Sklavin der Sechs - Christoph Brandhurst - E-Book

Sklavin der Sechs E-Book

Christoph Brandhurst

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Beschreibung

Laura hat alles erreicht, was man sich im Leben wünscht. Wenn da nicht ihre Träume wären, die ihr sagen: Deine Erfüllung ist es, bedingungslos zu dienen! - Doch niemals würde sie diesen verstörenden Sehnsüchten nachgeben. Eines Abends kommt es in Berlin zu einer Begegnung mit einem geheimnisvollen Unbekannten: eine flüchtige Berührung, nur wenige Worte, die dennoch vieles verändern. Sie lässt sich auf eine verhängnisvolle Affäre ein. So verstörend sie auf Laura auch wirkt, der Faszination von Leidenschaft und Hingabe, Befehl und Hörigkeit, Demütigung und Zucht kann sie sich nicht entziehen. Sklavin der Sechs ist die Geschichte von Lauras Suche nach sich selbst. Banquette Bizarre ist eine neue Belletristik-Reihe im Bereich Lust & Liebe, zugeschnitten auf den Erfolgsautor und Experten für die handfesteren Themen in Sachen Erotik, Christoph Brandhurst. Seinem Faible für die dunkleren Seiten der Erotik bleibt Brandhurst auch mit dieser Reihe treu. Banquette Bizarre besteht aus insgesamt sechs Teilen, jeder Band ist jedoch in sich abgeschlossen. Die Romane haben unterschiedliche Hauptdarsteller, die dennoch auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden sind. Gemeinsam führen sie den Leser auf ein großes Finale zu. Banquette Bizarre macht süchtig. Abhängige müssen sich jeweils ein halbes Jahr gedulden, bis der nächste Band erscheint.

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Seitenzahl: 310

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Christoph Brandhurst

SKLAVIN DER SECHS

Banquette Bizarre – Band 1

Roman

EXPLIZIT

SCHWARZKOPF & SCHWARZKOPF

1

Sie hatte Erik nicht richtig verstanden. Ja, es konnte nicht anders sein. Sie musste sich verhört haben. Sie richtete sich auf ihrem Stuhl auf, zwischen dessen Lehnen sie die letzte halbe Stunde versunken gewesen war, weil das Meeting sie zu langweilen begonnen hatte. Sie straffte ihre Haltung, glättete mit einer schnellen Handbewegung die Falten auf ihrem Kostüm und richtete ihren Blick auf das andere Ende des Konferenztischs. Doch bevor sie Erik auffordern konnte, seine Aussage zu wiederholen, ergriff er selbst das Wort. Als hätte er geahnt, dass sie die vergangenen Minuten mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen war. Wo denn eigentlich? Für den Bruchteil einer Sekunde erinnerte sie sich. Dachtest du wieder an das …? Sie vergaß die Frage, als Eriks Worte zu ihr durchsickerten. Der gleiche Satz wie schon vor wenigen Sekunden. Diesmal verstand sie ihn klar und deutlich.

»Laura, ich werde dich jetzt ficken!«

Laura setzte zu einer Antwort an. Doch Erstaunen und Verwirrung waren zu groß. Ihr fehlten die Worte. Hoch aufgerichtet saß sie mit offenem Mund in ihrem Sessel, was sie ganz bestimmt ziemlich bescheuert aussehen ließ. Die amüsierten Blicke ihrer Kollegen, die links und rechts des massiven Kirschholztisches gruppiert saßen, ließen keinen Zweifel daran. Schamröte brannte auf ihren Wangen. Am liebsten wäre sie wieder zwischen den Armlehnen abgetaucht, so tief hinab, dass niemand im Raum sie mehr hätte sehen können.

Aber das war ein Wunsch, der natürlich nicht in Erfüllung ging. Genauso wie das … Laura verweigerte sich dem Gedanken, der so fehl am Platze war wie Eriks obszöne Ankündigung. Wie kann er bloß?! Es mochte ja durchaus richtig sein, dass Erik als Creative Director ein wichtiger Mitarbeiter der Agentur war. Aber das gab ihm noch lange nicht das Recht, ihr, ausgerechnet ihr, derart unverhohlen sein Begehren zu erklären. Noch dazu während der Sitzung! Vor den Kollegen!

Laura durfte sein Verhalten auf keinen Fall durchgehen lassen. Sie musste reagieren. Weise ihn endlich zurecht! Doch noch immer stand ihr Mund sperrangelweit offen. Mit einem schnappenden Geräusch zog sie die Lippen zusammen. Sie holte Luft – und schwieg.

Ohne dass es ihr aufgefallen war, hatte Erik sich von seinem Platz erhoben und durchquerte den Konferenzraum. Was für sich betrachtet noch kein Grund für neuerliche Sprachlosigkeit gewesen wäre. Dass sich Erik aber auf dem Weg zu ihr herüber die Brille von der Nase zog, sie in die Tasche seines Jacketts steckte, sich mit der Hand durch das schüttere Haar fuhr, seinen strengen Scheitel in ein wirres Durcheinander verwandelte, dann den Knoten seiner karierten Krawatte löste, den Hosenschlitz öffnete und sein beträchtlich angeschwollenes Glied hervorholte, versetzte Laura einen Schock. Hatte ihr Kollege endgültig den Verstand verloren?

»Ich zeig dir, was du brauchst!«, sagte er, während er sich vor Laura aufbaute. Entgeistert schaute sie zu ihm hoch, doch der Blick auf sein Gesicht blieb ihr verwehrt. Vor ihren Augen reckte sich sein Penis empor, unglaublich steif und furchterregend. Im gleichen Augenblick roch Laura die milde Süße eines Duschgels.

Zu ihrer Überraschung besänftigte der Duft ihren aufgewühlten Geist. Allerdings nur so lange, bis Eriks Hand abrupt in Lauras Haar griff, ihren Kopf nach vorne zog und … Nein, er wird doch nicht …?!

»Lutsch ihn!«, sagte Erik.

Laura wehrte sich dagegen. Eriks Finger krallten sich fester in ihr Haar, pressten ihr Gesicht kraftvoll in seinen Schoß. Es störte ihn nicht, dass sich noch sechs weitere Männer im Raum befanden. Allerdings nahmen die Kollegen auch keinerlei Anstoß an seinem Vorhaben. Mit Erschrecken nahm Laura wahr: Keiner erhob sich, niemand eilte ihr zu Hilfe. Stattdessen beobachteten sie mit Faszination das Schauspiel, das Erik ihnen bot.

Lauras Lippen drohten unter dem Druck seines harten Geschlechts zu platzen. Außerdem musste sie atmen. Sie hatte keine andere Wahl. Sie öffnete ihre Lippen. Nur einen Spalt breit. Dennoch glitt sein Glied wie von selbst in ihren Mund. Voller Abscheu presste sie die Zunge dagegen. Doch Erik blieb in ihr. Er hielt ihren Kopf fest umklammert. Er gab ein lustvolles Ächzen von sich. Laura schloss angewidert die Augen. Ihrer Kehle entrang sich ein feuchtes Gurgeln, durch das seine Stimme leise an ihr Ohr drang: »Na, wie gefällt dir das?«

Sie antwortete nicht. Wie auch, mit dem Schwellkörper zwischen ihren Lippen.

»Laura!«, sagte Erik jetzt lauter. »Ich fragte dich: Wie gefällt dir das?«

2

Etwas stimmte nicht. Zögernd hob Laura die Augenlider. Das Erste, was sie entdeckte, war sie selbst, in den verspiegelten Fenstern, die eine komplette Wand des Konferenzraumes einnahmen. Sie trug ihr dunkelbraunes Businesskostüm, von dem sie wusste, dass es sie streng wirken ließ, dazu schwarze Lederpumps aus einer Londoner Boutique. Ihr blondes Haar war wie jeden Tag glatt gekämmt und umrahmte ihr von den wöchentlichen Solariumgängen leicht gebräuntes Gesicht. Laura sah aus wie an jedem Montagmorgen, vielleicht ein bisschen müder als sonst. Was aber entscheidend war: Die Fenster zeigten nur ihr eigenes Spiegelbild.

Erik saß auf der anderen Seite des Konferenztisches, seine Haltung wie immer leicht gekrümmt, das schüttere Haar streng gescheitelt, die karierte Krawatte ordentlich geknotet und den Hosenschlitz ganz sicher fest verschlossen. Hinter seiner Brille, einem grauen Kassengestell, musterte er sie, als habe sie den Verstand verloren.

Das Gleiche hatte sie auch von Erik angenommen. Vor wenigen Minuten. In ihrem Traum. Herrgott, war sie tatsächlich während der Konferenz eingenickt?

Die Augen der Kollegen, die sich links und rechts von ihr auf den Tisch stützten, ließen darauf schließen, waren sie doch amüsiert auf sie gerichtet. Wie in ihrem Traum. Entdeckte sie in den Gesichtern etwa eine Spur von Faszination?

»Nein«, sagte sie. »Es gefällt mir nicht.«

»Es gefällt dir nicht?« Erik kratzte sich betroffen die Stirn. Die Kollegen gaben keinen Ton von sich. Nicht einmal Unterlagen raschelten. Nur die Klimaanlage ächzte gelegentlich metallisch.

»Es hat was, ja. Aber …« Sie dehnte ihre Worte. Erik sah sie erwartungsvoll an. »Euer erster Vorschlag für die Kampagne zur Produkteinführung von Girandex gefällt mir besser.«

»Der erste Vorschlag?«

»Ja, er hatte Substanz. Fleisch. Hand und Fuß.«

»Du weißt, dass diese Kampagne den Kunden deutlich teurer zu stehen kommt.«

»Wo liegt das Problem?«

»Was wird Girandex davon halten, wenn wir …«

»Ja, ja, ich weiß«, fiel ihm Laura ins Wort, »… das Budget überschreiten.«

»Ja, genau!«, pflichtete Erik ihr bei.

»Genau«, wiederholte Laura leicht genervt. »Und das ist also der Grund, warum wir unserem Kunden einen halbgaren Vorschlag unterbreiten sollen, richtig?« Mit einem Ruck setzte sie sich auf, strich ihr Kostüm glatt und stützte die Arme mit den Ellbogen auf den Tisch. »Nein, wir nehmen die erste Kampagne.«

»Aber …«

»Erik!« Mit einem strengen Blick brachte sie ihn zum Schweigen. »Was glaubst du, was Dr. Filius davon halten wird, wenn er dem Kunden morgen ein Konzept präsentieren darf, das zwar im Rahmen des Budgets geblieben ist, dafür aber nur unausgegorene Ideen enthält?«

Dr. Berthold Filius war der Gründer und Geschäftsführer von FiliCon – Filius Consulting,Projekt- und Messemanagement, Beratung, Events und Kommunikation. Seit das Gerücht die Runde machte, er würde demnächst in Ruhestand gehen, machte er sich zwar rar auf den Gängen der Agentur und bei Konferenzen, aber die entscheidende Präsentation beim Kunden behielt er sich noch immer selbst vor. Er konnte sehr ungehalten werden, wenn seine Mitarbeiter schlampige Vorarbeit leisteten. Um das zu vermeiden, hatte er Laura vor sieben Jahren zur stellvertretenden Geschäftsführerin der Firma berufen. Diese Nachricht hatte sie damals überrascht. Natürlich war der Job insgeheim ihr Traum gewesen, und sie hatte zu jeder Zeit zielstrebig und beharrlich gearbeitet. Aber dass er sich für sie, eine Quereinsteigerin mit abgebrochenem Studium, tatsächlich erfüllen würde, daran hatte sie erst geglaubt, als Dr. Filius ihr das Angebot schwarz auf weiß unterbreitet hatte.

Erik dagegen war bis heute Creative Director geblieben. Er verfügte zwar wie Laura über großes Talent, aber mutige Entscheidungen waren seine Sache nicht. Ganz anders als in deinem Traum, meldete sich eine Stimme.

Laura wandte sich ab, schaute zum Fenster hinaus. Hinter der raumhohen Glasfront breitete sich der Potsdamer Platz aus. Beton und Asphalt waberten in der heißen Berliner Sommersonne. Der Anblick hatte etwas Verstörendes an sich, ähnlich wie ihr Traum.

Was um alles in der Welt hatte sie sich da bloß zurechtgesponnen? Ausgerechnet in der Firma? Ausgerechnet mit Erik? Wie grotesk! Sie verscheuchte die Gedanken daran. Zeit sich wieder der Realität zuzuwenden. Mit fester Stimme erklärte sie: »Können wir uns jetzt also bitte wieder auf die Kampagne konzentrieren? Planen wir die TV-Spots und Printanzeigen. Und bitte, ab sofort keine endlosen Diskussionen mehr über halbgare Aktionen. Derartige Debatten wirken auf mich so …« Sie lehnte sich auf dem Stuhl zurück, konnte ein Lächeln nicht vermeiden. »… ermüdend.«

3

Das Telefon klingelte. Ed riss die Bettdecke über den Kopf, was das Rasseln nur unwesentlich dämpfte. Er schob die Hand ins Freie und tastete blindlings zum Nachtschränkchen, auf dem er zwei leere Gläser zu fassen bekam. Martini? Oder Gin Tonic? Ed wusste es nicht. Er schubste die Gläser beiseite. Ihr Klirren mischte sich unter das nervige Läuten. Endlich fand er den Telefonhörer. Unter der Decke glich seine Stimme einem heiseren Krächzen. »Ja, bitte?«

»Herr Baker, ein Anruf für Sie«, wurde ihm freundlichst mitgeteilt. »Einen Augenblick bitte, ich verbinde.«

Es knackte in der Leitung. Für ein, zwei Sekunden herrschte Stille. Mit der freien Hand massierte Ed seinen Nacken. Verdammt, dachte er. Wie kann man am frühen Morgen bloß so gute Laune haben?

»Also doch!«, polterte es plötzlich aus dem Telefon.

Die laute Stimme schmerzte in Eds Ohren. Er hielt den Hörer auf Distanz. »Wer ist da?«

»Ed, willst du mich veralbern?«

»Hagen, bist du das?«

»Natürlich, Hagen Bolten, dein Lektor höchstpersönlich. Ich versuche dich die ganze Zeit auf deinem Handy zu erreichen, aber es ist ausgeschaltet.«

»Natürlich«, gähnte Ed. »Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?«

»Gleich zwölf Uhr. Mittags. Liegst du etwa noch im Bett?« Hagen prustete abfällig. »Ach, was frage ich … Natürlich liegst du noch im Bett.«

Zwölf Uhr mittags? Ed holte angestrengt Luft. Es kam ihm vor wie sechs Uhr in der Frühe. Viel zu früh! Sein Körper fühlte sich an, als wäre er durch den Fleischwolf gepresst worden, und auf seinem Kopf hatte ein schwerer Hammer dazu den Takt angegeben. Mit anderen Worten: Eds Verfassung war auf dem Tiefpunkt. Ein guter Grund, auch den Rest des Tages im Bett zu verbringen. Doch irgendwie war Ed sich sicher, Hagen würde Einwände dagegen erheben. Er leckte sich die trockenen Lippen und fragte: »Woher weißt du, dass ich im Adler bin?«

»Du steigst immer in dem Hotel ab.« Hagen stieß ein freudloses Lachen aus. »Und ich möchte wetten, du bist auch diesmal nicht alleine.«

Ed blinzelte vorsichtig unter der Bettdecke hervor. Auf dem Kissen neben ihm schlummerte mit einem glückseligen Lächeln … Ja, wer eigentlich? Ihr Name war ihm entfallen. Hieß sie Mandy? Oder Maren? Ed versuchte sich den gestrigen Abend im Mesquiz ins Gedächtnis zu rufen, was ihm nur bruchstückhaft gelang. Verdammt, es mussten eine Menge Drinks gewesen sein, die er mit seinen Kumpels Mike und Georg in ihrer Kreuzberger Stammkneipe getrunken hatte, bevor er mit … Maria! Jetzt fiel es ihm wieder ein. Jawohl, Maria, das ist ihr Name.

In der Sonne, die zum Hotelfenster hereinstrahlte, breitete sich Marias Haar in einem Goldkranz auf dem Kissen aus. Ihre schmalen Schultern lugten unter der Bettdecke hervor. Bei dem Anblick der nackten Haut kehrte schlagartig auch die Erinnerung an die letzte Nacht zurück. Und wow, was für eine Nacht! In dem raschen Anflug eines Déjà-vu glaubte Ed wieder Marias Finger zu spüren, wie sie seinen Oberschenkel hinauf, zwischen seine Beine gekrochen waren und – er hielt den Atem an. Es war keineswegs nur sein verkaterter Verstand, der ihm die Erinnerung an zärtliche Berührungen vorgaukelte. Marias fordernde Hand war ganz und gar real – und sie fühlte sich noch immer ziemlich gut an.

Während Ed sich an den Empfindungen erfreute, die in seinem Unterleib erwuchsen, drang Hagens Stimme wie aus weiter Entfernung an sein Ohr. »Und? Habe ich recht?«

»Äh?!«, machte Ed und bemühte sich, sich auf die Worte des Anrufers zu konzentrieren. »Womit?«

»Bist du in Begleitung oder nicht?«

Verstohlen schielte Ed zu Maria. Die junge Blondine lag unverändert neben ihm, die Augen geschlossen, ein verschmitztes Schmunzeln auf den Lippen, als würde sie auf süßen Wolken durch ein Traumreich gleiten. Nur ihre Finger, die sich unbemerkt unter Eds Decke gestohlen hatten und dort nun mit kunstfertigen Griffen seine Weichteile verwöhnten, ließen keinen Zweifel daran, dass sie ihm die schlafende Elfe nur noch vorspielte.

Auch Ed bekam wieder Lust auf ein Spiel. Und seine Kopfschmerzen waren erstaunlicherweise wie fortgeblasen. »Hör mal, könnten wir nicht …«

»Was?«, fiel ihm Hagen ins Wort. »Später reden?«

»Ja, das …« Plötzlich rutschte Marias warme Hand noch ein Stück höher und Ed schnappte nach Luft. »… finde ich … gut.«

»Eigentlich hatten wir uns zum Frühstück verabredet.«

»Heute?«, keuchte Ed.

»Ja.«

»Wann?«

»Vor einer Stunde!«

»Tatsächlich?« Ed seufzte.

»Ed, geht es dir gut?«

»Ja, ja«, beeilte er sich zu sagen. »Es ist nur gerade ungünstig, dass du …« Verwundert stellte er fest, dass Maria neben ihm verschwunden war. Er lupfte die Decke einen Spalt und entdeckte ihren Kopf zwischen seinen Beinen. Mit ihren weichen Lippen umschloss sie seine Erektion. Ein Schmatzen entrang sich ihrem Mund. Ed lächelte versonnen. Er liebte dieses Geräusch. Er schloß die Augen, genoss das Saugen und …

»Eduard!«, schimpfte Hagen. Und noch einmal: »Eduard!«

Noch in derselben Sekunde verflüchtigte sich Eds Erregung. »Ach, verdammt!«

Sofort hielt auch Maria in ihrem Bemühen inne. Ihr Kopf kam unter der Decke zum Vorschein. Mit großen, blauen Augen musterte sie ihn. »Habe ich etwas falsch gemacht?«, flüsterte sie.

Ed schüttelte den Kopf. Es war sein Lektor, der ihm die Lust verdorben hatte. Erst sein Anruf, dann dieser Name – Eduard. Dabei wusste Hagen ganz genau, wie sehr Ed es verabscheute, wenn man ihn beim vollen Namen nannte. Kein Mensch hieß heutzutage noch Eduard und schon gar kein Schriftsteller. Eduard Bäcker. Was für ein entsetzlicher Name! Weswegen er sich Ed nannte. Ed Baker.

Trotzdem wiederholte Hagen erneut den alten Namen, wobei er das E derart schrill dehnte, dass es augenblicklich wieder hinter Eds Schläfen zu schmerzen begann. »Eeeeeeeduard, ich rede mit dir!«

»Das höre ich«, schnauzte Ed. »Und worüber?«

»Als wenn du dir das nicht denken könntest. Über deinen Roman.«

Ed sog scharf die Luft in die Lungen. »Ich habe dir doch gesagt, ich arbeite daran.«

»Das erzählst du mir seit einem Jahr. Und wann bekomme ich ihn endlich zu lesen?«

Ed stieß die Luft mit einem Stöhnen aus seiner Lunge. Seine Hand streichelte Marias blondes Haar. Sie verstand es als Aufforderung und ihr Kopf versank wieder unter der Decke.

»Nicht jetzt«, hörte Ed sich sagen.

Hagen gab einen missfälligen Ton von sich. Vielleicht war es aber auch ein Fluchen, so genau hörte Ed nicht zu. »Meinetwegen. Ist dir heute Abend lieber?«

Die Worte gingen in Marias verführerischem Schmatzen unter. »Ja«, meinte Ed. »Das ist gut.«

»20 Uhr. Im Brenner?«

»Ja, ja«, ächzte Ed.

»Kann ich mich diesmal auf dich verlassen?«

Marias blonde Mähne kam zum Vorschein. Sie legte ihr Kinn auf Eds nackte Brust und lächelte ihn an. Etwas Speichel troff von ihren Lippen. »Soll ich weitermachen?«

»Auf jeden Fall!«, sagte Ed und legte auf.

Maria neigte skeptisch den Kopf. »Musst du jetzt gleich weg?«

»Etwas Zeit habe ich noch.«

»Etwas?«

Eds Hände umfassten ihre kleinen Brüste, die sich wunderbar warm und weich anfühlten wie ein Paar in der Sommersonne gereifte Äpfel. »Nun, bestimmt bis heute Abend um 8.«

4

Anderthalb Stunden später verließ Laura endlich den Konferenzraum. Im Flur stellte sich ihr Markus, der Art Director, in den Weg. »Laura, hast du kurz Zeit?«

»Nein, tut mir leid.« Das Meeting hatte sie mehr Zeit gekostet als geplant.

»Nur fünf Minuten.«

Sie hastete bereits den Flur entlang. »Markus, nicht jetzt.«

»Es geht um den Fujitaksi-Auftrag.«

»Der muss erst in zwei Wochen fertig sein. Der kann warten.«

»Kannst du dir nicht wenigstens kurz …«

»Markus«, rief sie. »Ich sagte: Er kann warten!«

»Was ist denn so wichtig, dass du …«

Sie stoppte, drehte sich um. Markus war von kleiner Gestalt und trug bevorzugt Shorts zu Flip-Flops, was ihn noch schmächtiger wirken ließ. »Was so wichtig ist? Ich sag’s dir: In meinem Büro liegt noch immer die Tagespost – ungelesen. Etwa drei Dutzend Mails befinden sich auf meinem Rechner – unbeantwortet. Darunter übrigens auch eine Beschwerde von Emtex. Du weißt schon, oder? Emtex, der Chemieriese, dessen Printanzeige dir … ich drücke es mal vorsichtig aus … missraten ist.« Sie holte Luft. »Bevor ich es vergesse: Zwei Exposés müssen noch geschrieben werden, die ein Auftragsvolumen in sechsstelliger Euro-Höhe versprechen. Damit wollen wir den Emtex-Ausfall auffangen.«

Ohne ein weiteres Wort eilte sie davon. In Gedanken formulierte sie bereits die ersten Zeilen der Konzepte, während sie in ihr Büro trat. Sie wunderte sich, warum die Tür offen stand. Dann erstarrte sie.

In einem der Schalensessel vor ihrem Schreibtisch saß ein älterer, grauhaariger Herr in akkurat gebügeltem Zweireiher und blitzblank geputzten Schuhen.

»Dr. Filius«, entfuhr es Laura.

Dr. Berthold Filius zuckte zusammen. Für einen Moment rechnete Laura damit, dass der leitende Geschäftsführer von FiliCon sich an die Brust griff, aufstöhnte und mit einem Herzinfarkt zu Boden glitt. Doch stattdessen erhob er sich und reichte ihr galant die Hand. »Meine Güte, haben Sie mich erschreckt.«

»Entschuldigen Sie.« Laura drückte die Tür in den Rahmen, umrundete den Schreibtisch und ließ sich dahinter nieder. »Ich wusste nicht, dass Sie …«

»… geschlafen haben?« Er zwinkerte ihr zu.

Das Blut schoss Laura in den Kopf. »Nein, nein, das meinte ich nicht.«

»Selbst wenn ich wollte.« Dr. Filius winkte ab. »Hier könnte ich nicht schlafen.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf den Schalensitz unter sich. »Auf diesen neumodischen Stühlen ist Schlaf unmöglich.« Wie zum Beweis rutschte er unruhig auf dem Plastik herum. »Wo zum Teufel haben Sie bloß diese unpraktischen Teile her?«

»Geschenk eines Kunden.«

»Hätte ich mir denken können.« Dr. Filius schnaubte. »Unglaublich, dass wir dafür auch noch Werbung gemacht haben.«

»Sehr erfolgreich sogar.«

»Pah.« Dr. Filius verlagerte sein Gewicht von einer Körperhälfte auf die andere, erhob sich kurz, rieb sich den Po, bevor er sich abermals niederließ.

Allerdings waren die beiden Plastiksessel das einzig »Neumodische« in Lauras Büro – und letztlich nur ein notwendiges Übel, da sie dem treuen Agenturkunden, der sie ihr geschenkt hatte, nicht vor den Kopf hatte stoßen wollen. Ansonsten hatte sie bei der Einrichtung aber auf Behaglichkeit, Wärme und natürlich Bequemlichkeit gesetzt: Mit seinen Biedermeierschränken, nussbaumfarben und mit kunstvollen Intarsien verziert, hob der Raum sich deutlich vom ansonsten auf Funktionalität ausgerichteten Mobiliar der Agentur ab. Selbst der wuchtige Schreibtisch in der Zimmermitte erinnerte mehr an einen Sekretär, bei dessen Anblick Laura auch noch heute wünschte, sich einfach nur dahinterzusetzen, behaglich, entspannt, ohne zu arbeiten. Nur sitzen und genießen. Auch wenn das natürlich nur selten möglich war.

Mit einem schnellen Blick überflog sie jetzt ihren Schreibtisch. Es würde bereits einige Zeit erfordern, die Berge an Briefen und Akten zu bearbeiten. Aber dass der FiliCon-Geschäftsführer sie jetzt aufgesucht hatte, weckte in ihr die Befürchtung, dass der Feierabend in noch weitere Ferne rücken würde. Ganz bestimmt war Dr. Filius nicht gekommen, um mit ihr über die Bequemlichkeit der Büromöbel zu plaudern. Seit das Gerücht die Runde machte, er denke über seinen Ruhestand nach, ließ er sich nur noch selten außerhalb seiner eigenen vier Wände blicken. Im Grunde nur, wenn es sehr, sehr wichtig war.

War ihm etwa ihr Nickerchen während des Meetings zu Ohren gekommen? Erklärte dies sein spitzbübisches Zwinkern von eben? Hatte sich gar Erik über sie beschwert?

»Ich weiß, was Sie denken.« Dr. Filius räusperte sich. »Sie nehmen an, ich sei hier, weil ich Sie wegen des Meetings zur Rede stellen möchte.« Er lachte auf. »Vergessen Sie’s. Ich finde, irgendein Sonderrecht müssen wir als leitende Angestellte doch haben dafür, dass wir die Verantwortung tragen.« Er grinste sie an. »Wenn es sich dabei um ein Nickerchen während eines Meetings handelt – geschenkt. Gott, wie ich diese langweiligen Konferenzen hasse. Was glauben Sie, wie oft ich zeit meines Lebens während der Sitzungen eingeschlafen bin?«

Dr. Filius gab ihr keine Möglichkeit zur Antwort. Wieder ernst geworden fuhr er direkt fort: »Ich möchte mit Ihnen über …« Er zögerte, fuhr sich durchs Haar, rieb sich das spitze Kinn. Manchmal wirkte er damit wie ein Hase. Hinter vorgehaltener Hand nannten ihn die Kollegen gerne auch den alten Hasen. »… meine Nachfolge reden.«

Laura runzelte die Stirn. Etliche Gerüchte über seinen Nachfolger hatten nach Bekanntwerden seiner Pläne die Runde gemacht, ohne dass wirklich ein Name heiß gehandelt worden war. Gerade weil Dr. Filius sich zuletzt rar auf den Gängen von FiliCon gemacht hatte, rechnete inzwischen jeder damit, dass er eine Person von außerhalb auf seinen Posten bestellte.

»Dr. Filius«, sagte Laura, »es wird viel erzählt, und nicht jeder ist damit einverstanden. Aber …«

»Laura«, warf Dr. Filius ein.

»… ich möchte Ihnen versichern, dass ein externer Chef für mich kein Problem darstellt. Ich respektiere Ihre Entscheidung und werde auch in Zukunft …«

»Laura«, wiederholte er.

»… alles daransetzen, dass der Name FiliCon für Qualität steht.«

»Sind Sie fertig?«

»Es ist nur, dass ich …«

Sie brach ab, weil er unwirsch mit der Hand winkte. »Was reden Sie denn da?«

»Es heißt, Sie …«

»Papperlapapp«, knurrte er. »Ich weiß, was für Gerüchte im Umlauf sind.« Er erhob sich von dem unbequemen Schalensitz, beugte sich über den Schreibtisch und reichte ihr die Hand. »Herzlichen Glückwunsch, Laura.«

»Wozu?«

»Zu Ihrer Kreativität, Ihrer Weitsicht, Ihrer Entschlossenheit, Ihren Erfolgen. Niemand repräsentiert die Firma nach außen hin so gut wie Sie.« Der alte Herr strahlte übers ganze Gesicht. »Sie sind, erlauben Sie mir diese Bemerkung, eine interessante Persönlichkeit. Deshalb…« Er machte eine bedeutungsschwangere Pause. »Deshalb kann ich mir nichts Besseres vorstellen: Sie, Laura,Sie übernehmen meine Nachfolge.«

5

»Sie scherzen?«, fragte Laura. Dr. Filius grinste noch immer von einem Ohr zum anderen. »Wäre es Ihnen lieber, ich treibe Spaß mit Ihnen?«

»Keineswegs.«

»Also: Wollen Sie den Job?«

Was für eine Frage! Sie nickte und nahm nur beiläufig wahr, dass er nach wie vor ihre Hand mit seinen Fingern umschlossen hielt, sie schüttelte und schüttelte. »Hervorragend«, sagte der Chef. »Dann habe ich auch gleich eine erste Aufgabe für Sie: Die Präsentation bei Girandex morgen Abend übernehmen Sie bitte für mich.«

Laura fühlte sich wie überrollt von den Ereignissen.

»Das ist doch in Ordnung für Sie, oder?«

»Natürlich«, pflichtete Laura bei. Es war schließlich nicht ihre erste Präsentation vor Kunden, obschon die erste ohne Dr. Filius an ihrer Seite. Was ihr allerdings Kopfschmerzen bereitete: »Sollten wir nicht vorher den Kollegen …«

»Papperlapapp«, brummte er. »Die zerreißen sich eh seit Wochen den Mund.« Er bewegte sich Richtung Tür. »Die Belegschaft werde ich nächste Woche ganz offiziell in einer gemeinsamen Sitzung über meine Entscheidung unterrichten.«

»Wie Sie möchten: Es ist Ihre Entscheidung.«

»Das ist es«, nickte Dr. Filius und verließ den Raum. Die Tür ließ er offen stehen. Er war gerade im Fahrstuhl verschwunden, als Erik um die Ecke bog und direkten Kurs auf ihr Büro nahm. Ihr Kollege winkte nonchalant. Hastig sprang sie hinter dem Schreibtisch hervor.

»Keine Zeit«, rief sie noch und verschloss die Tür, geradewegs vor Eriks verdutztem Gesicht.

Keine Zeit.

So, wie sie sich in diesem Moment fühlte, beschwingt, aufgewühlt, durcheinander, wollte sie lieber allein sein. Zumal sich nun, da die erste Welle der Euphorie über sie hinweggeschwappt war, plötzlich auch Zweifel zu Wort meldeten. Du als Geschäftsführerin? War sie dieser Verantwortung überhaupt gewachsen?

Ach, verflucht, was soll’s! Als Dr. Filius sie vor sieben Jahren zu seiner Stellvertreterin erkoren hatte, hatte sie ohne zu zögern in das Angebot eingewilligt. Sie hatte geglaubt, niemals wieder eine Chance wie diese zu bekommen. Sie war überzeugt gewesen: Niemals würde es noch etwas Besseres für sie geben. Und jetzt das! Was für ein Erfolg! Und den hatte sie sich auch verdient. Mit ihrer Überzeugung, der Weitsicht und ihrer Entscheidungskraft würde sie auch die neue Herausforderung meistern, genau wie Dr. Filius gesagt hatte. Was wohl ihr Mann Klaus dazu sagen würde?

Sie überflog die Post, die sich auf ihrem Schreibtisch stapelte, beantwortete die wichtigsten Mails, erstellte eine Rohfassung des ersten Exposés. Das zweite Konzept würde sie daheim beginnen. Jetzt drängte es sie immer mehr, mit Klaus über Dr. Filius’ Angebot zu reden. Sie rief zu Hause an, erreichte aber nur Theodora. Aus einer Eingebung heraus bat sie die Haushälterin: »Können Sie uns heute etwas Besonderes zum Abendessen machen?«

»Haben Sie einen Wunsch?«

»Lassen Sie sich etwas einfallen.«

»Gibt es etwas zu feiern?«

»So könnte man es sagen.«

Gegen 19 Uhr, früher als geplant, machte Laura Feierabend. Wie immer um diese Zeit herrschte in den benachbarten Büros noch Betrieb. Grafiker hockten in der Dunkelheit hinter flimmernden PC-Monitoren, weil sie, konzentriert wie sie waren, nicht mitbekommen hatten, dass die Sonne mittlerweile untergegangen war. Sie wirkten wie bleiche Zombies, die sich von erkalteter Pizza ernährten, während auf wundersame Weise Printanzeigen und Werbebroschüren auf den Bildschirmen entstanden. Im Kopierraum jagte unterdessen eine Praktikantin einen Stapel Papier durch die Maschine. Bei jedem weiteren Kopiervorgang blinkte unter ihrem bauchfreien Top ein Nabelpiercing auf.

Unweit der Küche standen einige Kollegen bei einem Glas Wein zusammen. Es war ein tägliches Ritual, nicht nur bei FiliCon. Rotwein, Small Talk und ein paar Lästereien zum Feierabend gehörten zu Werbeagenturen ebenso wie Folder und Broschüren. Nicht selten endete der Abend mit einem Umtrunk in der Lieblingskneipe, dem Spitz direkt um die Ecke. Laura genehmigte sich einen Schoppen, stimmte in das Lachen ein, aber ins Spitz folgte sie ihren Kollegen nicht. Sie nahm den Fahrstuhl hinab ins Erdgeschoss, bevor sie sich durch die Touristenmassen am Potsdamer Platz zur U-Bahn drängelte.

Sie besaß zwar ein Auto, aber der Wagen verbrachte die meiste Zeit daheim in der Garage. Obwohl sie den BMW schon fünf Jahre ihr Eigen nannte, zählte er gerade mal 30.000 gefahrene Kilometer. Sie fuhr lieber mit der U-Bahn. In den öffentlichen Verkehrsmitteln erlebte sie die Stadt, die Menschen, studierte ihr Verhalten, ein abwechslungsreiches Vergnügen, das sie als nie versiegende Quelle für Kreativität empfand. Heute allerdings interessierte sie sich nicht für das hektische Gewusel. Je näher sie Zehlendorf kam, umso mehr wuchs ihre Vorfreude. Ihr kam es so vor, als dauerte die Fahrt mit der Bahn heute länger als sonst. Herrgott, wann war sie endlich daheim? Was Klaus wohl sagen würde? Als sie ihn vor sieben Jahren mit der Nachricht ihrer Beförderung überrascht hatte, hatte er sie hochgehoben, mit einem wilden Tanz durchs Haus getragen und sie anschließend spontan zum Essen entführt.

Vor ihrem Haus im Quermatenweg blieb sie stehen. Die Garagen schmiegten sich unscheinbar an die große Villa, die sie und Klaus vor sechs Jahren erworben hatten. Auf Anhieb hatten sie sich in das Gebäude verliebt. Mit seinen Erkern und Spitzbögen wirkte es wie ein Palazzo aus der italienischen Provinz, in der sie ihre Flitterwochen verbracht hatten. Genauso wie in Parma blühten in dem ausladenden Garten rings um das Haus Bougainvilleen und andere exotische Pflanzen, die jetzt von vereinzelten Laternen wie mysteriöse Erscheinungen enthüllt wurden. Für Laura waren sie das auch, kleine Wunder, denn obwohl ihr der Gärtner schon mehrmals seine Pflegearbeit erklärt hatte, hatte sie es trotzdem nie verstanden. Es machte ihr nichts aus. Ihr genügte der Stolz, den sie beim Anblick des Gartens empfand. Die prächtig blühenden Pflanzen waren ein Symbol für ihr Leben, heute mehr denn je.

6

Ed hatte das Brenner kaum betreten, da bemerkte er schon Hagen Boltens miesepetriges Gesicht. Der Lektor hockte an einem Tisch in der hinteren Ecke der Friedrichshainer In-Kneipe, wo er sich krampfhaft an einem Selters festhielt. Anders als Ed trank Hagen immer nur Wasser, weshalb er niemals verstehen würde, wie man sich fühlte, wenn eine Nacht mit viel Martini, Gin Tonic und einer Frau wie Maria hinter einem lag.

Ungeduldig richtete sich Hagens Blick auf Ed, der sich durch das Lokal auf ihn zu bewegte, dabei aber lieber kehrtgemacht hätte. Allein die Vorstellung, sich jetzt noch zwei, drei Stunden mit seinem Lektor auseinandersetzen zu müssen, ließ die Kopfschmerzen vom Morgen erneut aufleben. Doch Ed quälte sich schicksalsergeben weiter und sank schließlich auf einen der Kunstledersitze, die dem Brenner einen Hauch von Exklusivität geben sollten.

Hagen prüfte abschätzig die Anzeige seiner Rolex. »Naja, pünktlich ist was anderes.«

»Ich wurde aufgehalten«, sagte Ed und erlaubte sich einen letzten, tröstlichen Gedanken an Maria, deren Hunger auch nach Stunden noch nicht gesättigt gewesen war. Wenn es nach dem Willen der jungen Blondine gegangen wäre, hätte Ed eine weitere Nacht im Adler verbracht.

Doch jetzt saß er im Brenner, einer jener Kneipen Friedrichshains, in denen sich bei Neonlicht und gedämpfter Ambient-Musik der kreative Nachwuchs Berlins traf – oder jene, die sich dafür hielten. Ed fühlte sich unwohl in diesem Schuppen, schon seit Monaten. Du hast allen Grund dazu, mahnte eine Stimme in ihm. In den letzten Wochen hatte er nur noch selten einen Abstecher ins Brenner unternommen; Ed ging den Problemen lieber aus dem Weg.

»Ed?«, drang Hagens Stimme durch das Kneipengemurmel.

Ed richtete seine Augen zurück auf den Lektor. »Bitte, was?«

»Ich fragte, ob ich dich heute Mittag bei etwas gestört habe?«

»Nein, nein«, antwortete Ed. »War schon in Ordnung.«

Hagen lächelte gequält.

»Wirklich, es war in Ordnung«, versicherte Ed.

Hagen setzte zu einer Erwiderung an, aber der Kellner rettete Ed – zumindest für den Augenblick. Er bestellte einen Martini, in der Hoffnung, dass der Hagens Standpauke erträglicher machen würde.

»Verdammt, Ed, das geht so nicht weiter!«, blaffte der Lektor, als der Kellner zurück zur Theke schlurfte. »Du musst …«

Ed ließ ihn nicht ausreden. »Ich sagte dir doch schon, ich arbeite an meinem neuen Roman.«

»Und ich sagte dir, das bekomme ich seit zwölf Monaten von dir zu hören.«

»Hagen, das alles ist nicht so leicht.«

»Das Opfer damals ist dir doch auch leichtgefallen.«

»Das Opfer«, wiederholte Ed angewidert. »Das war was anderes.«

»Ach ja?«

»Verdammt«, fluchte Ed. »Hast du eine Ahnung, wie das ist, wenn der Lektor den Autor ständig drängelt?«

»Nein, aber ich weiß, wie es ist, wenn der Verleger den Lektor drängelt, weil dessen Autor nicht aus dem Quark kommt.«

»Dann sag ihm …«

»Ich habe keine Ahnung, was ich ihm noch sagen soll«, unterbrach Hagen. »Irgendwann gehen mir die Argumente aus. Dann musst du endlich etwas liefern für dein Geld. Übrigens eine Menge Geld, dafür dass der Verleger seine Zweifel daran hatte, dass du überhaupt noch eine Zeile zu Papier bringst.«

Der Kellner servierte den Drink und Ed trank die Hälfte in einem Zug.

Hagen fuhr fort: »Deinen Vertrag – und deinen üppigen Vorschuss, das nur am Rande – hast du einzig bekommen, weil ich beim Verleger ein gutes Wort für dich eingelegt habe. Also blamier mich bitte nicht.«

»Ja«, sagte er, weil ihm nichts Besseres einfiel. Er leerte sein Martini-Glas mit einem zweiten Schluck und gab dem Kellner ein Zeichen: »Noch einen.«

Hagen runzelte die Stirn. »Gib uns endlich etwas zu lesen. Meinetwegen nur die ersten Kapitel, egal, Hauptsache der Verleger sieht endlich, dass sein Geld bei dir richtig angelegt ist.« Hagen machte eine kurze Pause. Weil Ed schwieg, fuhr er fort: »Damit wir uns richtig verstehen: Ich für meinen Teil bin davon überzeugt, dass das Geld bei dir richtig angelegt ist. Die Idee zu deinem Roman klang äußerst interessant, ein Roman über das Berlin der 20er Jahre, mondänes Theater, glamouröse Revuen, exzessives Vergnügen, der Aufbruch in eine neue Zeit … Wenn ein Buch den Nerv unserer heutigen, kriselnden Gesellschaft trifft, dann doch wohl dieses.«

»Richtig«, pflichtete Ed bei. »Aber so ein Buch schreibt sich eben nicht von heute auf morgen. Es muss gut recherchiert sein. Das braucht Zeit.«

Hagens Gesicht verfinsterte sich. »Meine Güte, du hattest alle Zeit der Welt und, naja, auch genug Geld.« Er hielt kurz inne, durchbohrte Ed mit einem noch düstereren Blick. »Aber beides vergeudest du mit deinen andauernden Frauengeschichten.«

»Was gehen dich meine Frauengeschichten an?«, schimpfte Ed.

»Solange ich dir dafür ständig Alibis liefern muss, sehr viel!«

»Ich dachte, du bist mein Freund?«

Hagen schüttelte den Kopf. »Dafür, mein Freund, verlangst du ziemlich viel von mir.«

»Was ist denn groß dabei?«

»Das fragst du mich?« Hagen lachte auf. »Als ob du nicht wüsstest, wie schwer es mir fällt, über deine Affäre mit Nadja hinwegzusehen. Aber gut, ich verstehe deine Situation und, naja, akzeptiere sie – notgedrungen.« Er beugte sich über den Tisch. »Aber wenn ich Elisabeth jetzt auch noch wegen anderer Frauen ständig belügen muss, nein, das kann ich auf Dauer nicht.«

»Was zerbrichst du dir den Kopf?«, unterbrach Ed. »Elisabeth ist meine Frau, nicht deine.«

Hagen hämmerte wütend mit der Faust auf den Tisch. »Du hast wohl vergessen, dass sie …«

Der Kellner räusperte sich verhalten, als er neben ihnen auftauchte. Er servierte den Martini, den Ed in einem Zug leerte. Der Alkohol spülte das schlechte Gewissen fort. Er winkte dem Ober. »Noch einen, bitte!«

Hagen funkelte ihn zornig an. »Und über deine Sauferei müssen wir auch noch reden.«

»Ich saufe nicht!«, protestierte Ed.

»Du säufst und du hurst herum – das ist die Wahrheit! Ich frage dich: Wann fängst du endlich an zu schreiben?«

»Ich sagte dir doch, ich …«

Ed verstummte erschrocken, weil Hagen sich abrupt vorbeugte. Sein Körper ragte über den Tisch. Seine Nase schwebte wenige Zentimeter vor Eds Gesicht. »Mir ist herzlich egal, was du mir sagst«, knurre Hagen. »Ich sage dir: Bis Freitag lieferst du mir die ersten fünf Kapitel deines Romans.«

»Fünf Kapitel?« Eiligst überschlug Ed, wie viele Kapitel er bereits verfasst hatte. Wenig überraschend wollte ihm kein einziges einfallen. So ein Buch schreibt sich nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit.

»Fünf Kapitel«, wiederholte Hagen. »Ansonsten muss ich dir den Vertrag kündigen. Du weißt, was das bedeutet, oder?«

»Ja«, würgte Ed hervor, der nicht darüber nachdenken wollte.

Doch sein Lektor war unerbittlich. »Dann wirst du dem Verlag deinen Vorschuss zurückbezahlen müssen.« Er lachte auf, spöttisch, gehässig. »Was du natürlich nicht kannst, richtig? Weil du ihn längst verjubelt hast?« Er warf einen Geldschein auf den Tisch und erhob sich. Bevor er zur Tür stapfte, klopfte er Ed auf die Schulter. »Ach so, und was das andere betrifft: Natürlich werde ich Elisabeth, deiner Gattin, meiner Schwester, endlich reinen Wein einschenken. Und danach …« Hagen schüttelte mitleidig den Kopf. »Danach kannst du zusehen, wie du deine Drinks und Affären bezahlst.«

7

Beschwingten Schrittes betrat Laura das Haus. Das Klackern ihrer Absätze auf dem Marmorboden hallte durch das Foyer, ein fröhlicher Trommelwirbel zur Begrüßung. Sie schaute sich um. Links ging eine Tür zum Speiseraum und dem dahinterliegenden Wohnzimmer ab. Nach rechts führte ein Gang zu den Garagen. Gerade vor ihr, flankiert von zwei raumhohen Zimmerpalmen, schwang sich die Treppe nach oben in die erste Etage, wo sich die Schlafzimmer, der Ankleideraum, die Arbeitszimmer und die zwei Bäder befanden.

In einer Nische neben der Treppe war eine kleine Garderobe eingelassen. Dort konnte sie aber keinen Hinweis entdecken, keine Schuhe, keine Jacke. »Ist mein Mann noch nicht zu Hause?«, fragte sie Theodora.

»Er ist in seinem Arbeitszimmer.«

Jetzt roch Laura den würzigen Duft von Bratensoße. Theodora sagte: »Ich habe das Abendessen vorbereitet. Soll ich es servieren?«

»Gerne.«

Laura eilte die geschwungene Treppe hinauf in die obere Etage. Aus dem Arbeitszimmer drang das klappernde Geräusch einer Tastatur. »Klaus?«

»Mhm.«

»Wie war dein Tag?«

»Gut.«

»Kommst du zum Essen?«

»Mhm.«

Sie trat zu ihm ins Zimmer. Der Raum versank in einem wüsten Durcheinander aus Akten und Ordnern. Klaus erledigte einen Teil seiner Arbeit daheim. Laura wollte ihm nicht vorschreiben, wie er diese zu erledigen hatte. Aber sie legte sehr viel Wert darauf, dass der Rest des Hauses von dem Chaos verschont blieb. Sie hatte viel Zeit und Gedanken in das wohnliche Ambiente ihrer Villa investiert.

Sie gab Klaus einen Kuss auf die Wange. Er tippte weiter.

»Es gibt was zu feiern.«

»Ah ja?«

»Ich habe eine gute Nachricht.«

»Schön.«

»Willst du nicht wissen was?«

»Doch, doch, gleich.« Klaus hämmerte noch immer auf die Tastatur ein. Laura warf einen Blick auf den Monitor. Er schrieb einem seiner Freunde, mit denen er sich zwei Mal im Monat am Wochenende zum Golf traf. »Muss nur noch diese Mail schreiben. Ist wichtig.«

Achselzuckend ging Laura wieder hinab ins Speisezimmer. Der Raum war nicht sonderlich groß, gerade ausreichend für einen Tisch, der ihnen beiden und gelegentlich einigen Gästen Platz bot. Wie das gesamte Untergeschoss war er mit Marmorfließen ausgekleidet. Von der Decke hing ein schwerer Kronleuchter, den Laura in einem Berliner Auktionshaus günstig erstanden hatte. Das flirrende Licht verteilte sich über die mandelfarben gestrichenen Wände. An der rückwärtigen Wand hing ein großes Ölbild. Es zeigte Laura und Klaus direkt nach der Hochzeit, gemalt von einem Freund, dem stadtbekannten Maler Devon.

Theodora hatte bereits den Tisch gedeckt. Ein festlicher Anblick mit dem Strauß gelber Rosen und den flackernden Kerzen, zwischen denen die Suppe von den Tellern dampfte. Aber weil sich Klaus auch nach fünf Minuten noch nicht blicken ließ, begann Laura alleine zu essen. Erst als die Haushälterin den Hauptgang servierte, Hirschragout mit Knödel und Blumenkohl, tauchte er schließlich auf.

»Mann, was für ein Tag«, stöhnte er, während er auf den Stuhl sank und begann, die inzwischen erkaltete Suppe zu löffeln. »Du glaubst ja gar nicht, was bei uns in der Firma los ist.«

Klaus war Vertriebsleiter in einem großen Lebensmittelkonzern, für den er nicht nur die Lieferung an fast alle Discounter in Deutschland koordinierte, sondern auch die Werbung plante. Als FiliCon vor 15 Jahren den Auftrag erhalten hatte, eine Anzeigenserie zu entwerfen, hatten sie sich kennengelernt. Sie waren sich sympathisch gewesen, er hatte sie zum Essen eingeladen und dabei war es um sie beide geschehen. »Wieso?«, fragte sie. »Was ist denn passiert?«