Solange du bei uns bist - Jodi Picoult - E-Book
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Solange du bei uns bist E-Book

Jodi Picoult

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Beschreibung

Edward Warren hat keinen Kontakt mehr zu seiner Familie, seit er wegen eines heftigen Streits nach Thailand ausgewandert ist. Eine schreckliche Nachricht führt ihn zurück in die USA: Sein Vater, ein Wolfsforscher, liegt nach einem Unfall im Koma, die Chancen auf Genesung sind minimal. Während seine Schwester Cara auf ein Wunder hofft, will Edward den Vater sterben lassen und seine Organe spenden. Wird er von Nächstenliebe oder von Rachegedanken angetrieben? Und wie weit wird Cara gehen, um das Leben ihres Vaters zu erhalten?

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Seitenzahl: 611

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Inhalt

CoverÜber die AutorinTitelImpressumWidmungPrologLukeZitatTeil EinsCaraLukeGeorgieLukeEdwardLukeCaraLukeEdwardLukeGeorgieLukeEdwardLukeCaraLukeGeorgieLukeEdwardLukeCaraLukeEdwardZitatTeil ZweiCaraLukeGeorgieLukeEdwardLukeCaraLukeEdwardLukeCaraLukeJoeLukeGeorgieLukeHelenLukeCaraLukeJoeLukeEdwardLukeGeorgieLukeCaraLukeJoeLukeCaraLukeEdwardLukeHelenLukeCaraLukeEdwardLukeCaraLukeEpilogBarneyDanksagung

Über die Autorin

Jodi Picoult, geboren 1967 auf Long Island, lebt nach ihrem Studium in Princeton und Harvard zusammen mit ihrem Mann und drei Kindern in Hanover, New Hampshire. 1992 veröffentlichte sie ihren ersten Roman. 2003 wurde sie für ihre Werke mit dem National England Book Award ausgezeichnet. Sie gehört zu den erfolgreichsten amerikanischen Erzählerinnen weltweit. All ihre letzten Romane standen in den USA auf Platz 1 der Bestsellerliste.

Besuchen Sie die Homepage der Autorin: www.jodipicoult.com

JODI PICOULT

Solange du bei uns bist

Roman

Übersetzung aus dem amerikanischenEnglisch von Rainer Schumacher

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Lone Wolf«

Für die Originalausgabe: Copyright © 2012 by Jodi Picoult

All rights reserved, including the right to reproduce this book or portions thereof in any form whatsoever. This edition is published by arrangement with the original publisher Atria books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Für die deutschsprachige Ausgabe: Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln Textredaktion: Anja Lademacher, Bonn Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau Umschlagmotiv: © mauritius images/Trigger Image E-Book-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde

ISBN 978-3-8387-5268-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Für Josh, Alex und Matthew Picoult Eure Tante liebt euch. Sehr.

PROLOG

Alle Geschichten drehen sich um Wölfe – zumindest alle, die sich weiterzuerzählen lohnen. Alles andere ist sentimentales Geschwafel … Denken Sie mal darüber nach. Man kann vor Wölfen fliehen, gegen sie kämpfen, sie fangen und sie sogar zähmen. Man kann den Wölfen zum Fraß vorgeworfen werden, oder das mit anderen tun. Und man kann mit den Wölfen heulen, sich in einen Wolf verwandeln und – am besten von allem – zum Leitwolf werden. Das sind die einzigen guten Geschichten, die es gibt.

– Margaret Atwood, Der Blinde Mörder (2000/2009)    

Luke

Vielleicht hätte ich damals den Tiger nicht befreien sollen.

Bei den anderen Tieren habe ich leichtes Spiel gehabt: bei dem schwerfälligen, aber dankbaren Elefantenpaar, dem wütenden Kapuzineräffchen, das auf meine Füße spuckte, während ich das Schloss aufbrach, und bei den schneeweißen Arabern, deren Atem wie eine unbeantwortete Frage zwischen uns hing. Tieren wird zu wenig Achtung entgegengebracht, vor allem von Zirkusdompteuren. Doch mich verstanden sie, das wusste ich sofort, als sie mich beobachteten, während ich mich im Schatten vor ihren Käfigen bewegte. Deshalb schlugen selbst die lautesten – die Papageien, die gezwungen worden waren, auf einer lächerlichen Wolke von Pudelköpfen zu reiten – auf ihrer Flucht in vollkommenem Einklang mit den Flügeln.

Ich war damals neun Jahre alt, und Wladislaws Fantastisches Zelt der Wunder hatte hier Station gemacht, in New Beresford, New Hampshire. Das allein grenzte schon an ein Wunder, da – nichts und niemand sich je nach Beresford, New Hampshire, verirrte – abgesehen von ein paar einsamen Skiläufern oder Reportern, die sich in Wahlkampfzeiten einen Kaffee in Ham’s General Store genehmigten oder bei Gas’n’Go auf die Toilette gingen. Jedes Kind, das ich kannte, hat versucht, sich durch die Löcher in dem eilends errichteten Zaun zu zwängen, um die Vorstellung zu sehen, ohne dafür bezahlen zu müssen. Auch ich habe den Zirkus so zum ersten Mal gesehen. Ich hatte mich unter der Tribüne versteckt und schaute mit meinem besten Freund Louis zwischen den Beinen der zahlenden Gäste hindurch.

Unter das Zeltdach waren Sterne gemalt worden. Typisch Stadtmenschen. Sie waren natürlich nicht auf die Idee gekommen, dass sie einfach nur das Dach hätten öffnen müssen, um die echten Sterne zu sehen. Ich wuchs in der freien Natur auf. Denn wenn man lebte, wo ich einst gelebt habe – am Rand des White Mountain National Forest –, dann hat man einfach viel Zeit damit verbracht, im Freien zu zelten und in den Nachthimmel hinaufzuschauen. Wenn man seinen Augen Zeit ließ, sich an das Licht zu gewöhnen, dann sah der Himmel wie das Innere einer Schneekugel aus, die man umgedreht hatte, und man selbst stand mitten in ihr. Diese Zirkusleute haben mir leidgetan, dass sie dafür auf Farbe zurückgreifen mussten.

Ich musste zugeben, dass ich mich zunächst nicht von dem rot besetzten Schwalbenschwanz des Zirkusdirektors und den langen Beinen der Seiltänzerin losreißen konnte. Als sie einen Spagat in der Luft machte und sitzend auf dem Seil landete, hörte ich, wie Louis die Luft ausstieß, die er angehalten hatte. Das Seil hat wirklich Glück, hatte er gesagt.

Dann hatten sie die Tiere rausgebracht, zuerst die Pferde, die wütend mit den Augen rollten. Dann kam der Affe in einem dümmlichen Pagenkostüm. Er kletterte auf den Sattel des Führungspferdes und zeigte den Zuschauern die gefletschten Zähne, während er immer und immer wieder im Kreis ritt. Anschließend folgten die Hunde, die durch Reifen sprangen, die Elefanten, die tanzten, als wären sie in einer andren Zeitzone, und ein kunterbunter Schwarm von Vögeln.

Und dann kam der Tiger.

Natürlich wurde er großartig angekündigt. Was für eine gefährliche Bestie er sei, dass die Zuschauer so etwas bloß nicht daheim versuchen sollten. Der Dompteur, ein Mann mit aufgequollenem, sommersprossigem Gesicht, das an ein Zimtbrötchen erinnerte, stand mitten in der Manege, als die Tür zum Tigerkäfig geöffnet wurde. Der Tiger brüllte, und obwohl ich ein ganzes Stück von ihm entfernt war, konnte ich seinen Atem riechen.

Der Tiger sprang auf ein Metallpodest und schlug mit der Tatze in die Luft. Auf Kommando stellte er sich auf die Hinterbeine und drehte sich im Kreis.

Ich wusste ein, zwei Dinge über Tiger. Wenn man ihn rasiert, sieht man, dass auch die Haut gestreift ist. Jeder Tiger besitzt einen weißen Fleck hinter den Ohren, sodass es so aussieht, als behalte er einen auch dann im Auge, wenn er einem den Rücken zukehrt.

Und: Tiger gehören in die Wildnis und nicht hierher nach Beresford, wo die Menge bei ihrem Anblick kreischte und klatschte.

In diesem Augenblick geschah zweierlei: Zunächst einmal wurde mir klar, dass ich den Zirkus nicht mehr mochte. Zweitens starrte der Tiger mir genau in die Augen, als hätte er sich ausgerechnet mich ausgesucht.

Und ich wusste genau, was er von mir wollte.

Nach der Abendvorstellung gingen die Artisten zum See hinter der Grundschule, um dort zu trinken, Poker zu spielen und zu schwimmen. Und so waren die meisten ihrer Trailer, die hinter dem großen Zelt standen, leer. Es gab natürlich einen Wachmann, einen Berg von Kerl mit kahlgeschorenem Kopf und einem Ring in der Nase, doch der schnarchte lauter, als die Kapelle vorhin gespielt hatte, die leere Wodkaflasche neben sich. Ich kletterte durch den Zaun.

Selbst heute kann ich Ihnen nicht sagen, warum ich es tat. Da war einfach etwas zwischen diesem Tiger und mir, dieses Wissen, dass ich frei war und er nicht. Und dann war da die Tatsache, dass sein ungeregeltes, wildes Leben auf zwei Shows, eine um drei, die andere um sieben, reduziert worden war.

Am meisten Arbeit machte das Schloss des Affenkäfigs. Die meisten anderen konnte ich einfach mit einem Eispickel aufbrechen, den ich aus dem Whiskeyschrank meines Großvaters geklaut hatte. Ich ließ die Tiere rasch und leise heraus und schaute zu, wie sie in der Nacht verschwanden. Sie schienen zu verstehen, dass Diskretion das Gebot der Stunde war, und noch nicht einmal die Papageien gaben einen Laut von sich.

Der Letzte, den ich befreite, war der Tiger. Ich schätzte, dass den anderen Tieren gut fünfzehn Minuten Vorsprung reichen müssten, bevor ich ihnen den großen Räuber auf die Fersen hetzte. Also hockte ich mich vor den Käfig und schaute auf die Uhr. Und dort wartete ich noch immer, als plötzlich die Frau mit Bart vorbeikam.

Sie sah mich sofort. »Sieh an, sieh an«, sagte sie. Hinter dem langen Schnurrbart konnte ich ihren Mund nicht sehen. Aber sie fragte mich nicht, was ich hier machte, und sie vertrieb mich auch nicht. »Pass auf«, sagte sie nur. »Er spritzt.« Sie musste bemerkt haben, dass die anderen Tiere verschwunden waren. Ich hatte mir nicht die Mühe gemacht, meine Taten irgendwie zu verbergen, die Käfigtüren standen noch offen. Aber sie starrte mich einfach nur einen Moment lang an und stieg dann die Stufen zu ihrem Trailer hinauf. In der Erwartung, dass sie die Cops rufen würde, hielt ich die Luft an. Doch stattdessen schaltete sie nur das Radio ein. Streichermusik drang aus dem Trailer, und die Frau sang mit tiefer Stimme mit.

Noch nach all dieser Zeit erinnere ich mich deutlich an das Knirschen des Metalls, als ich die Tür des Tigerkäfigs öffnete. Ich weiß noch genau, wie er sich wie eine Hauskatze an mir gerieben hatte, bevor er mit einem Satz über den Zaun sprang. Und ich weiß auch noch, wie ich die Angst in meinem Mund schmeckte, als mir klar wurde, dass man mich gleich erwischen würde.

Aber nichts geschah. Die Frau mit Bart erzählte nie jemandem von mir. Stattdessen gab man den Zirkusarbeitern die Schuld, die die Elefantenkäfige ausmisteten. Außerdem war die Stadt am nächsten Morgen viel zu beschäftigt damit, die entflohenen Tiere einzufangen, als dass es wirklich jemanden gekümmert hätte, wer dafür verantwortlich gewesen war. Die Elefanten fand man badend im Marktbrunnen, nachdem sie eine Statue von Franklin Pierce umgeworfen hatten. Der Affe hatte sich einen Weg in die Vitrine des Diners gesucht und verschlang gerade eine Schokoladentorte, als man ihn fing. Die Hunde wiederum wühlten sich durch die Mülltonnen hinter dem Kino, und die Pferde hatten sich in alle Winde verstreut. Eines galoppierte über die Main Street, ein anderes graste neben den Kühen auf der Weide eines örtlichen Farmers, und wieder ein anderes war über zehn Meilen weit in ein Skigebiet gelaufen, wo es von einem Rettungshubschrauber entdeckt wurde. Von den drei Papageien blieben zwei für immer verschollen, und der dritte hatte sich ein Nest im Glockenturm der Shantuck Congregational Church gebaut.

Der Tiger war zu diesem Zeitpunkt natürlich schon lange über alle Berge gewesen, und das stellte ein Problem dar, denn ein paar herumflatternde Papageien sind eine Sache, eine streunende Raubkatze jedoch etwas völlig anderes. Die Nationalgarde wurde in den White Mountain National Forest geschickt, und drei Tage lang blieben sämtliche Schulen in New Hampshire geschlossen. Louis kam mit dem Fahrrad zu uns und erzählte mir von den Gerüchten, die er gehört hatte. Zuerst habe der Tiger Mr Wolzmans beste Färse gerissen, dann ein Kleinkind und schließlich unseren Schuldirektor.

Ich wollte gar nicht darüber nachdenken, dass der Tiger etwas fraß. Wenn ich ihn mir vorstellte, dann schlief er den ganzen Tag über hoch in einem Baum und orientierte sich nachts an den Sternen.

Sechs Tage nachdem ich die Zirkustiere befreit hatte, fand ein Soldat mit Namen Hopper McPhee, der erst eine Woche zuvor zur Nationalgarde gekommen war, den Tiger. Die große Raubkatze schwamm im Ammonoosuc River. Ihre Schnauze und die Pranken waren noch blutig von dem Hirsch, den sie kurz zuvor gerissen hatte. Laut Hopper McPhee habe der Tiger sich in der Absicht auf ihn gestürzt, ihn zu töten, und deshalb habe er schießen müssen.

Das wage ich jedoch stark zu bezweifeln. Der Tiger hatte nach seiner Mahlzeit vermutlich eher gedöst, und mit Sicherheit war er nicht hungrig gewesen. Was ich jedoch glaube, ist, dass der Tiger Hopper McPhee angegriffen hatte. Denn wie gesagt, die meisten Menschen bringen Tiere nicht genügend Achtung entgegen, und der Tiger hatte mit Sicherheit verstanden, was los war, als er die Waffe sah.

In diesem Moment hatte er gewusst, dass er den Nachthimmel würde aufgeben müssen.

Dass man ihn wieder einsperren würde.

Und dann hatte dieser Tiger eine Entscheidung getroffen.

Wenn man unter Wölfen lebt, muss man selbst einer sein.

– Nikita Chruschtschow, Sowjetführer, Zitat aus dem Observer, London, 26. September 1971

TEIL EINS

Cara

Wenige Sekunden bevor unser Truck gegen den Baum prallt, erinnere ich mich an das erste Mal, als ich versuchte, ein Leben zu retten.

Ich war dreizehn und gerade wieder zu meinem Vater gezogen. Genauer gesagt hingen meine Kleider wieder in meinem ehemaligen Zimmer. Ich jedoch wohnte in einem Trailer am nördlichen Ende von Redmond’s Trading Post & Dinosaur World. Dort waren die Wolfsrudel meines Vaters untergebracht, zusammen mit Gibbons, Falken, einem übergewichtigen Löwen und einer beweglichen T-Rex-Figur, die immer zur vollen Stunde brüllte. Und da mein Vater dort neunundneunzig Prozent seiner Zeit verbrachte, erwartete er von mir, dass ich ihm folgte.

Ich war der Überzeugung, dass das immer noch besser sei, als bei meiner Mom, Joe und den Wunderzwillingen zu wohnen. Aber der Übergang war nicht ganz so glatt verlaufen, wie ich gehofft hatte. Ich hatte mir vorgestellt, wie mein Dad und ich sonntagmorgens Pfannkuchen backten, Karten spielten oder im Wald spazieren gingen. Und nun ja, mein Dad ging auch tatsächlich im Wald spazieren, allerdings nur in den Gehegen, die er für seine Rudel gebaut hatte, und er war vollauf damit beschäftigt, ein Wolf zu sein. Er wälzte sich im Schlamm mit Sibo und Sobagw, den einfachen Rudelmitgliedern, hielt sich aber von Pekeda fern, dem Beta-Wolf des Rudels. Er fraß sogar vom Kadaver eines Kalbs, die Wölfe links und rechts neben sich, Hände und Mund blutverschmiert, denn mein Dad glaubte, dass er mehr über diese Tiere lernen konnte, wenn er sich dem Rudel anschloss, anstatt es wie andere Biologen aus der Ferne zu beobachten. Zu der Zeit, als ich bei ihm einzog, hatten ihn bereits fünf Rudel als Ehrenmitglied akzeptiert und gestatteten ihm, mit ihnen zu leben, zu fressen und zu jagen. Dass er ein Mensch war, ignorierten sie weitestgehend. Aus diesem Grund hielten ihn einige Leute für ein Genie. Die anderen dagegen hielten ihn jedoch einfach für verrückt.

An dem Tag, da ich meine Mutter und ihre brandneue Familie verließ, empfing mich mein Dad nicht gerade mit offenen Armen. Er war in einem der Gehege bei Mestawe, die gerade zum ersten Mal tragend war, und versuchte, eine Beziehung zu ihr aufzubauen, damit sie ihn als Kindermädchen für ihre Welpen akzeptierte. Er schlief sogar mit seiner Wolfsfamilie, während ich bis spät in die Nacht durch die Fernsehkanäle zappte. Ich fühlte mich einsam in dem Trailer, doch ich hätte mich noch einsamer gefühlt, wenn ich alleine in dem leeren Haus hätte wohnen müssen.

Im Sommer wimmelt es in den White Mountains nur so von Touristen, die von Santa’s Village nach Story Land und von dort zu Redmond’s Trading Post wanderten. Im März brüllte der dämliche Tyrannosaurus die Uhrzeit jedoch in einen leeren Park hinaus. Die einzigen Leute, die auch außerhalb der Saison hier waren, waren mein Dad, der sich um seine Wölfe kümmerte, und Walter, der meinen Dad vertrat, wenn dieser mal nicht da war. Der Park war wie eine Geisterstadt, und da ich nach der Schule nichts Besseres zu tun hatte, verbrachte auch ich immer mehr Zeit bei den Gehegen. Ich ging nahe genug an den Zaun heran, dass Bedagi, der Wolf des Rudels, der dafür zuständig war, Fremde zu ›prüfen‹, sich an meinen Geruch gewöhnen konnte. Ich schaute zu, wie mein Vater für Mestawe eine Geburtsmulde in ihrer Höhle grub, und gleichzeitig erzählte ich ihm von dem Footballcaptain, den man beim Schummeln erwischt hatte, oder der Oboe-Spielerin im Schulorchester, die seit Neuestem Kaftans trug, weshalb Gerüchte die Runde machten, sie sei schwanger.    

Im Gegenzug erzählte mein Vater mir, dass er sich Sorgen um Mestawe machte. Sie sei noch ein sehr junges Weibchen, und Instinkte haben ihre Grenzen. Sie hatte kein Vorbild, das ihr hätte zeigen können, was es bedeutet, eine gute Mutter zu sein. Das hier war ihr erster Wurf. Und manchmal ließ eine Wölfin ihre Welpen einfach im Stich, weil sie es nicht besser wusste.

In der Nacht, als Mestawe ihre Jungen warf, schien alles nach Plan zu laufen. Zur Feier der Geburt öffnete mein Vater eine Flasche Champagner und ließ mich sogar ein Glas trinken. Ich wollte die Welpen sehen, doch mein Vater sagte, es würde noch Wochen dauern, bis sie den Bau verlassen würden. Selbst Mestawe würde eine ganze Woche lang in der Höhle bleiben und alle zwei Stunden die Welpen füttern.

Doch zwei Nächte später rüttelte mein Vater mich wach. »Cara«, sagte er, »du musst mir helfen.«

Ich zog meinen Wintermantel und die Stiefel an und folgte ihm zu dem Gehege, wo Mestawe normalerweise in ihrem Bau lag. Jetzt war sie nicht mehr dort. Sie wanderte umher und versuchte, so weit wie möglich von ihren Babys wegzukommen. »Ich habe alles versucht, um sie wieder zurückzubekommen«, erklärte mein Vater in sachlichem Ton, »aber sie will einfach nicht. Wenn wir die Welpen jetzt nicht retten, dann werden wir keine zweite Chance bekommen.«

Dad kroch in die Höhle und kam mit zwei winzigen, schrumpeligen Ratten heraus. So zumindest sahen die Jungen mit ihren zusammengekniffenen Augen aus. Dann gab er sie mir, und ich steckte sie in meinen Mantel, während Dad die anderen beiden Welpen holte. Einer davon sah schlechter aus als die anderen drei. Er rührte sich nicht mehr, sondern grunzte nur und stieß dann und wann ein kaum hörbares Schnauben aus.

Ich folgte meinem Dad zu einem Werkzeugschuppen hinter dem Trailer. Während ich geschlafen hatte, hatte er sämtliche Werkzeuge in den Schnee hinausgeworfen, der Boden war jetzt mit Heu bedeckt. Eine Decke mit rotem Schottenmuster, die ich aus dem Trailer kannte, lag in einem kleinen Karton. »Leg sie rein«, wies mein Vater mich an, und das tat ich. Dank einer Wärmflasche unter der Decke fühlten die Tiere sich wie an Mutters Bauch. Drei der Welpen krochen sofort zwischen die Falten. Der vierte Welpe jedoch, ein Weibchen, fühlte sich kalt an. Anstatt das Tier neben seine Brüder zu legen, steckte ich es wieder in meinen Mantel und drückte es ans Herz.

Als mein Vater wieder zurückkehrte, brachte er Babyflaschen mit Esbilac mit, einem Muttermilchersatz für Tiere. Er griff nach der kleinen Wölfin in meinen Armen, doch ich wollte sie nicht loslassen. »Ich werde die anderen füttern«, sagte er zu mir. Während ich darum kämpfte, dass mein Welpe nur einen Tropfen trank, saugten die anderen drei die Flaschen im Handumdrehen leer.

Alle zwei Stunden fütterten wir die Welpen, und am nächsten Morgen machte ich mich nicht für die Schule fertig, und mein Vater reagierte darauf, als hätte er nichts anderes von mir erwartet. Es war eine unausgesprochene Tatsache: Was wir hier taten, war weit wichtiger als alles, was ich in einem Klassenzimmer hätte lernen können.

Am dritten Tag gaben wir den Welpen Namen. Mein Vater war der Meinung, dass einheimische Tiere auch die Namen der Einheimischen bekommen sollten. Deshalb trugen alle seine Wölfe Namen aus der Sprache der Abenaki. Nodah, nannten wir den größten Welpen, ein lautstarkes Energiebündel. Der Name bedeutet Höre mich. Kina, Schau her, war der Tollpatsch im Wurf. Immer wieder verfing sie sich in Schnürsenkeln oder blieb unter dem Deckel des Kartons stecken. Und Kita, Hör zu, beobachtete uns ständig.

Ihre kleine Schwester nannte ich Miguen, Feder. Manchmal trank sie genauso gut wie ihre Brüder, und ich glaubte schon, sie sei über den Berg. Doch dann erschlaffte sie in meiner Hand, und ich musste sie reiben und wieder in mein Hemd stecken, um sie warmzuhalten.

Weil ich so gut wie nicht mehr zum Schlafen kam, war ich so müde, dass ich mich kaum noch aufrecht halten konnte. Manchmal schlief ich im Stehen ein, döste ein paar Minuten und schrak dann wieder auf. Und die ganze Zeit über trug ich Miguen mit mir herum, sodass sich meine Arme schon ganz leicht anfühlten, wenn ich sie einmal nicht bei mir hatte. Als ich in der vierten Nacht wieder die Augen öffnete, nachdem ich kurz eingedöst war, schaute mein Vater mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich noch nie bei ihm gesehen hatte. »Als du geboren wurdest«, sagte er, »wollte ich dich auch nie wieder loslassen.«

Zwei Stunden später begann Miguen unkontrolliert zu zittern. Ich flehte meinen Vater an, zu einem Tierarzt zu fahren, in ein Krankenhaus oder zu sonst jemandem, der uns helfen konnte. Ich schluchzte so heftig, dass mein Vater schließlich die anderen Welpen in eine Kiste steckte und zu dem alten Truck trug, den er fuhr. Die Kiste stand vorne zwischen uns, und Miguen zitterte unter meinem Mantel. Und ich zitterte auch, allerdings weiß ich nicht, ob daran die Kälte schuld war oder meine Angst vor dem, was kommen musste.

Als wir schließlich auf dem Parkplatz vor der Tierarztpraxis standen, war Miguen tot. Ich merkte es im selben Moment, in dem sie starb. Mit einem Mal wurde sie in meinen Armen so leicht wie eine leere Hülle.

Ich begann zu schreien. Ich konnte die Vorstellung einfach nicht ertragen, dass Miguen so nahe bei mir war und doch tot.

Mein Vater nahm sie mir ab und wickelte sie in sein Flanellhemd. Dann legte er das Bündel auf den Rücksitz, sodass ich sie nicht länger sehen musste. »In der Wildnis«, erklärte er mir, »hätte sie nicht einen Tag lang überlebt. Sie hat es dir zu verdanken, dass sie es überhaupt bis jetzt geschafft hat.«

Wenn mich das aufheitern sollte, so verfehlte es seine Wirkung völlig. Ich brach in lautes Schluchzen aus.

Plötzlich stand die Kiste mit den Welpen auf dem Armaturenbrett, und ich lag in den Armen meines Vaters. Er roch nach Minze und Schnee. Zum ersten Mal in meinem Leben verstand ich, warum die Gemeinschaft der Wölfe wie eine Droge für meinen Vater war, von der er nicht loskommen konnte. Wenn es, so wie hier, um Leben und Tod ging, konnte es da wirklich von Bedeutung sein, ob die Wäsche pünktlich aus der Reinigung geholt wurde, oder ob man einen Elternabend vergaß?

In der Wildnis, erklärte mir mein Vater, lernt eine Mutterwölfin ihre Lektionen auf die harte Tour. Doch in Gefangenschaft, wo Wölfe nur alle drei, vier Jahre werfen, herrschen andere Regeln. Dann kann man nicht einfach danebenstehen und einen Welpen sterben lassen. »Die Natur weiß, was sie will«, sagte mein Vater. »Aber das macht es für uns nicht leichter.«

Vor dem Trailer meines Vaters steht ein Baum, ein Rotahorn. Wir haben ihn in dem Sommer nach Miguens Tod gepflanzt, an der Stelle, wo wir sie begraben haben. Und ein Rotahorn ist es auch, dem wir uns gerade, vier Jahre später, viel zu schnell nähern, auf den unser Truck, in eben diesem Moment, frontal aufprallt.

Eine Frau kniet neben mir. »Sie ist wach«, sagt sie. Ich habe Regen in den Augen. Ich rieche Rauch, und ich kann meinen Vater nicht sehen.

Dad?, sage ich, kann mich aber nur in meinem Kopf hören.

Mein Herz schlägt am falschen Ort. Ich schaue auf meine Schulter, denn dort spüre ich es.

»Sieht wie eine gebrochene Schulter aus, vielleicht auch ein paar Rippen. Cara? Bist du Cara?«

Woher kennt sie meinen Namen?

»Du hattest einen Unfall«, erzählt mir die Frau. »Wir werden dich jetzt ins Krankenhaus bringen.«

»Mein … Vater …«, bringe ich mühsam hervor. Jedes Wort ist wie ein Stich in meinem Arm.

Ich drehe den Kopf und suche nach ihm. Ich sehe Feuerwehrleute, die einen Schlauch auf das Flammenmeer richten, das einmal der Truck meines Vaters gewesen ist. Der Regen auf meinem Gesicht ist gar kein Regen, sondern der Nebel aus den Feuerwehrschläuchen.

Plötzlich erinnere ich mich wieder, an die zersprungene Windschutzscheibe, daran, wie das Heck des Trucks ausbricht, an den Geruch von Benzin. Und daran, wie ich nach meinem Vater geschrien habe und er nicht geantwortet hat. Ich zittere am ganzen Leib.

»Du bist wirklich tapfer«, sagt die Frau zu mir. »In deinem Zustand deinen Vater aus dem Wagen zu ziehen …«

Ich habe einmal ein Interview mit einer Jugendlichen gesehen, die erzählte, wie sie einen Kühlschrank von ihrem kleinen Cousin gewuchtet hat, der auf ihn gefallen war. Es hatte etwas mit Adrenalin zu tun.

Ein Feuerwehrmann, der mir den Blick versperrt, tritt zur Seite, und ich sehe eine große Gruppe weiterer Sanitäter, die sich alle um meinen Vater drängen, der reglos auf dem Boden liegt.

»Wenn du nicht gewesen wärst«, fügt die Frau hinzu, »dann wäre dein Dad jetzt nicht mehr am Leben.«

Später werde ich mich fragen, ob diese Bemerkung der Auslöser für all das war, was ich später getan habe. Doch im Moment weine ich einfach nur. Denn ich weiß, dass die Worte der Frau nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnten.

Luke

Die folgenden Fragen werden mir immer wieder gestellt: Wie kann man so was tun? Wie kann man der Zivilisation und seiner Familie den Rücken kehren, um mit einem Rudel wilder Wölfe in den Wäldern Kanadas zu leben? Wie kann man auf eine heiße Dusche, Kaffee, menschlichen Kontakt, Gespräche und zwei Jahre im Leben seiner Kinder verzichten?

Nun, das Duschen vermisst man nicht, wenn man weiß, dass der Geruch von Seife es dem Rudel erschwert, dich am Geruch zu erkennen.

Kaffee wiederum vermisst man nicht, wenn man auch ohne ständig hellwach ist.

Und menschlichen Kontakt vermisst man nicht, wenn man zwischen den warmen Körpern von zwei tierischen Mitgeschöpfen liegt. Und Gespräche vermisst man nicht mehr, wenn man erst einmal ihre Sprache gelernt hat.

Und man trennt sich auch nicht von seiner Familie, sondern findet eine neue.

Wie Sie sehen, stellt sich nicht die Frage, wie ich in die Wälder haben gehen können, …

… sondern die, wie ich es geschafft habe, wieder zurückzukehren.

Georgie

Das Gefühl, dass jederzeit jemand aus dem Krankenhaus anrufen könne, hatte mich ständig begleitet, und genau wie ich es mir immer vorgestellt hatte, kommt dieser Anruf mitten in der Nacht. »Ja«, melde ich mich, setze mich auf und vergesse kurz, dass ich inzwischen ein neues Leben habe und einen neuen Mann.

»Wer ist das?«, fragt Joe und rollt sich herum.

Aber sie rufen nicht wegen Luke an. »Ja, ich bin Caras Mutter«, bestätige ich. »Ist alles in Ordnung mit ihr?«

»Sie war in einen Autounfall verwickelt«, sagt die Krankenschwester, »und sie hat eine schwere Schulterfraktur davongetragen. Sie ist stabil, muss aber operiert werden und …«

Ich bin sofort aus dem Bett und suche im Dunkeln nach meiner Jeans. »Ich bin schon unterwegs«, sage ich.

Mittlerweile hat Joe das Licht angeschaltet und sich aufgesetzt. »Es geht um Cara«, erkläre ich. »Sie hatte einen Unfall.«

Joe fragt mich nicht, warum das Krankenhaus nicht Luke angerufen hat, schließlich hat er im Augenblick das Sorgerecht. Aber vielleicht haben sie ja auch schon versucht, ihn zu erreichen, und er ist irgendwo im Busch. Ich ziehe mir ein Sweatshirt über und versuche, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, um nicht von meinen Gefühlen mitgerissen zu werden. »Elizabeth mag keine Pfannkuchen zum Frühstück, und Jackson muss die Einwilligungserklärung für den Schulausflug abgeben …« Dann erst blicke ich ihn an. »Musst du morgen früh nicht ins Gericht?«

»Mach dir um mich keine Sorgen«, erwidert Joe in sanftem Ton. »Ich komme mit den Zwillingen, dem Richter und allem anderen schon zurecht. Kümmere du dich erst einmal um Cara.«

Es gibt Augenblicke, da kann ich einfach nicht glauben, was für ein Glück ich mit diesem Mann habe. Manchmal denke ich dann, dass ich das nach all den Jahren mit Luke auch verdient habe. Doch dann wieder – jetzt zum Beispiel – bin ich sicher, dass ich dafür noch immer einen hohen Preis zahle.

Es sind nicht viele Leute in der Notaufnahme, als ich zur Rezeption hinüberrenne. »Cara Warren«, keuche ich. »Sie ist mit dem Krankenwagen eingeliefert worden. Sie ist meine Tochter.«

Meine Stimme klingt ungewöhnlich schrill.

Eine Krankenschwester führt mich durch eine Tür in einen Flur mit Glaskabinen, die mit Vorhängen verhangen sind. Einige der Türen stehen offen. Ich sehe eine alte Frau, die im Krankenhaushemd auf einer Trage sitzt. Einem Mann hat man die Jeans bis zu den Knien aufgeschnitten, sein Knöchel ist geschwollen. Als eine hochschwangere Patientin, die sich ganz auf ihre Atmung konzentriert, im Rollstuhl an uns vorbeigefahren wird, weichen wir rasch aus.

Luke war derjenige, der Cara das Autofahren beigebracht hat. Trotz des Leichtsinns, den er ansonsten an den Tag legt, war er unglaublich kleinlich, als es um die Sicherheit seiner Tochter ging. Anstatt sie schon nach den erforderlichen vierzig Fahrstunden zur Prüfung anzumelden, hat er sie erst nach fünfzig gehen lassen. Und Cara ist eine vorsichtige Fahrerin. Aber warum war sie dann so spät noch unterwegs, obwohl sie doch am nächsten Morgen in die Schule musste? War es überhaupt ihre Schuld? Ist sonst noch jemand verletzt worden?

Schließlich betritt die Krankenschwester eine der Kabinen. Cara liegt auf dem Bett. Sie sieht sehr klein und sehr verängstigt aus. Da ist Blut in ihrem dunklen Haar, auf ihrem Gesicht und auf dem Sweatshirt. Ihr Arm ist mit einem Verband fest am Oberkörper fixiert.

»Mommy«, schluchzt sie. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann sie mich zum letzten Mal so genannt hat.

Sie weint sich die Augen aus, und ich schlinge die Arme um sie. »Alles wird gut«, sage ich.

Cara schaut zu mir auf. Ihre Augen sind rot, und ihre Nase läuft. »Wo ist Dad?«

Diese Worte sollten mir eigentlich nicht wehtun, doch sie tun es. »Ich bin sicher, das Krankenhaus hat ihn angerufen, und …«

Plötzlich kommt eine Assistenzärztin zu uns herein. »Sind Sie Caras Mom? Wir brauchen Ihr schriftliches Einverständnis, bevor wir sie operieren können.« Sie sagt noch mehr – vage höre ich etwas von Schulterblatt und Rotatorenmanschette –, dann hält sie mir ein Klemmbrett hin und zeigt mir, wo ich unterschreiben soll.

»Wo ist Dad?« Diesmal schreit Cara.

Die Ärztin dreht sich zu ihr um. »Wir versorgen ihn, so gut wir können«, sagt sie, und in diesem Augenblick wird mir klar, dass Cara nicht allein im Auto gesessen hat.

»Luke war dabei? Ist er okay?«

»Sind Sie seine Frau?«

»Geschieden.«

»Dann darf ich Ihnen leider keinerlei Auskunft geben. Das ist gesetzlich so geregelt. Aber ja«, räumt sie ein, »auch er ist Patient hier.« Sie schaut mich an und redet so leise, dass Cara sie nicht hören kann. »Wir müssen seine nächsten Angehörigen kontaktieren. Hat er eine Partnerin? Eltern? Gibt es irgendjemanden, den Sie anrufen könnten?«

Luke hat nicht wieder geheiratet, und aufgezogen wurde er von seinen Großeltern, doch die sind schon seit Jahren tot. Könnte er für sich selbst sprechen, würde er mich bitten, im Trading Post anzurufen, um Walter zu bitten, das Rudel zu versorgen.

Aber vielleicht kann er ja nicht mehr für sich selbst sprechen. Vielleicht ist es ja das, was die Ärztin mir nicht sagen kann oder will.

Bevor ich antworten kann, kommen zwei Pfleger herein und ziehen Caras Bett von der Wand. Ich fühle mich wie eine Ertrinkende. Es gibt ganz sicher noch viele Fragen, die ich stellen, so viele Fakten, die ich klären müsste, bevor sie meine Tochter in den Operationssaal schieben, doch ich war noch nie gut unter Druck. Ich zwinge mich zu einem Lächeln und drücke Caras freie Hand. »Wenn du zurückkommst, wird alles wieder in Ordnung sein«, sage ich ein wenig zu fröhlich. Einen Augenblick später bin ich allein in dem Raum, der sich steril und unglaublich still anfühlt.

Ich suche in meiner Handtasche nach dem Handy und frage mich, wie spät es jetzt wohl in Bangkok ist.

Luke

Ein Wolfsrudel ist wie die Mafia. Jeder hat seinen festen Platz, und von jedem wird erwartet, dass er seinen Beitrag für die Familie leistet.

Jeder hat schon mal vom Alpha-Wolf gehört, dem Rudelführer. Das ist der Pate, das Hirn der Bande, ihr Beschützer. Er ist derjenige, der den anderen Wölfen sagt, wo sie hingehen und wann und was sie jagen sollen. Der Alpha-Wolf ist der Entscheidungsträger, der capo di tutti capi, der noch aus zehn Fuß Entfernung eine Veränderung im Herzschlag der Beute wahrnehmen kann. Aber der Alpha-Wolf ist kein wilder Krieger, auch wenn er im Film häufig so dargestellt wird. Als Entscheidungsträger ist er viel zu wertvoll, als dass er sich unnötig in Gefahr begeben würde.

Deshalb steht vor jedem Alpha-Wolf ein Beta-Wolf, ein Vollstrecker. Den Rang des Beta-Wolfs bekleidet ein kühnes, großes Tier, das vollkommen aus Aggression zu bestehen scheint. Er wird Sie niederreißen, bevor Sie auch nur in die Nähe seines Bosses kommen. Und es ist entbehrlich. Wenn es draufgeht, wird das niemanden wirklich kümmern, denn von seiner Art gibt es stets genug.

Dann ist da der Tester-Wolf, der Prüfer. Er ist sehr aufmerksam und vorsichtig und traut niemandem, dem er begegnet. Er hält immer nach Veränderungen Ausschau, nach etwas Neuem, und er wird sich an jeder Ecke auf die Lauer legen, um sicherzustellen, dass der Alpha-Wolf sofort alarmiert wird, sollte etwas passieren. Seine Nervosität ist von außerordentlicher Wichtigkeit für die Sicherheit des Rudels. Und er ist auch für die Qualitätskontrolle zuständig. Wenn der Verdacht entsteht, dass ein Mitglied des Rudels seine Aufgabe nicht erfüllt, wird der Tester-Wolf eine Situation herbeiführen, in der dieser Wolf sich beweisen muss. Zum Beispiel wird er einen Kampf provozieren, und wenn der andere Wolf ihn nicht zu Boden ringen kann, dann wird er einen Rang herabgestuft.

Diesem Schlichter-Wolf hat man im Laufe der Jahre viele Namen gegeben, von Cinderella-Wolf bis zum Omega-Wolf. Früher hat man geglaubt, er stünde ganz unten in der Hierarchie und diene dem Rudel als Sündenbock für alles. Heute weiß man jedoch, dass der Omega-Wolf eine wesentliche Rolle im Rudel spielt. Wie der kleine, strebsame Anwalt des Mobs, der für lustige Ablenkung sorgt und genau weiß, wie man die anderen starken Persönlichkeiten beruhigt, so wirft sich auch der Omega-Wolf dazwischen, wenn es im Rudel zu Streitigkeiten kommt. Kämpfen zwei Tiere miteinander, springt der Omega zwischen sie, albert herum, und plötzlich beruhigen sich die beiden wütenden Wölfe wieder. Auf diese Weise wird niemand verletzt. Der Omega-Wolf steht also keineswegs am untersten Ende der Hierarchie. Ihm kommt vielmehr die wichtige Rolle eines Schlichters zu. Ohne ihn könnte das Rudel nicht funktionieren, alle würden ständig im Krieg miteinander liegen.

Sie können über die Mafia sagen, was Sie wollen, aber sie funktioniert, weil jedes Mitglied eine klar definierte Rolle hat. Und alles, was die Mafiosi tun, tun sie zum Wohl aller in ihrer Gemeinschaft. Sie sind sogar bereit, füreinander zu sterben.

Und es gibt noch einen Grund, warum man ein Wolfsrudel mit der Mafia vergleichen kann:

Für beide gibt es nichts Wichtigeres als die Familie.

Edward

Sie wären überrascht, wie leicht es ist, in einer Stadt mit neun Millionen Einwohnern aufzufallen. Allerdings bin ich auch ein Falang, wie die Thailänder uns ›Bleichgesichter‹ nennen. Das sieht man auch an meiner inoffiziellen Uniform, die mich als Lehrer ausweist– Hemd und Krawatte–, und an meinem blonden Haar, das wie ein Leuchtturm aus einem Meer von Schwarz ragt.

Heute unterrichte ich meine kleine Schülergruppe in englischer Konversation. Sie sollen sich zu zweit zusammentun und eine Unterhaltung zwischen einem Ladenbesitzer und einem Kunden spielen. »Irgendwelche Freiwillige?«, frage ich.

Totenstille.

Thailänder sind von Natur aus eher schüchtern und haben außerdem Angst, das Gesicht zu verlieren, wenn sie eine falsche Antwort geben. Und so ziehen sich die Unterrichtsstunden oft quälend in die Länge. Für gewöhnlich weise ich meine Schüler an, in kleinen Gruppen zusammenzuarbeiten. Dann gehe ich rum und prüfe ihre Fortschritte. Aber an Tagen wie diesem, an denen ich die mündliche Mitarbeit bewerten möchte, ist das Sprechen in der Öffentlichkeit ein unvermeidliches Übel. »Jao«, sage ich zu einem Mann in meiner Klasse. »Du hast eine Tierhandlung und willst Jaidee davon überzeugen, ein Tier zu kaufen.« Ich drehe mich zu einem zweiten Mann um. »Jaidee, du willst dieses Tier nicht kaufen. Nun denn… Lasst mal hören.«

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