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Als sie mitten in der Nacht durch das Klingeln ihres Telefons geweckt wird, ahnt FBI-Agentin Elisabeth Crane bereits, dass dies kein gutes Zeichen sein kann. Sie soll Recht behalten, denn sie wird zum Tatort eines brutalen Mordes gerufen. Dort angekommen, muss sie schockiert feststellen, dass ihr das Opfer bekannt ist und eine Verbindung zwischen dem Mörder und ihr zu existieren scheint. Emotional getrieben, setzt Elisabeth alles daran, den Täter zur Strecke zu bringen. Unterstützung erhält sie bei diesem Unterfangen unter anderem vom geheimnisvollen Sonny, der ebenfalls in den Fall hineingezogen wird. Doch schon bald müssen beide erkennen, dass der Gegner mächtiger ist, als sie gedacht haben und es stellt sich die Frage: Wer ist hier eigentlich der Jäger und wer ist der Gejagte?
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Seitenzahl: 268
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Daniel Wadewitz
Sonny
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Prolog
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Epilog
Impressum neobooks
Es war kurz nach 2:00, als Robert unsanft aus seinen Träumen erwachte. Durch die anhaltende Müdigkeit war er kurz orientierungslos, bevor ihm bewusst wurde, dass er in seinem Sessel vor dem Fernseher eingeschlafen war. Aus diesem dröhnte halblaut das Quietschen von Autoreifen, da im laufenden Film eine halsbrecherische Verfolgungsjagd gezeigt wurde. Sein Blick fiel auf die angebrochene Whiskeyflasche neben ihm, die mit Sicherheit Anteil an seiner plötzlich auftretenden Müdigkeit hatte. Trotz des leichten, alkoholisch hervorgerufenen Schleiers beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Warum war er so plötzlich erwacht? Er meinte sich an ein klirrendes Geräusch zu erinnern und obwohl er sich nicht sicher sein konnte, ob dies nicht seinen Träumen oder dem Fernseher entsprungen war, meldeten seine Instinkte einen stillen Alarm. Er langte nach seiner Waffe, einer SIG Sauer P228, die er jederzeit griffbereit neben sich abgelegt hatte. Ohne sich weiter zu bewegen, lauschte er in die Wohnung, wobei er die Geräuschkulisse des Fernsehers zu ignorieren versuchte. Abgesehen davon, war kein Laut zu hören. Für einen Moment schien die Zeit, still zu stehen. Nichts. Er begann sich wieder zu beruhigen. Plötzlich ertönte ein leises Geräusch, das er als vertrautes Knarren des Parkettbodens seines Schlafzimmers identifizieren konnte.
Jemand war im Haus!
So lautlos, wie es sein Zustand zuließ, glitt er aus dem Sessel, ohne dabei die Tür zum Flur aus den Augen zu lassen. Langsam kroch er aus dem Lichtkegel des Fernsehers und positionierte sich so, dass er die Umgebung im Blick hatte, ohne selbst sofort gesehen zu werden. Er verlangsamte seine Atmung und zwang sich, die Konzentration hochzuhalten. In diesem Moment erschien eine dunkel gekleidete, maskierte Person im Türrahmen. Der Eindringling schien sich in gebückter Haltung in Richtung Wohnzimmer zu bewegen. Im Schein des Fernsehers konnte Robert eine Pistole erkennen, die der Maskierte mit der rechten Hand gezogen hatte. Mehr brauchte er nicht zu sehen, um die Absichten seines Gegenübers zu erraten. Er gab in schneller Folge drei Schüsse ab. Die Kugeln durchschlugen den Türrahmen und Teile der Wand. Mit einem unterdrückten Schmerzenslaut verschwand der sichtbare Teil des Maskierten in der Tür und ein dumpfer Aufprall war zu hören. Robert hielt kurz inne. Im Haus blieb es still und aus Richtung des Flurs waren keine Geräusche mehr zu vernehmen. Langsam schlich er in gebückter Haltung zur Tür. Dort drückte er sich an die Wand und spähte vorsichtig mit einem Auge in den Flur. Der Maskierte lag regungslos auf dem Boden, während sich unter seinem Oberkörper eine Blutlache ausbreitete. Das gegenüberliegende Schlafzimmer stand offen, während die Türen zu Bad und Küche auf der linken Seite geschlossen waren. Abgesehen von den Stimmen aus dem Fernseher, war alles ruhig. Er betrat den Flur, kniete sich neben seinen nächtlichen Besucher und fühlte dessen Puls. Nichts. Der Eindringling stellte keine Bedrohung mehr dar, konnte allerdings auch keine Begründung mehr für sein nächtliches Auftreten liefern. Zwei Kugeln hatten ihn am Oberkörper getroffen, während die dritte offenbar seinen Hals durchschlagen hatte. Trotz seines alkoholisierten Zustands hatte Robert ganze Arbeit geleistet. Er wollte gerade die Waffe wegstecken, als er am Hals einen leichten Luftzug spürte. Instinktiv rollte er sich nach vorne, wirbelte direkt nach der Landung in gehockter Haltung herum und hielt die Waffe in Anschlag. Bevor er abdrücken konnte, traf ihn etwas hart am rechten Arm und die Pistole wurde davon geschleudert. Instinktiv nahm er die Arme vor den Körper, um den nachfolgenden Angriff abwehren zu können. Doch der kam nicht. Nach der Entwaffnung schien es der Neuankömmling plötzlich nicht mehr sonderlich eilig zu haben. Stattdessen brachte er sich vor Robert in Stellung und signalisierte ihm per Handzeichen aufzustehen. Er kam der Aufforderung nach und ging selbst in Kampfposition, während er den Gegner ununterbrochen musterte. Dieser war mindestens zehn Zentimeter größer als er selbst und deutlich breiter gebaut. Er war komplett in Schwarz gekleidet und schien, eine Art Nachtsichtgerät auf dem Kopf zu tragen. In der Hoffnung, den Überraschungseffekt auf seiner Seite zu haben, ging Robert ohne Ankündigung zum Angriff über. Er täuschte einen rechten Schwinger in Körperhöhe an, um sofort im Anschluss mit einer links-rechts-Kombination, auf den Kopf des Gegners zu zielen. Geschickt wich dieser den Schlägen durch Verlagerung des Oberkörpers aus. Robert nutzte den Schwung des letzten Schlages, verlagerte sein Gewicht auf die rechte Seite, um in einer fließenden Drehbewegung mit dem linken Fuß auf die Körpermitte seines Gegenübers zu zielen. Zu seinem Entsetzen fing dieser den Tritt ab und antwortete seinerseits mit einem Fußfeger, der Robert von den Beinen holte und unsanft auf dem Boden aufschlagen ließ. Der Gegner hielt es nicht für nötig nachzusetzen, sondern signalisierte Robert erneut per Handzeichen, dass er aufstehen solle. Was sollte er gegen diesen Gegner ausrichten? Sicherlich wäre das Duell ausgeglichener, wenn er nicht angetrunken wäre, aber dieser Gedanke nutzte ihm in der aktuellen Situation nur sehr wenig. Er überlegte, ob er den Gegner provozieren könnte, um ihn zu einer unüberlegten Handlung zu bewegen. Daher wies er auf den leblosen Körper des anderen Einbrechers.
„Freund von dir? Soll mal lieber aufhören, meinen Flur voll zu bluten.“
Keine Reaktion. Robert machte einen unauffälligen Schritt in Richtung der Pistole, die zwischen den beiden an der Wand lag. Sein Gegenüber tat es ihm gleich. Er würde die Waffe nie rechtzeitig erreichen. Allerdings kam ihm in diesem Moment eine Idee. Langsam erhob er sich, um erneut blitzartig zum Angriff überzugehen. Wieder täuschte er einen rechten Schlag an. Allerdings betätigte er in der Ausholbewegung den Lichtschalter des Flurs. Schlagartig wurde es hell, wodurch sein Gegner geblendet seinen Kopf abwandte und das Nachtsichtgerät herunterriss. Diesen Moment der Schutzlosigkeit nutze Robert aus und ließ eine Salve an Faustschlägen auf den gegnerischen Oberkörper einprasseln. Völlig außer Atem ergriff er den Kopf seines Gegners, zog ihn zu sich herunter und rammte ihm sein rechtes Knie gegen dessen Kinn, wodurch der Eindringling zu Boden ging. Schwer atmend hob er seine Waffe auf und richtete sie auf den Einbrecher, der sich stöhnend auf dem Boden bewegte.
„Zeit für eine kleine Unterhaltung. Wer seid ihr?“
Sein Gegenüber setzte sich auf, hielt sich das Kinn und starrte ihn nur gleichgültig an.
„Bist ein ganz Harter, oder? Ich zähle bis drei. Danach jage ich dir solange Kugeln in deinen Körper, bis du redest. Oder stirbst.“
Er senkte die Waffe und zielte provokativ auf das linke Bein des Eindringlings.
„Eins.“
„Zwei.“
„Dr…“
Weiter kam er nicht mehr. Etwas Hartes traf ihn am Nacken und er ging sofort zu Boden. Unfähig sich abzufangen, schlug er ungebremst auf dem Boden auf. Völlig benebelt versuchte er den Kopf zur Seite zu drehen. Neben ihm ragte eine weitere Gestalt in die Höhe. Verdammt! Zu Dritt!
Dann verlor er das Bewusstsein.
Das schrille Klingeln ihres Mobiltelefons riss sie unsanft aus ihren Träumen. Verschlafen schaute sie auf die Uhr.
4:57. Das kann nichts Gutes bedeuten!
Sie überlegte kurz, den Anruf zu ignorieren, aber um diese Uhrzeit war es in der Regel zu wichtig und man würde sie definitiv nicht in Ruhe lassen. Resignierend nahm sie den Anruf an und brachte zur Begrüßung ein brummendes Geräusch zustande.
„Agent Crane?“
„Am Apparat.“
„Agent Mueller hier. Entschuldigen Sie die frühe Störung, aber…“
So energisch und so höflich, wie es um diese Tageszeit möglich war, unterbrach sie ihn kurzerhand.
„Fassen Sie sich bitte kurz!“
„Ähm. Ja. Kennen Sie einen Agent Harden?“
„Ja. War mal mein Partner. Warum?“
„Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass Agent Harden in der Nacht verstorben ist.“
Schlagartig war sie wach.
„Was? Wie ist es passiert?“
„Er wurde ermordet. Sie sollten sich dringend den Tatort ansehen.“
„Wie kommen Sie ausgerechnet auf mich?“
„Das wird Ihnen klar, sobald Sie hier sind.“
„Ich bin schon auf dem Weg.“
Die Müdigkeit war wie weggeblasen. Dennoch war sie nicht in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Automatisiert zog sie sich an, verließ schnellen Schrittes ihre Wohnung, stieg in ihren Wagen und fuhr mit überhöhter Geschwindigkeit davon.
Dreißig Minuten später parkte sie ihren Chevrolet Malibu direkt vor dem kleinen, eingeschossigen Haus, das Agent Harden bewohnt hatte. Mehrere Streifenwagen, eine dunkle Limousine und der Wagen des Gerichtsmediziners waren ebenfalls dort abgestellt worden. Zwei der Polizisten waren gerade damit beschäftigt, den Tatort abzusperren. Sie zog ihren Ausweis aus der Innentasche ihrer Jacke und hielt ihn einem der Beamten vor die Nase, worauf dieser das Absperrband anhob und der andere eine kurze Anweisung in sein Funkgerät abgab. Sie duckte sich darunter hindurch und betrat den Hausflur durch den Vordereingang.
„Agent Crane!“
Zwei Männer in dunklen Anzügen kamen aus dem Hauseingang auf sie zu. Einer von beiden streckte ihr die Hand entgegen. Er war ca. 1.80 groß, hatte dunkle, kurze Haare und war glatt rasiert. Sie schätzte ihn auf Mitte 40.
„Special Agent David Wilkinson. Ich leite diese Untersuchung“
Sie reichte ihm die Hand. Danach wies Wilkinson auf den anderen Anzugträger, der etwas kleiner und mit Sicherheit um einiges jünger war und der insgesamt einen etwas ungepflegteren Eindruck machte.
„Agent in Ausbildung Craig Mueller. Sie haben mit ihm telefoniert.“
Er kam auf sie zu und streckte ihr etwas zögerlich die Hand entgegen. Sie ergriff diese und erwiderte seinen festen Händedruck. Anschließend wandte sie sich wieder Wilkinson zu.
„Können Sie mir erklären, was passiert ist?“
„Gegen vier Uhr ging bei der örtlichen Polizei ein anonymer Tipp ein, dass in diesem Haus eingebrochen wurde. Die eintreffenden Beamten bemerkten die geöffnete Eingangstür und fanden schließlich im Haus die Leiche von Agent Harden.“
„Und warum bin ich hier?“
„Wenn Sie uns bitte folgen möchten.“
Irgendwas stimmt doch hier nicht.
Wilkinson drehte sich um und ging geradewegs durch die Tür auf der rechten Seite des Hausflurs. Sie und Mueller folgten ihm und betraten den Raum, der offensichtlich das Schlafzimmer war. Agent Harden lag ausgestreckt auf dem Bett an der gegenüberliegenden Wand. Bis auf dunkelblaue Shorts war er komplett nackt. Sein Körper war in einem furchtbaren Zustand. Er wies mehrere blaue Flecken und kleinere Schnittwunden auf, die sich über den gesamten Körper verteilten. Sein Gesicht war von Schwellungen übersät. Sie ging näher heran und stellte fest, dass ihm an beiden Händen mehrere Finger fehlten. Außerdem war das rechte Bein unnatürlich verformt.
Sowas habe ich schon einmal gesehen. Aber wo?
„Darf ich vorstellen. Dr. Charles Rockford, der Gerichtsmediziner.“
Wilkinson wies auf einen Mann mit grauen Haaren und Brille, der neben der Leiche stand. Er bedachte sie mit einem so offenen Lächeln, dass der grauenhafte Zustand der Leiche und die beklemmende Atmosphäre des Raumes etwas abgemildert wurden. Sie nickte ihm freundlich zu.
„Wir kennen uns bereits. Können Sie schon etwas über Todesursache und Todeszeitpunkt sagen?“
„Ich schätze mal, dass Agent Harden innerhalb der letzten zwei Stunden verstorben ist. Genaueres kann ich erst nach näherer Untersuchung sagen. Sein Körper weist sehr viele Wunden und Verletzungen auf. Allerdings kommt auf den ersten Blick keine davon als Todesursache in Frage. Es sieht eher so aus, als wäre er gefoltert worden.“
Gefoltert?
Er wandte sich an Wilkinson.
„Wenn man mir die Erlaubnis erteilt, kann ich die Leiche mitnehmen und Ihre Fragen in Kürze vollständig beantworten.“
Wilkinson wandte sich daraufhin an Mueller.
„Haben wir die Sicherung der Spuren und die Dokumentation der Leiche beendet?“
„Ja.“
Daraufhin nickte Wilkinson Dr. Rockford knapp zu, woraufhin dieser mit seinem Assistenten anfing Harden in einen Leichensack zu verfrachten, während sich die beiden Agenten wieder an sie wandten.
„Damit können wir nun zum Grund Ihrer Anwesenheit kommen, Agent Crane. Bitte richten Sie Ihren Blick auf die Wand hinter Ihnen.“
Etwas verwirrt drehte sie sich um und blickte auf die angesprochene Wand. Sie erstarrte noch in der Bewegung und spürte, wie ihre Knie weich wurden. Es kostete sie enorme Selbstbeherrschung, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Jemand hatte mit Blut einen Namen an die Wand geschrieben.
Was zur Hölle ist hier los?
„Elisabeth Crane“ war dort mit großen Buchstaben zu lesen. Langsam kehrte das Gefühl in ihren Körper zurück. Mit Mühe konnte sie ihren Blick von der Wand lösen und schaute zu Wilkinson herüber, dessen Blick etwas Fragendes hatte.
„Können Sie uns erklären, wie ihr Name an die Schlafzimmerwand eines toten Agenten kommt?“
Gedankenverloren schüttelte sie den Kopf.
Was hat das zu bedeuten?
„Am Telefon erwähnten Sie, dass Agent Harden ihr Partner war. Können Sie uns darüber mehr erzählen?“
„Wir haben früher zusammengearbeitet. Bevorzugt im Ausland.“
Ausland. Zusammengearbeitet.
In dem Moment wurde ihr der Zusammenhang schlagartig klar. Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken.
Ich hatte gehofft, dieser Tag würde niemals kommen.
Gedankenverloren zückte sie ihr Mobiltelefon und wollte abrupt den Raum verlassen, bevor sie realisierte, dass Wilkinson und Mueller sie anstarrten.
„Entschuldigen Sie mich für einen Moment. Ich muss telefonieren. Ich bin gleich wieder für Sie da.“
Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte sie aus dem Haus. Niemand hielt sie davon ab.
Hektisch blätterte Elisabeth das Telefonbuch ihres Telefons durch, bis sie auf die richtige Nummer stieß. Sie wählte. Nach dem dritten Klingeln wurde auf der anderen Seite wortlos abgenommen.
„Hallo, Sonny.“
„Hallo, Beth. Bist früh dran.“
„Es ist etwas passiert. Robert ist tot.“
Keine Reaktion.
„Er wurde gefoltert und umgebracht.“
Keine Reaktion.
„Ich denke die Vergangenheit holt uns ein.“
„Madrid?“
„Ja.“
„Wie kommst du darauf?“
„Die Art, wie er gefoltert wurde. Offenbar hatten sie Erfolg.“
„Warum?“
„Mein Name steht mit Blut an seiner Wand.“
„Warnung oder Falle?“
„Möglicherweise beides.“
„Was wirst du jetzt tun?“
„Die Sache beenden.“
„Allein?“
„Ja!“
„Keine gute Idee.“
„Kennst du eine Alternative?“
„Dich verschanzen und auf den Angriff vorbereiten.“
„Ist nicht meine Art.“
„Ich weiß, aber die wissen, wer du bist und werden Jagd auf dich machen.“
„Sollen sie es versuchen.“
„Kann dir jemand den Rücken freihalten?“
„Nein.“
„Wer untersucht den Fall?“
„David Wilkinson.“
„Kenne ich. Erfahrener Ermittler. Vielleicht kann er helfen.“
„Kann man ihm trauen?“
„Wahrscheinlich. Spiel mit offenen Karten.“
„Und dann?“
„Sehen wir, was passiert. In der Zwischenzeit schicke ich dir meine besten Leute zur Unterstützung.“
„Ich will dich nicht auch mit reinziehen.“
„Niemand außer dir weiß, dass ich damals beteiligt war. Solange dir nichts passiert, bin ich ebenfalls sicher. Wenn du mich brauchst, melde dich.“
„Danke, Sonny.“
„Viel Erfolg! Und Beth?“
„Ja?“
„Pass auf dich auf, okay?“
„Okay.“
Wilkinson erwartete sie direkt am Hauseingang. Wahrscheinlich hatte er sie keine Sekunde aus den Augen gelassen. Er kam ihr ein paar Schritte entgegen.
„Ich hätte noch ein paar Fragen an Sie.“
„Ich werde versuchen, alle zu beantworten.“
„Ich weiß bisher noch nicht viel über Sie, aber laut meinen Informationen leiten sie die hiesige Übersetzungseinheit.“
„Das ist korrekt.“
„Dann müssen wir darüber reden, wie ihr Name auf der Schlafzimmerwand eines toten Außenagenten gelandet ist?“
„Als Warnung oder um mich anzulocken.“
„Das müssen Sie mir erklären. In welcher Beziehung standen Sie zu Agent Harden?“
„Wir haben früher zusammengearbeitet.“
„Eine Expertin für Sprachen und ein Außenagent? Wie passt das zusammen?“
„Früher wurde ich bevorzugt im Ausland als Agentin eingesetzt. Bei einigen Aufträgen habe ich mit Agent Harden zusammengearbeitet.“
„Und wie kommen Sie darauf, dass sie jemand warnen oder anlocken will?“
„Vor relativ genau 20 Jahren hatte mein Team einen streng geheimen Auftrag in Madrid. Wir konnten ihn abschließen, aber am Ende traten Komplikationen auf. Ich vermute, dass dieser Auftrag der Auslöser für die heutigen Ereignisse darstellt.“
„Was war das für ein Auftrag?“
„Ich kann Ihnen keine Details nennen, aber es handelte sich um eine Liquidierungsmission.“
„Und worin besteht der Zusammenhang?“
„Im Zustand von Agent Hardens Leiche. Es ging damals ebenfalls um eine Serie von Foltermorden. Die Opfer zeigten ein ähnliches Verletzungsbild auf. Mehr kann ich Ihnen dazu nicht sagen.“
„Wer gehörte damals zu Ihrem Team?“
„Agent Harden, ich selbst und ein Agent namens Sonny.“
„Sonny?“
„Sein Deckname.“
„Und wie heißt er wirklich?“
„Das müssen Sie ihn schon selber fragen. Ich darf Ihnen keine weiteren Details mitteilen, aber Sie können die entsprechende Akte anfordern.“
Während des Gesprächs konnte sie beobachten, wie sich die von Wilkinson zur Schau gestellte Skepsis langsam auflöste.
Wir sind auf einem guten Weg.
„Aber die Sache mit Ihrem Namen kann ich mir immer noch nicht erklären.“
„Wir operierten damals mit Decknamen und falschen Identitäten. Offenbar ist es dennoch jemandem gelungen, Harden ausfindig zu machen. Daraufhin schickte man einen Experten zu ihm, um die Namen der restlichen Teammitglieder herauszufinden. Die Wand sagt mir, dass sie teilweise erfolgreich waren.“
„Warum sollte man Sie extra warnen?“
„Möglich, dass es ein Versuch war, mich herzulocken. Die hatten bisher nur meinen Namen. Wenn die das Haus noch beobachten, haben sie jetzt auch das passende Gesicht dazu.“
Wilkinson wurde blass.
„Dann müssen wir Sie unter Personenschutz stellen.“
„Sind Ihre Männer einer derartigen Aufgabe gewachsen?“
„Meine Männer sind alle hervorragend ausgebildet!“
„Ich kenne Sie erst seit heute und Ihre Männer überhaupt nicht. Daher fällt es mir schwer, mich vertrauensvoll in Ihre Obhut zu begeben. Außerdem kann ich sehr gut auf mich selbst aufpassen.“
„Darüber können wir später noch streiten. Wir begleiten Sie zunächst zu Ihrem Büro und überlegen, wie wir weiterverfahren.“
Resignierend zuckte Elisabeth mit den Schultern, drehte sich um und ging zu ihrem Wagen. Wilkinson wandte sich an Mueller.
„Sie fahren mit Agent Crane. Ich werde Ihnen Unterstützung schicken. Bis dahin lassen Sie sie keine Sekunde mehr aus den Augen!“
Mueller nickte und folgte ihr. Er erreichte ihren Wagen und schaffte es geradeso, auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, als Elisabeth schon davonpreschte. Wilkinson blieb zurück und sah sich die Nachbarschaft an. Allerdings konnte er nichts Verdächtiges feststellen. Das Gegenteil hätte ihn auch überrascht. Er wartete, bis der Gerichtsmediziner abgefahren war, bevor er sich ebenfalls mit seiner Limousine zum hiesigen FBI-Büro aufmachte.
Auf dem Weg ins Büro reizte Elisabeth das Tempolimit auf dem San Diego Freeway über das Erlaubte aus. Angespannt beobachtete sie den nachfolgenden Verkehr, konnte aber keine Verfolger oder sich auffällig verhaltende Verkehrsteilnehmer ausmachen. Bei der Geschwindigkeit hätten potentielle Jäger es ohnehin sehr schwer gehabt. Mueller schien sich sichtbar unwohl zu fühlen. Er rutschte immer wieder auf dem Beifahrersitz hin und her. Je weiter sie sich vom Tatort entfernten, desto ruhiger wurde sie. Ohne, dass einer von beiden ein Wort gesprochen hatte, kamen sie am Büro an. Sie stellte ihren Wagen auf ihrem Parkplatz ab. Danach betraten sie zusammen das Hauptgebäude und einen der Fahrstühle, ohne ein weiteres Wort zu sprechen. Sie führte Mueller in ihr Büro und bot ihm einen Stuhl an. Sie selbst nahm in einem bequem aussehenden schwarzen Bürostuhl Platz, der zwischen dem großen, braunen Schreibtisch und dem Fenster positioniert war. Normalerweise würde sie jetzt zunächst ihre ungelesenen E-Mails und in ihrem Kalender den heutigen Tagesplan durchgehen. Daran war im Moment allerdings nicht zu denken.
Was mache ich jetzt? Wo fange ich an?
Unauffällig warf sie einen Blick in Richtung Mueller, der sich sehr ausgiebig im Raum umsah, ohne das leiseste Geräusch von sich zu geben. Er betrachtete die Aktenschränke, die sich links und rechts an den Wänden befanden, bevor er die Fensterfront musterte, aus der man einen großartigen Blick auf die Umgebung hatte.
Scheint nicht sehr gesprächig zu sein.
Langsam spürte sie, wie sich Müdigkeit in ihrem Körper ausbreitete. Daher beschloss sie, sich am nächstgelegenen Automaten einen Kaffee zu holen. Sie erhob sich von ihrem Stuhl und schlenderte in Richtung Tür. Auf halbem Weg hielt sie inne und wandte sich an Mueller, der sie nicht zu beachten schien.
„Möchten Sie einen Kaffee?“
Scheinbar war er in Gedanken versunken, denn er schreckte kurz auf, um nach kurzer Verwirrung eifrig den Kopf zu schütteln.
Dann eben nicht.
Sie verließ das Büro und ging in die nahegelegene Küchenecke. Außer ihr ließ sich niemand im Gang blicken, was ihr aktuell ganz recht war. Sie ließ sich vom Automaten einen Kaffee einschenken und ging zurück in ihr Büro. Mueller saß nach wie vor wortlos auf seinem Platz. Sie setzte sich wieder hinter den Schreibtisch und musterte ihn erneut.
Ob ich ihn nervös mache?
Sie wollte gerade das Schweigen brechen, als es an der Tür klopfte und Wilkinson eintrat.
„Haben Sie hier in der Nähe eine Art Konferenzraum, in dem wir die Lage besprechen können?“
„Ja, direkt nebenan.“
Elisabeth erhob sich von ihrem Platz und gab den Agenten wortlos zu verstehen, dass sie ihr folgen sollten. Sie bog im Gang links ab und öffnete die zweite Tür auf der linken Seite. Zu dritt betraten sie den Konferenzraum, der durch eine große Fensterfront sehr hell und einladend wirkte. In der Mitte des Raumes stand ein großer ovaler Tisch, um den zehn bequem aussehende Stühle positioniert waren. Alle drei nahmen direkt nebeneinander Platz. Wilkinson breitete die Dokumentation des Tatorts aus und zusammen begannen sie den Hergang des Mordes zu rekonstruieren. Im Wohnzimmer des Opfers hatte man neben dem Sessel ein halbvolles Whiskeyglas nebst geöffneter Flasche entdeckt. Der Fernseher lief, als die Polizisten eintrafen. Daher konnte angenommen werden, dass sich Agent Harden zum Zeitpunkt des Überfalls in seinem Wohnzimmer aufhielt. Sowohl das Fenster zum Schlafzimmer als auch die Fenster in Küche und Badezimmer wiesen Einbruchspuren auf. Letztere wurden professionell mit einem Glasschneider geöffnet, während ein Teil des Schlafzimmerfensters einfach eingeschlagen wurde. Wilkinson runzelte verwundert die Stirn.
„Drei Fenster, demzufolge waren es wahrscheinlich drei Einbrecher. Aber warum riskiert man den Überraschungseffekt einzubüßen, indem man ein Fenster einschlägt, wenn man einen Glasschneider parat hat.“
Elisabeth drehte ihren Kopf in seine Richtung.
„Möglicherweise zur Ablenkung?“
„Wie meinen Sie das?“
„Man schlägt das Schlafzimmerfenster ein und steigt durch die vorher mit dem Glasschneider geöffneten Fenster in Küche und Bad. Harden hört das Klirren der Scheibe und bewegt sich in Richtung Schlafzimmer, wodurch er die Einbrecher aus Küche und Bad plötzlich in seinem Rücken hat.“
„Das würde Sinn ergeben. Sind es vielleicht doch nur zwei Täter?“
„Möglich wäre es.“
Eine weitere interessante Entdeckung hatten die Ermittler im Hausflur gemacht. Dort war eine Blutlache zu sehen, deren Form darauf schließen ließ, dass jemand darin gelegen hatte. Wieder ergriff Wilkinson das Wort.
„Die Menge an Blut und dessen Form passt nicht zu Hardens Verletzungen. Daher haben wir vielleicht Glück und er hat einen der Einbrecher erwischt. Dann hätten wir eine Spur.“
„Wir sollten Dr. Rockford aufsuchen.“
„Ich habe ihm meine Nummer gegeben. Er wird sich melden, sobald er seine Untersuchungen abgeschlossen hat. Wir sollten uns zunächst über unser weiteres Vorgehen abstimmen.“
„Was meinen Sie?“
„Welche Maßnahmen zu Ihrem Schutz veranlasst werden sollen.“
Elisabeth rollte mit den Augen.
Großartig.
„Sie werden sich wahrscheinlich nicht von mir abhalten lassen, oder?“
„Nein. Ihre Sicherheit hat oberste Priorität. Ein toter Agent ist mehr als genug.“
Mit offenen Karten spielen, hat Sonny gesagt. Na dann.
Elisabeth holte tief Luft, bevor sie das Wort erneut ergriff.
„Ich will ehrlich sein. Ich werde in der Sache nicht die Füße stillhalten, warten und hoffen, dass Sie Fortschritte machen. Versuchen Sie nicht, mich daran zu hindern.“
Wilkinson seufzte.
„Ich verstehe. Wir machen einen Deal. Ich werde Ihnen keine Steine in den Weg legen, wenn Sie mich regelmäßig über Fortschritte informieren. Aber ich kann Sie nicht allein lassen und gebe Ihnen zwei meiner Agenten mit.“
Super. Babysitter.
Elisabeth verzog kurz das Gesicht, nickte allerdings zustimmend. Wilkinson wirkte sichtbar erleichtert. Er zog sein Telefon aus der Innentasche seines Jacketts, drückte mehrere Male auf das Display und hielt es sich ans Ohr.
„Ihr könnt jetzt reinkommen.“
Dann legte er auf und verstaute das Telefon wieder in seiner Tasche. In dem Moment klopfte es an der Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, betraten zwei Männer den Raum. Beide waren groß und kräftig gebaut, hatten kurze, dunkle Haare und trugen dunkle Anzüge. Wilkinson wandte sich an Elisabeth und wies mit der rechten Hand in Richtung der Neuankömmlinge.
„Darf ich vorstellen. Das sind die Agenten Franklin Houser und Liam McNeill. Sie werden ab jetzt für Ihre Sicherheit sorgen, sobald Sie das Haus verlassen.“
Sehr unauffällige Sicherheitsmaßnahmen.
„Beide sind nicht sonderlich gesprächig und solange Sie sich nicht ständig umdrehen, werden Sie gar nicht merken, dass die zwei überhaupt da sind.“
Daraufhin machte er eine Handbewegung in Richtung der Agenten, woraufhin diese den Raum wieder verließen. Danach wandte er sich an Mueller.
„Haben wir noch etwas am Tatort gefunden?“
Mueller schüttelte den Kopf.
„Dann ziehen wir uns jetzt zurück und ich gebe Ihnen Bescheid, sobald Dr. Rockford fertig ist.“
Die drei Agenten erhoben sich. Mueller sammelte die Dokumentation des Tatorts zusammen. Erleichtert verabschiedete sich Elisabeth vorläufig von den beiden Männern und verließ den Raum. Rechts und links neben der Tür hatten Houser und McNeill Position bezogen und folgten ihr, als sie sich in Richtung Büro aufmachte. In dem Moment spürte sie Müdigkeit in ihrem Körper aufsteigen. Daher machte sie einen Zwischenstopp bei ihrer persönlichen Assistentin.
„Hallo Anna.“
„Guten Morgen, Agent Crane.“
Förmlich wie immer.
„Der Tag war bisher sehr ereignisreich. Ich möchte nicht gestört werden, bis Agent Wilkinson sich wieder meldet.“
Ohne eine Entgegnung abzuwarten, verließ Elisabeth den Raum und betrat ihr eigenes Büro. Houser und McNeill blieben rechts und links von der Tür stehen. Sie schloss die Tür von innen ab. Erschöpft bewegte sie sich zu ihrem Schreibtischstuhl, in den sie sich kraftlos fallen ließ. Sie ließ ihre Augen zufallen und während sie noch an Robert, Sonny und die Ereignisse des heutigen Tages nachdachte, schlief sie langsam ein.
Sie wurde vom plötzlich einsetzenden Klingeln ihres Telefons unsanft aus dem Schlaf gerissen. Verwirrt schaute sie auf die Uhr und stellte fest, dass sie mehrere Stunden geschlafen hatte. Sie nahm den Hörer ab.
„Crane.“
„Wilkinson hier. Dr. Rockford wäre soweit, um uns die vorläufigen Ergebnisse zu präsentieren. Wir treffen uns bei ihm in zehn Minuten.“
Bevor sie irgendetwas erwidern konnte, wurde am anderen Ende aufgelegt. Sie stand auf, zog die unterste Schublade ihres Schreibtisches auf und nahm einen kleinen Handspiegel heraus. Sie betrachtete kurz ihr Gesicht, um zu der Erkenntnis zu gelangen, dass sie noch annehmbar aussah. Anschließend verstaute sie den Spiegel wieder, erhob sich von ihrem Stuhl und verließ ihr Büro. Houser und McNeill hatten es sich im Vorzimmer auf Sesseln gemütlich gemacht und erhoben sich wortlos, um ihr auf ihrem Weg zu folgen. Sie bog nach links ab, um am Ende des Ganges in den Fahrstuhl zu steigen. Ihre Bewacher folgten ihr. Ohne Zwischenhalt fuhren sie in den Keller. Elisabeth verließ den Fahrstuhl und betrat die Leichenhalle durch den Eingang auf der rechten Seite. Ihre Bewacher blieben draußen stehen. Die Halle war ungefähr zehn Meter lang und fünf Meter breit. Auf der linken Seite befanden sich zwölf metallische Kühlfächer, in denen die Leichen gelagert wurden, während in der Raummitte zwei Obduktionstische standen. Allerdings war der Raum groß genug, um zur Not weitere unterzubringen. Um den hinteren Tisch standen bereits Wilkinson, Mueller, Dr. Rockford und einer seiner Assistenten. Sie bewegte sich zielstrebig auf den Tisch zu und wandte sich zunächst an Wilkinson.
„Sehr gesprächig Ihre beiden Kollegen. Ich vergesse beinahe, dass sie überhaupt da sind.“
Wilkinson zuckte nur mit den Schultern.
„Sie werden nicht fürs Reden bezahlt."
Dann richtete Elisabeth ihre Aufmerksamkeit dem Tisch zu, auf dem die Leiche von Robert Harden aufgebahrt lag.
„Doc, was haben Sie für uns?“
„Womit soll ich anfangen?“
„Wie wäre es mit Todesursache und Todeszeitpunkt?“
„Natürlich. Agent Harden verschied zwischen drei und vier Uhr an akutem Herzversagen. Wahrscheinlich eine Folge der massiven Folterungen, denen er ausgesetzt war.“
„Was haben die alles mit ihm angestellt?“
„Sämtliche Wunden, die sie hier sehen können, wurden ihm zugefügt, während er noch lebte. Zunächst weist sein gesamter Körper mehrere Hämatome auf und im Gesicht hat er mehrere Brüche erlitten. Den Spuren zu urteilen, wurde mehrmals auf ihn eingeschlagen. Weiterhin wurden ihm mit einer sehr scharfen Klinge zwanzig Schnittverletzungen zugefügt, die jeweils im Zweierpaar kreuzförmig über seinen Körper verteilt sind.“
Dabei wies er auf eine dieser Verletzungen am Oberkörper. Ein Schnitt verlief senkrecht durch die Haut und wurde in der Mitte von einem waagerechten Schnitt gekreuzt. Elisabeth schätzte, dass beide ungefähr zehn Zentimeter lang waren.
Wie damals.
Wilkinson und vor allem Mueller verzogen angewidert das Gesicht, doch Dr. Rockford schien dies nicht zu bemerken und fuhr mit seinen Ausführungen fort.
„Bemerkenswert ist, dass in den Wunden kleine Baumwollfasern gefunden wurden. Wahrscheinlich hat man die Wunden abgedeckt, um zu hohen Blutverlust zu verhindern. Das erklärt auch, warum die Leiche trotz der zahlreichen Wunden relativ sauber war.“
Genau wie damals.
„Außerdem wurde ihm das rechte Schien- und Wadenbein gebrochen. Vermutlich mit einem Hammer oder ähnlichem Werkzeug. Am Ende wurden ihm noch drei Finger der rechten und zwei Finger der linken Hand abgetrennt. Aufgrund der Wundränder würde ich vermuten, dass dies mit einer Zange geschah. Das war schließlich zu viel für Agent Hardens Herz und es versagte seinen Dienst. Das hat ihm wahrscheinlich weitere Qualen erspart. Es wäre auch nur noch eine Frage der Zeit gewesen, bis er aufgrund der vielen Verletzungen verblutet wäre.“
„Was ist mit dem Blut an der Wand?“
„Das gehört relativ eindeutig zu Agent Harden. Ich vermute, dass der oder die Täter das Blut aus den Wunden der abgetrennten Finger aufgefangen haben.“
Wilkinsons Gesichtsausdruck wechselte langsam von Ekel zu Wut, während Mueller so aussah, als würde er krampfhaft versuchen, seinen Mageninhalt bei sich zu behalten.
„Weist sein Körper irgendwelche Spuren auf, durch die man Rückschlüsse auf den oder die Täter ziehen könnte?“
Natürlich nicht.
Dr. Rockford seufzte, bevor er zur Antwort ansetzte.
„Da muss ich sie leider enttäuschen. An Agent Harden haben wir keine Spuren von anderen Personen entdecken können. Darauf scheinen die Täter sehr genau geachtet zu haben.“
Dann begann er plötzlich leicht zu lächeln.
„Mit seiner Wohnung verhält es sich allerdings ein wenig anders.“
Überraschung machte sich auf den Gesichtern der Agenten breit. Auch auf Elisabeths.
„Was meinen Sie?“
„Nun. Grundsätzlich waren in der Wohnung ebenfalls keine Spuren wie Fingerabdrücke oder ähnliches erkennbar, aber erinnern Sie sich an die Blutspur im Flur des Hauses?“
Er wartete kurz, bis Wilkinson und Mueller erkennbar und ungeduldig mit dem Kopf nickten.
„Dieses Blut stammt jedenfalls nicht von Agent Harden.“
„Also hat er einen der Täter tatsächlich erwischt.“
„Es sieht ganz danach aus. Dafür sprechen auch die Schmauchspuren an seiner rechten Hand.“
„Haben Sie die DNA-Spuren durch die Datenbank geschickt?“
„Das habe ich. Und wir haben einen Treffer. Folgen Sie mir bitte.“
Daraufhin drehte er sich um, ging zum Schreibtisch in der Ecke und schaltete den Monitor an. Die Agenten folgten ihm und beobachteten, wie auf dem Bildschirm das Foto eines Mannes erschien.
„Sein Name ist Kenneth Munson. Wenn Sie allerdings mehr über ihn herausfinden möchten, müssen Sie dies selbst übernehmen, denn hier endet mein Zuständigkeitsbereich.“
Wilkinson drehte sich in Richtung seines Kollegen um.
„Mueller. Sie finden alles über diesen Munson heraus, was unsere Datenbanken hergeben. Ich will alles wissen. Verstanden?“
„Verstanden!“
Daraufhin bewegte sich Mueller zügig in Richtung Ausgang und verließ die Leichenhalle. Wilkinson wandte sich daraufhin wieder an Dr. Rockford.
„Aber was ich nicht verstehe, ist, warum die Täter so akribisch versuchen, keine Spuren zu hinterlassen, um uns diesen Hinweis auf dem Präsentierteller zu hinterlassen. Und wo ist die Leiche?“
Da Dr. Rockford schwieg, ergriff Elisabeth das Wort.
„Möglicherweise lebt Munson ja noch. Und selbst wenn nicht. Hätte man seine Leiche am Tatort gefunden, wäre man sofort auf seine Identität gestoßen. So mussten wir erst auf die Ergebnisse der DNA-Analyse warten. Vielleicht brauchten die Täter noch Zeit, um alle Spuren, die sie mit Munson in Verbindung bringen können, zu vernichten.“
„