Sophienlust 133 – Familienroman - Bettina Clausen - E-Book

Sophienlust 133 – Familienroman E-Book

Bettina Clausen

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Beschreibung

Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Die beiden sind echte Identifikationsfiguren. Dieses klare Konzept mit seinen beiden Helden hat die zu Tränen rührende Romanserie auf ihren Erfolgsweg gebracht. Justus putzte umständlich seine Brille und setzte sie dann wieder auf die Nase. Danach blickte er die beiden Mädchen an und bat: "Aber ihr müsst gut auf die Kaninchen aufpassen." Dabei sah er hauptsächlich Pünktchen an. "Du brauchst keine Angst zu haben", erwiderte das Mädchen mit den langen rotblonden Haaren und den blauen Augen, wobei sich die mit Sommersprossen übersäte Nase leicht krauste. "Ich pass auch gut auf sie auf, Justus", versprach das sehr viel kleinere Mädchen mit den hellblonden Rattenschwänzchen eifrig. "Ich muss doch aufpassen, weil es ja meine Häschen sind." "Ja, es sind deine Häschen." Justus schmunzelte. "Aber weil du sie mir in Pflege gegeben hast, trage ich die Verantwortung für sie."

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Sophienlust –133–

Wie das Schicksal es fügt

Ein Geschwisterpaar in großen Turbulenzen

Roman von Bettina Clausen

Justus putzte umständlich seine Brille und setzte sie dann wieder auf die Nase. Danach blickte er die beiden Mädchen an und bat: »Aber ihr müsst gut auf die Kaninchen aufpassen.« Dabei sah er hauptsächlich Pünktchen an.

»Du brauchst keine Angst zu haben«, erwiderte das Mädchen mit den langen rotblonden Haaren und den blauen Augen, wobei sich die mit Sommersprossen übersäte Nase leicht krauste.

»Ich pass auch gut auf sie auf, Justus«, versprach das sehr viel kleinere Mädchen mit den hellblonden Rattenschwänzchen eifrig. »Ich muss doch aufpassen, weil es ja meine Häschen sind.«

»Ja, es sind deine Häschen.« Justus schmunzelte. »Aber weil du sie mir in Pflege gegeben hast, trage ich die Verantwortung für sie.«

»Ich weiß, lieber Justus.« Schelmisch lächelte Heidi den alten Mann an. »Du hast doch auch das schöne Häuschen für die Kaninchen gezimmert.«

Pünktchen, die bereits ins Gymnasium ging, stellte den Weidenkorb auf den Boden und öffnete den Stall. Die beiden weißen Kaninchen mit den rosa Ohrmuscheln waren sehr zutraulich. Sie beschnupperten Pünktchens Hände und ließen sich dann ohne weiteres von ihr in den Korb setzen.

»Wir bringen sie auf die Wiese hinter dem Herrenhaus«, sagte Pünktchen zu dem alten Mann. »Dort gibt es den saftigsten Löwenzahn.«

»Ich weiß, Pünktchen.« Der ehemalige Verwalter von Sophienlust, der seinen Lebensabend hier verbrachte, war sehr kinderlieb und freute sich über jeden Besuch der Kinder. Er hatte sich in diesem alten Schuppen eine Werkstatt eingerichtet und ersetzte durch seine geschickten handwerklichen Arbeiten manchen Handwerker im Kinderheim Sophienlust. Auch reparierte er oft das Spielzeug der Kinder. Neulich erst hatte er die elektrische Eisenbahn wieder in Ordnung gebracht. Die Kinder waren darüber sehr froh gewesen, denn das Eisenbahnzimmer mit der umfangreichen elektrischen Eisenbahn war ein Anziehungspunkt für jung und alt.

Daran dachte der alte Mann, als er den beiden Mädchen nachschaute. Gemeinsam trugen sie den Korb mit den Kaninchen. Dann aber wandte sich Justus wieder seiner Arbeit zu. Im Moment zimmerte er ein Puppenbettchen für Heidi, seinen kleinen Liebling. Die Kleine hatte ihn darum gebeten.

»Ich bin wirklich froh, dass heute Samstag ist«, sagte Pünktchen jetzt zu Heidi. »Die ersten Schultage nach den Sommerferien schmecken immer schlecht.«

»Dabei dachte ich, du würdest gern in die Schule gehen«, wunderte sich Heidi.

»Das kommt darauf an. Manchmal macht es mir Spaß, aber oft würde ich lieber in Sophienlust bleiben.«

»Ich freue mich auf die Schule«, erklärte Heidi mit glänzenden Augen.

»Na ja, du hast noch gut zwei Jahre Zeit. Sei froh, dass es noch nicht so weit ist, Heidi.«

»Aber ich kann schon ein paar Buchstaben lesen«, behauptete die Kleine stolz.

»Ich weiß. Und rechnen kannst du doch auch schon. Sag mir, wie viel eins und eins ist.«

»Oh, das ist doch ganz einfach. Ein Kaninchen und noch ein Kaninchen sind zwei Kaninchen«, rechnete Heidi auf ihre Art laut.

»Das stimmt.« Pünktchen lachte. »So, wir setzen die Kaninchen hier auf den Rasen. Da steht der meiste Löwenzahn. Pass aber auch gut auf die beiden auf. Nick möchte mit mir Tischtennis spielen. Er holt eben zusammen mit Fabian die Tischtennisplatte aus dem Keller herauf.«

»Ich pass schon auf.« Heidi lächelte glücklich. »Ich setze mich neben die Häschen ins Gras. Weil ich doch die alten Jeans anhabe.«

»Gut, Heidi. Es ist heute sehr warm, und der Boden ist auch ganz trocken.« Pünktchen ließ die Kleine allein, um Nick beim Aufstellen des Pingpongtisches zu helfen.

Nick spannte danach das Netz und gab Pünktchen einen Tischtennisschläger. »Also, auf in den Kampf«, sagte er lachend.

»Lass mich auf dieser Seite stehen, damit ich Heidi und ihre Kaninchen im Auge habe«, bat das Mädchen. »So, wir können anfangen.«

Auch die anderen Kinder genossen den ersten freien Samstag nach den großen Ferien und tollten im Park von Sophienlust herum. Ihre fröhlichen Stimmen schallten bis zu den beiden.

»Eigentlich ist es schön, dass wir jetzt wieder weniger sind«, meinte Pünktchen und schlug den Tischtennisball zurück.

»Findest du?« Nick, der große Junge mit gelockten dunklen Haaren und den dunklen Augen, verfehlte keinen einzigen Ball. »Pass doch auf!«, rief er. »Es steht schon sechs zu null für mich. Wenn du so weitermachst, dann kommst du in den Schneider.«

»Und wenn schon!« Pünktchen war in dieser Beziehung nicht sehr ehrgeizig. Natürlich freute sie sich, wenn sie gewann – besonders dann, wenn es ihr gelang, Nick zu schlagen. Allerdings war sie bei ihm nie ganz sicher, ob er sie nicht absichtlich gewinnen ließ. Denn Nick war sehr sportlich und beherrschte fast jede Sportart meisterlich.

»Wie ich sehe, hast du keine große Lust zum Spielen«, meinte er, als er das Mädchen elf zu null besiegt hatte.

Pünktchen zuckte plötzlich zusammen und schrie: »Nick, schnell, ruf Anglos zurück. Du weißt doch, dass die Dogge Kaninchen und Hasen jagt. Um Gottes willen, ruf doch schon!«

»Anglos! Hierher!«, schrie Nick.

Seine laute Stimme bannte den großen schwarzen Hund auf den Fleck. Trotzdem schielte er noch immer zu Heidi und den Kaninchen hin. Dann bellte er laut und drohend.

»Komm sofort zu mir!«, befahl Nick.

Nur widerwillig trottete die Dogge auf ihn zu. Im gleichen Augenblick kam Fabian die Freitreppe des Herrenhauses heruntergerannt. »Anglos! Sei brav!«, rief er seinem Hund zu.

Heidi jedoch schrie gellend auf, als ihre beiden Kaninchen, erschrocken durch das laute Bellen, plötzlich davonsprangen. »Rosenrot! Schneeweißchen!«, rief sie entsetzt und lief, so schnell sie ihre kurzen Beine trugen, hinter ihren Lieblingen her, die auf das offene Parktor zuliefen.

Fabian hielt seine Dogge am Halsband fest, sodass Nick hinter Heidi her rennen konnte. »Bleib stehen!«, rief er. »Heidi, zurück!« Denn er hörte ein Auto kommen. Das Schlimme war, dass die Autofahrer zu glauben schienen, die Straße vor dem Kinderheim sei eine Rennstrecke.

Aber Heidi hörte Nick nicht einmal. Sie dachte nur an ihre beiden Kaninchen, die nun in großen Sprüngen über die Straße setzten und auf der gegenüberliegenden Seite im Unterholz verschwanden.

Heidi stolperte, und das war ihre Rettung. Denn sonst wäre sie in den Lastwagen hineingelaufen. So aber erwischte Nick sie am Arm und riss sie zurück, während der Lastwagen im gleichen unvorschriftsmäßigen Tempo weiterfuhr.

Heidi begriff gar nicht, dass sie eben in Lebensgefahr geschwebt hatte. »Rosenrot! Schneeweißchen!«, rief sie immer wieder und wollte sich von Nick losreißen.

»So sei doch vernünftig«, beschwor der große Junge sie. »Wir finden die Kaninchen bestimmt wieder.« Er musste die Kleine mit aller Kraft festhalten, denn sie entwickelte erstaunliche Kräfte.

Heidis Geschrei hatte die Kinderschwester und die Heimleiterin alarmiert.

»Um Gottes willen, was ist denn geschehen?«, fragte Frau Rennert, als sie aus dem Haus trat und die Kinder alle vor dem Parktor stehen sah.

Schwester Regine lief schon die Stufen der Freitreppe hinunter. »Ist Heidi etwas geschehen?«, rief sie den Kindern zu.

»Heidi ist fast überfahren worden«, sagte Pünktchen mit bebenden Lippen. »Nick hat sie im letzten Augenblick zurückgerissen. Mir ist vor Angst ganz schlecht geworden«, fügte sie hinzu. Noch immer war sie ganz weiß um die Nase herum.

»Wie konnte das geschehen?« Auch die Kinderschwester war blass geworden.

»Sie hat mit ihren Häschen auf der Wiese gespielt. Aber Anglos hat die Kaninchen erschreckt, sodass sie durch das Tor und über die Straße liefen«, erzählte Nick.

»Schwester Regine, meine Häschen sind fort. Sie sind in den dunklen Wald gelaufen. Bestimmt kommt der böse Wolf und frisst sie auf. Bitte, bitte, ich möchte meine Häschen wiederhaben.«

»Wir werden sie finden, mein Liebling. Ganz gewiss werden wir sie finden«, versuchte die Kinderschwester das aufgeregte Kind zu beruhigen und hob es hoch. »Du musst nur zu weinen aufhören.« Noch saß ihr der Schreck in den Gliedern. Allein schon der Gedanke, dass das kleine Mädchen tot sein könnte, entsetzte sie so sehr, dass ihr ein eisiger Schauer über den Rücken lief.

Heidi umklammerte den Hals von Schwester Regine und schmiegte ihr tränennasses Gesichtchen an deren Wange.

»Nicht wahr, sie werden nicht aufgefressen?«, fragte sie mit großen erschrockenen Augen.

»Wir werden die Häschen suchen«, erklärte Nick und sah die Kinder an. »Sofort schwärmen wir nach allen Seiten aus. Kaninchen werden schnell müde. Wir werden sie einkreisen und in die Enge treiben.«

»Sie sind sehr zahm, Nick«, meinte Pünktchen. »Ich glaube, wir brauchen nicht so drastisch vorzugehen. Sobald wir sie entdeckt haben, werde ich sie locken.«

»Gut, Pünktchen«, lobte Nick. »Aber zuerst müssen wir wissen, wo sie sich versteckt haben. Anglos hat sie sehr erschreckt.«

Fabian, der ebenfalls zu den Dauerkindern von Sophienlust gehörte, wischte sich heimlich die Tränen aus den Augenwinkeln fort. »Ich wusste doch nicht, dass die Kaninchen draußen sind. Sonst hätte ich Anglos nicht hinausgelassen. Ich kenne doch seine Schwäche.«

»Ist schon gut, Fabian.« Nick war sehr feinfühlig und spürte, wie sehr der Junge litt. »Wir fangen die Häschen schon wieder ein. Also kommt!«

»Ich begleite euch«, sagte Schwester Regine und stellte Heidi wieder auf den Boden. Dann nahm sie die Kleine an die Hand und schloss sich den Kindern an, deren Anführer Nick war.

Auch Wolfgang Rennert, der Musik- und Zeichenlehrer des Kinderheims Sophienlust, war aus dem Haus gekommen, um nachzusehen, was los war.

Frau Rennert, seine Mutter, erzählte es ihm. »Ich verstehe nur nicht, weshalb das Tor offensteht«, fügte sie hinzu.

»Sicherlich haben es die Kinder aufgemacht«, meinte er. »Frau von Schoenecker hatte vorhin angerufen. Sie muss jeden Augenblick mit Henrik zusammen von Schoeneich herüberkommen. Deshalb werden die Kinder wohl das Tor geöffnet haben.« Seine grauen Augen richteten sich ernst auf seine Mutter. »Ich werde die Kinder, sobald sie die Kaninchen eingefangen haben, in den Zeichensaal rufen, um ihnen einen Vortrag über die Gefahren auf den Landstraßen zu halten. Die Zahl der im Straßenverkehr tödlich verunglückten Kinder ist im letzten Jahr erschreckend angestiegen. Gerade vor ein paar Tagen habe ich eine Statistik darüber gelesen.«

»Das halte ich für sehr gut, Wolfgang.« Frau Rennert wurde nun allmählich ruhiger.

»Ich werde mich auch an der Suche nach Heidis Kaninchen beteiligen«, erklärte der Hauslehrer. »Die Kleine wäre untröstlich, wenn einem von ihnen etwas zustoßen würde. Wo steckt denn Barri? Er ist ein guter Spürhund und weiß vor allen Dingen, worauf es ankommt. Auch fürchten sich die Häschen nicht vor ihm.«

»Das ist wahr. Unser Bernhardiner ist ein Schatz. Ich glaube, er ist eben mit dem Esskorb zu Justus gelaufen, um ihm das zweite Frühstück zu bringen.«

Wolfgang Rennert schlug die Richtung zum Schuppen ein. Auf halbem Weg kam ihm der mächtige Bernhardiner entgegen. »Barri, es gibt Arbeit für dich«, sagte Wolfgang Rennert. »Rosenrot und Schneeweißchen sind fort. Komm, wir kehren noch einmal um, damit du an dem Kaninchenstall schnuppern kannst, um zu verstehen, worauf es ankommt.«

Der alte Justus ließ sofort seine Arbeit im Stich, als er von dem Verschwinden der Kaninchen erfuhr, und schloss sich dem Hauslehrer an.

Es war tatsächlich Barri, der die beiden Kaninchen unter einem Brombeerstrauch aufstöberte. Pünktchen, die den Weidenkorb mitgenommen hatte, stellte ihn nun auf den Boden. Die Häschen kamen sogleich angehoppelt und ließen sich in den Korb hineinsetzen.

»Sie scheinen nicht viel von Freiheit zu halten«, stellte Wolfgang Rennert fest.

»Es geht ihnen ja auch gut«, erwiderte Schwester Regine. Dabei beobachtete sie die kleine Heidi, deren rundes Gesichtchen jetzt vor Seligkeit mit der Sonne um die Wette strahlte.

Zufrieden, dass dieses Abenteuer so gut ausgegangen war, kehrten alle ins Herrenhaus zurück.

Inzwischen war auch Denise von Schoenecker mit ihrem jüngsten Sohn Henrik in Sophienlust eingetroffen. Sie wurde totenblass, als man ihr erzählte, dass Heidi fast in ein Auto gelaufen wäre.

»Frau Rennert, ich bitte Sie von ganzem Herzen, in Zukunft unbedingt darauf zu achten, dass das Tor immer zu ist«, bat sie eindringlich.

Henrik, ein echter Lausbub mit einem meist etwas wilden Haarschopf und fröhlichen grauen Augen sagte: »Schade, dass ich nicht da war. Ich hätte ebenso gehandelt wie Nick.«

»Davon bin ich überzeugt, mein Junge«, erwiderte Denise, die sehr stolz auf Nicks Heldentat war.

»Sie kommen!«, rief Frau Rennert. »Und wenn ich mich nicht täusche, haben sie die Kaninchen eingefangen. Ja, sie sitzen im Korb.« Dann erzählte sie Denise, was ihr Sohn vorhatte.

»Das ist eine gute Idee.« Denise nickte. »Bis zum Mittagessen ist es noch eine gute Stunde. Ich werde Ihren Sohn bitten, den Vortrag sogleich zu halten.«

Henrik schob die Unterlippe vor. »Ach, Mutti, heute haben wir doch schulfrei. Es ist unser erster freier Samstag nach den Sommerferien. muss ich auch dabei sein?«

»Selbstverständlich, Henrik. Du bist genauso gefährdet wie die anderen Kinder. Es schadet nichts, wenn ihr wisst, wie ihr euch auf der Straße zu verhalten habt. Ich finde es nur unerhört, dass der Lastwagen nicht einmal angehalten hat. Dabei ist das Schild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung doch groß genug. Zu dumm, dass niemand die Autonummer aufgeschrieben hat«, bedauerte Denise. »Mein Mann hätte bestimmt Anzeige gegen den Fahrer erstattet.«

»Ja, das hätte Vati ganz bestimmt getan«, beteuerte Henrik und lief den Kindern entgegen. »Nick, toll, dass du Heidi das Leben gerettet hast«, sagte er burschikos zu seinem Bruder.

»Nicht der Rede wert«, wehrte Nick bescheiden ab. »Das ist doch selbstverständlich. Jeder andere an meiner Stelle hätte ebenso gehandelt.« Es schien ihm peinlich zu sein, dass man ihn deswegen so in den Himmel hob.

Heidi lief hinter dem alten Justus her, der nun den Korb mit den Kaninchen trug. Auch Barri trottete neben ihnen her. Denn in gewisser Weise war auch er der Held des Tages.

Justus nickte seinem vierbeinigen Freund zu. »Ja, Barri, das hast du fein gemacht. Ohne dich würden wir gewiss noch immer nach den beiden kleinen Ausreißern suchen und …«

»Heidi! Heidi!«, rief Schwester Regine. »Komm bitte ins Haus. Onkel Wolfgang will euch Kindern einen Vortrag halten. Du sollst auf alle Fälle dabei sein, sagt Tante Isi.«

»Dann lauf zu, kleines Fräulein«, riet Justus dem Kind. »Ich kümmere mich schon um deine Häschen. Du kannst mich ja nach dem Mittagsschlaf besuchen. Ich bin dann vielleicht auch schon mit dem Puppenbettchen fertig.«

»Ja, Justus.« Heidi lachte den alten Mann an und lief dann zu Schwester Regine, die sie bei der Hand fasste und mit ihr zum Haus zurückkehrte, wo sich die Kinder und auch ein Teil der Erwachsenen im Zeichensaal versammelt hatten.

Pünktchen fuhr sich noch schnell einmal mit dem Taschenkamm durch ihr glänzendes Haar und warf einen prüfenden Blick in ihren Taschenspiegel. Ihr rundes Gesicht war, wie immer nach den Sommerferien, mit unzähligen Sommersprossen übersät. Dabei hatte sie sich auch diesmal – wie in jedem Jahr – fest vorgenommen, entweder nicht in die pralle Sonne zu gehen oder einen breitrandigen Strohhut aufzusetzen. Doch dieser Vorsatz hatte wieder einmal nicht länger als ein paar Tage angehalten. Dann hatte der neue Strohhut, den Pünktchen zusammen mit Tante Isi gekauft hatte, in ihrem Kleiderschrank gelegen.

»Sie werden schon wieder verblassen«, neckte Nick, der das Mädchen heimlich beobachtet hatte, leise.

»Aber auf meiner Nase gehen sie nie weg«, klagte Pünktchen und steckte Spiegel und Kamm wieder in die Tasche ihres Jeansrockes.

»Deswegen habe ich dich doch auch Pünktchen getauft. Mach dir nichts daraus. Ohne Sommersprossen wärst du nicht das Pünktchen.«

»Na ja, damit hast du recht.« Die Kummerfalten auf Pünktchens Stirn verschwanden. »Komisch, dass mich niemand Angelina nennt.«

»Dabei ist es ein sehr hübscher Name«, gab Nick zu. »Aber irgendwie klingt er in meinen Ohren fremd. Pst, Herr Rennert spricht«, flüsterte er und richtete seinen Blick nun auf den Lehrer.

Auch die anderen blickten nun gespannt auf Wolfgang Rennert, der mit den Worten begann: »Der heutige Vorfall veranlasst mich, euch auf die Gefahren im Straßenverkehr aufmerksam zu machen. Bei uns auf dem Land passiert zwar viel weniger als in einer Stadt, aber wie ihr heute selbst erlebt habt, können sich derartige Unfälle auch auf einsam gelegenen Straßen ereignen. Gerade solche Straßen verführen die Fahrer dazu, sehr schnell zu fahren.« Er sprach nun vom Bremsweg eines Kraftwagens und von den überhöhten Geschwindigkeiten trotz der Verkehrsschilder. »Die Fahrer glauben, dass sie keiner sieht«, fuhr er fort. »Auch rechnen die wenigsten mit einer Gefahr. Und doch lauert die Gefahr überall. Denkt doch an das Wild, das oft über die Straßen wechselt. Es kümmert sich nicht um die Autos.«

»Und viele Igel werden totgefahren!«, rief Henrik. »Neulich erst …«

»Pst, Henrik.« Denise, die neben dem Jungen saß, ermahnte ihn, still zu sein.

»Ja, Henrik, die armen Igel«, ging Wolfgang Rennert auf den Einwurf des Jungen ein. »Die Igel glauben, dass sie durch ihre Stacheln vor jeder Gefahr geschützt sind, was normalerweise ja auch zutrifft. Aber den Reifen eines Autos sind die Stacheln nicht gewachsen. Autofahrer rechnen auch oft nicht damit, dass Kinder plötzlich einem Ball nachrennen könnten. Darum muss jeder von euch beim Überqueren der Straße übervorsichtig sein. Zuerst müsst ihr nach links schauen und dann nach rechts. Seht ihr ein Auto kommen, bleibt auf alle Fälle stehen. Niemals dürft ihr losrennen, weil ihr glaubt, es doch noch zu schaffen. Es könnte sein, dass ihr stolpert oder dass das Auto schneller fährt, als ihr annehmt.«

Wolfgang Rennert las nun die Statistik über die tödlichen Unfälle mit Kindern in Deutschland vor und fügte hinzu: »Ihr müsst auch damit rechnen, dass Anfänger am Steuer oft erschrecken, wenn plötzlich ein Kind vor ihnen über die Straße läuft. Sie geraten dann in Panik. Wie oft ist es schon vorgekommen, dass ein Autofahrer in einem solchen Fall aus Versehen aufs Gaspedal trat statt auf die Bremse. Dann aber machte der Wagen einen Satz nach vorn und erfasste das Kind doch noch.«

»Das weiß ich schon alles!«, rief der lebhafte Henrik wieder. Seine Wangen glühten vor Eifer. »Vati hat mir auch schon einen solchen Vortrag gehalten.«