so vor sich hielt, dass die Klinge das Gras berührte, brachte sie diagonal hoch, auf Kiyonoris Kopf zielend. Der Chūnin hatte kaum genug Zeit, um sich richtig auf einen weiteren Angriff vorzubereiten, und wich deshalb zurück. Zu seinem Entsetzen streifte ihn die Glevenklinge am Gesicht und riss ihm die Wange direkt unter dem rechten Auge auf.
Er zuckte vor Schmerz zusammen und bemerkte, dass die Oda ihn bald vollständig umzingeln würden. Als er wieder einmal sah, wie Takeru kurz davor war mit seiner Naginata zuzustoßen, griff er nach seinem Messer und schleuderte es ins Gesicht seines Erzfeindes. Obwohl sich Sowano noch rechtzeitig ducken konnte, reichte Yujiro diese Ablenkung, um sich umzudrehen und auf den Graben zuzurennen.
„Wo willst du hin?!“, hörte er Takeru frustriert hinter sich rufen.
Er brauchte nicht einmal über die Schulter zu schauen, um zu wissen, dass ihm mehrere Oda-Krieger dicht auf den Fersen waren. Verzweifelt wurde es ihm bewusst, dass es ihm nie gelingen würde, über den Wassergraben zu springen und anschließend über den Erddamm zu kommen. Doch er hatte keine weitere Wahl. Entweder starb er in einem Versuch, über den Graben zu gelangen, oder er würde von einem Haufen Kriegern zerstückelt werden.
Ohne nachzudenken, sprang er über den Wassergraben und landete ganz am Rande des Erddamms. Unvermittelt verlor er das Gleichgewicht und begann rücklings in den Graben zu stürzen. Mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen war er sich sicher, dass sein Leben in wenigen Sekunden enden würde, während er rückwärtsfiel.
Plötzlich spürte er, wie er am Arm gepackt und sein Sturz somit verhindert wurde. Hoch erfreut blickte er in Daisukes Gesicht auf. Yujiro fühlte den Luftzug einer Klinge, die ihn knapp verfehlte, als ihn sein Waffenbruder eiligst hochzog. Mit einem angestrengten Stöhnen brach er vor den Füßen seines Freundes zusammen.
Bevor er sich bei ihm bedanken konnte, ergriff Daisuke wieder seinen Yari, den er neben sich in den Boden gerammt hatte. Hastig stach er damit nach einem Bushi, der gerade abgesprungen war, um auf der anderen Seite des Grabens anzukommen. Der Samurai zuckte zusammen und stöhnte vor Schmerzen auf, als er mit einem Schrei in den Graben taumelte.
An die Oberfläche kommend, grub er seine Finger in den Erddamm und versuchte heraufzuklettern. Blutunterlaufene Augen blickten flehend zu ihnen herauf. Doch Daisuke stach die Speerspitze in den Kopf des Bushi, der mit einem letzten Todesschrei im Wassergraben unterging und nicht mehr auftauchte.
Tief einatmend wischte sich Daisuke den Schweiß von der Stirn. Er wollte sich gerade zu Yujiro umdrehen, der immer noch fassungslos auf dem Boden kniete, als er einen Schrei vernahm.
„Hier! Wir haben die Verteidigung durchbrochen!“
Die zwei Männer sahen gerade noch rechtzeitig, wie ein wagemutiger Bushi über den Graben sprang. Ein Oda-Shinobi, der sich auf ihrer Seite des Erddamms befand, fing den Unterarm des Samurai auf und zog ihn hoch. Entgeistert beobachteten Daisuke und Kiyonori, wie weitere feindliche Shinobi Anlauf nahmen und anschließend auf die ausgestreckten Hände eines Kameraden sprangen, der sie über den Graben beförderte.
„Kommt schon! Helft mir!“, hörten Daisuke und der Chūnin Suzaku rufen, der neben dem bewusstlosen Rintaro kniete.
Unverzüglich wachten sie aus ihrer Trance auf. Sie wussten, dass sie augenblicklich flüchten mussten, wenn sie zu überleben hofften.
Beide liefen gerade auf Suzaku zu, um ihm zu helfen, als Yujiro aus den Augenwinkeln auffing, wie einer der Oda-Shinobi, der den Graben überquert hatte, nach einem Gegenstand in seinem Kimono griff. Kiyonori brauchte nur einen Blick von der weißen, runden Kugel zu erhaschen, da wusste er, was es war.
„Yoshida-san!“, brüllte er und schoss auf einen älteren Iga-Krieger nicht weit von ihm zu, während der Oda-Shinobi ausholte, um die Granate zu werfen. „Runter!“
Er sah gerade noch, wie die Bombe geschleudert wurde und ungefähr in ihre Richtung flog. Yoshida begriff nur zu spät, was sein Vorgesetzter mit seinem Befehl meinte.
„Granate!“, rief Yujiro und warf Yoshida mit sich zu Boden. Ein lauter Knall ertönte. Der Chūnin und sein Untergebener wurden von der Explosion etwas weggeschleudert und der Erstere spürte, wie ihn Splitter knapp verfehlte, als es seinen Arm streifte und etwas versengte.
Leise stöhnend erhob er sich und zog den hustenden Yoshida auf die Beine. Dieser schien von der Explosion unversehrt geblieben zu sein. Dankbar nickte er seinem Retter zu.
„Yujiro!“, rief Suzaku, der bereits zusammen mit Daisuke und Rintaro viel weiter ins Dorf vorgedrungen war. „Komm doch endlich! Wir haben keine Zeit mehr! Momochi-sama hat den Rückzug schon seit langem veranlasst!“
Zögernd blickte Kiyonori die wenigen Iga an, die sich gegen die Oda wehrten. Sie alle würden sterben, wenn ihnen niemand half. Als es ihm jedoch bewusst wurde, wie viele Oda-Soldaten auf sie zustürmten und wie schnell die sich widersetzenden Iga-Krieger abgeschlachtet wurden, änderte er seine Meinung.
Widerwillig wandte er sich ab und rannte zu seinen fliehenden Waffenbrüdern. Sobald er Daisuke und Suzaku erreichte, half er ihnen mit Rintaros Last, bevor sie mühsam versuchten zu viert zu flüchten.
Verzweifelt musste Yujiro innerlich zugeben, dass sie nicht wenige Verluste erlitten hatten … Nun hatten sie nur noch eine einzige Chance. Sie würden sich an ihrem Stützpunkt versammeln müssen, um von dort aus ihr letztes Gefecht zu führen: in der Festung Kashiwara.
7. Schmerzvolle Prozeduren
„Aaaahhhh!“, brüllte Rintaro auf, als Yujiro seinen verwundeten Arm berührte.
Instinktiv zog Kiyonori die Hand zurück und warf Daisuke und Suzaku, die genauso wie er um Rintaro herum knieten, einen beunruhigten Blick zu. Alle Iga-Krieger waren geflüchtet und hatten sich in den Wald zurückgezogen, um dort Rast zu machen sowie um ihre Wunden zu versorgen.
„Daisuke“, versuchte der Chūnin Rintaros Gebrüll zu übertönen, „Halt ihn fest, sonst kann ich mir seine Verwundungen nicht richtig ansehen.“
Daisuke nickte und führte seinen Befehl aus. Während Rintaro unkontrolliert vor Schmerzen schrie, untersuchten Yujiro und Suzaku seine Wunden.
„Ich möchte euch nicht stören, aber könntet ihr euch vielleicht ein wenig beeilen?“, zischte ihnen Daisuke zu, der sich bemühte Rintaro niederzukämpfen, um ihn am Boden halten zu können.
Die anderen beiden besahen die vielen Löcher im Arm des Verwundeten. Schließlich schüttelte Kiyonori bedauernd den Kopf.
Erschrocken weitete Daisuke die Augen. „Was ist?“
Der Chūnin setzte sich wieder aufrecht hin, bevor er seinen beiden Waffenbrüdern abwechselnd Blicke zuwarf. „Wir haben nur wenig Zeit. Wenn wir alle Kugeln nicht so schnell wie möglich herausziehen, sind die Chancen sehr hoch, dass er an einer Blutvergiftung oder wegen Blutverlust stirbt.“
„Aber er hat doch mindestens ein halbes Dutzend Kugeln im Arm!“, meinte Suzaku verzweifelt. „Wir werden es nie schaffen, sie rechtzeitig zu entfernen!“
Yujiro seufzte. „Es tut mir leid, Rintaro …“ Er nahm tief Luft, bevor er weitersprach. „Wir werden ihm den Arm amputieren müssen.“
„Was?!“, fragten Daisuke und Suzaku wie aus einem Mund.
„Selbst wenn es uns irgendwie gelingt, all die Kugeln aus seinem Körper zu entfernen, ohne dass er eine Blutvergiftung bekommt“, fuhr Kiyonori fort, „wird er wahrscheinlich verbluten, bevor wir damit fertig sind. Wir müssen ihn amputieren.“
Seine beiden Waffenbrüder verstummten schockiert, sodass ihnen nichts außer Rintaros klagenden Schreien zu Ohren kam. Nach einer kleinen Weile tauschten sie einen Blick aus, bis Daisuke schließlich dem Chūnin ins Gesicht sah.
„Na gut … aber mach’s schnell.“
Yujiro wandte sich an Suzaku. „Finde zügig jemanden, der eine Shikoro hat – die größte, die du findest – und reinige sie! Doch beeil dich!“
Suzaku nickte und lief davon. Während sich Daisuke in Position brachte, um Rintaro besser halten zu können, rief Kiyonori einem vorbeigehenden Ashigaru zu, dass er ihm einen Druckverband sowie Saké, Reiswein, bringen sollte. Ohne die Antwort des Fußsoldaten abzuwarten, drehte er sich wieder Rintaro zu und zog ein Messer aus seinem Obi, seinem breiten Gürtel. Sich neben ihm hinkniend, schnitt er ihm den linken Ärmel ab und wartete dann auf die Ankunft seiner zwei Helfer.
Als sein Blick wieder auf den brüllenden Rintaro fiel, fühlte er sich auf einmal unwürdig, so einen Freund wie ihn zu haben. Rintaro hatte sich auf dem Schlachtfeld vor ihn geworfen, um ihm das Leben zu retten, und dabei sein eigenes gefährdet. Hätte er dies nicht getan, so wäre Yujiro wahrscheinlich nicht mehr hier. Sobald er dies begriff, spürte er große Dankbarkeit Rintaro gegenüber. Es schmerzte ihn sehr zu sehen, dass sein treuer Freund solche schrecklichen Qualen erdulden musste.
Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken: „Hier, Kiyonori-san.“
Der Chūnin drehte den Kopf und erblickte den Ashigaru, den er losgeschickt hatte. Dieser überreichte ihm mit einer Verbeugung den Druckverband sowie den Saké. Dankbar nickend, nahm sie Yujiro entgegen. Schnell befeuchtete er die Binde mit dem Reiswein, bevor er die Flasche ergriff und Rintaro mit einiger Mühe dazu zwang, etwas davon zu trinken. Kaum war er damit fertig, erschien Suzaku und gab ihm eiligst eine gereinigte Shikoro, eine dünne Säge mit einer breiten Klinge, die wie ein Dolch aussah, bevor er sich Daisuke anschloss und ihm dabei half, Rintaro festzuhalten.
Ein wenig nervös drückte Kiyonori die Shikoro leicht ans Schultergelenk seines Freundes und schaute ihm ins tiefrote Gesicht. Sofort wurde er von Mitleid ergriffen. Die Schmerzen und die Erschöpfung standen Rintaro ins Gesicht geschrieben und die heiseren Schreie, die er von sich gab, ließen den Chūnin einen kurzen Augenblick lang an Kanagis Folter und Kuros brutalen Tod denken. Vor einigen Jahren waren Kuro, Izuya, Rintaro und er auf einer Mission nach Kiyosu aufgebrochen, wo sie gefangen genommen und von einem grausamen Folterer namens Kanagi gepeinigt worden waren. Es war dieser Kanagi gewesen, der seinen Jugendfreund Kuro zu Tode gefoltert hatte.
„Verzeih mir, bitte, mein Freund“, flüsterte Yujiro beim Anblick von Rintaros Qual.
Plötzlich stieß er die Shikoro in Rintaros Arm. Der Letztere fing an wie ein Verrückter zu brüllen und versuchte sich loszureißen, sodass es Daisuke und Suzaku viel Mühe kostete, ihn herunterzudrücken. Kiyonori dagegen musste sich nicht physisch, sondern psychisch sehr anstrengen, um die Klinge weiter in Rintaros Arm dringen zu lassen, während er sägte. Denn es war ihm nicht einfach die Schreie seines Waffenbruders zu ertragen, besonders weil er wusste, dass er es war, der ihm diese unerträglichen Schmerzen zufügte.
Mit einer letzten Bemühung trennte er den Arm vom Rest des Körpers ab. Sofort schoss ein Schwall Blut heraus und genau zur selben Zeit fiel Rintaro in Ohnmacht. Schnell packte Yujiro den Druckverband und stillte die Blutung, während er Suzaku und Daisuke befahl, Rintaro anzuheben, damit er die Binde um die Wunde wickeln konnte. Er drückte kräftig und verband mit Daisukes Hilfe den Armstumpf.
Sich den Schweiß von der Stirn wischend, setzte sich der Chūnin wieder aufrecht und bemerkte erst jetzt, dass einige seiner Kriegskameraden während der Amputation zugesehen hatten. Suzaku und Daisuke legten den bewusstlosen Rintaro wieder auf den Boden und sackten erschöpft neben ihm zusammen.
„Er sollte dies hoffentlich überleben“, versuchte Kiyonori seine Waffenbrüder zu ermutigen, erreichte jedoch dabei genau den Gegeneffekt.
„Sollte?“, fragte Suzaku bestürzt nach.
„Nun, ich kann es nicht garantieren. Er könnte noch eventuell an Blutverlust oder wegen einer Blutvergiftung sterben, wie bereits gesagt“, antwortete Yujiro und lehnte sich ein wenig zurück. „Jedenfalls werde ich persönlich dafür sorgen, dass er eine gute Behandlung bekommt, sobald wir in der Festung von Kashiwara sind.“
Jetzt, da er sich nun vorläufig um Rintaro gekümmert hatte, verspürte er auf einmal seine Erschöpfung und seine eigenen Verletzungen setzten ihm zu. Langsam erhob er sich und nahm dabei die Saké-Flasche.
„Ich gehe dann mal und säubere meine eigenen Wunden.“
Daisuke und Suzaku, die beide mindestens genauso ermüdet wirkten wie er, nickten.
„Beeil dich aber“, riet der Erstere. „Momochi-sama hat vor, bald wieder aufzubrechen, um die Festung Kashiwara noch vor der Abenddämmerung zu erreichen.“
Der Chūnin nickte einfach zurück, bevor er sich von ihnen abwandte und geradeaus schritt.
Nach einer Minute, nachdem er an Dutzenden anderen Iga-Kriegern vorbeigegangen war, erreichte er einen kleinen Fluss, der sich durch den Wald schlängelte. An seinen Ufern konnte er mehrere seiner Kriegskameraden erkennen, die entweder erschöpft vor sich hinstarrten oder ihre Wunden säuberten.
Mit einem leisen Stöhnen setzte sich auch Yujiro ans Ufer. Gemächlich ließ er seine Beine im Fluss baumeln und seufzte erleichtert auf. Kurz schloss er vor Genugtuung die Augen, als er das kalte, frische Wasser spürte, welches seine ermüdeten Füße umspülte. Er entspannte seine verkrampften Muskeln und lauschte dem Gezwitscher der Vögel. Einen Moment lang vergaß er sogar all seine Sorgen.
Beiläufig ins Wasser blickend, nahm er zum ersten Mal den Schnitt unter seinem rechten Auge wahr, den ihm Takeru zugefügt hatte. Erst jetzt begriff er, wie viel Glück er gehabt hatte. Wäre die gegnerische Klinge bloß nur ein klein wenig höher eingedrungen, hätte die Naginata sein Auge durchstochen.
Ausatmend tauchte er die Hand ins Wasser, bevor er mit dem nun feuchten Zeigefinger vorsichtig die Schnittwunde tupfte. Die Luft durch zusammengebissene Zähne einsaugend, zuckte er auf. Erneut spürte er, wie sich seine Glieder vor Schmerz versteiften, doch er zwang sich, diesen zu ignorieren und begann mühsam seine Wunde zu reinigen.
Es dauerte nicht lange, bis er begriff, dass Sowanos Schwertstoß ihm eine lebenslange Narbe hinterlassen würde. Wieder einmal spürte er den aufsteigenden Hass in sich, als er an Takeru dachte. Doch er schaffte es, seine Gedanken zu unterdrücken und sich seiner gegenwärtigen Aufgabe zuzuwenden.