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1776 veröffentlichte er den Roman "Siegwart, eine Klostergeschichte", die größte Sensation nach dem Werther und ein Bestseller. Siegwart ist nicht nur eine Haupturkunde der empfindsamen Periode und des Wertherfiebers sondern auch eine beobachtungsreiche Fundgrube für das damalige süddeutsche Leben.
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Seitenzahl: 1006
Veröffentlichungsjahr: 2012
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Siegwart
Eine Klostergeschichte
Johann Martin Miller
Inhalt:
Johann Martin Miller – Biografie und Bibliografie
Siegwart
Erster Theil.
Zweyter Theil.
Siegwart, J. M. Miller
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849631819
www.jazzybee-verlag.de
Allen edeln Seelen widm' ich dieses Buch, die beym Lesen etwas mehr, als blos Befriedigung der Neugierde, und Beschäftigung der Einbildungskraft suchen. Fast jeder Schriftsteller, und der Dichter besonders – dessen Beruf ich für einen der erhabensten halte – sollte hauptsächlich auf das Herz seiner Leser Rücksicht nehmen. Dadurch bahnt er sich am leichtesten den Weg zum Unterricht und zur Belehrung. Wer Empfindungen erhöht und bessert, der erreicht gewiß einen eben so erhabnen Zweck, als der, welcher blos für den Verstand sorgt. Der letztere Schriftsteller kann auch nicht so ausgebreitet wirken. Er hat immer nur eine kleinere Anzahl von Lesern, weil er Menschen voraussetzt, die schon in den Wissenschaften geübt sind.
Jeder Roman – ein Wort, das, leider! vielleicht durch schlechte Muster verächtlich worden ist – sollte, meinem Ideal nach, zugleich unterrichten. Der Romanschreiber hat sich Leser von verschiednen Ständen, von verschiednem Geschlecht, von verschiedner Denkungsart u.s.w. zu versprechen, daher sollte er, soviel als möglich, Allen alles werden. Daher muß sein Unterricht mannigfaltig, und an keine gewisse Form gebunden seyn.
Jeder Schriftsteller wünscht nach dem Zweck seiner Arbeit beurtheilt zu werden. Ich habe dieses, wegen gewisser Stellen meines Buches, besonders zu wünschen, bey denen man, wenn man billig urtheilen will, am ersten das bedenken muß: für welche Menschen, und für welche Gegenden von Deutschland ich zunächst geschrieben habe. Dann werden viele Einwürfe wegen schon bekannter, oft gesagter Sachen, oder wegen anscheinender Weitschweifigkeiten wegfallen.
Siegwart, ein edelgesinnter Jüngling, war auf einem Oettingischen Dorf in Schwaben, an der Donau gebohren. Sein Vater, ein Mann von ächt deutsch-schwäbischem Charakter, war seit vier und zwanzig Jahren Amtmann auf dem Dorfe. Von seiner, ihm zu früh verstorbnen Frau hatte er zwo Töchter, und drey Söhne, wovon unser Siegwart der jüngste war; ein geselliger Knabe, der sich nie mehr fühlte, als wenn er andre Kinder lustig sah, ihnen Freude machen, und tausend kleine Gefälligkeiten erweisen konnte. Wenn der Winter ihn ins Zimmer einschloß, so war ihm nirgends wohl, die Gesellschaft seiner ältern Brüder, und zwoer muntrer Schwestern war ihm nicht groß genung; er rief alle Baurenkinder, die sein Haus vorbeygiengen, zu sich, und tummelte sich mit ihnen auf dem Saal herum. Dann schlich er sich wieder in den Stall, besah die Pferde, ritt sie an die Tränke, warf sich mit Schneeballen, oder fuhr auf seinem kleinen Schlitten den steilsten Berg herab, und thats an Kühnheit, oft auch an Verwegenheit, den kühnsten Baurenknaben zuvor.
Sobald die Frühlingssonne schien, konnt' ihn gar nichts mehr zu Hause halten. Er trieb den Kreisel, warf den Ball, stellte mit den Baurenjungen Jagden an, theilte immer die Rollen aus, machte den einen zum Jäger und den andern zum Hirsch, und umzingelte den ganzen Wald mit jungen Jägern, wie ers bey der fürstlichen Jagd gesehen hatte. Dann spielte er wieder den Soldaten, warb alle Jungen des Dorfs an, und bestellte sie am Sonntag auf das Feld hinaus. Da gab er ihnen hölzerne, selbst geschnitzte Flinten; hölzerne Säbel; drey Kindertrommeln, die ihm und seinen Brüdern gehörten; papierne Fahnen, und ein altes Jägerhorn. Jeder Knabe mußte zugleich eine Schlehenbüchse, und zwanzig Kugeln dazu haben. Damals wüthete der Krieg der Oesterreicher mit den Preußen. Obgleich sein Fürst auf der österreichischen Seite war, so hielt ers doch mit den Preußen, weil er in den Zeitungen gelesen hatte, daß diese immer mehr den Sieg davon trügen. Er theilte sein Heer in zwey Theile, und wählte immer die stärksten Knaben für die Preußen aus, deren Anführer er beständig war, und an deren Spitze er die Oesterreicher mehrentheils zurückschlug. Er machte selbst ein Kriegslied, das seine Krieger, nach ihrer Weise, absangen. Beym Nachsetzen musten die Knaben mit den Schlehenbüchsen schiessen; wer getroffen war, muste fallen, und am Ende der Schlacht wurden die Todten gezält; da denn immer die Preußen die wenigsten hatten.
Wenns wärmer wurde, badete er sich in der Donau, und schwamm unter allen Jungen am besten. Ein paarmal war er in Lebensgefahr, und wurde von den Fischern gerettet; dieß hielt ihn aber nicht ab, gleich den andern Tag sich wieder zu baden. Halbe Tage brachte er im Walde zu, wo er Vogelnester aufsuchte. Er hielt ein ordentliches Verzeichnis davon, und fand alle Tage neue. Kein Baum, auf dem er ein Nest sah, war für ihn zu hoch; er klomm wie ein Eichhörnchen hinauf und wagte sich auf die dünnsten Aeste. Demohngeachtet war er nicht grausam gegen die Vögel. Er nahm nie ein Nest ganz aus, sondern nahm nur den schönsten Vogel, den er zu Hause ätzte, und groß zog; die andern ließ er ihren Eltern. Besonders holte er die jungen Staaren und Wiedehopfen aus den hohlen Bäumen, weil er gehört hatte, daß man diese sprechen lehren könne, und gab sich mit deren Unterricht, wiewol vergeblich, viele Mühe.
Aus dieser Anlage des jungen Siegwart schloß sein Vater, der kein unvernünftiger Mann war, daß sein Sohn wol am besten zum Jäger oder Soldaten taugen möchte. Er hatte auch schon bey sich den Plan gemacht, ihn in seinem 15ten Jahr (Siegwart war jetzt dreyzehn) zu seinem Bruder, einem Forstmeister in der Gegend, zu thun, und ihn die Jägerey erlernen zu lassen; daher drang er auch nicht sehr in ihn, das Lateinische, und gelehrte Wissenschaften zu lernen. Er suchte nur seine Anlage zum rechtschaffnen deutschen Mann zu entwickeln, und durch gute moralische Grundsätze, die aus der Religion hergeleitet waren, mehr zu befestigen; denn, obgleich der alte Siegwart ein Katholik war, so hatte er sich doch die Erlaubnis erkauft, in der Bibel lesen zu dürfen, deren Geschichten und Lehrsätze er seinen Kindern frühzeitig einzuprägen suchte. Und dieß legte wirklich den Grund zu der frühen Rechtschaffenheit des jungen Siegwart, die sich nachher so oft in seinem Leben äusserte, ihn bey allen seinen Widerwärtigkeiten unterstützte, und zulezt so ruhig ans Grab wandeln lehrte.
Siegwart wuste den Plan seines Vaters wohl, und freute sich darüber; Er war in seinem Sinne schon ein Jäger, und legte oft, wenn der Vater ausgeritten war, seinen Hirschfänger an, hieng die Flinte um, und spazierte so, mit schwerem Tritt, das Zimmer auf und ab; oder schlich sich wol, wenn der Vater nicht sobald zurückkommen konnte, in den Wald, und schoß einmal zu seinem innigen Vergnügen einen Hasen, den er aber, weil er ihn nicht mit nach Hause bringen durfte, einem armen Mann schenkte.
Allein ein Zufall vernichtete auf einmal seine Hofnungen, und änderte den ganzen Plan seines Vaters um.
Obwol Siegwart für das männliche und charakteristische des Deutschen geschaffen war, so liebte er doch auch das Sanfte, und die schöne stille Natur. Beydes! ist sehr oft beysammen, und bildet einen liebenswürdigen, für die Welt sehr brauchbaren Charakter; er ist mehrentheils ein Eigenthum des Dichters; und zu diesem hatte Siegwart alle Anlage, die, bey glücklicheren äusserlichen Umständen noch mehr emporgeflammt seyn, und die Herzen seiner Mitbürger noch mehr erwärmt haben würde.
Oft schlich er sich im Frühling, mitten im Spiel, von seinen Kameraden weg, sammelte Blumen, und band sie in einen Strauß zusammen; beobachtete alle Auftritte und Veränderungen der Natur; gab auf jedes Würinchen acht; sah der Biene zu, wie sie in die Blumenkelche schlüpfte, und Honig oder Wachs an ihren Beinchen heraustrug; er horchte jedem Vogel, am meisten aber der Lerche, der Grasemücke und der Nachtigall: die letzte gefiel ihm am besten, ob er wol ihren Namen noch nicht gehört hatte. Oft lag er an der Quelle, die durch Tropfstein und Moos, und niederhängendes Gras am Berg herabmurmelte; da fühlte er ein ungewohntes Sehnen und eine nie empfundne Wehmuth in der Seele; mit glänzendem Auge gieng er weg, drückte jedem Baurenjungen, der ihm begegnete, die Hand stärker, und gab ihm von seinem Abendbrod. Oft gieng er an das Grab seiner Mutter, wo er Rosen und Jesmin und Todtennelken gepflanzt hatte, und weinte da. Kein Geräusch weckte ihn so leicht aus dem Schlaf; aber wenn vor Sonnen Aufgang an seinem Kammerfenster, das in den Garten gieng, die Nachtigall auf einem Apfelbaume sang, da wachte er schnell auf, ward munter, sprang aus dem Bette, hörte ihr unbeweglich zu, und sah mit Entzücken die Sonne hinter den Bäumen aufgehn. Noch lieber hörte er die Nachtigall des Abends, wem die Blumen und die Apfelblüthen süsser dufteten, und alles stille war, und der Mond herabsah. Da hatte er Gefühle, die beym Jüngling, der ihm gleich ist, zu Liedern werden. Da dachte er oft an seinen Bruder, der vor 4 Jahren in seinem 6ten Jahr gestorben war, und machte einst ein Lied auf ihn; da vergaß er oft sich und die ganze Welt; da rief man ihn oft zum Abendessen, und er hörte nichts, bis ihn sein Bruder oder Vater fand, und zu Tische holte, wo er wehmüthig saß, und nichts sprach. Nach dem Abendessen lag er wieder unter seinem Kammerfenster, hörte bis 11 Uhr oder 12 Uhr der Nachtigall zu; wünschte nichts, als wie sie singen zu können, und träumte sich im Schlaf in paradiesische Gegenden zu seinem Bruder.
Einen Abend nahm ihn sein Vater zu einem Spaziergange nach einem Kapuzinerkloster mit, wo dieser einen alten guten Freund hatte. Der Abend war einer der schönsten. Sie kamen aus einem kühlen Wald' heraus, wo die Grasemücken, Amseln, und Nachtigallen in Gesängen wetteiferten, und die Holztauben drein gurrten. Das Dunkel des Waldes, und der melancholische Gesang der Amsel hatten die Seele des jungen Siegwart zum Wehmütigen und Feyerlichen gestimmt, worein ihn das ernsthafte Gespräch seines Vaters über die Schönheit der Natur und die Liebe des Schöpfers noch mehr versenkte. Ihr Gespräch kam auf das Kloster. Du wirst, mein Sohn, viel ehrwürdige Leute drinnen antreffen; gute ehrliche Männer, die die Thorheiten und Betrügereyen der Welt kennen lernten, und sich bey Zeiten von ihr los machten, um im Frieden Gott zu dienen, ihr Herz zu bessern, und sich für die Ewigkeit vorzubereiten. So ist mein Freund, der alte Pater Anton, der deine ganze Hochachtung verdient; aber nicht alle Paters denken so; andre werden dir weniger gefallen. Ich sage dir dieses nur, damit du dich nicht daran stössest, und nicht lauter Engel drinnen suchst. – Es ist eine eigne Sache um das Mönchsleben. Eigentlich sollten nur Leute da seyn, die den Menschen sonst nicht mehr dienen können. Doch, das geht uns nichts an! – Sieh, dort liegt das Kloster schon; bey den Tannenbäumen dort! –
Sie waren nun, ausserhalb dem Wald' auf eine Anhöhe gekommen, an deren Fuß das Kloster gebaut war. Rechterhand an einem Eichenwalde gieng die Sonne ganz golden unter. Sie spielte noch auf den umgebognen Spitzen der Saat, die vor ihnen, wie ein sanfter Strom dahin schwamm. Drüber hin waren Gespinnste von Spinneweben wie ein Teppich ausgebreitet, die im Stral der Sonne alle Regenbogenfarben trugen. Hoch in der Luft sangen noch die Lerchen, deren Flügel, wenn sie sich ein Bischen wendeten, wie Gold glänzten. Ein Arm der Donau, der ganz still zwischen Weiden hin floß, faßte das Bild des rothen Abendhimmels auf, und man konnte die ganze rotdämmernde Gegend drinnen sehen. Zur linken Seite ward der Himmel schon dunkler; unten am Tannenwalde war er grau, und oben gelbroth. Vor ihnen lag das Kloster in ruhiger Stille. Die, mit weissem Blech belegten Dachkuppeln glänzten noch ein wenig; hinter dem Gebäude erhuben sich zwanzig oder dreißig hohe schwarzgrüne Tannen; alles war jezt still, da die feyerliche harmonische Bethglocke erklang, und die ganze Gegend um den jungen Siegwart her zu einem Tempel machte. Seine Seele war jezt weich wie Wachs; unwillkührliche Thränen, die das Mittel zwischen Wehmuth und Freude hielten, glänzten ihm im Auge. Er sprach nichts; mit halbfrohem und halbbangem Zittern kam er dem Kloster immer näher, und nun waren sie am Thor. Ein alter ehrwürdiger Kapuziner in schneeweissen Haaren empfieng sie mit der Freundlichkeit eines Engels, und führte sie, weil er den alten Siegwart kannte, in den Speisesaal. Hier saßen dreißig Väter, mehrentheils ehrwürdige Greise mit einer Glatze, und langen silberfarbnen Bärten. Sie standen alle auf, bewillkommten mit einem stillen heitern Lächeln den alten Siegwart, und umarmten ihn, einer nach dem andern, mit brüderlicher Liebe; Sie gaben auch dem jungen Siegwart die Hand, dem das Herz laut schlug. Die beyden Ankömmlinge musten sich mit zu Tische setzen, und das kleine mäßige Mahl mit geniessen. Stille heitre Zufriedenheit saß auf allen Stirnen; jeder begegnete dem andern mit Freundlichkeit und Liebe. Der junge Siegwart sah einen nach dem andern an, und verlohr sich in dem Gedanken von dem Glücke dieser Väter; er fieng jeden an zu lieben, und freute sich, wenn er bald von diesem, bald von jenem angelächelt, oder angeredet wurde. Besonders nahm der ehrwürdige Vater Anton, neben dem er saß, seine ganze Seele ein, denn er sah wie ein Apostel aus, und begegnete seinem Vater mit der treuherzigsten Liebe.
Wie lange sind Sie nun, sagte dieser zu dem eisgrauen Pater Gregor, der die zwote Stelle an der Tafel einnahm, hier im Kloster? Vier u. fünfzig Jahre sinds, Gottlob! antwortete Gregor, daß ich von der Welt mich abgesondert habe, und hier im Kloster meinem Gott diene, und dem Tod entgegen sehe. In meinem zwanzigsten Jahre that ich Profeß, und seitdem weiß ich von der bösen Welt nichts mehr. Ich bin niemals krank gewesen, aber nun fühl ichs, daß mein ende nahe ist. Es sind mir so viele vorgegangen, von denen ich geglaubt habe, daß sie mich begraben würden: endlich muß die Reihe doch auch an mich kommen. Die nächste Leiche wird wol mir gelten, meine Brüder! und hier sah er alle, heiterlächelnd, an. Das wolle Gott nicht, sprachen die Paters einmüthig; nein, das wolle Gott nicht, daß wir dich so bald verlieren! Der alte Mann sah mit einem Blick gen Himmel, und wischte sich die Augen. Nun ward ein lange Stille, welche keiner unterbrechen wollte, bis der Guardian vom Tische aufstand, dem die andern alle nachfolgten. Anton und noch ein andrer Pater baten den alten Siegwart, die Nacht im Kloster zu schlafen, weil der Mond, den er abwarten wollte, doch erst um halb 10 Uhr aufgienge. Wir haben zwar im Kloster keine weiche Betten, sagte er, aber unser Verwalter draussen soll Sie gut beherbergen. Wir müssen wieder einmal einen Abend mit einander gemessen, wer weiß, wie lange uns dieß auf der Welt vergönnt ist? Der alte Siegwart wars zufrieden.
Nach dem Abendgebeth gieng man in den Garten, wo die Levkoje und die Nachtviole mit der Apfelblüthe süsser düftete. Viele Gänge zwischen hohen Hecken durchkreuzten sich. In der Mitte des Gartens plätscherte das Wasser des Springbrunnens lieblich. Von hier konnte man alle Gänge übersehen, in die sich die Väter, je Paar und Paar, vertheilt hatten. Die sich gleich geschaffen waren, schlossen ihre Herzen vor einander auf, entdeckten sich ihre Gedanken, sahen zum gestirnten Himmel, sprachen vom Grabe, von der Trennung, vom Wiedersehen, und der Ewigkeit. Andere, die die Freundschaft in der Jugend schon vereinigt hatte, sprachen von den Tagen ihrer Kindheit, von ihren Freuden oder Leiden, von den Freunden, welche sie verlassen hatten, ob sie wol noch lebten, oder sie im Himmel schon erwarteten?
Sie theilten sich ihre Besorgnisse wegen andrer mit, von denen sie wusten, daß sie ehedem der Welt und ihren Leidenschaften zu sehr nachgehangen, und nicht rechtschaffen gedacht und gehandelt hätten; und nun beteten sie gemeinschaftlich mit Worten, oder auch mit Blicken für ihr Wohl ihre Besserung.
In andern Gängen schlichen weniger edelgesinnte Männer, die der Neid gegen andre, oder das Misvergnügen über ihre Vorgesetzten vereinigt hatte, und die sich mit den Fehlern oder Schwachheiten ihrer Mitbrüder beschäftigten, und boshafte Kränkungen für sie aussannen – Weg von diesen Unedeln, deren es leider in dem Kloster, das ein Sitz. der Unschuld seyn sollte, nur zu viele gibt!
Aber last uns die bedauren, die einsam, ohne Gefährten in den dunkelsten und engsten Gängen wandelten, um ihre Seufzer dem Ohr ihrer Brüder zu entziehen; die zu lebhaften Seelen, die, aus Ueberdruß der Welt, in der nur Unglück sie verfolgte, sich in einer Stunde des Unwillens und der aufgebrachten Leidenschaft entschlossen, ihr auf ewig zu entsagen, und ein Gelübde zu beschwören, welches sie nachher so oft bereut hatten. Sie glaubten, dem Elend zu entgehen, und fanden neues grössres Elend. Wie mancher beweinte jetzt noch die Stunde des Taumels und der Trunkenheit der Seele, worein ihn der Pomp eines Klosters, die feyerliche und himmlische Musik der Väter, die Ruhe und die Heiterkeit, die auf ihren Angesichtern zu wohnen schien, versetzt, und die den Entschluß, den fälsche, oder einfältige Freunde noch bestärkten, hervorgebracht hatte, nach der gemeinen Redensart, die Welt zu verlassen. Nun wüthete die Melancholie in ihrer Seele, die jene Väter in der Gegenwart von Fremden immer hinter der Mine der Heiterkeit und Ruhe zu verbergen wusten. Sie kannten nun kein ander Glück mehr als den Tod, um den sie mit stummen Thränen, und mit unterdrückten Seufzern zu Gott beteten.
In einem solchen Taumel, der sie ehedem ins Kloster getrieben hatte, schwamm jetzt unser junger Siegwart, der den langen Gang hinab mit seinem Vater und dem guten Pater Anton, dem kleinen dunkeln Tannenwäldchen zugieng, das den Klostergarten begränzte. Die beyden Freunde giengen Hand in Hand, und vertieften sich in vertrauliche Gespräche, wozu sie die schweigende Frühlingsnacht einlud. Lauschend gieng der junge Siegwart neben her. Sie kamen nun ans Tannenwäldchen, dessen Wipfel in der Abendluft sanft säuselten; hinten, wo der Wald am dunkelsten war, setzten sie sich in die kühle Grotte, neben der ein kleiner Bach vorbeyrieselte.
Hier sitz ich nun, sagte Pater Anton, seit vierzig Jahren jeden schönen Frühlings- oder Sommerabend, und überdenke da mein Tagwerk und die Führungen des Himmels. Oft, mein guter Siegwart, denk ich auch an dich, und die Tage, die wir in der Welt zusammen lebten. Ach, wie ist mein Herz seitdem so ruhig geworden! Du weist, Lieber, was ich ausgestanden habe; wie das Unglück über mich her stürmte; wie die Menschen mich verfolgten; und wie viel ich mit mir selbst und meinen Leidenschaften zu kämpfen hatte! – Hier sprach er leiser, und mit mehr gebrochner Stimme. – Man hat lang zu streiten, bis man sich von allen Schlacken losreist, zumal wenn das Herz den Eindrücken der Sinnlichkeit offen, und heftig ist. Ich glaube, daß man fast nur in der Einsamkeit dazu gelangen, seine Seele reinigen, vom Irrdischen abziehen, und in Gottes Liebe versenken kann; und da ist die Klosterregel gewiß das beste Mittel dazu. Ich sage nicht, daß alle Menschen das Gelübde ablegen sollen, aber wer es thun und halten kann, der thut wol, und sorgt für seine Ruhe.
Aber, fiel der alte Siegwart ein, auch für das Glück der Welt, für seine Brüder? denn das sind doch alle Menschen. Vergib mir diesen Einwurf, ich weiß wol, daß man ihn bey uns nicht laut machen darf, aber bey Dir darf ichs wol.
Du hast Recht, sagte Anton, ich hab oft drüber nachgedacht, und anfangs konnt ich mich nicht sogleich beruhigen; aber, ich denke, wenn man so lebt wie ich, und es so gut meynt, dann thut man seiner Pflicht genug. Sieh' ich will dir meinen jetzigen Lebenslauf erzählen. Ein Tag ist wie der andre. Des Morgens steh ich früh auf, im Sommer mit der Sonne, und im Winter um 6 Uhr; dann halt ich meine eigne Morgenandacht, lese mein Brevier, oder geh im Garten spatzieren; dann studir ich etwas, lese in der Vulgata, im heiligen Chrysostomus, oder sonst in einem guten und erbaulichen Buche, deren unsre Bibliothek genug hat. Dann sing ich meine Horas, oder lese eine Messe. Wenn ich meditiren muß, so denk ich nach, wie ich erbaulich predigen will, wenn ich zu den Bauren komme. Beym Mittagsmal esse ich wenig; nach dem Essen geh ich in den Garten, und pflanze verschiedenes, oder lerne allerley Vortheile vom Gärtner, die ich dann den Bauren in den Dörfern herum wieder sage. Dann les' ich wieder etwas; nach der Vesper geh ich zu einem oder dem andern Bruder auf die Zelle, wo wir bis ans Abendessen von ernsthaften Dingen sprechen; und nach diesem geh ich immer, wenn das Wetter schön ist, im Garten spatzieren, oder auf den Gottesacker zu dem Grabe meines lieben Bruder Josephs, oder ich sitze hier in der Grotte, und denke so über mich selbst nach, und was ich den Tag über gethan habe.
Trift dich oft das Auswandern, sagte Siegwart, wenn ihr aufs Almosenholen oder Predigen und Meßlesen ausgeht? – Alle vierzehn Tage einmal, antwortete Anton, und da freu' ich mich immer recht darauf. Ob ich gleich den Bauren nicht vorschreibe, was sie geben sollen, oder ihnen viel abzuschwatzen suche, weil es mir weh thut, wenn die Leute, die oft weniger, als wir, haben, sich vom Nöthigen entblößen sollen, so bring ich doch immer so viel oder mehr ins Kloster, als die andern Brüder; denn die Leute sagen, daß ich ihnen das alles wieder tausendfältig einbringe, weil ich sie, wie schon gesagt, Garten- und Ackerkünste lehre, ihre Kinder unterrichte, wenns im Gespräch auf was Geistliches kommt, und in der Kirche allemal nach der Messe erbaulich und verständlich predige. Da haben mich die Leute so lieb, und drücken mir die Hand, und wünschen mir soviel Gutes, daß ich vor Freuden schon im Himmel zu seyn glaube. – Hier rollten dem guten Alten die Thränen in den langen Bart, und er sprach viel lauter und geschwinder; auch dem alten und dem jungen Siegwart stunden Thränen in den Augen –
Ja, lieber Siegwart, fuhr der Greis fort, du möchtest es für Pralerey halten, wenn ich so von mir selber spreche, aber Gott weiß, das ist es nicht; ich freue mich nur so drüber, wenn ich etwas Gutes thue, und da muß ich zuweilen meine Freude ausbrechen lassen. Ach, ich habe noch Schwachheiten genug an mir, die mir diese Freude wieder ganze Wochen lang verbittern; und es giengen lange Jahre hin, eh ichs den Bauren so gut zu machen wuste.
Ich weiß, Vater Anton, ich weiß, sagte Siegwart, daß es keine Pralerey ist; das war nie dein Fehler. Du hast den Ruhm in der ganzen Gegend, daß man dich am liebsten sieht; und die Bauren in meinem Dorfe lieben dich wie ihren Vater. Ja, wenn alle, so wie du, wären! – Xaver, (so hieß der junge Siegwart) wie sagte doch neulich unsre Nachbarinn vom Pater Anton? du hast mirs ja heute noch auf dem Herweg erzählt. – Der junge Siegwart wurde roth, und stotterte: der Pater Anton, fieng er an, und hielt wieder inne; der Pater Anton sey ein lebendiger Heiliger, sagte sie, den man jetzt schon anrufen sollte, und man müst ihn zum Pabst machen, wenns auf sie ankäme. Es sey alles noch so gut, was Er auf der Kanzel sage, weil mans so verstehen könne.
Hier drückte Anton dem Jünglinge die Hand; das ist zu viel Lob, sagte er, die Leute übertreibens. Ich thue nur, was ein jeder thun sollte. –
Inzwischen kamen ein paar Kapuziner bey der Grotte vorbey, und grüsten den Pater Anton, den sie an der Stimme kannten, freundlich.
Das sind ein paar heilige und rechtschaffne Leute, sagte er, indem sie weggiengen, die mir den Verlust meines lieben P. Joseph noch in etwas ersetzen. Du wustest wol noch nichts von seinem Tode, lieber Siegwart? Du besuchst uns auch gar zu selten. Er sagte mir noch den Tag vor seinem Tode, daß ich dich vielmals grüssen sollte; in der Ewigkeit seh er dich einst wieder. Nun ists bald ein Vierteliahr; am Charfreytagabend starb er. Ach, du hättest ihn sehen sollen, wie er starb; mit welcher Ruhe, mit welcher Heiterkeit! Aber so ein Leben war auch eines solchen Todes werth. Ich habe viele Leute gekannt, seit ich hier im Kloster bin, aber einen Mann, der so rein und unschuldig lebte, und so viel Gutes stiftete, wie er, hab ich nie gesehen! Jedermann hielt ihn für seinen Vater, und ward in seiner Gegenwart frömmer. Du hast ihn selbst gekannt, Siegwart; und ich würd' auch gar zu wehmüthig, wenn ich viel von ihm erzählen wollte. Hier an meiner Seite saß er so oft, goß seine ganze Seele vor mir aus, und sprach mit einer Freudigkeit vom Himmel, als ob er schon einmal da gewesen wäre. Oft, wenn ich so allein in der Dämmerung hier sitze, dann kommt mirs vor, als ob ich ihn hörte, und dann fahr ich auf, und wag' es kaum, wieder wegzugehen. Grosser Gott, und er muste mir entrissen werden! Doch ich werd ihm bald nachfolgen.
Wenn dirs recht ist, Siegwart, so gehen wir zu seinem Grabe; der Kirchhof liegt an der Seite dort.
Sie stunden auf, und giengen schweigend, beym Gesang der Nachtigall, aus Grab. – Hier ists, sagte Anton, ich hab ihm einen Rosenstrauch drauf gepflanzt; übers Jahr soll er Rosen tragen. Hier nebenan werd ich einst liegen.
Ja, lieber Freund, so müssen wir sterben, wenn wir glücklich sterben wollen; aber auch so leben! – Er kam erst auf den rechten Weg, als er ins Kloster gieng. Vorher hat er wenig an Gott gedacht. Er sagte hundertmal: dem Kloster hab ich alles zu verdanken. Ich denk immer, Siegwart, du schenktest Gott auch einen Sohn. Wie wärs, wenn dein Xaver zu uns gienge? Nicht wahr, lieber Xaver, Er gienge wol gern ins Kloster, und sagte der Welt ab, um hier in Fried und Ruhe Gott zu dienen?
Der junge Siegwart, dessen Seele voll von den Bildern dieses Abends, und der reizenden Beschreibung war, die Anton von dem Klosterleben gemacht hatte, wuste nicht, wie ihm zu Muthe war; sein Herz schlug, und er sagte willig. Ja, weil der Wunsch schon mehrmals diesen Abend in ihm aufgestiegen war, in dieser ruhigen Einsamkeit, unter Leuten, die er alle für Engel hielt, zu leben.
Siehst du, Siegwart, er sagt ja; er will zu uns kommen. Kannst du ihm wol seinen Wunsch versagen?
Ich weiß nicht, sprach der alte Siegwart, ich dachte diesen Abend auch schon einigemal dran; aber mein Xaver taugt nicht für das Kloster; er ist zu munter und zu lebhaft, und hat selbst nie keine Lust dazu gehabt. Er sagt jetzt zwar Ja; aber das ist wol nur so ein Einfall. Wie ists Xaver, gefällt dirs wirklich hier? Hättest du wol Lust, einmal beym Pater Anton zu leben?
O ja, sagte der zu feurige, erhitzte Jüngling; Ich wüste vorher nicht, daß es so gut hier im Kloster wäre.
Nun, wir wollen drüber nachdenken, es ist noch Zeit, sprach der Vater; und sie giengen wieder vom Grab weg. Indessen gieng hinter ihnen der fast volle Mond auf, und beschien die hohen Tannenwipfel. Als sie in den langen Gang mit der hohen Hecke kamen, sah man oben nah am Kloster ein Paar Kapzuiner wandeln, deren schneeweisses Haar im Mondschein glänzte. Die Nachtigallen schlugen laut, und flogen nicht davon, wenn man dicht bey ihnen stand. Das Mondlicht, das nun den ganzen Garten erhellte, und die Schatten, die das Laub der Büsche machte, hüpften vor ihnen in mannigfaltigem Gemisch dahin; in der Mitte, wo das Wasser des Springbrunnens plätscherte, und tausend goldne Sternchen bildete, kamen nach und nach die Mönche aus den verschiednen Gängen zusammen, und stellten sich in einem Kreis um den alten und jungen Siegwart, und den Pater Anton her. Sie sahen im Mondschein noch so heilig und ehrwürdig aus. – Nun, wie gefällts ihm hier im Kloster, junger Herr Amtmann? sagte einer von den Mönchen zu dem jungen Siegwart. O recht gut, fiel ihm Anton ein; er will bald bey uns Profeß thun. Schön, schön! riefen alle Mönche. Es gibt doch noch immer Leute, welche Gott von Herzen dienen.
Bleib er bey dem Entschluß, lieber junger Herr! sprach ein alter Mönch, der neben unserm Siegwart stand, und es soll ihn nicht gereuen; wir wollen ihm alle Liebs und Gutes thun.
Es ist noch nicht so gewiß, sagte drauf der alte Siegwart; Pater Anton scherzt nur. Ey warum, lieber Herr Amtmann? sagte P. Gregor. Hätten Sies nicht gerne, wenn Ihr Sohn ein frommer Mann würde? Sie müssen ihm zureden. Glauben Sie; ein frommer Mönch bringt Segen über seine ganze Familie.
Nun giengen sie alle mit dem brüderlichen Kuß auseinander, und jeder wünschte noch besonders dem jungen Siegwart gute Nacht. Die beyden Gäste wurden zum Verwalter vors Kloster hinausgeführt, wo sie schon ein zubereitetes Schlafzimmer fanden. Der alte Siegwart vermied vorsetzlich, mit seinem Sohn von dem, was diesen Abend vorgefallen war, zu reden. Er kannte sein lebhaftes, leicht zu erhitzendes Temperament, und dachte, die Bilder, die sich ihm diesen Abend eingeprägt hatten, würden wieder mit der Nacht verfliegen.
Allein der junge Siegwart, der in einem besondern Zimmer lag, konnte nicht schlafen; der Gedanke an das Kloster, an die stille Ruhe und glänzende Heiligkeit der Mönche beschäftigte ihn bis um Mitternacht. Er baute tausend Luftschlösser auf; seine dichterische Phantasie malte ihm die Tage vor, die er hier so glücklich zubringen könnte; sie malte ihm das Kloster als einen Himmel auf Erden ab, und er glühte von dem Wunsche, bald ein Einwohner dieses Himmels zu werden.
Endlich schlief er ein; er sah im Traum Engel herabsteigen, und ihn zum Altar führen, wo er das Gelübde ablegen sollte. Seine Mutter, die schon gestorben war, winkte ihm an der Seite der Maria, ihnen zu folgen; er hörte eine himmlische Musik, und wachte von der zu heftigen Bewegung seiner Seele auf. Der Tag war schon angebrochen; die Sonne gieng auf. Er konnte nicht länger im Bette bleiben, und gieng ans Fenster, von da aus er das Kloster und einen Theil des Gartens übersehen konnte. Rings ums Kloster herum lagen Fruchtfelder, die, vom Thau benetzt, in frischer Farbe prangten. Ueberall schwebten Lerchen in der Luft, und sangen ihr göttliches Lied auf die neuerwachte Welt herab. Im Klostergarten sangen Rothkehlchen, Aemmerlinge, Nachtigallen und Amseln. Einen Pater sah er schon mit gefalteten Händen, die ein kleines Kreuz hielten, in den Gängen auf und nieder gehen. Dies erweckte seine Andacht, die nie feuriger gewesen war. Lieber Gott! laß mich auch zu so einem frommen Mann werden, seufzet' er, und schwieg wieder.
Rechterhand lag der Gottesacker; und er konnte deutlich das Grab sehen, auf dem sie gestern Abend gestanden hatten. Hier fiel ihm der Pater Joseph ein, und Thränen schossen ihm ins Auge.
Indem trat sein Vater ins Zimmer; er fuhr zusammen, drehte sich um, und suchte seine Thränen zu verbergen.
Wie, mein Sohn, du bist schon auf? und so traurig? ich glaube gar, du hast geweint. Fehlt dir was, Xaver?
Ach nein, Papa, ich sah da auf den Kirchhof, wo wir gestern gewesen sind. Der Pater Joseph muß ein treflicher Mann gewesen seyn.
Ja, mein Sohn, das ist er gewesen, und es ist mir lieb, daß dir sein Andenken werth ist. Wie hast du denn diese Nacht geschlafen? Doch recht ruhig?
Nicht so ganz, Papa; Ich hatte allerley Gedanken durcheinander, und dann ttäumt' ich auch so wunderlich.
Nun, wovon denn?
Je, vom Kloster, und dergleichen.
Ja, das hab ich mir eingebildet, und deswegen kam ich auch herüber. Du warst gestern auf eine ausnehmende Art bewegt; ich gab immer auf dich Achtung, aber ich wollte nichts davon sagen. Es schienen mancherley sonderbare Veränderungen in dir vorzugehen. Heute muß ich nun aufrichtig mit dir reden. Der Pater Anton lag mir schon lange an, daß ich dich ins Kloster thun sollte. Ich hatte wenig Lust, weil ich deine Munterkeit kannte, die sich nicht fürs Kloster schickt; und deswegen hab ich dich auch nie mitnehmen wollen. Nun ists einmal geschehen, weil du mir keine Ruhe liessest. Du sagtest gestern dem Pater Anton, daß du Lust zum Klosterleben hättest. Er fieng das auf, und sagte es gleich vor den andern Mönchen. Diese freuen sich nun immer, wenn sie neue Ankömmlinge bekommen können. Sie werden heute gleich wieder davon anfangen, und darum wollt ich erst mit dir davon reden. Du sagst, es habe dir vom Kloster geträumt; was war es denn?
Ich war in der Kirche, sagte Xaver, wo die Kapuziner alle um mich herum stunden. Ich sollte zum Altar hin gehen; und da war mirs, als ob Engel herabkämen, und als ob die selige Mama mit der Mutter Gottes käme, und mir winkte, daß ich hingehen sollte. Ich wachte dann wieder auf, und konnte nicht mehr einschlafen.
Das ist sonderbar, sagte der alte Siegwart, und gieng auf und nieder. Es hatte ihm was ähnliches von seiner Frau geträumt, weil er sich an Pater Josephs Grabe allein mit dem Gedanken an sie beschäftigt hatte. – Xaver, ist es dir denn Ernst mit dem Kloster?
O ja, Papa; wenn Sie es wollen –
Ich will es nicht, mein Sohn; Aber ich will dir auch in deiner Wahl nicht vorgreifen; ich weiß, daß du jetzt dafür bist; aber du must alles wohl überlegen; wenn man hier einmal gewählt hat, dann ist die Neue zu spät. Ich wünschte schon zuweilen, daß einer meiner Söhne ein Geistlicher werden möchte; mit Karl und Wilhelm geht es nicht mehr an; die haben ihre Versorgung; aber wegen deiner war ich immer zweifelhaft. Mit dem Klosterleben ists so eine Sache; bald gefällt es mir, bald wieder nicht, und die wenigsten schicken sich dazu. Gestern Abend hat mich nun Pater Anton wieder ganz dafür eingenommen. Er ist ein guter frommer Mann, und mein vieljähriger Freund. Wenn du ihm gleich werden könntest, so würd ich Freude an dir erleben. Aber, Xaver, ich glaubte immer, für dich wäre eine so ganz einförmige Lebensart nicht. Du bist zwar oft gern allein; aber zuweilen bist du wieder immer in Gesellschaft. Und dann must du dir das Kloster nicht so vorstellen, wie es dir gestern das erstemal vorgekommen ist! So lange einem etwas neu ist, da gefällt es immer. Vor den Leuten thun die Paters immer friedlich, und scheinen, wie die Engel zu leben; aber es mögen wol, wie ich manchesmal aus des Pater Antons Reden merkte, manche böse Leute unter ihnen seyn, die einem das Leben recht sauer machen können. Kurz, ich weiß nicht, ob ich dir dazu rathen soll? – Freylich, wenn ich an den Traum denke; denn ich muß dir nur sagen, daß mir eben das geträumt hat.
Eben das geträumt? rief Xaver. O Papa, das ist gewiß nicht umsonst geschehen! Es gefällt mir so gut hier, als mirs noch an keinem Ort gefallen hat. Ich wollte Sie wol bitten, daß Sie mich hier liessen! – Hier im Kloster bleiben kannst du jetzt noch auf alle Fälle nicht, erwiederte der Vater, denn die Kapuziner unterrichten keine jungen Leute, und dann wüstest du auch noch vorher auf Akademien. Aber dazu wollt' ich dir wol rathen, daß du einige Tage lang hier zurücke bliebest, um die Einrichtung der Lebensart genauer kennen zu lernen. Du must auf alles genau Acht geben, ob die Paters dir gefallen? ob du dich an die beständigen Andachtsübungen; an den Gehorsam; an die strenge Klosterzucht; an die, mehrentheils geringe und schlechte Kost; an das einförmige, stille, von der übrigen Welt abgeschnittne Leben gewöhnen kannst? Ob du dich für stark genug hältst, den Vergnügungen der Welt zu entsagen, und, von ihr ungekannt, nur dir und Gott zu leben? Pater Anton soll dich von allem noch genauer unterrichten, auf ihn kannst du dich verlassen. In vier oder fünf Tagen komm' ich wieder, um deine Meynung zu erfahren; denn nun ists gerade Zeit, daß du dich zu einer Lebensart entschliessest, welche künftig dein ganzes Leben ausfüllen soll. Ich werde alt, wer weiß wie lange ich noch lebe; und ich wünschte dich so gern vor meinem Ende noch versorgt. Ich dachte, dich zu meinem Bruder dem Forstmeister zu thun, aber der ist nun vor sechs Wochen auch gestorben. Doch ich lasse dir die freye Wahl, und rede dir zu nichts zu, um nachher keine Vorwürfe zu haben. Willst du so, mein Sohn?
O ja, Papa; Sie sind auch gar zu gütig. Lassen sie mich nur hier! Ich hoffe, daß es mir recht wohl gefallen soll; denn so schön hätt' ich mir das Klosterleben gar nicht vorgestellt.
Nun kam der Thorwart des Klosters, und fragte, ob sie in das Conversatorium kommen wollten? die Paters waren alle schon da versammelt, und hatten ihre Vigilien schon gesungen. Sie besprachen sich über den jungen Siegwart, den sie gern bey sich im Kloster gehabt hätten, und redeten dem Pater Anton zu, weil er doch soviel über den Herrn Amtmann vermöge, daß er ihm ja recht anliegen sollte, seinen Sohn der Kirche und dem Kloster zu schenken!
Indem trat der Vater mit dem Sohn herein. Sie eilten dem ersten mit offnem Arm entgegen, und empfiengen ihn, einer nach dem andern. Dem jungen Siegwart drükten sie treuherzig die Hand, und nannten ihn ihren jungen Bruder. Das gefiel dem Jüngling. –
Morgen sollt er hier seyn! sagte der Guardian. Wir haben Festtag, da wirds ihm gefallen!
Ja, ich bleibe hier, rief der enzükte junge Siegwart, der Papa hats schon gesagt.
Gemach, mein Sohn, sprach der Vater; du must erst von den Ehrwürdigen Herren die Erlaubnis dazu haben.
O recht gerne, sagte Pater Gregor, der dabey stand, und wandte sich zu den übrigen: der junge Herr möchte etwas bey uns bleiben. Sie erlaubens doch?
Warum nicht? riefen alle. Herr Amtmann, sagte einer, Sie müssen Ihren Sohn ja der Kirche schenken! Er hat recht einen göttlichen Beruf dazu. Wir sahens ihm schon gestern an, und sprachen noch heute viel davon. Er wird ihnen Freude, und dem Orden Ehre machen. Wir glaubten schon, Ihren Karl zu kriegen; aber Xaver taugt noch mehr dazu. Lassen Sie ihn so lange bey uns, als Sie wollen; Er soll gewiß gut aufgehoben seyn.
Das bin ich überzeugt, sprach der alte Siegwart; wenn Sie so erlauben wollen, so lasse ich ihn etliche Tage hier; er bat mich heut darum. Es scheint, daß er recht viele Lust zum Kloster hat, und wenn es Gottes Wille wäre, so bin ichs auch recht wohl zufrieden. Ich sollte auch einmal ins Kloster, und vielleicht wär' mirs besser gegangen, als so. Doch ich bin jetzt auch zufrieden. Wollen Sie erlauben, so schick ich heute statt des Kostgelds etwas Wein und Korn. In ein paar Tagen hol ich meinen Sohn dann wieder ab.
Sie müssen aber heut doch erst bey uns zu Mittage essen, sagte Gregor, und das Kloster ein bischen besehen.
Er und Anton giengen nun mit den beyden Siegwarts auf die Bibliothek, wo sie Bücher mit den schönsten Kupfern sahen. Dann besahen sie die herrlichen mit Perlen und Gold gestickten Meßgewande, deren Anblick das Auge des jungen Siegwarts fast verblendete; die goldnen, mit Steinen besetzten Kelche; Silberne und vergoldete Bildnisse von Aposteln und Heiligen. In der Kirche schimmerten die goldbedeckten Altäre im Stral der Morgensonne. An den Wänden hiengen herrliche Gemälde von Heiligen, und Kapuzinern, die als Märtyrer gestorben sind. Besonders rührte ein Gemälde den jungen Siegwart bis zu Thränen. Viele Kapuziner hiengen todtblaß, aber doch mit einer innern Heiterkeit, und einem halbgebrochnen, mühsam zum Himmel empor gehobnen Auge, an Kreuzen. Ueber ihnen schwebten, in halberleuchteten Gewölken, Engel mit Siegerkronen, und Palmzweigen in der Rechten. Auf einer andern Seite wurden welche durch das Schwert hingerichtet. Verschiedne, mit Blut befleckte Rümpfe lagen schon vor ihnen. Auf einem derselben kniete ein alter silberhaarichter Kapuziner, der eben hingerichtet werden sollte, mit dem Kruzifix in der Hand. Auf dem Vordergrunde wurden andre an einem Thurm vorbey geführt, aus dessen festvergitterten Oefnungen abgehärmte Gesichter heraussahen, die sich eben einen solchen Tod mit Sehnsucht zu wünschen schienen; besonders rührte unsern Siegwart das Gesicht eines Jünglings, der ihn mit Thränen anzusehen schien.
Das waren alle unsre Brüder, sagte Anton, die als Missionarien nach tausendfachen Leiden der Märtyrerkrone sind theilhaftig geworden. Wir werden sie einst alle wieder bey Gott antreffen, wenn wir, wie sie, willig Armuth, und, wenns seyn soll, auch Verfolgung tragen.
Mit diesen Worten sah er den jungen Siegwart an, der den ganzen Ausdruck dieses Blickes fühlte.
Nun kamen sie im Hof an ein kleines steinernes Häuschen, das ans Kloster angebaut war. Gregor machte das Thürchen auf, und ein Haufen Krücken und Stäbe lag da über einander gethürmt.
Das sind Zeugen von den Kuren, sagte Gregor, welche mit Gottes Hülfe durch unser Gebeth, und die Kraft unsers wunderthätigen Marienbildes, das Sie in der Kirche gesehen haben, hier im Kloster verrichtet worden sind. Krüppel und Lahme kamen an ihren Krücken, und auf Wagen zu uns. Gesund und frisch konnten sie in ihre Häuser zurückgehen, und liessen zum Andenken ihrer Heilung ihre Krücken und Stäbe hier. So thun wir Gutes, was wir können, an Leib und Seele.
Der junge Siegwart betrachtete diese Stützen der Elenden, die sie nun nicht mehr bedurften, mit einer heiligen Ehrfurcht; und noch mehr die Väter, denen er in seiner frommen Einsalt solche Wunderkräfte zutraute. Er glaubte nun, er müsse ein Mönch werden, und brannte vor Begierde, es schon jetzt zu seyn. Seine ganze Seele war von einem Taumel ergriffen, der ihn nichts hören, und nichts sehen ließ, als nur das Kloster. Die ganze andre Welt war ihm nun verhast, und öde. Er betrachtete sie als den Wohnplatz abgeschiedner, bedaurenswürdiger Seelen; und hätte in diesem Augenblicke den gehast, der ihn wieder aus seinem erträumten Himmel hätte heraus reissen wollen. So schnell werden lebhafte Seelen, die jedem Eindruck offen sind, oft durch Schattenbilder zu Entschlüssen hingerissen, die einen Einfluß auf ihr ganzes künftiges Glück oder Unglück haben. Möchten doch nicht Leute, die diese schwache Seite einer feurigen Seele kennen, sie so oft misbrauchen!
Noch verweilten sie sich eine Zeitlang in den Zellen der beyden Mönche. Alles gefiel hier unserm jungen Siegwart; das kleine Krucifix, das hölzerne Bette, und besonders der Todtenkopf, den Pater Anton auf seinem kleinen Tische stehen hatte.
Nun wars bald Essenszeit. Man speiste heute, um der beyden Fremden willen, in dem Gartensaal. Die Paters begegneten dem jungen Siegwart mit besondrer Achtung, um ihn immer noch mehr fürs Kloster einzunehmen. Gegeneinander zeigten sie eine ausserordentliche brüderliche Freundlichkeit; einer erzälte nach dem andern etwas Angenehmes aus dem Kloster; sprach verächtlich von der Welt und ihren Freuden; rühmte das Glück der Einsamkeit, und pries den Tag als den glücklichsten seines Lebens, an welchem er das Gelübde abgelegt hatte.
Der alte Siegwart muste versprechen, wenn es, wie nicht zu zweifeln wäre, seinem Sohn serner im Kloster gefiele, ihn in kein anderes, als in das ihrige zu thun. In der Stadt könne Xaver bey den Piaristen, wohin sie ihn empfehlen wollten, in 3 oder 4 Jahren die Anfangswissenschaften lernen, und dann könne er gleich auf die Universität gehen.
Nach Tische gieng man noch ein paar Stunden im Garten spazieren, oder setzte sich ins Gebüsch, wo eine Menge Amseln, Nachtigallen und andre Vögel fast ganz zahm herumhüpften, und sangen, weil ihnen die Paters nie nichts zu Leide thaten.
Gegen Abend gieng der alte Siegwart nach Hause, nachdem er seinen Sohn den Mönchen noch einmal empfohlen hatte. P Anton, P. Gregor und sein Sohn begleiteten ihn bis ans Wäldchen; wo sie zärtlich von einander Abschied nahmen.
Traurige und freudige Gedanken wechselten nun in seiner Seele mit einander ab. Er wünschte sehr, daß sein Sohn ein Mönch werden möchte, denn er war noch vom Aberglauben nicht ganz frey, und glaubte, ein gutes Werk zu thun, wenn er seinen Sohn Gott, das heist, nach den angenommnen irrigen Begriffen, dem Kloster schenkte; aber er konnte sich doch auch des, nur zu richtigen Gedankens nicht entschlagen, daß sein Sohn nicht fürs Kloster gebohren, und daß sein jetziger Entschluß nur eine Art von Betäubung sey, die eben so bald wieder vorüber gehen könne.
Doch wenn der Aberglaube mit der Vernunft ringt, so siegt dieser mehrentheils, weil er immer sehr furchtsam und ängstlich macht. Der gleiche Traum von seiner Frau, den Siegwart mit seinem Sohn gehabt hatte, und den er für ein göttliches Werk hielt; das schon lang anhaltende Zureden seines Freundes Anton; das Dringen der Mönche, dem er nicht ausweichen konnte, und die eigne Neigung seines Sohnes, dessen freyer Wahl er alles überließ, beruhigten ihn wieder von der andern Seite, und befestigten ihn in dem Entschlusse, seinen Sohn der Welt absagen zu lassen. Er wird einst unter Antons Anführung ein frommer Mann werden, und mehr kann ich ihm nicht wünschen.
Auch der Gedanke gab seinem Entschluß noch einiges Gewicht, daß er dann mehr für das Wohl seiner seiner beyden andern Söhne und für die Versorgung seiner beyden Töchter thun könne, weil er auf diese Art nicht soviel an seinen Xaver zu verwenden brauche.
Als er nach Hause kam, und den beyden Söhnen, davon der älteste ihm an die Seite gesetzt war, sein Verfahren bekannt machte, billigten sie dasselbe auch aus eigennützigen Absichten sehr, ob sie gleich die Religion zum Deckmantel nahmen, und viel von Verdienstlichkeit und guten Werken sprachen. Nur Therese, die älteste Tochter, billigte den Entschluß nicht, und bedaurte insgeheim ihren armen Bruder, ohne daß sies merken lassen durfte.
Der junge Siegwart gieng indessen zwischen seinen beyden Mönchen langsam wieder nach dem Kloster zu. Diese wetteiferten, ihm angenehme Dinge vorzusagen, und seinen Entschluß zu loben.
Der Abend strich ihm in der Gesellschaft der Kapuziner, die sich beym Abendessen fast allein mit ihm beschäftigten, und ihm das Klosterleben von der reizendsten Seite abzuschildern suchten, sehr angenehm hin. Sein Herz ward immer mehr gefesselt; wo er hin sah, erblickte er Ruhe, Zufriedenheit, und brüderliche Liebe; Bilder, die bisher immer nur in seiner Einbildungskraft geschwebt hatten, und die nun wirklich und lebendig vor ihm da standen. Nach dem Abendessen gieng man wieder in den Garten. Heute hatte sich eine Nachtigall ganz nahe zu der Grotte gemacht, und sang da ihr göttliches Lied. Siegwarts Seele war ganz voll. Er drückte einigemal dem P. Anton mit einer innigen Bewegung die Hand.
Er besuchte noch mit ihm und Pater Gregor einen kranken Pater, der mehr vor Alter als vor Krankheit langsam dahin zu sterben schien, und der Rose glich, die an einem stillen Abend, wenn kein Lüftchen sich bewegt, die Blätter nach und nach verliert. Der Kranke athmete still, und sprach wenig. Neben ihm lag sein Gebetbuch, und der Rosenkranz. Dazwischen stand ein Krucifix. Einige Blumen welkten in einem irdenen Gefäß. Ein paar Arzneygläser standen dabey. In der Ecke der Zelle hing eine düstre Lampe, die ihr Licht nur schwach umher verbreitete. Anton und der andre Pater, die dem Kranken wachen solten, sprachen leise. Jede lautere Bewegung ward vermieden, und tiefe feyerliche Stille herrschte rings umher, wie es bey dem Sterbebette der Mutter Siegwarts gewesen war. Ihr Andenken wachte auch hell in seiner Seele auf, und sie erschien ihm noch einmal im Traum; lebhafter als die Nacht zuvor.
Anton, der seine tiefe Traurigkeit wahrnahm, führte ihn ganz langsam an die Thüre, öfnete sie leise, und lispelte ihm in die Ohren: der gute Pater wirds nicht lange mehr machen. Komm er morgen früh, wenn er Lust hat, wieder zu mir in die Zelle; vielleicht hat mein Freund bis dahin überwunden.
Siegwart gieng nun mit traurigen Gedanken schlafen; um fünf Uhr wachte er auf, und sein erster Gedanke war an den kranken Pater. Die Sonne gieng neblicht auf; der halbe Himmel war blutrot, und warf einen blassen Wiederschein an die weisse Wand des Schlafgemachs. Er zog sich schnell an, und gieng an die Zelle. Er klopfte zweymal an die Thüre, ohne daß ihm geantwortet wurde; doch hörte er laut reden.
Als er aufmachte, hielt P. Anton dem Sterbenden den Kopf in die Höhe und nickte ihm mit Thränen in den Augen zu. Der andre Pater las aus einem Buche vor. Der Kranke war mehr gelb, wie blaß; Seine Augen standen unbeweglich, und man sah nur das Weisse davon. Er sammelte seine letzten Kräfte, und betete laut nach. So flammt die sterbende Lampe noch einmal hell auf, und verlischt. Die letzten Worte, die er mehr herausstieß, als sprach, waren: Hilf, Herr Jesu! Nun zuckte er ein paarmal, und lag todt da.
Gottlob! hat wieder einer überwunden, sagte Pater Anton, ließ den Kopf des Todten sinken, und drückte ihm die Augenlieder zu. Er ist bey seinem Heiland Jesu Christo, und bey allen Heiligen. Du guter Pater, Martin, warst ein frommer Mann; mein Ende sey wie deines! Der andre Pater gieng hin, es dem Guardian anzuzeigen; Anton legte eine Decke über den Leichnam, gieng aus Fenster, und schwieg eine Zeitlang still.
Siegwart gieng hierauf mit schwerem Herzen, und allein im Garten auf und nieder; stellte sich die Züge des Sterbenden wieder vor, drückte sie in seinem Herzen tief ein, und folgte seiner Seele in Gedanken in den Himmel nach, sah den Jubel der Gerechten, die die Siegerinn empfiengen, und ihr Palmenzweige streuten. Seine ganze Seele war emporgehoben, und er wuste lange nicht, daß ihm helle Zähren aus den Augen rollten. Alle seine Wünsche waren auch ein solcher Tod; und der einzige Weg dahin schien ihm das Kloster. Er warf sich auf eine Rasenbank, verhüllte sein Gesicht in beyde Hände, und lag in einer Art von Betäubung da, als der Schall von allen Glocken den Anbruch des Fests verkündete.
Er gieng in den Versammlungssaal, wo die Väter traurig bey einander standen, und sich vom Verstorbnen unterhielten. Alle lobten ihn einmüthig, und schickten ihm ihren Segen nach. Sein Begräbnis ward auf übermorgen angesetzt, und nun giengen die Paters Paar und Paar in die Kirche, die mit Blumen bestreut, und mit Meyen ausgeschmückt war. Mehr, als hundert Wachslichter wurden angesteckt. Dicke Weihrauchswolken stiegen auf, und umgaben die Paters und den jungen Siegwart. Es ward ein feyerlicher voller Choral angestimmt, der wie ein Meer daherbrauste. Der langsame, andachtsvolle Gesang und der begeisternde Weihrauchsduft trugen unsers Siegwarts Seele zu den Wolken. Er hatte tausend, sich durchkreuzende Empfindungen, ohne Eine davon deutlich zu fühlen. Es war ihm, als ob er zwischen Himmel und Erde schwebte, und zuweilen einen Blick durch die Wolken an den Thron des Höchsten thäte. Das Gesicht der Geistlichen schien ihm zu glänzen, und verklärt zu seyn. Er warf einen Blick auf das Gemälde, wo die Kapuziner hingerichtet wurden. Sie schienen ihm zu leben, und ihn anzublicken. Er hielt sich schon für ein Mitglied des Ordens, und blickte in die Welt, wie in ein Grab zurück, von dem sich sein Geist dem Himmel zugeschwungen hatte. Der Guardian hielt das Hochamt; die Gemeinde kniete nieder, und ein heiliges Te Deum trug die Seele des Jünglings in noch tieferes Erstaunen und Entzücken über. Nach vollendetem Gottesdienst gieng er mit dem P. Anton in die Zelle des Verstorbenen, der schon in einem schlechten Sarge lag, um welchen brennende Wachskerzen standen. Nach einer kurzen Unterredung von den Tugenden des Todten, die in Siegwarts Seele eine brennende Nacheiferung erweckte, ward zum Essen geläutet.
Während der ganzen Mahlzeit herrschte eine fast ununterbrochene feyerliche Stille. Die Augen waren niedergeschlagen; zuweilen sah ein Pater den andern an, und kehrte schnell, wenn er bemerkt wurde, den Blick, in welchem Thränen schwammen, wieder weg. Wider Willen stieß der eine und der andre einen lauten Seufzer aus, der die Losung zu einer neuen allgemeinen Bestürzung gab. Inzwischen redete doch jeder mit dem jungen Siegwart, den das allgemeine Bedauren des Verstorbenen, und die Liebe gegen ihn, wovon dieses ein Zeuge war, im Innersten rührte. Er gewann die Väter, die so vieler Freundschaft fähig waren, nur um desto mehr lieb, und wünschte sich, nur auch recht bald dieser Freundschaft wehrt zu werden. Es ward ihm nun schon als einem, der zum Orden gehörte, begegnet, und diese Art von Vertraulichkeit nahm ihn völlig ein.
Den Nachmittag brachte er gröstentheils in P. Antons Zelle zu, wo noch ein andrer Mönch hin kam, der ihm lauter abentheuerliche Wundergeschichten von Leuten aus seinem Orden erzälte, und ihm besonders das Leben des heil. Franciscus von Aßißi empfahl, das er ihm selbst, zum Durchlesen zu leihen versprach. Gegen Abend giengen sie im Garten spatzieren, wo die Mönche zerstreut und niedergeschlagen umher giengen. Sie kamen durch verschiedne Gänge unvermerkt an den Gottesacker, wo schon ein Grab aufgeworfen wurde. Der Abend war zu traurigen Betrachtungen gemacht, trüb und neblicht. Die Sonne gieng verhüllt unter, und schickte erst, eh sie ganz am Horizont hinabsank, noch einige blutrote Stralen auf das schweigende Gefild des Todes. Nach dem Abendessen gieng Siegwart auf sein Zimmer, hatte halbtraurige und halbfreudige Gedanken, legte sich zu Bette, und beschäftigte sich die halbe Nacht durch im Traum mit dem Verstorbenen, den er mit allen Zügen und Bewegungen auf dem Sterbebette liegen und verscheiden sah. Zuweilen wachte er auf, und da deucht' es ihm, als ob Engel ihm zulispelten: Folge dem Gerechten nach! Gleich am Morgen kam Pater Ignatz, mit dem Leben des H. Franciscus, und einigen andern Legenden, deren immer eine fabelhafter war, als die andre, zu dem jungen Siegwart, und empfahl sie ihm nochmals mit tausend übertriebnen Lobserhebungen zum Durchlesen. Dieser hatte kaum zu lesen angefangen, so war seine ganze, leicht zu erhitzende Einbildungskraft in einer andern Welt. Seine Seele wurde mit dem Wunderthäter vertraut, schwärmte mit ihm in der Welt herum, hatte mit ihm Erscheinungen, und wuste sich kaum in die neuen überirrdischen Empfindungen zu finden. Er wünschte sich, auch Vermögen zu haben, um es so, wie sein Heiliger, den Armen auszutheilen; er wünschte, schon den Orden zu haben, um, gleich seinem Vorbilde, nach Cairo gehen, und den Türken das Evangelium predigen zu können. Er hielt schon in Gedanken Predigten, deren Feuer und Beredsamkeit, wie er glaubte, Menschen und Thiere, deren sich sein Patron auch angenommen hatte, zur Ueberzeugung hinreissen müste. Er hofte, auch einmal des Eindrucks der Stigmatum wehrt zu werden, weil er eben das thun zu können hofte, was Franz in seinem heiligen Eifer gethan hatte. Nichts beschäftiget das Herz mehr, als Chimären und Entwürfe, die man in die Zukunft baut. Man steigt von Einem aufgethürmten Schloß aufs andere, und sieht mit Verachtung auf die übrigen Menschenkinder herab, die im Staube kriechen, und den ordentlichen Weg gehen. Alle Hindernisse schwinden weg; man sieht nichts vor sich, was im Wege stehen könnte; oder schreitet mit Riesenschritten drüber weg, und sieht mit Wolgefallen auf die zurückgelegte steile Bahn herab. Einem Schwärmer ist in seinem Sinne alles möglich; und kein Herz ist mehr zur Schwärmerey geneigt, als ein solches, das, bey einer lebhaften Einbildungskraft ein zartes moralisches Gefühl hat, und es mit den Menschen, seinen Brüdern, gut meynt. So giengs unserm jungen Siegwart; er sah lauter Hülfsbedürftige vor sich, sah schon ihre Thränen rinnen, hörte schon den Dank von Lippen erschallen, die er Gott und Jesum hatte anrufen lernen.
P. Anton überraschte ihn in dieser heiligen Begeisterung, und schlug ihm vor, ihn auf den Nachmittag in ein paar nahgelegne Dörfer zu begleiten, um Allmosen einzusammeln. Siegwart nahm den Vorschlag mit Freuden an, und gieng, nachdem er erst seine Bücher sorgfältig aufgehoben, und eins davon zu sich gesteckt hatte, mit dem P. Anton in den Speisesaal, erzählte da dem P. Ignatz seine Freude über die geliehnen Bücher, und unterhielt sich mit den andern Vätern während dem Essen von den Wundern des H. Franciscus. Alle lobten seine Liebe zu ihrem Stifter, und prophezeyten ihm ein glückliches und heiliges Leben. Man gab ihm einige Bilder vom H. Franz und andern Heiligen, die er den Bauerknaben und Mädchen austheilen könnte. Ein Bild vom H. Franciscus behielt er selbst, um es in seinem Zimmer anzukleben, und sich täglich an seinem Anschauen zu belustigen und zu erbauen.
Nun gieng er mit P. Anton auf ein, anderthalb Stunden weit vom Kloster entferntes Dorf. Sie konnten auf dem Wege wenig miteinander sprechen, weil die Leute, die im Feld und auf den Wiesen arbeiteten, Hauffenweis herbeygesprungen kamen, und den Pater, den sie alle liebten, um den Seegen baten. Jeder blieb mit seiner Harke, oder was er sonst in der Hand hatte, stehen, oder sprang herbey, und grüßte den Ehrwürdigen Vater mit der grösten schwäbischen Treuherzigkeit. Andre baten ihn, in ihrem Hause einzukehren, und sprangen voraus, um mit allem Vorrath aufzuwarten, den sie hatten. Sie grüßten alle auch den jungen Siegwart, den sie kannten, weil er aus der Nachbarschaft war, und sahen sich vergnügt und einander zulächelnd an, daß ihm P. Anton so freundlich begegnete, wie ein Vater seinem Sohn. Dieser machte ihm die Freude, und ließ ihn die Gemälde von Heiligen unter die Bauerkinder austheilen, die ihn darum baten. Er fühlte das innerste Vergnügen drüber, wie die Kinder sich verneigten, das Geschenk ansahen, und dann mit froher Eile ihren Eltern zuflogen und sie sehen liessen, was der Ehrwürdige Pater, und der junge Herr ihnen schönes geschenkt habe.
Während daß die Dorfglocke zum Allmosengeben geläutet wurde, sprang eine Bäurinn mit zerrissnen Haaren und verweinten Augen aus der Hütte heraus, um dem Pater ihre Noch vorzutragen. Ihr Mann hatte sie geschlagen, und nun sollte Anton der Friedensrichter werden. Er gieng mit ihr und dem jungen Siegwart in die Hütte, wo der Bauer noch ganz wild in der Stube stand, und sich das Blut aus dem Gesicht wischte, das ihm seine Frau, um sich zu vertheidigen, zerritzt hatte. Hinter dem Ofen stand ein kleiner Knabe weinend, und zitterte, weil er seinen Vater so in Wuth sah. Die Tochter, ein unschuldiges Mädchen von 16 Jahren, weinte auch in ihre Schürze, weil der Vater sie geschlagen hatte, als sie ihrer Mutter hatte zu Hülfe kommen wollen. Der Bauer ward vor Schrecken schneeweiß, als er den Pater mit der Mine des Friedens und der Ruhe hereintreten sah. Er nahm die Mütze ab, fieng an einen guten Abend zu stottern, um seine Verwirrung zu verbergen, und ward dadurch nur noch verwirrter.
Ey, Ey! was muß ich sehen? fieng Anton endlich an; Was ist das, Michel, daß ihr so zerstreut und blutrünstig ausseht? Es scheint, da hats Händel gegeben; das ist doch nicht schön, Michel, eure Frau so unchristlich zu schlagen, wie sie mir erzält hat. – Ja, sie hat mirs auch darnach gemacht, fiel der Bauer ein; wenn Sie wüsten, Ihro Wohlehrwürd – So? Hast du nicht selbst angefangen, du? rief das Weib, und trat aus dem Winkel hervor.
Eins nach dem andern, lieben Kinder! sagte Anton, setzte sich auf eine Bank und winkte dem jungen Siegwart, es auch zu thun – Eins nach dem andern! Sonst kann ich nicht draus klug werden, wer Recht oder Unrecht hat? Ihr seyd noch zu hitzig, Michel! laßt euer Weib erzälen, wie der Handel angieng?