Sklaven des Wachstums - die Geschichte einer Befreiung - Reiner Klingholz - E-Book

Sklaven des Wachstums - die Geschichte einer Befreiung E-Book

Reiner Klingholz

0,0

Beschreibung

Mit diesem Buch erhalten Sie das E-Book inklusive! Im 20. Jahrhundert hat die Menschheit auf allen Ebenen ein Wachstum ohnegleichen erlebt. Doch obwohl die Ressourcen knapp werden und die Ökosysteme unter der Last von über sieben Milliarden Menschen mit immer höheren Ansprüchen ächzen, bauen unsere gesamten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialsysteme nach wie vor auf endloses Wachstum. "Wir haben uns vom Wachstum regelrecht versklaven lassen", sagt der renommierte Demografieexperte Reiner Klingholz. Dennoch schleicht sich das Ende des "Mehr-ist-mehr" durch die Hintertür heran: Schon lebt die Hälfte aller Menschen in Ländern, deren Bevölkerung mittelfristig nicht mehr wachsen wird. Längerfristig steht sogar ein deutlicher Rückgang der Weltbevölkerung an. Zusammen mit der Alterung der Gesellschaften sinken auch die Aussichten auf wirtschaftliche Höhenflüge. Planlos treiben wir in das Zeitalter des Postwachstums und haben keinerlei Konzepte für ein Wohlergehen der Gesellschaften unter diesen ungewohnten Bedingungen. "Wir haben nur eine Zukunft", so Klingholz, "wenn wir lernen, das Schrumpfen zu lieben." Ausgezeichnet durch die Deutsche Umweltstiftung als Umweltbuch des Monats April 2014

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 455

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Reiner Klingholz

Sklaven des Wachstums – die Geschichte einer Befreiung

Campus VerlagFrankfurt/New York

Über das Buch

SCHRUMPFEN IST DAS NEUE WACHSTUM!

Die Welt ist am Limit. Die Ressourcen gehen zur Neige, die Ökosysteme verlieren an Leistungsfähigkeit, und über kurz oder lang wird auch die Weltbevölkerung abnehmen. Das Wachstum, an das wir alle wie an eine Religion glauben, findet sein natürliches Ende. Doch statt die Macht des Faktischen zu akzeptieren und nach Modellen für ein Funktionieren der Gesellschaft ohne Wachstum zu suchen, versuchen wir es künstlich zu beleben und klammern uns an das überholte Wachstumsdogma des 20. Jahrhunderts.

»So werden wir gegen die Wand fahren«, sagt der renommierte Demografieexperte Reiner Klingholz. Eindringlich zeigen seine Szenarien, dass die Rezepte der Vergangenheit keine Lösung für die Zukunft bereit halten. Wir haben nur eine Zukunft, wenn wir das Schrumpfen lieben lernen.

Über den Autor

Reiner Klingholz leitet das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung.

Der Chemiker, Molekularbiologe und Wissenschaftsautor ist einer der renommiertesten Demografieexperten.

INHALT

1. Älter, weiser, friedlicher und weniger

2. Mit Vollgas in die ZukunftWarum Wachstum (noch) die Welt regiert

3. Es lebt sich gut im OvershootWie Schuldenmachen das Ende des Wachstums hinauszögert

4. Die vierte Kränkung der MenschheitWeshalb die Umweltbewegung die Umwelt nicht rettet

5. Normative KräfteWie das Wachstum sich selbst ausbremst

6. Nicht mehr als zweiWarum die Weltbevölkerung nach dem Wachstum mit dem Schrumpfen beginnt

7. Deutschland in der PionierrolleWieso die Menschen zwischen Rügen und dem Bodensee mit einem Bein im Postwachstum stehen

8. Demografische ImplosionWo der Bevölkerungsrückgang in die Sackgasse führt

9. Katastrophe oder weiche Landung?Weshalb sich die Entwicklung der armen Länder nur über noch mehr Umweltschäden erkaufen lässt

10. Bald alt, aber noch nicht reichWarum der demografische Wandel die Schwellen- und Entwicklungsländer mit Verzögerung erreicht – dafür aber umso heftiger

11. Demokratie ohne Wachstum?Weshalb sich alternde und schrumpfende Gesellschaften neu erfinden müssen

12. Was tun?Warum uns nur noch ein sehr geringer Handlungsspielraum bleibt, wir ihn aber dennoch nutzen müssen

Dank

Anmerkungen

Register

Kapitel 1ÄLTER, WEISER, FRIEDLICHER UND WENIGER

An einem warmen Julimorgen des Jahres 2297 öffnet Thorfinn Sangala beide Flügel des Schlafzimmerfensters seines falunrot gestrichenen Holzhauses am Nuuk-Fjord. Noch leicht benommen blinzelt er auf den funkelnden Nordatlantik und pumpt seine Lungen voll mit der salzigen, jodhaltigen Luft, die der Westwind über das Meer geblasen hat. Von dem nahe gelegenen Cricketfeld wehen die fröhlichen Stimmen Hunderter Jungen und Mädchen herüber, die in ihren rot-grünen, blauen und gelb-schwarzen Schuluniformen auf dem Weg zu einem Sportfest sind. Kann ein Tag besser beginnen?

Sangala lebt, wie die meisten Grönländer, in einem Zuhause, das ziemlich altertümlich daherkommt: anderthalbstöckig, mit Satteldach und quadratischen Sprossenfenstern, die den Häusern den Anschein geben, als wollten sie ihre Besucher anstrahlen. »Wir Grönländer sind schrecklich traditionell«, lacht Sangala, wenn man ihn auf diese Besonderheiten anspricht, und wiegt bedächtig den Kopf hin und her, in der unverwechselbaren Art seiner Vorfahren: »Wir hängen an dieser Architektur.«

Überall an den Fjorden entlang der Südostküste, von Nanortalik bis Upernavik, breiten sich die Städte mit ihren einfarbig bemalten Häuschen aus. Auch wenn die Bevölkerung Grönlands die Neun-Millionen-Grenze erstmals 2297 überschritten hat – Platz genug gibt es auf der größten Insel der Erde.

Mit seinem frischen Atlantikklima, den weiten Kiefern- und Birkenwäldern und den endlos langen, hellen Sommerabenden ist Grönland seit langem nicht nur zu einem der beliebtesten Reiseziele der Erde, sondern vor allem zu einem Magneten für Zuwanderer aus der ganzen Welt geworden.

Thorfinn Sangala, der auf die 80 zugeht, ist ein typischer Altgrönländer: Seine Urururururgroßeltern, Shreemoti Dalit aus Bangladesch und Yasan Qahtan aus Jemen, waren schon im Jahr 2071 auf Grönland gestrandet. Damals hatte die Regierung ein Flüchtlingskontingent von 6000 Personen zur Besiedlung der weitgehend menschenleeren, aber immer grüner werdenden Insel aufgenommen. Grönland erlebte zu der Zeit einen Boom und brauchte Arbeitskräfte in allen Bereichen: Ärzte, Land- und Forstwirte, Lehrer, Elektrotechniker, Handwerker, Geologen, Hydrologen, Meeresbiologen. Die meisten wurden über ein ausgeklügeltes Punktesystem nach ihren Fähigkeiten angeworben.

Ein kleiner Teil aber kam – je nach Weltlage – über den Flüchtlingsstatus ins Land. 2070 hatte ein verheerender Zyklon weite Küstenteile Bangladeschs in den Golf von Bengalen gerissen und Millionen obdachlos gemacht. In Jemen tobte seit Jahren ein endloser Stammeskrieg um die Wasserreserven. Shreemoti und Yasan hatten sich auf der Schiffsreise von Nikosia auf Zypern, einem internationalen Sammelpunkt für die wachsende Zahl von Flüchtlingen, nach Nuuk auf Grönland kennengelernt. Wenig später hatten sie nach muslimischem Brauch geheiratet und in jenem Teil von Nuuk, der Little Dhaka genannt wurde, eine Familie gegründet. Wie die meisten Zuwanderer gaben sie ihren Kindern grönländische Vornamen.

Thorfinn und seine Frau Smilla Mahoubdottir sitzen mittlerweile beim Frühstück, das aus grünem Tee, Reis und rohem Fisch besteht, und besprechen sich mit ihren Kindern Toivo und Solveigh. Die beiden leben in Trondheim, einer Stadt, die früher einmal zu Norwegen gehörte. Das Land hatte sich 2088 aufgelöst und mit Schweden, Grönland und Kanada zur »Northern Climate Beneficiaries Alliance« zusammengeschlossen, einer Nord-Gemeinschaft der Klimaprofiteure. Per Hologramm zugeschaltet sitzen Toivo und Solveigh wie leibhaftig mit am Tisch und erzählen von ihrem Institut für Ernährungsberatung, das sich auf die wachsende Gruppe der erwerbstätigen über Hundertjährigen spezialisiert hat.

Thorfinn und Smilla selbst haben vor anderthalb Jahrzehnten das Weingut ihrer Eltern übernommen, die sich schon mit 90 aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen hatten. Grönland ist nicht nur Nahrungsmittel-Selbstversorger, sondern eines der letzten Gebiete der Welt, in dem sich noch Eiswein (»Snöviinni«) produzieren lässt, weil in den klaren, dunklen Januar- und Februarnächten die Temperaturen häufig unter den Gefrierpunkt fallen. Die Weinbauern haben vor allem die Trauben der Sorten Sémillon und Merlot gepflanzt, die mit Genen für die Produktion des Krebs und Alzheimer verhindernden Inhaltsstoffes Resveratrol angereichert sind. Grönländische Weine mit ihren eingekreuzten, lebensverlängernden Wirkstoffen haben fast den Rang einer Medizin erlangt. Die Reben wachsen bestens auf den lehm- und sandhaltigen Schotterflächen, die entstanden waren, als sich die Gletscher immer weiter zurückgezogen hatten.

So arbeiten die Grönland-Winzer heute unter ähnlichen Anbaubedingungen, wie sie vor 2000 Jahren die Römer und später die Franzosen im Médoc vorgefunden hatten, um ihre Bordeauxweine zu pflanzen. Doch an den Ufern der Gironde war die Rebenzucht schon im Jahr 2135 zum Erliegen gekommen. Der steigende Meeresspiegel hatte zuerst die Böden mit Salzwasser infiltriert und später das gesamte linke Flussufer bis zur Atlantikküste fortgeschwemmt.

Grönland ist wieder Grünland

Es mag die Menschen des frühen 21. Jahrhunderts verwundern, aber ihre Nachfahren im Jahr 2297 unterscheiden sich nicht wirklich von ihnen. Auch an der Schwelle zum 24. Jahrhundert verlieben sich die Menschen noch und sie schlafen schlecht, wenn sie Sorgen haben. Noch immer berauschen sie sich an farbgewaltigen Sonnenuntergängen, an tobenden Wasserfällen und weiten, offenen Landschaften mit verstreuten Baumbeständen. Sie sind nun einmal »biophile« Kreaturen, wie es ein berühmter Evolutionsbiologe Ende des 20. Jahrhunderts einmal formuliert hat: Wesen, die seit Urzeiten unbewusst jene Umwelt lieben, der sie ihre Existenz verdanken.

Nicht einmal wegen ihrer Kleidung würden Thorfinn und Smilla in einer Großstadt des Jahres 2014 auffallen. Die Multimedia-Jacken aus Informationszellulose sind schon bald nach ihrer Erfindung wieder aus der Mode gekommen, unter anderem, weil kein Mensch mehr Solarzellen als Schulterpatten tragen wollte. Die gesamte Hardware der Kommunikationstechnologie ist längst auf winzige Implantate heruntergeschrumpft, die nur von einem einzigen genetisch definierten Individuum genutzt werden können. Um Kontakt mit der Welt zu halten, kann man auch nackt unter der Dusche stehen.

Thorfinn und seine Zeitgenossen lassen sich ihre Hemden, Kleider und Hosen von Modegeneratoren ausdrucken. Diese tun nichts anderes, als die seit Jahrhunderten immer wiederkehrenden Farben, Muster, Trends und Designs neu zu kombinieren. Lediglich die Materialien haben sich verändert. Was die knapp vier Milliarden Erdenbürger am Leib tragen, reinigt sich von alleine, wärmt oder kühlt je nach Bedarf, kann im Dunkeln leuchten und zerfällt nach Gebrauch in seine molekularen Einzelteile, bevor der Modegenerator die Kleidungsstücke in anderer Gestalt wieder auferstehen lässt. Die meisten Menschen haben deshalb keine Kleiderschränke mehr, sondern nur ein Dutzend »Clothing units«, die sich jederzeit zu Winterjacken, Socken oder Badehosen rearrangieren können. Besonders die Badekleidung ist in den letzten Jahrzehnten im Leben der Grönländer immer wichtiger geworden.

Denn Grönland ist längst wieder Grünland. Während die globale Mitteltemperatur seit der Jahrtausendwende um gerade mal 4,6 Grad angestiegen ist, hat Grönland im Mittel eine Erwärmung um über neun Grad hinter sich. Die Insel hat im Jahr 2297 zwei Drittel ihres Eispanzers aus dem 20. Jahrhundert verloren – immerhin knapp zwei Millionen Kubikkilometer. Nur im nördlichen Teil der Insel schieben sich noch Eiszungen aus den Bergen bis in die Fjorde, aber selbst sie sind an der dicksten Stelle keine 1000 Meter mehr stark. Die Erosion der Eismassen macht auch vor der fernen Antarktis nicht halt. Die Pegelstände der Weltmeere sind bereits um viereinhalb Meter gestiegen. Für Grönlands Küstenstädte ist das kein Problem, denn trotz steigender Meeresspiegel entfernen sie sich immer weiter von der Küste. Grönland gilt als »Aufsteigerinsel«, weil die drückenden Gletscherlasten seit Jahrzehnten immer geringer werden und sich die befreite Landmasse langsam, aber kontinuierlich immer weiter aus dem Nordatlantik heraushebt. Geologen sagen voraus, dass dieser Prozess noch Jahrhunderte andauern wird.

Grönlands Bevölkerung hatte schon seit den großen Einwanderungswellen in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts den höchsten Anteil von Zuwanderern weltweit erreicht. Die Hauptstadt Nuuk galt nicht nur als internationalste Metropole der Erde, mit einer abgefahrenen Musik- und Partyszene, sondern auch als friedlichste. Auf dem Höhepunkt der globalen Krisen in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts bedeutete das immerhin, dass es in Grönland in manchen Jahren keinen einzigen Selbstmordanschlag gab.

Wer seinerzeit Grönland erreicht hatte, war froh, die Vergangenheit hinter sich gelassen zu haben. Die Neubürger ordneten sich rasch den Sitten und Gebräuchen des Inuit-Staates unter, auch wenn die Urbevölkerung aus Kalaallit-Nachfahren keine zwei Prozent der Bevölkerung mehr ausmachte. Die Zuwanderer mussten spätestens ein halbes Jahr nach der Einreise die Staatsbürgerschaft annehmen (oder wieder ausreisen) und einen Eid auf die Verfassung von Kalaallit Nunaat schwören. Die meisten von ihnen lernten schnell die einheimische Sprache, das Inuktitut-Kreol, eine abgeschliffene Form des alten Eskimo-Grönländisch mit bengalischen, arabischen, englischen, Hausa- und Suaheli-Einsprengseln.

Aufgrund seiner strategischen Lage und seiner Internationalität hatte man Grönlands Hauptstadt Nuuk 2094 zum Hauptsitz der World Union of United Nations (WUUN) bestimmt, die zwei Jahre zuvor aus den Trümmern der Vereinten Nationen entstanden war. Die UN waren gegen Ende ihrer Existenz komplett handlungs- und beschlussunfähig geworden, vor allem weil die Zahl der stimmberechtigten Nationen nach dem Zerfall Russlands und Chinas auf 432 angewachsen war, von denen 27 den Status einer Vetomacht beanspruchten. Die neu entstandenen Nationen hatten diesen Status nie anerkannt, sodass irgendwann jeder ohne jede Folge gegen jeden stimmte.

2297 ist von diesen Konflikten nichts mehr zu spüren. Zwar sitzt die WUUN immer noch in Nuuk, aber ihre Aufgaben haben sich grundlegend verändert. Sie koordiniert das Zusammenspiel der verschiedenen neuen »United Nations«, der Staatenbünde, von denen es insgesamt 23 gibt. Neben der Nordgemeinschaft der Klimaprofiteure sind das etwa die South African Technology Zone (SATZ) oder die Mediterranean Europe Economic Region (MEER). Sie ist eines der drei Nachfolgebündnisse der alten EU, das sich im erweiterten Mittelmeerraum von Spanien, Katalonien und Mauretanien über die Nachfolgestaaten der arabischen Liga bis in die Türkei erstreckt. Nur die Schweiz existiert 2297 als letztes Land der Welt ohne Anschluss an eine größere Union.

Neben den United Nations haben die Vertreter der Weltreligionen ein Stimmrecht in der WUUN. Jeweils eine oder einer von ihnen wird jedes Jahr von allen über 18-jährigen Bürgern der Erde neu gewählt. Zwar sind die meisten Menschen des Jahres 2297 Atheisten, aber das Grundbedürfnis nach Spiritualität und innerer Ruhe ist ungebrochen. Deshalb nehmen auch Ungläubige die Religionen in Anspruch, allerdings ohne sich auf eine Glaubensrichtung festzulegen.

Kriege aus religiösen Gründen zu führen, erscheint den Menschen schon aus diesem Grund absurd. Es sind aber vor allem ökonomische Argumente, die es verbieten, Menschenleben für Kriege zu riskieren. Angesichts einer Lebensarbeitszeit von über 70 Jahren und des hohen Ausbildungsstandes praktisch aller Bürger der Welt steckt in jedem Individuum ein viel zu hohes Humanvermögen. Selbst die computergeführten Kriege des späten 21. Jahrhunderts hatten ihren Reiz verloren, als klar wurde, dass die Inbesitznahme von Land und Ressourcen in einer Wirtschaft, die sich immer weiter entmaterialisierte, keinen Sinn mehr ergab. Das Wissen des militärisch-industriellen Komplexes war in der Nahrungs- und Energiesicherung besser angelegt.

Es war allerdings ein langer, steiniger Weg von der Weltwachstumsgesellschaft der Jahrtausendwende bis hin zu einer Gemeinschaft von vier Milliarden wirklichen Weltbürgern, die mit sich und ihrer Umwelt im Reinen sind – zu einer Gesellschaft, deren Mitglieder nicht nur besser qualifiziert sind als je zuvor, sondern im Schnitt auch 23 Jahre älter, und schon deshalb deutlich friedlicher und konservativer. Diese Menschen können sich zudem weitaus besser an die von ihren Vorgängern angerichteten Umweltveränderungen anpassen, beziehungsweise ihnen ausweichen.

Die Menschen von 2297, übrigens halb so viele wie im Jahr 2027, verbrauchen weniger nicht wiederbringbare Ressourcen, als im gleichen Zeitraum in den natürlichen Kreisläufen entsteht. Sie leben in einem globalen Ökosystem, das mehr Kohlendioxid absorbiert, als seine Bewohner produzieren. Und sie lassen zu, dass viele der im 21. und 22. Jahrhundert erodierten und vergifteten Flächen der Landwirtschaft und Industriekultur sich zu neuen Sekundärbiotopen entwickeln, die der Evolution als Spielwiese dienen.

Wie das Zeitalter des Postwachstums begann

Der lange Weg in diese Gesellschaft beginnt in der Silvesternacht des Jahres 1999, als die Menschen mit Donner und Doria das Jahr 2000 begrüßen. Sie blicken hoffnungsfroh in die Zukunft – und doch skeptisch zurück auf 100 Jahre eines Wachstums, das die Welt bis dahin noch nicht gesehen hatte. Die Menschheit hat sich in dieser Zeit vervierfacht, zwei Weltkriege und die größten Verbrecher der Geschichte überstanden und mehr Erfindungen gemacht als in den vier Millionen Jahren zuvor: Schließlich gab es im Jahr 1900, als in Deutschland noch ein Kaiser regierte, weder Staubsauger noch Fließbänder, keine Kunststoffe, Hubschrauber oder Autobahnen, keine Kugelschreiber und Atomwaffen, geschweige denn Antibiotika, Pille oder Computer.

Das 21. Jahrhundert geht zunächst weiter, wie das 20. Jahrhundert geendet hat. Die Menschheit wächst und immer mehr sogenannte Entwicklungsländer beginnen ihren Namen ernst zu nehmen: Sie entwickeln sich tatsächlich, und zwar in einem Tempo, dass den gealterten Industrienationen in der Alten Welt angst und bange wird. Der Energiehunger der jungen Nationen steigert sich fast so sehr ins Unersättliche wie jener der alten; die Menge der produzierten, konsumierten und weggeworfenen Güter explodiert förmlich. Die Menschen feiern diesen Prozess als Wirtschaftswachstum.

Doch aus der Ferne betrachtet stufen die Historiker des 23. Jahrhunderts die Epoche von 2000 bis 2099 als erstes Jahrhundert des Postwachstums ein. In dieser Phase verlieren alle Wachstumsprozesse, mit denen die Menschen zur Jahrtausendwende so vertraut waren, immer mehr an Kraft. Sie kommen zum Stillstand oder gehen sogar in einen Schrumpfprozess über. Zunächst nehmen die Menschen das beginnende Ende des Wachstums noch nicht einmal wahr. Dann ignorieren sie den nahenden Stillstand. Schließlich wehren sie sich verzweifelt dagegen, taumeln dadurch immer weiter in die Krise, bis sie am Ende das Unvermeidbare akzeptieren, um das Beste daraus zu machen.

In der Zeit von 2015 bis 2020 zeigen Länder wie Eritrea, die Mongolei, Peru und Ghana ein Wirtschaftswachstum von über 10 Prozent im Jahr. In der südlichen Sahara, in einem Gürtel von Mali bis Äthiopien, entdecken die Exploratoren neue Öl- und Gasfelder. Die sind zwar kleiner als jene in Arabien, verleihen der afrikanischen Wirtschaft aber zusätzlichen Schub. Energieverbrauch und Kohlendioxid-Emissionen steigen stärker, als in den gängigen Szenarien beschrieben.

2019 erreicht China mit 1,423 Milliarden Menschen sein Bevölkerungsmaximum und beginnt zu schrumpfen. Auch das offizielle Ende der Ein-Kind-Politik ändert nichts an den niedrigen Nachwuchszahlen. Die chinesische Regierung zahlt ihren Bürgern Babyprämien, führt ein verpflichtendes Erziehungsjahr für Väter ein, erhebt Strafsteuern für Kinderlose – doch die Kreißsäle füllen sich trotzdem nicht.

Andere Länder wachsen weiter – vor allem in Afrika. Im Jahr 2027 überschreitet die Menschheit die Acht-Milliarden-Grenze. Grönland erlebt seinen ersten komplett frostfreien Sommermonat.

Als sich in Deutschland im Jahr 2029 die sechste Kanzlerinnenschaft von Angela Merkel dem Ende zuneigt, setzt die amtsmüde Mecklenburgerin eine Expertenkommission zur Rettung ihrer Heimat ein. Immerhin hat Mecklenburg-Vorpommern binnen 40 Jahren über die Hälfte seiner Einwohner verloren. Die Kommission legt ein »Gesetz zur Peuplierung demografischer Schwundregionen« vor, das in den letzten Tagen der Legislaturperiode durch den Bundestag gepaukt wird.

Merkels Handstreich entpuppt sich als Glücksfall. Die Kambodschaner, vom Tonle Sap an die Müritz gekommen, bringen nicht nur die Kultur ihrer schwimmenden Dörfer mit, sondern auch die Fischzucht auf Vordermann. Vier Jahre nach ihrer Ankunft gibt es überall in Berlin Mekong-Riesenwelse und Schlangenkopffische zu kaufen. Äthiopier siedeln in Güstrow, Ruander in Parchim. Menschen aus Bangladesch haben in Uecker-Randow eine für sie ungewohnt menschenleere Heimat gefunden und verwandeln das Land über Nacht in einen Flickenteppich aus Reisfeldern. Nur die zugewanderten Nepalesen aus dem Himalaya, die das Niederlassungsrecht im platten Landkreis Demmin erhalten haben, werden nicht wirklich glücklich. Die meisten ziehen sich in schnell gebaute buddhistische Klöster zurück und erklären die 192 Meter hohen Helpter Berge zu heiligen Gipfeln.

2038 ist die globale Mittelklasse durch den Aufstieg vieler Schwellenländer so groß und so stark geworden, dass sie gegen die Blockadehaltung ihrer Regierungen in Sachen Klimaschutz aufbegehrt. Über ein halbes Jahrhundert nach Beginn der Klimaverhandlungen kommen die Staaten der Welt im Abkommen von Asmara überein, die Emissionen der Treibhausgase für jedes einzelne Land verbindlich zu begrenzen. Alle Länder erhalten klare Reduktionsziele.

Die letzten Konflikte

Im Jahr 2047 meldet Indien Rechte auf das Wasser des Grenzflusses Ravi an, mit dem Argument, er entspringe im indischen Teil des Himalaya. Als die indische Regierung dann mit dem Bau eines Bewässerungskanals in Richtung der Dürregebiete von Rajasthan beginnt und der pakistanischen Stadt Lahore das Wasser abzugraben droht, kommt es zum Atomkrieg der beiden Großmächte. Pakistan feuert von unterirdischen Silos fünf Mittelstreckenraketen des Typs Shaheen-3 Richtung Indien. Eine schlägt noch auf pakistanischem Gebiet auf, ohne großen Schaden anzurichten, drei Raketen werden von der indischen Flugabwehr abgefangen und in der Luft unschädlich gemacht. Ein Sprengkörper detoniert jedoch in dem dicht besiedelten Gebiet in der Nähe von Jaipur. Binnen Minuten holt Indien zum Gegenschlag aus und legt das Wirtschaftszentrum von Hyderabad in Schutt und Asche. Die Zahl der Opfer auf beiden Seiten wird auf insgesamt über eine Million geschätzt, ein halbes Promille der Bevölkerung beider Länder.

Der kurze, aber verheerende Krieg löst einen Schock in der Welt aus, denn ein Atomkrieg gilt damals als ausgeschlossen. Niemand kann sich vorstellen, dass die Waffen zu mehr als nur zur Abschreckung dienen. Schon 2048, ein Jahr nach dem zweiten nuklearen Konflikt der Weltgeschichte, beginnen die 14 Atommächte mit ihren globalen Abrüstungsverhandlungen. Diese finden vier Jahrzehnte später ihr offizielles Ende, als der letzte Atomsprengkopf der israelischen Armee 2089 vor den Augen der Weltpresse auf der Militärbasis Beit Zachariah öffentlich zerlegt wird.

Die ernsthaften Bemühungen der Nationen, ihren Ausstoß an Treibhausgasen zu begrenzen, zeigen 2050 erste Erfolge: Die Kohlendioxid-Emissionen sinken trotz weiter wachsender Weltbevölkerung. Doch dann kommt der Rückgang wegen der wachsenden Konsumansprüche in den Aufsteigernationen und der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas ins Stocken. Dort leben mittlerweile über zwei Milliarden Menschen.

2053 hat Chinas Bevölkerung ein höheres Durchschnittsalter als die Europäer erreicht; 29 Prozent aller Chinesen sind älter als 64 Jahre. Vor allem aus Afrika rekrutiert China qualifizierte Arbeitskräfte, um seinen Fachkräftemangel zu bekämpfen.

2070 notieren die Rückversicherer so viele Wetterextreme wie nie zuvor. Ein Megazyklon im Golf von Bengalen verschlingt sämtliche Bangladesch vorgelagerten Inseln. Dank des meteorologischen Frühwarnsystems konnten die meisten Bewohner rechtzeitig evakuiert werden. Doch für die Flüchtlinge gibt es kein neues Zuhause, weil auch der Küstenstreifen Bangladeschs zerstört ist. Im gleichen Jahr bricht die Nordseeinsel Sylt nach einem tagelangen Novembersturm in zwei Stücke. Die friesischen Inseln sowie die Halligen, die rechtzeitig evakuiert worden sind, verschwinden völlig von der Landkarte und machen das Oberland von Helgoland zum letzten Außenposten Deutschlands in der Nordsee. Die anhaltende Dürre in Westafrika und dem Nahen Osten treibt über zwei Millionen Menschen in das Gebiet oberhalb des Schwarzen Meeres, wo sich die ukrainische und russische Bevölkerung aufgrund niedriger Fertilitätsraten und des anhaltend hohen Alkoholkonsums stark dezimiert hat.

Seit den 2080er Jahren verlangsamen sich die Innovationszyklen der Konsumgüterindustrie. Die Belegschaften der Forschungsabteilungen sind deutlich gealtert und interessieren sich mehr für eine Optimierung alter Produkte als für komplett neue Produktlinien. Vor allem vermindert sich der Konsum der älter werdenden Bevölkerung in den ehemaligen Entwicklungsländern. Der internationale Handel geht zurück und die Deglobalisierung schreitet voran.

Am 9. Oktober 2083 erklären die Vereinten Nationen Yousouf Arabagh aus Kano, einem nördlichen Teilstaat des früheren Nigeria, zum Erdenbürger Nummer 9173391677. Nach Berechnungen der Bevölkerungsabteilung der UN, die schon lange aus dem überfluteten Teil New Yorks nach Denver, Colorado übersiedelt ist, soll Yousouf das letzte Kind sein, das zum globalen Bevölkerungswachstum beigetragen hat. Die historische Weltbevölkerungsuhr – ein Gerät aus der Frühzeit der Elektronik, das einst aufgestellt wurde, um den unaufhaltsamen Aufstieg der Spezies Mensch zu dokumentieren – wird aus dem Verkehr gezogen, weil sie nicht rückwärts laufen kann. Papst Paul VIII. warnt auf einer Pilgertour durch Afrika, wo mittlerweile 3,1 Milliarden Menschen leben, vor den Folgen der moralisch verwerflichen Familienplanung.

Die neue Kooperationsbereitschaft unter den Staatenbünden nach der Gründung der WUUN im Jahr 2092 führt dazu, dass sämtliche Pharmaunternehmen der Welt alle ihre Forschungsergebnisse zu neuen Wirkstoffen auf eine Open-Access-Plattform stellen. Wissenschaftler und Ärzte aller Länder können darauf zurückgreifen und die Moleküle an dreidimensionalen Modellen weiterentwickeln, die den gesamten Stoffwechsel des Menschen sowie die Wechselwirkung mit Arzneimitteln, Nahrungsbestandteilen und genetischen Steuerelementen bis auf die molekulare Ebene darstellen.

Gute Geschäfte machen die Medizintechnikunternehmen mit 3D-Bio-Druckern für künstliche Organe. Aber diese Geräte taugen nur zum Ausdrucken von einfachen Ersatzteilen wie Fingern, Luftröhren oder Herzklappen. Im Jahr 2094 gelingt es dann erstmals, Stammzellen gezielt auf jede gewünschte Funktion hin zu programmieren, und auf diesem Weg auch Nieren oder komplette Augäpfel heranwachsen zu lassen. Alterungsprozesse lassen sich durch Behandlung mit einem »Designer-Enzym« verlangsamen. Es schleust gezielt eine Variante des »Methusalem-Gens« in das menschliche Erbgut, das früher nur bei manchen glücklichen Hundertjährigen zu finden war.

2100 ist die Weltbevölkerung auf eine Zahl von 8993700246 gesunken. Die Frauen bekommen im weltweiten Mittel 1,85 Kinder, also weniger, als für eine stabile Bevölkerung nötig wäre. Europas Anteil an der Weltbevölkerung hat sich von zwölf auf sechs Prozent halbiert, während der Anteil der auf dem afrikanischen Kontinent lebenden Menschen sich verdoppelt hat: von 13 auf 26 Prozent. Allein auf der Fläche des ehemaligen Nigeria ist die Bevölkerung im 21. Jahrhundert um das Fünffache von 125 auf 750 Millionen gewachsen.

2115 bildet sich ein weltweiter Verbund der »Closed Cycles Cities«. Die ersten dieser Städte mit geschlossenen Stoffkreisläufen waren an der Westküste Grönlands entstanden, als die vielen Zuwanderer sich eine neue Heimat aufbauen mussten und dabei Ideen aus der ganzen Welt mitbrachten. In den Kreislaufstädten basiert die Energieversorgung komplett auf Solar- und Windanlagen. Nicht benötigter Strom wird zur Herstellung von speicherbarem Wasserstoff verwendet. Jede Materie, die früher als Müll deklariert wurde, fließt an einen Ort zurück, an dem sie nützlich sein kann. Selbst Haushaltsgeräte, Kunststoffe oder Medikamente enthalten keine nicht abbaubaren Stoffe mehr. Lebensmittel stammen aus der direkten Umgebung der Städte. Umgekehrt kehren sämtliche organischen Abfälle und Abwässer als Düngemittel in die nahe gelegene Landwirtschaft zurück.

Zu den größten Attraktionen der Kreislaufstädte gehören Müllmuseen, in denen Berge von Elektroschrott aus dem 21. Jahrhundert ausgestellt werden, Atommüllcontainer, kontaminierte Böden oder Plastikteile aller Größen, Formen und Farben, wie sie früher an allen Stränden der Welt und in den Ozeanen zu finden waren. In den Museen können die Besucher virtuelle Reisen zu den Wohlstandsexzessen der Vergangenheit erleben: Sie brettern mit 230 Sachen über deutsche Autobahnen, vertilgen Riesensteaks in amerikanischen All-you-can-eat-Restaurants, shoppen mit russischen Milliardären in St. Moritz, spielen als Scheichs in der klimatisierten, begrünten Wüste Golf oder hedgen und leveragen mit Londoner Investmentbankern.

2161 werden sämtliche Bewohner von den letzten Atollen der Malediven umquartiert. 700 Malediver finden eine neue Existenz in Grönland. Dort etabliert sich auch eine Exilregierung, die sich weigert, die Souveränität der Republik Malediven aufzugeben. Sie entsendet von Indien aus eine permanente schwimmende Forschungsplattform, die auf der Sandbank der Insel Villingili im Addu-Atoll festmacht (des höchstgelegenen Teils der einstigen Nation) und die auch bei Springflut die grün-rote Nationalflagge mit dem Halbmond hochhält.

Im Jahr 2171 leben 7,2 Milliarden Menschen auf der Erde, so viel wie im Jahr 2014 schon einmal.

2211 nehmen die »No Use Areas« erstmals mehr als die Hälfte der Landfläche der Erde ein. Diese von der WUUN verwalteten Gebiete, früher Nationalparks genannt, dürfen von Menschen zwar betreten und erwandert, aber in keiner anderen Weise genutzt werden.

2268 zählt die Welt nur noch sieben Länder, in denen die Kinderzahlen je Frau oberhalb des Erhaltungsniveaus von 2,05 liegt – darunter die am weitesten entwickelten Länder Island und Grönland. In Ländern, in denen sich die sozioökonomische Entwicklung stabilisiert hat und Modelle für ein Wohlergehen der Menschen unter Postwachstumsbedingungen entstanden sind, steigen die Kinderzahlen langsam wieder in Richtung 2,0.

2297 unterschreitet die Weltbevölkerung die Vier-Milliarden-Grenze.

*

Dass sich die Welt genau in dieser Art entwickelt, ist relativ unwahrscheinlich. Niemand kennt den demografischen, den wirtschaftlichen, den gesellschaftlichen Pfad in die Zukunft. Keiner weiß, wie die Menschen auf den Wandel reagieren werden. Alles kann ganz anders kommen.

Doch bei aller Unsicherheit über das, was die Zukunft bringt: Einige Weichen für die längerfristige Entwicklung auf dem Planeten Erde sind heute schon gestellt. Sicher ist, dass die Weltbevölkerung vorerst weiter wächst. Sicher ist auch, dass die Entwicklung der Weltwirtschaft mit hohem Tempo voranschreitet und sich deshalb der Druck auf die Ressourcen der Erde erhöhen wird. Und ebenso sicher ist, dass Trinkwasser und Ackerland knapp werden und der Klimawandel sich beschleunigt.

Doch allen diesen Prozessen wohnt ein Ende des Wachstums bereits inne. So wird die Zahl der Menschen nicht bis in alle Ewigkeit wachsen. Sinkende Kinderzahlen lassen obendrein die Bevölkerungen weiter altern. Mit weniger und älteren Menschen schwinden auch die Wachstumsaussichten der Wirtschaft. Addiert man hierzu die ökonomischen Bremseffekte, die durch Ressourcenknappheit, Nahrungsmittelkrisen und Klimawandel zu erwarten sind, dürfte sich auch das Wirtschaftswachstum mittelfristig abschwächen und irgendwann sogar ausklingen. Damit schwinden auch die ungewollten Nebeneffekte des Wachstums, die das Leben auf der Erde zunehmend erschweren.

Dies wäre der Weg in die »heile Welt«, die Grönland und andere Weltregionen einmal erleben könnten. Aber er folgt keinem Masterplan. Das Ende des Bevölkerungswachstums ist vielmehr die zwangsläufige Folge von Veränderungen in der Gesellschaft. Das Erlahmen des Wirtschaftswachstums ist wiederum eine Folge davon und spiegelt außerdem die Tatsache wider, dass sich die ökologischen Rahmenbedingungen für ein dauerhaftes Wachstum verschlechtern.

Es ist also eine Art von Automatismus, der uns das Ende des Wachstums beschert. Weder Umweltbewusstsein noch Verantwortungsgefühl für kommende Generationen führen in diese Richtung. Es ist nicht der Homo sapiens, der am Steuer sitzt, sondern die Umwelt, die uns steuert. Denn wir werden uns kaum aus freien Stücken dafür entscheiden, dem Wachstum Grenzen zu setzen.

Diese Zwangsläufigkeit bedeutet nicht, dass wir die Hände in den Schoß legen und abwarten können, bis sich alles zum Guten wendet. Auch wenn auf lange Sicht vieles besser werden dürfte: Es wird erst einmal schlimmer und schwieriger, bevor es einfacher wird. Weil nach wie vor alle Zeichen auf Wachstum stehen, werden die kommenden 200 bis 300 Jahre bis zum »Paradies der Nachhaltigkeit« nicht ohne massive Krisen ablaufen. Doch wie krisenhaft diese Zeit verläuft, hängt von der Umwelt-, Energie- und Bevölkerungspolitik der heutigen Generation ab. Gerade deshalb haben die Weichenstellungen der näheren Zukunft einen entscheidenden Einfluss auf das Leben in der fernen Zukunft. Das Zeitfenster für mögliche Entscheidungen wird mit jedem Tag kleiner. Die Verantwortung der heutigen Generation steigt mit jedem Tag. Es wird Zeit, dies zu begreifen.

Davon handelt dieses Buch.

Kapitel 2MIT VOLLGAS IN DIE ZUKUNFTWarum Wachstum (noch) die Welt regiert

Überall auf der Welt geht es immer mehr Menschen immer besser. Vor allem in den Schwellenländern wächst eine globale Mittelschicht heran. Die Aufsteigernationen folgen damit dem Wohlstandsmodell der Industrienationen und werden zu fleißigen Konsumenten. Der Verbrauch von Energie und anderen Ressourcen erreicht einen Rekord nach dem anderen. Wachstum ist in einer Endlosspirale die Voraussetzung für weiteres Wachstum geworden.

Mehr Wachstum war nie. Um uns herum nimmt so gut wie alles zu: Die Weltbevölkerung wächst, die globale Wirtschaftskraft, der Verbrauch an Kohle, Öl und Gas, an Kobalt und Nickel, an häufigem Silizium und seltenen Erden. Die Zahl der produzierten Güter wächst ebenfalls, die der Autos, Flugzeuge, Elektrogeräte, Möbel oder Kleidungsstücke. Die Infrastruktur gedeiht in Form von Straßen, Flughäfen, Kraftwerken oder Fußballstadien. Die Zahl der olympischen Sportarten nimmt zu, genauso wie die Zahl der dafür notwendigen Ausrüstungen. Die Anzahl der Dienstleistungen und Erfindungen steigt, die Zahl der abgeschlossenen Verträge und Versicherungen, der Kredite, der geplatzten Kredite und die Zahl der Finanzprodukte.

Wussten Sie, dass es 2013 weltweit rund 6,8 Milliarden angemeldete Mobiltelefone gab, obwohl zu dem Zeitpunkt nur etwas über sieben Milliarden Menschen lebten, von denen viele zu jung, zu alt oder zu arm waren, um ein Handy zu besitzen?1 Wussten Sie, dass diese Geräte im Schnitt nur 18 Monate im Gebrauch bleiben, womit pro Jahr viereinhalb Milliarden Handys auf dem Müll landen.2 Und dass dieser Müllberg so viel wiegt wie 45 Eiffeltürme? Wenn Sie es nicht wussten – kein Problem: Die Zahlen sind ohnehin schon wieder veraltet.

Bleiben wir zunächst einmal bei der Zahl der Menschen. Sie ist im 20. Jahrhundert von 1,6 auf 6,1 Milliarden angewachsen. Dieses Bevölkerungswachstum wurde oft fälschlicherweise als »Explosion« bezeichnet, aber es verlief gar nicht explosiv, sondern kontinuierlich über viele Jahrzehnte, ohne großen Knall und ohne abrupte Zerstörung. Und es ist noch längst nicht zu Ende. Seit der Jahrtausendwende ist noch einmal eine Milliarde hinzugekommen, und das in der Rekordzeit von nur zwölf Jahren. Allein von Mitte 2012 bis Mitte 2013 wuchs die Menschheit um etwa 86 Millionen – also um mehr als ein ganzes Deutschland. Alle zwei Wochen kommt ein ganzes Berlin hinzu. Jeden Tag wächst die Weltbevölkerung um ein Freiburg oder ein Magdeburg. Einmal Ein- und Ausatmen beschert uns acht weitere Erdenbürger.3 Die Vereinten Nationen gehen in ihrem mittleren Szenario davon aus, dass sich das Wachstum zwar verlangsamt, aber dass bis 2050 weitere 2,5 Milliarden hinzukommen und damit 9,6 Milliarden Menschen den Planeten bevölkern.4

Der Begriff der Explosion hatte sich eingebürgert, weil das Wachstum gegen alle Erwartungen von Pessimisten und Untergangspropheten Wirklichkeit geworden war. Schon lange bevor das Wachstum überhaupt an Fahrt aufgenommen hatte, gab es erste Warnungen vor einer Überbevölkerung: Der 1766 geborene englische Pastor und Nationalökonom Thomas Robert Malthus war als einer der Ersten der Meinung, dass es mit der wachsenden Menschheit kein gutes Ende nehmen werde. Angesichts des Elends seiner Zeit und der vielen Kinder der englischen Unterschichten hatte Malthus Hungersnöte, Verteilungskämpfe und Epidemien vorausgesagt. Diese würden die Expansion der Bevölkerung stoppen, falls das Wachstum nicht vorbeugend gebremst würde.5 Sieben Milliarden hätte es demnach nie geben dürfen. Doch seit Malthus’ Zeiten kann von Kontrolle keine Rede sein, denn die Weltbevölkerung hat sich seither fast verzehnfacht und mittlerweile sind aus einstigen Hungernationen Industriestaaten oder zumindest aufstrebende Schwellenländer geworden.

Malthus hatte die positive checks, die natürliche Kontrolle der Bevölkerung, überschätzt – und die Ausweichmöglichkeiten der Menschen gewaltig unterschätzt. Zum einen wusste er nicht, dass seine Landsleute noch zu seinen Lebzeiten begannen, in Scharen aus ihrer Heimat Großbritannien auszuwandern. Zwischen 1815 und 1914 ging rund ein Drittel der Briten in die Kolonien der Neuen Welt und entzog sich so dem Elend zu Hause. Auch die anderen Europäer schoben ihre überschüssige Bevölkerung einfach in die dünner besiedelten Gebiete jenseits der Ozeane ab. Rund 50 Millionen haben damals ihr Glück in der Ferne gesucht.

Zum anderen hatte Malthus keine Ahnung davon, wie es den Menschen immer wieder gelingen sollte, die Tragfähigkeit ihrer Lebensräume zu erhöhen. Malthus’ ursprüngliche Überlegung fußte auf der Berechnung, dass die Zahl der Menschen nach einem geometrischen Muster wachse, also aus zwei Eltern vier Kinder, acht Enkel, 16 Urenkel würden und so weiter. Er ging weiter davon aus, dass die landwirtschaftlichen Erträge sich aber nur in arithmetischer Progression steigern ließen, also in gleichen Zeitschritten nur von einer Tonne auf zwei, auf drei, und vier Tonnen Weizen wüchsen. Das Ergebnis: immer weniger Nahrung für immer mehr Menschen. Wenn die Menschen ihren Vermehrungstrieb nicht zügelten, schrieb der Kirchenmann Malthus, werde das Wachstum in der Katastrophe enden.

Schlechte Zeiten für Malthusianer

Doch wie 10000 Jahre zuvor schon die Neolithische Revolution – die Erfindung von Ackerbau und Viehzucht – die Zahl der auf einer bestimmten Fläche lebenden Menschen ungefähr um den Faktor zehn erhöhen konnte, steigerte die Industrielle Revolution, die zu Malthus’ Zeiten gerade begonnen hatte, noch einmal die Tragfähigkeit – Dampfmaschine, Arbeitsteilung und Massenproduktion sei Dank.

Als dann im 20. Jahrhundert auch die Bevölkerung in den armen Ländern jenseits der Industriestaaten ihren großen Wachstumsschub erfuhr, erwarteten Neo-Malthusianer wie der amerikanische Biologe Paul Ehrlich erneut verheerende positive checks: »In den 1970ern werden Hunderte von Millionen Menschen trotz aller Notfallprogramme verhungern«, schrieb Ehrlich, »nichts kann eine deutliche Zunahme der Sterberate auf der Welt verhindern.«6

Doch als er diese Zeilen schrieb, waren die Arbeiten an der Grünen Revolution bereits in vollem Gange. Schon in den 1950er Jahren hatten Züchter in mexikanischen Forschungsanstalten, später vor allem in dem Internationalen Reisforschungsinstitut auf den Philippinen, Getreidepflanzen entwickelt, die ihr Wachstum weniger auf lange Stängel und große Blätter konzentrierten, sondern auf dickere und mehr Körner. Mit diesen Hochertragssorten konnten die Menschen einmal mehr die als unumstößlich angesehenen Grenzen der Tragfähigkeit überschreiten, sie geradezu außer Kraft setzen: Die Züchtungen halfen den Bauern der Entwicklungsländer, ihre Ernten binnen zwei Jahrzehnten um das Zweieinhalbfache zu steigern. Die bäuerlichen Züchter in den heutigen Industrienationen hatten für einen solchen Schub noch mehr als 600 Jahre gebraucht.7 Vor allem Indien, Pakistan und Bangladesch, jene Länder, in denen die Furcht vor Hungersnöten am größten gewesen war, entkamen so den malthusianischen Alpträumen.

Damit konnte die Landwirtschaft nicht nur mit dem Wachstum der Menschheit Schritt halten, sie war im Vergleich zur enormen Reproduktion der Menschen sogar noch produktiver. Während sich die Menschheit seit den 1960er Jahren »nur« verdoppelt hat, ließ sich die Nahrungsmittelproduktion im gleichen Zeitraum verdreifachen. Pro Kopf der Erdbevölkerung steht damit statistisch die anderthalbfache Menge Nahrung zur Verfügung. Auch wenn diese nach wie vor alles andere als gerecht verteilt ist: Es gibt heute weniger Hunger als noch vor 50 Jahren.

Paul Ehrlich wie auch Thomas Malthus hatten zwar berechtigte Überlegungen angestellt, die bis heute nichts an Brisanz verloren haben, aber sie blieben auch in der Vorstellungskraft ihrer eigenen Zeit gefangen. Und damit erging es ihnen ironischerweise ähnlich wie den vorwissenschaftlichen Theologen des 17. Jahrhunderts. Damals hatte der preußische Geistliche, Mediziner und Jurist Johann Peter Süßmilch eine theoretische Obergrenze der menschlichen Population berechnet. Süßmilch gilt als Urvater der deutschen Demografie und Bevölkerungsstatistik, weil er früher als andere alle Parameter der Bevölkerungsentwicklung erkannt und beschrieben hatte. Als er 1741 seine Berechnungen veröffentlichte, lebten gerade einmal 700000 Millionen Bewohner auf Erden – eine Zahl, die Süßmilch mangels internationaler Statistiken gar nicht bekannt war.8

Dennoch bezifferte er die Tragkraft der Erde in seiner systematischen Analyse auf sieben Milliarden Menschen, also jene Zahl, die heute erreicht ist. Für seine theologischen Zeitgenossen blieb diese Prognose reine Spinnerei – nicht nur, weil sie sich unter einer Verzehnfachung der Weltbevölkerung nichts vorstellen konnten, sondern auch, weil manche von ihnen meinten, die Materie der Erde reiche nicht aus für die leibliche Auferstehung so vieler Menschen, plus jener, die schon zuvor gelebt hatten. Die Grenzen des Wachstums ließen sich also schon immer unter sehr verschiedenen Blickwinkeln betrachten.

Mit der Bevölkerung wuchsen auch die Fähigkeiten der Gesellschaften, die Volkseinkommen, die Pro-Kopf-Einkommen, der Rohstoffverbrauch im Allgemeinen, der Energieverbrauch*1 im Speziellen, die Ansprüche der Menschen und damit ganz massiv der Umschlag an Materialien. Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum hingen dabei eng zusammen, denn ohne das Zweite wäre das Erste nicht möglich gewesen: Ohne Wirtschaftswachstum wären Malthus’ positive checks zum Tragen gekommen.

Immer effizienter

Seit die Menschen entdeckt haben, dass in den Überbleibseln der Farnwälder aus der erdgeschichtlichen Epoche des Karbon gespeicherte Solarenergie steckt, mit der sich Dampfmaschinen oder Eisenbahnen, Flugzeugtriebwerke, Laubbläser und elektrische Pfeffermühlen betreiben lassen, war es notwendig geworden, neben Energie auch andere Rohstoffe aller Art in gigantischen Mengen bereitzustellen. Mussten anfangs noch schwitzende Männer unter Tage mit Muskelkraft die Kohle aus den Flözen stemmen oder Eisen- und Kupfererz aus dem Gestein klopfen, damit das Feuer lodern und die Metallschmelzen kochen konnten, hat der Mensch im Laufe der Zeit Technologien entwickelt, die den Abbau massiv erleichtern.

Heutzutage gibt es Radlader mit Schaufeln so groß wie Einfamilienhäuser, die das Schürfen im Erdreich deutlich bequemer machen. Und es gibt reptilienartige Braunkohlebagger auf zwölf Riesenraupen, die diese Monster wie Zwergenspielzeug aussehen lassen. Die Schaufelradgiganten im nordrhein-westfälischen Garzweiler oder in Hambach werden 240000 genannt, weil sie pro Tag bis zu 240000 Tonnen Braunkohle aus der Erde reißen. Mit dieser Menge Material ließe sich ein Fußballstadion 30 Meter tief unter Kohle begraben.

Dem Erfindergeist sind bei der Ausbeutung keinerlei Grenzen gesetzt, wie diese wenigen Beispiele zeigen: Mit dem »Scarifier Forest Disc Trencher«, einem achtfüßigen Ungeheuer, das vier rotierende, mit Stahlzähnen bewehrte Umgrabescheiben hinter sich herzieht, lassen sich pro Stunde die Wurzelstöcke und das Gestrüpp nebst Steinen auf 2,4 Hektar kahlgeschlagenem Waldboden zermalmen. »Backenbrecher« genannte stählerne Riesen zertrümmern ganze Steinbrüche, ausgediente Gebäude oder Betondecken von Autobahnen mühelos zu Schotter und Staub. Fischfangflotten hängen bis zu 100 Kilometer lange Treibnetze ins Meer, in denen sich jegliches Seegetier ab einer bestimmten Größe verheddert. Die tödlichen Gardinen sind zwar seit 1991 von den Vereinten Nationen geächtet, aber deswegen noch lange nicht aus der Mode gekommen. Und die Ölförderung dringt mittlerweile in die »Ultratiefsee« vor, in Ozeangebiete von bis zu 5000 Metern Tiefe. Die Atlantikregion zwischen dem Golf von Mexiko, Brasilien und dem westafrikanischen Angola firmiert bei den Exploratoren dank der neuen Technik schon als »Goldenes Dreieck«.

Und weil die Ölfirmen auf der Suche nach Erdöl an Land oft auch auf wasserführende Erdschichten stoßen, die vor Zehntausenden von Jahren entstanden sind, wird dieses »fossile« oder Paläo-Wasser gleich mit gefördert. Die USA, Libyen, Saudi-Arabien und China pumpen davon täglich Abermillionen von Kubikmetern an die Oberfläche – für die Landwirtschaft, für die Industrie und die Haushalte. Die fossilen Lagerstätten bräuchten aber Hunderte von Generationen, um sich zu regenerieren. Einmal leergepumpt, liefern sie in menschlichen Zeiträumen keinen Tropfen Wasser mehr. Länder des Mittleren Ostens wie der Jemen haben schon so viel von den alten Reserven abgezapft, dass diese kurz vor ihrem Ende stehen.

Zu viel Unordnung

Im Zentrum des Wachstums, der Produktion von immer mehr Gütern, steht der Energieverbrauch. Ohne Energie stehen alle Räder still. Seit 250 Jahren entnehmen wir die Energie im Wesentlichen dem System der Erde. Dort liegen gespeicherte Vorräte begraben, die wir zwar in ihrer Form verändern können. Fossile Energie können wir in Wärme verwandeln, diese in Bewegungs-, elektrische oder Lichtenergie. Aber bei allen Umwandlungsprozessen geht ein Teil der Energie als Abwärme verloren. Dieser Verlust wird als Unordnung, als Entropie bezeichnet. Wir zehren also die auf dem System Erde vorhandenen Energievorräte langsam auf und verwandeln sie in Entropie.

Wenn wir die Tragfähigkeit einer Region oder der ganzen Erde erhöhen, ist das immer mit einem Mehreinsatz von Energie verbunden, der für mehr Unordnung sorgt. Irgendwann gibt das System nichts mehr her, weil die Vorräte aufgebraucht sind. Oder die Unordnung wird schon vorher zu groß für ein geregeltes Leben – etwa, wenn sich immer mehr Abgase aus dem Energieverbrauch in der Atmosphäre ansammeln. Wir können alles Mögliche erfinden, um uns das Dasein zu erleichtern – wir können aber nicht die Gesetze der Thermodynamik außer Kraft setzen. Irgendwann kommt der Moment, wo die Unordnung unser Dasein erschwert.

Die sieben Milliarden Menschen, die sich Thomas Malthus nie hätte vorstellen können, haben im Jahr 2011 eine Energiemenge umgesetzt, unter der sich bestenfalls ein paar Ingenieure oder Physiker etwas vorstellen können: rund 514 Exajoule, das ist eine Zahl mit 18 Nullen hinter der 514. Die Energie stammt aus den verschiedensten Quellen. Würde man sie in Öläquivalente umrechnen, entspräche sie einer Menge von 12,3 Milliarden Tonnen Erdöl – oder 1,7 Tonnen Ölkonsum für jedes einzelne Mitglied der Weltbevölkerung.9 Damit heizen und kühlen wir, fahren Auto und fliegen, produzieren und transportieren jene Güter, die wir brauchen (oder zu brauchen glauben).

Die Menschheit hat 44 Jahre benötigt, um ihre Zahl seit 1968 auf den heutigen Wert von 7,1 Milliarden zu verdoppeln. Im gleichen Zeitraum hat sich der Energieverbrauch jedoch ungefähr verdreifacht. Fast 80 Prozent der Energie stammen aus den fossilen Brennstoffen Erdöl, Kohle und Erdgas. Die Industrie liefert zwar fortwährend sparsamere Motoren für Autos, Schiffe und Flugzeuge, die Häuser werden besser gegen Wärmeverluste isoliert und alle Haushaltsgeräte verbrauchen weniger Strom als früher. Doch die Gesamtmenge an Energie, die durch diese Maschinen und Geräte fließt, wächst und wächst. Und weil als Endprodukt der Verbrennung von fossilen Energien Kohlendioxid (CO2) entsteht, das wichtigste unter den menschengemachten Treibhausgasen, sind auch die Emissionen im gleichen Zeitraum stärker angewachsen, als es die Zahl der Menschen ist. War ein Erdenbewohner 1967 im Durchschnitt noch für knapp 3,5 Tonnen CO2 verantwortlich, sind es heute etwa 4,6 Tonnen.

Es darf gerne etwas mehr sein

Die jüngere Geschichte der Menschheit lässt sich somit auf eine kurze Formel bringen: Mehr Menschen wollen und bekommen immer mehr.

Zum Beispiel Fleisch. Die Fleischkonsumkurve zeigt den gleichen Verlauf wie die des Energieverbrauchs, der Zahl der Autos, der zurückgelegten Flugkilometer oder des CO2-Ausstoßes. Eiweiß von an Land lebenden Tieren gehört seit Jahrmillionen zum Speiseplan des aufrecht gehenden Menschen. Auch der Homo sapiens ist ein typischer Omnivore: Er isst alles, was man ihm vorsetzt. Aber in früheren Zeiten war Fleisch die Ausnahme, ein Luxusnahrungsmittel. Fleisch aß nur, wer ein wildes Tier erlegen konnte, und das war mit einem gewissen Aufwand und Risiko verbunden. Und auch wer große Weideflächen entbehren oder sich erlauben konnte, Massen an Futtermitteln zu produzieren (statt sie selbst zu essen), die Tiere zu hüten, zu pflegen und Ställe zu bauen, kam in den Genuss von Fleisch. Heute gibt es Fleisch in rauhen Mengen und für lächerliche Beträge in jeder Supermarktkühltheke, aber der materielle Aufwand für die Fleischproduktion ist eher noch gestiegen: Allein ein Drittel der globalen Agrarflächen ist für die Produktion von Viehfutter reserviert.

Die Welternährungsorganisation FAO, die den besten Überblick über die weltweite Ernährungslage haben dürfte, stellt fest, dass die Menschen 2012 mehr als 300 Millionen Tonnen Fleisch produziert haben – über 42 Kilo pro Kopf und Jahr. Die Reichen essen mehr Fleisch als die Armen, aber weil viele der einst Armen langsam reicher werden, kommen die Bewohner der Schwellen- und Entwicklungsländer immerhin schon auf fast 33 Kilo. Dass die Menschen in den Industrieländern mittlerweile umwelt- und ernährungsbewusst geworden sind, lesen wir zwar täglich in der Zeitung. In Zahlen schlägt sich das bisher jedoch kaum nieder: Ihr Fleischkonsum ist zwischen 2006 und 2012 von 81 auf 79 Kilo gesunken. Die Deutschen sind dabei mit 60 Kilo nur wenig genügsamer als der Schnitt.10

Nun ist Essen ein Grundbedürfnis des Menschen. Für andere Konsumgüter lässt sich das nicht unbedingt behaupten, weshalb die Zuwachsraten in diesem Bereich umso bemerkenswerter sind. Die amerikanische Sozialwissenschaftlerin Juliet Schor hat dieses Wachstum am Beispiel der Konsumgewohnheiten ihrer Heimat ausführlich beschrieben. Zwischen 1998 und 2007, so rechnet Schor vor, hat sich das Gewicht praktisch aller konsumierten Güter in den USA drastisch erhöht. Was die Amerikaner 2007 beispielsweise an Lebensmitteln kauften, wog 46 Gewichtsprozente mehr als zehn Jahre zuvor (natürlich wogen auch die Amerikaner selbst mehr als 1997).

Der Medikamentenkonsum stieg um 226 und der Konsum von Mobiltelefonen um 800 Gewichtsprozente. Der Möbelkonsum erhöhte sich um 154 Prozent. Menschen (nicht nur in den USA) haben offensichtlich ein unstillbares Bedürfnis, »ihr Heim neu zu dekorieren«. Dieses wird am besten durch den »Ikea-Effekt« befriedigt: Sofas, Betten und Tische sind so billig, dass man sie nach wenigen Jahren getrost zum Sperrmüll geben kann, um neue Einrichtungsstücke mit noch kürzerer Halbwertszeit zu kaufen. Der durchschnittliche US-Amerikaner kauft im Schnitt übrigens auch zwei neue Kleidungsstücke pro Woche – über 100 im Jahr. Kein Wunder, dass dabei das Bruttoinlandsprodukt (BIP) steigt, errechnet es sich doch aus der Summe aller produzierten Waren und Dienstleistungen.

Historisch betrachtet war das BIP pro Kopf bis ins späte Mittelalter eine Million Jahre lang so gut wie gar nicht gewachsen. Erst nach dem 30-jährigen Krieg im 17. Jahrhundert begann es, parallel zum Bevölkerungswachstum, überhaupt spürbar zu steigen, um dann von 1800 an enorm an Fahrt aufzunehmen. Erst seit der Industriellen Revolution ist es gelungen, praktisch alle Güter nicht nur schneller und damit billiger zu produzieren, sondern vor allem lebenserleichternde Produkte und Verfahren zu erfinden – von der Eisenbahn bis zum Internet –, die völlig neue Welten erschließen.

Seit 1960 hat sich das BIP pro Kopf inflationsbereinigt und weltweit betrachtet vervierfacht, seit 1900 ist es sogar um das 14fache gestiegen.11 Das ist nicht etwa deshalb so, weil die Menschen 14-mal so viel arbeiten oder weil der Anteil derjenigen in der Gesellschaft, die arbeiten, um das 14-fache gestiegen ist – sondern allein, weil die Menschen 14-mal cleverer, effizienter und produktiver zu Werke gehen und aus der Arbeit mehr Output pro Input herausholen. In Wirklichkeit sind sie sogar noch deutlich produktiver geworden. Denn einen Teil des Zugewinns an Produktivität haben sie in Nichtstun gesteckt – in Freizeit und früheren Ruhestand. Im Vergleich zum Beginn des 19. Jahrhunderts arbeiten die Menschen (gemessen an ihrer Lebenszeit) heute deutlich weniger. Setzt man steigendes BIP für wachsenden Wohlstand, wäre jeder Erdenbürger seit der vorletzten Jahrhundertwende im Schnitt also mindestens 14-mal reicher geworden.

Dabei sind es nicht die im Vergleich zu früher hohen Einkommen, die unseren heutigen Lebensstandard beschreiben, sondern die Dinge, die wir uns dafür kaufen können. Das viele Geld von heute würde uns beim Waren- und Leistungsangebot des 19. Jahrhunderts überhaupt nicht weiterhelfen. Drei Viertel unserer heutigen Ausgaben, schätzt der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Bradford De Long, gehen für Güter drauf, die vor dem Jahr 1800 noch gar nicht existiert haben.12

Wenn die Armen reicher werden

Der Sinn des BIP als Indikator für das Wohlergehen von Gesellschaften wird zwar in manchen reichen Ländern mittlerweile infrage gestellt. Doch in den aufstrebenden Nationen bildet das in der Regel stark steigende BIP mit Sicherheit einen höheren Wohlstand, bessere Bildungsmöglichkeiten, mehr Gesundheitsversorgung und mehr persönliche Freiheiten ab.

1981 galt über die Hälfte der Bevölkerung in den Entwicklungsländern als sehr arm, musste also der Definition nach von weniger als umgerechnet 1,25 US-Dollar (nach heutigem Wert) am Tag leben. 2010 waren es nur noch 21 Prozent.13 Sogar in Bangladesch, lange Zeit ein Synonym für Armut, Überschwemmungskatastrophen und Überbevölkerung, laufen Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum einträchtig nebeneinander her. 1971, im Jahr der Unabhängigkeit, lag das Land nach einem verheerenden, neunmonatigen Bürgerkrieg mit geschätzt einer Million Toten komplett am Boden. Bangladesch galt als hoffnungloser Fall der Entwicklungspolitik, vor allem, weil die Bevölkerung so stark wuchs. Außer Hungersnöten, Korruption und Regierungskrisen produzierte das Land keinerlei internationale Nachrichten.

In den 34 Jahren zwischen der Staatsgründung und dem Jahr 2005 verdoppelte sich die Bevölkerung auf 140 Millionen – heute sind es 153 Millionen. Weil das Land nur zweimal so groß ist wie Bayern, drängen sich im Durchschnitt auf einem Quadratkilometer über 1000 Menschen. Aber diese Zahl täuscht, denn ein großer Teil der Fläche von Bangladesch besteht aus Flüssen, die im Monsun gewaltig anschwellen können, sodass die Bevölkerungsdichte in Wirklichkeit bei über 1200 Menschen pro Quadratkilometer liegt. In keinem Flächenstaat der Welt leben die Menschen auch nur annähernd so dicht aufeinander.

Doch trotz des internationalen Pessimismus in den anfänglichen Katastrophenjahren hat sich das Bruttoinlandsprodukt von Bangladesch seit 1974 versiebenfacht. Die Lebenserwartung ist von 36 Jahren auf 69 Jahre gestiegen und das Wirtschaftswachstum lag in den vergangenen zehn Jahren bei durchschnittlich 6 Prozent pro Jahr. Ein hoffnungsloser Fall sieht anders aus.

Wie in Bangladesch drückt sich die Megaerfolgsgeschichte des Homo sapiens weltweit in der gestiegenen Lebenserwartung aus: Seit 1970 gewinnt der Durchschnittserdenbürger in jedem Jahr vier Monate Leben hinzu, was sich bis heute auf insgesamt 13 gewonnene Jahre summiert. Das ist, als hätte jeder Tag 30 Stunden. Da Gesundheit und ein langes Leben Umfragen zufolge zu den größten Glücksbringern im Leben der Menschen gehören, muss man davon ausgehen, dass die Menschen in den letzten Jahrzehnten sogar glücklicher und zufriedener geworden sind.

Reserven ohne Ende

Nicht einmal von einer Energiekrise kann man für den Moment reden. Dank neuer Fördermethoden vergrößern sich die mit verfügbarer Technik zu hebenden Vorräte schneller, als sie verbraucht werden. Ein höherer Ölpreis vollbringt dabei wahre Wunder. Zwischen 2004 und 2013 ist er von unter 40 US-Dollar je Fass (159 Liter) auf 110 Dollar gestiegen, und diese Verteuerung hat ausgereicht, um unvorstellbare Mengen neu verfügbar zu machen. So lagen die im Jahr 1980 als gesichert geltenden weltweiten Reserven bei 683 Milliarden Fass. Seit dieser Zeit wurden aber über 800 Milliarden Fass gefördert und Ende 2011 waren die gesicherten Reserven auf 1774 Milliarden Fass angestiegen.14 Das heißt, die nachgewiesenen und abbauwürdigen Vorräte haben sich mehr als verdoppelt, während die Menschheit im gleichen Zeitraum um zweieinhalb Milliarden angewachsen und im Pro-Kopf-Ölverbrauch nicht gerade bescheidener geworden ist.

Auch beim Erdgas gibt es die gleiche wundersame Energievermehrung. Und weil mittlerweile auch »unkonventionelle« Öl- und Gasquellen zu sprudeln beginnen, dürfte der Schlaraffenland-Trend noch eine Weile anhalten. Ölsande, Schieferöl und -gas, aber auch unvollständig ausgebeutete Rohstofffelder enthalten Energie für Jahrzehnte. In »leeren« Ölfeldern beispielsweise, in denen das »Easy Oil« ursprünglich mit primitiven Mitteln ausgebeutet wurde, ist mindestens noch die Hälfte der einstigen Vorräte vorhanden. Eine Bestandsaufnahme der amerikanischen Energieagentur (IEA) ergab 2013, dass es weltweit 10 Prozent mehr technisch förderbares Schiefergas gibt als bisher angenommen.15 Seit die USA das umstrittene »Fracking« bei der Förderung von Schiefergas und -öl einsetzen, könnte der einstmals größte Gasimporteur der Welt nicht nur autark, sondern sogar zum Exporteur von Gas sowie zum zweitgrößten Erdölproduzenten der Welt nach Saudi-Arabien werden.

Fracking löst das in dichtem Schiefergestein gebundene Erdgas (oder auch Erdöl, das »Tight Oil«) unter hohem Druck mit einer Mischung aus Sand, Wasser und grundwassergefährdenden Chemikalien und spült es Richtung Bohrloch, von wo es dann gefördert wird. Der unerwartete Energieboom hat die USA prompt von dem Trauma kleiner und spritsparender Autos erlöst: Auf der Automesse von Detroit im Frühjahr 2013 konnten die gerade erst reanimierten US-Hersteller erstmals wieder Alltagsfahrzeuge im Rambo-Format vorstellen. Neuester Trend: überdimensionierte Pick-ups als Familienkutschen.

Derzeit ist die Versorgung mit Öl und Gas auch bei gleichbleibender Nachfrage für rund 60 Jahre über die »Vorräte« gesichert. Weitere 100 Jahre ließen sich mit den gesicherten »Ressourcen« überbrücken – mit Lagern, deren Ausbeutung nach heutiger Vorstellung noch nicht lohnt. Von der Kohle ganz zu schweigen, deren gesicherte und zugängliche Vorkommen allein noch über 100 Jahre ausreichen. Selbst in Ländern wie Österreich, das beileibe nicht zu den klassischen Ölstaaten gehört, haben die Exploratoren 2011 insgesamt 13 Öl- und 11 Gasfelder entdeckt, die als wirtschaftlich ausbeutbar eingestuft werden.16

Und weil die Vorräte zumindest kurzfristig kein Thema sind, dürfte auch der Verbrauch weiter steigen – zumindest solange die Preise niedrig genug bleiben, um die Nachfrage hochzuhalten, aber gleichzeitig hoch genug, damit sich für die Energiekonzerne die Ausbeutung lohnt. Diese Gleichung haben offensichtlich alle Partner verstanden, und deshalb ist es im Interesse der Energielieferanten wie auch der meisten Abnehmer, dass die Balance zwischen Preis und Nachfrage möglichst lange aufrechterhalten bleibt. Bisher jedenfalls hat die Weltwirtschaft selbst einen Ölpreis von 120 US-Dollar je Fass weggesteckt, ein Preis, der früher als Garantie für eine globale Rezession galt.

Wie aber geht es weiter mit dem Wachstum auf allen Ebenen? Bleiben wir zunächst einmal bei den gängigen Szenarien: Wirtschaftliche Entwicklungen lassen sich bekanntermaßen nur sehr schwer voraussehen. Es gibt einfach zu viele externe Faktoren, die einen unkalkulierbaren Einfluss auf nationale und globale Ökonomien haben – politische Konflikte, Finanz- und Spekulationskrisen, soziale Umbrüche, Bürgerkriege, Natur- und Umweltkatastrophen.

Wenn Bevölkerungswachstum auf Wirtschaftswachstum trifft

Kurz- und mittelfristige Bevölkerungsprognosen hingegen sind eine ziemlich sichere Sache, denn die Bevölkerung der nahen Zukunft lässt sich im Wesentlichen durch eine buchhalterische Fortschreibung der heutigen Zahl an Menschen errechnen: Wer heute 20 Jahre zählt, ist in 20 Jahren 40 Jahre alt. Ein Großteil der Menschen, die 2033 leben werden, ist heute schon geboren. Und wir wissen: Sowohl die Fertilitätsraten, also die durchschnittlichen Kinderzahlen je Frau, als auch die Lebenserwartung werden sich nur wenig, zudem in einer absehbaren Richtung und kaum erratisch verändern. Aus diesen Gründen können Bevölkerungsvorausberechnungen die nähere Zukunft recht genau beschreiben.

Es gibt natürlich auch in diesem Bereich unerwartete Ereignisse: wenn etwa eine neue Krankheit wie Aids um sich greift oder wenn sich politische Systeme grundlegend verändern, wie es beim Fall des Eisernen Vorhangs geschah. Zwischen Rostock und Wladiwostok brachen damals die Fertilitätsraten ein, weil sich überall in Mittel- und Osteuropa neue Freiheiten und Reisemöglichkeiten ergaben, aber auch, weil der Systemzusammenbruch fast überall die Wirtschaftslage dramatisch verschlechterte. Auch Wanderungsbewegungen lassen sich nur schwer voraussagen. Sobald die Wirtschaft boomt, wie in Spanien oder Irland vor der Finanzkrise 2007/2008, strömen Hunderttausende von Arbeitskräften ins Land. Umgekehrt sind sie aber auch schnell wieder weg, wie sich in der aktuellen Krise gezeigt hat.

Wie wir bereits wissen, wächst die Weltbevölkerung derzeit um etwa 80 Millionen Köpfe pro Jahr. Dieses Wachstum ist allerdings sehr ungleich über die Erde verteilt und findet fast ausschließlich in den ärmsten Ländern statt. Am stärksten ist es in den 48 am wenigsten entwickelten Ländern, zu denen etwa Äthiopien, Mali oder Somalia gehören.17

Aus drei Gründen gilt es als sicher, dass das Bevölkerungswachstum in den armen Ländern vorerst anhält: Erstens erfahren die meisten Menschen in diesen Regionen heute eine verbesserte gesundheitliche Versorgung und leben länger. So ist die durchschnittliche Lebenserwartung in Ostasien seit den 1950er Jahren von 42 auf mittlerweile 75 Jahre gestiegen. Zweitens bekommen Frauen in den Entwicklungsländern deutlich mehr Kinder, als für eine stabile Bevölkerungszahl nötig wären – auf dem afrikanischen Kontinent liegt die durchschnittliche Kinderzahl bei 4,5. Und drittens sind die Bevölkerungen in den Entwicklungsländern im Schnitt sehr jung und zu einem großen Teil noch gar nicht im potenziellen Elternalter. Allein in den Ländern südlich der Sahara zählen 42 Prozent der Bevölkerung weniger als 16 Jahre.18

In Asien mit seinen demografischen Großmächten China und Indien leben die meisten Menschen auf der Welt. Doch prozentual wird Afrika aufgrund seiner jungen Bevölkerungsstruktur am stärksten wachsen. Bis 2050 dürfte sich die Einwohnerzahl dort auf über 2,4 Milliarden Menschen mehr als verdoppeln. In Asien und Lateinamerika ist mit einem Bevölkerungszuwachs von jeweils gut 20 Prozent zu rechnen. In absoluten Zahlen bedeutet das ein Plus von 1,3 Milliarden in Afrika, einer Milliarde in Asien und 260 Millionen auf dem amerikanischen Kontinent. Allein Indien und Pakistan werden bis 2050 zusammen annähernd so viele Einwohner hinzugewinnen, wie heute in den EU-Ländern leben. Ein Ende des globalen Bevölkerungswachstums ist also für die erste Hälfte dieses Jahrhunderts nicht zu erwarten.

Doch gerade in den Entwicklungs- und Schwellenländern kommen Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum zusammen. Die höchsten BIP-Zuwachsraten verbuchten im Zeitraum 2005 bis 2010 – in der Phase, da die Welt von einer Finanzkrise erfasst wurde – die asiatischen Schwellenländer (unter anderem China, Indonesien und Indien) mit neun, Afrika mit fünf und die asiatischen Tigerstaaten (darunter Singapur, Taiwan und Südkorea) mit vier Prozent jährlichem Wachstum. Die USA, die Taktgeber der Finanzkrise, kamen in dieser Phase lediglich auf ein Wachstum von 0,7 Prozent pro Jahr.

Besonders Afrika, das lange vom globalen Wirtschaftsgeschehen ausgeschlossen war, legt heute in seinem Wachstum zu. Zwar erwirtschaften die USA immer noch ein mehr als viermal größeres BIP