So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen! - Lena Högemann - E-Book

So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen! E-Book

Lena Högemann

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Beschreibung

Die Ankunft ihres Babys wird von vielen Frauen herbeigesehnt. Doch wenn es so weit ist, machen bis zu 40 Prozent der Gebärenden belastende, gewaltvolle, sogar traumatische Erfahrungen im Kreißsaal. Sie werden zu Eingriffen gedrängt, erleben psychische und physische Übergriffe, Vernachlässigung und Fremdbestimmung – und werden danach mit diesem verstörenden Erlebnis allein gelassen. Lena Högemann wirft einen feministischen Blick auf die klinische Geburtshilfe. Sie zeigt, warum Hebammen und Ärzt*innen sich so häufig über das Selbstbestimmungsrecht der Frauen hinwegsetzen und welche Folgen das hat. Sie verbindet ihre eigenen Erfahrungen und die anderer Mütter (und Väter) mit einer kritischen Analyse des Systems. Das erste Buch, das Frauen ehrlich auf die Geburt vorbereitet und nach belastenden Erfahrungen Hilfe bietet. 

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2024

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So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen!

Lena Högemann, Jahrgang 1982, hat sich als Journalistin einen Namen als Expertin zur selbstbestimmten Geburt und zur Situation in der Geburtshilfe gemacht. Ihre Artikel dazu erscheinen u. a. in ZEIT online, im STERN, in der Eltern und in verschiedenen Tageszeitungen. Sie spricht außerdem als Expertin auf Fachveranstaltungen und ist Podcasterin. Sie ist verheiratet, Mutter zweier Töchter und lebt in Berlin. Mehr unter: https://frauhoegemann.de

98  Prozent der Schwangeren gehen zur Geburt in eine Klinik, weil das der sicherste Ort für Mutter und Kind zu sein scheint. Tatsächlich begeben sie sich in ein medizinisches System, in dem weder der Wille noch die Kapazitäten für eine gute Geburt vorhanden sind. Stattdessen werden Frauen allzu oft wie selbstverständlich entmündigt, herabgesetzt und im schlimmsten Fall traumatisiert.

So war es auch bei Lena Högemann. Ausgehend von ihrer eigenen Geburtserfahrung berichtet sie darüber, was in der klinischen Geburtshilfe schiefläuft und wie werdende Eltern sich im Vorfeld informieren und stärken können. Anhand vieler Geburtsgeschichten zeigt sie, wie und warum Hebammen und Ärzt*innen sich so häufig über das Selbstbestimmungsrecht der Frauen hinwegsetzen und wie diese sich dagegen wehren können. Ein ehrliches Buch über Geburten und ein hilfreicher Wegweiser für alle, die eine Geburt vor oder hinter sich haben.

 

»Ich träume davon, dass Frauen beginnen, unter dem Hashtag #MeTooGeburt öffentlich zu machen, dass ihnen dieses Unrecht widerfahren ist. Sie sollen wissen und zeigen, dass sie nichts dafürkönnen, sondern dass das System schuld ist.«

Lena Högemann

Lena Högemann

So wollte ich mein Kind nicht zur Welt bringen!

Was Frauen für eine selbstbestimmte Geburt wissen müssen

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein.de

Ein Buch der Ullstein-Reihe Wie wir leben wollen,

herausgegeben von Silvie Horch

Ullstein ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2024

Cover: © Cornelia NiereAutorinnenfotn: © Stefan Wieland

Alle Rechte vorbehalten

Wir behalten uns die Nutzung unserer Inhalte für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG ausdrücklich vor.E-Book powerded by pepyrusISBN: 978-3-550-20275-9

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Inhalt

Das Buch

Titelseite

Impressum

Einleitung

»Wir sind mitten in der Nacht in eine große Klinik gefahren, in der ich dich zur Welt bringen wollte«

»Ich hatte große Sorge, dass es dir nicht gut gehen könnte«

»Leider war es in der Klinik sehr voll, und der Geburtsraum war klein und kühl«

»Die Hebamme und die Ärzt*innen haben viele Dinge getan, damit die Geburt schneller geht«

»Die Hebamme und die Ärztinwaren gemein zu mir«

»Nachdem du auf der Welt warst, ging es uns beiden nicht gut«

»Heute weiß ich: Deine Mutter zu sein, macht mich sehr glücklich«

»Ich bin sehr traurig, dass du und ichkeine gute Geburt hatten«

»Deine Geburt hätte ein schöner Tagwerden sollen«

»Ich habe durch deine Geburt und die deiner Schwester viel gelernt«

Fazit: So könnte sie aussehen,die gute Geburtshilfe

Zum Schluss

Gutes zum Lesen und Hören

Vor der Geburt:

Mentale Geburtsvorbereitung:

Nach belastenden Geburten:

Zur gesellschaftlichen Dimensionvon Gewalt unter der Geburt:

Anmerkungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Einleitung

Widmung

Für meine Töchter

Einleitung

Das ehrliche Buch über Geburten oder Was ich meiner Tochter erzähle, wenn sie fragt, wie sie auf die Welt gekommen ist

Der Tag, an dem ich Mutter wurde, war der schlimmste Tag meines Lebens. Die Geburt meiner ersten Tochter war schrecklich. Sie war nicht bloß schmerzhaft. Sie war entwürdigend.

Das, was ich 2015 bei der Geburt in einem Krankenhaus erlebt habe, erleben viele Frauen in Deutschland. Jeden Tag. Für die handelnden Ärzt*innen und Hebammen ist das der Standard. Es ist nichts Besonderes. Für den Chefarzt und die Oberärztin war es geburtsmedizinisch betrachtet eine normale Geburt in einer Klinik, wie sie mir später erklärten. Sie waren sogar froh, dass es so gut ausgegangen ist. Nur ich litt jahrelang unter den Folgen eines Traumas, weil sich mehrere Menschen über meine Grenzen hinweggesetzt haben. Weil andere Leute entschieden haben, was mit mir passiert. Weil ich mich nicht gewehrt habe, als ich Gewalt erlebte.

In einem Moment, in dem Frauen verletzlich sind und Unterstützung und Zuwendung brauchen, landen sie in einem System, das ihnen nicht grundsätzlich wohlgesonnen ist. Ein System, in dem aus wirtschaftlichen Interessen Entscheidungen getroffen werden. In dem sich zu wenige Menschen um zu viele Frauen kümmern und dabei nicht die Selbstbestimmung der Gebärenden im Blick haben. Dass Frauen ihre Geburt selbstbestimmt erleben, ist in vielen Kliniken nicht Ziel der Menschen, die dort arbeiten. Daran zeigt sich, dass in der Geburtshilfe in Deutschland etwas grundlegend falsch läuft. In diesem Buch soll es vor allem darum gehen, wie es trotz allem gelingen kann, in einem Krankenhaus selbstbestimmt zu gebären, und auch gelingen muss – einfach weil die allermeisten Frauen in Deutschland zur Geburt in ein Krankenhaus gehen, über 98 Prozent aller Babys kommen in einer Klinik zur Welt.

In diesem Buch erzähle nicht nur ich davon, wie es ist, bei der Geburt des Kindes Übergriffe und Gewalt zu erleben. Auch andere Mütter kommen zu Wort, eine von ihnen ist Anke. Sie hat mir schon acht Monate nach der Geburt ihres Sohnes von ihrer Geburt berichtet:

Ich fand die Geburt meines Kindes furchtbar. Sie wurde eingeleitet. Ich war zwölf Stunden alleine im Krankenhaus und meine Wehen haben den Muttermund nicht geöffnet. Ich hatte starke Schmerzen und bekam eine PDA (Anmerkung: Die Periduralanästhesie [PDA] dient der Schmerzlinderung.), ohne dass man mir Alternativen anbot. Danach durfte ich nicht mehr auf mein Zimmer. Ich lag die ganze Nacht allein im Kreißsaal, nur mit einem dünnen Laken zugedeckt. Alles, was die PDA bewirkt hat, war, dass meine Beine taub wurden und ich den Urin nicht mehr halten konnte. Im Kreißsaal nebenan hat sich eine Frau die Seele aus dem Leib geschrien. Die Hebamme, die nachts Dienst hatte, hat mich nicht gehört. Ich konnte mich nicht mehr bewegen und man hatte vergessen, mir eine Klingel zu geben. Am nächsten Morgen habe ich darauf bestanden, dass mein Partner zu mir kommen darf. Aufgrund der coronabedingten Einschränkungen durfte er erst sehr spät zur Geburt dazukommen. Die Geburt hat insgesamt dreißig Stunden gedauert. Nacheinander haben mich fünf Hebammen betreut, die sich teilweise nicht mit Namen vorgestellt haben, sondern einfach in den Raum reingekommen sind und da weitergemacht haben, wo die andere aufgehört hat. Ich war psychisch total fertig, konnte nicht mal mehr richtig reden. Ich habe um einen Kaiserschnitt gebettelt. Die Ärzt*innen und Hebammen haben gesagt, sie machen keinen Kaiserschnitt. Ich würde das so schaffen. Am Ende war es dann zu spät für einen Kaiserschnitt, weswegen die Saugglocke genommen wurde. Das war das absolute Schreckensszenario. Über mich wurde einfach verfügt. Die Hebamme hat mit einer Krankenschwester auf meinen Bauch gedrückt, die haben fast auf mir draufgesessen. Ich wurde barsch angesprochen, nach dreißig Stunden Wehen, in denen ich nicht einmal etwas Richtiges zu essen bekommen hatte. Ich habe mir die Seele aus dem Leib geschrien vor Schmerz. Mir wurde das Kind aus dem Körper gerissen.

Diejenigen, die sich noch nicht mit der Geburtshilfe in Deutschland und dem, was Frauen in diesem Zusammenhang erleben, beschäftigt haben, mögen jetzt denken: Wie ist so etwas möglich? Was ist da alles schiefgelaufen? Meine Recherchen zeigen: Auch diese Geburtsgeschichte ist nicht ungewöhnlich oder besonders. Sie ist das Resultat des Systems Geburtshilfe, das offenbar unter den Einschränkungen durch die Coronapandemie noch weniger selbstbestimmte Geburten ermöglicht hat.

Die Mütter in diesem Buch berichten von Eingriffen und Übergriffen. Sie berichten vom Nicht-gesehen-werden und vom Nicht-ernst-genommen-werden. Sie erzählen ihre Geschichte. Sie erzählen, wie es ihnen nach der Geburt ergangen ist und was sie aus dieser Erfahrung gelernt haben. Sie erzählen, wie sie sich durch die Erfahrung verändert haben. Es sind sehr starke Frauen, und ich bewundere jede Einzelne von ihnen. In den letzten Jahren habe ich viele dieser Frauen persönlich kennengelernt. Wir trafen uns in einer Gruppe für Frauen, die über ihre belastenden Geburtserfahrungen sprechen wollten. Wir weinten zusammen. Wir fühlten einen enormen Zusammenhalt. Dann begann ich, über Geburten zu schreiben, interviewte Mütter und Väter zu ihren jeweiligen Erfahrungen damit. Mit allen Eltern, die hier in kurzen Protokollen von ihrer Geburt berichten, habe ich gesprochen, entweder per Telefon oder Videokonferenz, etliche traf ich auch persönlich. Den Kontakt zu ihnen bekam ich über die Gruppe für Frauen nach traumatischen Geburten, teilweise auch über Instagram. Die Frauen und Männer nenne ich nur mit ihren Vornamen, in etlichen Fällen ist dieser geändert. Viele Mütter wollen nicht, dass ihre Kinder je erfahren, wie es ihnen mit und nach der Geburt ging, was ich natürlich respektieren möchte.

Ich bin Feministin. Ich glaube daran, dass Frauen wegen ihres Geschlechts nicht benachteiligt werden dürfen. Das, was viele Frauen bei der Geburt erleben, ist ungerecht, es ist falsch, es ist grausam und es muss aufhören. Wie eine Geburtshilfe aussieht, die die Frau in den Mittelpunkt stellt, werde ich in diesem Buch zeigen. Wir brauchen eine neue Geburtshilfe, die eine selbstbestimmte Geburt zum Ziel hat und als Ansporn sieht. Eine Geburtshilfe, bei der Frauen nach traumatischen Geburten nicht gesagt wird, dass das schon alles richtig so war, sondern bei der ihnen zugehört wird, damit Ärzt*innen und Hebammen es bei der nächsten Frau, bei der nächsten Geburt, die sie betreuen, besser machen können.

Zu meiner These gehört auch, dass wenn eine Frau ein Kind in ihrem Bauch trägt, ihre eigene Unversehrtheit nicht mehr wichtig zu sein scheint. Viele Ärzt*innen und Hebammen sehen in ihr die Hülle für anderes Leben, und das Wichtigste ist, dass dieses andere Leben schnell und gesund auf die Welt kommt. Welche Folgen das für die Frau hat, ist zweitrangig. Und genau deshalb haben wir ein echtes Problem in der klinischen Geburtshilfe. Und darum brauchen wir eine feministische Debatte darüber.

Ich höre viele Podcasts zu politischen und gesellschaftlichen Themen. Ein Satz aus dem US-Podcast der New York Times,The Daily1 hat mich lange begleitet: »I am a survivor, too.« Dies sagte eine Frauenärztin, als sie davon erzählte, wie sie in einer Klinik für Abtreibungen mit den Patientinnen spricht, die Opfer einer Vergewaltigung geworden waren. Sie meint damit: Ich weiß, wie du dich fühlst. Ich habe auch eine Vergewaltigung erlebt und überlebt.

»I am a survivor.« Auf Deutsch: Ich bin eine Überlebende. Oder vielleicht eher: Ich habe überlebt. Ich finde diesen Satz sehr stark. Ich finde es stark, wie diese Frau dazu steht, Opfer einer Vergewaltigung geworden zu sein. Diese Frau hat Schreckliches erlebt und ist ihren Weg trotz und mit dieser Erfahrung gegangen. Sie ist Ärztin geworden und hilft jetzt anderen Frauen in einer ähnlichen Situation. In dieser Podcastepisode ging es um das drohende Verbot von Abtreibungen in den USA in Folge des möglichen Aufhebens des Urteils Roe v. Wade im Juni 2022 durch den Supreme Court, den obersten Gerichtshof der USA. Ein weiteres trauriges Kapitel in der Beschneidung von Frauenrechten und dem Versuch, das Selbstbestimmungsrecht von Frauen einzuschränken. Der Satz »I am a survivor« verfolgt mich seitdem. Wochenlang habe ich darüber nachgedacht, warum. Ich bin kein Opfer einer Vergewaltigung. In diesem Buch wird aber eine Frau berichten, wie sie den Kaiserschnitt, durch den der Arzt ihr Kind auf die Welt brachte, als Vergewaltigung empfindet. Mir geht es bei »I am a survivor« um etwas anderes: Auch ich habe Schreckliches überlebt. Ich habe Gewalt erfahren. Ich habe ein Trauma erlebt und verarbeitet. Auch ich bin eine Überlebende. Und wer da war, wo ich nach der Geburt meiner Tochter war – ganz unten –, der weiß, dass dieser Begriff stimmt.

Was ist nun meine Rolle? Ich bin Journalistin und Autorin. Aber ich bin gleichzeitig Betroffene. Ich bin Opfer, wie viele der Frauen, die ich interviewt habe. Ich weiß, wie es den Frauen geht, die mit mir über ihre oft traumatischen Geburten sprechen, und fühle mit ihnen. Ich habe in den letzten Jahren mit rund fünfzig Müttern und Vätern über die Geburten ihrer Kinder gesprochen. Dreißig von ihnen erzählen in diesem Buch davon.

Ich habe festgestellt, dass das meine Stärke ist: Ich habe überlebt, was diese Frauen überlebt haben. Jede von uns ist durch ihr eigenes Trauma gegangen, ihr eigenes Elend, durch die Verzweiflung und die Traurigkeit. Und am anderen Ende sind wir wieder herausgekommen aus diesem dunklen Tunnel. Manchmal sind wir auf einmal wieder mittendrin in der Dunkelheit. Aber wir haben gelernt, eine Fluchttür zu finden und schnell wieder ans Sonnenlicht zu gelangen. Wir haben überlebt. Und wir erzählen unsere Geschichte.

Ich bin mir sicher: Der Dreh- und Angelpunkt von guten Geburten ist die Selbstbestimmung der Frau. Selbstbestimmung meint laut Duden: »Unabhängigkeit des bzw. der Einzelnen von jeder Art der Fremdbestimmung (zum Beispiel durch gesellschaftliche Zwänge, staatliche Gewalt)«.2 Körperliche Selbstbestimmung von Frauen wird in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Debatten weltweit verhandelt. Dazu gehört das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch, also die Frage, ob ich als Frau ein Kind austragen möchte oder nicht. Ob ich als Frau überhaupt schwanger werden möchte, also das Recht auf Verhütungsmittel, gehört dazu. Und eben auch, wie ich gebären möchte, wenn ich mich denn dafür entscheide, ein Kind zu bekommen. Für Frauen ist die körperliche Selbstbestimmung essenziell.

Eine Geburt ist ein sehr intimer Prozess. Weil er durch meinen Körper geschieht, sollte er der Inbegriff von Selbstbestimmung sein. Und genau das ist er oft nicht. Indem Frauen – vor allem, wenn sie zum ersten Mal ein Kind zur Welt bringen – etwas völlig Neues erleben, das mit viel Angst behaftet ist, sind sie sehr anfällig für Fremdbestimmung. Bei einer Geburt kann diese Fremdbestimmung durch Hebammen und Ärzt*innen ausgeübt werden, die meinen, es besser zu wissen als die jeweilige Frau. Selbstbestimmt gebären bedeutet für mich, zu verstehen, was geschieht, und sagen zu können, was ich empfinde und möchte. Dabei will ich gehört und gesehen werden. Außerdem muss ich (mit-)entscheiden können, was mit mir geschieht, denn Selbstbestimmung heißt auch, mich darauf verlassen zu können, dass nur die Eingriffe angeboten und letztendlich durchgeführt werden, die unbedingt sein müssen oder um die ich bitte.

Selbstbestimmt zu gebären meint in diesem Buch nicht, möglichst natürlich – das heißt ohne Schmerzmittel und medizinische Eingriffe – zu gebären. Die vielen Bücher und Podcasts über »gute« (gemeint sind dort vor allem natürliche) Geburten stellen das Thema verkürzt und falsch dar und setzen Frauen damit unter Druck. Mir geht es darum, dass Frauen im Kontext Geburt selbst bestimmen können sollten: an welchem Ort und in welcher Position, mit welchen Hilfsmitteln, Eingriffen, Medikamenten sie gebären wollen. Sie müssen entscheiden können, wer sie bei der Geburt begleitet und auf welche Weise sie begleitet werden. Dieses Buch wird zeigen: Diese Art der Selbstbestimmung bei der Geburt ist in vielen Kliniken sehr schwer umzusetzen, in manchen ist es nahezu unmöglich. Damit Frauen eine echte Chance auf eine selbstbestimmte Geburt haben, müssen sie viel wissen. Vieles, das ich vor der Geburt meiner Tochter eben nicht wusste, nicht wissen konnte. Ich habe dieses Buch auch deshalb geschrieben, um diese Lücke für andere Frauen zu füllen.

Eine selbstbestimmte Geburt kann vieles bedeuten: Eine natürliche Geburt ohne Eingriffe, ein Kaiserschnitt auf eigenen Wunsch und sogar nicht selbst bestimmen zu wollen. Es gibt Gebärende, die möchten, dass man ihnen möglichst viel abnimmt. »Selbstbestimmung ist keine Pflicht«3 lese ich in einem Fachbuch für Hebammen und Ärzt*innen. Erst als ich darüber nachdenke, verstehe ich, dass zur Selbstbestimmung auch gehören kann, eben nicht selbst bestimmen zu wollen. Auch wenn ich mir schwer vorstellen kann, dass eine Frau wirklich will, dass über ihren Körper verfügt wird, muss das im Fall der Fälle natürlich akzeptiert werden.

Für die allermeisten Geburten gilt: Wenn sie nicht selbstbestimmt sind, wenn eine Frau erlebt, dass jemand anderes über ihren Körper bestimmt, wenn sie gar Gewalt erfährt, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass diese Frau die Geburt als belastend oder gar traumatisch empfindet. Aber wann ist eine Geburt belastend? Was ist Gewalt unter der Geburt? Und was ist eine traumatische Geburt? Alle drei Begriffe, die ich im Laufe dieses Buches erläutern werde, sind wichtig, damit das, was Frauen widerfährt, einen Namen bekommt. Es ist hilfreich, wenn sie ausdrücken können, was sie erlebt haben.

Was ist die Folge, wenn Frauen nicht selbstbestimmt gebären dürfen? In vielen Fällen wird dann die Geburt zu einer Belastung für die Frau und ihr weiteres Leben. Eine Frau, die das Gefühl hat, dass ihre Geburt nicht so war, wie sie es wollte, wird sich im Begriff »belastende Geburt« wiederfinden und damit identifizieren können. Viele sprechen auch von »schwierigen Geburten«. Der Verein Mother Hood e. V., der sich für selbstbestimmte Geburten einsetzt, nennt seine Kontakthotline genau deshalb »Hilfetelefon nach schwieriger und belastender Geburt«. Katharina Desery, die Sprecherin von Mother Hood e. V., erklärte mir, dass sie bei dieser Bezeichnung bewusst auf Begriffe wie Gewalt und Trauma verzichtet hätten, um möglichst offenzuhalten, wer anrufen kann. Die Frauen können sich melden, wenn sie eine Belastung spüren und über ihre Geburt sprechen möchten.

Der Begriff Gewalt für das, was Frauen unter der Geburt erleben, geht einen großen Schritt weiter. Auch hier entscheidet die betroffene Frau, ob sie das Erlebte so bezeichnen möchte. Die Soziologin Christina Mundlos, die ein Buch über Gewalt unter der Geburt geschrieben hat, meint: »Welche Handlungen unter der Geburt als ›Gewalt‹ erlebt und bezeichnet werden, bleibt letztendlich eine subjektive Erfahrung.«4 Sie erklärt weiterhin, dass die meisten Erlebnisse dennoch auch von Außenstehenden und objektiv als gewalttätige Übergriffe erkannt werden. Als Autorin und Journalistin, die seit Jahren zum Thema Gewalt unter der Geburt recherchiert und schreibt, erlebe ich selbst sehr unterschiedliche Reaktionen auf den Gewaltbegriff in Bezug auf die Geburtshilfe. Vielen Menschen fällt es schwer, zu akzeptieren, dass Frauen unter der Geburt Gewalt erleben und dies gravierende Folgen für ihr Leben haben kann.

Interessant finde ich, dass die Frauen und Männer, die mir für dieses Buch ihre Geschichten erzählten, sehr unterschiedlich darauf antworteten, ob sie Gewalt erlebt haben oder nicht – teilweise sogar trotz ganz ähnlicher Erfahrungen. Eine Mutter sagt: »Das war definitiv Gewalt«, eine andere meint: »Nein, das musste der Arzt so machen.« Frauen erleben ihre Geburten sehr unterschiedlich, gleichzeitig gibt es viele Gemeinsamkeiten. In diesem Buch soll genau diese Vielstimmigkeit Platz haben. Das, was jede Frau beschreibt, ist ihre Wahrheit. Die Deutungshoheit über ihre Erfahrungen liegt allein bei ihr.

Dass Frauen Übergriffe nicht als Gewalt bezeichnen, liegt auch daran, dass alle Beteiligten das, was passiert, als »normal« empfinden. Die Politikwissenschaftlerin und Geschlechterforscherin Tina Jung schreibt von einer »starken Internalisierung und Normalisierung von Gewalt in der Geburtshilfe«.5

Ich selbst habe Monate, wahrscheinlich sogar Jahre, gebraucht, um zu verstehen: Die Geburt meiner Tochter war gewaltvoll, und sie hat mich traumatisiert. Dies ist der dritte wichtige Begriff: »Trauma«. Laut der Deutschen Traumastiftung gilt: »Ein Trauma (griech.: Wunde) ist ein belastendes Ereignis oder eine Situation, die von der betreffenden Person nicht bewältigt und verarbeitet werden kann.«6 Eines dieser Erlebnisse kann die Geburt eines Kindes sein – auch wenn viele Menschen das zunächst nicht glauben wollen. Traumata kennen wir aus den Medien vor allem von Soldaten, die mit psychischen Erkrankungen aus einem Auslandseinsatz zurückgekommen sind. Genauso kann eine Frau nach der Geburt an den Folgen eines Traumas leiden. Dazu gehören psychische und physische Symp­tome wie posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS), Depressionen, Angststörungen und Suchterkrankungen. Dass diese Erkrankungen tatsächlich nach Geburten auftreten können, ist jedoch kaum bekannt. Vielleicht hängt das mit der Tatsache zusammen, dass Probleme von Frauen in der Gesellschaft generell weniger besprochen werden, in diesem Fall die Probleme von Frauen in unserem Gesundheitssystem. Vielleicht – und ich weiß, dass das eine steile These ist – sind die Ungerechtigkeiten und Abgründe, die Mütter bei der Geburt eines Kindes in Kliniken erleben, deshalb so groß, weil Geburten ausschließlich Frauen betreffen – und im Falle von trans und nicht-binären Personen Menschen mit einer Gebärmutter – und nicht Männer, die als solche geboren sind und sich als solche identifizieren, also cis Männer.

Gewaltvolle und traumatische Geburten können auch Menschen mit Uterus erleben, die keine Frauen sind. Viele Geburtsstationen sind überfordert, wenn ein trans Mann ein Kind gebärt. Nicht umsonst fordern queere Menschen ein stärkeres Bewusstsein für die Vielfältigkeit der Menschen, die gebären, bei denen, die in der Geburtshilfe arbeiten. Dazu gehört auch, Menschen mit korrekten Pronomen zu bezeichnen, und das ist eben nicht bei jeder gebärenden Person ein »sie«.

Mir liegt die sprachliche Vielfalt und Diversität sehr am Herzen. Trotzdem habe ich mich dafür entschieden, in diesem Buch von Frauen zu schreiben und nicht grundsätzlich von gebärenden Personen. Ich bin überzeugt, dass die Probleme in der Geburtshilfe etwas damit zu tun haben, dass vor allem Frauen betroffen sind. Diese Wortwahl soll keinesfalls trans und nonbinären Personen ihre Erfahrung absprechen.

Ebenso soll der Fokus auf Mütter nach Geburten in diesem Buch nicht suggerieren, dass die Erfahrung einer nicht selbstbestimmten und traumatischen Geburt für Väter – oder andere begleitende Personen – nicht auch schlimm ist. Im Gegenteil: Die Folgen traumatischer Geburten belasten ganze Familien. Deshalb kommen in diesem Buch auch Väter zu Wort, die schildern, wie sie die Geburt ihres Kindes erlebt haben.

Für die klinische Geburtshilfe in Deutschland gilt heute: Wenn Menschen eine selbstbestimmte Geburt in einer Klinik erleben wollen, müssen sie entweder großes Glück haben oder sich gut vorbereiten, um für ihre Selbstbestimmung im Kreißsaal kämpfen zu können. Paare sollten viel Zeit und Mühe darauf verwenden, eine gute Klinik auszuwählen und herauszufinden, ob sie dort eine Geburt so erleben können, wie sie es sich vorstellen und wünschen. Denn auch diese Kliniken gibt es.

Mir ist klar, dass viele Paare Geburten in einem Krankenhaus erlebt haben, die okay für sie waren. Einige sagen sogar, die Erfahrung sei schön gewesen. Jeder Mensch reagiert anders auf Extremsituationen und jede Klinik, jede Ärztin und jede Hebamme ist anders, hat gute und schlechte Tage. Soll heißen: Ich stelle nicht den Anspruch, mit diesem Buch für alle Geburten in Krankenhäusern in Deutschland zu sprechen. Auch nicht für alle Geburten zu Hause oder im Geburtshaus. Ich beschreibe aber ein wichtiges gesellschaftliches Phänomen, unter dem viele Menschen leiden. Und dieses Phänomen hat etwas mit dem System zu tun, in dem Geburten stattfinden.

Der Verein Mother Hood e. V. gibt an, dass mindestens 20 bis 40 Prozent der Mütter ihre Geburtserfahrung als belastend empfinden.7 Allein im Jahr 2022 wurden in Deutschland circa 739 000 Kinder geboren.8 Das entspricht zwischen etwa 148 000 und 296 000 Frauen jährlich, für die ihre Geburtserfahrung eine Belastung darstellt. Viele von ihnen wissen gar nicht, was mit ihnen los ist. Sie dachten, sie würden ein Kind bekommen. Sie dachten, auch wenn die Geburt nicht ideal läuft, geht sie vorbei und dann ist das Kind da – alles gut. Und dann merken sie: nichts ist gut. Vielleicht leiden sie unter Panikattacken, Angstzuständen, Flashbacks, Albträumen oder Depressionen. Sie fragen sich, was sie bei der Geburt falsch gemacht haben. Bei Vätern können ähnliche Symptome auftreten, nur sind diese noch weniger erforscht als bei Müttern. Vielleicht verstehen die Paare erst nach und nach, was ihnen widerfahren ist. Auch für diese Betroffenen ist dieses Buch. Sie sollen sich bewusst werden: Sie sind nicht schuld daran. Sie können nichts für das, was ihnen passiert ist. Schuld ist das patriarchale System der Geburtshilfe.

Mir wurde vorgeworfen, dieses Buch sei eine persönliche Abrechnung. Frauen aus der Literaturbranche ebenso wie männliche Journalistenkollegen verstanden nicht, warum es dieses Buch braucht. Ist es eine Abrechnung, wenn ich aufschreibe, was mir und vielen anderen Frauen passiert ist und was das mit uns gemacht hat? Ganz sicher ist dieses Buch eine Problemanzeige, vielleicht eine Anklage. Gegen das Gesundheitssystem und an alle Menschen, die darin Verantwortung tragen. Politiker*innen, Chefärzte (und auch Chefärztinnen, die es mittlerweile gibt), Ärzt*innen, Hebammen, Pflegekräfte. Sie nehmen in Kauf, dass Frauen bei der Geburt Gewalt und Vernachlässigung erleben, dass sie traumatisiert werden. Zu den vielfältigen Gründen kommen wir später noch, aber eine Gruppe von Menschen kann nichts dafür: die Gebärenden. Es ist eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass die Verantwortlichen sich nicht mehr bemühen, Frauen eine selbstbestimmte und sichere Geburt zu ermöglichen.

Ich bin wütend, wenn ich daran denke, was mir, meiner Tochter und meinem Partner angetan wurde. Wenn ich an die vielen Familien und ihren langen Weg zurück in ein normales Leben denke, an die Ärzt*innen und Hebammen, die jeden Tag ihren Beitrag zu Belastung und Traumata von Gebärenden leisten. Dass Frauen, die sich wütend zeigen, in unserer Gesellschaft selten ernst genommen werden, beschreibt die Journalistin Jana Heinicke in ihrem Buch Aus dem Bauch heraus: »Wo Gefühle sind, da können keine Fakten sein, oder? Zumindest gibt es diese eigentümliche Annahme, dass Fakten nur sachlich und nüchtern vorgetragen werden dürfen, um als solche anerkannt zu werden.«9 Heinicke widerlegt dies in ihrem Buch. Die Autorin Nadine Pungs schreibt in Nicht Muttersein: »Sobald Frauen über Missstände sprechen, wird ihnen eine Opfermentalität unterstellt. Sie bleiben immer die Jammerweiber.«10

Immer mehr Frauen nehmen nicht hin, was ihnen während der Geburt passiert ist. Wann immer ich als Journalistin einen Artikel über traumatische Geburtserfahrungen geschrieben habe, dankten mir hinterher die Mütter und Väter, deren Geschichte ich erzähle, dafür, dass ich öffentlich mache, was in der Geburtshilfe passiert. Diese Sicht der Eltern ist einzigartig, denn nur sie können beschreiben, was sie erlebt haben, aus zwei jeweils sehr unterschiedlichen Perspektiven: Die Frau, die unmittelbar betroffen war, und der Mann, der als Zeuge dabei war und oft entsetzt ist darüber, was passiert ist. Und das gilt nicht nur für Väter, sondern für jede begleitende Person im Kreißsaal.

Es gibt auch Ärzt*innen, die meine Arbeit als Journalistin zu selbstbestimmten Geburten wichtig finden. Sie stehen für eine andere Geburtshilfe, sie wollen auf Probleme und Fehler aufmerksam machen, damit alle Verantwortlichen daraus lernen können. Das ist zwar leider die absolute Minderheit der Ärzt*innen, aber es gibt sie. Einige von ihnen kommen in diesem Buch zu Wort.

Viele Leser*innen werden sich sicher fragen, in welchen Krankenhäusern Frauen diese schrecklichen Erfahrungen gemacht haben und warum ich den jeweiligen Kliniknamen und Ort nicht angebe. Ich erwähne auch nicht, in welcher Klinik ich selbst Gewalt erlebt habe. Das hat juristische Gründe. Die Kliniken würden mit großer Wahrscheinlichkeit dagegen vorgehen, eventuell sogar dafür sorgen, dass dieses Buch nicht veröffentlicht werden darf. Meine Recherchen zeigen allerdings auch: Was ich in diesem Buch beschreibe, passiert an vielen Orten in ganz Deutschland. Eltern, die eine Geburtsklinik suchen, bleibt nur die mühsame Arbeit, selbst zu recherchieren und sich Wissen über die Geburt und über verschiedene damit verbundene Eingriffe anzueignen. Dafür soll dieses Buch eine Hilfestellung sein.

Ich beobachte in den Gesprächen und Debatten um Geburt etwas Verstörendes: Frauen, die nach einer Geburt darüber sprechen, dass diese ganz anders gewesen sei als erwartet, wird vorgeworfen, dass sie ein falsches Bild von Geburten gehabt hätten. Sie seien naiv gewesen, weil sie sich die Geburt eines Kindes in erster Linie als etwas Schönes vorgestellt hatten. Abgesehen davon, dass das eine klassische Täter-Opfer-Umkehr ist – die Frau ist selbst schuld an ihrer belastenden Geburt, weil sie anderes erwartet hat –, möchte ich erwähnen, dass ich auch im Vorhinein die Geburt nie als etwas Schönes angesehen habe. Ich würde eher sagen, ich finde es beeindruckend, dass im Körper einer Frau Leben wächst und dass dieses Leben durch den Körper der Frau auf die Welt kommt.

Mein Freund und ich wollten Kinder, wir wollten eine Familie gründen und beschlossen also, ein Kind zu bekommen. Meine Erwartungen an die Geburt waren gering. Um ehrlich zu sein, wollte ich die Geburt eigentlich am liebsten gar nicht erleben. Da ich viel darüber gelesen hatte, dass eine vaginale Geburt für Mutter und Kind besser sei als ein geplanter Kaiserschnitt, war dieser keine Option. Dass ein Kaiserschnitt – von vielen Müttern auch Bauchgeburt genannt – auf Wunsch für Frauen eine Option ist und sie diese ohne Vorverurteilung wählen und durchführen lassen können, gehört ebenfalls zu einer selbstbestimmten Geburt.

Mögliche Alternativen zu einer vaginalen Geburt – von Kaiserschnitt bis Adoption – hatte ich durchaus durchdacht, aber dennoch beschlossen, dass ich schaffen werde, was viele andere Frauen vor mir geschafft haben: ein Kind austragen und gebären. Ich dachte: Ich bringe die Geburt hinter mich und dann haben wir ein Baby und alles ist gut. Doch so einfach ist es leider nicht.

Genau das weiß auch meine Tochter, denn ich habe sie nie angelogen. Die Forderung, meiner Tochter bloß nicht zu sagen, wie ihre Geburt war, habe ich mehrfach gehört. »Wenn dein Kind dich fragt, wie seine Geburt war, dann will es nicht die Wahrheit wissen. Es will hören, dass es der schönste Tag in deinem Leben war«, sagte die Pfarrerin im Kita-Gottesdienst meiner Tochter vorne vor dem Altar, und ich war entsetzt. Mein Kind war zwei Jahre alt, ich steckte noch tief in meinem Trauma und dachte eigentlich, ich stehe nur einen Kindergarten-Pflichttermin durch. Damals fand ich die langweilig, nervig oder schlimm, meist wegen der anderen Eltern, die so viel glücklicher waren als ich und ihr Kind so viel weniger betreuen ließen als wir.

Diese Pfarrerin steht für die weit verbreitete Idee, dass wir mit unseren Kindern nicht ehrlich darüber sprechen sollten, wie sie auf die Welt gekommen sind. Das finde ich grundfalsch. Die Geburt gehört zum Leben dazu und Frauen erleben sie sehr unterschiedlich. Für meine Tochter war es ihr Start ins Leben. Sie darf erfahren, wie es begann.

Besonders unangebracht finde ich, was ich beim Scrollen durch meinen Instagram-Feed manchmal lese. Dort schreiben Mütter nach sehr schönen Geburtserfahrungen, dass wir im Gespräch mit unseren Kindern immer im Blick haben sollten, welches Bild von Geburt wir transportieren. Mütter wie ich würden Angst und Schrecken verbreiten, und das sei falsch. Ich denke, ich transportiere ein realistisches Bild der Geburt unserer ersten Tochter. Sie hat ein Recht darauf, zu erfahren, wie ihr Start ins Leben verlief, und ich bin nicht bereit, sie anzulügen.

Meine Tochter weiß, dass ihre Geburt nicht nur schwierig war, sondern schrecklich. Sie weiß, dass ihr und mir Unrecht widerfahren, dass uns durch schlechte Behandlung der Start erschwert worden ist. Als meine Tochter in der ersten Klasse war, ging sie an meiner Hand die Straße entlang und sagte: »Gestern in der Umkleide beim Sport haben wir über Geburten gesprochen.« Sie wolle mir eine »lustige Geschichte« erzählen, denn eine Mitschülerin sei mit den Füßen zuerst aus ihrer Mutter rausgekommen. Eine andere Mitschülerin sei »bockig gewesen, weil sie nicht rauswollte«. Das wurde dann ein Kaiserschnitt. Ich fragte sie, was sie über ihre Geburt gesagt hat. Sie erwiderte: »Meine Geburt war schlecht.« Meinem Mann erzählte sie später die gleiche Geschichte und meinte: »Die waren bei der Geburt nicht so nett zu uns.« Das ist also die Kinderübersetzung einer traumatischen, gewaltvollen Geburt.

Meine Tochter nahm vor einiger Zeit an einer Projektwoche der Kirche teil, das Thema lautete: Vom Anfang bis zum Ende – von Leben und Sterben. Meine Aufgabe für diese Projektwoche war es, zehn Sätze über ihre Geburt aufzuschreiben und ihr am ersten Tag mitzugeben. Diese Informationen sollten dann in der Projektwoche thematisiert und im Abschlussgottesdienst verarbeitet werden. Ich hatte die Leiterin der Projektwoche vorgewarnt, dass die Geburt meiner Tochter traumatisch war und ich das – wenn auch kindgerecht – mit ihr bespreche. Die Religionspädagogin schrieb mir: »Danke für Ihr Vertrauen.« Das hat mich sehr berührt. Wenn ich heute diese zehn Sätze über ihre Geburt lese, die ich damals aufgeschrieben habe, merke ich, dass es sich um eine sehr präzise Zusammenfassung dessen handelt, was mir passiert ist und was so typisch für das System Geburtshilfe ist. Die zehn Sätze führen durch dieses Buch. Sie erklären nicht nur meine traumatische Geburt, sondern ziemlich genau das, was generell in der klinischen Geburtshilfe schiefläuft, welche Folgen das hat und was Frauen nach solch einer Erfahrung hilft. Es geht mir dabei auch darum, schwangeren Frauen ganz konkret anhand von Tipps und Selbstermächtigungsstrategien zu zeigen, wie sie sich auf eine selbstbestimmte Geburt vorbereiten können, und ebenso Frauen nach belastenden Geburten deutlich zu machen, dass und wie sie diese Erfahrung verarbeiten können.

»Wir sind mitten in der Nacht in eine große Klinik gefahren, in der ich dich zur Welt bringen wollte«

Schwangere auf der Suche nach Sicherheit

Bayern-Spieler Arjen Robben schoss ein Tor nach dem anderen und ich atmete tief ein und aus. Nicht, weil ich ihn oder seinen Verein mochte, sondern weil ich Wehen hatte. Ich stand vornübergebeugt an unserem Esstisch im Wohnzimmer. Ich ärgerte mich über das Spiel, denn ich mag den FC Bayern überhaupt nicht, aber es ging mir okay. Ich zählte die Abstände und die Dauer der Wehen: Sie kamen regelmäßig und dauerten ungefähr eine Minute. Die Geburt hatte begonnen, ich sollte Mutter werden. Ich hatte das Gefühl, das eigentlich ganz gut zu machen.

Dass es tatsächlich hilfreich sein kann, den Verstand möglichst nicht anzuregen und sich nur auf den eigenen Körper zu konzentrieren, wenn die Wehen beginnen, hatte mir niemand erzählt. Mit dem Fußballspiel lenkte ich mich ab. Ich war lange Jahre Fußballfan meines Heimatvereins Hannover 96, hatte in Hannover eine Dauerkarte und mag Fußball grundsätzlich. So begann meine Geburt, ich fand das ganz passend.

Acht Tage war ich über meinen errechneten Geburtstermin (kurz ET), das bedeutet: Rein rechnerisch hätte mein Baby vor acht Tagen kommen sollen. In den meisten Krankenhäusern wird zehn Tagen nach dem Termin die Geburt eingeleitet. Das ist mittlerweile recht umstritten: Der Geburtstermin wird anhand des Zeitpunktes errechnet, an dem eine Frau das letzte Mal ihre Periode hatte. Frauen können sich daran falsch erinnern, und weiterhin lässt dieses Vorgehen außer Acht, dass Frauen verschieden sind. Sie haben unterschiedlich lange Zyklen, und ebenso gibt es Anzeichen dafür, dass beispielsweise Alter, Herkunft, Body-Mass-Index oder die Anzahl der bisherigen Geburten sich darauf auswirken, wie lange eine Schwangerschaft dauert.11 Deshalb sollte die Rechnung mit Ergebnissen des Ultraschalls abgeglichen werden.

Ich bin keine Ärztin und keine Hebamme. Ich kann keine medizinischen Empfehlungen geben. Aber: Viele Mütter berichten vom Druck, dass das Baby rechtzeitig kommt, weil sie keine Einleitung der Geburt erleben wollen. Es kann daher hilfreich sein, frühzeitig mit Frauenärzt*innen, der Hebamme und der Klinik zu prüfen, ob der errechnete Geburtstermin richtig ist, und ihn möglicherweise nach hinten verschieben zu lassen.

All das wusste ich nicht, als ich einige Tage zuvor in der Klinik zur Untersuchung war und mir gesagt wurde, wann ich zur Einleitung zu kommen habe. In der gemeinsamen Leitlinie der Fachgesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe aus Deutschland, Österreich und der Schweiz steht, dass Frauen die Einleitung dann angeboten werden sollte.12 In der Klinik klang das aber gar nicht nach Angebot, das klang nach einem Fakt: Die Einleitung findet dann statt. Diese Fremdbestimmung scheint systemimmanent zu sein, wie viele Frauen berichten. Ich sah es also an diesem Abend beim Fußballgucken als gutes Zeichen an, dass die Geburt von selbst losging. Immerhin keine Einleitung, dachte ich.

Als meine Wehen regelmäßig kamen, rief ich meine Hebamme an. Ich hatte eine Beleghebamme, die mich während der Geburt begleiten würde und die ich schon kennengelernt hatte. Sie sagte mir, dass sie gerade erst von einer anderen Geburt aus der Klinik nach Hause gekommen sei und nicht wieder losfahren würde. Sie wohnte außerhalb der Stadt. Ich könne in die Klinik fahren, aber dort würde man mich sicher erst mal wieder wegschicken. Da spürte ich das erste Mal die Hilflosigkeit, die mich noch öfter während der Geburt ereilen würde. Ich wollte das nicht allein mit meinem Partner durchstehen. Ich wollte nicht mitten in der Nacht im Stress mit dem Taxi in die Klinik fahren. Ich wollte da jetzt hin und in Sicherheit sein. Aber: Ich hörte auf die Hebamme und blieb zu Hause.

Nachdem die Bayern das Spiel gewonnen hatten, gingen wir schlafen. Ich lag in meinem Bett, neben mir mein Mann, und versuchte, die inzwischen sehr regelmäßigen Wehen zu veratmen. Die ganze Nacht habe ich die Dauer der Wehen und deren Abstände gestoppt und mich gefragt, worauf ich warte. Ich wusste, dass meine Geburt bereits im Gang war. Mitten in der Nacht hörte ich es plötzlich reißen und spürte, wie meine Fruchtblase platzte. Ich weckte meinen Mann und rannte ins Bad. Das Fruchtwasser kam in schwallartigen Bewegungen aus mir heraus, es hörte nicht auf. Am Ende zog ich ein Paar Leggins an, zwei Hosen waren schon nass geworden, und setzte mich auf einen Stapel Handtücher ins Taxi. So begann der Albtraum, der die Geburt meiner Tochter werden sollte.

Ich hatte mir während meiner Schwangerschaft wenig Gedanken über die Auswahl einer Klinik gemacht. Klinik ist Klinik, dachte ich damals völlig unerfahren und uninformiert. Ich hatte gelesen, dass eine Beleghebamme zu empfehlen sei, weil ich dadurch nicht mit der Hilfe einer mir fremden Person mein Kind zur Welt bringen müsse. Bald nachdem ich wusste, dass ich schwanger war, suchte und fand ich eine Beleghebamme in meiner Nähe. Das war theoretisch betrachtet ein Sechser im Lotto. In Deutschland gab es im Jahr 2020 nur 1405 freiberufliche Beleghebammen. Die Mehrheit der Hebammen, die in Krankenhäusern Geburten betreuen, arbeitet festangestellt (10 130).13 Somit haben sie Früh-, Spät- und Nachtschichten. Sie arbeiten acht Stunden, danach übernimmt eine Kollegin. Für die Gebärende heißt das: Wenn ihre Geburt mehr als acht Stunden dauert, was häufig der Fall ist, wird sie von wechselnden Hebammen betreut. In der Regel kennen Frauen die Hebamme, die sie in der Klinik betreut, nicht vor der Geburt. Eine Beleghebamme gefunden zu haben, heißt also, in der glücklichen Situation zu sein, während der gesamten Geburt von ein und derselben Frau betreut zu werden. Und: Eine Beleghebamme kann die Frau auch vor der Geburt und im Wochenbett betreuen. Es gibt einige Kliniken, in der alle Hebammen Beleghebammen sind, die dann meist längere Schichten arbeiten und so länger bei einer Frau sein können. Aber auch sie haben Feierabend, unabhängig von der Geburt, die sie gerade betreuen. Wenn eine Frau während der Geburt durchgängig von derselben Hebamme begleitet werden will, muss sie sich eine Beleghebamme suchen, die genau das anbietet.

Für mich schien es ganz einfach: Wenn ich die Geburt mit einer Beleghebamme machen wollte, musste ich mich zur Geburt in dem Krankenhaus anmelden, in dem sie arbeitete. Eine Beleghebamme hat in der Regel eine Klinik, in der sie Geburten begleitet. Das ist logisch, denn wenn beispielsweise zwei Frauen gleichzeitig gebären, kann sie trotzdem beide betreuen. Ich war so dankbar dafür, eine Beleghebamme gefunden zu haben, dass ich mich darüber hinaus nicht weiter informierte. Ich würde in diese Klinik gehen. Basta. Die Beleghebamme entschied quasi für uns.

Es klingt verlockend, dass man die Beleghebamme vorher kennt und dass sie die gesamte Geburt begleitet. Doch eine Geburt kann sehr lange dauern. Eine Beleghebamme braucht viel Kraft dafür und kann sich eben nicht einfach ablösen lassen, wie das bei einer festangestellten Hebamme der Fall ist. Das kann also durchaus auch ein Nachteil sein.

Bei der Auswahl einer Beleghebamme lohnt es sich daher, zu fragen, wie viele Frauen die Hebamme pro Monat betreut. Je mehr Frauen das sind, desto wahrscheinlicher ist, dass sich einige mit ihrer Geburt in die Quere kommen oder die Hebamme noch erschöpft von einer vorherigen Geburt ist, wenn eine neue beginnt. Heute weiß ich: Das war wahrscheinlich bei meiner Geburt der Fall. Die Hebammen Sissi Rasche und Kareen Dannhauer sagen in ihrem Podcast Hebammensalon in einer Folge über Beleghebammen: »Das ist eine Stilfrage, wie man arbeiten möchte.«14 Es gäbe Kolleginnen, die zehn bis zwölf, sogar fünfzehn »Geburten im Monat schrubben«. Davor zögen sie den Hut, sagen sie, aber auch die Nachbetreuung im Wochenbett könne darunter leiden. Ich ziehe nicht den Hut davor. Ich finde das verwerflich, auch wenn mir klar ist, dass Hebammen nicht viel verdienen und mehr Frauen zu betreuen auch mehr Geld bringt.

Wann mache ich mich auf den Weg ins Krankenhaus? Ich finde, dass zu einer selbstbestimmten Geburt dazugehört, dann in die Klinik zu fahren, wenn es sich richtig anfühlt. Das wiederum passt nicht zu unserem Gesundheitssystem. Ich wusste, dass »meine« Klinik Frauen erst ab einer Muttermundöffnung von vier Zentimetern aufnimmt. Der Muttermund ist die Öffnung der Gebärmutter, durch die das Baby auf die Welt kommt. Wie schnell sich dieser Muttermund öffnet, ist für viele Geburtshelfer*innen sehr wichtig, um das Fortschreiten der Geburt beurteilen zu können. Im Grunde ist es völlig egal, wie schnell er sich öffnet, irgendwann muss er bei einer kompletten Öffnung von zehn Zentimetern sein, damit das Baby auf die Welt kommen kann. Vier Zentimeter, das war die Maßgabe, dann erst sollte ich in die Klinik kommen. Doch woher sollte ich das wissen? Vorher werden die Frauen nicht betreut, denn die Kreißsäle werden für die Frauen benötigt, die gerade gebären. Es gibt keine Räumlichkeiten und nicht genug Hebammen in den Kliniken, um lange Eröffnungsphasen zu betreuen. Das ist ein riesiger Fehler im System. Mir war klar, dass es eine Menge Wehen braucht, bis bei einer Erstgebärenden wie mir der Muttermund vier Zentimeter geöffnet wäre. Trotzdem ist es nicht sinnvoll, den Frauen eine bestimmte Muttermundöffnung zu sagen, ab der sie kommen sollen, schließlich können sie das schlecht selbst ertasten.

Wie eine »normale« Geburt rund um den Geburtstermin im Idealfall abläuft, beschreibt die S 3-Leitlinie »Vaginale Geburt am Termin«, die die Fachgesellschaften Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaften (DGHW) am 22.12.2020 veröffentlicht haben.15 S 3 steht für die höchste Qualitätsstufe, die solche Leitlinien haben können.16 Diese Leitlinie ist eine Art Grundkonsens der wissenschaftlichen Erkenntnisse rund um die Geburt, die Expert*innen der Fachverbände gemeinsam anhand der bestmöglichen Evidenz erarbeitet haben. Darin fassen die Autor*innen den Stand der Wissenschaft zusammen und beschreiben, wie Mediziner*innen in bestimmten Situationen verfahren sollten und welche Eingriffe wann zu empfehlen sind. Bei der Geburt meiner Tochter gab es diese Leitlinie noch nicht. Auch heute wird sie nicht bei jeder Geburt oder in jeder Klinik angewendet, ist aber ein wichtiges Dokument, auf das sich Gebärende beziehen können, wenn sie in einem Krankenhaus ein Kind zur Welt bringen möchten. Die Geburtsrechtsaktivistin Katharina Hartmann hat für den Elternverein Mother Hood e. V. an der Erstellung der Leitlinie mitgewirkt. Sie nennt die Leitlinie ein »Werkzeug zur Selbstbestimmung« und sagt: »Ich feiere die Leitlinie, weil sie in Deutschland zum allerersten Mal überhaupt Informationen bietet, die frei zugänglich, frauzentriert und evidenzbasiert sind.« Hartmann hat mir auch erklärt, dass alle ausgewerteten Studien zwar bisher nur Frauen betreffen, aber die Informationen in der Leitlinie auch anderen gebärenden Personen helfen.

Viele Mütter, die mir von ihren Geburten erzählt haben, beziehen sich später auf die Leitlinie und argumentieren davon ausgehend, warum das Handeln der Ärzt*innen und Hebammen falsch war. Das ist klug. Noch besser ist es jedoch, sich die Leitlinie bereits vor der Geburt anzuschauen. Ein Haken daran ist, dass sie sehr umfangreich und größtenteils in medizinischer Fachsprache verfasst ist. Die Informationen, anhand derer man sich auf eine selbstbestimmte Geburt vorbereiten kann, sind also wenig inklusiv. Menschen mit geringerer formaler Bildung oder weniger guten Deutschkenntnissen haben diesbezüglich schlechte Chancen. Auch hier zeigt sich, dass es in der Geburtshilfe nicht um Selbstbestimmung geht.

Sabrina Diehl arbeitet als Anwältin und vertritt Frauen nach den Geburten ihrer Kinder, wenn diese beispielsweise Schadensersatzansprüche geltend machen wollen. Mit ihr habe ich darüber gesprochen, welche Chancen Frauen in solchen Fällen haben. Sie erklärte mir, dass Ärzt*innen und Kliniken vor Gericht ihre Arbeit an dieser Leitlinie messen lassen müssen. In der Gerichtswelt, in der sonst Sachverständige das Sagen haben, ist das ein Lichtblick. »Ich habe schon erlebt, dass wir vor Gericht Recht bekamen, weil die entsprechende Leitlinie uns recht gegeben hat, obwohl der Sachverständige eine andere Aussage getroffen hatte«, sagt Sabrina Diehl.

Zurück zu der Frage, wann Frauen mit Wehen in die Klinik fahren sollten. Laut S 3-Leitlinie gibt es verschiedene Geburtsphasen. Die Zeit, in der sich der Muttermund die ersten vier bis sechs Zentimeter öffnet, nennt man frühe Eröffnungsphase. Manche Expert*innen raten, diese Phase, die dauern kann, zu Hause zu verbringen. Und es gibt Beobachtungen, dass bei Frauen, die in dieser ersten Phase ins Krankenhaus fahren und dort aufgenommen werden, die Wahrscheinlichkeit von Interventionen steigt.17