Skizzen eines Sommerrausches - Emil N. Mauritz - E-Book

Skizzen eines Sommerrausches E-Book

Emil N. Mauritz

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Beschreibung

Die Geschichte eines Paares, welches sich am Arbeitsplatz kennenlernt, beide anfangs fünfzig, beide verheiratet und mit Familie zuhause. Zum Zeitpunkt des Kennenlernens deutet nichts auf eine spätere Affäre hin, es bleibt lange Zeit eine rein berufliche, flüchtige Freundschaft, ohne jegliches Interesse sich gegenseitig näher kennenzulernen. Erst mit der Pandemie beginnt sich das zu ändern. Während er bereit ist etwas Neues anzufangen und kein Risiko zu scheuen bleibt sie verhalten und versucht sich gegen die aufkommenden Gefühle zu wehren. Erst nach einer langen Zeit des Werbens erliegt sie schließlich seinem Charme und lässt sich fallen und von ihren Gefühlen treiben. Beide stürzen sich in eine heftige, intensive Liebesaffäre, die schlussendlich aber doch zum Scheitern verurteilt ist.

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Seitenzahl: 558

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-7116-0018-9

ISBN e-book: 978-3-7116-0019-6

Lektorat: Klaus Buschmann

Umschlag- & Innenabbildungen: Emil N. Mauritz

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Widmung

Für P., von welcher diese Geschichte erzählt

Und für meine Familie, die dies alles erduldet, und mich doch nicht fallen gelassen hat

Einleitung

Die nachfolgende Erzählung beruht auf Ereignissen, welche mich derart berührten, dass ich beschloss, mein erstes Buch in Angriff zu nehmen, um so diese unglaubliche Zeit der Schmetterlinge auf ewig in meiner Erinnerung zu bewahren.

Das Buch ist nicht für ein öffentliches Publikum gedacht, vielmehr ist es für P. und mich selbst geschrieben worden:

„Für mich, damit ich sie niemals vergesse,

und für P., damit sie sich immer daran erinnere!“

Vorgeschichte

Als ich P. das erste Mal sah, begegnete ich einer unscheinbaren, zurückhaltenden Mittvierzigerin, ohne jegliche Anziehungskraft und Ausstrahlung, eher zurückgezogen als auffallend, ernst blickend, mit seltenem Lächeln um die Mundwinkel und langen schwarzen Haaren, im Pony geschnitten, die alle vier Wochen frisch gefärbt wurden, um die grauen Strähnen zu unterdrücken.

Gekleidet üblicherweise in enganliegenden Blue Jeans, die ihre attraktive Figur bewusst betonten, einem dazu passenden Hemd oder Shirt sowie einem nie fehlenden – meines Erachtens jedoch eher überflüssigen – Seidenschal, der täglich wechselte, und trotzdem immer auf dieselbe Art und Weise um ihren Hals gewickelt war. Im Winter trug P. dazu regelmäßig lange, dunkle, abgetragene Lederstiefel, kniehoch, im Sommer hingegen Sandalen oder – etwas seltener jedoch – offene Schuhe mit Absatz oder Sportschuhe.

Niemals hätte ich damals gedacht, dass diese unauffällige und eher farblose Frau Jahre später meine Gefühlswelt so komplett auf den Kopf stellen und mein – auch bis zu diesem Zeitpunkt alles andere als langweilige – Leben in ein Davor und Danach unterteilen würde.

Ich arbeitete zu dieser Zeit als Vertriebsleiter in einem Schweizer Industriekonzern, der sich auf spezielle Nischenmärkte im Sensorik- und Kommunikationsbereich spezialisiert hatte, und dadurch, da in den adressierten Segmenten weltweit führend, Kunden aus allen Regionen der Welt belieferte. Ich wurde von einem ehemaligen Arbeitskollegen dahin zurückgeholt, kurz nachdem er dort die Leitung des Bereiches übernommen hatte. Die Arbeit bescherte mir eine intensive Reisetätigkeit, so wie ich sie mir seit meinen jungen Jahren gewünscht und danach schätzten gelernt hatte, was jedoch nach sich zog, dass ich eher selten im Büro, sondern oft unterwegs war. Überzeugt hatte mich nicht nur die Vielfältigkeit und Verantwortung des Jobs als Vertriebsleiter, sondern auch die Gelegenheit in der Geschäftsleitung Einsitz zu nehmen und aktiv die Geschicke der Business Unit steuern zu können. Und so kündigte ich beim damaligen Arbeitgeber und trat meine neue Aufgabe im Februar des Jahres 2016 an.

P. stieß nur wenige Monate nach mir zur Firma, vermittelt durch eine Headhunter-Agentur für höhere Kaderangestellte, und sollte die Leitung des Innendienstes übernehmen. Ihre ruhige Art und seriöse Ausstrahlung sowie ihre breiten Kenntnisse im Einführen neuer IT-Plattformen qualifizierten sie hervorragend für diese Herausforderung, die Fähigkeit zur Leitung eines Teams hatte sie schon in ihren früheren Tätigkeiten bewiesen. Ihr Beitritt zur Geschäftsleitung war anfangs nicht vorgesehen, wurde P. aber ein Jahr nach ihrem Dazustoßen aufgrund der erreichten Resultate, welche sie in dieser Zeit vorweisen konnte, berechtigterweise angeboten.

Mit ihrem Beitritt waren wir nun zu fünft, welche die Division leiteten. P. war jedoch das einzige weibliche Mitglied, und dies in einer Firma, in welcher Frauen bis dahin nur in einfachen Positionen in der Sensorkonfektion und in der Endprüfung anzutreffen waren. Meine Wahrnehmung von P. hatte sich dadurch zwar nicht sonderlich verändert, aber es hatte zur Folge, dass ich ihr von da an öfters begegnete, und vor allem, dass ich nun vermehrt mit ihr direkt zu tun hatte als noch in den Tagen zuvor. Ich lernte sie jetzt als Kollegin schätzen, unterhielt mich mit ihr regelmäßig morgens bei einer Tasse Kaffee oder – zwar eher selten noch – bei einem gemeinsamen Mittagessen zusammen mit den Kollegen der Geschäftsleitung.

Zwei Jahre nach unserem Einstieg ins Unternehmen beschloss der Mutterkonzern sich auf sein Kerngeschäft zu reduzieren, den Fokus anders zu setzten und sich als Folge dessen von unserer Division zu trennen. Die Geschäfte unserer Einheit liefen zwar gut, aber die Quersubventionierung in andere Bereiche des Unternehmens ließ am Ende des Jahres kaum mehr als eine schwarze Null übrig.

Um vor der Presse und den regionalen Honoratioren in besserem Licht zu erscheinen, bot der Konzern uns an, den gesamten Sensor-Bereich mittels eines Management-Buy-outs herauszukaufen und eine eigenständige Firma auf die Beine zu stellen, die vollständig vom Stammhaus abgespalten werden sollte, alle Kunden, Projekte und Produkte jedoch als Teil des Startkapitals übernehmen durfte. Die Alternative, den gesamten Bereich zu schließen und damit an die fünfzig, zum großen Teil langjährige Mitarbeiter, auf die Straße zu stellen, wäre der Öffentlichkeit durchaus schwieriger zu vermitteln gewesen.

Von den damals fünf Mitgliedern der Geschäftsleitung waren nur vier dazu bereit, in dieses Abenteuer einzusteigen, das fünfte zog sich zurück und wechselte die Firma, da es uns die Bewältigung der Herausforderung nicht zutraute. Nur noch zu viert reichten unsere privaten finanziellen Mittel bei Weitem nicht aus, um diesen Schritt allein zu vollziehen, und so machte man sich auf die Suche nach potenziellen externen Investoren, welche zwar keine persönliche Verbundenheit zur Firma mitbrachten, jedoch genügend monetäre Argumente, um die Aktienmehrheit zu übernehmen.

Anfänglich noch zögernd, erkannte alsbald auch ich, dass dies eine einmalige Chance in meinem Leben sein würde, und so schloss ich mich dem verbliebenen Kollegium an und verhandelte mit den Investoren unsere neuen Arbeitsverträge, welche aufgrund der neuen Ausgangslage um einiges attraktiver wurden als noch in der Zeit davor. Dies war mit großer Wahrscheinlichkeit der Anfang einer noch engeren Zusammenarbeit mit P., was nach sich zog, dass ich sie von da an noch besser und vor allem anders kennenlernte als bisher.

Die Initialphase der neuen Organisation war geprägt von einer langen Serie aufgezwungener Workshops, die uns von den Mehrheitsaktionären verschrieben wurden, um die Ausrichtung der Firma neu zu definieren, die Strategie der Segmente zu formulieren, die Arbeitsteams frisch aufzustellen sowie um alle Prozesse umzuformulieren – und trotz unseres Wissens, dass die alten Strategien und Ausrichtungen eigentlich stimmten und nur neu bestätigt werden mussten, brauchten wir lange, um zu merken, dass uns diese Schulungspakete einzig und allein darum aufgedrückt wurden, um bereits investiertes Geld möglichst schnell wieder aus der Firma herauszuziehen und somit das Verlustrisiko der Hauptaktionäre zu minimieren.

Es führte aber auch zu einer noch engeren Zusammenarbeit mit dem Leitungsteam, teilweise mit großen Reibungsflächen untereinander, die sich zeitweise als sehr belastend herausstellten. Die Workshops dauerten meistens zwei Tage, mit einer Übernachtung auswärts, sowie gemeinsamen Teamfindungsaktivitäten nach Arbeitsschluss. Den Abend besiegelten wir dann oft noch mit dem einen oder anderen Glas Wein oder mit einem Bier, dies allerdings meistens nicht in vollständiger Besetzung; nur der harte Kern zog nach dem Abendessen noch in eine nahegelegene Bar, die übrigen bevorzugten, sich auf ihre Zimmer zu begeben.

P. gehörte, wie auch ich, immer diesem harten Kern an, und es ist auf diese Veranstaltungen zurückzuführen, dass ich sie plötzlich als sehr lustige und aufgestellte, warmherzige und liebenswürdige Kollegin betrachten und allmählich in mein Herz zu schließen begann. Zu dritt oder viert rauchten wir dann gemeinsam eine Wasserpfeife oder verzogen uns in eine Zigarren-Lounge, bestellen Gin in Kellerbars und lauschten den Jazzmusikern bei ihren Interpretationen bekannter Songs.

Später dann, nachdem auch wir uns auf unsere Zimmer zurückgezogen hatten, dachte ich manchmal an P., stellte sie mir in ihren engen Jeans vor, malte mir aus, wie es wäre, wenn ich sie noch auf ihrem Zimmer besuchen würde, überlegte mir, sie anzurufen und auf ein letztes Glas aus der Minibar zu mir zu bitten; aber es blieb immer bei diesen kurzen Gedankenspielen vor dem Einschlafen – mehr wurde daraus nie.

Ich war Zeit meines Lebens ein kommunikativer und extrovertierter Charakter, allerdings in Herzensangelegenheiten meist scheu und zurückhaltend, was sich auch mit zunehmendem Alter und wachsendem Selbstbewusstsein nie wesentlich geändert hat. Niemals hätte ich den Mut aufgebracht, P. auch nur andeutungsweise darauf anzusprechen, dass ich mich von ihr seit einiger Zeit angezogen fühlte. Der Weg zu den meisten meiner früheren Beziehungen wurde von der späteren Partnerin bereitet, ein fallen gelassener Handschuh, den ich jedoch meistens schnell und gerne aufgenommen und weiter kultiviert habe. Eine der wenigen Ausnahmen davon ist die Beziehung zu meiner heutigen Frau; in diesem Fall ging die Initiative unbestritten von meiner Seite aus, da sie selbst noch wesentlich zurückhaltender ist als ich selbst.

Doch nicht nur meine Schüchternheit stand mir im Wege, es kam der Umstand dazu, dass P. seit Jahren verheiratet war und zwei Kinder, die nun in den Teenager-Jahren steckten und noch zu Hause wohnten, großgezogen hatte. Zudem war ihr Ehemann den meisten in der Firma vage bekannt, holte er sie doch von Zeit zu Zeit von der Arbeit ab, meistens an solchen Tagen, an welchen sich ihr Auto im Service befand und sie demzufolge mit dem Zug ins Geschäft gefahren war. Es kam auch vor, dass er bei solcher Gelegenheit kurz in den Kaffeeraum hochkam und einen kleinen Espresso zu sich nahm, sich mit den Anwesenden über Belangloses unterhaltend, bis P. ihren Laptop runtergefahren und ihre Sachen zusammengepackt hatte. Auch ich hatte zu Hause eine Frau und eine Familie; wir legten jedoch großen Wert auf unser Privatleben, sodass man in der Firma meine Frau nur wenig kannte, unsere Töchter schon gar nicht. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – war eine Beziehung mit P. zwar eine sehr schöne Vorstellung, welche sich jedoch fernab jeglicher Realität bewegte.

Während eines dieser besagten Workshops wurde P. in einem Reorganisationsexperiment praktisch ihr gesamtes Team entzogen sowie ihr Verantwortlichkeitsbereich völlig auf den Kopf gestellt. Und dies geschah mit einer so kaltblütigen Selbstverständlichkeit, dass es P. nahe an den Rand der Tränen trieb, sie sich praktisch nicht mehr dazu äußern konnte und – völlig verstummt – das ganze Elend über sich hinwegziehen ließ. Abends dann merkte man ihr nicht mehr viel an, sie gebärdete sich allerdings sehr ruhig und in sich zurückgezogen, lächelte selten, erinnerte mich wieder an die Frau, welche ich zu Beginn unserer Bekanntschaft wahrgenommen hatte. Ich fühlte mit ihr, war selbst auch traurig über das Geschehene, konnte ihr aber nicht wirklich weiterhelfen, da das Übel auch über mich und meinen Bereich herzog, zwar nicht in derselben Art und Weise wie bei P., doch auch ich hatte meine Kröten zu schlucken und versuchte daran nicht zu ersticken. Und so kam es, dass der unschöne Vorfall erst eine Woche danach, als wir wieder alle im Geschäft waren, seine volle Tragweite offenbarte.

Zu dieser Zeit hatte ich noch ein Einzelbüro, mein ehemaliger Kollege hatte die Unternehmung bereits vor einem Monat verlassen und ließ mich als Erbe des gesamten Reiches zurück, worüber ich jedoch nicht traurig war. Ich schätzte meine Ruhe, wenn ich mit Kunden im Ausland telefonieren und verhandeln musste, und dies konnte ich nun ungestört tun.

Eines Morgens in der auf den Workshop folgenden Woche betrat P. unerwartet mein Arbeitszimmer, mit Tränen in den Augen und einem Briefumschlag in ihren Händen. Nach anfänglichem Zögern weinte sie sich aus, sagte, dass sie das Vorgefallene nie von uns erwartet hätte, dass sie unter solchen Umständen nicht mehr weitermachen wolle und könne und dass sie von uns allen in einem nicht wiedergutzumachenden Ausmaß enttäuscht worden sei.

„Für mich gibt es in dieser Firma keinen Platz mehr“, schluchzte sie, „und dies nach all den Anstrengungen und Aufopferungen, die ich auf mich genommen habe, die mich in der Anfangsphase des Firmenumbruchs regelmäßig bis abends um 10 Uhr haben arbeiten lassen, während andere Kollegen des Gremiums sich schlank aus der Affäre zogen, nachmittags nach Hause verschwanden und uns mit den Problemen allein zurückließen. Ich habe tagelang meine Kinder gar nicht gesehen, da sie schon im Bett waren, wenn ich abends von der Arbeit kam, und morgens früh um fünf, als ich mich schon wieder auf den Weg ins Büro machte, noch nicht einmal wach waren.“ Tränen liefen unter ihrer Brille hervor, verschmierten ihr das Gesicht, auch wenn P. sich selten schminkte. Mir tat es im Herzen weh, sie so zu sehen, ich spürte, wie auch meine Augen glasig wurden, blickte zu Boden, suchte nach Worten.

„Auch du warst dann nicht da“, sagte P., „aber bei dir war es etwas anders, du warst entweder im Spital wegen deiner Schulter oder auf Geschäftsreise, kannst also nicht wirklich was dafür; aber allein war ich halt doch. Und nun soll das der Dank dafür sein?“ Sie drehte sich um und sagte, dass sie den Brief in dieser Nacht verfasst hätte und ihn nun der Geschäftsleitung vorlegen wolle. „Es ist meine Kündigung“, erklärte P. noch, obwohl ich mir dies fast schon hätte denken können.

Trotzdem war ich wie vor den Kopf gestoßen, traute meinen Ohren nicht. Jetzt, wo ich P. immer mehr zu mögen und zu schätzen begann, sie fest ins Herz geschlossen hatte, jetzt wollte sie gehen? Ich schloss die Tür vor ihrem Gesicht und hielt sie zurück, begann auf sie einzureden, sie zu trösten, sie mit allen mir einfallenden Argumenten von diesem Schritt abzuhalten, verbrüderte mich mit ihr gegen die anderen, gab ihr recht und gestand, dass auch ich mich manchmal so fühlte, trotzdem aber weitermachte.

Wir redeten und redeten. Am Ende meinte sie, dass sie es sich bis morgen nochmals überlegen wolle, den Brief heute nicht abgeben, ihn aber einstweilen auch noch nicht vernichten wolle. Als sie tags darauf dann wieder in mein Büro kam, dankte sie mir und gestand, dass sie es sich wegen mir nochmals anders überlegt hätte und weiterhin in der Firma bleiben würde. „Danke, dass du mich gestern angehört hast, dass du mich getröstet und ernst genommen hast. Ohne dich wäre ich jetzt weg …“

In den kommenden Monaten und Jahren kam sie gelegentlich mal auf diese Geschichte zu sprechen und wiederholte, dass ich es gewesen wäre, der sie damals zurückgehalten hätte. Mich machte sie mit solchen Aussagen sehr glücklich, es schien, als hätte ich damit eine ganz spezielle Rolle in ihrem Leben eingenommen.

Irgendwann kam dann Covid-19 und veränderte die Welt. Auch unser Büro blieb nicht mehr so, wie es früher mal war: Nur noch die Leute in der Produktion waren täglich in der Firma, da die Maschinen nicht von zu Hause aus bedient werden konnten. Allerdings sorgten die großen Abstände in den Hallen dafür, dass dieser Umstand nie problematisch war, eine Ansteckung konnte jederzeit gut vermieden werden.

In den Büros allerdings sah es anders aus: Es ging um kleinere und engere Räume und mehr Mitarbeiter, die sich darin aufhielten. Die Geschäftsleitung beschloss, die meisten davon ins Homeoffice zu verlegen. Auch von uns vom Management war jeweils nur noch ein Vertreter, der täglich wechselte, im Büro zugegen. Es wurde ein Einsatzplan erstellt, welcher wöchentlich aktualisiert wurde, Desinfektionsmittel-Flaschen wurden auf allen Tischen zur Verfügung gestellt – und die Maskentragepflicht hielt Einzug.

Ich sah P. nun nur noch sporadisch und auch an den seltenen Tagen, an welchen wir beide zugegen waren, war der Kontakt stark reduziert. Die Zuneigung, die ich zu ihr gefasst hatte, verlief im Sand, der Status Quo übernahm das Regime und P. wurde wieder zu einer Kollegin wie andere auch, persönliche Gespräche mit ihr bildeten die Ausnahme. Trotzdem fehlte mir nichts, ich spürte keinen Verlust und auch keine Sehnsucht nach den vergangenen Zeiten.

Das neue Leben pendelte sich ein im Rhythmus von PCR-2-Tests und Corona-Impfungen – die Nachrichtenkanäle auf allen Sendern berichteten nur noch und ausschließlich über Neuinfektionskennzahlen, statistische Mittelwerte, Sterblichkeitsraten, Quarantänemaßnahmen und eine Vielzahl weiterer neu kreierter klinischer Messgrößen. Praktisch wöchentlich wurde ein neuer Kennwert definiert und herangezogen. Selbst wurde man zum Mitbetroffenen und Zuschauer zugleich, die Monotonie lähmte das öffentliche Leben, man blieb zu Hause und wartete ab.

Vor der Epidemie war ich regelmäßig auf Geschäftsreisen, besuchte Kunden und Partner, suchte und akquirierte Projekte auf allen fünf Kontinenten. Dies änderte sich mit dem neuen Virus schlagartig: Dienstreisen gab es praktisch keine mehr, die Meetings wurden über neue Online-Medienplattformen abgehalten, persönlicher Kundenkontakt wurde zu einer seltenen Ausnahme.

Und so verging die Zeit, das Jahr 2020 neigte sich dem Ende zu, alles blieb wie gehabt. Wer dachte, dass sich im neu beginnenden Zeitabschnitt die Dinge wieder normalisieren würden, sah sich grundlegend getäuscht. Erst im Sommer zeigten die Infektionszahlen nach unten, weitere gravierende Wellen wurden nicht mehr befürchtet, eine allmähliche Entwarnung hielt Einzug in unser aller Leben.

Im Herbst 2021 rechnete man dann definitiv mit einer Normalisierung auch in der Arbeitswelt. Die Geschäftsleitung dachte über das Wiedereinführen des Weihnachtsessens mit allen Mitarbeitern nach – als Zeichen der Verbundenheit und des Neuanfangs.

Das geplatzte Weihnachtsessen

Als im Sommer dieses Jahres 2021 die Corona-Maßnahmen allmählich gelockert wurden, die Maskenpflicht abgeschafft und das Homeoffice wieder zur Ausnahme erklärt wurde, traf man sich wieder vermehrt in den Pausen im Kaffeeraum und unterhielt sich über die aktuellen Themen öffentlicher und persönlicher Natur. Man lachte wieder zusammen, teilte dann und wann ein Croissant mit anderen Kollegen, verabredete sich zum gemeinsamen Mittagessen und ab und zu kam es auch vor, dass man in kleiner Gruppe nach getaner Arbeit ins nahegelegene Städtchen fuhr, um bei einem Glas Wein mit Käse und Oliven eine Zigarre zu genießen und so den Feierabend einzuläuten.

Zu der erwähnten kleinen Gruppe zählte regelmäßig P., die mich und einen weiteren Kollegen gerne zu solchen Apéros begleitete und die Gespräche in der Dreier-Runde sichtlich genoss. Sie lachte viel, wie wir alle, ihre Augen strahlten um die Wette, und ich spürte den längst vergessenen Bann wieder in meiner Brust aufkeimen. Oft erzählte sie von ihren Kindern oder von ihrer Jugend in Osteuropa, wobei sie sich mit dem Dritten im Bunde, ebenfalls hinter dem Eisernen Vorhang aufgewachsen, regelmäßig solidarisierte und damit bewirkte, dass ich mich in solchen Situationen oft als Außenseiter fühlte, als Kind des Wohlstandes, das keine Nöte und Engpässe gekannt zu haben schien. Sie meinten es nie böse oder gar gegen mich gewandt, und trotzdem schwieg ich in solchen Fällen oft, trug nur wenig zur Unterhaltung bei.

Gerne wäre ich der Entertainer gewesen, derjenige, der die Lippen P.s zu einem Lächeln – oder Schmunzeln, wie sie es nannte – verführte. Es passte mir ganz und gar nicht, diese Rolle in solchen Momenten nicht einnehmen zu können. In der Regel war diese nämlich mir zugedacht und wie auf den Leib geschneidert: Ich war seit je her sehr schlagfertig und versetzte meine Kollegen oft in ungläubiges Erstaunen über die fantastisch anmutenden Gedankensprünge während eines Geplauders, erntete dabei oft vielstimmiges Gelächter und vor Lachen tränende Augen. Ich beobachtete bei solcher Gelegenheit P. sehr genau aus den Augenwinkeln, wollte ihre Reaktionen spüren, wollte feststellen, ob und wie sie es mochte – um dann schnell wieder wegzuschauen, sobald sie ihre Augen auf mich richtete. Nicht, dass ich ihr sonst nicht in die Augen hätte schauen können oder wollen – wir taten dies sogar oft über lange Sekunden hinweg – aber bei diesen Gelegenheiten sollte es nicht den Anschein erwecken, als würde ich meine unterhaltungstechnischenBemühungen ihretwillen ins beste Licht rücken wollen.

In diesem Sommer begann ich zu bemerken – oder bildete es mir zumindest ein – dass P. sich immer freute, sobald sie mich sah, dass sie meine Nähe suchte – diskret und unauffällig – und trotzdem für mich unübersehbar, dass sie aufblühte, wenn ich zum Kaffee dazustieß und mich, wann immer möglich, neben sie an den Stehtisch stellte und gerne dort verweilte. Es kam immer öfter zu scheinbar unbeabsichtigten flüchtigen Berührungen zwischen uns, ein kurzes Antippen der Schulter, ein gehauchtes Streifen ihrer Finger über meinen Handrücken, ein zufälliges Zusammenstoßen beim Abwaschen der Tassen, jedes Mal unmittelbar gefolgt von einem kurzen verstohlenen Kreuzen unserer Blicke. Ich vermeinte dann zu sehen, dass ihre Augen in solchen Momenten noch heller erschienen, ihre Bewegungen noch anmutiger wirkten und ihre Stimme noch sanfter klang als sonst.

Und ich verfiel dem Spiel sang- und klanglos, spürte plötzlich wieder diese starke Anziehungskraft zwischen Menschen, die sich mögen, zwischen Gleichgesinnten, zwischen Verschworenen, und wehrte mich nicht dagegen, ließ mich treiben und genoss die Augenblicke.

Ich gehöre der Klasse von Charakteren an, die auf Liebe unmittelbar mit Gegenliebe reagieren. Sobald ich spüre, dass eine Frau mich begehrt, dauert es nur kurze Zeit, bis ich dieses Begehren erwidere und mich in den Sog dieser sich anbahnenden Affäre nicht nur hineinziehen lasse, nein, im Gegenteil, ich werfe mich freiwillig in diese Strömung, wandle zum glücklichen Opfer, werde Abenteurer und Welteneroberer. Dies war schon in meinen jungen Jahren so und verursachte schon einige Male kleinere Streitigkeiten mit meiner Frau, obwohl sie eigentlich eine aufgeschlossene Person mit einer sehr verständnisvollen Kenntnis der Bedürfnisse eines Mannes ist. Ich will damit nicht behaupten, dass sie einen Seitensprung gutheißen würde, aber dass ein Flirt mit dem anderen Geschlecht das Selbstbewusstsein eines Mannes stärken und sich manchmal auch als förderlich für eine langjährige Beziehung herausstellen kann, hat sie nie verneint und mir dieses Vergnügen auch das eine oder andere Mal zugestanden und verziehen. Mit zunehmendem Alter – ich bin nun, da ich diese Zeilen niederschreibe, in meinem 54. Altersjahr – hat sich diese Abenteuerlust noch verstärkt, was mich jedoch nicht sonderlich beunruhigt oder erstaunt; ich bin der festen Überzeugung, dass es allen meinen Geschlechtsgenossen, denen sich solche Gelegenheiten eröffnen, nicht anders ergehen würde.

Auch schien es mir, als wüsste P. damals schon sehr genau, was in mir vorging, und dass es ihr Spaß machte, mich zu provozieren und meine Gefühlswelt auf den Kopf zu stellen. So bemerkte ich bald, dass sie vermehrt die Kleider anzuziehen begann, von welchen sie wusste, dass sie ihre Figur noch stärker betonten und ihre weiblichen Reize noch intensiver zur Schau stellten.

Anfangs Herbst dann war der Nährboden für ein erotisches Abenteuer in mir zur Genüge vorbereitet, wenn nicht sogar übersättigt. So kam es, dass ich begann mir darüber Gedanken zu machen, wie sich dieses heraufbeschworene, auf der Vermutung der Gemeinsamkeit beruhende Verlangen schließlich in eine berauschende und trotzdem stille und unauffällige Affäre verwandeln ließe. Wir waren beide seit Jahren verheiratet und hatten unsere Familien: Ein gemeinsames Abenteuer konnte nur dann bestehen, wenn es für alle Unbeteiligten unsichtbar blieb, auch Arbeitskollegen durften keinesfalls etwas davon mitbekommen oder erahnen – dies war ein absolutes Tabu, dessen Bruch das Ganze im Keime ersticken würde.

Die passende Gelegenheit bot sich dann völlig unverhofft, die Idee dazu ward wie aus dem Nichts heraus geboren.

Im Oktober 2022 zeigten alle Corona-Statistiken stabile niedere Werte, weitere Wellen wurden zwar vermutet, aber das erwartete Ausmaß ließ keine Alarmglocken mehr ertönen. Bund und Kantone lockerten auch die letzten noch bestehenden Maßnahmen, der Status quo schien endlich wieder hergestellt zu sein.

Dies bestärkte die Geschäftsleitung in ihrem Ansinnen, gegen Ende des Jahres wieder ein Weihnachtsessen für die gesamte Belegschaft in Erwägung zu ziehen. Die verantwortlichen Kolleginnen wurden mit der Entwicklung einer Idee und deren Planung und Umsetzung betraut. Man wollte nach zwei Jahren gestrichener Feiern etwas mehr finanzielle Mittel dafür einsetzen. Es sollte ein spezieller Event werden, welcher allen in guter und angenehmer Erinnerung bleiben sollte. Als uns dann die geplanten Aktivitäten zum ersten Mal präsentiert und erläutert wurden, ahnte ich noch nicht, welche Hoffnungen ich später in diesen Abend zu setzten begann, welche Fantasien in mir in Gang gesetzt, und wie stark ich mich nach wenigen Wochen an diese klammern würde.

Der Weihnachts-Apéro und das darauffolgende Essen sollten auf einem Bauernhof in der näheren Umgebung durchgeführt werden, einem Bauernhof, der solche Anlässe regelmäßig anbot, neben rustikalen Lokalitäten ebenfalls über eigene Reben und Weinberge verfügte und Produkte anbot, die bei solchen Gelegenheiten zuoberst auf der Getränke- und Speisekarte zur Auswahl standen. Es wurde auch betont, dass die Betreiber gerne ein Auge zudrückten und die Polizeistunde als nicht allzu sehr in Stein gemeißelt zu betrachten wäre. Zwar würde sich das Personal auch hier nach Mitternacht zurückziehen, doch den Gästen sollte der Zugang zu Wein und anderen Getränken nach wie vor offen stehen, alle nächtlichen Konsumationen könnten auch anderntags der Abrechnung hinzufügt werden. Auch kam mir zu Ohren, dass es auf dem Hof – zwar nur wenige, aber doch gemütlich eingerichtete – Zimmer gab, für diejenigen unter uns, welche nicht zum letzten Bus eilen wollten.

So entstand in mir die Idee diese wenigen Zimmer, drei an der Zahl, für uns – das Zigarren-Lounge-Grüppchen – frühzeitig zu reservieren. In meiner Vorstellung sah ich uns bereits alleine an den langen Holzbänken in der Scheune sitzen, zu dritt ein weiters Fläschchen Wein köpfend und der Stunde entgegenfiebernd, zu welcher nur noch P. und ich übrig bleiben würden. Ich stellte mir vor, wie es dann wohl wäre, beide leicht angetrunken und von den letzten Hemmungen befreit – wie wir unserem gegenseitigen Verlangen endlich Raum lassen könnten, und uns zu guter Letzt auf eines der beiden Zimmer zurückziehen würden.

Je länger ich darüber nachdachte, desto besser gefiel mir die Vorstellung, ich musste nur noch einen Weg finden, diese Idee meinen beiden Freunden schmackhaft zu machen und zu verkaufen, sie ebenfalls so davon zu begeistern, dass der Umsetzung nichts mehr im Wege stünde. Zu meinem großen Erstaunen sollte sich dies als viel leichter und einfacher herausstellen, als anfangs von mir befürchtet.

Beide – hauptsächlich aber P. – mussten nicht lange überredet werden, der Plan fand sofort ihre ungeteilte Zustimmung, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ich war mir sicher, dass P. mich sofort durchschaut hatte, ihr konnte ich nichts vormachen, die Erfahrung hatte mich dies zur Genüge gelehrt, und ich war froh darüber. Ihre verschworenen Blicke, als ich den beiden mein Ansinnen vortrug, sprachen Bände – nie würde ich ihre Augen von damals vergessen können, wie sie mich eingehend prüften und gleichzeitig dazu ermunterten weiterzufahren und die Einzelheiten im Detail darzustellen. Die Motivation unseres Freundes war anderweitig zu suchen. Ich wusste zwar, dass er zusagen würde und mit von der Partie wäre, vermutete aber, dass ihm einfach der Gedanke gefiel, eine Nacht außer Hause verbringen und sich mit uns gemeinsam dem Frohsinn hingeben zu können. Die wahren Gründe kenne ich allerdings bis heute nicht, weitere Vermutungen wären reine Spekulation. Es stand allerdings fest, dass er weder von den Hintergedanken in meiner Brust Kenntnis hatte noch diese auch nur im Entferntesten erahnte. Es sei hier vorweggenommen, dass das Ende dieser Geschichte diese Behauptung in einem ganz anderen Lichte erscheinen lassen und ich mich dabei aufs Gröbste getäuscht haben könnte.

Diese Träume währten jedoch nicht lange, die äußeren Umstände veränderten sich schlagartig und holten mich in die kalte Realität zurück. Knappe zwei Wochen nach Abschluss der Vorbereitungen stiegen die Infektionszahlen wieder sprunghaft an, die Nachrichten berichteten von einer neuen Virus-Variante, welche zwar weniger akut, jedoch viel ansteckender sein sollte. Zwar erließ die Regierung keine neuen Maßnahmen, mahnte aber zu äußerster Vorsicht und möglichst reduzierten größeren Veranstaltungen und Anlässen – dies auch im Hinblick auf die traditionellen Weihnachtsfeiern der Geschäfte und Firmen. Man riet, die Festtage nur im engeren Familienkreis zu verbringen und auf jegliche Arten von Partys und Festen zu verzichten.

Diesem Ratschlag folgte – nach einigen Diskussionen und Abwägungen – schlussendlich auch der Geschäftsleitungsentscheid: Das Weihnachtsessen wurde abgesagt und alle Reservationen storniert.

Die Mitarbeiter wurden vertröstet: Es sollte anstelle des Weihnachtsessens ein Frühlingsfest stattfinden, irgendwann im März des kommenden Jahres, wenn sich die virologische Situation wieder normalisiert hätte. Ich selbst versuchte, diesen Entscheid positiv vor der Belegschaft zu vertreten; innerlich jedoch war meine Frustration darüber riesig, die lange herbeigesehnte Gelegenheit, P. näherzukommen, löste sich in Rauch auf.

Das Frühlingsfest

Zu Weihnachten fuhr ich mit meiner Familie in die Berge zum jährlichen Skilaufen auf den Pisten, auf welchen ich aufgewachsen bin. Im Gegensatz zu anderen Jahren lag endlich wieder einmal sehr viel Schnee, die Dächer der Häuser schienen von ihrer Last erdrückt zu werden, und die Temperaturen lagen auch tagsüber unter dem Gefrierpunkt. Das Eisfeld befand sich in ausgezeichnetem Zustand und erfreute sich täglich zahlreicher Besucher. Auch ich fand mich abends, nach dem Skilaufen mit meiner Frau, regelmäßig zu einem Eishockey-Match mit den Freunden meiner Kindheit auf dem Platz ein. Den Silvesterabend verbrachten wir traditionsgemäß im Hotel-Restaurant meines ältesten Jugendfreundes und das neue Jahr begann – ebenfalls wie seit Jahren schon – in der Hotelbar, bei Live-Musik und Tanz bis in die frühen Morgenstunden.

Der einzige kurze Kontakt zu P. beschränkte sich in diesen Tagen auf ein Neujahrs-SMS mit guten Wünschen für 2022, ansonsten jedoch blieb ich in meiner Welt des Winters versunken und genoss die tief verschneite Landschaft und die Winterruhe.

Als ich sie dann in den ersten Arbeitstagen des neuen Jahres wieder traf, waren alle Gefühle für sie schlagartig wieder präsent, und das Verlangen sie näher kennenzulernen erwachte mit neuer und noch nicht da gewesener Intensität aus seinem Winterschlaf.

Das Geschäftsjahr begann ausgezeichnet, die ersten Großaufträge gingen bereits vor Ende Januar ein, die entsprechenden Verträge wurden verhandelt und unterzeichnet, die Stimmung in der Firma war entspannt und locker.

Im Februar dann entspannte sich die Pandemie wieder, das angedachte Frühlingsfest wurde neu diskutiert und auf den Monat März festgelegt. Ich freute mich riesig darauf, meine Pläne vom Vorjahr lebten in meinen Wunschträumen wieder auf und wurden verfeinert und ausgeschmückt – bis ich erfuhr, dass das für die Weihnachtsfeier vorgesehene Event-Lokal zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Verfügung stehen würde und sich die Organisatoren des Fests auf die Suche neuer Veranstaltungsräumlichkeiten machten. Zu meiner großen Enttäuschung entschied man sich für eine Mehrzweckhalle mitten im Dorfkern, mit ausgezeichneten Busverbindungen bis Mitternacht, jedoch ohne Übernachtungsmöglichkeiten. Alle meine Pläne und Träume zerplatzen wie Seifenblasen und ließen mich vorerst ratlos zurück.

Ein neuer Plan musste her – und die Idee dazu ließ nicht lange auf sich warten. Ich hatte eine mögliche Alternative schnell gefunden, die Schwierigkeit lag viel mehr darin, diese meinen Kollegen plausibel zu erklären und schmackhaft zu machen.

Ungefähr fünfzehn Autominuten von der für das Fest auserkorenen Mehrzweckhalle entfernt, befindet sich ein pittoreskes mittelalterliches Städtchen mit gepflasterten und von Geschäften gesäumten Fußgängerzonen, verteilt auf mehrere Gassen und Winkel, direkt am Fuße des Schlossberges, auf welchem, hoch auf einem Felsen thronend, eine historische und sehr gut erhaltene Burganlage den Ortskern überblickt. Der historische Kern beherbergt viele kleinere Bars, Restaurants und heimelige Hotels, zu welchen auch die Zigarren-Lounge zählt, in der wir von Zeit zu Zeit den Feierabend ausklingen ließen.

Ich fand bald die Argumente, um meinen Freunden schlüssig zu erklären, warum wir nach der Feier dort den Abend zu dritt in seinen zweiten Abschnitt überführen und warum wir danach in einem der Hotels ein Zimmer für die Nacht nehmen sollten. Tags darauf könnten wir dann zusammen frühstücken und anschließend zum Event-Lokal zurückzufahren, um den gemieteten Saal übergabereif zu reinigen und von Abfall und gebrauchtem Geschirr zu befreien. Ich würde alles in die Wege leiten, sie müssten sich um nichts weiter kümmern, als zu besagtem Abend ihre Toilettenartikel und Pyjamas mitzubringen; sogar für die Getränke würde ich sorgen, falls die Hotelbar nach Mitternacht schon schließen würde.

Zum zweiten Mal fieberte ich nun dem festgelegten Datum entgegen, malte mir wieder und wieder die Einzelheiten des Abends in immer neuen Farben aus. Ich war überzeugt, dass es ein Volltreffer werden würde, alle Zeichen deuteten, durch meine rosa-verträumte Brille betrachtet, unmissverständlich darauf hin.

Als der Tag dann endlich gekommen war, fuhr ich frühmorgens ins Büro, meine Habseligkeiten gepackt, meine liebsten Jeans und Hemden begleiteten mich. Auch P. hatte sich wie immer herausgeputzt, wenn ein Event anstand, hatte Brille gegen Linsen getauscht, die Haare am Vorabend beim Friseur frisch gestylt und gefärbt. Noch hübscher als sonst erwartete sie mich morgens bereits im Kaffeeraum, um ihr Köfferchen bei mir im Auto zu deponieren. Sie würde am Nachmittag schon früher zur Mehrzweckhalle fahren und zusammen mit der guten Seele des Büros alles vorbereiten. Mein Kollege und ich würden erst gegen fünf Uhr dort eintreffen, zusammen mit den anderen Mitarbeitern, die keine organisatorischen Aufgaben zu erledigen hatten.

Auch die Tasche meines Kollegen wurde ins Auto verladen, wir wollten nur mit einem Fahrzeug ins Städtchen fahren, da zu erwarten war, dass auch während des Frühlingsfests das eine oder andere Glas Wein genossen werden würde. Ich opferte mich wie üblich gerne als Fahrer, konnte ich doch so den ganzen Ablauf besser steuern und beeinflussen.

Nach einem ausgiebigen Vorspeisen-Buffet zum Steh-Apéro, bei welchem ein Magier seine ersten Unterhaltungskunststücke und Zaubertricks zum Besten gab, um die Stimmung aller Gäste aufzulockern, wurde das Abendessen serviert. Das Bewirten der Belegschaft wurde von uns aus der Geschäftsleitung übernommen, damit wir auch mit denjenigen Kollegen etwas mehr ins Gespräch kamen, welche wir im Arbeitsalltag eher wenig sahen und somit kaum kannten – zumindest traf dies stark auf mich zu; als Leiter Vertrieb war meine Anwesenheit in der Fabrik und in der Konfektion deutlich seltener als die meiner anderen Kollegen. Es wurde viel gelacht, die Pausen wurden mit weiteren Taschenspieler-Tricks bereichert, Uhren verschwanden wie durch Zauberhand von Armgelenken, ohne dass die Träger sich bis zum Ende des Abends dessen bewusst wurden. Auch die neue Eigentümer-Familie aus Österreich war tags zuvor angereist, um das Fest mit uns zu verbringen und so ihre Nähe und Interesse an unseren Geschäften zu demonstrieren. Man wechselte fleißig die Plätze, um möglichst mit allen Kollegen einige Worte zu tauschen, alle schienen zufrieden und begeistert zu sein, das Fest entwickelte sich zu einem vollen Erfolg.

So vergingen die Stunden schneller als gedacht, der Aufbruch zog sich weit über die von mir erwartete Stunde hinaus. Ich machte mir bereits Sorgen, dass wir die Rezeption des Hotels bereits verlassen vorfinden würden, wenn wir später als geplant, einchecken wollten. Ich verfrachtete noch einige Weinflaschen ins Auto, damit wir nicht auf dem Trockenen sitzen würden, falls wir die Hotelbar schon geschlossen vorfinden würden.

Als sich die Reihen zu lichten begannen, drängte ich auf unsere Abfahrt: „Wir müssen ja nicht bis zum Ende bleiben, aufräumen werden wir nicht mehr heute, das können wir morgen früh besser erledigen. Und den Saal abschließen wird ja unsere gute Fee auch können, dazu braucht es uns nicht.“ Zudem waren wir nicht die Ersten der Geschäftsleitung, die das Fest verließen; der Leiter des Rechnungswesens hatte, wie üblich, als Erster den Rückzug in Angriff genommen. So ließen wir den Geschäftsführer zusammen mit der Eigentümerfamilie und einigen wenigen Mitarbeitern zurück und machten uns auf den Weg ins Städtchen.

An der Rezeption wurden wir bereits erwartet und sehr freundlich empfangen. Der Concierge übergab uns die Schlüssel und erklärte, dass zwei der Zimmer auf demselben Stockwerk liegen würden, wohingegen das dritte eine Etage höher zu finden sei. Geistesgegenwärtig erfasste ich die Situation sofort, schnappte mir die beiden Schlüssel der unteren Etage und schob den dritten meinem Kollegen zu: Nur so wäre es mir möglich, im Falle eines gemeinsamen Aufbruchs, P. noch bis zu ihrer Türe zu begleiten und zu einem letzten Absacker in trauter Zweiseligkeit in meinem Zimmer zu überreden. Weder P. noch Theo, so heißt der Dritte im Bunde, bemerkten etwas von meinen Absichten, wir brachten unsere Sachen auf die Zimmer und trafen uns dann in der Lobby wieder, um Richtung Zigarren-Lounge aufzubrechen. Ich sprach die nette Dame, die sich als Wirtin herausstellte, darauf an, ob wir nach unserer Rückkehr ins Hotel eventuell noch einen Tisch im Restaurant benutzen dürften, um den Abend ausklingen zu lassen. Sehr freundlich bot sie uns ein kleines Separee an, welches sie für uns noch vorbereiten wollte, und versicherte uns, dass wir dort so lange sitzen bleiben dürften, wie es uns passte.

In der Zigarren-Lounge herrschte reger Betrieb. Mit etwas Glück nur konnten wir das letzte Ecksofa ergattern, bestellten eine Flasche Rotwein und suchten uns zwei Zigarren im Humidor, welche wir genüsslich schmauchten, während wir uns über allerlei Vorkommnisse unterhielten. Wir lachten viel, erzählten uns Geschichten aus unseren Leben, thematisierten alles und jeden – und ich suchte bei jeder sich bietenden Gelegenheit die flüchtige Berührung P.s, sei es mit den Händen, Armen, Beinen und Füßen; alles jedoch nur dann, wenn die Aufmerksamkeit Theos es zuließ; niemand außer P. und mir sollten je davon Notiz nehmen.

Nach Mitternacht brachen wir dann auf und kehrten zum Hotel zurück. Dort erwartete uns bereits ein gemütlich vorbereitetes Kaminzimmer mit einem runden Tisch, weiß eingedeckt, die Weingläser gleichförmig neben drei kleine Tellerchen gestellt und in der Mitte der Fläche einige Schälchen und Platten mit Salzgebäck und Trockenfleisch – nichts von dem von uns explizit bestellt, sondern als kleine Aufmerksamkeit des Hotels deklariert. Wir trauten unseren Augen nicht – besser hätten wir es nicht treffen können. So erklärt es sich von selbst, dass wir auch dort noch wesentlich länger verweilten, als von mir beabsichtigt und gewünscht; wäre es nach meinem ursprünglichen Plan gegangen, hätte ich mich mit P. schon viel eher auf ein Zimmer zurückgezogen, wenn sie denn dazu eingewilligt hätte. Trotzdem ließen wir es langsam ausklingen, und erst als auch die zweite der mitgebrachten Weinflaschen ihren letzten Tropfen hergegeben hatte, brachen wir die Zelte ab und begaben uns auf unsere Zimmer.

P. ging vor mir den Korridor entlang – unser Kollege hatte bereits die Treppe nach oben genommen – und suchte ihren Schlüssel. Ich verlangsamte meine Schritte und nahm all meinen Mut zusammen. Als sie sich am Schlüsselloch zu schaffen machte, berührte ich ihre Schulter und drehte sie zu mir herum. Sie sah mich erstaunt an, lächelte aber dazu. Ich berührte ihre Gürtelschnalle und fragte, ob ich bei ihr übernachten dürfe. Sie sah in diesem Moment noch viel verführerischer aus als sonst, die Schnalle betonte ihren Schoß, die Jeans waren so geschnitten, dass sie bereits knapp über ihrem Geschlecht endeten und ihre zarten Rundungen im Bereich des Pos und der Hüften hervorhoben. P. hatte nicht ausladende Hüften, sondern einen gut trainierten, schlanken und nicht typisch weiblichen Körper. Nur die kleinen wohlgeformten Brüste trennten meinen Oberkörper von ihr. Ich konnte in ihren Ausschnitt sehen, roch ihr süßes Parfum und blickte in ihre braunen Augen.

„Ich glaube nicht, dass dies eine gute Idee ist“, sagte sie leise, „wir sind beide verheiratet und haben unsere Familien.“ „Wenn du lieber willst, dann komm du zu mir ins Zimmer, wir könnten noch etwas aus der Minibar trinken.“ Ich versuchte die Hoffnung aufrechtzuerhalten, wollte mich nicht entmutigen lassen. „Andrea, das geht nicht, ich kann das nicht. Egal, ob bei mir oder bei dir.“

Ich strich ihr zart über die Schultern, den Rücken entlang Richtung Po – und spürte keinen Widerstand, im Gegenteil, ich wusste, dass sie es genoss. Ich flüsterte minutenlang auf sie ein, sagte ihr, dass sie unwiderstehlich aussehe, versuchte sie umzustimmen, aber ohne Erfolg: Frauen sind oft in solchen Dingen konsequenter als Männer, es blieb bei der freundlichen Absage, ich merkte, dass weiteres Insistieren nur kontraproduktiv sein würde.

Es war gegen 3:30 Uhr, als ich endlich in meinem Zimmer war, allein: Der Abend war schön, hatte aber schlussendlich nicht das gehalten, was ich mir von ihm erwartet hatte; meine Traumvorstellungen blieben unerfüllt. Ich lag im Bett, fest entschlossen, noch nicht aufzugeben. Es würden sich andere Gelegenheiten ergeben, Frauen wollen umworben werden, und das brauchte Zeit und Ausdauer. Ich nahm mein Mobiltelefon zur Hand und schrieb ihr folgende verschlüsselte Botschaft: „YR26fmL!“

Wenig später kam ein augenzwinkernder Smiley zurück – ich war überzeugt davon, dass P. mich nicht verstanden hatte, und dass sie am Tag danach fragen würde, was ich damit sagen wollte. Doch die Frage kam nie! Erst einige Zeit später – als wir schon zusammen waren – sprach ich sie darauf an und wollte wissen, warum sie mich nie danach gefragt hätte. Sie lächelte und sagte: „Ich wusste doch, was es bedeutet, warum also sollte ich nachfragen?“

Pünktlich um 8 Uhr betrat ich den Frühstücksraum, so wie mit meinen Freunden verabredet. Ich war der Letzte! Beide saßen schon an einem kleinen Tisch in einer Arvenholz-Nische und unterhielten sich lebhaft, grüßten mich wie üblich freundschaftlich und wiesen mich an, mich am Buffet zu bedienen. Als ich dann bei Tisch saß, wusste ich nicht, woran ich war und schwieg meist, hielt meine Augen gesenkt. Nur selten suchte ich ihre Blicke, um herauszufinden, was jeder nun wusste und dachte. Hatte P. die ganze Geschichte schon weitererzählt? Wusste auch mein Kollege von meinen Annäherungsversuchen? Und wenn dem nicht so wäre – was ich stark vermutete – wie würde sich P. nun mir gegenüber verhalten? Würde sie beleidigt oder gar abweisend auf mich reagieren?

Aber während des ganzen Vormittags – erst beim Frühstück, danach, als wir zu viert den ganzen Saal auf Vordermann brachten, Geschirr spülten und leere Flaschen entsorgten – verloren wir kein einziges Wort über das Vorgefallene. Wir sprachen und scherzten wie sonst auch, vermieden jedoch dieses Thema konsequent. Obwohl es P. später ablehnte, dass ich sie nach getaner Arbeit nach Hause fuhr – sie sagte, dass ihr Ehemann sie abholen würde – wusste ich, dass ich zwar nichts gewonnen, aber auch lange noch nicht alles verloren hatte. Es würden sich weitere Möglichkeiten ergeben, und ich war fest entschlossen, diese zu nutzen, und mein Glück weiter zu versuchen.

Und die nächste Gelegenheit sollte sich schon innert weniger Wochen einstellen.

In den Bergen

Seit geraumer Zeit wurde in der Geschäftsleitung ein Team-Event diskutiert, welches uns, abseits des Tagesgeschäfts, als Führungszirkel enger zusammenschweißen sollte, auch auf privater Ebene, und gleichzeitig Raum und Zeit für den jährlichen Strategie-Workshop bieten sollte. Ein gemeinsames verlängertes Ski-Wochenende sollte die Bühne dazu geben, fernab in den Alpen, in einem Gebirgsdorf mit internationalem Renommee, in welchem Martin, zuständig für das Rechnungswesen, eine Ferienwohnung besitzt und somit Pisten, Hotels und Restaurants bestens kennt. Die Anreise war für Mittwochabend vorgesehen, Donnerstag dann Strategie-Workshop und Freitag sowie Samstag Skilaufen mit den Kollegen. Vier Hotelzimmer im Dorfkern wurden für uns bereits reserviert, unser Kollege würde in seiner Wohnung übernachten und uns auf seiner Terrasse den abendlichen Apéro kredenzen.

Vor zwei Jahren entschied ich mich, meiner Zuneigung zur Schweizer Volksmusik nachzukommen und meldete mich für einen Schwyzer-Örgeli-Kurs an, ein ausschließlich in der Schweiz gespieltes und gefertigtes Holz-Balg-Instrument, ähnlich einer Handorgel, aber dichromatisch konzipiert und in all seinen Ausmaßen kleiner und handlicher, um bequem an einen Anlass mitgenommen werden zu können. Anfangs lernte und spielte ich auf einem von meiner Schwägerin ausgeliehenen Instrument, bald aber schon war ich davon so begeistert, dass ich mich entschloss, mir mein eigenes Örgeli zu bestellen und bauen zu lassen. Jedes dieser Instrumente wird auf Kundenwunsch in Ausführung und Aussehen in Kleinmanufakturen gefertigt, in regulären Musikgeschäften sind solche Unikate nicht zu finden.

Nach Begutachtung von drei verschiedenen Örgeli-Bauern entschied ich mich für einen im Emmental und bestellte mein Schmuckstück nach stundenlanger Konfiguration desselben. Die Wartezeit wurde mit 18 Monaten angegeben, und just zum Zeitpunkt des geplanten Team-Events wurde es fertig und ich bekam Bescheid, dass ich es jederzeit abholen könne.

Die Manufaktur lag nicht weit abseits der Route, welche wir auch einschlagen würden, um in die Berge zu fahren. So kam mir die Idee, die zwei Kollegen, welche mit mir ins Skiwochenende fahren würden, zu einer Fabrikbesichtigung einzuladen und meine Begeisterung für dieses alte Holz-Handwerk mit ihnen zu teilen. Beide, P. wie auch Theo, waren von diesem Ansinnen sofort angetan, und auch der Inhaber der Manufaktur freute sich auf unseren Besuch, erhoffte er sich dadurch doch eventuell weitere potenzielle Kunden.

Dieser Anlass stand nun, kurz nach dem Frühlingsfest, auf dem Kalender. An besagtem Mittwochvormittag packten wir unsere Koffer und Skier in mein Auto und machten uns nach dem Mittagessen auf den Weg. Wir fuhren bei strahlendem Sonnenschein durch tief verschneite Winterlandschaften, mein Kollege auf dem Beifahrersitz und P. auf der Rückbank. Die ganze Fahrt hindurch suchte ich ihren Blick im Rückspiegel, erhaschte ihn dann und wann, aber meist durch ihre blaue Sonnenbrille hindurch; an eine Interpretation ihrer Gefühlslage war nicht zu denken. Erst als wir dann gemeinsam durch die Manufaktur geführt wurden, spürte ich wieder ihr Suchen nach Nähe, unsere Augen verweilten, länger als üblich, tief versunken in den Blicken des anderen.

Der Inhaber hieß uns herzlich willkommen und führte uns stolz durch alle Räumlichkeiten der Werkstätte, treppauf, treppab, durch enge Lagerkorridore und niedrige Werkbank-Stuben. Überall roch es nach frisch gesägtem Holz und Leim, Lärm gab es kaum, da die meisten Arbeiten von Hand ausgeführt wurden. Er erklärte uns jeden Arbeitsgang, beginnend von der Auswahl der verschiedenen Hölzer, die er direkt bei den Bauern der Region bezog, über die Lagerung und Verarbeitung der Werkstoffe bis hin zum Stemmen und Stimmen der fertigen Orgeln. Es wurde uns gezeigt, wie Intarsien verleimt und poliert wurden, wie die Holzknöpfe gedreht, die Stimmzungen eingepasst und gestemmt, die Lederriemen genäht wurden. Überall durften wir uns mit den Mitarbeitern unterhalten, welche uns – erfreut über unser Interesse – gerne Auskunft gaben.

Beide Freunde waren begeistert, ich selbst am meisten, da es mir Freude bereitete zu sehen, wie sie sich interessiert auf diese für sie neue Welt einließen. P.s Augen strahlten mehr zufällig als gewollt, und als eines dieser Gespräche auch auf ihr Heimatland abschweifte, wo die Manufaktur ihre Stimmzungen einkaufte, kannte ihre Begeisterung keine Grenzen mehr.

Ich bemerkte, wie P. sich immer öfter in meine Nähe schlich, bei Erklärungen ganz dicht bei mir stand; der Duft ihrer Haare stieg mir in die Nase, die zufälligen Berührungen mehrten sich wieder, Hände streiften sich flüchtig, sie lehnte sich manchmal kurz an und ich erwiderte gerne diese Suche nach versteckter Intimität. Alles musste jedoch unbemerkt bleiben, durfte nicht Theos Aufmerksamkeit wecken. So blieb es bei kurzen und unauffälligen Körperkontakten, weiter nichts.

Zum Abschluss der Führung spielte uns einer der Mitarbeiter noch zwei Ländler-Walzer vor. Alle klatschten Beifall, der Inhaber schien zufrieden, seine Gäste ebenfalls. Ich vereinbarte, dass ich das Instrument auf dem Rückweg abholen würde, da es nicht die kalten Winternächte über im Auto zurückgelassen werden sollte.

Dann setzten wir unsere Reise fort. Wir entschieden uns, die landschaftlich reizvollere Route entlang des linken Seeufers zu nehmen und die Autobahn zu meiden, stoppten noch einmal, um einen Kaffee zu trinken und erreichten schließlich unser Hotel etwa eine Stunde später als geplant.

Wie Wochen zuvor am Abend des Frühlingsfestes warteten auch hier die Schlüssel bereits auf uns, und wie damals befanden sich die Zimmer von P. und mir wieder auf derselben Etage, die Räumlichkeiten der beiden anderen Kollegen lagen zwei Stockwerke unter uns. Zufall oder Schicksal? Sollte dies ein Hinweis darauf sein, dass P. und ich füreinander bestimmt waren? Ich bin alles andere als abergläubisch und doch: Sobald es um wichtige Herzensangelegenheiten geht, wird der Wusch zum Vater des Gedankens, dann beginne ich auch die kleinsten Hinweise und Gegebenheiten als Wink des Schicksals zu interpretieren, als Zeichen der Götter dafür, dass ihre Gunst mir hold ist. Ich weiß zwar, dass es Humbug ist, und trotzdem halte ich daran fest! Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Später trafen wir Martin, der bereits am Nachmittag in seiner Wohnung angekommen war, unten in der Hotelbar, um danach gemeinsam ins Restaurant zu gehen, welches er für diesen Abend ausgesucht und reserviert hatte. Ich bestellte mir die Empfehlung des Chefs, ein Riesen-Kotelett vom Schwein – der Hingucker schlechthin – und zwei Flaschen Rotwein für uns alle, welche wir genüsslich bei guten Gesprächen privater und geschäftlicher Natur leerten, ein Espresso-Grappa und ein vom Hause offerierter obligater Limoncello sollte den Abend beenden. Am nächsten Tag stand der Strategie-Workshop an. Man wollte daher nicht bis in die späte Nacht hinein sitzen bleiben. Martin zog sich in sein Ferienhaus zurück, wir anderen drei betraten dann doch noch die Hotelbar, um einen letzten Schlummertrunk zu genießen.

Ich setzte mich neben P. auf eine Eckbank am Tresen, unser Kollege setzte sich uns gegenüber; wir bestellten Gin Tonic und nahmen die abgebrochene Unterhaltung wieder auf. Dem ersten Drink folgte ein zweiter, die Gespräche drehten sich nur noch um Privates, wir lachten viel und ich begann, meinen Arm immer öfter hinter dem Rücken P.s auf die Lehne der Holzbank zu legen. Es sollte so natürlich aussehen wie möglich, obwohl es weit davon entfernt war nur zufällig zu sein. Nach einiger Zeit, als ich mir sicher war, dass Theo überhaupt keinen Verdacht schöpfte, begann ich, mit den Fingern zärtlich über den Rücken P.s zu fahren, um ihre Wirbel sanft kleine Kreise zu ziehen, die Konturen ihrer Schulterblätter nachzuzeichnen, spielte mit ihrem langen schwarzen Haar, welches über ihre Schultern floss und verkniff es mir auch nicht, dann und wann ihre Haut am Genick zu liebkosen. Ich war anfänglich darauf gefasst, dass P. sich dagegen wehren könnte, sich mir entziehen und meinen Arm abweisen, mich mit Blicken abstrafen und maßregeln würde. Aber nichts davon geschah: P. schien es sichtlich zu genießen, sie lachte und redete noch mehr als vorher, rückte sogar unauffällig etwas näher an mich heran und kuschelte sich für kurze Augenblicke, einen Positionswechsel vortäuschend, in meinen Arm, um sich dann schnell wieder nach vorne zu beugen, die Ellbogen auf der Tischplatte abzustützen und das Gespräch fortzuführen. All dies geschah, ohne dass unser Kollege etwas davon bemerkte, seinen Blicken vollkommen entzogen, jeglichen Verdacht vermeidend.

Monate später gestand mir P., zu einem Zeitpunkt als wir bereits zusammen waren, dass diese verstecken Berührungen, die vor den Augen aller stattfanden und trotzdem nicht bemerkt werden durften, wir unterhielten uns damals über meine Finger und deren sich einstellende Gewohnheit, hinter meinem Bürotisch sanft ihren Beinen entlang die Innenseite ihrer Schenkel zu streicheln, wann immer sie sich bei mir einfand, um irgendein ERP-Problem zu diskutieren, dass sie diese heimlichen Berührungen als extrem sinnlich und erotisierend empfand, und diese ihr regelmäßig eine Gänsehaut verschafften. An besagtem Abend in den Bregen begannen diese Zärtlichkeiten, sie sollten sich über die ganze Zeit, die ich mit P. verbringen durfte, fortsetzten, in immer sich wechselndem Kleid und Farbton. Und noch heute, lange Zeit danach, dürstet es mich, wieder dahin zurückzufinden und die Liebkosungen fortzusetzen.

Nachdem der zweite Gin geleert war, die Uhr schlug mittlerweile Mitternacht, zog sich auch unser Kollege auf sein Zimmer zurück. Wir folgten seinem Beispiel – seine Arglosigkeit sollte niemals überstrapaziert werden. Als wir dann jedoch vor unseren Zimmertüren ankamen, versuchte ich mein Glück erneut – etwas einfühlsamer dieses Mal als in der Nacht im Städtchen beim Schloss – und schlug P. vor, noch ein Bierchen aus der Minibar bei mir im Zimmer zu trinken. Es schien, als hätte P. nur auf diese Einladung gewartet; allzu gerne sagte sie Ja, ihre Augen leuchteten heller als jemals zuvor an diesem Abend. Sie wolle nur kurz für kleine Mädchen auf ihr Zimmer, um dort auch die Handtasche zurückzulassen, danach würde sie sofort rüberkommen und an meine Türe klopfen. Damit begann der dritte Teil dieses Abends, und es sollte sich in den zwei weiteren Nächten in den Bergen nicht anders verhalten – dasselbe Ritual vollzog sich auch von Donnerstag auf Freitag und am Abend danach.

Im Zimmer gab es nur einen Stuhl. Ich forderte P. auf, sich auf mein Bett zu setzten, meinen Schemel rückte ich so nahe wie möglich an sie heran. Wir öffneten die Bierflaschen, stießen lachend miteinander an. Ich begann mich ihr auf leisen Sohlen allmählich zu nähern, sie zu bezirzen, zu umgarnen, machte ihr die schönsten Komplimente und verhehlte meine wahren Absichten nicht im Geringsten. Meine Finger nahmen ihr Spiel wieder auf, diesmal widmeten sie sich ihren Beinen und Oberschenkeln, meine Hände ruhten oft auf ihren Knien, glitten dann zu den Waden hinunter und wieder zurück, zogen sanfte Figuren über ihre Schenkel. P. sträubte sich dagegen nicht, ließ alles bereitwillig zu – ich wähnte mich auf der Siegerstraße. Doch mein Weg sollte lange und beschwerlich werden, nur ahnte ich damals noch nichts davon.

Zum ersten Mal fiel es mir auf, als ich P.s Hände halten und ihr mit den Fingern die Lebenslinien nachzeichnen wollte. Sie entzog sie mir unverzüglich, offensichtlich überschritt ich damit eine Intimitätsgrenze, die ich noch nicht verstand. Ich versuchte es immer wieder, die Reaktion darauf blieb immer dieselbe. Hatte es etwas mit dem Ehering an ihrem Finger zu tun? Näherte ich mich auf eine zu intime Weise einem Symbol ihrer Gebundenheit, kam ich damit ihrer Beziehung zu ihrem Mann zu nahe, betrat ich, indem ich mich diesem in Gold gegossenen Zeichen einer Allianz zu sehr näherte, sein Anspruchsgebiet auf zu deutliche Art und Weise?

Ich merkte, dass ich anstand und auch nicht weiterkommen würde, wenn ich nicht von meiner Taktik abweichen und neue Ideen entwickeln würde. Meine zärtlichen Berührungen alleine würden das Schloss nicht aufschließen können. Wollte ich mehr erreichen, dann müsste dies auch über sensibilisiertere Themen auf der Konversationsebene erfolgen, allein mit schönen Worten und Komplimenten war dem nicht beizukommen. Vermehrt begann ich, die Gespräche auf eine intime Ebene zu verlegen, fragte nach ihren Gefühlen, nach unerfüllten Wünschen, nach nicht gelebten Sehnsüchten und Träumen, machte auch nicht halt vor Fragen mit sexuellem Anstrich, erotisch angehauchten Erkundungen der Welt, in welcher P. sich befand, und in welcher sie dachte und lebte. Wider Erwarten öffnete sich P. diesen Themen bereitwillig, fast enthusiastisch, keine bisschen Verschlossenheit behinderte sie in ihren Ausführungen und Antworten. Das Zimmer war spannungsgeladen, das Lachen wich ernsthaftem Nachdenken, auch gab es Minuten der Traurigkeit, wenn gewisse Erinnerungen aufkamen: Dinge, die in vergangenen Beziehungen nicht gut gelaufen waren, wichtige Aspekte, die im gegenwärtigen Leben fehlten oder zumindest stark vernachlässigt wurden.

Und auch wenn wir uns manchmal im Kreise drehten, keiner von beiden wollte die Unterhaltung abbrechen, auf gar keinen Fall. Die ersten Flaschen waren leer, die Minibar erschöpft, Nachschub gab es nur noch auf P.s Zimmer, in ihrem eigenen kleinen Kühlschrank. Ohne lange zu zögern stand sie auf, lief zu ihrer Kammer hinüber und kam mit dem dort geplünderten Diebesgut wieder. Wir lachten, da weder sie noch ich wirkliche Biertrinker waren. Viel lieber hätten wir uns eine Flasche Wein geteilt, aber diese stand nicht zur Auswahl. Dann setzen wir die Gespräche fort, beide fasziniert von der Wendung und der neuen Qualität der Unterhaltung, beide versessen darauf, diese in besagter Art fortzuführen, beide waren wir unwissend, aber gespannt darauf, wohin das alles führen würde.

Als mein Rücken der harten Stuhllehne überdrüssig wurde, versuchte ich P. zu überreden, uns gemeinsam auf mein Bett zu legen, ein Ansinnen, das sie erneut kategorisch ablehnte, auch wenn ich es nicht verstand. Ich versuchte es mit dem Argument, dass ich ihr so die Füße massieren könnte. Obwohl sie gestand, dass sie dies mochte, blieb sie bei einem deutlichen Nein.

„Die Füße sind ein Schmelztiegel unseres Nervensystems, durch Berührungen und Stimulation der Fußsohle kann der gesamte Körper beeinflusst und angeregt werden“, erklärte ich ihr. „Die Fußreflexzonenmassage macht sich diese Tatsache zu eigen, baut darauf auf“, versuchte ich sie zu überzeugen. P. lachte verschmitzt, wusste genau, was bezweckt wurde, bejahte aber wiederum die Frage, ob sie es möge, wenn ihre Füße nackt berührt würden und ob sie gerne barfuß laufen würde.

„Ich ziehe nie Socken an, wenn ich zu Hause bin“, offenbarte ich ihr. „Ich brauche die Berührung meiner Füße mit natürlichen Materialien wie Holz, Stein, Gras, Wasser, Sand. Nicht nur im Sinne des Ertastens und Fühlens der Beschaffenheit eines Parkettbodens, einer gemaserten Holzdiele oder einer ungeschliffenen Steinplatte, nein, auch bezüglich des Wärmeaustausches zwischen Körper und Untergrund bedeutet mir das sehr viel. Oft umklammere ich im Sommer, wenn es schwül ist in der Nacht, mit meinen Zehen den Metallrahmen des Bettes, um so die Kühle des Eisens mit meinen Füßen zu absorbieren.“ Sie lachte und nickte dazu.

„Bist du kitzlig an den Füßen?“, fragte ich weiter, was sie sofort verneinte. „Die meisten Menschen, die ich kenne, sind es“, meinte ich. „Sie mögen es nicht, wenn man ihre Fußsohle mit den Fingernägeln kitzelt, sie ertragen es nicht. Mir hingegen macht dies nichts aus, im Gegenteil, ich liebe es und könnte nie darauf verzichten.“ Ich griff nach dem Bleistift, welcher auf dem Nachttisch lag. „Wenn ich nicht schlafen kann“, sagte ich, „greife ich manchmal nach einem Schreiber und fahre mit dessen Spitze über meine Fußsohlen, lasse keinen einzigen Zeh dabei aus. Es beruhigt mich körperlich ungemein und fährt meinen Organismus herunter. Oft bin ich schon aufgewacht und mein Leintuch war plötzlich blau verschmiert, weil ich aus Versehen – oder ehrlich gesagt sogar absichtlich – die Mine des Kugelschreibers offen hatte und meine Füße und Beine nach der Massage überall blau verkritzelt waren.“ Wir lachten Tränen darüber.

Die Spannung zwischen uns war ungebrochen, es knisterte förmlich. Ich wollte sie so gerne berühren und begann mir so sehr zu wünschen ihre Lippen küssen zu dürfen.

„Wenn man in Südamerika unterwegs ist und zum Friseur geht, um sich die Haare schneiden zu lassen, ist es an der Tagesordnung, dass man sich gleichzeitig auch einer kleinen Pediküre unterzieht, sich die Nägel scheiden und die Hornhaut an den Fersen abschmirgeln lässt“, begann ich eine weitere kleine Anekdote. „Einmal passierte es mir, dass mich die Dame von unten verstört anschaute und fragte, ob ich wisse, dass meine Füße blau verschmiert und verkritzelt seien! Und ich antwortete ihr, dass ich oft meine Gedanken auf meiner Haut festhalte, wenn ich kein Blatt Papier zur Hand hätte.“ P. lachte laut heraus und stellte es sich bildlich vor, wie diese junge Frau wohl dreingeschaut habe, als ich dies zum Besten gab.

Dann begann ich, P. um den sehnlichst herbeigewünschten Kuss zu bitten. Erneut blitzte ich ab – wieder stand ich vor dieser unsichtbaren Schranke und wusste nicht, wie sie zu überwinden war. Immer wieder bat ich eindringlich darum, erklärte ihr, wie sehr sich meine Lippen nach den ihren sehnen würden, dass es nur einer sein und ich mich danach zufriedengeben würde.

„Nur ein einziger Kuss, P.! Einmal deine Lippen spüren, einmal meine Zunge um die deine kreisen lassen, einmal nur, bitte!“ In dieser Nacht lernte ich, dass es P. nicht mochte, wenn man sie mit dem Wort bitte zu bedrängen versuchte. „Sag nicht bitte zu mir, ich mag das nicht!“ Wie oft hat sie diesen Satz auch später wiederholt, wenn ich meinte, damit etwas erreichen, in einem meiner Ansinnen bei ihr einen Sinneswandel herbeiführen zu können. Mit fortschreitender Zeit habe ich gelernt, dies zu akzeptieren. Zwar rutschte mir das Wort auch danach immer wieder mal raus, aber ich korrigierte mich dann so schnell, dass es ihr ein meist verständnisvolles Lächeln abrang und mir einen kleinen Pyrrhussieg verschaffte.

Irgendwann dann schlug die Turmuhr vier Mal, und auch die Minibar im Zimmer P.s hatte sich erschöpft. Wir beschlossen den Abend zu beenden. Ich brachte sie noch bis zu meiner Tür. Im Korridor versuchte ich sie noch einmal zu küssen, aber es gelang mir nicht. Ich streichelte ihr über das Haar, dann schloss sie die Türe und ging.

Ich blieb allein zurück, einerseits überglücklich, denn ich merkte, dass P. mich mochte und gerne mit mir flirtete, glücklich über alle Berührungen, die sie stillschweigend genossen hatte, anderseits auch etwas frustriert, da ich weder einen Kuss von ihr erhalten hatte, geschweige denn, die Nacht mit ihr im Bett verbringen durfte. Ich blieb alleine mit meiner sexuellen Lust, schloss die Augen und sah P. vor mir, mit und ohne ihre Kleider, von der Seite und von hinten, liegend und vor mir stehend, und ich begann, mich bei dieser Vorstellung zu berühren, küsste das Kissen und stellte mir vor, es wären ihre Lippen. Ein Klingeln meines Telefons schreckte mich auf und unterbrach mich jäh. Ich drehte mich zur Seite und schaute nach. Eine Whatsapp-Nachricht erwartete von mir gelesen zu werden. Ich öffnete diese und sah, dass sie von P. kam. Neugierig schaute ich rein und lachte glücklich:

P. hatte mir das Bild eines Bleistiftes zugesandt. Damit war ich mir sicher, dass diese Geschichte noch nicht zu Ende geschrieben war.

Knappe drei Stunden später trafen wir uns am Frühstückstisch wieder. Unsere Kollegen waren bereits zugegen, und als ich erschien, war auch P. schon da, sie schien den Raum kurz vor mir betreten zu haben, denn sie nahm soeben mit ihrer Tasse Kaffee Platz. Wir begrüßten uns nur kurz, sahen uns verstohlen in die Augen, ließen aber nicht den leisesten Verdacht bezüglich unserer Nacht aufkommen.

Der Tag war geprägt vom Strategie-Workshop und zog sich dementsprechend lange hin. Nur kurz unterbrachen wir die Arbeiten, um gemeinsam zu Mittag zu essen, danach zogen wir uns alle wieder in den Meeting-Raum des Hotels zurück. Die Mittagspause nutze ich, um im Geschäft gegenüber zwei Flaschen Wein zu kaufen, einen Roten sowie einen Weißen. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Präferenzen P.s und dachte, so am besten gewappnet zu sein, falls sich die gestrigen Ereignisse auch in den zwei folgenden Nächten wiederholen sollten. An der Rezeption erbat ich mir zwei Weingläser, welche ich dann mit den Flaschen auf meinem Zimmer verstaute. Niemand – auch P. nicht – hatte meine kurze Abwesenheit bemerkt.

Als dann abends der geschäftliche Teil erledigt und protokolliert war, lud uns Martin zu sich auf seine Terrasse zu einem ersten Aperitif ein. Die Nachmittagssonne erwärmte die Sitzecke, wir genossen einen herrlichen Blick auf die sich vor uns auftürmenden Felswände der drei Hausberge, furchteinflößende senkrechte Abgründe, die schon vielen Bergsteigern ihr Leben gekostet haben. Das Dorf lebte von diesen Schauergeschichten rund um die Kletterei, und wir versuchten unser in Kindertagen erworbenes Wissen abzurufen und die verschiedenen Aufstiegsrouten ausfindig zu machen.

Auch P. versuchte es, obwohl sie keine Kenntnisse dieser Geschichten hatte, war sie doch fernab der Schweiz in ihrer eigenen Heimat aufgewachsen. „Da gibt es ein