Sieben Farben Blau - Claudia Clawien - E-Book

Sieben Farben Blau E-Book

Claudia Clawien

0,0

Beschreibung

Zwei Weltenbummler erzählen vom Abenteuer ihres Lebens: Mit dem Segelboot vom Berliner Kiez nach Kiribati In Berlin machen Claudia Clawien und Jonathan Buttmann die Leinen los und verwirklichen sich den Traum einer Weltumsegelung. Die beiden Aussteiger kündigen ihre Jobs, kaufen eine alte Segelyacht und machen sich mit wenig Segelerfahrung, wenig Geld und viel Mut auf, die Welt zu entdecken. Sieben lange Jahre werden sie unterwegs sein: In diesem Buch erzählen sie von ihren Erfahrungen, Begegnungen und Erlebnissen während ihres aufregenden Segelabenteuers. - Packender Erfahrungsbericht über eine abenteuerliche Weltumsegelung - Wie man sich einen Traum verwirklicht: In sieben Jahren von Berlin aus um die Welt - Learning by doing: Mit wenig Segelerfahrung und einer alten Segelyacht auf Weltreise - Von den Autoren des Segel- und Reiseblogs »radiopelicano« Weltreise mit Hindernissen: Von unvergesslichen Begegnungen und klammen Kassen Lossegeln und ins Unbekannte reisen: Claudia und Jonathan fackeln nicht lange und legen ab. In ihrem Segelbuch berichten die beiden von den Menschen und Kulturen, denen sie auf ihrer Segelreise begegnen. Sie sehen, wie schön und einzigartig die Welt ist – und treffen zugleich auf die Auswirkungen von Klimakatastrophe und Armut. Technische Schwierigkeiten und eine leere Reisekasse stellten sie vor neue Herausforderungen, die sie erfindungsreich meistern. Gehen Sie mit den Weltenbummlern auf große Fahrt und segeln Sie in diesem spannenden Reisebuch direkt ins Abenteuer!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 358

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



CLAUDIACLAWIEN

JONATHANBUTTMANN

SIEBEN FARBENBLAU

Wie aus einer kleinen Auszeit auf dem Segelboot ein siebenjähriges Abenteuer wurde

DELIUS KLASING VERLAG

Wir danken Jonathans Vater Andreas, der in unseren Gedanken stets mit-gereist ist. Er konnte seinen Traum leider nicht verwirklichen, aber seine Segelbibliothek hat den Grundstein für diese Reise gelegt. Unseren Familien, die immer tatkräftig und hilfsbereit an unserer Seite standen. Den vielen Abenteurern, die uns zu dieser Reise inspirierten und anspornten. Allen Menschen, denen wir auf dieser Reise nähergekommen sind und die uns selbst an den entlegensten Orten der Welt ein Gefühl von Geborgenheit gegeben haben. Unseren Freunden, die uns in der Vorbereitung geduldig ertragen und auf der Reise gefehlt haben. Anke Fischer, die uns energisch motiviert hat, das Buch zu schreiben. Den aufmerksamen Testlesern und der Lektorin Johanna Schwarz, die dem Buch den letzten Schliff gegeben haben. Sönke Roever, der dafür sorgt, dass die Reise immer weitergeht.

3. Auflage 2024

© Delius Klasing Verlag GmbH, Bielefeld

Folgende Ausgaben dieses Werkes sind verfügbar:

ISBN 978-3-667-12769-3 (Print)

ISBN 978-3-667-12778-5 (Epub)

Lektorat: Johanna Schwarz

Coverbild: Shaah Shahidh/Unsplash

Fotos: Jonathan Buttmann und Claudia Clawien

Einbandgestaltung: Uwe Beyer

Karte: Inch3 Mediendesign, Bielefeld

Satz: Axel Gerber

Datenkonvertierung E-Book: Bookwire - Gesellschaft zum Vertrieb digitaler Medien mbH

Alle Rechte vorbehalten! Ohne ausdrückliche Erlaubnis des Verlages darf das Werk weder komplett noch teilweise vervielfältigt oder an Dritte weitergegeben werden.

www.delius-klasing.de

Zu reisen ist zu leben.

Hans Christian Andersen

INHALT

Prolog

Erster Teil: Graublau Einstieg in die Auszeit

Kapitel 1: Neun Tonnen Stahl – wir haben ein Segelboot!

Kapitel 2: Sich binden und verschwinden – Leinen los!

Zweiter Teil: Hellblau Mit Vollgas in die Entschleunigung

Kapitel 3: Kurs Süd – Flucht vor dem Winter

Kapitel 4: Vom Regen in die Traufe – Galizien und die Küste Portugals

Kapitel 5: Umsteigen aufs Wüstenschiff – nächste Ausfahrt: Marokko

Kapitel 6: Entschleunigung mit Saudade und Karneval – Einsichten auf den Kapverdischen Inseln

Kapitel 7: Angekommen im Blauwasserleben

Dritter Teil: Himmelblau Auf der anderen Seite

Kapitel 8: Zweisamkeit und Fliegende Fische – 16 Tage auf dem Atlantik

Kapitel 9: Mit Urwaldflüssen, Raketenstarts und Brüllaffen Richtung Karibik

Kapitel 10: Steeldrums, Weihnachtsmänner und der Fluch der Karibik

Kapitel 11: Der lange Weg nach Kuba

Kapitel 12: Oh, wie weit ist Panama – auf Umwegen durch die Westkaribik

Vierter Teil: Azurblau Einstieg in den Ausstieg

Kapitel 13: Metamorphosen in Mittelamerika

Kapitel 14: Volle Kraft voraus: neue Heimat Panama

Fünfter Teil: Tiefblau Kurs Pazifik

Kapitel 15: Ozeanhopping durch den Panamakanal

Kapitel 16: Einsamkeit zu zweit oder der Weg zur Osterinsel

Kapitel 17: Der Nabel der Welt – die Osterinsel

Kapitel 18: Von Perlen und Pampelmusen – angekommen in Französisch-Polynesien

Sechster Teil: Türkisblau Blauzeit

Kapitel 19: Robinsonleben im Südseeparadies – Erkenntnisse in den Tuamotus

Kapitel 20: Tradition trifft Moderne – die Gesellschaftsinseln

Kapitel 21: Kurs West durch Waterworld

Kapitel 22: Einmal um die halbe Welt – angekommen auf den Fidschi-Inseln

Siebter Teil: Indigoblau Zurück in die Zukunft

Kapitel 23: Kurs Nord nach Mikronesien

Kapitel 24: Der endlose Weg nach Deutschland

Epilog

PROLOG

Unser Segelboot INTI schmiegt sich in die Wellen. Wie auf Schienen gleiten wir durch die Weiten des Ozeans. Der Himmel ist strahlend blau, ab und zu fliegt ein Albatros vorbei, schnattert uns eine Botschaft zu, Wellen glucksen am Kiel. Drei Tage segeln wir schon in diesem ruhigen Zustand, durch nichts unterbrochen. Unser Alltag ist bestimmt durch das routinierte Wache gehen, durch schlafen, kochen, essen, lesen. Dazu das Schweifen der Gedanken in die Unendlichkeit, ohne Fixpunkt, weder am Horizont noch einen selbst gesetzten. So kann es ewig weitergehen.

In weiter Ferne steht eine kleine Wolke am Himmel. Eine Abwechslung nach den vergangenen Tagen. »Es ist ja nur eine kleine Wolke«, denken wir uns. Doch das kleine Flöckchen am Himmel wächst langsam, aber sicher zu einem ausgewachsenen Blumenkohl heran. Das Gebilde schiebt sich vor die Sonne, lange Lichtstrahlen fallen ins Meer, hell beleuchtet. Es ist vorbei mit der Meditation in Blau. Das Meer kräuselt sich, seine Farbe hat sich geändert, das tiefe Azurblau changiert nun zwischen dunkelblau und dunkelgrau. »Lass uns die Segel reffen, gleich wird es ungemütlich!«, beschließen wir unisono. Kaum ist die Segelfläche verkleinert, frischt der Wind auf. Böen zischen vorbei, vor uns spicken Schaumkronen die Wellen. Ein neues Geräusch taucht auf: ein steter Pfeifton, der uns begleitet. Rasch nimmt INTIS Geschwindigkeit zu. Unrhythmisches Schaukeln macht das Bewegen im Schiff zu einem Balanceakt, während der Himmel sich weiter zuzieht und es in Strömen zu regnen beginnt.

Die Luken sind zu. Eine leichtfertig abgestellte Kaffeetasse fällt zu Boden, der restliche Milchkaffee kriecht in sämtliche Ritzen unseres Bootes. Zu Hause ist das keine Katastrophe, doch hier an Bord beginnt jetzt ein aufwendiges Manöver. Die Bodenbretter müssen hoch, denn Milch kann anfangen zu schimmeln. Mit der Handpumpe rares Wasser pumpen, im Geschaukel möglichst gründlich die Misere beseitigen. Was machen wir hier eigentlich? Wir könnten gemütlich auf dem Sofa liegen und einen Film ansehen, mit einem Glas Wein und leckeren Tapas auf dem Couchtisch.

Die trüben Gedanken verfliegen so schnell wie die schwarze Wolke. Wir erreichen Tahiti und treffen auf eine liebevolle, bunt durchmischte Seglergemeinschaft. Unter den Crews sind viele, die ihr Hab und Gut verkauft, ihre Jobs gekündigt und ihre Sicherheiten aufgegeben haben. Die alles, was sie bisher erarbeitet oder erreicht haben, in dieses neue Leben investieren. Wir sind umgeben von verschiedenen Lebensläufen, Zielen und Entwürfen. Die deutsche Leistungsgesellschaft ist weit weg und wir mittendrin in dieser kleinen, bunten Parallelgesellschaft mitten im Pazifik. Über uns strahlt die Sonne, und um uns herum leuchtet das Meer in allen nur vorstellbaren Blautönen. Der heimische Winter ist weit weg.

Wir haben es geschafft, hier wollten wir hin. Raus aus dem Trott, rein ins Abenteuer Leben. Wir fühlen uns entspannt und ungewohnt fokussiert auf den Augenblick. Genießen den Moment und blicken gespannt auf die Zukunft. Und stolz sind wir, stolz auf die zurückliegenden Etappen und stolz darauf, es geschafft zu haben, loszulassen. Die heimischen Leinen gelöst und in See gestochen zu sein, Richtung unbestimmte Zukunft, Ziel unbekannt.

Das war nicht einfach, ganz im Gegenteil: Es war ein harter Kampf, ein steiniger Weg mit vielen Hindernissen und Bedenken. War es richtig, die Karriere, all den erarbeiteten Wohlstand, unser komfortables und behütetes Leben aufzugeben? Wir werden es nie erfahren. Sicher ist auf jeden Fall, dass zuvor etwas nicht stimmte.

Äußerlich lief unser Leben nahezu perfekt, aber innerlich brodelte es. Wir genossen das wilde, bunte Berlin der 90er- und 2000er-Jahre, hatten eine schöne Altbauwohnung im Szenekiez, interessante Jobs und einen Kreis guter Freunde. Wir waren nicht reich, mussten aber auf nichts verzichten und unternahmen jährlich ein bis zwei ausgedehnte Rucksackreisen quer über den Globus. Und doch war da diese Mischung aus Sehnsucht und Unzufriedenheit, die uns begleitete und die immer stärker wurde. Die Unzufriedenheit mit einem Leben, das uns satt, aber nicht glücklich machte, das uns zwar finanzielle Sicherheit, aber eine innere Leere bescherte.

Über die Jahre war aus den spannenden Jobs Routine geworden, mit einem dichten Alltag und knapper Zeit. Hatten wir uns anfangs noch freudig auf die Herausforderungen der Arbeit gestürzt, wurden diese immer anstrengender. Stresssymptome bildeten sich heraus: Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, Tinnitus, undefinierbare Ängste. Das bunte Leben in Berlin verkümmerte zu Fernsehabenden. Die anfängliche Freude, ein Gehalt zu beziehen und sich lang Ersehntes leisten zu können, wich der Langeweile. All die Angebote und Luxusgüter erschienen uns als Ersatzbefriedigung für unsere unerfüllten Lebensträume. Wollen wir immer mehr Lebenszeit in Arbeit investieren, um uns Dinge zu kaufen, die wir nicht brauchen? Frustration und Fragen nach dem Sinn vertieften sich.

Außerdem war da noch dieser Termin, den wir uns nach unserer ersten mehrmonatigen Asienreise gesetzt hatten: »Spätestens mit 30 machen wir eine Auszeit, um unser bisheriges Leben zu reflektieren.« Die 30 wurde auf 35 verschoben, und die 35 rauschte heimlich an uns vorbei, versteckt hinter der Alltagsroutine. Jetzt zeichnete sich die 40 ab. Aber sollten wir das Erreichte einfach hinschmeißen? Karriere und Altersvorsorge riskieren? War es das wert? Woher kam diese Unzufriedenheit in uns? Luxusprobleme? Lieber die Zähne zusammenbeißen, weitermachen und das Ganze auf die Rente verschieben? Bekommen wir da in 30 Jahren überhaupt noch etwas? Und würden wir bei unserer Unzufriedenheit bis dahin noch gesund bleiben? Fragen über Fragen schwirrten in unseren Köpfen herum, und die Unzufriedenheit stieg stetig weiter.

Dann passierte das, was wir befürchtet hatten: Die Krankheit Krebs polterte in unser Leben, bestimmte von nun an unseren Alltag, schob den Traum vom Aussteigen in den Hintergrund. Jetzt ging es ums nackte Überleben, darum, das Monster mit Operationen und Chemotherapien zu besiegen, durch Reha und Training zurück zur Normalität zu gelangen. Dennoch führte uns diese Erfahrung deutlich vor Augen, wie wertvoll das Leben ist. Dass es keine Garantie dafür gibt, dass wir das Rentenalter überhaupt erreichen, dass all die Sicherheiten, die wir in Deutschland haben, keine Sicherheit für ein langes, gesundes Leben bieten, dass man Lebensträume nicht auf die lange Bank schieben sollte. Die Krankheit heilte, aber unsere Unzufriedenheit mit dem Leben in Deutschland kränkelte munter weiter.

Immer öfter stöberten wir in Büchern und Blogs von Weltreisenden und Menschen, die ihren Weg zu einem Leben näher an der Natur und fern vom Luxus gefunden hatten. Menschen, die sich selbst versorgten, alternative Lebensentwürfe aktiv umsetzten, Kulturen an den abgelegensten Orten der Welt besuchten. Wir wollten nicht nur reisen und neue Länder kennenlernen, sondern vor allem raus aus dem Großstadttrott, näher an der Natur leben, unsere Bedürfnisse überdenken, mit Selbstversorgung experimentieren, neue Lebensentwürfe kennenlernen, und das alles möglichst nachhaltig und ohne unsere gebeutelte Erde zu belasten.

Doch noch wussten wir nicht, wie. Der Groschen fiel erst, als wir zusammen mit einem Freund ein kleines Segelboot bei eBay erstanden. In mühevoller Arbeit brachten wir das Boot auf Vordermann, absolvierten die in Deutschland notwendigen Scheine und besegelten von nun an die Berliner Seen. Das Segeln hatte eine unglaubliche Wirkung auf uns, meditativ beruhigte es unsere aufgeregten Großstadtgemüter. Es faszinierte uns, nur mit den Naturelementen voranzukommen und überall dort stoppen zu können, wo keine Straße hinführt.

In unserem zweiten Sommer als stolze Bootsbesitzer schipperten wir unser Bötchen durch die Kanäle hoch an die Ostsee und verbrachten erstmals über eine Woche an Bord. Ein echter deutscher Segelsommer, verregnet, mit Sturmböen und starkem Wellengeschaukel, doch wir fühlten uns wohl in unserem winzigen Zuhause ohne Toilette und Dusche, mit dieser kleinen, ausfahrbaren Küche. Eines Abends lagen wir im Hafen von Zinnowitz auf Usedom eingemummelt in der Koje, das Boot ruckelte und zuppelte an den Leinen, um den Mast pfiff der Wind, im Transistorradio verkündete der Moderator im lang gezogenen, norddeutschen Dialekt die Wetterprognose. Im funzeligen Licht der Petroleumlampe schauten wir uns in die Augen. Einer von uns stellte die Frage, die nicht mehr ausgesprochen werden musste: »Was hältst du davon, auf ein Boot umzuziehen und damit die Welt zu bereisen?

ERSTER TEIL: GRAUBLAU

EINSTIEG IN DIE AUSZEIT

KAPITEL 1: NEUN TONNEN STAHL – WIR HABEN EIN SEGELBOOT!

Jonathan

Es ist Herbst in Deutschland, die Bäume verlieren ihre Blätter, die Tage werden kürzer, und heute Morgen wird mein Blick von einer dichten Nebelwand versperrt. Die Natur bereitet sich auf ihre alljährliche Auszeit vor. Auch im Yachthafen stehen die Zeichen auf Winterschlaf. Nur wenige Yachten liegen noch im Wasser, die meisten stehen gut verpackt unter einer Plane an Land. Doch für mich beginnt der Frühling, meine innere Uhr steht auf Neuanfang, auf den Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt. Es arbeitet in mir wie in der Zwiebel einer Frühjahrsblume, die die Eisdecke durchbrechen und sich entfalten möchte. Es ist der erste Tag, den ich allein auf unserem neuen Boot verbringe, das bald unser Zuhause sein wird.

Wie ein Schwamm sauge ich die Atmosphäre in mich auf. Die Leinen knarzen an ihren Festmachern. Die Bugwelle eines vorbeiziehenden Frachters hämmert gegen den Stahlrumpf. Der typisch moderige Geruch der norddeutschen Tiefebene mischt sich mit der frischen, salzigen Luft der Nordsee, während aus dem Bauch des Schiffes ein leichter Geruch von Diesel, in die Jahre gekommenen Bootsbauhölzern und muffigen Polstern strömt. Eine Möwe setzt sich zu mir aufs Deck und beäugt skeptisch eine Rostblase. Ungewohnt fühlt es sich auf diesem zehneinhalb Meter langen und knapp neun Tonnen schweren Rumpf aus Stahl an. So ganz anders als auf unserem ersten Boot. Werde ich dieses Ungetüm beherrschen? Ich mache mir ein Bier auf und hänge meinen Gedanken nach.

Hinter uns liegen drei turbulente Monate: Kaum war die Entscheidung gefallen, ein Boot zu kaufen, waren wir auf dem Weg zu unserer ersten Bootsbesichtigung. Dass dies auch direkt unsere letzte Bootsbesichtigung sein würde, wussten wir zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Misstrauisch beäugt uns der Noch-Besitzer Kai, als wir am aufgebockten Boot im holländischen Yachthafen ankommen. Wir merken schnell, freiwillig gibt er sein Boot nicht ab, die Gesundheit zwingt ihn dazu. Doch als wir ihm erzählen, was wir vorhaben, bricht sofort das Eis. Er hat die Welt zweimal auf einer Segelyacht umrundet und viele Winkel der Welt besegelt. Unweigerlich gerät die Bootsbesichtigung in den Hintergrund, und wir verlieren uns in Reise- und Segelgeschichten. Das Bier fließt in Strömen, sodass wir ungeplant unsere erste Nacht auf dem Boot verbringen. Die Koje fühlt sich ungewohnt an, sie ist dreieckig und die Decke über uns nur eine Armlänge entfernt. Eingekuschelt fallen wir in einen tiefen Schlaf. Nicht im Traum können wir uns zu diesem Zeitpunkt vorstellen, dass dieser kleine, verwinkelte Raum für fast sieben Jahre zu unserem Schlafzimmer werden wird.

Voller Träume sind jedoch unsere vom Bier noch schweren Köpfe, mit denen wir am nächsten Morgen die Heimreise antreten. Die Gespräche mit Kai haben uns ermutigt. All seine Geschichten über die wunderbaren Orte und Kulturen, von denen wir zuvor noch nicht einmal die Namen kannten. Auch wir haben schon viel von der Welt gesehen, aber einige Orte lassen sich nun mal nur über das Wasser erreichen. Genau da wollen wir hin.

Uns drängt es, loszufahren, doch so einfach ist das nicht. Wir haben die letzten Jahre ein bisschen Geld zurücklegen können, viel ist es jedoch nicht. Unsere Idee, um Geld zu sparen, ist, ein günstiges Schiff zu kaufen, dessen Grundsubstanz zwar stimmt, an dem aber noch einiges restauriert werden muss. Das wollen wir dann selbst machen. Die ANDROMEDA, wie das Boot zu diesem Zeitpunkt noch heißt, ist so ein Schiff. Es hat viel, was für die Reise notwendig ist, aber auch noch einige Baustellen. Das schreckt uns nicht ab, im Gegenteil. Wir wollen dem Ausbau eine persönliche Note geben, schließlich soll das Boot nicht nur segeln können, sondern unser Zuhause werden.

Und so wühlen wir uns durch alle Ecken und Winkel und suchen nach Rost und anderen Schwachstellen. Bei der Probefahrt ist es um uns geschehen, wir haben uns in die alte Dame verliebt. Sanft und schnittig pflügt sie sich durch das aufgewühlte IJsselmeer. »Das ist aber ein liebes Boot«, kommentiert Claudia mit einem breiten Grinsen. Ich bin zwar vom Besichtigungsstress etwas grün um die Nase, kann ihr aber nur zustimmen. Unter Tränen – der Besitzer möchte sich nicht von seinem Schatz trennen, und wir haben das Gefühl, ihm das Herz zu brechen – besiegeln wir den Kauf. Kai bietet an, das Boot mit mir nach Deutschland zu überführen, um mir in Ruhe alles zu zeigen. Dankbar schlage ich ein.

Unsanft setzt der Flieger Anfang Oktober in Düsseldorf auf, wo ich mich zur Weiterfahrt verabredet habe. Es stürmt, und die Bäume biegen sich im Wind. Keine guten Voraussetzungen, um mit einem unbekannten Boot über die berüchtigte Nordsee zu segeln. Mir ist mulmig, doch Kai weiß eine Alternative. Die vielen Kanäle und beweglichen Brücken der Niederlande machen es möglich, mit stehendem Bootsmast über Kanäle vom IJsselmeer bis an die Ems zu kommen. Die sogenannte »Staande Mastroute« bietet Schutz vor der offenen Nordsee und ist gleichzeitig atemberaubend schön. Begleitet von Plattbodenschiffen schippern wir an grünen Feldern vorbei und durchqueren die Zentren der niederländischen Dörfer und Kleinstädte. Die Stimmung an Bord ist durchwachsen, Kai leidet sichtlich darunter, sein Boot abzugeben. Erschwerend kommt hinzu, dass ich mich noch ziemlich blöd anstelle. So ein Dickschiff aus Stahl funktioniert ganz anders als alles, was ich zuvor gesegelt bin. Ich versinke in nächtliche Grübeleien. Werde ich diesen Kahn je beherrschen? Nach drei Tagen kommen wir in Emden an, und Kai geht von Bord. Hier haben wir es sogar noch geschafft, den Mast zu legen, denn bis nach Berlin müssen wir über die Kanäle Deutschlands mit ihren unbeweglichen Brücken.

Ich bleibe allein zurück mit meinen Gedanken. Die Herausforderungen, eine Yacht zu bedienen, sind höher als erwartet, und dann all die Technik. Ich merke, dass ich schon an meine Grenzen komme bei dem Versuch, einen Funkspruch mit dem Funkgerät abzusetzen. Geschweige denn einen Notruf. Sind wir zu naiv? Zweifel steigen in mir auf, ob es richtig ist, was wir uns vorgenommen haben.

Ich kann segeln. Sowohl mein Vater als auch mein Opa waren leidenschaftliche Segler. Als Kind begleitete ich sie manchmal auf die Nordsee, schon damals war die Zeit an Bord ein großes Abenteuer für mich. Als mein Vater starb, vermachte er mir sein zwar nur knapp sechs Meter langes, aber hochseetaugliches Segelboot. Ich war allerdings gerade 13, meine pubertären Hormondrähte glühten mit voller Leistung, und die langen Haare passten nicht in die damaligen Vereinsstrukturen. Ich beschloss, mein erstes Boot zu verkaufen und aus dem Verein auszutreten. Damit endete meine Segelkarriere vorerst – auch wenn ich das aus heutiger Perspektive bedauere. Daneben begleitete mich aber noch ein weiteres Vermächtnis meines Vaters. Er besaß eine gut ausgestattete Segelbibliothek, darunter viele Bücher der Weltumsegler aus den 60er- und 70er-Jahren. Die Geschichten von Wilfried Erdmann, Wolfgang Hausner und Bernard Moitessier begeisterten mich. Sie besegelten mit einfachen, teilweise selbst gebauten Booten die Weltmeere. Viele Jahre später bemerkte ich, dass ein Freund von mir diese Leidenschaft teilte. Viele Nächte verbrachten wir mit reichlich Single Malt Whisky und Seemannsgarn vor Seekarten und fuhren zumindest mit dem Finger an ferne Küsten. Er kaufte sich später eine alte Yacht, die wir quer durch Griechenland segelten. Angesteckt von dieser Erfahrung begann ich, mich mit Jollen und später unserer kleinen BERTA auf den Berliner Seen wieder an das Thema heranzutasten.

Meine Hochseeerfahrung ist jedoch bis auf einen einwöchigen Ausbildungstörn vor Gran Canaria gleich null. Sind wir zu leichtsinnig? Wollen wir den größten aller Ozeane, den Pazifik, besegeln? Davor muss noch der Atlantik überquert werden, und der Weg dahin ist auch kein Zuckerschlecken. In diesem Moment mache ich mir ernsthafte Gedanken, wie ich die nächsten Etappen Richtung Berlin meistern soll – und ich will Ozeane überqueren? Bringe ich uns beide in Gefahr?

Erste dunkle Wolken bedecken meine frühlingshafte Stimmung. Ich versuche, sie beiseitezuschieben, indem ich mir immer wieder im Stillen sage, dass mit der richtigen Planung, einer realistischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten und Respekt vor den Naturgewalten alles machbar ist. Genau das haben wir von anderen Weltumseglern erfahren. Viele sind mit einem ähnlichen Kenntnisstand gestartet und haben sich langsam und mit viel Learning by Doing auf den Weg Richtung Süden gemacht.

Der Messenger meines Telefons meldet sich und reißt mich aus meinen Grübeleien. Gedankenübertragung, denke ich mir, und starte den Videocall. Claudia ist dran: »Na, wie geht es dir so allein in unserem neuen Zuhause?«, raunt es mir sanft entgegen. Sie hat mich durchschaut. Ich hätte meine trüben Gedanken lieber für mich behalten, aber das ist mir bei Claudia nie gelungen. Meine Bedenken teilt sie nicht, und das, obwohl sie noch viel weniger Segelerfahrung hat als ich. Im Gegenteil, voller Vorfreude sagt sie mir: »Das sieht so gemütlich bei dir aus, ich freue mich darauf, morgen an Bord zu kommen!« Die dunklen Wolken verziehen sich schlagartig, und wir plaudern drauflos, was wir am Boot noch gemütlicher machen wollen. Als ich ihr nachdenklich von den vielen Schleusen, die vor uns liegen, erzähle, winkt sie lässig ab: »Wir haben ein Stahlboot, das kann einiges ab, und Ulli kommt mit, der kennt sich aus!«

Am nächsten Abend erwarten mich Claudia und mein Stiefvater Ulli an der Schleuse in Papenburg. Von hier geht es in das Netz der Binnenkanäle, die bis nach Berlin führen. Ulli kommt aus Valparaíso, einer chilenischen Hafenstadt. Bevor er sein Heimatland verlassen musste, war er einer der Freiwilligen an Bord des Rettungsbootes des Hafens. Sein Vater war der Kapitän. Er ist zwar kein Segler, kennt sich aber bestens damit aus, wie man einen alten Stahlpott manövriert. Bei mitgebrachten Leckereien machen wir es uns im als »Salon« bezeichneten Wohnzimmer unseres Schiffes bequem. Ulli inhaliert förmlich die typischen Schiffsgerüche, während er wehmütig an seine Heimatstadt denkt.

Am nächsten Tag legen wir im dichten Nebel ab. Die Manöver in der ersten Schleuse sind noch wackelig, doch mit Ullis Ruhe und Erfahrung werden wir von Schleuse zu Schleuse sicherer. Abends wartet freudig winkend meine Mutter am Ufer, die Ulli wieder von Bord holt. Nun sind wir wirklich das erste Mal allein. Ungläubig schauen wir uns an, wir haben es getan! Dieser gerade einmal 15 Quadratmeter große Raum soll unser neues Heim werden. Er umfasst sowohl Wohn- und Schlafzimmer als auch Küche und Klo. Eine Dusche gibt es nicht, dazu muss ein Eimer an Deck reichen. Die einzige Tür führt in das winzige Bad, in dem gerade einmal Platz zum Sitzen auf dem Klo ist. Werden wir, zwei auf Individualismus gepolte Großstadtmenschen, uns hier nicht zwangsläufig auf die Nerven gehen? Was passiert, wenn Streit aufkommt, noch dazu auf hoher See, wo es kein Entkommen mehr aus dieser kleinen Kapsel gibt? »Das kann ja heiter werden mit uns zwei Dickköpfen«, scherze ich. Claudia stimmt mir lachend zu – ich bemerke, dass ihr Ähnliches durch den Kopf gegangen ist. Doch zu besonders ist dieser Moment, zu groß die Vorfreude auf das, was vor uns liegt. Für solch trübe Gedanken ist kein Platz! Und so liegen wir uns schon bald fröhlich in den Armen und verbringen unsere erste gemeinsame Nacht an Bord.

Der nächste Morgen begrüßt uns unsanft. Wie aus einer Dusche tropft es auf unsere Köpfe. Die Isolierung des Schiffes scheint nicht gut zu sein, und Stahlschiffe neigen dazu, bei Kälte Kondenswasser zu bilden. Die Polster müffeln moderig vor sich hin, und auch unsere Kleidung hat den Geruch angenommen. Polster und Isolierung erneuern, trage ich in unsere immer länger werdende Aufgabenliste ein. Es ist bitterkalt geworden, draußen hat sich eine kleine Eisschicht auf dem Deck gebildet. Dick in Pullover und Jacken eingepackt, machen wir uns auf den Weg Richtung Berlin.

Vor uns liegen rund 500 Kilometer durch den Mittelland- und den Elbe-Havel-Kanal. In unserer schnelllebigen Welt klingt das nicht nach viel, doch wir sind mit einem Segelboot unterwegs, und das ist langsam. Sowohl unter Segeln als auch unter Motor erreicht unsere behäbige alte Dame selten eine Geschwindigkeit von mehr als zehn Stundenkilometern. Dass wir von nun an umdenken müssen, wird uns schnell klar, als wir immer wieder von freundlich winkenden Fahrradfahrern am Ufer überholt werden. Wir brauchen gut zwei Wochen für den Weg nach Berlin. Zwei Wochen, in denen wir unser Boot besser kennenlernen. Mit jeder Seemeile nimmt die Unsicherheit ab, mit jeder gemeisterten Schleuse wächst unser Selbstvertrauen. Bei unserer Ankunft in Berlin haben wir das Gefühl, dieses ungewohnte Gefährt zumindest unter Motor im Griff zu haben. Auf der Ostsee wollen wir uns dann an das Segeln herantasten, bis wir uns hinaus auf die Weltmeere trauen. So lautet zumindest der Plan, doch jetzt ist erst einmal Winter, und es geht an Land. Aber genau diese Zeit wollen wir nutzen: Die Aufgabenliste mit Arbeiten am Boot ist lang, und so verbringen wir jede freie Minute damit. In den kalten Wintermonaten verwandeln wir unsere Wohnung in eine Werkstatt, wir leben zwischen Holzteilen, Segeln, Polstern und diversen Ausrüstungsgegenständen. Vor dem Weg zur Arbeit wird eine Lackschicht auf die Holzteile gepinselt, nach Feierabend eine zweite, Polster werden zugeschnitten und bezogen, und noch im Bett, bis uns todmüde die Augen zufallen, durchforsten wir den Gebrauchtmarkt nach fehlender Ausrüstung.

An den Wochenenden steht Lernen auf dem Programm. Wir besuchen einen Wetterkurs, und ich quäle mich durch eine extrem lernintensive Ausbildung zum Amateurfunker. Die ist nötig, um das Wetter später abseits vom Internet abrufen zu können. Das Wetter zu verstehen, ist wichtig beim Segeln, denn es ist unser Motor zum Fortbewegen, kann aber auch ungemütlich bis lebensgefährlich werden. Ein weiterer Punkt bereitet uns Sorgen. Was machen wir, wenn einer von uns abseits von jeglicher Hilfsmöglichkeit einen Unfall erleidet? In einem Seminar zu Thema »Medizin auf See« lernen wir Wunden zu nähen, Brüche zu schienen und Infusionen zu legen. Nebenbei muss Claudia noch ihren kleinen Kindergarten betreuen und ich meinen Aufgaben als Besitzer eines Tonstudios nachkommen. Uns bleibt keine freie Minute, doch wir lassen uns nicht stressen, zu groß ist die Vorfreude auf das, was kommen wird. Wir bringen eine Energie auf, die wir uns zuvor im Alltagstrott schwer vorstellen konnten.

Unser Umfeld hat mittlerweile mitbekommen, was wir vorhaben. Die Reaktionen sind so verschieden wie unser bunter Freundeskreis. Viele klopfen uns aufmunternd auf die Schulter, einige bewundern unseren Mut. Sie selbst würden sich so etwas nie trauen. Bei anderen herrscht schieres Unverständnis. Wie kann man in diesem Alter alles hinwerfen und in so ein Abenteuer starten? Was ist mit der Altersvorsorge, das ist doch so schon unsicher genug? Wolltet ihr nicht Kinder bekommen? Das sind berechtigte Fragen, die viele Ängste in uns wachrufen. Doch tief in unserem Inneren sagt uns eine Stimme, dass es richtig ist, was wir vorhaben. Zumindest eine längere Auszeit soll es werden, um unser bisheriges Leben grundlegend zu überdenken und Kraft zu tanken für die Zukunft.

Auch bei uns kommen Bedenken auf, wie weit wir diesen Schritt wirklich gehen wollen. Claudia ist mutiger als ich, sie kündigt ihren Job kompromisslos. Ich vereinbare mit meinem Partner im Tonstudio eine Auszeit von bis zu drei Jahren und setze durch, unsere Wohnung unterzuvermieten. Mir fehlt der Mut für einen endgültigen Schnitt. Zu sehr bin ich noch in meinen Ängsten und Denkmustern verhaftet, die schwer über eine Auszeit hinausdenken können. Die Trennung von meinem Tonstudio, das zusammen mit Freunden und in viel Eigenarbeit aus einer leeren Fabriketage in Kreuzberg entstanden ist, fällt mir schwer. Das ist jedoch nicht die einzige Trennung: Unsere Wohnung mit all den Möbeln, dem Hausrat und Nippes, der sich in den letzten 14 Jahren unseres Lebens angesammelt hat, wird gnadenlos ausgemistet. Ein Umzugswagen wandert nach Bremen zu meiner Schwester, und der Zu-Verschenken-Karton vor unserer Haustür ist eine Dauereinrichtung. Es ist unglaublich, wie viele Leinen uns mit Berlin verbinden, alle müssen Schritt für Schritt gelöst werden. Das Auto wird inseriert, Versicherungen und Verträge werden gekündigt, Zwischenmieter für die Wohnung müssen gesucht und mit dem Besitzer abgestimmt werden. Wir schlafen mittlerweile auf einer Matratze neben etlichen Bootsteilen in einer auf das Nötigste reduzierten Wohnung.

Die Termine sind gesetzt, bis Juni werde ich noch arbeiten, Anfang Juli soll es dann losgehen. Höchste Zeit, denn im Herbst wollen wir spätestens in Spanien angekommen sein. Dann wird es stürmisch auf der davorliegenden Nordsee und dem gefährlichen Golf von Biskaya. Ach ja, und wir wollten ja auch noch mit dem Boot segeln lernen, das haben wir bisher noch nicht versucht. Ein enger Zeitplan, doch wir sind guter Dinge, dass es klappen wird.

Der Frühling mit uns als stolzen Bootsbesitzern lässt sich Zeit. Bis in den Mai hinein herrscht noch Frost. Es wird später und später. Dennoch nimmt unser neues Zuhause langsam Form an. Sämtliche Holzteile sind aufgefrischt, fast die gesamte Innenverkleidung ist ausgetauscht, alle Polster sind erneuert, alle Segel überarbeitet, der Motor gewartet. Es warten neue Wanten, ein neuer Anker, ein Beiboot, ein neuer Herd und vieles mehr. Pünktlich zum vereinbarten Termin am 01. Juli sind alle Arbeiten, die an Land gemacht werden müssen, erledigt, und es geht zurück ins Wasser. Drinnen sieht es noch wüst aus, vieles ist noch nicht installiert, weder Funk noch der Windgenerator sind angeschlossen, überall stehen Umzugskartons aus unserer Wohnung herum. Doch wir sind bereit, bereit, in See zu stechen in ein neues Leben. 40 Lebensjahre liegen zu diesem Zeitpunkt hinter uns, 40 Jahre mit mehr oder weniger geraden Lebensläufen. Aber vor uns liegt nun eine unbestimmte Zukunft!

KAPITEL 2: SICH BINDEN UND VERSCHWINDEN – LEINEN LOS!

Claudia

Ich stehe auf dem Werftgelände in Berlin-Adlershof vor diesem riesigen Boot. Meine Arbeit liegt hinter mir, das Lachen und Weinen der kleinen Kinder, die stinkenden Windeln, die Spielplätze Friedrichshains. Von meiner Kollegin mit den ständig wechselnden Haarfarben und dem sonnigen Gemüt habe ich mich verabschiedet. Fühle ich mich leer oder erfüllt von dem, was kommen mag? Vor mir steht dieses große Boot, das von nun an mein Zuhause sein soll. Mir erscheint es riesig, unsere BERTA war viel kleiner, aber verglichen mit unserer über 100 Quadratmeter großen Wohnung ist es klein.

Ich atme durch, der Frühling ist da, der Winter war dieses Jahr lang. Meine Sinne richten sich nach außen: Ich sehe den Kanal vor mir liegen, dichtes Gestrüpp am Ufer, es riecht schlammig und beißend nach Farbe, denn hier arbeiten noch andere an ihren Booten. Über den Platz tönt Musik und mischt sich mit den Geräuschen von Sägen, Hämmern und den kreischenden Quietschtönen von Schleifmaschinen. Ich steige die Leiter zu unserem Boot hinauf. Das Cockpit quillt über von Werkzeugen, Farbtöpfen, Lappen und Pinseln. Ich öffne eine Dose. Das Öl riecht harzig. Damit werde ich die einzelnen Fächer des Bootes auspinseln, um sie vor Feuchtigkeit zu schützen. Ich klettere ins Bootsinnere, suche mir einen Pinsel und lege los. Fach für Fach pinsele ich mit Öl aus. Die gleichmäßigen Bewegungen verscheuchen meine zweifelnden Gedanken. Das Öl kriecht in die Ritzen, saugt sich ein und duftet wunderbar würzig.

Die Tage vergehen, die Vögel fangen an zu zwitschern, die Weiden am Rand des Kanals leuchten in sanftem Frühlingsgrün. Mir wird warm in meinem Arbeitsoverall, ich streiche das Unterwasserschiff und löse den alten Namen vom Boot. Bisher habe ich mit Menschen gearbeitet, die Arbeit mit Werkzeugen ist neu für mich. Täglich bringe ich mir neue Kniffe bei, bis es mir gelingt, beim Arbeiten meine Gedanken schweifen zu lassen. Einen Monat später ist Jonathan dabei, er hat nun auch seine Arbeit aufgegeben. Wir haben uns einen Termin zum Start unserer Reise gesetzt, denn wir wurden gewarnt: »Verbastelt euch nicht, ihr könnt viel unterwegs fertigmachen, wichtig ist, dass ihr loskommt!« Das sehe ich auf dem Werftgelände: Träumer, die jahrelang ihre Kähne liebevoll bearbeiten, teilweise in Kleinarbeit aufbauen – aber werden sie jemals in See stechen?

Im Juli ist es endlich so weit, und der Termin steht fest: Das Boot kommt ins Wasser! Der Kran fährt heran, und unser Boot wird in Richtung Wasser transportiert. Wir schwitzen, sind aufgeregt. Was, wenn ein Ventil falsch eingebaut wurde und unser neues Heim absäuft? Aber alles sieht gut aus. Das Boot hängt in den Schlingen, und zehn Tonnen nähern sich schwankend dem Wasser. Als es drin und von den Schlingen befreit ist, dürfen wir an Bord. Aufgeregt starten wir den Motor. Nichts passiert, das Boot bewegt sich nicht vorwärts, nicht rückwärts. Der Kranfahrer hat uns direkt in den Schlick des braunen Kanals gesetzt, wir stecken fest. »Hau doch mal richtig den Motor rein«, brüllt der Kranfahrer vom Ufer. Wir geben Vollgas, kurz danach würgt der Motor ab. Eine der Schlaufen vom Kran hängt in der Schiffschraube. Jonathan reißt sich die Klamotten vom Leib und springt in den braunen Modder, um den Propeller zu begutachten. »Ich kann kaum die Hand vor Augen sehen«, schnauft er beim Luftholen, aber er bekommt nach einiger Zeit die Schlinge los. Der Motor springt an, dennoch will sich das Boot nicht von der Stelle bewegen, wir versuchen vor- und zurückzusetzen, aber keine Chance. Das Getriebe? Die Antriebswelle? Horrorszenarien spuken durch unsere Köpfe, Unsummen von Geld, die wir aufwenden müssten. Doch dann ist das Problem schnell ausgemacht: Wir hatten, als die Schlinge im Propeller hing, einen Knopf gezogen, der den Motor in den Leerlauf schaltet. Im Durcheinander hatten wir vergessen, ihn wieder reinzudrücken. Am Ufer feixen die Werftarbeiter: »Die wollen um die Welt segeln? Die kommen nicht mal von hier weg, wa?!« Beide wünschen wir uns eine Papptüte mit Löchern auf dem Kopf, als wir die Werft verlassen. Nach und nach rückt sie in die Ferne, und wir bewegen uns vorwärts Richtung Spree.

An den Geruch des Dieselmotors habe ich mich auf unserer Überführung bereits gewöhnt. Gleichmäßig knattert er vor sich hin, und am frühen Nachmittag erreichen wir die zentral gelegene Marina in Rummelsburg. Wir steigen von Bord, denn eine Sache müssen wir noch hinter uns bringen: Die Verabschiedung von all unseren lieben Freunden. Lange habe ich mich damit beschäftigt, mir die Frage gestellt, wie es sein wird, zu zweit auf engstem Raum, im Sturm, ohne Freunde, die ich schnell anrufen kann, um ins Kino, in die Kneipe oder auf einen Spaziergang zu gehen. Mein Herz fühlt sich eingeengt an, ich spüre Trauer in mir aufsteigen, meine Augen brennen. Während der Arbeit am Boot gab es wenig Zeit, sich damit auseinanderzusetzen. Die Abschiedsparty steigt morgen, und es gibt keine Ausflüchte mehr, wir werden auf große Reise gehen und unsere Lieben verlassen. Die Party wird zu einem rauschenden Abschiedsfest, Jonathan und seine Band spielen auf, viele lange nicht gesehene Gesichter sind da, es regnet gute Wünsche, Postkarten und kleine Geschenke. Lange Umarmungen, Tränen. Das Glück, Freunde zu haben.

Zwei Tage später ist der Kater verflogen, der Motor startet in unbekannte Welten. Wir schlängeln uns durch verträumte Kanäle, lassen uns in dem gewaltigen Schiffshebewerk in Finowfurt hinabsenken. Übersät mit fiesen Mückenstichen und diversen blauen Flecken fahren wir durch Mecklenburg-Vorpommern bis Stettin, wo wir unseren Mast stellen wollen. Vom muskelbepackten, stark gebräunten Marinachef werden wir argwöhnisch beobachtet, denn neben dem Maststellen müssen noch neue Wanten angebracht werden, die wir im Eifer des Gefechts vertauscht hatten, und die Aktion zieht sich in die Länge. Jonathan hängt im Mast, Werkzeuge werden in kleinen Säckchen hoch- und hinuntergezogen, es hagelt Schrauben von oben, oder es tönt der Ruf nach dem passenden Schlüssel. Nach einigen Stunden steht der Mast fest auf seinem Fuß und wir auf unserem schwankenden Heim.

Es pustet ordentlich hier vor der vernebelten Industriekulisse von Stettin, und wir beschließen, zum ersten Mal die Segel zu hissen. Statt dem geplanten Erfolgserlebnis läuft jedoch alles schief: Die Segel blähen sich und zerren an den Leinen. An Deck liegt allerhand Gerümpel herum. Erbarmungslos wischen die Leinen mit einem Schwung alles zur Seite und schleudern es uns um die Ohren. Schließlich schaffen wir es doch, die Segel in die richtige Stellung zu bringen, und das Boot nimmt Fahrt auf. Wir liegen ganz schön auf der Backe, der behäbige Stahlkoloss zieht trotzdem unbeirrt durch die kleinen, schäumenden Wellen. Unser Abenteuer unter Segeln beginnt, der Traum von zwei Spinnern, Träumern, Abenteurern wird Realität!

Bevor es richtig losgeht, sind allerdings noch einige Meilensteine zu bewältigen. Wir hangeln uns über Polen und Dänemark bis nach Kiel, wo wir den Nord-Ostsee-Kanal durchfahren müssen. Unsere vielen Schleusenmanöver haben uns routiniert werden lassen. Gleich an der Einfahrt merken wir jedoch, dass die Fahrt durch den Nord-Ostsee-Kanal ein anderes Kaliber ist: Hier fahren die großen Frachter hindurch, mit Containern beladen, bunt und riesengroß. Beim Bezahlen der Kanalgebühr in einem kleinen Kiosk am Ufer kommt trotzdem ein warmes Gefühl auf: Zwischen belegten Brötchen und Schokoriegeln wird im norddeutschen Tempo die Gebühr kassiert, ein kleiner Bon rattert aus der Kasse und »Denn man goode Fahrt!« In der Sommerhitze, ohne einen einzigen Luftzug, arbeiten wir uns Meter für Meter durch Mückenschwärme den Kanal hinauf, achtsam beobachten wir jeden dicken Pott, der uns überholt, um nicht in den entstehenden Sog zu gelangen. Am Abend erreichen wir das Schleusentor zur Nordsee in Brunsbüttel. Es ist geschlossen, und wir müssen uns an den vielen anderen wartenden Booten im Yachthafen vertäuen und hier übernachten.

In Brunsbüttel tobt ein Stadtfest der nordischen Art, gediegener, ruhiger, dafür mit umso mehr Gezapftem. Wir stehen vor einer kleinen Bühne, auf der angealterte Herren in Lederwesten mit Fransen zum Blues aufspielen, ihre Fans aus Brunsbüttel haben sie gleich mitgebracht, sie spenden wohlwollenden Applaus, lassen ihre Feuerzeuge in der aufziehenden Dunkelheit aufleuchten. Ein schummeriger Abend vor dem Tor zur Nordsee.

Die empfängt uns am nächsten Morgen im seichten Nebel. Meine Gefühle sind verhangen wie dieser Morgen, grau und wie Watte wabern sie durch meinen Kopf. Unser nächstes Ziel ist Bremen, unsere Geburtsstadt, und dort heißt es auch, uns von unseren Familien für eine ungewisse Zeit zu verabschieden. Nach einer Nacht in Cuxhaven schießen wir mit der Strömung die Weser hinauf und machen im rosigen Abendlicht in der Marina im Holzhafen von Bremen fest. Unsere Familien hatten wir informiert, und schon von Weitem sehen wir ein Auto, geparkt an der Böschung, und vernehmen fröhliche Rufe.

Die nächsten drei Wochen verfliegen im Nu, es fühlt sich an, als wäre ich wieder Schülerin und hätte Sommerferien. Jeden Tag schwingen wir uns auf unsere Räder, um unserem Boot den letzten Schliff zu geben, einquartiert sind wir bei unseren Eltern. Der Sommer ist heiß, und wir schwitzen unter Deck, während wir Funkanlagen verkabeln, einen Träger für unsere Solarpaneele schweißen und uns mit der Proviantierung beschäftigen.

Eines brauchen wir auf jeden Fall, und das ist der Segen meines Vaters, der pensionierter Pastor ist. Der Garten von Jonathans Eltern ist der Ort unserer Hochzeit. Salate und Fleischberge türmen sich auf den Tischen, Flaschen mit Rotwein stehen neben den süßen Desserts. Jonathans Vater Ulli wird mit seinen chilenischen Freunden musizieren. Mein Vater bereitet seine Rede vor, der Garten verwandelt sich zum Festgelände.

Der Hochzeitsmarsch erklingt. Andächtig schreiten wir hinter meinem Vater, Jonathans Nichten streuen Rosenblätter. Die ein oder andere Träne kullert, als die chilenische Band das plattdeutsche Lied Dat du mien Leevsten büst anspielt. Im kleinen Pavillon ist Platz für drei Leute, Jonathan und ich sitzen meinem Vater gegenüber. Ihm bricht die Stimme, als er uns seinen Segen gibt. Gerade getraut, und schon wird die geliebte Tochter vom Ehemann und den Winden in die weite Welt entführt. Aufrecht durch den Garten schreitend, bringen wir diese emotionale Zeremonie zum Ende. »Leute, dies ist ein fröhlicher Anlass! Lasst uns feiern!«, rufen wir gegen die aufkommende Wehmut an. Die Schwermütigkeit weicht der Freude, wir essen, reden und feiern!

Ein Taxi bringt uns in der Nacht zur Marina, und Jonathan trägt mich über die Schwelle unseres schwimmenden Zuhauses. Flausen schießen durch unsere Köpfe, wir haben uns gelöst, uns als Ehepaar für eine gemeinsame Zukunft entschieden, eine Zukunft, die ungeplant und ohne Sicherheiten vor uns steht. Wir haben kein Haus gebaut, keine Kinder in die Welt gesetzt, unser Auto verkauft und segeln in unsere Flitterwochen, Dauer unbekannt.

Als wir die ausstehenden Arbeiten beendet haben, steht unserem Aufbruch nichts mehr im Weg. Ein Teil der Familie wird aufs Boot geladen, der andere Teil ins Auto verfrachtet, das sich auf den Weg nach Bremerhaven macht. Im strömenden Regen tuckern wir die Weser hinab, vorbei an der großen Werft, die monströse Yachten für Milliardäre baut, an Elsfleth, Brake, mit dem Ziel Bremerhaven. Das Boot wird vertäut, und der Rest der Familie naht. Ein letztes Mal Fisch essen im deutschen Ambiente. Bislang hieß das Gefährt »Boot«, das soll sich jetzt ändern. Ein Schriftzug mit einem neuen Namen ist längst angebracht. Um den Klabautermann zu beruhigen, bestehen wir auf einer ordentlichen Schiffstaufe, durchgeführt vom Fachmann, meinem Vater. Die Mägen hängen noch schwer, als sich die Truppe in der anbrechenden Dunkelheit auf den Weg zum Liegeplatz des Bootes macht. Jonathans Schwester hat gleich zwei Flaschen Sekt dabei und klettert geschickt an Bord, um die Taufe feierlich zu begießen. Andächtig bildet sich ein Kreis um meinen Vater, der die passenden Worte findet, um dem Boot seinen Namen zu geben. »Hiermit taufe ich dich auf den Namen INTI!« Zwei Korken knallen, Schaum quillt aus den Flaschen, das klebrige Gesöff fließt über das Deck.

Der Moment des Abschieds naht, Schwere drückt mir auf die Brust, ich stelle mir unendlich viele Fragen: Ist es in Ordnung, die älter werdenden Eltern allein zu lassen? Sollte ich nicht arbeiten gehen, um wenigstens ein bisschen Rente zu bekommen? Kann ich ausreichend segeln, um diese Reise zu wagen? Doch das nützt mir jetzt nichts mehr, denn wir haben unsere Wohnung aufgegeben, unser Erspartes auf den Kopf gehauen und uns von Berlin verabschiedet. Sei stark! Sei neugierig! Ich reiße mich zusammen, versuche, die traurigen Blicke und wehmütigen Umarmungen der Familie zu ertragen und schaue den roten Rücklichtern des sich entfernenden Autos nach. Ein Zittern durchläuft meine Glieder, Jonathan und ich schauen uns an: »War da nicht eine Flasche Rum an Bord?« Im Nu ist sie aus der Bilge gezaubert, wir setzen uns auf die steinerne, noch sonnenwarme Hafenmauer und genehmigen uns einen großen Schluck. Die Anspannung weicht, und wir sinken erschöpft in unsere Koje.

ZWEITER TEIL: HELLBLAU

MIT VOLLGAS IN DIE ENTSCHLEUNIGUNG

KAPITEL 3: KURS SÜD – FLUCHT VOR DEM WINTER

Gurgelnd füllt sich die Schleuse von Bremerhaven und hebt die frisch getaufte INTI langsam auf das Niveau der Nordsee. Benommen von all den Abschieden stehen wir still an Deck. Schleusen sind keine Herausforderung mehr für uns. Tief in Gedanken darüber, was vor uns liegt, bedienen wir routiniert die Leinen und Fender. Jetzt geht es wirklich los. Bremerhaven wird der letzte Hafen in Deutschland sein – das nächste Ziel ist die Küste Galiziens in Nordspanien. Dazwischen liegen die Nordsee, der Englische Kanal und die Biskaya, alle drei gehören zu den anspruchsvollsten Seegebieten der Welt. Sie sind berüchtigt für wechselhaftes Wetter und starke Gezeiten. Sind wir und unsere INTI bereit für diese Aufgabe? Die INTI ist noch nicht fertig, viele Provisorien sind verbaut, doch zumindest alle wichtigen Teile funktionieren. Doch wird das reichen? Die Ratschläge der vielen Segler, die wir bisher trafen, reichten von »Macht euch bloß nicht so viele Gedanken« bis zu »Mit dem Kahn wollt ihr über den Atlantik? Ihr seid wahnsinnig!«. Wir haben uns entschlossen, uns nicht weiter verunsichern zu lassen. Das Boot muss zuverlässig funktionieren, dazu haben wir alle notwendigen Teile zum Betrieb unter Segeln und Motor inspiziert oder erneuert. Um schlechtes Wetter frühzeitig richtig einschätzen zu können, ist eine Amateurfunkanlage mit speziellem Modem installiert. Herbert, unser Lehrer aus dem Amateurfunkkurs, will uns auf See regelmäßig mit Wetterinformationen versorgen. Um im Notfall Hilfe rufen zu können, haben wir eine UKW-Funkanlage, eine Rettungsinsel und eine EPIRB installiert. So fühlen wir uns gewappnet, die ersten größeren Fahrten auf hoher See zu meistern. Alles Weitere wird sich unterwegs ergeben.

Wir haben keine Angst in diesem Moment, im Gegenteil, wir sind voller Vorfreude und Abenteuerlust! Vielleicht sind wir naiv, vielleicht können wir die Gefahren, die vor uns liegen, nicht richtig einschätzen. Manche schütteln verständnislos die Köpfe über unsere Sorglosigkeit. Uns bereitet der nächste Abschnitt unserer Reise keine Sorgen, dennoch haben wir Respekt vor dem, was vor uns liegt. Genau so wollen wir die nächsten Etappen auch angehen: Schritt für Schritt und mit der gebotenen Ehrfurcht vor den Naturgewalten.

Bis zum großen Sprung über die Biskaya liegen viele Häfen und Marinas auf unserem Weg, in denen wir Schutz suchen und auf gutes Wetter warten können. Wir müssen zwar durch drei der gefährlichsten Seegebiete, aber diese sind gut dokumentiert, und es kann überall schnell Hilfe geholt werden. Kopfzerbrechen bereitet uns die Jahreszeit. Vor uns liegen gut 1.000 Seemeilen bis nach Spanien, und es ist bereits Ende August. Der Herbst naht, und damit wird die See ungemütlicher, und die Gefahr steigt mit jedem weiteren Tag, dass Winde auffrischen und Stürme über das Meer toben. Doch heute strahlt die Sonne, und es ist angenehm warm. Das Schleusentor öffnet sich, die Ampel springt auf Grün, und wir gleiten hinein in die erste Etappe unserer Reise.