Sleeping with Friends - Emily Schultz - E-Book

Sleeping with Friends E-Book

Emily Schultz

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Nach der Hochzeit mit einem reichen Unternehmer ist der Kontakt zwischen Mia und ihren Uni-Freunden sporadisch geworden. Das ändert sich erst, als sie ein Schädel-Hirn-Trauma erleidet. Die Umstände sind unklar, Mia liegt tagelang im Koma. Als sie aufwacht, kann sie sich nur noch an Filme erinnern. Die alte Clique bietet Unterstützung an und reist geschlossen zu Mias abgelegenem Wochenendhaus. Doch mit den langjährigen Vertrauten kehren auch unschöne Erinnerungen zurück, und Mia kommen immer wieder Filmszenen in den Sinn, die Situationen anders einordnen, als ihre Freunde ihr weismachen wollen. Jeder scheint etwas zu verbergen. Doch wie tief gehen die Geheimnisse? Ist ein Mörder im Haus?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 345

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungZitatPrologKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Post-Credit-SzeneDANKSAGUNG

Über dieses Buch

Nach der Hochzeit mit einem reichen Unternehmer ist der Kontakt zwischen Mia und ihren Uni-Freunden sporadisch geworden. Das ändert sich erst, als sie ein Schädel-Hirn-Trauma erleidet. Die Umstände sind unklar, Mia liegt tagelang im Koma. Als sie aufwacht, kann sie sich nur noch an Filme erinnern. Die alte Clique bietet Unterstützung an und reist geschlossen zu Mias abgelegenem Wochenendhaus. Doch mit den langjährigen Vertrauten kehren auch unschöne Erinnerungen zurück, und Mia kommen immer wieder Filmszenen in den Sinn, die Situationen anders einordnen, als ihre Freunde ihr weismachen wollen. Jeder scheint etwas zu verbergen. Doch wie tief gehen die Geheimnisse? Ist ein Mörder im Haus?

Über die Autorin

Emily Schultz ist die ehemalige Herausgeberin des JOYLAND MAGAZINE. Ihre Texte sind in ELLE, SLATE, EVERGREEN REVIEW, VICE, TODAY‘S PARENT, HAZLITT, The HOPKINS REVIEW und PRAIRIE SCHOONER erschienen. Sie lebt in Brooklyn, wo sie als Produzentin für das Indie-Medienunternehmen Heroic Collective tätig ist.

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 2023 by Emily SchultzTitel der amerikanischen Originalausgabe:»Sleeping with Friends«Originalverlag: Thomas & Mercer, Seattle

This edition is made possible under a license arrangement originating with Amazon Publish-ing, www.apub.com, in collaboration with Agence Hoffman GmbH

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2025 byBastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln, Deutschland

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Textredaktion: Sarah Christoph, Essen

Umschlaggestaltung: Manuela Städele-Monverde unter Verwendung der Originalumschlaggestaltung von Sarah Horan

eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen

ISBN 978-3-7517-8394-1

luebbe.de

lesejury.de

Für Betty und Dawn,meine unerschütterlichen, wilden Lieblinge

Kino ist die schönste Mogelpackung auf Erden.

Jean-Luc Godard

Prolog

SAFE THE DATE

Zunächst hielt Mia das Blut in ihren Augen für einen Instagram-Filter. Die Bäume über ihr hatten sich rot verfärbt, der Morgennebel rostrot. Andererseits wusste Mia auch nicht, ob sie träumte oder einen Film sah, in dem eine Frau einsam und allein langsam einem Feldweg folgte. Blumhouse oder Arthouse? War sie eine starke Frauenfigur? Wie auch immer, die Szene war zu schwach ausgeleuchtet. Hatte zu wenig Tiefe. Wer auch immer diesen Film drehte, hätte auf die magische Stunde warten sollen. Mia blinzelte, setzte ihre nackten Füße auf kalten Stein, links, rechts, als käme es auf jeden Schritt an. Den Blick gesenkt, sah sie ihre Bewegungen mehr, als dass sie sie spürte.

Ihre Ohren klingelten, und ihr Kopf fühlte sich schwer an, ganz so, als würde sie einen Sandsack über den Schultern tragen. Doch während sie sich der Straße näherte, ging ihr auf, dass sie nichts weiter zu tragen hatte als die Last des Schmerzes. Wenn sie blinzelte und dabei die Lider einen Moment fest zukniff, knackte es in ihren Ohren, und die Laute des Morgens – Vogelgezwitscher über ihr – drangen für ein paar Sekunden zu ihr durch, ehe das Klingeln wieder alle realen Geräusche überlagerte.

Sie nahm den Moment wahr, in dem das Pflaster der Auffahrt von Schotter abgelöst wurde. Das bedeutete, sie hatte das Tor passiert, hatte die Straße erreicht. Wessen Tor, welche Straße, das wusste sie nicht, aber etwas in ihrem Inneren sagte: nur noch ein Stückchen weiter. Vor sich sah sie helle Vierecke, die durch das Geäst schimmerten: noch ein Haus. Wie weit entfernt – eine halbe Meile? Oder mehr? Sie wusste es nicht. Sie sah sich nicht um, aber dachte, wer immer das getan hat, wird wiederkommen. In ihrem Kopf wurde der Gedanke zu einem Gesang, der sie vorantrieb. Sie zog den weißen Bademantel fester um sich zusammen und hielt ihn mit einer Hand an der Kehle zu. Burgunderrot zog sich über ihren Ärmel wie ein Wirrwarr aus Kirschblüten. Aber das war kein Muster, nur mehr Blut.

Kapitel 1

PREP TIME

Mia war für alle da, ein Traum von einer Frau. Wenn man sich in ihrer Gegenwart befand, war sie mehr als präsent. Sie war dein, kümmerte sich um dich wie niemand sonst. Im Gespräch sah sie dir immerzu in die Augen. Sie verstand dich und wusste genau, was du gerade brauchst, sogar, wenn du es selbst nicht wusstest. Agnes hielt Mia Sinclair für die herzlichste und großzügigste Person, der sie je begegnet war: smart, schön und mit einem Sinn für Humor, der jeden beschämen würde, der sie unterschätzte. Das Band zwischen ihnen war von der Art, die man nur mit Anfang zwanzig bildet, wenn man Freundschaft schließt und denkt: Das ist das Mädchen, für das ich sterben würde. Das ist die Person, die für mich bestimmt ist und die ich nie aus den Augen verlieren werde. Und genau darum war es ein echter Schock, als Mia heiratete, als würden ihre Freundschaftsgelübde nichts mehr bedeuten.

Sie hatte nicht nur Agnes hinter sich gelassen, sondern alle – Victor, Ethan, Zoey – die ganze Fünfer-Ehe, zu der sich Mias Freundeskreis während der Collegezeit entwickelt hatte.

Diese Zeit lief längst unter »Jahre her«, trotzdem griff Agnes noch immer instinktiv zu ihrem Telefon, um Mia anzurufen, wann immer etwas »Großes« geschah – ob es nun ein Desaster war wie damals, als ihr Wagen mitten auf der Williamsburg Bridge liegen geblieben war, oder etwas Aufregendes wie der Anblick der französischen Schauspielerin Marion Cotillard vor einem McDonald’s im East Village. Doch als Agnes das letzte Mal bei Mia angerufen hatte, hatte sie eine Nachricht hinterlassen müssen. Mia hatte nicht drangehen können, denn man hatte sie bereits ins Krankenhaus gebracht und ins Koma versetzt. Dort lag sie dann mit flatternden, leicht geöffneten Lidern und einem Schädelbruch, von dem niemand wusste, wie sie ihn sich zugezogen haben mochte.

Inzwischen war sie entlassen worden, und es war an der Zeit, ihr zu helfen, wieder gesund zu werden. Agnes fuhr schnell, brannte darauf, zu Mias Haus in Connecticut zu gelangen, und Zoey saß neben ihr auf dem Beifahrersitz. Sie rasten an Rotahornbäumen vorbei, die vor lauter Blüten ganz pink waren, und an Felsenbirnen, die gerade erst anfingen zu blühen. Jenseits des Highways wiegten sie sich im Wind wie zarte, weiße Gespenster.

Während der letzten paar Wochen hatte Agnes alles stehen und liegen lassen und als Verbindungsstelle zwischen Mias Freunden und Familie fungiert, hatte Neuigkeiten seitens der Ärzte weitergeleitet und sich über medizinische Fachbegriffe informiert: Stents, Aphasie, Verlust des visuellen Gedächtnisses. Kurz nachdem es passiert war, hatte sich Agnes bei einer Cousine, einer Kinderärztin, per Mail erkundigt, warum man Mia wegen der Kopfverletzung in ein künstliches Koma versetzt hatte.

So wird das Leben des Patienten pausiert, hatte sie geantwortet. Weil sie nicht wissen, was sie sonst tun könnten.

In gewisser Weise hatte Mia das schon selbst erledigt, indem sie hierher gezogen war. Zwar hatte sie einen Teil der Zeit in Brooklyn verbracht, doch wenn Agnes sie im Verlauf des letzten Jahres angerufen hatte, war sie immer häufiger »auf dem Land« gewesen. Agnes spähte nach Straßenschildern, und Zoey rutschte unbehaglich auf dem Beifahrersitz herum. Agnes sah ihr an, dass sie lieber am Steuer gesessen hätte. »Ich bin ein paarmal öfter hierher eingeladen gewesen«, sagte Zoey und griff dabei die alten Statuskämpfe ob der Frage, wer am meisten Mia-Zeit bekam, wieder auf. »Wahrscheinlich, weil Ethan und ich ein Paar sind.«

Paar hin oder her, wenn es um die Mia-Zeit ging, hatte eindeutig Martin alle anderen in den Schatten gestellt.

Nachdem sie aus ihrem vierzehntägigen Koma erwacht war und die anschließende Genesungszeit hinter sich gebracht hatte, hatte Mia unter der ständigen Aufsicht ihres Mannes gestanden. Als Agnes Mia im Krankenhaus besucht hatte, war ihr aufgefallen, dass sich Mia nicht an sie erinnert hatte. Wann immer Agnes sie angelächelt hatte, hatten Mias blutunterlaufene Augen einfach woanders hingeschaut. Sie war nicht sie selbst gewesen. Eine grob rasierte Stelle an ihrem Hinterkopf gab den Blick auf die Naht frei, mit der die Wunde verschlossen worden war, eine Wunde, die sie sich, wie Martin (oft und laut) erklärt hatte, an der Ecke der Marmorplatte auf der Kücheninsel in ihrem Landhaus zugezogen hatte. Agnes jedoch sah dem Pflegepersonal, das routiniert den Tropf einstellte und das Krankenblatt auf dem neuesten Stand hielt, an, dass die dachten, ihr Mann hätte ihr das angetan. Ihr hatte Martin erzählt, er sei in ihrem Brownstonehaus in Brooklyn gewesen, als es passiert war.

Niemand rechnet damit, dass gerade einmal zwei Wochen Schlaf so viele hellwache Jahre auszuradieren imstande waren. Die vielen Konzerte, die sie in jungen Jahren gemeinsam besucht hatten, die Kunst- und Schreibprojekte, die Joints, die sie sich geteilt hatten, die verliehenen und nie zurückgegebenen Blusen oder Jeans. Es fiel Agnes nicht leicht, das zu glauben – das ganze Inventar ausgelöscht.

Aber dann, als Agnes sich am ersten Tag aufmachte, das Krankenhaus zu verlassen, sprach Mia einen Namen – Thora – mit so schwacher, trauriger Stimme, dass Agnes ihre Tasche wieder abstellte.

»Wir waren Freunde, oder? Wie in Ghost World?«, fragte Mia.

Agnes nahm ihre Hand und sagte Ja. Ja. Warum zum Teufel erinnert sie sich an Thora Birch, aber nicht an mich, dachte sie. Bedeutete das, dass Mia selbst Scarlett Johansson war?

Agnes war diejenige, die Martin davon überzeugte, eine »Erinnerungsparty« zu veranstalten, als Mia wieder nach Hause durfte. Sie mit den Gesichtern derer zu umgeben, die sie seit Jahren gekannt hatte. Agnes und Zoey würden Fotos und Videos beisteuern. Man würde ihre Lieblingsspeisen servieren. Mias Schwester Stephanie würde extra aus Chicago herfliegen, um auch dabei zu sein. Am Ende wirkte Martin mehr erschlagen als überzeugt. »Das ist eher so etwas wie ein Erinnerungsspiel, oder nicht?«, hatte er gefragt. »In dem es darum geht, zu bestimmen, woran sie sich erinnert. Menschen ändern sich.«

Was Agnes jedoch hörte, war ein Mann, der Angst davor hatte, dass in Mias Kopf mehr von ihren Freunden übrig sein könnte als von ihm selbst.

»Ich bin nicht sicher, welche Ausfahrt wir nehmen müssen. Hast du einen Routenplan?«, fragte Agnes.

Zoey griff nach einem Telefon, das in der Mittelkonsole lag. »Oh, warte. Das ist ja dein Telefon.«

Agnes zog den Kopf ein. »Ich habe jetzt das neue Modell. Weil du gesagt hast, dass dir deines gefällt. Und ich kann es in monatlichen Raten abbezahlen.«

Zoey lachte. »Und auch in Roségold.« Sie musterte das Display und fügte hinzu: »Du hast eine Benachrichtigung. Es ist eine E-Mail von deiner Bank.«

»Ach, die können warten. Gib her.«

Agnes nahm das Telefon an sich, während Zoey in ihrer Tasche nach ihrem eigenen wühlte. Sie tippte darauf herum und hielt es hoch, damit Agnes die Karte sehen konnte. Dann blickte sie nach vorn und suchte nach der Ausfahrt nach Kettlebury, Connecticut, der nächsten Stadt, die sie in zwei Meilen erreicht haben sollten.

Agnes schaltete den Blinker recht früh ein und wechselte auf die rechte Spur. »Wann warst du das letzte Mal hier oben?«

»Wir sind oft eingeladen worden.« Irgendwie schaffte Zoey es immer, eine Nasenlänge voraus zu sein. »Aber seit die Show angelaufen ist, ist es schwer, sich freizumachen.«

Zoey Wilder und ihr Freund Ethan Sharp produzierten eine YouTube-Show namens Movie Fails mit Chroma-Keying in ihrer Wohnung, in der sie die Kontinuitätsfehler in erfolgreichen Filmen aufzählten. Fragen nachgingen wie: Hatte der Raum in Pulp Fiction bereits Einschusslöcher in der Wand, bevor die Schießerei losging? Oder: Wie konnte Don Cheadle am Ende von Boogie Nights mit nur hundert Dollar aus dem Doughnut-Shop-Raub einen Audio-Laden eröffnen? Die Show von Ethan und Zoey war viral gegangen, nachdem der Regisseur eines Marvel-Films sauer geworden war und Todesdrohungen gegen sie getwittert hatte.

»Geht mir ähnlich«, sagte Agnes. »Ich hatte mit der Trennung zu tun.«

»Ach, richtig, die Australierin. Charlie. Wie hast du das denn verbocken können? Gott, sie war hinreißend.«

»Zu blond und zu groß. Das macht mich nervös. Da unten sehen alle aus wie Elben aus Herr der Ringe.«

»Was ist aus ihr geworden?«

»Nach zwei Monaten hat sie mir erzählt, sie hätte Probleme mit dem Visum. Im Grunde hat sie mir einen Antrag gemacht, indem sie mir die Formulare zum Ausfüllen rübergeschoben hat.«

»Vielleicht wäre es das wert gewesen«, wandte Zoey ein. »Eine scharfe Australierin, die Probleme mit dem Visum hat. Eine romantische Komödie.«

Agnes schüttelte den Kopf. »Einen Tag nach der Trennung bin ich am Cubbyhole vorbeigekommen, und sie hat schon mit jemand anderem rumgemacht.«

Bis dahin war Agnes immer die Freundin gewesen, die zu allem Ja gesagt hatte. Ja, ich gehe ans Telefon, wann immer du anrufst. Ich beantworte jede Textnachricht. Ich sage dir, warum er der Falsche für dich ist – aber erst, wenn du dich von ihm getrennt hast. Ich komme zu deiner überstürzt geplanten Hochzeit und beklage mich nie darüber, dass ich nicht deine Trauzeugin geworden bin. Und ja (am Ende), wenn du aus dem Krankenhaus kommst, bin ich diejenige, die die Erinnerungsparty organisiert und die Gastgeberin spielt, um dir zu helfen, dich wieder zurechtzufinden. Ich sorge dafür, dass jeder dort ist, der dabei sein sollte.

Aber zu ihrer Partnerin hatte sie nicht Ja gesagt. Vielleicht, weil niemand sonst da gewesen war, der ihr hätte sagen können, dass sie Ja sagen sollte.

Vielleicht hatte Mia immer irgendwie zwischen Agnes und Zoey gestanden. Vielleicht war das der Grund, warum ihre Freundschaft so viele Jahre gehalten hatte. Es hatte immer einen Ankerpunkt gegeben.

Früher hatten sich Agnes und Mia am Zahltag in hippen Hotelbars betrunken und sich anschließend bemüht, sich auf dem Heimweg nicht zu übergeben, oder sie hatten Designerklamotten gekauft, um in ein Restaurant zu gehen und sie am nächsten Tag zurückzugeben (Mias Lieblingsbeschäftigung). Manchmal hatte Mia ihre Abenteuer als Netzwerken bezeichnet, aber vor allem hatten sie all das nur getan, um in die Stadt zu gehen, sich gegenseitig zu fotografieren und darüber zu reden, was sie eines Tages alles tun würden. Sie hatten vieles getan, aber schlussendlich nur wenig von dem, was sie sich vorgenommen hatten. Statt ein eigenes Buch zu schreiben, arbeitete Agnes zunächst in einer Literaturagentur, ehe sie zu einem unabhängigen Verlag wechselte, der gerade groß genug war, um ihr eine Krankenversicherung zu bieten. Mia war von einem Praktikum zum nächsten gestolpert, hatte aber nie einen dauerhaften Job gehabt.

Agnes nahm die Ausfahrt langsam. Zoey rief auf ihrem Telefon Spotify auf und schwenkte es hin und her. »Ich habe eine Playlist angelegt, um ihrer Erinnerung auf die Sprünge zu helfen. Du weißt schon, Songs von damals.«

Agnes war aufgefallen, dass Zoey über ihre Freundschaft sprach, als wäre sie ein Relikt einer fernen Vergangenheit. Sie selbst sah in Mia immer noch ihre beste Freundin. Dass sie einander immer weniger gesehen hatten, nachdem sie Martin geheiratet hatte, änderte nichts daran. Sie fragte sich, warum Zoey das so anders sah, warum sie es nicht als etwas Naturgegebenes betrachtete, das ewig halten würde. Ihr fiel auf, dass sie nicht angeboten hatte, die Playlist während der Fahrt anzuhören. Aber vielleicht war sie einfach damit zufrieden gewesen, dem Geträller der Tegan-and-Sara-CD zu lauschen, das aus Agnes’ altem Autoradio hallte.

Den Wagen hatte ihre Mutter ihr überlassen. Als sie in den Ruhestand gegangen waren, hatten ihre Eltern festgestellt, dass sie keine zwei Autos mehr brauchten. In den Augen der Nielsens war das Verschwendung. In ihrem Freundeskreis war Agnes lange die Einzige mit einem Wagen gewesen, hatte den Ford Focus auf Brooklyns schmutzigen Straßen geparkt und umgeparkt, und er hatte sich Kriegsverletzungen an der Stoßstange zugezogen, weil unfähige Parallelparker den weißen Lack Stück für Stück weggekratzt hatten. Und sie war insgeheim stolz auf diesen einzigen Besitz gewesen. Aber eines Tages, war sie nicht mehr die Einzige mit Auto gewesen. Zoey hatte sich einen Honda Accord gekauft, während Mia geheiratet hatte und damit plötzlich in den Besitz zweier Fahrzeuge und eines Sommerhauses gelangt war. Sogar Ethan hatte angefangen, Geld zu investieren – in eine kostspielige Videoausrüstung. Nahezu jeder Gesprächsbeitrag seinerseits war Gebrummel darüber, dass er die passenden BNC-Kabel auftreiben müsse. Agnes hatte den Wagen behalten, obwohl der alte Ford Focus inzwischen häufigere Reparaturen erforderte. Und der morgendliche Blick in den Spiegel offenbarte Agnes einige Kriegsverletzungen, die auch sie sich über die Jahre zugezogen hatte.

Ihr fiel auf, dass weder sie noch Zoey während der Stunde, die sie von New York aus zurückgelegt hatten, Mias Unfall erwähnt hatte. Sie hatten über Mia und alte Zeiten gesprochen, sicher – darüber, wie sie sich im Kurs für Adaptionsforschung kennengelernt hatten und wie Mia stets überall im Mittelpunkt gestanden hatte, aber nicht über ihren Gesundheitszustand. Der Unfall war für sie alle ein Schock gewesen. Martin hatte einen langen Beitrag auf Facebook veröffentlicht, alle alten Freunde markiert und berichtet, dass Mia in der Nähe ihres Wochenendhauses blutend und halb bewusstlos von einem Nachbarn gefunden worden sei.

So etwas in den sozialen Medien zu schreiben, widerstrebt mir, hatten die ersten Worte des Beitrags gelautet, und Agnes hatte spontan gedacht, das, was ihm wirklich widerstrebte, war, sie in sein Leben einbeziehen zu müssen, sie an Mias tragischem Schicksal teilhaben zu lassen.

Noch Wochen später erschütterte Agnes der Gedanke daran, dass Mia ganz allein und verletzt irgendwo auf dem Land in der Dunkelheit gelegen hatte und all ihre Freunde es auf diese Art erfahren hatten. Martin hatte erklärt, sie müsse auf einer Wasserlache in der Küche ausgerutscht sein und dann, zu verwirrt, um ihr Telefon mitzunehmen, hinaus auf die Straße geirrt sein. Ohne Schuhe. Das war das Detail, das Agnes regelrecht verfolgte. Mia hatte auf sie stets einen organisierten Eindruck gemacht – manchmal impulsiv, aber stets auf alles vorbereitet.

»Kannst du dir diese Situation vorstellen?«, hatte Agnes Zoey am Telefon gefragt, als sie erstmals davon gehört hatten, aber Zoey war nicht darauf eingegangen.

»Wo ist Mia? Welches Krankenhaus, welches Zimmer?«

Zwar hatte Agnes Verständnis für Zoeys Aufregung, aber die Tatsache, dass sie ihr gar nicht zugehört und ihre Besorgnis schlicht abgetan hatte, machte ihr zu schaffen. Es war, als wäre Zoeys ganze Kraft und Geduld über die Jahre verloren gegangen und von Ethan aufgesogen worden, bis nichts mehr für irgendeinen anderen Menschen übrig geblieben war. So war das mit Paaren: Nach einer Weile verschmolzen sie zu einer Einheit. Irgendwie unheimlich, so wie bei Hunden, die ihren Eigentümern immer ähnlicher sahen.

»Okay, wo sind wir? Du musst mich leiten«, sagte Agnes, als sie die Ortsgrenze von Kettlebury passierten, einer Pendlergemeinde zwischen Stamford und Norwalk. Derweil dachte sie daran, dass der Himmel winterlich grau gewesen war, als Mia den Unfall hatte, und nun schien er mit ihr zu erwachen: Blühende Krokusse tüpfelten die Gärten mit leuchtenden violetten Flecken. Sie sah auch Osterglocken, doch die gelben Blüten hatten sich noch nicht geöffnet. Aber bis dahin würde es nicht mehr lange dauern.

Zoeys Handy meldete eine Benachrichtigung. Sie fluchte leise. »Mein Ovidrel-Schuss. Ich brauche einen Waschraum.« Zoey deutete auf ein Café weiter vorn an der Straße.

»Geschwängert auf dem Klo von Dunkin’ Donuts?«, scherzte Agnes.

Zoey lachte und erklärte, das sei nur ein »Auslöseimpuls«, um die Ovulation anzustupsen. Dann fügte sie hinzu: »Vielleicht hast du recht. Ein Starbucks würde sich besser anfühlen.« Und das war kein Scherz. Zwanzig Sekunden später hatte Zoey einen Starbucks mithilfe ihres Telefons lokalisiert. Er war fünf Meilen weiter entfernt. Agnes wäre auch mit Dunkin’ zufrieden gewesen, aber so war Zoey eben. Bereit, in der Schlange zu warten, wenn Ausstellungsstücke verkauft wurden, oder fünf Meilen für einen besseren Kaffee zurückzulegen. Diese kleinen Luxusmomente waren ihr wichtig. Gute Dinge, die ihr ihrer Meinung nach zustanden.

»Es ist so aufregend, dass du und Ethan versucht, ein Kind zu bekommen«, sagte Agnes. Sie waren bereits seit kurz nach dem Collegeabschluss zusammen, also schien es nur logisch, dass sie diesen Weg einschlugen.

»Ich weiß«, sagte Zoey und starrte ihr Telefon an. »Dieses Baby wird meinen Auftritten in den sozialen Medien neuen Schwung geben.«

»Das ist … wahr«, sagte Agnes ausweichend.

Zoey drehte sich auf dem Beifahrersitz zu ihr um und nagte an ihrer Lippe. »Sag es niemandem, aber das Sperma in der Kühlbox ist nicht von Ethan.«

Agnes warf ihr einen raschen Blick zu. »Und wessen Hodenrotz ist dann in meinem Kofferraum?«

»Keine Sorge, er ist absolut einverstanden.«

Zoeys Gesichtsausdruck erweckte in Agnes den Verdacht, dass er das vielleicht doch eher nicht war. »Ist schwanger zu werden wirklich das Richtige? Gerade jetzt?«

Zoey seufzte. »Du kannst dir eben nicht aussuchen, wann dein Wagen eine Panne hat. Wenn du erst mal sechsunddreißig bist und ein Baby willst, dann bekommst du es mit der Person, mit der du zusammen bist, wo auch immer du gerade bist, oder es wird nicht passieren.«

Agnes nickte. »Das kann ich mir richtig gut auf einer Hallmark-Karte vorstellen. Ein Aquarell von einem Wagen, der mitten auf dem New Jersey Turnpike liegen geblieben ist.«

Zoey lachte. »Und dazu in einer schönen Schrift: Wenn du beschlossen hast, die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind.«

Agnes fing ebenfalls an zu lachen und konnte nicht mehr aufhören. »Oh, scheiße, ich glaube, ich habe mich gerade ein bisschen eingepinkelt.«

Plötzlich gab es einen dumpfen Schlag, und Agnes hob für eine Sekunde von ihrem Sitz ab, ehe sie wieder aufprallte. Der Wagen schlitterte heftig. Durch ihr Fenster sah sie einen Waschbären vom Seitenstreifen aus in Richtung Wald kriechen.

»Oh, nein. Das ist nicht gut.« Agnes bremste den Wagen ab.

»Alles okay. Nicht anhalten.«

Aber Agnes bremste trotzdem.

»Ich meine es ernst! Ich muss mir die Spritze setzen!«, beharrte Zoey.

Im Rückspiegel konnte Agnes weit hinter ihnen am Straßenrand etwas Dunkles sehen. Es waren zwei gewesen, aber nur einer hatte es auf die andere Seite geschafft. »Ich kann das Tier nicht leiden lassen.«

Zoey drehte sich um und starrte über die Schulter die Straße hinab. »Ich kann überhaupt nichts sehen. Das war wahrscheinlich nur ein Schlagloch.«

Agnes erschauerte. Sie hatte noch nie zuvor ein Tier verletzt. »Sie sind uns so ähnlich … kleine, fast menschliche Hände. Ich fühle mich schrecklich.«

»Da war nur der eine. Du hast nichts erwischt, Babe«, versicherte ihr Zoey. »Es ist alles in Ordnung.« Agnes fragte sich, ob ihre Freundin auch mit der chaotischen Situation, Mutter zu sein – Babygeschrei mitten in der Nacht, Erbrochenes, Fieber und Trotzanfälle –, so umzugehen gedachte: cool, effizient, unnachgiebig?

Vielleicht war das eine logischere Art, sich den Dingen entgegenzustellen, die einem das Leben so zuwarf. Agnes legte den Gurt wieder an und gab Gas. Aber das nagende Gefühl in ihrem Magen hielt an, und sie ertappte sich dabei, wie sie sich immer wieder links und rechts zu den Feldern neben der Straße umsah und hoffte, dass ihr nicht noch etwas vor die Räder huschte.

Auf dem Starbucks-Parkplatz sah Agnes zu, wie Zoey sich aus dem kleinen Wagen faltete. Sie war groß und hatte die Statur einer Tänzerin. Solange Agnes sie kannte, trug sie ihr Haar auf die gleiche Art. Der Scheitel wechselte zwar die Position, aber es fiel ihr stets wie ein Wasserfall über die Schultern und lockte sich nur an den Spitzen. Anders als Mia oder Agnes hatte sie nie eine andere Farbe oder einen Kurzhaarschnitt ausprobiert. Wie würde sie wohl mit den ständigen Veränderungen zurechtkommen, die ein Kind mit sich brachte?

Aber Agnes musste zugeben, dass sich überall um sie herum die Prioritäten verlagerten. All ihre Freunde steuerten Ziele an, über die sie noch gar nicht nachgedacht hatte: Altersvorsorge, ein zweites Studium, Haus oder Eigentumswohnung, Hochzeiten oder Babys. Die praktischsten Ziele auf Agnes Liste lauteten: Der Barista guten Tag sagen und einen Monatsvorrat Futter und Streu für Major Tom kaufen. Die wahren Ziele waren so groß, dass sie sich unerreichbar anfühlten: Werde irgendwie berühmt. Zahl den riesigen Schuldenberg ab, den der Studienkredit hinterlassen hat. Such dir eine neue Wohnung, die groß genug ist für einen Hund. Inzwischen stand ein weiterer Punkt auf dieser unmöglichen Liste, einer, der noch beängstigender, aber auch wichtig war: Mia gesund machen. Als ob sie sie irgendwie auf magische Art heilen könnte.

Wer hätte gedacht, dass Mia mit Mitte dreißig an Martin geraten würde, einen Mann, der seinen eigenen Investmentfonds leitete. Immerhin war sie das Mädchen, das einmal Papierkügelchen durch die Gegend geschossen hatte, um im schwitzigen Gedränge im Southpaw die Aufmerksamkeit von Thurston Moore zu erregen. Agnes erinnerte sich noch gut: Mia in knappem Spitzentop, Minirock und breitem Gürtel, kurzes, honigbraunes Haar, das federnd auf ihrem Kopf wippte und ihr in der Stirn klebte, als sie grinsend kleine Stücke aus einer Papierserviette riss, sie zusammengerollt in einen Strohhalm steckte und damit auf den Gitarristen von Sonic Youth schoss. Doch dieses wilde Mädchen war nicht mehr da. Nun war sie die attraktive, jüngere zweite Gattin. Stets makellos in maßgeschneiderte Kleidung gehüllt, kreativ, aber arbeitslos, spielte sie die Babysitterin für Martins Teenagersohn und holte die Hemden ihres Mannes aus der Reinigung. Der aufregendste Teil ihres Tages bestand darin, sich in der Schlange beim Bäcker über den neuesten Klatsch zu informieren. Früher hatte Mia einmal ein Praktikum bei der Vanity Fair gemacht und ihre Storys in kleinen Literaturmagazinen veröffentlicht, die nur Agnes wirklich zu schätzen wusste. Doch Mia hatte sich vollends ihrer Ehe hingegeben: dem Brownstone in der Stadt, dem Haus auf dem Land, einer wenig gebrauchten Vagina, einem Kind, das einer anderen Frau ähnelte, und einer schwarzen Katze, der Martin zugestimmt hatte, weil er den Hund vermeiden wollte, den Mia sich eigentlich gewünscht hatte. Um ihre Zeit auszufüllen, arbeitete sie ehrenamtlich als Lese- und Schreibtutorin. Sie nahm auch an Immobilienkursen teil, hatte aber nie die Maklerlizenz erworben. Von den kleinen Enttäuschungen des Alltags abgesehen, hatte sie einfach alles.

Als Agnes gerade zwei Kaffee im Starbucks bestellte, spürte sie, dass ihr Telefon in ihrer Tasche vibrierte. Sie holte es hervor und sah, dass Mias ältere Schwester Steph, die sie bisher nur zweimal gesehen hatte, ihr eine Nachricht geschickt hatte. Einige Jahre lang hatte Agnes ihre Online-Posts verfolgt, was ihr das Gefühl gegeben hatte, dass sie sich besser kannten, als es tatsächlich der Fall war. Steph schrieb, sie sei unterwegs, es hätte sich aber ein kleines Problem mit ihrem Vorhaben ergeben: Offensichtlich hatte Martins Sohn Cameron vor, in dem Haus in Connecticut zu bleiben.

Eigentlich hätten es doch nur wir sein sollen?, antwortete Agnes und setzte ein Fragezeichen, weil sie kein Urteil über diese neue Entwicklung abgeben wollte.

Mach dir deshalb keine Sorgen, schrieb Steph. Vermutlich wird er nur in seinem Zimmer sein und Videospiele spielen.

Agnes hatte angenommen, der Junge wäre bei seiner Mutter oder wenigstens zusammen mit Martin in dem Brownstone in Brooklyn. Reiche Leute hatten so viele Möglichkeiten, schienen aber nie die richtige Wahl zu treffen.

»Zwei Decaf Latte mit Hafermilch«, sagte Agnes mit einem angedeuteten Lächeln, als Zoey gerade aus dem Waschraum kam.

»Oooh, du hast an meine Laktoseintoleranz gedacht! Wie behältst du das alles?«, gurrte Zoey grinsend.

Eines aber hatte Agnes vergessen: das warme, ganz besondere Gefühl, das im Beisein ihrer Freunde in ihr erwachte. Vor nicht allzu langer Zeit – vor Mias Hochzeit, bevor sie alle auseinanderstoben – war es pures Glück gewesen. Eines Tages würden sie vielleicht sogar darüber lachen, dass Zoey sich bei Starbucks einen Schuss Hormone gesetzt hatte.

Agnes dachte an das Sperma, das Zoey sich in eineinhalb Tagen einführen würde, und fragte sich, ob es die gleiche Konsistenz hatte wie beim Sex, oder ob es sich durch das Einfrieren und Auftauen veränderte wie Spinat. Nachdem sie alles in allem mit genau einem Mann geschlafen hatte, noch dazu vor vielen Jahren, hatte sie nur eine vage Vorstellung von normalem Sperma und gar keine Ahnung, wie das gekaufte Zeug funktionierte. Ihre Freundin war jedenfalls taffer, als sie gedacht hatte, wenn sie imstande war, sich selbst Spritzen zu setzen. Sie stellte sich Zoeys Eierstöcke wie kleine Nadelkissen vor, aber man musste ja nicht direkt dort hineinspritzen, oder? Vielleicht nur in den Hintern oder die Hüfte. Agnes schauderte. Zoey musste das wirklich wollen, aber woher kam dieser Wunsch, noch dazu so plötzlich? Agnes verstand durchaus, dass man sich einen kleinen Menschen in seinem Leben wünschen konnte, aber sie reagierte erstaunlich empfindlich auf all das Drumherum.

»Cameron ist im Haus und hat offenbar nicht vor zu verschwinden«, informierte sie Zoey.

»Siebzehnjährige. Die vergeuden das ganze Sperma.« Zoey wedelte mit der Hand, als wollte sie das Bild vor ihrem geistigen Auge vertreiben. Dann nahm sie einen tiefen Schluck von ihrem Latte, ehe sie sich beide wieder in den Wagen setzten.

»Weißt du, ich bin einfach froh, dass Mia wieder gesund wird«, sagte Zoey.

Keine von ihnen wusste, ob Mia tatsächlich wieder gesund werden würde, aber es fühlte sich gut an, es zu sagen. Das erzählten sie einander nun schon seit einer Woche, seit klar war, dass sie ihren Verletzungen nicht erliegen würde. Sie hatten es per Textnachricht geäußert, per E-Mail und am Telefon. Agnes nickte und nippte an ihrem Kaffee.

»Als Ethan sie im Krankenhaus besucht hat, hat sie ihn ständig Duckie genannt. Er fand das süß, aber mir hat es Sorgen bereitet«, bekannte Zoey.

»Duckie?«

»Aus Pretty in Pink.«

Mia hatte offensichtlich das Jungenhafte an Ethan wahrgenommen, dachte Agnes. Er hatte ausdrucksstarke, dunkle Augenbrauen, die bei der kleinsten Meinungsverschiedenheit zuckten und sich aufwärtsbewegten, eine Schmollunterlippe, die ein wenig über die Oberlippe hinausragte, und Ohren, die zu beiden Seiten der Hornbrille ein wenig abstanden. Obwohl er seine schlanke Figur bis zu seinen Dreißigern behalten hatte, mangelte es ihm sowohl am Stil als auch an der Substanz dieser Figur aus den Achtzigern.

»Bist du nicht mitgegangen? Ich dachte, du wärest dort gewesen«, sagte Agnes.

»Ich wollte, aber ich war wegen unserer Show unter Zeitdruck.«

»Du hast gesagt, du würdest hingehen!« Agnes spürte, wie Ärger in ihr aufwallte. Sofort bildeten sich Schweißperlen auf ihrer Stirn.

»Du weißt doch, wie Ethan ist. Er und Mia. Er wollte sie allein besuchen. Ich mache kein großes Trara um diese ganzen Vibes zwischen den beiden. Ich gönne es ihm einfach.«

Agnes startete den Wagen und fuhr zum örtlichen Lebensmittelmarkt. Ethan und Mia hatten etwas miteinander gehabt oder nicht gehabt, lange bevor er mit Zoey zusammengekommen war. Laut Ethan hatten sie, und laut Mia hatten sie sich zusammen Werner Herzogs Grizzly Man angesehen und dabei eine Tüte Fruchtgummis geteilt. Sie nahm sich vor, welche zu kaufen, sollte der Laden sie führen. Vielleicht würden sie eine Erinnerung hervorlocken.

Trotzdem wunderte sie sich, dass Zoey nicht im Krankenhaus gewesen war. Sie hätte gedacht, Zoey würde sich danach verzehren, die Erste von ihnen zu sein, an die Mia sich erinnerte. Sich selbst betrachtete Agnes als die dritte Freundin in diesem Trio – die, die sich immer etwas zu sehr bemühte, dazuzugehören, weil es ihr so wichtig war. Sie wusste nicht, warum es sie so ärgerte, dass Ethan anstelle von Zoey dort gewesen war. Vielleicht wollte sie einfach, dass Zoey eine bessere Freundin für Mia war, denn Mia hatte es verdient. Aber nun war Zoey hier und half ihr beim Einkaufen. Tatsächlich war sie schon voll im Thema und tippte Zutaten in eine Liste auf ihrem Telefon.

»Ich will die Erinnerung an Sinneseindrücke stimulieren«, erklärte Agnes, als sie in dem Supermarkt waren. »Das ist super wichtig, damit die Party funktioniert. Such nach Lebensmitteln, die etwas mit unserer gemeinsamen Zeit zu tun haben.«

Das, so erklärte sie Zoey, war ihre Aufgabe: Mia zu helfen. Ihr aus dieser Lage herauszuhelfen, sie zurückzuholen, ihr zu helfen, sich daran zu erinnern, wer sie war, und sich an die guten Zeiten zu erinnern.

»Ja, verstanden! Sinneseindrücke.« Zoey nickte, während sie durch die Feinkostabteilung schlenderten.

Sie teilten sich auf. Agnes sah zu, wie ihre Freundin auf diesen langen Beinen davonschritt, und dachte daran, dass sie in nicht einmal zwei Tagen womöglich neues Leben empfangen würde und wie sonderbar das doch war. Es fühlte sich genauso an wie damals, als Mia geheiratet hatte: ein Erwachsenenritual, das Agnes nie so ganz verstanden hatte.

Sie hatte dergleichen nicht einmal ernsthaft in Betracht gezogen, als Charlie, die Australierin, ihr den Antrag gemacht hatte. Agnes war siebenunddreißig, und ihre Mom drüben in Michigan bekniete sie ständig, nach Hause zu kommen. Dann müsse sie keine Miete mehr zusammenkratzen (was sie auch nicht geschafft hatte, denn dank der steigenden Kosten entwickelte sich das tatsächlich zu einem ernsten Problem) und könnte sich eines ruhigeren Lebens erfreuen. »Was tust du da überhaupt?«, fragte ihre Mutter sie bei jedem Telefongespräch, und dabei klang ihre Stimme älter, als wenn sie sich persönlich sahen. »Ich arbeite an meiner Karriere«, sagte Agnes dann stets, aber die Nielsens glaubten nicht an Karrieren. Karrieren waren etwas für Leute, die keine Gehaltsschecks benötigten, und solange #MeToo niemanden über ihr in den vorzeitigen Ruhestand beförderte, hatte sie ehrlicherweise ohnehin keine Chance, bei dem Verlag, für den sie arbeitete, auf eine höhere Gehaltsstufe zu gelangen. Sich zu verschulden, war trotz Daueraufträgen und bescheidener Lebensführung jedoch erstaunlich leicht. Es war schwer in Worte zu fassen, aber New York war zu so etwas wie Agnes’ Identität geworden, zu ihrem Nervensystem. Es kam nicht infrage, die Stadt einfach hinter sich zu lassen, ganz egal, wie kostspielig das Leben wurde.

Vor einem großen Kühlregal hielt Agnes inne, die Hand über dem Hummus. Seit Mia Martin geheiratet hatte, hatten sie sich nicht mehr oft getroffen, und wenn sie es getan hatten, dann hatten sie sich nicht selbst um Speisen und Getränke kümmern müssen. Hartkäse war einfach, der stand immer für gute Zeiten. Abscheuliche Herausforderungen wie Roquefort oder Camembert erinnerten sie an die Unterschiede zwischen ihnen. Agnes’ wilde Wurzeln lagen in der Kleinstadt. Mia war souverän in Manhattan zur Welt gekommen. Sie legte den Hummus und ein Stück Farmhouse-Cheddar in den Einkaufswagen.

Zoey kam mit Chocolate Chips, Natron, Backpulver und Mehl zurück. »Ich kann backen«, verkündete sie und musterte den Hummusbecher. »Bist du da sicher? Mia isst schon lange kein Hummus mehr.«

»Lassen wir es darauf ankommen.«

»Oh, na gut.« Zoeys Gesicht verriet nichts. Schließlich zuckte sie mit den Schultern.

»Weißt du, sie hat mich im Krankenhaus Thora genannt«, erzählte Agnes, um den Duckie-Teil ihres früheren Gesprächs wieder aufzugreifen. Zoey schien auf Anhieb zu wissen, wovon sie sprach. Das war das Schöne an alten Freundschaften: Man konnte einfach zu einem Thema zurückkehren und an der gleichen Stelle anknüpfen, ohne sich erklären zu müssen. Es war wie beim Pulloverstricken: Die Nadeln warteten immer an der Stelle in den Maschen, an der man sie zurückgelassen hatte.

»Thora?«

»Wie Thora Birch.« Agnes fand nicht gerade, dass sie wie Thora Birch aussah. Sie waren etwa gleich groß und hatten beide dunkles Haar, aber Agnes hatte Locken. Und sie trug ihre Lesebrille nur im Büro.

»Richtig, aus Ghost World.« Zoey nickte. »Und bedeutet das, dass sie Scarlett Johansson ist? Na ja, das ist nachvollziehbar.«

»Ich dachte, es läge daran, dass wir uns bei Adaptionsforschung kennengelernt haben.«

»Das war nur ein Kurs, der schon ewig her ist.« Zoey schob den Einkaufswagen zu einem anderen Gang.

»Siebzehn Jahre.« Eine Sekunde lang verfielen beide in Schweigen und ließen die Zahl auf sich wirken. War das wirklich schon so lange her? Keine von ihnen fühlte sich alt. Noch nicht. »Aber der Film ist eine Adaption. Und sie verwechselt uns mit Figuren.«

»Befreundete Figuren. Also erkennt sie immerhin, dass wir ihre Freundinnen sind. Das ist doch was.«

Sie legten weitere Sachen in den Einkaufswagen, von denen sie hofften, dass sie die sensorischen Erinnerungen ihrer Freundin stimulieren könnten. Limetten, weil Mia sie immer vom Rand ihres Glases gezupft und mit einem begeisterten Lächeln auf den Lippen, das Fruchtfleisch mit den Zähnen herausgepult hatte, als ob sie nach der Säure gierte. Bananen, weil sie die während ihrer Costa-Rica-Reise, die sie in dem Jahr unternommen hatten, in dem sie dreißig geworden waren, gegessen hatten. Vegane Hotdogs, weil Mia einige Jahre lang mit dem Vegetarismus geliebäugelt hatte.

»Das reicht vermutlich. Soweit ich weiß, gibt es im Haus eine große Speisekammer, und Martin hat Leute, die sich für ihn um solche Dinge kümmern.« Agnes schob den Wagen zu den Kassen. Sie wollte nicht zugeben, dass sie nur allzu genau wusste, mit welchem Betrag ihre Kreditkarte noch belastet werden konnte.

»Gott, ich liebe Mia, aber ich hoffe, das wird nicht so traumatisch wie diese vorgetäuschte Hochzeit«, sagte Zoey.

Vorgetäuscht war nicht ganz korrekt. Traumatisch schon. Es hatte ein Hochzeitskleid gegeben, Blumen, Kuchen, Caterer. All das, was man üblicherweise bei einer Hochzeitsfeier erwarten konnte. Nur war niemand glücklich damit gewesen. Agnes nicht und auch sonst niemand aus ihrer Gang. Und es half auch nicht, dass Martin sich in der eng verbundenen Gruppe nie sonderlich wohlgefühlt hatte. Einmal war Mia herausgerutscht, dass er sie »Kunstspinner« genannt hatte. Er war sehr viel glücklicher damit, sich Mia zu schnappen und sie in seine Welt zu entführen. Zu seinen Freunden mit den Peloton-Rädern, seinem knapp zehntausend Quadratmeter großen Wochenendanwesen, seiner übertrieben gebräunten Familie, seinen Erste-Klasse-Geschäftsreisen. Sogar Mias Upper-West-Side-Erziehung mit Harper’s-Abonnement schien ihm nicht auszureichen. Da war es eigentlich kaum überraschend, dass er auch die Hochzeit auf seine Art hatte durchziehen wollen.

Einladungen waren so kurzfristig per E-Mail verschickt worden, dass kaum Zeit blieb, um ein Geschenk zu kaufen. Allerdings hatte Agnes bei Mias großem Moment dabei sein wollen und ehrlich gehofft, dass diese Ehe länger halten würde als die so vieler anderer, deren Hochzeit sie nach dem College gemeinsam besucht hatten. Victor, der eigentlich auch zu ihrer Gruppe gehört hatte, hatte sie das letzte Mal 2014 auf so einer Feier gesehen. Brautjungfern oder ein Hochzeitstisch waren für Mias Feier gar nicht vorgesehen gewesen. Als sie jünger waren, hatten sie nie darüber gesprochen, irgendwann heiraten zu wollen – es schien ein so altmodisches Konzept zu sein. Agnes war immer davon ausgegangen, sie würden jemanden finden und alle zusammenleben. Oder sogar Mitbewohnerinnen bleiben, während sie sich der einen oder anderen kurzlebigen Affäre hingaben.

Agnes hatte sich damals erkundigt, ob sie irgendwas tun, irgendwas mitbringen könnte, um Mia bei den Hochzeitsvorbereitungen zu unterstützen, aber Mia hatte nur gesagt: »Ach, das ist alles schon geregelt. Komm einfach.«

Agnes hatte nicht begriffen, wie Mia so lässig hatte sein können, bis sie und all ihre gemeinsamen Freunde an dem großen Tag Martins bewaldeten Garten in Connecticut betreten und die professionell aufgezogenen und auf Staffeleien aufgestellten Fotos gesehen hatten: ein Brautstrauß, nach dem Wurf mitten im Flug erstarrt; Mia, die ihre Sanduhrfigur in einem knallengen, aber hochgeschlossenen weißen Kreppkleid präsentierte; Mias Silhouette bei einem Tanz mit ihrem Vater vor einem Sonnenuntergang in der Toskana; Martin und Mia, die ihre Gelübde unter einem zweitausendjährigen Olivenbaum sprachen. Sie hatten bereits in Italien geheiratet und es keinem von Mias Freunden erzählt. Stattdessen hatte man ihnen Rollen in einem miesen amerikanischen Remake zugewiesen.

Agnes war gekränkt gewesen, Zoey hingegen wütend. Sie hatte Agnes beinahe hundert Textnachrichten geschickt, ehe die neu inszenierte Hochzeit vorbei war. Irgendwann hatte Agnes ihr Telefon stumm geschaltet und Zoey, die auf der anderen Seite des Gangs saß, signalisiert, sie solle Ruhe geben. Zoey hatte auf Martins Seite gesessen, als wäre sie für alle Zeiten fertig mit Mia. Agnes hatte schon befürchtet, man würde sie beide von der Hochzeit ihrer besten Freundin werfen. Es war eine opulente Feier, obwohl sie so hastig organisiert worden war. Martin hatte das Geld, also bekam er, was er wollte, auch wenn es ihr Tag war.

Mia hatte also ein paar Fehler begangen und war durch das Leben gerauscht, ohne sich abzustimmen oder sich Rat zu holen. Aber das gehörte zu der Impulsivität, die Agnes und all die anderen so sehr an Mia liebten, oder nicht? Die Tatsache, dass sie nach Aufregung gierte.

»Wer bezahlt das alles?«, fragte Zoey, als Agnes sich mit dem Wagen in die Schlange stellte. »Machen wir halbe-halbe?«

Noch bevor Agnes das Angebot annehmen konnte, sah sie Martin weit entfernt in der Pharmaabteilung des Ladens. Zoey folgte ihrem Blick.

»Ist das …?«, begann Agnes, doch noch ehe sie mehr Worte bilden konnte, kannte sie schon die Antwort.

Martin war groß und breitschultrig. Er sah aus, als würde er seinen Lebensunterhalt mit körperlicher Arbeit verdienen, statt Vermögen zu verwalten. Mia hatte immer gesagt, er würde mehr Zeit mit Workouts als mit Reden zubringen. Er drehte sich um und kam auf sie zu, und als er sich näherte, sahen sie, dass er eine Packung Tampons in der Hand hielt.

Während er noch mehrere Gänge weit entfernt war, sagte Zoey mit leiser Stimme: »War der Facebook-Post nicht stilvoll? In einem Notfall greift man doch zum Telefon.«

Agnes war ganz ihrer Meinung, lächelte aber, als Martin näher kam. Es dauerte nur einen Moment, dann erkannte er sie. Vermutlich war es nicht allzu schwer, auf sie aufmerksam zu werden. Sie sahen aus wie typische Brooklyners, die sich aufs Land verirrt hatten: Zoey mit ihren Riemchensandalen von Free People, Agnes mit Warby-Parker-Brille.

Martin war unrasiert und trug einen derben Strickpullover über der Rudererstatur. Er hatte kein Gramm Fett am Leib, als hätte er schlicht keine Zeit, um welches anzusetzen. Agnes kam es immer so vor, als hätten Reiche ein Stilverständnis, das andere nicht hatten, als wäre es für sie so selbstverständlich wie Atmen. Seine Haare sahen kunstvoll zerzaust aus, aber sie war sicher, dass er sie nicht gestylt hatte. Er war attraktiv, so viel konnte sie ihm zugestehen. Einen Moment lang fragte sie sich, ob all ihre Freunde neidisch auf Mia waren, weil sie sich Martin geschnappt hatte und mit ihm ein sorgenfreies und erfülltes Leben führte. Hatten sie ihn deshalb nicht freudig in ihrer Mitte aufgenommen, obwohl schon mehrere Jahre vergangen waren? Vielleicht war das der wahre Grund dafür, dass sie einander nur noch alle sechs Monate sahen, nicht mehr jeden Freitagabend.

»Ich wollte nur … für Mia.« Er wirkte verlegen, peinlich berührt wegen der Tampons. »Ich schätze, jetzt muss ich die doch nicht zurück zum Haus schaffen«, sagte er und legte sie in ihren Einkaufswagen.

Zoey warf Agnes einen beschämten Blick zu, aber die sagte nur: »Kein Problem. Also fährst du jetzt wieder zurück in die Stadt?«