Sommernachts-Grauen - Susan Mennings - E-Book

Sommernachts-Grauen E-Book

Susan Mennings

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Beschreibung

August 1983 · Serienkiller schlägt erneut zu · 

weitere Frauenleiche grausam entstellt
in Hamburg entdeckt

 

Seitdem in der Stadt junge Frauen überfallen, die Haare von der Kopfhaut getrennt und ihnen das Gesicht mit einem Messer zerfetzt wird, fühlt sich niemand mehr sicher.

 

„Ich habe Dich unter Beobachtung!“

 

Als die 25-jährige Ella einem Zettel mit diese Nachricht in ihrer Jackentasche findet, sieht sie keinen Zusammenhang zu den Morden der Stadt. Aber in der Nacht, in der sie mit ihren Freunden eine Tour durch Hamburgs Kneipen und Diskotheken macht, werden immer wieder Frauen in ihrer Nähe überfallen.

Selbst als ihr auf merkwürdige Art Zettel zugesteckt werden, glaubt sie nicht daran, dass sie in Gefahr sein könnte. 

Doch die Jagd auf Ella hat bereits begonnen.

 

Von Angst getrieben beginnt für Ella eine Reise durch die Nacht. 

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Susan Mennings

 

Sommernachts-Grauen

Thriller

 

eBook

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum:

© 2013 Susan Mennings, Ifflandstraße 78, 22087 Hamburg

Überarbeitete Version 2021

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten.

Es handelt sich um eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und sonstigen Begebenheiten sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

www.facebook.com/thrillerbraut

www.twitter.com/susan_mennings

DANK

 

 

DANKE

an meine Lektoren

Ruth · Gerhard · Natalie

 

 

 

 

Ein besonderer Dank geht an Dirk, der mich auf meine Reise in die 1980er Jahre begleitet hat und mir vieles in Erinnerung brachte, was ich vergessen glaubte.

 

 

 

Vielen Dank auch an Diana Steinborn, für das Finden von Fehlern

 

Inhalt

 

Inhalt

 

Prolog19. August 1983ClausZeitungsartikelReinerHunger„Ecke“ErinnerungDie Schwester„Stairways“„Pickenpack“Herzensbrecher„Madhouse“PuppenwerkstattFotografReederSusiKeine Spur‚Garbers‘BeerdigungAbschiedVergessen

Prolog

 

Prolog

 

Mit klopfendem Herzen betrat sie die Straße. Warme Luft wehte ihr ins Gesicht. Tief sog sie diese ein, froh darüber, dass der in Hamburg andauernde Wind nicht ihre Frisur zerstören würde. Eine Dose Haarspray hatte sie auf ihr toupiertes Haupt entleert. Ihre dunkelblonden Haare wirkten, als hätte sie ihre Finger einige Sekunden in eine Steckdose gesteckt. Grundsätzlich war es ihr nicht egal, wie sie aussah, aber heute hatte sie sich besonders viel Mühe gemacht. Nichts sollte dem Zufall überlassen werden. An die Investition in ein paar traumhaft schöne und wundervoll hohe Pumps wollte sie nicht denken. Das eindringliche Pink dieser Schuhe würde sie in den nächsten Wochen darüber hinwegtrösten, dass sie eisern sparen musste. Obwohl ihr im Grunde klar war, dass sie nach diesem Abend kaum mehr in der Lage sein würde, sich etwas Besonderes leisten zu können, geschweige denn auszugehen. Sie musste Opfer bringen, was sie mehr als bereit war zu tun. 

Endlich konnte sie mit Sven allein sein. Es war eine richtige Verabredung. Kein Freund, kein Bekannter oder irgendetwas anderes würde die beiden stören, davon war Anke überzeugt. Sie wollten sich in einem richtigen Restaurant treffen. Nicht in einem Imbiss oder einer Kneipe, in der sie sich sonst immer gesehen hatten. 

Anke kannte Sven schon so lange, dass sie nicht mehr sagen konnte, wie und wo sie ihm das erste Mal begegnet war. Auf einmal gehörte er eben dazu. Mehrere Male hatte sie seine Blicke und seine Aufmerksamkeit ihr gegenüber bemerkt, sich allerdings nicht viel dabei gedacht. Erst recht nicht, dass er eventuell in sie hätte verliebt sein können. Doch je öfter sie ihn sah, desto mehr begann sich ihr Magen in einen Kochtopf zu verwandeln, der jeden Moment übersprudeln würde. Wie der erste Schluck Cola, der in dem Moment zu explodieren beginnt, wenn er die Speiseröhre hinabgeflossen ist. Sie wartete auf das erleichternde Aufstoßen, doch so lange Sven in ihrer Nähe war, verstärkte sich dieses Gefühl. 

Vor zwei Tagen hatte er sie direkt angesprochen und gefragt, ob sie ihn zum Essen begleiten würde; er kenne einen guten Griechen, da sei das Gyros super und die Portionen so groß, dass man sie kaum schaffen könnte. Wenn tatsächlich etwas übrig blieb, war man dort so nett und verpackte es zum Mitnehmen. Ein Umstand, den Anke als Entscheidungshilfe nahm, als sie am Nachmittag diesen neon-pinkfarbenen Traum aus Leder mit mindestens acht Zentimetern Absatz in den Händen hielt. 125 Mark waren kein Pappenstiel. Damit wäre sie normalerweise ganz entspannt über zwei bis drei Wochen ausgekommen. Zumal ihr Budget für diesen Monat schon mehr als reichlich ausgeschöpft war. 

 

Nachdem sie den Schweißausbruch in der Boutique am Mittelweg überwunden hatte, in der Hand eine Tüte, die sie zukünftig als Tragetasche nutzen wollte – jeder sollte sehen, was sie sich leisten konnte – war sie sicher, das Richtige getan zu haben. In dieser Nacht würde sie mit Sven schlafen. Ein Nein würde sie nicht gelten lassen. Sie war jedoch davon überzeugt, dass er ihre Einladung, sie später in ihre Wohnung zu begleiten, nicht ablehnen würde.

Glücklich stand sie nun am Abend vor ihrem Haus. Ihr Herz schlug von Minute zu Minute schneller. Sie schaute an sich herunter und das Pink ihrer Schuhe leuchtete. Das weiche Leder drückte kein bisschen an ihren Füßen und an die Höhe würde sie sich gewöhnen. Ihr Rock war kurz und brachte ihre gebräunte Haut zur Geltung. In diesen Schuhen schien sie endlos lange Beine zu haben. Noch einmal zog sie an ihrem Oberteil, damit noch mehr von ihrer Schulter zu sehen war. Auf einen BH hatte sie verzichtet. Er sollte sehen, wie gut sie ausgestattet war. Ein extrem breiter Gürtel betonte ihre schmale Taille. Mit Mühe hatte sie den Stoff ihres Oberteils unter den Gürtel gezwungen. 

Sie schaute auf ihre Armbanduhr. Obwohl die Tage bereits merklich kürzer wurden, war es um kurz nach acht noch immer hell. Über den Häusern konnte sie die Sonne scheinen sehen. Sie genoss die langen Sommernächte in Hamburg und war davon überzeugt, noch während des Sonnenuntergangs mit Sven in ihre Wohnung zurückzukehren. Noch einmal atmete sie tief ein, versuchte ihre Aufregung zu bändigen und machte sich auf den Weg. 

Obwohl im Stadtteil Eimsbüttel recht viel los war, wohnte sie doch in einer Gegend, die man als eher ruhig bezeichnen konnte. Kein Mensch war auf der Straße zu sehen. Kein Auto fuhr an ihr vorbei. Sie sah nicht einmal Menschen an den offenen Fenstern, Balkone gab es in dieser Gegend nicht, was sie sehr bedauerte. Und doch hörte sie hier und da Musik. Aus einer Wohnung im Erdgeschoss war deutlich Wilhelm Wieben wahrzunehmen, wie er die Tagesschau sprach. In Gedanken hörte sie die Musik, die die 20-Uhr-Nachrichten ankündigte, was in ihr immer ein anheimelndes Gefühl auslöste. Sie dachte an ihre Kindheit, sah ihren Vater vor dem Fernseher sitzen, wie er seine Uhr anstarrte und voller Stolz feststellte, dass sie lediglich 20 Sekunden nachging. Was für eine Errungenschaft menschlicher Zivilisation. Ein Lächeln legte sich über ihr Gesicht.

Langsam und mit leicht zitternden Beinen ging sie die Straße hinunter. Beruhige dich, ermahnte sie sich und holte noch einmal tief Luft, als sie hinter sich ein Geräusch hörte. Im Gehen drehte sie sich um, konnte jedoch nichts erkennen, die Straße lag vollkommen still hinter ihr. Ohne stehengeblieben zu sein sah sie nach vorn und erschrak furchtbar. Der Schreck währte jedoch nicht lange, denn augenblicklich stürzte sie zu Boden. 

Es ging so schnell, dass sie den Schlag mit dem Stiel einer Axt nicht spürte, der sie frontal am Kopf getroffen hatte. Ihre Schuhe knickten ein, aber der Absatz hielt. Unter anderen Umständen wäre sie sicher begeistert, so viel Geld für Schuhe ausgegeben zu haben, die einer solchen Belastung standhielten. Unsanft wurde sie an einem Arm über den Asphalt in einen Torweg gezogen, der als Aufbewahrungsstätte für Mülleimer genutzt wurde. Ihr weißes Oberteil hatte bereits deutlich sichtbare Flecken davon getragen. Auf ihrer braunen Haut trat dunkelrot das Blut aus Schürfwunden hervor. Mit grober Gewalt wurde ihr bewusstloser Körper zwischen die Eimer gezerrt, sodass man von der Straße lediglich ihre Schuhe hätte sehen können. Beinah lautlos wurde einer der hinteren Mülleimer ein wenig zur Seite geschoben und diente somit als weiterer Sichtschutz für das, was jeden Moment passieren würde. 

Ein großes Kochmesser wurde aus einer Tasche befreit. In der schummrigen Beleuchtung des Torweges wirkte die Klinge beinah schwarz. Mit geschickten Griffen fuhr es über Ankes Kopfhaut, entfernte ihre Haare, wenig darauf achtend, ob ein Frisör später in der Lage wäre etwas an ihrem Aussehen zu retten. Nachdem die mit Unmengen Spray verklebten Haare neben ihr auf den Boden geschmissen worden waren, schnitt das Messer direkt in die Mitte ihres Oberteils einen breiten Ausschnitt. Die Spitze des Messers verletzte dabei die oberste Hautschicht. Es sah aus, als würde jemand einen Braten tranchieren, nur dass statt Bratensaft Blut aus den Schnitten hervortrat. Langsam erwachte Anke. 

Leicht benommen stöhnte sie. Ihr Schädel brummte. Sicher hatte der Schlag eine böse Beule verursacht. Sie hob eine Hand, um sich an ihren Kopf zu fassen. Dass sie nicht allein war, realisierte sie nicht. Sie begriff überhaupt nicht, was passiert sein konnte. Erst als sie die teilweise blutverschmierte Kopfhaut spürte, erschrak sie fürchterlich und stieß einen Schrei aus. 

Mit dieser Reaktion hatte der Angreifer wohl eher nicht gerechnet. Wie aus einem Reflex wurde zugestochen. Das Messer glitt leicht durch ihren Brustkorb – ein paar Rippen knackten – mit Wucht wurde wieder und wieder die blutige Klinge in ihrem Oberkörper versenkt. Anke war schon lange nicht mehr am Leben und doch wurde sie weiter malträtiert. Unter ihrem Körper hatte sich ein See aus klebrigem Blut gebildet. Anstatt endlich von ihr abzulassen, wurde nun ihr Gesicht mit der Klinge bearbeitet. War die Spitze des Messers zuvor mit Gewalt in ihren Körper getrieben worden, so strich sie nun beinah sanft über die Haut und hinterließ blutende Wunden. In gelassener Ruhe wurde Ankes Schönheit aus ihrem Gesicht entfernt.

 

Als das Messer endlich mit einem Lappen vom Blut befreit wurde, hing Ankes Gesichtshaut in Fetzen. Von ihrem Teint war nichts mehr zu erkennen. Überall war Blut, das sich langsam dunkel färbte. 

Zufrieden wurden Ankes Überreste am Mülleimer zurück-gelassen. Das Verbrechen hatte die Stille der Straße nicht unterbrochen. Niemand ahnte, was am nächsten Tag die Zeitungen füllen und die Bewohner der Stadt in Angst versetzen würde.

In diesem Moment war es einfach nur ein lauer Sommerabend. Aus einem der vielen geöffneten Fenster drang die Melodie von „Major Tom“ und Peter Schilling sang:

„Effektivität bestimmt das Handeln. Man verlässt sich blind auf den Andern. Jeder weiß genau, was von ihm abhängt. Jeder ist im Stress, doch Major Tom macht einen Scherz. Und dann hebt er ab und: Völlig losgelöst von der Erde schwebt das Raumschiff völlig schwerelos.“

 

19. August 1983

19. August 1983

 

Die „Neue Deutsche Welle“ war dabei, sich zu verab-schieden. Die Auftritte von Trio in der ZDF-Hitparade lagen bereits ein Jahr zurück. Seit Januar versuchte eine Frau mit dem Namen Madonna die internationalen Charts mit dem Song „Holiday“ zu stürmen. Michael Jackson präsentierte zu seinem Hit „Billie Jean“ erstmals den Moonwalk und im April schaffte er den Sprung in die deutschen Single-Charts, während Udo Lindenberg bereits im März seinen „Sonderzug nach Pankow“ bestieg. In den nächsten Monaten rangen David Bowie, Ice House und Michael Jackson um die Gunst der Käufer von Vinyl-Schallplatten. 

 

Zwei Premieren wurden im April gefeiert: Peter Illmann lockte alle Musikinteressierten mit „Formel Eins“ vor den Fernseher, während Karl Moik das ältere Publikum mit seinem „Musikanten Stadl“ zukünftig einige Sonnabende unter anderem durch Blasmusik erfreute. Ersteres war für alle Menschen, die etwas anderes als deutschen Schlager bevorzugten eine Sensation. Endlich gab es Musikvideos im Fernsehen. In kurzen aussagekräftigen Filmen wurden kleine Welten erschaffen und Geschichten erzählt. Noch immer war die Musikwelt im Radio geprägt von deutschsprachigem Liedgut, das weniger die „Neue Deutsche Welle“ beinhaltete.

 

Im Monat April gab es eine weitere Sensation. Der „Stern“ glaubte die Geschichtsbücher umschreiben lassen zu können und brachte die „Hitler-Tagebücher“ heraus. Ein Umstand, der in den folgenden Monaten nicht die Welt veränderte, aber zum Lachen brachte, als sich herausstellte, dass alles eine Fälschung gewesen war.

 

Die Menschen zitterten nicht nur vor dem Höhepunkt des Kalten Krieges und der damit  verbundenen atomaren Bedrohung, auch eine tödliche, bis dahin unerforschte Seuche erschütterte die Welt. 

 

Ein Schauspieler war seit 1981 der mächtigste Mann der USA und in der Bundesrepublik Deutschland regierte seit 1982 Helmut Kohl, der bei vorgezogenen Neuwahlen im März 1983 in seinem Amt bestätigt wurde. Erstmals zogen Die Grünen mit 5,6 Prozent in den Bundestag.

 

Sportlich war das Jahr 1983 für einen Teil der Hamburger Bevölkerung ein gutes Jahr, denn der HSV gewann nicht nur die Bundesliga, sondern auch den Europapokal. Und nachdem Boris Becker den Tennis-Sport populär gemacht hatte, erreichte die damals 13-jährige Steffi Graf im Juni bei den French Open die zweite Runde.

 

--

 

Es war ein unglaublich heißer Tag gewesen und Ella hatte den Eindruck in der kleinen Boutique in der ABC-Straße zu ersticken. Kein Wunder, dass sich kaum ein Kunde blicken ließ. Die waren mit Sicherheit alle bereits auf dem Weg nach Sylt. Während sie schwitzend hinter einem Tresen stand, sinnierte sie darüber, wie gern sie selbst einmal auf die schönste aller Nordseeinseln gefahren wäre, was für sie jedoch unerschwinglich schien. In ihren Träumen hatte sie sich fest vorgenommen, ihren ersten ernstzunehmenden Urlaub dort zu verbringen.  

An so etwas wie Ferien war überhaupt nicht zu denken. Obwohl sie sich mitten in der semesterfreien Zeit befand, würde sie nicht die Stadt verlassen können. Bisher hatte sie noch nicht all zu viel von der Welt gesehen. Eine Flugreise wäre ohnehin viel zu kostspielig. In ihrer Jugend war sie ein paar Mal mit Interrail unterwegs gewesen und hatte dadurch immerhin schon einmal an einem Strand in Spanien gelegen und im Mittelmeer gebadet.

Mittlerweile sparte sie ihr Geld, was sie vermehrt in den Semesterferien verdiente, um sich während der restlichen Zeit mehr auf ihr Studium konzentrieren zu können. An so extrem heißen Tagen allerdings überlegte sie, ob sie nicht doch einen Teil dafür verwenden sollte irgendwo hinzufahren, wo man faul an einem Strand herumliegen konnte. 

Ella hatte schon viel von der Insel Sylt gehört, die im Sommer von Hamburgern bevölkert wurde. Je länger sie darüber nachdachte, desto mehr widerstrebte es ihr jedoch, viel Geld für etwas auszugeben und sich mit Leuten zu umgeben, die sie nicht ausstehen konnte. So wie die meisten Kunden der Boutique, die normalerweise Unmengen an Geld für Kleidung und Accessoires ausgaben und ihr somit das Gehalt finanzierten. 

 

Schwitzend sortierte Ella Pullover und T-Shirts neu. Lagen sie zuvor nach Größen geordnet auf einem Regal, so meinte sie plötzlich eine super Idee zu haben, indem sie alles nach Farben ablegte. So sah es doch viel besser aus, entschied sie. Zwei Stunden hatte sie mit dieser Arbeit überbrücken können. 

„Mal sehen, was draußen los ist“, sagte sie laut zu sich selbst.

Vor Stunden hatte sie mit ihrer letzten Kundin gesprochen. Einer Frau, die gekommen war, um sich ein Kleid zu kaufen, der sie dann jedoch eine schicke, für ihre Figur viel zu enge und vor allem sehr viel teurere Hose angedreht und erklärt hatte, dass sie damit zukünftig jeden Mann um den Verstand bringen werde.

Je näher Ella der Tür entgegen kam, desto heißer wurde es. Drückend schlug ihr die Hitze entgegen als sie die Straße betrat, die wie ausgestorben war. Kein Mensch verirrte sich am Nachmittag in die Innenstadt. Sie schaute auf ihre Armbanduhr und ließ ihre Schultern um ein Stück tiefer sinken. Noch drei Stunden.

„Wie soll ich das aushalten?“

Aus lauter Langeweile und weil sie schließlich etwas tun musste, um die Zeit dazu zu zwingen schneller zu vergehen, fing sie an Staub zu wischen. Eine Tätigkeit, die sie hasste und nur unter Androhung, ihren Job zu verlieren, ausübte. 

„So verzweifelt bin ich bereits“, stellte sie fest, als sie sich das Staubtuch genommen hatte. „Warum nur suche ich mir keinen anderen Job? So ein Scheiß.“

Um sich nicht weiter in die Abscheu gegen ihre Arbeit hineinzusteigern, suchte sie nach den positiven Aspekten. Klar, dachte sie, zehn Mark in der Stunde sind nicht besonders viel. Ihre Freunde, die in der Gastronomie Arbeit gefunden hatten, verdienten durch Trinkgelder deutlich mehr. Aber die mussten auch viel härter dafür arbeiten. Was hatte sie schon auszustehen? 

Ella arbeitete ausschließlich am Freitag und an den langen Samstagen und beinahe täglich in den Semesterferien. Zudem bekam sie auf alle Waren Prozente, ab und zu schenkte ihre Chefin ihr sogar ein Kleidungsstück, wofür sich selbst im Ausverkauf kein Kunde hatte begeistern können. Ella interessierte sich schon immer für Mode. Im Grunde war dies das Paradies. Sie war stets nach den neuesten Trends gekleidet und bekam sogar Geld dafür, dass sie anderen Frauen erzählte, was angesagt war. 

An diesem heißen Freitag hatte Ella sich für einen kurzen schwarzen Rüschenrock entschieden. Dazu trug sie ein weißes T-Shirt, dessen Ärmel sie abgeschnitten hatte – ein Umstand den ihre Chefin verabscheute – und darüber ein neongrünfarbenes Netzhemd, das sie am unteren Ende mit einem Knoten zusammen hielt. Ihre Fingernägel sowie ihre Lippen waren pink und ihre Füße steckten in wundervollen, aus weichem Leder geschaffenen hohen Pumps, die ebenfalls pink waren und geradezu leuchteten. 

Mühevoll hatte sich Ella ihre glatten blonden Haare auftoupiert und diese eher unorganisiert mit zwei Stäbchen, die normalerweise beim Chinesen zum Essen gereicht wurden, auf dem Hinterkopf zusammengesteckt. Das war bei der Hitze äußerst angenehm. Zudem sah man so den einen riesigen Ohrclip besser, der ihr bis zur Schulter herunterreichte und beim Gehen immer hin und her wippte. 

Um 18 Uhr bereitete Ella die Kasse für den nahen Feierabend vor. Eher unwahrscheinlich, dass sich in der letzten halben Stunde ein Kunde in den Laden verirrte, nachdem sie seit Stunden keinen Umsatz mehr hatte machen können. Dies war heute kein guter Tag und sie froh, dieser einen Kundin die sehr viel teurere Hose angedreht zu haben. Ella verstaute die Einnahmen in einer Geldbombe, die sie auf dem Weg nach Hause bei der Bank einzuwerfen hatte.

Mit trommelnden Fingern wartete sie auf den Geschäftsschluss, stierte auf den Sekundenzeiger der riesigen Uhr, die an der Wand hing und dessen Ticken sie manches Mal in den Wahnsinn getrieben hatte. Jetzt schien ihr das Geräusch mit jeder Minute lauter zu werden. Den Schlüssel hatte sie bereits in der Hand, das Geld in ihrer Tasche verstaut, stand an der Tür und beobachtete, wie der Zeiger sich langsam quälend der Zwölf näherte. 

„Feierabend“, rief sie laut in den Laden und war im selben Moment verschwunden.

Zu den großen Vorteilen ihrer Arbeit zählte die Nähe zu ihrer Wohnung, die sie zu Fuß erreichen konnte. Ihr Weg führte sie entlang der Hohen Bleichen bis sie den Fleet erreichte, der leider keine kühle Brise spendete. Eher das Gegenteil war der Fall, das abgestandene Wasser roch leicht modrig. 

Dennoch genoss sie den kurzen Fußweg, der sie entlang der Neustadt führte. Die Bürohäuser waren bereits zum Wochenende verwaist und alle Geschäfte hatten ebenso geschlossen, wie die kleine Boutique. Manche Verkäuferinnen kannte sie inzwischen vom Sehen, wenn Ella sie auf dem nach Hauseweg traf. Man wünschte sich ein schönes Wochenende und Ella dachte jedes Mal darüber nach, was diese spießigen Frauen mit ihrer freien Zeit anfingen. 

Was Ella machen würde, stand fest und wiederholte sich jedes Wochenende. Zufrieden ging sie die leeren Straßen entlang, die nach Geschäftsschluss beinah etwas Unheimliches hatten und Ella über alle Maßen genoss. In diesen Minuten konnte sie in aller Ruhe über ihr Leben nachdenken, wie ihr Jurastudium, woran sie im Grunde weniger gern erinnert wurde. Viel lieber wollte sie an die netten männlichen Kommilitonen denken. 

Dieses Jahr war bisher ein gutes gewesen. Sie war inzwischen 25 und fühlte sich entsprechend erwachsen, auch wenn es noch einige Semester dauern würde, bis sie ihr Studium beendet hatte und dann endlich so viel Geld verdiente, wie es ihr angemessen erschien, obwohl sie nicht einmal eine Idee hatte, wie viel das sein würde. In ihrer Vorstellung wäre es ausreichend, um sich allein eine Wohnung leisten zu können, mit Sicherheit ein Auto und vor allem regelmäßigen Urlaub. 

Nachdem Ella das Geld bei der Bank eingeworfen hatte, überquerte sie die Ost-West-Straße auf der sich der Feierabendverkehr wie ein zäher Lavastrom ergoss. Sie wartete nicht die Grünphase der Ampel am Rödingsmarkt ab und schlängelte sich stattdessen durch die nicht vorankommende Autolawine. Kurz darauf hatte sie ihr Ziel erreicht und betrat den Herrengraben. 

Einer glücklichen Fügung hatte sie es zu verdanken, dass sie in die Wohnung ihrer Großmutter hatte ziehen können. Leider bedeutete es auch, dass die Mutter ihres Vaters nicht mehr am Leben teilnahm. Sie hatte ihre Oma sehr geliebt und konnte nicht begreifen, wie ein so lieber Mensch ein Kind wie ihren Vater hervorgebracht hatte. Manchmal glaubte sie, dass er nicht mit ihr verwandt sein könnte. 

So war er über die Maßen wütend, als er bei der Testaments-eröffnung erfuhr, dass seine Mutter ihr kleines Vermögen dazu gebraucht hatte, die Wohnung, in der sie lebte, zu kaufen. Ihm war nicht einmal bewusst, dass dies möglich gewesen wäre. Aber seit einigen Jahren glaubten findige Hausbesitzer schlau zu sein, wenn sie ihre Mietshäuser in Eigentumswohnungen wandelten. Großmutter hatte wohl Angst gehabt, auf ihre alten Tage noch ausziehen zu müssen. 

In den Backsteinbau aus dem frühen 20. Jahrhundert war sie damals frisch verheiratet und schwanger mit ihrem Mann eingezogen. Ellas Großvater arbeitete im Hafen bei einem Reeder, jedoch nicht als Arbeiter für Stückgutfracht, sondern im Kontor, was für ein ausreichendes Einkommen gesorgt hatte. 

Viel war es dennoch nicht, was er hinterlassen hatte, aber es reichte aus, um die Wohnung zu kaufen. Somit steckte nun sämtliches Vermögen, mit dem sich Ellas Vater offensichtlich über den Tod seiner Mutter hatte trösten wollen, in einer 80-Quadratmeter-Wohnung, in einem Haus, das selbstverständlich keinen Aufzug besaß. 

Er war so empört, dass er augenblicklich das Testament anfechten wollte, als er zudem hörte, dass Ella als Alleinerbin eingetragen war. 

„Karl-Heinz, ich bitte dich, reg dich doch nicht so auf“, hatte Ellas Mutter voller Sorge gesagt, da sie angenommen hatte, dass ihr Mann einem Herzinfarkt erliegen könnte, „denk nur daran was du aus Ellas Zimmer machen kannst, wenn sie dann endlich auszieht.“

Ein Lächeln war über sein Gesicht gehuscht. Der Platz in dem Reihenhaus in Langenhorn war begrenzt. Er könnte endlich mit dem ihm angestrebten Hobby, der Malerei, beginnen. 

„Was meinst du, wie viel Geld wir erst sparen, wenn nicht jeden Tag geduscht wird“, versuchte Ellas Mutter ihm diese glückliche Wendung schmackhaft zu machen.

In ihrer Trauer war Ella kaum in der Lage, dieser Unterhaltung zu folgen. Sie dachte lediglich daran, wie wunderbar es sein würde, endlich das spießbürgerliche Heim verlassen zu können und sich nicht länger von ihrer Mutter drangsalieren lassen zu müssen.

 

Daher wohnte Ella quasi kostenfrei, sah man vom Unterhalt der Wohnung einmal ab, der im Verhältnis zur Größe geradezu lächerlich erschien. Dennoch musste sie ein paar hundert Mark aufbringen, denn ihr Vater weigerte sich, Ella nach einem so großen Erbe zu unterstützen. Sie sei außerdem alt genug, um auf eigenen Beinen zu stehen. Ihm missfiel ohnehin die Wahl ihrer Studienrichtung. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn sie Kunst oder wenigstens Literatur als Studienfach gewählt hätte. 

Als Zeichen ihres Protests kam sie dem Wunsch ihres Vaters nicht nach und begann mit dem Studium der Rechtswissenschaft. Sie wusste, wie sehr ihr Vater – ein Beamter, der im Sekretariat des Kultursenators arbeitete und sich dadurch intellektuell als privilegiert ansah – es verachten würde, wenn sie keinen künstlerischen Beruf ergriff. Einzig aus dem Grund hatte sie sich für Jura entschieden. Inzwischen machte es ihr allerdings richtig Spaß, wenn man überhaupt an etwas Freude haben konnte, das mit Arbeit verbunden war.

 

Sie stieg die Stufen zu ihrer Obergeschoss-Wohnung hinauf, nicht daran denken wollend, wie heiß es darin sein würde und hoffte darauf, dass Claus alle Fenster geöffnet hatte. Aber ganz sicher war er verschwunden und ließ die Wohnung im Zustand sengender Hitze zurück. Dass er nicht da sein würde, davon ging sie mittlerweile aus, denn sie hatte ihn, seitdem er bei ihr eingezogen war, nie wieder angetroffen.

 

Claus

Claus

 

Als ich die kleine Kneipe in der Brüderstraße in der Nähe des Großneumarkts betrat, erkannte ich ihn sofort. Zwar hatte ich ihn zuvor noch nie gesehen, aber er passte zu der Beschreibung, die ich von ihm hatte. Seitdem ich bei meinen Eltern ausgezogen war, suchte ich nach einem Mitbewohner. Wenn ich nicht bald einen gefunden hätte, wäre ich gezwungen, ans Schwarze Brett beim „ASTA“ eine Suchanfrage zu hängen und das wollte ich überhaupt nicht. Es wäre mir recht gewesen, allein zu wohnen, aber das konnte ich mir einfach nicht leisten. 

Damals war ich bereits 24 Jahre alt und wollte endlich auf eigenen Beinen stehen. Meine Eltern konnte ich schon lange nicht mehr ertragen und sehnte mich nach dem Tag, an dem ich endlich ausziehen würde. Mein Vater, der meinte, ein Intellektueller zu sein und Literatur las, von der ich überzeugt war, dass er kein Wort verstand, und meine Mutter, die kaum eine Gelegenheit ausließ, um mir mitzuteilen, wie unzulänglich ich doch sei, nervten mich so sehr, dass ich mich beinah überwunden hätte und in eine WG zu ziehen.

Daher überwog die Freude die Trauer um Großmutter, als ich endlich meine eigene Wohnung beziehen konnte. In kürzester Zeit waren allerdings alle Ersparnisse aufgebraucht. Schließlich musste ich die Wohnung komplett renovieren. Es roch nach meiner Oma, die ich zwar sehr geliebt hatte, aber dennoch wollte ich nicht ständig an ihren Tod erinnert werden. Ein Untermieter musste also dringend her, zumal ich keinesfalls die Arbeitszeit in der Boutique ausweiten wollte. Ein Jurastudium nimmt ohnehin viel Zeit in Anspruch. Unter keinen Umständen wollte ich länger als nötig an der Uni bleiben.

Ein Freund aus der Clique, den ich eigentlich nicht gut kannte, erzählte mir dann von Claus. Der sei schon lange auf der Suche nach einer Bleibe. 

„Und was ist das für einer?“, wollte ich wissen.

„Der ist in Ordnung. Kannst dich drauf verlassen.“

„Wieso sucht er denn überhaupt ein Zimmer?“

„Den hat grad seine Freundin rausgeschmissen.“

„Na super. Und so einer, meinst du, ist dann perfekt für mich?“

„Du sollst ihn ja schließlich nicht heiraten. Er sucht doch nur ein Zimmer.“

„Was studiert er?“

„Der studiert doch nicht.“

„Was macht er denn?“

„Er ist KFZ-Mechaniker. Der repariert unsere Autos. Daher dachte ich auch, dass du den kennst.“

„Ich hab doch kein Auto.“

„Ach ja, stimmt, du bist die, die man ständig mitnehmen muss.“

Ich kürzte das Gespräch ab, da es mir ein wenig unangenehm war. Auf der anderen Seite sah ich es überhaupt nicht ein, Geld für einen Wagen auszugeben, da ich sehr zentral wohnte und alles wunderbar zu Fuß oder mit der U-Bahn erreichen konnte.

Auch wenn ich zugeben muss, dass mir ein KFZ-Mechaniker suspekt vorkam, so hatte er immerhin einen Job und würde mir regelmäßig Miete zahlen können. Außerdem erfuhr ich von einem anderen Freund, dass sich Claus mit dem zusätzlich schwarz verdienten Geld sein Hobby finanzierte. Er schraubte gern an Oldtimern aus den 40er und 50er Jahren herum, machte die alten Karren wieder fit und verkaufte einige dann gewinnbringend. Interessant hörte sich der Typ auf jeden Fall an. Daher entschied ich, ihn mir wenigstens anzusehen.

Claus saß an einem der hinteren Tische in der Kneipe, als ob er nicht gesehen werden wollte, obwohl wir verabredet waren. Trotzdem fiel er mir sofort auf, denn er sah anders aus als die anderen Gäste. Das Publikum war unterschiedlich, aber doch eher studentenlastig. Und meine Freunde legten alle Wert auf ihr Äußeres. 

Jedenfalls wäre niemand auf den Gedanken gekommen Cowboy-Stiefel zu tragen, die ich an Claus augenblicklich entdeckte. Sie stachen mir regelrecht ins Auge, denn er hielt seine Füße weit ausgestreckt neben den Tisch, sodass ich beinahe über sie gestolpert wäre, als ich an ihn heran trat.

„Hi, bist du Claus?“, fragte ich vorsichtshalber.

Er sah auf und nickte mit dem Kopf. Sehr gesprächig schien er nicht zu sein. Daher setzte ich mich und bestellte ein Bier. Er hatte seins bereits über die Hälfte geleert. Der Aschenbecher auf dem Tisch war voller Kippen und ich wusste, dass sie alle von ihm stammen mussten. Martin, der Wirt, den wir alle nur Ecke nannten, weil die Kneipe „Zur Ecke“ hieß, was wohl ihrem Standort geschuldet war, achtete penibel darauf, dass die Aschenbecher geleert wurden, bevor neue Gäste kamen. 

Martin hatte die Kneipe vor einigen Jahren übernommen und sah keinen Grund, den Namen zu ändern, obwohl er sonst großen Wert darauf legte, den Mief alter Männer herauszubekommen, die hier früher ihr Feierabendbier getrunken hatten. Ich traf mich regelmäßig mit meinen Freunden hier. Die Kneipe war nur fünf Minuten von meiner Wohnung entfernt und wenn ich einen schlechten Tag in der Boutique hatte, nahm ich gern einen kleinen Umweg in Kauf und ging auf direktem Weg hierher, um das Wochenende einzuläuten.

Noch immer hatte Claus kein Wort gesagt. Ich wartete auf mein Bier, trank einen tiefen Schluck, als es mir serviert wurde und sah ihn an. Nicht nur die Cowboy-Stiefel passten nicht zu dem, was ich gewohnt war. Claus legte auch offensichtlich keinen großen Wert auf seine Haare, die langweilig an seinem Kopf herunterhingen. 

Unnütz zu sagen, dass er kein Gel benutzte. Seine dunkel-blonden Haare sahen so aus, als ob er sie selbst geschnitten hatte. Ohne etwas zu sagen, mich dabei ansehend, nahm er eine weitere Zigarette aus der Schachtel. Seine Finger waren dreckig, unter den Nägeln hing dunkles Motoröl und die Haut sah rissig aus. Von dem würde ich mich niemals anfassen lassen, entschied ich. Aber deswegen war er nicht gekommen.

Mit der Zigarette im Mund beugte er sich zu der auf dem Tisch stehenden Kerze, die in einer Weinflasche steckte und als solche kaum mehr zu erkennen war. Das Wachs unzähliger Kerzen war an ihr herunter getropft.

„Du weißt aber schon, dass ein Seemann stirbt, wenn du eine Zigarette an einer Kerze ansteckst?“, gab ich zum Besten.

„Is’ mir doch wurscht“, sagte Claus ohne die Zigarette aus dem Mund zu nehmen, führte sie in die Flamme, sodass sie leicht knisternd Feuer fing, um dann seine typischen Rauchschwaden abzugeben.

„Du rauchst aber echt viel.“

„Stört dich das?“

„Nein, überhaupt nicht, ist mir egal. Wenn du dich an gewisse Regeln hältst.“

„Von Regeln halte ich nichts.“

„Das ist aber schade.“

Claus trank sein Bier aus und ich nahm an, er würde aufstehen und gehen. Aber er bestellte ein weiteres.

„Wollen wir was essen?“, fragte er mich, als das Bier gebracht wurde.

„Willst du mich einladen?“

„Wenn es was nützt, dann ja.“

„Du musst dich nicht einschleimen. Mir würde es reichen, wenn du dir meine Regeln erst einmal anhören würdest.“

„Kann ich machen, aber ich kann dir gleich sagen, dass ich mich nicht daran halten werde.“

„Sag mal, willst du denn nun ein Zimmer haben oder nicht?“

„Klar, ich brauch dringend eine Bleibe, aber ich mach nichts, was mir nicht gefällt.“

„Aber du arbeitest doch, da wirst du dich auch an Regeln halten müssen.“

„Eben. In meiner Freizeit mach ich, was ich will und keiner redet mir rein.“

„Ich will dir nichts vorschreiben.“

„Doch, du hast Regeln.“

„Okay, dann umschreibe ich das mal anders. Also, wenn du bei mir wohnen möchtest, gibt es Dinge, die du beachten solltest. Sonst gibt es Ärger mit mir und ich kann dir sagen, das willst du nicht.“

„Ich glaube, ich will überhaupt nicht bei dir einziehen. Das wird nix mit uns.“

„Mann, jetzt stell dich doch nicht so dämlich an, du Blödkopp.“

Zu meinem Erstaunen winkte Claus der Bedienung, die daraufhin an unserem Tisch auftauchte.

„Was willst du essen?“, fragte er mich.

Ich war etwas irritiert und überlegte schnell, ob es nicht besser sei einfach zu verschwinden. 

„Ich nehm ‘nen Croque Madam“, entschied ich spontan.

„Okay, ich nehm dann die Zwiebelsuppe. Ihr habt doch Zwiebelsuppe?“

„Sicher“, sagte die Bedienung und verschwand wieder.

Ich nahm einen Schluck Bier, da ich nicht wusste, was ich Claus sagen sollte, während der in aller Ruhe rauchte und mir direkt in die Augen sah. Wollte der etwa was von mir?

„Also, hör zu“, fing ich an zu reden, „das ist ganz einfach und ich denke, das wirst sogar du hinbekommen. Du kannst bei mir so viel rauchen wie du willst, ist mir echt egal. Aber auf gar keinen Fall rauchst du im Badezimmer.“

„Das war’s?“

„Im Prinzip ja.“

„Und darum machst du so einen Aufstand?“

„Ich mach doch keinen Aufstand. Das ist meine Regel. Und …“

„Ich wusste es, jetzt kommt doch noch was. War ja klar, ihr Studenten glaubt, ihr könnt uns intellektuell in die Tasche stecken und wir merken das nicht, oder was?“

„Jetzt beruhige dich doch mal. Kein Grund bösartig zu werden.“

„Ach, wer ist denn hier der Blödkopp?“

„Okay, Tschuldigung, das war nicht nett von mir.“ Ich reichte ihm meine Hand. „Freunde?“

Überraschenderweise nahm er sie sogar an und drückte sie erst fest, dann auf einmal wurde der Griff sanft und ich spürte, dass seine Hand ganz weich war. Anders, als ich es vermutet hatte.

„Also, was hast du noch für Regeln?“

„Ich erwarte, dass du dich regelmäßig an der Reinigung der Wohnung beteiligst, also am Bad und der Küche.“

„Das ist doch wohl selbstverständlich und keine Regel.“

Glücklicherweise hatte er meine Hand wieder los gelassen und steckte sich eine neue Zigarette an der Kerze an. Wieder ein Seemann dem Tod geweiht, dachte ich.

„Wie groß ist denn das Zimmer und was willst du dafür haben?“

„Leider ist es nicht besonders groß, ich schätze so um die 15 Quadratmeter, hab es nicht nachgemessen. Dafür will ich aber auch nur 200 Mark, inklusive aller Nebenkosten.“

„Und hat es ein Fenster?“

„Was ist denn das für eine Frage? Selbstverständlich. Es geht sogar nach hinten raus in den Hof und ist daher sehr ruhig.“

„Ruhe brauche ich eher weniger. Was wohnen denn für Leute bei dir im Haus?“

„Alles bunt gemischt. Aber eher jüngere.“

„Studenten?“

„Wahrscheinlich auch Studenten. Wäre das ein Problem?“

„Ich mag sie nicht besonders.“

„Und warum nicht?“

„Sie glauben, sie seien was Besseres. Schaun auf alle Anderen herab, als seien wir Abschaum.“

„Das stimmt doch gar nicht.“

„Doch.“

„Glaubst du, dass ich auch so bin?“

„Weiß ich noch nicht. Siehst eigentlich ganz nett aus.“

„Danke, ich bin nämlich nicht so. Das ist ein ganz übles Vorurteil. Wie viele Studenten kennst du denn überhaupt?“

„Genug, dass ich mir ein Urteil erlauben kann und weiß, dass sie mich nerven.“

Langsam hatte ich den Eindruck, dass es keine gute Idee wäre, mir Claus als Untermieter zu nehmen. Das würde ganz sicher in Stress ausarten.

„Möchtest du nach dem Essen das Zimmer ansehen?“

„Das wird nicht nötig sein.“

„Okay, und bist du mit der Miete einverstanden?“

„Hab ich was dazu gesagt?“

„Nein.“

„Was stellst du dann für dämliche Fragen?“

 

Endlich wurde das Essen gebracht und ich war froh, mich nicht mehr mit ihm unterhalten zu müssen. Ich griff mir den Croque und biss beherzt hinein, wohl wissend besser zu warten, bis er etwas abgekühlt war. Sofort riss ich mir den Gaumen auf, ließ mir jedoch nichts anmerken. Alles war besser, als mich weiter mit Claus auseinandersetzen zu müssen, der mit einem Löffel dabei war die Käseschicht zu öffnen, um an die dampfende Suppe zu gelangen.

Ich war froh, dass in der „Ecke“ immer Musik lief, die aber sonst von den Gesprächen der Gäste übertönt wurde. Jetzt hörte ich David Bowie „Ashes To Ashes“ singen und war dankbar mich damit ablenken zu können.

„Scheiße, ist das heiß“, sagte er, nachdem er den ersten Löffel Suppe im Mund hatte verschwinden lassen.

„Warum isst du sie, wenn du weißt, dass man sich daran den Mund verbrennt?“

„Blöde Frage. Warum beißt du in deinen Croque, wenn du weißt, dass du dir den Gaumen aufreißen wirst?“

„Woher weißt du das?“

„Hab auch schon mal Croque gegessen.“

Ich entschied einfach nichts mehr zu sagen.

„Wann kann ich denn bei dir einziehen?“, fragte er, als er die Suppe so gut wie aufgegessen hatte.

„Von mir aus sofort. Das Zimmer steht leer.“

„Gut, dann komme ich morgen. Wir werden schon miteinander auskommen und du wirst gar nicht merken, dass ich da bin.“

Er reichte mir seine Hand und steckte sich dann eine Zigarette an.

 

Zeitungsartikel

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Heiße und abgestandene Luft schlug ihr entgegen, als sie die Wohnungstür öffnete. Schlagartig fing Ella an zu schwitzen. 

„Hallo Claus, mein Schatz, ich bin zu Hause. Hattest du einen schönen Tag?“

Diesen Spaß machte sie ständig, ohne daran zu denken, was wäre, sollte er tatsächlich zuhause sein. Frischer Rauch zog aus der Küche in den Flur, dass Ella für einen kurzen Moment annahm, er würde ihr doch jeden Moment antworten. Vorsichtig schlich sie zur Küchentür und steckte ihren Kopf durch die Öffnung. Er war nicht mehr da. Der Aschenbecher quoll über von seinen Kippen und sie meinte, aus ihm leichten Rauch aufsteigen zu sehen. Angewidert betrat sie die Küche und riss die Balkontür auf.

Tief atmete sie ein und aus. Leider konnte ihr das keine Abkühlung bringen. Diese verdammte Hitze, dachte sie, dabei war sie froh, dass in Hamburg endlich der Sommer ausgebrochen war. Aber inzwischen war es so heiß geworden, dass Ella nachts nur schwer Schlaf finden konnte. Da nun aber endlich Freitag war, würde sie in dieser Nacht ohnehin nicht schlafen. 

Grundsätzlich ging sie lieber am Donnerstag aus, was sie jedoch nur selten in die Tat umsetzte, da sie am Freitag ansatzweise frisch auszusehen hatte. Ab und zu, wenn sie wusste, dass ihre Chefin nicht kommen würde, machte sie die Nacht durch, ging vor der Arbeit ins „Gestern und Heute“ – ein winziger Laden in der Kaiser-Wilhelm-Straße, der den Begriff Kneipe nicht verdiente, hier aber rund um die Uhr Frühstück serviert wurde, weshalb sich gern Taxifahrer trafen – und machte sich dann auf den Weg in die Boutique.