Sisi und ihre Familie - Sigrid-Maria Größing - E-Book

Sisi und ihre Familie E-Book

Sigrid-Maria Größing

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Beschreibung

Die Person und das Schicksal Kaiserin Elisabeths strahlen bis heute eine große Faszination aus. Aufgewachsen in Bayern kam sie schon mit 16 Jahren an den kaiserlichen Hof nach Wien, wo ihr bisher freies und frohes Leben eine dramatische Wendung nahm. Wichtige Stützen, Wegbegleiter, aber auch Gegner fand sie in ihrer Familie. Die spannendsten und tragischsten Lebensgeschichten hat die Erfolgsautorin Sigrid-Maria Größing recherchiert und zusammengetragen.

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Über dieses Buch

Die Person und das Schicksal Kaiserin Elisabeths strahlen bis heute eine große Faszination aus. Aufgewachsen in Bayern kam sie schon mit 16 Jahren an den kaiserlichen Hof nach Wien, wo ihr bisher freies und frohes Leben eine dramatische Wendung nahm. Wichtige Stützen, Wegbegleiter, aber auch Gegner fand sie in ihrer Familie.

INHALT

Vorwort

SISI UND IHRE KINDER

Sophie, Gisela, Rudolf, Marie Valerie

EIGENTLICH HÄTTE SIE KAISERIN WERDEN SOLLEN

Schwester Helene

EIN MANN MIT ZWEI GESICHTERN

Sisis Bruder Louis

EIN HERZOG GEHT NEUE WEGE

Sisis Lieblingsbruder Carl Theodor

VON LIEBE REDEN WIR SPÄTER

Sisis Schwester Marie Sophie

EINE FRAU ZWISCHEN PFLICHT UND LEIDENSCHAFT

Sisis jüngste Schwester Sophie Charlotte

EIN KÖNIG STOLPERT ÜBER EINE TÄNZERIN

Sisis Onkel, König Ludwig I. von Bayern

EIN EWIGES RÄTSEL WOLLTE ER SICH SELBER BLEIBEN UND DEN ANDEREN

Der bayerische Traumkönig und »Cousin« Elisabeths: Ludwig II.

DIE BAYERISCHE PRINZESSIN SOPHIE

Sisis »böse« Schwiegermutter

Stammtafel

Ausgewählte Literatur

VORWORT

Ihre bayerische Familie, in die sie hineingeboren war, nahm im Gegensatz zu der habsburgischen, die sie »erheiratet« hatte, einen wichtigen Platz im Leben Kaiserin Elisabeths ein. Im Kreise ihrer Eltern und Geschwister fühlte sie sich geborgen, nach Possenhofen am Starnberger See oder in das Stadtpalais nach München kam sie, wenn sie die Atmosphäre am Wiener Kaiserhof zu erdrücken schien. Vater Max in Bayern und Mutter Ludovika sowie ihre drei Brüder und vier Schwestern standen ihrem Herzen so nahe wie nur noch ihre jüngste Tochter Marie Valerie. Ihre beiden anderen Kinder, Gisela und Rudolf, spielten für Sisi eine Nebenrolle, die sich erst nach dem tragischen Tod ihres Sohnes ändern sollte.

Sisi war durch und durch eine bayerische Prinzessin, die vielleicht in der oberbayerischen Heimat, in die sie immer wieder zurückkehrte, ein erfülltes Leben hätte führen können, die aber wenig geeignet war, Kaiserin von Österreich zu werden. Nach dem persönlichen Glück fragte man aber zu dieser Zeit wenig, wenn es galt, vorteilhafte Heiraten abzuschließen. Daher schien es für die Mutter Sisis, für Herzogin Ludovika ein vorteilhafter Zufall zu sein, als der Kaiser von Österreich sein Herz für Elisabeth entdeckte und ihr seine Hand anbot. Dass Franz Joseph, der seine Frau zwar bis zu deren tragischem Tod über alles geliebt hatte, nicht der Mann war, der eine Elisabeth verstehen und glücklich machen konnte, war keine Überlegung wert gewesen. Die Ehe zwischen den beiden ist bis heute vielfach untersucht und interpretiert worden, wobei die Ergebnisse von der Betrachtungsweise und dem historischen Hintergrund der Autoren abhängen. Dass in dieser komplizierten Zweierbeziehung gerade der Mutter Franz Josephs eine entscheidende Bedeutung zukommt, ist nicht abzuleugnen. Aber nur wenn man das Schicksal dieser intelligenten, politisch äußerst interessierten Frau beleuchtet, die ebenfalls eine bayerische Prinzessin war, kann man viele Gründe für ihr Handeln Sisi gegenüber verstehen.

Dieses Buch soll nicht nur die Bedeutung der engeren Familie für die Kaiserin darlegen, es soll auch die Beziehung zur königlich bayerischen Verwandtschaft wie zu König Ludwig I. und König Ludwig II. aufzeigen, deren Lebenswege sich immer wieder mit der Possenhofener Familie kreuzten.

Nicht alle Geschwister Elisabeths waren für die Geschichte bedeutungsvoll. Daher war eine gewisse Beschränkung auf die Brüder und Schwestern der Kaiserin angebracht, die sowohl für das Leben Elisabeths als auch für die Nachwelt interessant sind. Sisis Schwester Mathilde, die mit dem Grafen Trani, einem Bruder des Exkönigs von Neapel, verheiratet war und der Bruder Max Emanuel, der die Prinzessin von Sachsen, Coburg und Gotha, Amalie geheiratet hatte, werden daher nur im Vorwort erwähnt. Ebenso ist Herzog Max und Herzogin Ludovika kein eigenes Kapitel gewidmet, da ihr Leben innig mit den Schicksalen ihrer Kinder verknüpft ist und der Leser auf diese Weise sich ein Bild über den Charakter der Eltern Sisis machen kann.

Da das Buch kein wissenschaftliches Werk darstellt, sondern der Unterhaltung der Leser dienen soll, wurde auf Fußnoten bei den Zitaten verzichtet, Hinweise auf die Autoren befinden sich im Literaturverzeichnis, das eine Auswahl der wichtigsten verwendeten Literatur bringt.

Sigrid-Maria Größing

SISI UND IHRE KINDER

Sophie, Gisela, Rudolf, Marie Valerie

Als sich der junge, gut aussehende Kaiser von Österreich Franz Joseph Hals über Kopf in die frische, unkomplizierte 15-jährige Tochter des Herzogs in Bayern Elisabeth in Ischl verliebte, konnte er nicht ahnen, dass ihr gemeinsames zukünftiges Leben, das er sich – trotz seiner an und für sich nüchternen Art – rosig ausmalte, zu beiderseitigen jahrelangen Enttäuschungen führen sollte. Die Liebe hatte Franz Joseph wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen, sodass keine Macht der Welt ihn von seinem Entschluss abbringen konnte. Auch nicht seine Mutter, die in ihrer Menschenkenntnis, aber auch mit ihren fixen Vorstellungen von einer Kaiserin mit allen Mitteln versuchte, dem Sohn von seiner Wahl abzuraten. Nie zuvor hatte sich der junge Kaiser gegen die Pläne der »lieben Mama« gestellt, jetzt aber erklärte er der erstaunten Erzherzogin rundheraus, er werde Sisi und keine andere zur Frau nehmen.

Vielleicht hatte Franz Joseph damals in Ischl einen lebensentscheidenden Fehler begangen, indem er seine Mutter vor die vollendete Tatsache gestellt hatte. Er hätte sich vor Augen führen müssen, dass sie es gewesen war, die bisher alle Fäden im Hintergrund gezogen, die ihn von Kindesbeinen an zum Herrscher erzogen hatte und durch deren Verzicht er mit 18 Jahren zum Kaiser gekrönt worden war. Ihre Lebenserfahrung hätte er ins Kalkül ziehen müssen, aber die Liebe hatte ihn blind gemacht, sodass er jetzt in dieser wohl sehr persönlichen, aber auch dynastisch so wichtigen Frage die Bevormundung durch seine Mutter mit allem Nachdruck ablehnte und seinen Wunsch durchsetzte.

Dabei hatte er gewusst, dass Sisi in einem bunten, beinahe bohemienartigen Elternhaus aufgewachsen war, ganz anders als die Prinzessinnen, die er bisher gekannt hatte. Frei von Standesdünkel und Etikette hatte sie ihre Neigungen völlig frei entfalten können, sie kannte keine starren Regeln und keine auferlegten Zwänge.

Vielleicht hatte den Kaiser in Ischl gerade die frische herzliche Art Elisabeths so fasziniert, ihn, der nach den unbeugsamen Regeln des spanischen Hofzeremoniells erzogen worden war. Das romantische Abenteuer mit dem reizenden Mädchen sollte für ihn ein ganzes Leben andauern und er überlegte viel zu wenig, dass alles, was ihm im Salzkammergut so an Sisi gefallen hatte, eigentlich keinen richtigen Platz am reglementierten Wiener Kaiserhof hatte. Sisi war noch jung, und daher war Franz Joseph felsenfest davon überzeugt gewesen, dass sie die Regeln der Etikette, die für eine Kaiserin unerlässlich waren, in kurzer Zeit annehmen würde.

Für die junge Sisi begann das völlig andere Leben, das ihr nach kurzer Zeit unerträglich erscheinen sollte, schon am Hochzeitstag. Wahrscheinlich war sie bei dem hingehauchten »Ja«, das sie auf immer mit Franz Joseph verband, nicht sicher, ob sie diesem Mann wirklich fürs restliche Leben angehören wollte. Alles rundherum war für sie seit den Tagen von Ischl viel zu schnell gegangen, sie war gleichsam in einen Strudel geraten, aus dem es kein Entrinnen gab. Sie war weder geistig noch körperlich reif, um an der Seite des Kaisers von Österreich, einem der mächtigsten Männer der damaligen Zeit, als Ehefrau den Platz einzunehmen, den man von ihr forderte. Sie war ein kindliches, verspieltes Mädchen, als sie in Wien angekommen war, das sich von der Zukunft wenig Vorstellungen gemacht hatte. Durch ihr »Ja« in der Augustinerkirche war sie plötzlich zu einer Frau geworden, die in Rang und Stellung in Europa ihresgleichen suchte.

Es war zu viel für die kleine Sisi, was man ihr schon in den ersten Wochen und Monaten zugemutet hatte. Völlig unaufgeklärt war sie in die Ehe gegangen und hatte deshalb wahrscheinlich von allem Anfang an eine Abneigung gegen alles Sexuelle entwickelt, obwohl sich Franz Joseph seiner jungen Ehefrau gegenüber bewundernswert rücksichtsvoll verhielt. Er, der von so genannten »hygienischen Damen« schon längst in die Praktiken der Liebe eingeführt worden war, liebte seine junge Frau viel zu sehr, um sie in der ersten gemeinsamen Nacht schockieren zu wollen. Viel später, als über die seltsam unglückliche Ehe der beiden gesprochen und geschrieben wurde, gab man für so manches dem Kaiser die Schuld. Man warf ihm vor, sich nicht genügend hinter Sisi gestellt zu haben, aber alle Kritiker vergaßen und vergessen, dass Franz Joseph ein Leben lang Elisabeth gegenüber ein feinfühliger Mann gewesen sein muss, der sich selbst in der Hochzeitsnacht so beherrschen konnte.

Die Flitterwochen, die Sisi in dem düsteren Schloss Laxenburg verbrachte, waren alles andere als das, was sie sich in ihren Jungmädchenträumen ausgemalt hatte. So sehr Franz Joseph auch in seine kleine Frau verliebt war, konnte er sich doch nicht entschließen, diese erste und wichtige Zeit der Ehe in trauter Zweisamkeit mit ihr zu verbringen. Sein Pflichtbewusstsein verbot ihm dieses kurze private Glück, er ließ seine junge Frau den ganzen Tag über allein und lieferte sie dadurch der »lieben Mama« aus, die in Sisi nichts anderes als ein unfertiges, unreifes Kind sah, das erst zur Kaiserin erzogen werden musste. Erzherzogin Sophie erkannte dabei in ihrem Übereifer nicht, dass die Schwiegertochter, die zugleich ihre Nichte war, aus ganz anderem Holz geschnitzt war als ihr eigener Sohn. Das ungestüme Blut ihres Vaters rollte in ihren Adern und revoltierte schon sehr bald gegen alles und jedes, was die Schwiegermutter anordnete und befahl. Sisi hatte einen ausgeprägten Willen und den würde die »böse Frau«, wie sie die Mutter ihres Mannes bald heimlich nannte, nicht brechen!

Wenn es dann Abend wurde und Franz Joseph endlich nach Laxenburg zurückkehrte, konnte er sich die Stimmungen seiner jungen Frau kaum erklären. Freudestrahlend fiel sie ihm um den Hals, um im nächsten Augenblick in Tränen auszubrechen. Anfangs hielt sich Sisi mit Klagen über die Schwiegermutter ihm gegenüber noch zurück, aber je mehr Zeit ins Land zog, umso öfter beschwerte sie sich über die ständigen Nörgeleien der Erzherzogin. Wie sollte sich der Kaiser verhalten? Er liebte seine junge Frau zwar abgöttisch, aber er liebte auch von klein auf seine Mutter. Daher konnte er sich nicht vorstellen, dass die »liebe Mama« etwas unternahm, was Sisi so sehr in Rage bringen konnte. Und schließlich gab es gewisse Dinge, die zu den Aufgaben einer Kaiserin zählten und die erfüllt werden mussten. Warum sträubte sich Sisi immer wieder vehement, mit ihm im offenen Wagen durch Wien zu fahren und sich dem Volke zu zeigen? Selbst Franz Joseph konnte nicht verstehen, dass ihr das Angestarrt-, ja, das Zurschaugestelltwerden in tiefster Seele zuwider war. Der Kaiser war stolz auf seine bezaubernde Frau und jeder sollte sehen, wie schön die Kaiserin war.

Was für Franz Joseph eine Selbstverständlichkeit zu sein schien, wurde für Sisi zum Martyrium. Es musste nicht viel Zeit vergehen, bis sie instinktiv erkannte, dass sie für das Leben am Wiener Kaiserhof und für ihre Rolle als Kaiserin nicht geschaffen war. Als ihr aber die Augen aufgegangen waren, war es längst zu spät. Dabei liebte sie Franz Joseph in den ersten Ehejahren wahrscheinlich wirklich, wenngleich sie kaum sexuelle Gefühle für ihn empfand, da jedes normale Sexualleben immer wieder zu einer neuerlichen Schwangerschaft führte. Und dieser Zustand war für die figurbewusste Kaiserin ein Albtraum. Daher versuchte Sisi mit allen nur erdenklichen Mitteln dem körperlichen Kontakt mit ihrem Ehemann aus dem Wege zu gehen, nachdem endlich der Kronprinz im Jahr 1858 in der Wiege lag. Ihrer Meinung nach hatte sie durch die Geburt von Rudolf den Weiterbestand der Dynastie gesichert und fand keinen Grund mehr, weitere körperliche Beziehungen zu Franz Joseph zu suchen. Wie der Kaiser auf diese Weigerungen seiner geliebten Frau reagierte, ist nicht bekannt, aber er war Sisi gegenüber tolerant und erfüllte ihr jeden auch noch so extravaganten Wunsch.

Elisabeth und Franz Joseph führten in jeder nur erdenklichen Hinsicht ein völlig unterschiedliches Leben, sodass sich wahrscheinlich schon sehr bald eine Barriere zwischen ihnen aufbaute. Sie hatten weder Gemeinsamkeiten noch eigentliche Gesprächsthemen, selbst die Kinder waren nur ein loses Band zwischen ihnen. Franz Joseph war Kaiser mit Leib und Seele, er regierte im Stil eines Beamten die riesige Monarchie, streng nach einem teilweise von seiner Mutter ausgearbeiteten Konzept, ohne Visionen. Er fühlte sich als erster Diener seines Reiches, und das hieß für ihn: Arbeit am Schreibtisch von früh bis spät. Freizeit und Müßiggang hatten in seinem Tagesprogramm keinen Platz, auch nicht Stunden zu zweit, wie sie sich Elisabeth sehnlichst wünschte. Seine junge Frau dagegen hatte nichts zu tun und sie suchte sich auch keine Beschäftigung, sodass es höchstwahrscheinlich kaum interessante Themen in den wenigen Stunden, die beide gemeinsam verbrachten, gab. Erst als Elisabeth sich in die Krankheit flüchtete, als sie Wien verließ, gingen Franz Joseph die Augen auf. Doch da war es viel zu spät. Sie hatten sich längst auseinander gelebt.

Ein gemeinsames Leben führen konnten sie nicht mehr, das hieß aber nicht, dass sie sich nicht mehr liebten. Als Franz Joseph vor Ort im Kriegsgeschehen in Oberitalien war, schrieb ihm seine Frau die besorgtesten Briefe, voller Sehnsucht und Mitgefühl. Er war weit weg und in Gefahr. Schon hier zeigte sich, wie das Verhalten der beiden in Zukunft sein sollte. Sie liebten einander aufrichtig und innig, wenn sie getrennt waren. Kaum waren sie gemeinsam am Wiener Kaiserhof, tat sich zwischen ihnen eine unüberbrückbare Kluft auf.

Während ihres Genesungsaufenthalts auf der Atlantikinsel Madeira wurde Elisabeth bewusst, dass sie nie mehr für längere Zeit in Wien bleiben wollte. Sie vermisste nichts und niemanden, nicht einmal ihre beiden Kinder Gisela und Rudolf, am allerwenigsten ihren Ehemann. Madeira war gleichsam der Beginn eines neuen Lebens. Als sie gesund und noch schöner als je zuvor nach Wien zurückkehrte, da konnte Franz Joseph nicht ahnen, dass Sisi nur noch kurze Intermezzi in Wien geben würde, dass er die restlichen Jahre seines langen Lebens damit verbringen würde, seine Frau, die irgendwo in der Fremde weilte, herbeizusehnen. War man dann für einige Wochen wieder vereint, machte sich die übliche Kälte zwischen ihnen breit, die zu einer baldigen neuerlichen Abreise der Kaiserin führte.

Es war wahrscheinlich das schlechte Gewissen, das Elisabeth veranlasste für Franz Joseph eine Unterhalterin zu suchen. Und als Sisi bei einem gemeinsamen Theaterbesuch entdeckte, dass ihr Gemahl die junge Schauspielerin Katharina Schratt nicht aus den Augen ließ, stellte sie den Kontakt zwischen dem Kaiser und der Burgschauspielerin her. Sie lud die Schratt, die schon bald bei Hofe die Bezeichnung »gnädige Frau« erhalten sollte, ein, sodass es nicht ausbleiben konnte, dass man sich über diese seltsame Dreierbeziehung wunderte. Vor allem die Kinder lehnten die Begleiterin ihres Vaters auch nach dem tragischen Tod Elisabeths vehement ab.

Die Verbindung des Kaisers zu der Schauspielerin ist bis heute nicht ganz geklärt, es ist aber anzunehmen, dass es bei keiner platonischen Freundschaft geblieben ist, denn dies wäre bei einem leidenschaftlichen einsamen Mann auch kaum denkbar. Denn außer mit Katharina hatte der Kaiser nachweislich nicht nur eine langjährige Affäre mit einer gewissen Anna Nahowski, sondern auch zwei Kinder mit ihr.

Elisabeth wusste ihren Mann im Bett gut versorgt, nun konnte sie frank und frei und ohne allzu schlechtes Gewissen weiter auf Reisen gehen, nachdem im Jahr 1868 noch das »ungarische Kind« geboren worden war. Sie hatte nach dem Ausgleich mit Ungarn, zu dem sie wesentlich beigetragen hatte, und nach der Krönung in Budapest zur Königin von Ungarn die ehelichen Beziehungen zu ihrem Mann für kurze Zeit wieder aufgenommen. Das Resultat ließ nicht lange auf sich warten: Sisi erwartete ihr viertes Kind, von dem sie felsenfest glaubte, dass es wieder ein Sohn werden würde. Und dieser sollte in Budapest zur Welt kommen und nach dem ungarischen Nationalheiligen, dem heiligen Stefan, benannt werden. Ungarn sollte einen eigenen König bekommen!

Aus dem »König« wurde eine Erzherzogin, die zwar nicht das Herz der Ungarn eroberte, wohl aber das Herz der Mutter, die über der Liebe zu ihr ihre beiden anderen Kinder vergaß. Denn sie gab nach der Geburt von Marie Valerie allgemein bekannt, dass sie diese Tochter allein aufziehen wollte, ohne Einfluss der Großmutter. Marie Valerie war für sie »die Einzige«!

Die früh verstorbene Sophie, Gisela und Rudolf hatten niemals die Chance gehabt, der Mutter besonders nahe zu stehen, denn schon nach dem ersten Schrei in der Wiege hatte die Schwiegermutter rundheraus erklärt, dass Elisabeth viel zu jung wäre um Kinder zu erziehen – war sie doch in den Augen der Erzherzogin selber noch ein halbes Kind.

Ganz Unrecht hatte die Mutter des Kaisers wahrscheinlich nicht, wenn sie der blutjungen Sisi, deren Lieblingsspielobjekt ein Papagei war, die Aufgaben einer Mutter nicht zutraute. Was Erzherzogin Sophie allerdings bei ihren dynastischen und politischen Überlegungen nicht bedachte, war die Tatsache, dass ihre verspielte Schwiegertochter in ihre Rolle als Mutter sicherlich hineingewachsen wäre, hätte sie dazu die Möglichkeit gehabt. Vielleicht hätte sie ihren Sohn Rudolf nicht zum Herrscher erzogen, aber für diese Aufgabe wären sicherlich andere Instruktoren vorhanden gewesen. So aber war Sisi nur zur »Kinderlieferantin« verdammt – sie war mit 20 Jahren Mutter dreier Kinder – der man die Töchter und den Sohn gleich nach der Geburt wegnahm, um sie nach den Vorstellungen von Erzherzogin Sophie gemäß den Regeln des spanischen Hofzeremoniells zu erziehen.

Diese Maßnahmen führten nicht nur dazu, dass Elisabeth noch mehr Groll gegen die Schwiegermutter entwickelte, sie verschlechterten auch das Verhältnis der Eheleute zueinander. Denn beide waren in den Zimmern der Kinder täglich höchstens eine Stunde zu Gast. Eine innige Beziehung zwischen Eltern und Kindern konnte sich so nicht entwickeln, noch dazu wurden die Besuche der Eltern sehr formell gehalten, Vater und Mutter wurden wie fremde Gäste vorgestellt. Vielleicht war dies auch der Grund, warum Sisi so vehement darauf bestand, die beiden Töchter Sophie und Gisela auf eine Reise nach Ungarn mitzunehmen, wogegen sich die Schwiegermutter ausgesprochen hatte. Das Schicksal wollte es, dass sich die beiden Kinder eine Darminfektion zuzogen. Und während die robustere Gisela die Krankheit gut überstand, starb ihre um ein Jahr ältere Schwester.

Der Tod des Kindes, den sie – wie Sisi glaubte – verschuldet hatte, war für die junge Mutter eine Katastrophe. Sie zog sich vollständig von der Welt zurück und fand keine Fassung in ihrer Trauer. Der Widerstand gegenüber der Schwiegermutter in Sachen Erziehung schien nun gänzlich gebrochen, Gisela verblieb weiterhin unter der Obhut der Großeltern, vor allem natürlich unter der der Erzherzogin.

Als am 20. August 1858 endlich der erhoffte und ersehnte Kronprinz in der Wiege lag, war die junge Mutter von der langen und unendlich schmerzhaften Geburt so erschöpft, dass sie nicht in der Lage war, irgendwelche Wünsche oder Anordnungen auszusprechen. Denn jetzt erst recht war die Mutter des Kaisers auf den Plan gerufen, das Kind unter ihre Fittiche zu nehmen. Immerhin war Rudolf der Kronprinz und der sollte nach allen herkömmlichen Regeln und Vorschriften erzogen werden. Auf ihm ruhte die Hoffnung der Monarchie!

Beide Kinder, Gisela und Rudolf, kamen in eine Kindskammer in unmittelbarer Nähe der Erzherzogin, sodass sie jeden Schritt ihrer Erziehung überwachen konnte. Dabei darf man allerdings eines nicht vergessen: Die Erzherzogin war eine liebevolle Großmutter, die es verstand, den Kindern eine familiäre Atmosphäre zu bieten. Auch die Ajas und Ajos, die unmittelbaren Betreuer der Kinder, waren herzliche engagierte Menschen, sodass die Geschwister in ihrer frühen Kinderzeit die Mutter wahrscheinlich nicht allzu sehr vermissten. In den ersten Jahren verbrachten Gisela und Rudolf viel Zeit miteinander, in der sie ungestört spielen konnten, was zwischen den Geschwistern ein enges Band flocht, das ein Leben lang erhalten bleiben sollte.

Es war wohl der größte Fehler ihres Lebens, den Erzherzogin Sophie im Einverständnis mit ihrem Sohn beging, als sie Rudolf schon mit drei Jahren von seiner Schwester trennte und für ihn einen absolut ungeeigneten Erzieher in dem sadistischen Grafen Gondrecourt engagierte. Denn er ruinierte den sensiblen Rudolf sowohl physisch als auch psychisch mit seinen soldatischen, brutalen und unmenschlichen Methoden. Als Elisabeth endlich bei einem gemeinsamen Aufenthalt mit ihrem Sohn in Ischl erkannt hatte, was Gondrecourt aus Rudolf gemacht hatte, und beim Kaiser vorstellig wurde, war der Schaden, den das Kind erlitten hatte, schon fast irreparabel. In den Jahren, in denen Rudolf von Gondrecourt gequält worden war, war der Grundstein für seinen späteren Lebensweg gelegt worden, der mit nur 30 Jahren in Mayerling in einer Tragödie enden sollte.

Vieles, was der Kronprinz zu erdulden hatte, angefangen von dem sadistischen Erziehungsstil Gondrecourts bis hin zu dem riesigen Lernprogramm, das der neue Erzieher Latour aufgestellt hatte und das ihm kaum Freizeit ließ, von der Einsamkeit als Jugendlicher und die allzu zeitige Verheiratung seiner geliebten Schwester Gisela, trug systematisch zum Abstieg des hoch intelligenten Menschen bei.

Es war für Rudolf geradezu ein Schock gewesen, als er eines Tages erfuhr, dass Gisela auf Veranlassung seiner Eltern mit ihren 16 Jahren den bayerischen Herzog Leopold heiraten sollte. Bis heute erscheint es unerklärlich, warum ausgerechnet Elisabeth, die sich stets über die Ehe negativ geäußert hatte, ihre Tochter, die ihren Bräutigam kaum kannte, so bald unter die Haube zu bringen suchte. Sie hätte sich und Gisela Zeit lassen können, denn die Tochter des österreichischen Kaisers fand immer einen Bräutigam, auch wenn Gisela nicht die Schönheit ihrer Mutter geerbt hatte. Aber in gewisser Weise war sie doch ein anziehendes junges Mädchen.

Der Abschied der Geschwister voneinander gestaltete sich schmerzlich. Wesentlich weniger betrübt schien die eigene Mutter zu sein, die zu ihrer Tochter herzlich wenig Beziehung hatte, genauso wie zu dem heranwachsenden Sohn, der seine schöne Mama auf Schritt und Tritt vermisste. Aber alles, was Elisabeth mit den Kindern verband, waren Briefe aus vielen Teilen der Monarchie, auf die Gisela und Rudolf voller Sehnsucht manchmal wochenlang warten mussten. Dabei bemerkten sie nach der Geburt ihrer Schwester Marie Valerie, dass es durchaus möglich war, in der Nähe und unter der Obhut der Mutter sein zu können, da die kleine Schwester nicht nur um die geliebte Mama sein durfte, sondern von ihr geradezu in Beschlag genommen wurde. Es zeugte von Giselas großmütiger Einstellung, dass sie in keiner Weise irgendwelche Ressentiments Marie Valerie gegenüber erkennen ließ. Anders allerdings verlief die Beziehung Rudolfs zu seiner jüngeren Schwester. Mit offensichtlicher Sorge beobachtete die Kaiserin, dass der Kronprinz ihrer »Einzigen« gegenüber sich nicht nur unfreundlich verhielt, sondern seine Abneigung ihr gegenüber geradezu öffentlich kund tat. Was würde einmal sein, wenn er als Kaiser an der Macht war? Würde sie einmal beruhigt die Augen schließen können, ohne fürchten zu müssen, dass Rudolf Marie Valerie die fehlende Mutterliebe vergelten ließ? Sie persönlich war ja auch nicht zimperlich, wenn es galt, selbst ihre Kinder oder deren Ehepartner zu verhöhnen!

Denn in ihren Gedichten, die zu dieser Zeit zwar nicht allgemein bekannt waren, verglich sie Gisela und deren erste Tochter, die sie aus der Taufe gehoben hatte, mit keinem ansehnlicheren Tier als mit einem Schwein!

Eigentlich hatte Gisela froh sein können, in München eine neue Heimat gefunden zu haben, denn ihr Leben gestaltete sich hier ganz der bayerischen umgänglichen Mentalität entsprechend. In kurzer Zeit war sie in der Stadt beliebt, sie führte an der Seite ihres Mannes, der in späteren Jahren zu militärischen Ehren kommen sollte, das mildtätige Leben einer Frau aus erstem Hause, erzog ihre Kinder zu brauchbaren Menschen und überstand auch die Schrecken des Ersten Weltkriegs und der anschließenden Räterepulik, deren radikale Vertreter für jeden Adeligen zu einer tödlichen Gefahr werden konnten, ohne Schaden. Sie hatte sich während des Kriegs zur Pflege von Verwundeten bereit erklärt und auf diese Weise allgemein große Sympathie gewonnen. Die Münchner, aber auch die Menschen rund um die bayerische Hauptstadt wussten, dass die ehemalige Kaisertochter aus Wien eine der ihren geworden war. Und so beschützte man sie auch in den Nachkriegswirren.

Für Gisela war es schon bald nach ihrer Eheschließung zur lieben Gewohnheit geworden, die Großeltern in Possenhofen zu besuchen, vor allem, wenn sich auch andere Familienmitglieder hier eingefunden hatten. So wie die Geschwister Elisabeths ein Leben lang eng miteinander verbunden waren, so pflegte es auch die zweite Generation. Mittelpunkt der Familienzusammenkünfte war und blieb das Land rund um den Starnberger See.

Die Kaiserin besuchte ihre Tochter in München selten, viel öfter hingegen machte Marie Valerie im Palais Leopold Station, sie hatte von klein auf eine innige Beziehung zu der großen Schwester. Auch Rudolf meldete sich, wann immer er konnte, als Gast an, denn in Giselas Nähe konnte er uneingeschränkt glücklich sein. Ob er allerdings die Schwester in seine Ehepläne eingeweiht hatte, ist nicht bekannt. Vielleicht hätte ihm Gisela abgeraten, die junge, wenig attraktive belgische Prinzessin zu heiraten, die er ins Auge gefasst hatte, nachdem er sich an den europäischen Höfen nach einer geeigneten Braut umgesehen hatte. Irgendeinen Makel hatte jede gehabt, und so blieb letztlich nur Stephanie von Belgien übrig, die er zum Altar führen konnte.

Rudolf war durch die intensive Ausbildung, die er auf den verschiedensten Gebieten genossen hatte, zu einem umfassend versierten jungen Mann geworden, dessen Hauptinteresse der Ornithologie, der Vogelkunde, galt. Er hatte selber Schriften zu diesem Thema verfasst und galt in der Fachwelt als Experte, dem die Universität Budapest das Ehrendoktorat verlieh, eine Auszeichnung, die eine besondere Bedeutung für ihn hatte, da ihm sein eigener Vater seinen sehnlichsten Wunsch verwehrt hatte, ein Studium an der Universität zu absolvieren.

Der Kronprinz hätte das Zeug nicht nur zu einem Wissenschaftler gehabt, sondern vor allem zu einem Politiker, der den Ausgleich zwischen den Völkern im Auge gehabt hatte. Seine Tragik bestand im Unverständnis seines Vaters ihm gegenüber. Franz Joseph akzeptierte den hoch intelligenten Sohn nicht so, wie er war, für ihn war Rudolf ein »Krepiererl« gewesen, ein Schwächling, ein Plauscher, dem er nicht zuhören wollte. Er dachte nicht daran, den Sohn irgendwie in die Staatsgeschäfte einzubinden, ihn mit politischen Aufgaben zu betrauen. Das Missverhältnis zwischen Vater und Sohn war schließlich so weit fortgeschritten, dass Franz Joseph den eigenen Sohn beschatten ließ – aus Vorsicht, wie dies der Kaiser formulierte. Wovor er ihn schützen wollte, gab Franz Joseph aber nicht bekannt.

Rudolf war politisch chancenlos und nach seiner Heirat mit Stephanie von Belgien auch im privaten Bereich zum Scheitern verurteilt. Die Ehe mit der unscheinbaren Belgierin war zwar vom Kaiserhof gebilligt worden, aber Stephanie selbst wurde weder von der Familie akzeptiert noch von den Hofschranzen. Einzig und allein Franz Joseph verhielt sich der Schwiegertochter gegenüber korrekt, während Elisabeth schon bei einem Kurzbesuch in Brüssel zu erkennen gegeben hatte, wie hässlich sie Stephanie fand. Als sie aus England kommend rank und schlank und jugendlich frisch dem Zug entstieg, brauste Beifall auf, die Belgier akklamierten die Schönheit der Kaiserin, während Stephanie wie ein plumpes hässliches Entlein an der Seite ihres Zukünftigen stand, der sich zur Unterhaltung in den langen belgischen Nächten vorsichtshalber eine rassige Tänzerin mitgenommen hatte. Schadenfroh hatte man die Braut bei der Hochzeit beäugt, denn die diversen Damen, denen Rudolf seine Gunst bisher geschenkt hatte, konnten sich ausrechnen, dass der wählerische Kronprinz nicht allzu lange im Bett seiner Frau verweilen würde.

Man hatte sich zwar etwas getäuscht in dieser Ehe. Nach vorhersehbaren Anfangsschwierigkeiten fanden die jungen Eheleute rasch zueinander, sodass sie eine kurze glückliche Zeit verlebten. Dann aber beging die junge Frau einen entscheidenden Fehler: Sie begann an den Freunden ihres Mannes und an seinen Aktivitäten herumzunörgeln und bedachte dabei nicht, dass sie ihn durch ihre ständigen Vorwürfe aus dem Haus treiben würde. Wie man es schon lange erwartet hatte, nahm Rudolf seinen bisherigen Lebenswandel wieder auf, der ihn in die Arme von zum Teil dubiosen Frauen trieb. Bei einer Zigeunerin holte er sich eine Geschlechtskrankheit, mit der er auch Stephanie ansteckte, sodass sie keine Kinder mehr bekommen konnte. Die kleine Erszi, wie man die Tochter des Kronprinzen, Elisabeth, nannte, sollte das einzige Kind des Thronfolgers bleiben.

Die betrübliche Tatsache, dass Stephanie keinem Sohn mehr das Leben schenken konnte, schob man nicht Rudolf in die Schuhe, sondern der ungeliebten Frau an seiner Seite. Sie hatte ihre Rolle nicht erfüllt, sie war überflüssig geworden. Aber auch Rudolf hatte seine Karten fast verspielt. In der Familie fand er keinen Halt mehr: Sein Vater war für ihn zur Unperson geworden, seine Mutter, die er nach wie vor abgöttisch verehrte und liebte, zeigte kein Interesse an ihm und seinem Leben, seiner jüngeren Schwester begegnete er mit offen gezeigter Eifersucht und zu seiner Ehefrau waren längst alle Brücken abgebrochen. Einzig und allein seine Schwester Gisela wäre in der Lage gewesen, helfend in sein Leben einzugreifen. Aber die war viel zu weit weg!

Und dennoch versuchte Rudolf ein letztes Mal sein Leben, das für ihn längst jeglichen Sinn verloren hatte, noch einmal umzukrempeln, als er sich dazu entschloss, seinen Vater zu bitten, beim Papst für ihn vorstellig zu werden, um die Scheidung seiner Ehe zu erreichen. Aber Rudolf hätte die Reaktion seines Vaters vorhersehen können: Der Kaiser wies ihm – empört über dieses für einen katholischen Herrscher unvorstellbare Ansinnen – gleichsam die Tür. Damit begann das letzte Kapitel im unglücklichen Leben seines einzigen Sohnes. Schon vorher hatte Rudolf – von Alkohol, Nikotin und Morphium gezeichnet – den Plan gehabt, seinem Leben, das ihm zur Last geworden war, ein Ende zu setzen. Aber seine langjährige Mätresse und Vertraute Mizzi Caspar, mit der er zusammen sterben wollte, hatte ihn nur rundweg ausgelacht, war aber vorsichtshalber zum Polizeipräsidenten von Wien gegangen, um ihn über das Vorhaben des Thronfolgers zu informieren. Baron Krauss jedoch tat die Sache mit einer Handbewegung als dubiose Geschichte ab, da die Informantin für ihn nicht integer schien.

Das Schicksal des einzigen Sohnes von Franz Joseph und Elisabeth nahm seinen Lauf.

Keinem am Kaiserhof außer Stephanie war der körperliche und seelische Zusammenbruch Rudolfs aufgefallen. Rudolf war mit seinen 30 Jahren auf Grund seiner Krankheit tagaus, tagein von Schmerzen geplagt, die er mit diversen Drogen zu betäuben versuchte. Dazu kamen schwere psychische Probleme, von denen weder sein Vater noch seine Mutter Notiz nahmen. Der Sohn interessierte den Kaiser herzlich wenig und Elisabeth war mit den Verlobungsplänen ihrer »Einzigen« beschäftigt. Ihre größte Sorge für die Zukunft war, dass Rudolf einmal als Kaiser Marie Valerie und ihren Auserwählten Franz Salvator gut behandeln würde, da sie sich der Tatsache bewusst war, dass sie durch die Bevorzugung dieser Tochter die Beziehung zwischen den Geschwistern von Anfang an vergiftet hatte. Obwohl sich Rudolf beim letzten gemeinsamen Weihnachtsfest 1888 eher seltsam und auffällig benahm – er war auf ein paar schöne Worte seiner Mutter ihm gegenüber ihr spontan um den Hals gefallen –, löste das bei ihr nicht die Alarmglocken aus. Lediglich Stephanie betrachtete ihn mit Sorge und teilte diese auch dem Kaiser mit. Mit Elisabeth war ohnedies nicht zu reden, für sie waren Familienangelegenheiten nach wie vor nur lästige Verpflichtungen, die sie übersah oder erst gar nicht wahrnahm. Sie hatte sich im Laufe der Jahre immer mehr in ihr Schneckenhaus zurückgezogen, in das nur die geliebte »Einzige« Zutritt hatte. Ihre beiden anderen Kinder existierten für sie nur mehr am Rande. Vor allem Rudolf konnte in ihren Augen keine Gnade finden, wobei sie nicht erkannte, dass gerade der Sohn charakterlich größte Ähnlichkeiten mit ihr aufwies. Von seinem Vater hatte er höchstens die Statur, sonst aber war er in jeder Hinsicht ein Wittelsbacher, der versuchte, dem starren Reglement des Wiener Kaiserhofes zu entkommen. Er verachtete die Hofschranzen, die in jahrhundertealter Manier alles nachbeteten, was ihnen der Kaiser von seinem Schreibtisch aus vorgab. Schon längst hatte er erkannt, dass sein Vater alles Neue, Zukunftsträchtige von Grund auf ablehnte. Elisabeth und er waren sich darin einig, obwohl sie wahrscheinlich nie darüber ein Gespräch geführt hatten, dass der Einfluss der katholischen Kirche in Österreich-Ungarn, der von der Kaisermutter in jeder Hinsicht gefestigt worden war, sich verhängnisvoll auswirkte. Mutter und Sohn waren Freigeister, für die es kein starres Korsett in Glaubensfragen gab. Und damit gerieten sie in Opposition zu allem, was bisher in Österreich hoch und vor allem heilig gewesen war.

Was Elisabeth betraf, war Franz Joseph tolerant und vielleicht durch seine immer währende Liebe zu seiner Frau auch blind, seinem Sohn gegenüber aber kannte er keine Gnade. Seine Töchter liebte der Kaiser, sie durften ihn auch mit dem vertraulichen »Du« ansprechen, während Rudolf ein Leben lang das förmliche »Sie«, das in der damaligen Zeit durchaus in den Familien üblich war, benutzen musste. Menschlichkeit zeigte Franz Joseph erst im Alter, vor allem seinen Enkelkindern gegenüber. Der Tochter seines Sohnes, die schon sehr früh Halbwaise geworden war, war er ein liebevoller Großvater, der über so manche Eigenschaft und Eigenwilligkeit des jungen Mädchens hinwegsah.

Elisabeth hingegen betrachtete die Enkelkinder eher als Mahnung an das Alter. Sie war erst 36 gewesen, als ihre Tochter Gisela ihre erste Tochter Elisabeth zur Welt gebracht hatte. Dass sie in so jungen Jahren schon zur Großmutter gemacht worden war, sie, die in dieser Zeit noch immer eine strahlende Schönheit war, konnte sie ihrer Tochter nie verzeihen. Dabei arbeitete sie selber systematisch mit ihren unsinnigen Fastenkuren und Gewaltanstrengungen in den nächsten Jahren daran, ihr Aussehen zu zerstören. Aus der »schönsten Frau der Welt« wurde schon mit 50 Jahren eine alte Frau, die wohl gertenschlank durch die Lande zog, die aber, da sie selber wahrscheinlich am allerwenigsten ihr Gesicht sehen wollte, hinter einem Fächer oder Regenschirm ihr welkes, faltiges Antlitz verbarg.

Für die Kaiserin gab es in den mittleren und späteren Jahren ihres Lebens nur zwei Dinge auf der Welt, die sie interessierten: das Wohl und Weh ihrer jüngsten Tochter Marie Valerie und das Reisen. Dabei wären ihre Aufgaben als Kaiserin vielfältig gewesen, sie hätte es in der Hand gehabt, allein durch ihre Anwesenheit und ihre Faszination Konflikte, die sich auf politischer Ebene ergaben, im Keim zu ersticken. In Ungarn hatte sie seinerzeit das beste Beispiel geliefert. Daher ist es anzunehmen, dass auch andere Völker der Monarchie ihr zu Füßen gelegen wären, hätte sie nur versucht, sie in ihren Bann zu schlagen. Mit nur einem Funken Interesse für die Anliegen rund um sie herum wäre sie ein politischer Schatz an der Seite ihres Mannes gewesen. Aber sie lebte nur für sich selber. Anstatt repräsentative Aufgaben zu übernehmen, zog sie sich lieber in ihr geliebtes Schloss Gödöllö in der Nähe von Budapest zurück, um amazonenhaft durch Wald und Flur zu reiten, oder nach Possenhofen, wo sich die bayerische Familie regelmäßig ein Stelldichein gab. Das Reiten war zu ihrer Passion geworden, die sie in England und Frankreich auslebte, ohne in diesen Ländern politisch positiv etwas zu bewirken. Im Gegenteil: Sie brüskierte die englische Königin zutiefst, da sie Viktoria alt und matronenhaft hässlich fand. Und dicke Menschen konnte die figurbewusste Kaiserin nun einmal nicht ausstehen. Elisabeth machte aus ihrem Herzen Königin Viktoria gegenüber keine Mördergrube und zeigte ihr offen ihre Ablehnung. Die Spannungen verstärkten sich noch dadurch, dass Königin Viktoria ihrerseits Rudolf auf Grund seines Charmes und seiner diplomatischen Begabung als Gegenteil seiner Mutter hervorhob. Die Königin von Großbritannien hatte in den wenigen Begegnungen mit Rudolf dessen Fähigkeiten erkannt, an denen die eigenen Eltern nicht interessiert waren. England wäre für einen Kaiser Rudolf ein wichtiger Bündnispartner gewesen, nicht wie für seine Mutter ein ideales Terrain, um dem Reitsport zu frönen.

So wie in England lehnte Elisabeth jede politische Mission auch in Frankreich ab, sie war, wenn sie in dieses Land kam, ausschließlich Privatperson, die unbehelligt sein wollte. Daher reiste sie auch meist unter dem Namen einer Gräfin von Hohenems, wobei auch Marie Valerie diesen Familiennamen trug, wenn sie die Mutter begleitete.

Die jüngste Kaisertochter, die von Sisi nicht nur in übertriebener Weise geliebt und verzärtelt wurde, fühlte sich manchmal wie in einem goldenen Käfig. Sie konnte keinen Schritt tun, ohne dass die Mutter voll Sorge auf sie blickte, jede ihrer Unpässlichkeiten rief in Elisabeth beinahe Panik hervor. Sisi spielte ihre Mutterrolle ohne Maß und Ziel. Sie bestimmte das Leben der Tochter in allen Einzelheiten, kümmerte sich um Spielgefährten und suchte die Freunde aus.

Erst als erwachsene Frau konnte sich Marie Valerie von den Fesseln der Mutter lösen und lehnte vieles, was Sisi gutgeheißen hatte, vehement ab. So vermied sie, wo es nur ging, Ungarisch zu sprechen, da ihr diese Sprache von Elisabeth geradezu aufgezwungen worden war. Die Mutter wollte, dass die in Budapest geborene Tochter, das »ungarische Kind«, eine besondere Beziehung zu dem von ihr so geliebten Land haben sollte. Aber Marie Valeries Vorliebe galt Deutschland und dem Deutschtum, sehr zum Leidwesen ihrer Mutter und ihres Bruders, die beide Bismarck und seine Politik, vor allem aber Kaiser Wilhelm II. grundsätzlich ablehnten.

Obwohl sich Marie Valerie schon bald zu einem eigenständig denkenden Menschen entwickelte hatte, verstand sie es, mit den Ansichten der Mutter nicht in Konflikt zu kommen. Sie wusste, dass Elisabeth sie mehr liebte als ihren eigenen Ehemann, sie spürte schon als sensibles Kind, wie einsam der Vater in Wien lebte. Viele Stellen in ihrem Tagebuch bringen ihre Gefühle ihrem »geliebten Papa« gegenüber zum Ausdruck, verbergen manchmal nicht Kritik am Verhalten der Mutter, werden aber niemals verletzend. Denn Marie Valerie wurde immer wieder von schlechtem Gewissen befallen, dass sie die Liebe, die ihr die Mutter entgegenbrachte, nicht zurückgeben konnte. Aber sie liebte beide Elternteile, vielleicht den Vater etwas mehr. In ihren oft überzogenen Gedanken fürchtete sich Elisabeth schon jahrelang vor dem Augenblick, in dem sie die geliebte Tochter an einen Ehemann verlieren würde. Sie hatte der Tochter schon früh erklärt, dass sie jeden heiraten konnte, auch wenn sein Stammbaum keineswegs zu dem der Habsburger passen sollte. Als die Wahl Valeries dann auf Franz Salvator von Toscana gefallen war, wurde zwar festgestellt, dass dieser nicht absolut standesgemäß in seiner Ahnengalerie war, aber weder der Vater noch die Mutter machten der Tochter Schwierigkeiten. Anders allerdings wurde diese Heiratsangelegenheit von Rudolf gesehen. Er fand Franz Salvator inakzeptabel, wobei er dies Marie Valerie gegenüber nicht nur zum Ausdruck brachte, sondern auch den zukünftigen Schwager herablassend zynisch behandelte. Was sowohl die Schwester, die das Verhalten ihres Bruders als beleidigend empfand, als auch die Mutter in ihrer Sorge um das zukünftige Glück ihrer » Einzigen« nicht wissen konnten, war, dass die Stunden im Leben Rudolfs ohnedies gezählt waren.

Die Nacht von Mayerling warf ihre Schatten voraus. Sein Testament hatte der Kronprinz schon lange gemacht, die Abschiedsbriefe waren geschrieben, wobei man später vergeblich einen an seinen Vater suchte.

Rudolf schied nicht allein aus dem Leben, das ihm zur Last geworden war. Ein voll erblühter, überreifer Backfisch hatte sich ihm an den Hals geworfen und war in seiner Hysterie zu jedem Opfer bereit. Als der Kammerdiener Loschek am Morgen des 30. Januar 1889 die Tür zu Rudolfs Schlafzimmer in Mayerling aufsprengte, fand er die Leichen von Mary Vetsera und dem österreichischen Kronprinzen. Rudolf war mit seinen 30 Jahren physisch und psychisch am Ende gewesen.

Der Tod des einzigen Sohnes und Thronerben bedeutete für Franz Joseph in jeder Hinsicht eine Tragödie. Aber so wie er es ein Leben lang gewohnt war, behielt er die Contenance, auch als er dem Sarg, in dem Rudolf zur letzten Ruhe gebettet worden war, in die Kapuzinergruft folgte. Sisi war nicht in der Lage gewesen, diesen schweren Weg zu gehen, sie zerfleischte sich mit Selbstvorwürfen und trug – ganz Mater dolorosa – ab diesem Zeitpunkt nur noch Schwarz.

Die Einzige, die wahrscheinlich wirklich um Rudolf in tiefster Seele trauerte, war Rudolfs Schwester Gisela in München. Für sie war der Tod des geliebten Bruders unfassbar. Ihre enge Beziehung zueinander war auch nach ihrer Verheiratung nicht abgerissen. Aber München war zu weit weg gewesen, als dass sie Rudolf hätte helfen können aus seinen Depressionen herauszukommen. Als in der bayerischen Hauptstadt die Nachricht vom Tod des österreichischen Kronprinzen eingetroffen war, notierte Prinz Leopold: »Es war schwer, die Fassung zu behalten und meine Gattin nicht zu unvermittelt die traurige Wahrheit erraten zu lassen. Sie erstarrte fast vor Kummer, schaffte es aber doch, abends mit ihrem Mann nach Wien zu reisen. Am Morgen des 31. erwartete der Kaiser seine Tochter am Bahnhof. Es war ein erschütterndes Wiedersehen. Hier erst erfuhren wir die Art des Todes meines lieben Schwagers.«

Obwohl Gisela auch in München Kontakt mit dem geliebten Bruder, dem Spielgefährten ihrer Kindheit, gehabt hatte, war sie doch von ihrer eigenen Familie so in Anspruch genommen, dass sie die Zeichen von Rudolfs Verfall nicht hatte wahrnehmen können. Sie hatte im Laufe der Zeit vier Kinder zur Welt gebracht und wenn auch ihr Leben nicht gerade strapaziös und aufregend war, so kümmerte sie sich als pflichtbewusste Gattin mit großer Sorgfalt um die Belange ihres Haushaltes, nahm Repräsentationspflichten wahr und wurde durch ihre Mildtätigkeit in München sehr populär. Ihre um zwölf Jahre jüngere Schwester Marie Valerie schrieb über sie am 21. September 1885 in ihr Tagebuch: »Tête a tête mit Gisela, so grundverschieden in Geschmack, Anschauungen, Empfindungen, und doch ist jetzt hier eine große Gemütlichkeit, und doch ist sie fast in allem mein Ideal von einer Frau und Mutter. Aber sie tut alles so instinktmäßig und aus Pflichtgefühl, ohne Begeisterung, ja, ohne Bewusstsein, dass sie es tut.«