Elfi und Uli suchen die Mutter - Bettina Clausen - E-Book

Elfi und Uli suchen die Mutter E-Book

Bettina Clausen

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Als Denise von Schoenecker den Hörer abhob, meldete sich der Bürgermeister von Grimmau. Denise erinnerte sich sehr gut an den nahen kleinen Ort. Doch sie wusste genau, dass sie dem Bürgermeister von Grimmau noch nie begegnet war. »Ich wende mich mit einer Bitte an Sie, Frau von Schoenecker. Mit keiner alltäglichen. Das muss ich gleich hinzufügen.« Als er etwas unsicher wurde und stockte, ermunterte Denise ihn weiterzusprechen. Und so erfuhr sie von einer Gasexplosion, die in Grimmau ein mehrstöckiges neu erbautes Haus in die Luft gesprengt hatte. »Mehrere Mieter wurden tödlich verletzt«, fuhr der Bürgermeister fort. »Darunter auch das Ehepaar Seifert. Nun hat dieses Ehepaar zwei Kinder. Vier und fünf Jahre alt.« Denise erschrak. »Sind die Kinder auch verletzt?« »Nein. Glücklicherweise nicht. Sie waren auf dem Spielplatz, als das Unglück geschah.« Denise atmete erleichtert auf. Trotzdem vergaß sie nicht, was für ein harter Schicksalsschlag diese beiden Kinder getroffen hatte. »Wo sind die Kinder jetzt?« »Bei einer alten Frau. Aber dort können sie nicht bleiben. Und damit wäre ich auch schon bei meiner Bitte, Frau von Schoenecker.« Der Bürgermeister musste seine Bitte nicht erst aussprechen. Denise kam ihm zuvor. »Selbstverständlich nehme ich die Kinder nach Sophienlust«, bot sie ihm an. »Für solche Notfälle ist unser Kinderheim doch da.« »Es soll ja auch nur vorübergehend sein«, sprach der Bürgermeister schnell weiter. »So lange, bis wir Pflegeeltern für Elfi und Ulrich gefunden haben.« Denise prägte sich die Namen ein. Elfi und Ulrich. Sie erfuhr, dass das Mädchen vier Jahre alt und der Bub ein Jahr älter war. Dann vereinbarte sie mit dem Bürgermeister,

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Sophienlust –143–

Elfi und Uli suchen die Mutter

… und verirren sich im dunklen Wald!

Bettina Clausen

Als Denise von Schoenecker den Hörer abhob, meldete sich der Bürgermeister von Grimmau. Denise erinnerte sich sehr gut an den nahen kleinen Ort. Doch sie wusste genau, dass sie dem Bürgermeister von Grimmau noch nie begegnet war.

»Ich wende mich mit einer Bitte an Sie, Frau von Schoenecker. Mit keiner alltäglichen. Das muss ich gleich hinzufügen.«

Als er etwas unsicher wurde und stockte, ermunterte Denise ihn weiterzusprechen. Und so erfuhr sie von einer Gasexplosion, die in Grimmau ein mehrstöckiges neu erbautes Haus in die Luft gesprengt hatte.

»Mehrere Mieter wurden tödlich verletzt«, fuhr der Bürgermeister fort. »Darunter auch das Ehepaar Seifert. Nun hat dieses Ehepaar zwei Kinder. Vier und fünf Jahre alt.«

Denise erschrak. »Sind die Kinder auch verletzt?«

»Nein. Glücklicherweise nicht. Sie waren auf dem Spielplatz, als das Unglück geschah.«

Denise atmete erleichtert auf. Trotzdem vergaß sie nicht, was für ein harter Schicksalsschlag diese beiden Kinder getroffen hatte. »Wo sind die Kinder jetzt?«

»Bei einer alten Frau. Aber dort können sie nicht bleiben. Und damit wäre ich auch schon bei meiner Bitte, Frau von Schoenecker.«

Der Bürgermeister musste seine Bitte nicht erst aussprechen. Denise kam ihm zuvor. »Selbstverständlich nehme ich die Kinder nach Sophienlust«, bot sie ihm an. »Für solche Notfälle ist unser Kinderheim doch da.«

»Es soll ja auch nur vorübergehend sein«, sprach der Bürgermeister schnell weiter. »So lange, bis wir Pflegeeltern für Elfi und Ulrich gefunden haben.«

Denise prägte sich die Namen ein. Elfi und Ulrich. Sie erfuhr, dass das Mädchen vier Jahre alt und der Bub ein Jahr älter war. Dann vereinbarte sie mit dem Bürgermeister, dass sie die beiden Kinder schon am nächsten Nachmittag abholen würde.

*

Therese Müller war eine alte Frau. Sie lebte allein. Und sie half überall, wo Hilfe gebraucht wurde. Deshalb hatte sie auch nicht gezögert, die beiden verwaisten Kinder vorübergehend zu sich zu nehmen.

Elfi und Ulrich gingen auch sofort mit. »Bist du jetzt unsere neue Tante?«, fragte Elfi neugierig und schaute dabei zu der hochgewachsenen alten Frau empor. »Du siehst ein bisschen böse aus.«

Therese Müller begann zu lächeln. Sie wusste, dass sie einen ernsten und strengen Eindruck machte und dass sich deshalb viele Kinder vor ihr fürchteten.

»Aber ich glaube, du bist gar nicht böse«, plapperte Elfi unbekümmert weiter. »Das sieht nur so aus, weil du so groß bist.«

»Ganz bestimmt«, versicherte Therese der Kleinen. Zugleich fragte sie sich, ob die beiden Kinder überhaupt begriffen hatten, dass ihre Eltern tot waren.

Elfi und Ulrich verstanden es noch nicht. Das sollte Therese Müller schon im nächsten Augenblick erfahren.

»Sind Mutti und Vati auch einverstanden, dass wir bei dir bleiben, Tante Therese?«, fragte Ulrich.

Die alte Frau schluckte. Einen Moment zögerte sie. »Sie sind einverstanden, Ulrich«, sagte sie dann.

»Du musst ihn Uli nennen«, verlangte Elfi. »Wir alle rufen ihn Uli. Hat Mutti dir das nicht gesagt?«

»Doch, doch, natürlich«, sagte Therese schnell. »Ich hatte es nur vergessen.«

»Das darfst du aber nicht wieder tun«, verlangte Elfi treuherzig. »Schau, wir vergessen doch deinen Namen auch nicht.«

Uli nickte. »Dabei hast du uns noch nie besucht. Und wir waren auch noch nie bei dir.« Er schaute an dem zweistöckigen Haus empor, vor dem Therese Müller stehengeblieben war. »Wohnst du da drin?«

»Ja, Uli, da wohne ich. Und für die nächsten Tage ist das auch euer Zuhause.«

»So lange?« Elfi zog staunend ihre kindlichen Augenbrauen hoch. »Wann kommen Mutti und Vati und holen uns?«

Therese Müller wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie konnte die Kinder einfach nicht anlügen. Aber die grausame Wahrheit brachte sie erst recht nicht über die Lippen. »Bald«, murmelte sie deshalb nur. Dann nahm sie die beiden schnell wieder bei der Hand, um sie abzulenken.

Das gelang ihr auch. Elfi und Uli staunten über die neue Umgebung. »Bei dir in der Küche sieht es aber ganz anders aus als bei meiner Mutti.«

»Gefällt dir meine Küche nicht?«, fragte Therese und setzte Wasser auf, um für die Kinder Tee zu kochen.

»Muttis Küche ist schöner.« Mit trotzig aufgeworfenen Lippen stand Uli auf der Türschwelle.

»Stimmt.« Elfi nickte. Aber dann tat ihr die fremde Tante plötzlich leid, die richtig unglücklich aussah. Spontan griff sie nach Thereses Hand. »Deine Küche ist auch schön. Mir gefällt sie.«

Uli quittierte den Verrat der Schwester mit einem verächtlichen und lauten Ausatmen. Schon wollte er die Küche wieder verlassen, da sah er, dass die alte Frau seine Schwester neben sich auf die Küchenbank zog. Es sieht ganz so aus, als würde sie jetzt gleich eine Geschichte erzählen, dachte er. Und blieb.

Therese erzählte den Kindern tatsächlich ein Märchen. Sie tat es in dem Bestreben, sie abzulenken. Bis die beiden schließlich so müde waren, dass ihnen schon beim Essen die Augen zufielen.

Doch schon am nächsten Morgen ging die Fragerei weiter. Und die alte Frau erkannte, dass sie zwei so lebhafte Kinder nicht für immer bei sich behalten konnte. Deshalb war sie sehr erleichtert, als der Bürgermeister kam und ihr von seinem Telefongespräch mit dem Kinderheim Sophienlust erzählte. »Frau von Schoen­ecker will die Kinder schon morgen Nachmittag abholen.«

Dann sprachen die beiden Erwachsenen noch einmal über die verhängnisvolle Explosion, die das Ehepaar Seifert und noch andere Mieter getötet hatte. Sie merkten dabei nicht, dass sich die Tür zum Nebenzimmer leise geöffnet hatte. Erst ein leiser wimmernder Laut ließ Therese zusammenfahren. Rasch drehte sie sich um. Da sah sie Elfi und Uli im Türrahmen stehen.

Elfi weinte leise vor sich hin. Uli hatte dagegen die Lippen trotzig aufeinander gepresst. »Ihr lügt! Unsere Eltern sind nicht tot. Sie kommen wieder.«

Gemeinsam mit dem Bürgermeister versuchte Therese die Kinder zu beruhigen. Doch es gelang ihr nur unvollkommen. Da schickte sie den Bürgermeister schließlich weg. Jetzt konnte sie die verzweifelten Kinder nur auf ihre Weise beruhigen. Sie erzählte ihnen wieder ein Märchen. Ein besonders langes und ergreifendes.

Dabei versiegten Elfis Tränen schließlich doch. Aufgeregt klammerte sie sich an Ulis Hand.

»Erzähl weiter«, bat der Junge, als Therese einmal stockte. »Wo sind die beiden Kinder hingegangen, als ihre Mutti weg war?«

Therese, die sich alle Märchen selbst ausdachte, musste erst überlegen. »Sie sind in den Wald gegangen.«

»Ganz allein in den Wald?«, staunte Elfi. »Warum denn?«

Therese erzählte weiter: »Irgendjemand hatte ihnen verraten, dass es in dem Wald ein schönes großes Schloss gab. Aber es lag ganz versteckt und war nur schwer zu finden.«

»War es leer? Das schöne große Schloss?« Elfi hatte vor Aufregung beide Händchen um die Finger des Bruders geschlungen.

»Nein. In dem Schloss lebte eine schöne Prinzessin. Und diese Prinzessin wünschte sich schon lange Kinder. Aber sie hatte keine. So, und jetzt müsst ihr ins Bett«, schloss Therese. »Morgen erzähle ich euch das Märchen zu Ende.«

»Nein«, riefen Elfi und Uli gleichzeitig aus. Elfi fügte noch hinzu: »Nicht morgen, Tante Therese. Wir möchten es heute hören. Nicht wahr, Uli?«

Der Junge nickte. Auch seine Wangen hatten sich vor Aufregung gerötet. »Haben die Kinder das Schloss gefunden? Und die schöne Frau auch?«

»Prinzessin«, verbesserte Elfi ihn. »Es war doch eine Prinzessin. Vielleicht hat sie die Kinder behalten? Ist sie ihre Mutti geworden?« Gespannt blickte sie zu Therese empor.

Die alte Frau gab sich schließlich geschlagen und sprach weiter. Sie erzählte, dass die Kinder in dem Märchen das geheimnisvolle Schloss im Wald gefunden hatten und dass die schöne Prinzessin ihre neue Mutti geworden war. Dann brachte sie Elfi und Uli schleunigst zu Bett. Denn zu einem zweiten Märchen reichte ihre Kraft nicht mehr aus.

Bevor Therese das Licht löschte, richtete sich Elfi noch einmal in ihrem Bett auf. Ihr Blick war geradezu verklärt. »Gute Nacht, liebe, liebe Tante Therese.« Sie gab der alten Frau einen Kuss. »Das war wirklich das allerschönste Märchen.«

Glücklich ging Therese aus dem Zimmer. Heute werden sie bestimmt gut schlafen, dachte sie, ohne zu ahnen, dass sie mit ihrem Märchen gerade das Gegenteil erreicht hatte.

Elfi und Uli waren so erregt, dass sie lange überhaupt nicht schlafen konnten. Ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem geheimnisumwitterten Schloss aus Thereses Märchen zurück. In ihren Gedanken war dieses Schloss Wirklichkeit geworden. Und je länger sie darüber sprachen, umso überzeugter wurden sie, dass es wirklich existierte. Irgendwo tief drinnen im Wald.

»Wir könnten es suchen«, schlug Elfi leise vor.

In der Geborgenheit des dunklen Schlafzimmers hörte sich das ganz normal an. Deshalb war Uli auch sofort damit einverstanden. »Vielleicht finden wir es. Und die schöne Frau auch.«

»Prinzessin«, verbesserte Elfi wieder, diesmal ungeduldig. Am liebsten wäre sie sofort wieder aufgestanden und losgegangen. Aber dann schloss ihr doch der Schlaf die Augen. Und Uli schlief fast gleichzeitig mit seiner Schwester ein.

Doch als die beiden am nächsten Morgen erwachten, erinnerten sie sich gleich wieder an das Schloss. »Ob es das Schloss wirklich gibt?«, fragte Elfi, noch ein wenig schlaftrunken. Sie hatte gesehen, dass Uli sich bewegt hatte.

»Was?« Morgens war der Junge immer ein wenig brummig und wollte nicht sofort sprechen. Doch trotz seiner Frage wusste er genau, was Elfi meinte.

»Das Schloss! Im Wald«, sprudelte Elfi ungeduldig hervor und richtete sich gleichzeitig im Bett auf. »Kannst du dich nicht mehr an Tante Thereses Geschichte erinnern?«

»Ja, doch. Aber wenn es ein Märchen war, dann gibt es das Schloss in Wirklichkeit doch gar nicht.«

Elfi stieß ihren Bruder entrüstet an. »Gestern Abend hast du selbst gesagt, dass es das Schloss vielleicht gibt. Und dass wir es suchen wollen. Willst du nun – oder willst du nicht?«

»Was?«

»Das Schloss suchen.« Elfis kleine Hand schlug entrüstet auf die Bettdecke. »Wenn du nicht mitkommst, gehe ich nämlich allein.«

Da schlug er endgültig die Augen auf. »Du traust dich ja doch nicht.«

»Freilich traue ich mich. Du wirst schon sehen.« Mit einem Satz sprang Elfi aus dem Bett.

»Dürfen wir nach dem Frühstück auf den Spielplatz gehen, Tante Therese?«, fragte sie, kaum dass sie sich zu dem gedeckten Tisch gesetzt hatte.

»Wenn ihr Lust habt, könnt ihr gehen. Ihr könnt aber auch mit mir einkaufen gehen.«

»Lieber auf den Spielplatz«, meinte Uli und biss kräftig in die frische Buttersemmel.

Therese nickte und trank ihren Kaffee. Bevor sie die Kinder hinuntergehen ließ, erteilte sie ihnen die üblichen Ermahnungen. »Lauft nicht über die Straße und geht mit niemandem mit. Mittags hole ich euch wieder.«

Hand in Hand traten Elfi und Uli aus dem Haus. Um den Kinderspielplatz zu erreichen, mussten sie nur um die Ecke gehen. Plötzlich blieb Elfi störrisch stehen. »Ich mag nicht auf den Spielplatz.«

Uli schaute zu dem Platz hinüber. »Alle Schaukeln sind besetzt. Aber die Rutschbahn ist frei.«

»Ich mag nicht auf die Rutschbahn.« Elfi rührte sich nicht von der Stelle.

»Ich weiß schon, was du willst«, ereiferte sich Uli. »Aber Tante Therese hat uns nur erlaubt, auf den Spielplatz zu gehen. Wir können nicht einfach weglaufen.«

»Wir können ja wiederkommen, wenn wir das Schloss nicht finden«, schlug Elfi kleinlaut vor.

»Und wenn wir es finden?«

Elfi klatschte in die Hände. »Dann brauchen wir nicht mehr zurückkommen. Dann haben wir wieder eine Mutti und können in einem Schloss wohnen.«

Uli behielt den Kopf gesenkt. Seine rechte Fußspitze bohrte sich in den Rasen.

»Und unsere eigene Mutti? Und unser Vati?«

»Du hast doch gehört, was der Mann gestern zu Tante Therese gesagt hat. Dass Mutti und Vati nie mehr wiederkommen.« Sie schluckte. Und schluckte gleich noch einmal. Trotzdem lief ihr eine dicke Träne über die Wange.

Sofort ergriff Uli die Hand seiner Schwester. Er konnte Elfi einfach nicht weinen sehen. »Wein’ doch nicht. Wir finden das Schloss bestimmt.«

Rasch fuhr sie sich über die Wange und schaute auf – mit einem erwartungsvollen Schimmer in den blauen Augen. »Dann suchen wir es also? Jetzt gleich?«

»Okay«, gab er nach. Dabei versuchte er den großzügigen Ton nachzumachen, den er von einem älteren Jungen gehört hatte.

Da hängte sich Elfi an seinen Hals. Sie begann im Kreis zu hüpfen und zog Uli mit sich.

Der Junge versuchte sich freizumachen. »Hör auf!«

»Nur dann, wenn du versprichst, dass wir gleich gehen.«

»Also gut.« Uli nahm Elfis Hand, und sie liefen über die Straße. Bis zum Stadtrand war es nicht weit. Als die beiden ihn erreicht hatten, marschierten sie sofort eifrig weiter. Den fernen Waldrand behielten sie im Auge.

*

Denise von Schoenecker traf schon am frühen Nachmittag in Grimmau ein. Der Bürgermeister erwartete sie bereits. Nach einigen herzlichen Dankesworten begleitete er sie zu Therese Müller.

Die beiden fanden die alte Frau in heller Aufregung. »Sie sind verschwunden.«

»Wer? Die beiden Kinder?«

»Ja.« Die alte Frau rang verzweifelt die Hände. »Heute Morgen habe ich ihnen erlaubt, auf den Spielplatz zu gehen. Sie wollten es unbedingt. Und ich musste doch meine Einkäufe erledigen.«

»Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagte Denise verständnisvoll. »Ich bin überzeugt, dass es nicht Ihre Schuld ist. Und vielleicht haben sich die Kinder auch nur verlaufen.«

Der Bürgermeister stand schon an der Tür. »Ich werde sofort die Polizei benachrichtigen.«

»Hier in der Umgebung habe ich schon überall gesucht«, sagte Therese Müller. »Ich konnte sie nicht finden.« Sie fuhr sich über die Augen. Sie würde es sich nie verzeihen, wenn den Kindern etwas zustoßen sollte. Aber wieder gelang es Denise, die verstörte Frau zu beruhigen.

Inzwischen verständigte der Bürgermeister die Polizei.

Denise selbst suchte mit Therese Müller noch einmal das ganze Stadtviertel ab. Doch sie fanden keine Spur von Elfi und Uli. Niemand hatte die Kinder gesehen. Da begann sich auch Denise ernstlich zu sorgen. Trotzdem brachte sie es zwischendurch immer wieder fertig, einige tröstende Worte für die alte Therese zu finden.

»Wo können sie denn nur sein?«, jammerte die alte Frau. Sie stand mit Denise auf dem Kinderspielplatz neben dem Haus, in dem Therese Müller wohnte.

Bevor Denise antworten konnte, sah sie den Wagen des Bürgermeisters. »Vielleicht hat die Polizei sie gefunden«, hörte sie Therese sagen. Zugleich klammerte sie sich ebenfalls an diesen Gedanken.

Doch schon der Gesichtsausdruck des Bürgermeisters enttäuschte sie. Er stieg langsam aus seinem Wagen aus und kam mit hängenden Schultern auf die beiden Frauen zu. »Nichts«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Dabei sucht die Polizei jetzt schon seit Stunden. Ich verstehe das nicht. So weit können zwei kleine Kinder doch gar nicht laufen.«

In Gedanken rechnete Denise nach. Die Kinder waren immerhin schon seit dem Vormittag verschwunden. Und nun war es später Nachmittag. In dieser Zeit hatten sie sich sehr weit entfernen können. Sie sagte das dem Bürgermeister.

»Ich weiß, Frau von Schoenecker. Unsere Polizei sucht auch gar nicht mehr in der näheren Umgebung der Stadt. Sie durchkämmt schon die Waldgebiete, die Grimmau umgeben.«

Zwei kleine Kinder allein im Wald. Und in einigen Stunden würde es dunkel sein. Am liebsten wäre Denise selbst hinaus in den Wald gerannt, um mitzusuchen. Aber sie wusste, dass das sinnlos war. Nur ein größerer Polizeieinsatz konnte hier helfen. »Können Sie nicht noch mehr Leute anfordern?«, fragte sie den Bürgermeister. Der versprach es ihr.

*

»Ich habe Hunger«, sagte Uli. Er ließ Elfis Hand los und setzte sich auf einen Baumstumpf.

Schon über eine Stunde lang liefen die beiden Kinder durch den Wald. Anfangs waren sie noch sehr zuversichtlich gewesen und hatten gemeinsam von einem schönen geheimnisvollen Schloss geträumt, mit einer lieben und guten Schlossherrin darin, die ihre neue Mutti werden würde. Doch dann war der Wald immer dichter geworden, und sie hatten sich verirrt.

»Jetzt können wir auch nicht mehr zurückgehen«, hatte Uli gesagt, und seine Schwester hatte geantwortet: »Macht nichts. Dafür finden wir bestimmt das Schloss.«

Daran hatte Elfi ganz fest geglaubt. Doch jetzt, als Uli von seinem Hunger sprach, erinnerte auch sie sich daran, dass sie am Morgen zum letzten Mal etwas gegessen hatte. Rasch schlug sie vor: »Komm, wir gehen weiter. In dem Schloss kriegen wir bestimmt etwas zu essen.«

»Wenn wir es finden.« Uli hatte plötzlich den Mut verloren. Es war im Wald schon sehr düster. Und wenn es erst ganz dunkel sein würde, würde er sich bestimmt fürchten. Deshalb stand er wieder auf. Vielleicht würden sie das Schloss doch noch finden? Dann bräuchte er sich nicht mehr zu fürchten. »Komm, wir gehen weiter«, sagte er entschlossen.

Selig griff Elfi nach seiner Hand. Doch in der nächsten Stunde geschah es immer öfter, dass sie stolperte.

Uli wurde ungeduldig. »Was machst du denn bloß?«

»Das ist nur, weil es schon so dunkel ist. Ich kann ja gar nicht mehr sehen, wohin ich latsche.«