Sieben seltsame Geschichten - K. E. Schech - E-Book

Sieben seltsame Geschichten E-Book

K. E. Schech

0,0

Beschreibung

Der Band »Sieben seltsame Geschichten« entführt den Leser in eine Welt voller kurioser Ereignisse und skurriler Wendungen. Begleiten Sie den Protagonisten auf eine Reise durch die unterschiedlichsten Landschaften. Ob er im dichten Regenwald festsitzt, in der Sandwüste Nordafrikas arbeitet oder in der deutschen Provinz mit den Verordnungen ringt, - er nimmt Sie mit in die Welt des Absurden, in der manchmal die Grenzen zwischen Realität und Fantasie verschwimmen. Ideal für alle, die auf der Suche nach einer kurzweiligen Unterhaltung sind.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 108

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



»Woanders ist es genauso, nur anders.« (J. W. v. Goethe)

Der Inhalt

Hochwasser

Der Fremde

Ein Zufall?

O Tannenbaum!

Heimat

Great minds think alike

Ein Morgen wie jeder andere

Einleitende Bemerkungen

Dieser zweite Band meiner Kurzgeschichtenreihe ist persönlicher als der erste Band, der mit dem Titel »Sieben kurze Geschichten«. Persönlicher bedeutet, dass die Mehrzahl der Geschichten von einem Ich-Erzähler vorgetragen werden.

Die Erzählungen beruhen zu einem Teil auf eigenen Erlebnissen und zu einem anderen Teil habe ich mir die Freiheit gegönnt, den Hergang mithilfe von Fantasie weiterzuflechten oder mit anderen Begebenheiten zu verknüpfen; selbst auf die Gefahr hin, den Boden des Faktischen weit zu verlassen und mich gelegentlich in Richtung des Absurden zu bewegen. Der geneigte Leser möge daher erst gar nicht die Anstrengung auf sich nehmen, herauszufinden, wo in den vorgelegten Geschichten die Nahtstelle zwischen realer Erfahrung einerseits und Ausgedachtem andererseits liegen könnte – er wird sie nicht finden.

Die Texte in diesem zweiten Band wollen weder wirklichkeitsgetreue Begebenheiten erzählen noch irgendeinem Plot folgen, sondern nur eines: unterhalten.

1

Hochwasser

Das Hotel unten am Fluss, der vom Regen in den letzten beiden Wochen braunes Hochwasser führte, war seit dem Vortag der Jahreszeit entsprechend weihnachtlich dekoriert. Wenn es weiter so regnete und der Pegel weiter stieg, dann würde der Bootssteg bald nicht mehr nutzbar sein und ich hier festsitzen. Für Wochen.

Wer es einrichten konnte, befuhr in dieser Jahreszeit den Fluss nicht mehr. Die Provinzhauptstadt und die nächste und letzte Anlegestelle des »Dampfers«, einem Kabinenschiff mit Dieselmotor, lag zwei, drei Reisetage stromabwärts. Von dort kam man nur mit Booten weiter, die flach genug waren, um durch die zwei Stromschnellen zu manövrieren, die dieses Dreckdorf von der Endstation des Dampfers trennte, dem letzten Außenposten der Zivilisation. Das Gebiet im Umkreis des Dorfes, meist dichter Wald, galt als sicher. Und doch: Vor meiner Abreise in den Busch hatte mir jemand einen Zeitungsausschnitt zugesteckt, der beschrieb, wie das ganze Dorf von einer maskierten Gaunerbande überfallen und geplündert worden war. Kein Datum.

In diesem Jahr stand eine »Volkszählung« an. Das war die beschönigende Umschreibung, die die Ausländerbehörde benutzte, wenn sie fast jedes Jahr vor den großen Feiertagen ihre Mitarbeiter ausschickte, damit sie – wie sie sagten – Dokumente kontrollierten. »Das ist nur zu Ihrer eigenen Sicherheit«, gaben sie vor. In Wirklichkeit suchten sie irgendeinen Formfehler im Pass, einen verschmierten Stempel, ein falsches Datum, ein fehlendes Schriftstück – jede Ausrede war ihnen recht, um Geld zu pressen. Ich hatte das schon öfter erlebt, und es galt, den behördlichen Blutsaugern aus dem Weg zu gehen.

Ich hatte es mir schon Monate zuvor zurechtgelegt und passende Pläne ausgedacht, um während der Feiertage nicht in dem Kaff zu bleiben. Ich erwog, in die Provinzhauptstadt zu fahren, um dort in dem sauberen Gästehaus der Firma allein zu sein. Oder, besser, mit dem zweimotorigen Buschflieger an die Küste weiterzureisen, falls es noch Plätze in der Maschine gab. Ich dachte an eine liebe Freundin, die ich dort einmal kennengelernt hatte. War sie noch am selben Ort? Nur hatte ich nicht mit dem Hochwasser gerechnet. Die Regenzeit war dieses Jahr zwei oder drei Wochen früher gekommen als in anderen Jahren.

Hotel war ebenfalls ein viel zu hochwertiges Wort für die Kaschemme, in der ich zu jener Zeit logierte. Es war kaum mehr als eine Sperrholzhütte mit zwei Etagen und einem Wellblechdach darüber, leider die einzige Übernachtungsmöglichkeit in diesem gottverlassenen Dorf mit seinen Straßen aus rotem Lehm, den schiefen Hütten und den kreischenden Affen im Wald, die mir die Nachtruhe raubten.

Weihnachtlich dekoriert war auch nicht das passende Wort für den Schnickschnack, mit dem sie sich bemüht hatten, die Bretterbude herauszuputzen. Sie hatten buntes Zeug in der Lobby und im Gastraum aufgehängt, billige Papiergirlanden, blinkende Lämpchen, die jemand mit blanken Drähten irrwitzig in die Steckdose gepfriemelt hatte. Die Zentralfigur in der Empfangshalle mit dem feuchten Bretterboden war ein lebensgroßer, innenbeleuchteter Weihnachtsmann aus dünner Plastikfolie, der von einem Gebläse aufrecht gehalten wurde. Der aufgeblasene Herr Santa bekam seinen Strom aus dem gleichen Stecker wie die Blinklichtgirlanden an der Decke, was dazu führte, dass jedes Mal, wenn die Lichterkette blinkte, die Spannung für einen Augenblick abrupt abfiel und der Weihnachtsmann kurz in sich zusammensank, bevor das Gebläse ihn wieder aufrichtete. Das unruhige Gezappel des Nikolausmannes erweckte den Eindruck, dass er an einem epileptischen Anfall leiden könnte, ein Anblick, der zum Fest des Friedens eher Mitleid erzeugte, als frohe Feiertagsstimmung zu verbreiten. Wenigstens hatten sie am Eingang kein aufblasbares und bunt blinkendes Rentier mit Schlitten aufgestellt; »Rudolph mit der roten Nase« war in diesem Jahr nicht im Sortiment des örtlichen Kramladens. Also Regenwald ohne Schnee und Rentierschlitten.

Die meisten der zwölf Gästezimmer, die an guten Tagen mit Flussreisenden belegt waren, waren schon seit Wochen unbewohnt. Die Wirtin, die die Spelunke betrieb, hatte mich eingeladen, ja fast angefleht, bitte doch noch ein paar Tage dazubleiben. Das Haus sei leer, sagte sie, sie hätte kaum Gäste. Mir schien eher, sie brauchte Gesellschaft für sich und für die junge Frau in der Küche, die abends an der Bar bediente und die wenigen Gäste mit ihrem freundlichen, aber belanglosen Geschwätz unterhielt. Um ihrer Einladung mehr Gewicht zu verleihen, versprach die Wirtin, zwei der Hühner, die im Hinterhof gemeinsam mit den schwarz-weiß gefleckten Schweinen in der regendurchtränkten Erde scharrten, zum Fest zu schlachten. Sie plante, daraus etwas Feines zu kochen, wie sie sagte, »einen Braten auf offenem Feuer, mit Kräutern und anderen Speisen, die im Bananenblatt gegart werden«, trockenes Holz liege schon bereit.

Was kann man während der Regenzeit im Regenwald schon Besseres erwarten als nasse Kleider, Schuhe, die sich verschimmelnd auflösen, klammes Papier, Unterlagen, die von der Feuchtigkeit aufweichen, jeden Tag weicher werden und nach ein paar Tagen gar nicht mehr lesbar sind, und ein Laptop, dessen Kontakte trotz Pflege korrodieren und das System regelmäßig abstürzen lassen? Der dauernde Regen vertrieb das Ungeziefer aus dem trockenen Zwischenraum unter den Holzdielen, sodass allerlei Käfer und vereinzelt ein giftiger Tausendfüßler durch die Ritzen im Boden ans Tageslicht krochen.

Ich wollte weg. Weg aus der Hotelhütte, weg von der Wirtin, weg von der lächerlichen Ausstaffierung mit Girlanden und Blinklämpchen, die trotz meiner bemühten Nichtbeachtung doch immer wieder alte Bilder in meine Erinnerungen zurückbrachte. Ich war schon lange hier, zu lange. Wenigstens dieses Jahr wollte ich, wenn schon nicht daheim, zumindest an Weihnachten mit meinen Gedanken allein sein.

Im Laufe der Wochen und Monate, die ich schon in diesem Nest zubringen musste, hatte ich die beiden anderen Dauergäste im Haus getroffen, war es aber leid, mit ihnen eine Unterhaltung anzufangen und sie näher kennenzulernen. Da war ein Asiate, der den Dörflern erstaunlich ähnlichsah. Er kam aus Japan oder Korea – es war mir wirklich egal, woher. Er trug immer einen Packen mit Dokumenten in einer Mappe mit sich herum und fotografierte alles und jedes mit seinem mobilen Telefon. Manchmal schien er für Tage in den Wald zu verschwinden, mitunter allein, des Öfteren aber mit einem einheimischen Begleiter, der ihm das Gepäck schleppte. Ein anderer Gast im Haus war ein schweigsamer, arroganter Amerikaner, der sich jeden Abend besoff. Egal, auch er war keine Gesellschaft für mich. Er hatte eine Pistole. Ich sah das, als sie ihm – er war wieder voll – an der Bar aus der Tasche fiel. Gehörte er zur Polizei, oder war er einer der Regierungsspitzel, die überall herumschnüffelten? War er einer von denen, die Berichte in die Hauptstadt schickten und unbezahlte Rechnungen hinterließen, wenn sie weiterreisten? Oder war er die Vorhut für die Industrie, für eine der unantastbaren internationalen Firmen, die ein neues Projekt im Wald planten? Nein, dafür war er zu geizig und nicht weltgewandt genug.

Ich wollte weg von hier und lieber allein sein, als noch eine Woche oder noch einen ganzen Monat in diesem Nest zuzubringen. Weg aus dieser Holzhütte mit dem Wellblechdach, in der die junge Frau von der Bar einen Schlüssel zu meiner Kammer hatte, um mein Bett zu richten. Sie räumte die Wäsche ein, blätterte in meinen Notizbüchern und spielte an meiner Kamera herum. Sie drückte sich immer länger als notwendig in meinem Zimmer herum.

»Ist noch was?«

»Nein, danke, dann bitte, lass’ mich jetzt allein!«

Es fiel mir oft schwer, sie wegzuschicken, denn sie wirkte zu kindlich und zu vertrauensselig, um sie wie ein Huhn zur Tür hinauszujagen.

Wenn ich länger schlief, setzte sie sich zu mir an den Rand meines Bettes und plapperte von allem, was ihr in den Sinn kam. Von dem Dorf, aus dem sie stammte, warum sie ihren Eltern weggelaufen und wie sie mit dem Dampfer flussauf gefahren war. Wie sie eine Schamanin in diesem Urwalddorf gefunden hatte, die ihre erste Abtreibung vornahm; auf den Tag genau an Weihnachten vor vier Jahren. Wie sie zu dem Job in der Bar gekommen war; eine leichte Arbeit, wie sie sagte, und in jeder Weise besser, als an der Küste stinkenden Trockenfisch auf Schnüre aufzufädeln und, wenn Regen kam, schnell unter ein Dach zu tragen.

Uns alle im Hotel, uns Reisende, verband, dass wir – aus verschiedenen Gründen – fast täglich etwas auf der Post zu verrichten hatten. Die sogenannte Post war auch nur eine andere Bretterbude, deren einzige Besonderheit darin bestand, dass im Hof dahinter, zwischen den Bananenstauden, eine Satellitenschüssel zum Himmel aufblickte, zu irgendeinem Satelliten, der uns vormittags mit dem Rest der Welt verband. Das gelang aber nur dann, wenn Kerosin für den laut klappernden Generator da war. Der Brennstoff kam in Kanistern vom Fluss. Der »Postmeister« sparte an Kerosin, und der Generator lief daher nur ein paar Stunden am Tag, immer vormittags.

Wir alle aus dem Hotel brauchten den Satellitenanschluss, versuchten aber dabei, uns nicht zu begegnen. Es gab in der Posthütte nur zwei Steckplätze für Computer, und es war sinnvoll, so früh wie möglich dort zu erscheinen, um nicht auf dem Heimweg vom Regen, der immer mittags und nachmittags losbrach, durchgeweicht zu werden.

Ich wollte weg und hatte daher meinem Boss und dem Agenten unserer Firma in der Provinzhauptstadt per Satellit Bescheid gegeben, dass ich über die Feiertage nicht käme und eine Weile nicht erreichbar sein würde. Er brauche sich nicht um mich zu sorgen.

Wochen später, wie befürchtet: Es hatte nicht aufgehört zu regnen, mehr als in anderen Jahren, und das Wasser im Fluss war weiter gestiegen.

Es war somit unmöglich geworden, das Dorf zu verlassen, nicht durch den Wald und schon gar nicht über den Fluss, der mit Booten nicht mehr befahrbar war. Der Bootssteg, der auf Plastiktonnen schwamm, drohte jeden Moment von den Halteseilen abzureißen und mit der vehementen Strömung flussab zu treiben. Die zusammengelaufenen Dorfkinder warteten auf dieses Spektakel.

Ich musste einsehen: Weihnachten im Sperrholzhotel war nicht mehr zu vermeiden. Die Wirtin würde sich freuen.

Der Regen hatte seit drei Tagen nicht einmal für eine Stunde aufgehört. Ich versuchte, mich abends allein mit Arbeit am Laptop abzulenken, schrieb seitenlange Mails und Briefe, blieb bis spätabends wach, las oder sah den Bäumen in dem Licht vor meinem Fenster zu, wie sie sich im Regen wiegten. Das Wellblechdach in meiner Kammer tropfte an zwei Stellen, und es war ratsam, die Eimer, die das Wasser auffingen, mindestens einmal am Tag auszuleeren.

Bei dem Lärm des prasselnden Regens auf dem Blechdach überhörte ich das Klopfen an der Tür. Das Mädel von der Bar steckte ihren Kopf herein: Ich möge mich doch bitte unbedingt umziehen und jetzt runterkommen, das Weihnachtsabendessen sei fertig. Die Wirtin erbäte meine Gesellschaft. Die anderen Hausgäste säßen schon zu Tisch.

Da ich keinen guten Grund erfinden konnte, die Einladung abzulehnen, suchte ich das sauberste getragene Hemd aus dem Schrank heraus und machte mich über die knarzende Holztreppe auf den Weg nach unten in die Bar, die jetzt, mit einem großen Tisch in der Mitte, den Speisesaal bildete.

Die Wirtin und Gastgeberin saß am Kopf des Tisches. Der Japaner und der Mann mit der Pistole waren schon früher gekommen, hatten sich bereits die Servietten auf den Schoß gelegt und warteten. Das Brathuhn, mit Hackfleisch und Früchten gefüllt, duftete köstlich; die Beilage: gebratene Süßkartoffeln und gedämpfte Bananenherzen mit Curry. Gekühltes Bier aus Dosen wurde in die Gläser gefüllt, Kerzen flackerten auf dem Tisch.

Neben den Hotelgästen saßen drei andere Herren zu Tisch, vermutlich wichtige Männer im Dorf oder von der Verwaltung flussab. Oder womöglich von der Ausländerbehörde. Einen davon kannte ich. Es war der Wachposten vom Bootssteg, der sich immer groß aufspielte, die Waren zählte, Boote aufschrieb und für alles und jedes Geld verlangte. Ich erfuhr, dass einer der drei Einheimischen den gleichen Vornamen wie ich trug: Kaspar. Die anderen Namen waren zu lang für mich, um sie zu behalten. Die Stimmung war steif und schweigsam.

»Lasst uns ein Gebet sprechen, bevor wir anfangen«, sagte die Wirtin, um von der gespannten Stille abzulenken. Sie hatte sich sichtbar Mühe gegeben, an diesem Tag besonders gepflegt auszusehen, trug ein dunkles Kleid mit einem großformatigen Blumenmuster und hatte – was ich an ihr bisher nie gesehen hatte – etwas Rouge auf die Wangen gelegt und die Andeutung einer Frisur –