Sophienlust 289 – Familienroman - Marisa Frank - E-Book

Sophienlust 289 – Familienroman E-Book

Marisa Frank

5,0

Beschreibung

Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren: Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. "Marion, was ist denn los?" Helfried Deng versuchte im Rückspiegel das vierjährige Mädchen zu sehen. Nur ein leises Stöhnen antwortete ihn. Ratlos biß sich Helfried Deng auf die Lippen. "Marion, ist dir nicht gut?" "Ich... oh! Ich glaube, ich muß..." Marion würgte und schluckte, dabei preßte sie beide Hände vor ihren Mund. "Gleich, mein Kleines. Ich halte gleich an. Siehst du, da vorn dieses Zeichen zeigt einen Parkplatz an." Erleichtert verringerte Helfried das Tempo und bog Sekunden später auf den Autobahnparkplatz ein. Kaum hatte er sein Auto zum Stehen gebracht, drehte er sich zu Marion um. Das Kind war so bleich wie ein Leintuch. Mit großen, vorwurfsvollen Augen sah es Helfried an. "Du bist so schnell gefahren... Diese lange, lange Autobahn. Nur noch Autos, immer wieder Autos. Mein Bauch, er ist ganz heroben beim Hals."

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Leseprobe: Bill Regan in Not!

Brenda Duffy stand auf. Sie warf ihrem Mann einen vernichtenden Blick zu und schüttelte den Kopf. »Mein lieber Pat, ich dachte, du wolltest reden? Hat dich der Mut verlassen?« »Nein, mich hat keineswegs der Mut verlassen. Mich zerreißt es innerlich. Ich habe Bill geschworen, niemandem etwas zu erzählen. Er hat Angst. Ja, ich gestehe, mir ist es auch nicht wohl dabei. Zu viele Cottages in Culraid sind abgebrannt. Alle sagen, es kann nur Brandstiftung gewesen sein.« »Unser Haus mit dem Pub ist eines der ältesten Häuser im Dorf. Es war immer im Besitz der Duffys. Ich habe meinem Großvater und meinem Vater vor ihrem Tod geschworen, dass ich alles tun werde, es für künftige Generationen zu erhalten.« Brenda rollte die Augen. »Pat Duffy, höre mit der alten Geschichte auf! Wenn es so weitergeht mit Culraid, dann steht viel mehr auf dem Spiel. Dann wird es nichts Altes und Schönes mehr geben. Dem Himmel sei Dank, dass Cameron aus Schottland herübergekommen ist. Er ist der Einzige, der hier wieder Ordnung schaffen kann.

Sophienlust – 289 –

Mami hat einen Papi mitgebracht

Ein Wunder brachte sie zusammen

Marisa Frank

»Marion, was ist denn los?« Helfried Deng versuchte im Rückspiegel das vierjährige Mädchen zu sehen.

Nur ein leises Stöhnen antwortete ihn. Ratlos biß sich Helfried Deng auf die Lippen. Während er nach einem Parkplatz Ausschau hielt, versuchte er es noch einmal:

»Marion, ist dir nicht gut?«

»Ich... oh! Ich glaube, ich muß...« Marion würgte und schluckte, dabei preßte sie beide Hände vor ihren Mund.

»Gleich, mein Kleines. Ich halte gleich an. Siehst du, da vorn dieses Zeichen zeigt einen Parkplatz an.« Erleichtert verringerte Helfried das Tempo und bog Sekunden später auf den Autobahnparkplatz ein. Kaum hatte er sein Auto zum Stehen gebracht, drehte er sich zu Marion um.

Das Kind war so bleich wie ein Leintuch. Mit großen, vorwurfsvollen Augen sah es Helfried an. »Du bist so schnell gefahren... Diese lange, lange Autobahn. Nur noch Autos, immer wieder Autos. Mein Bauch, er ist ganz heroben beim Hals.«

Es würgte Marion wieder. Da handelte Helfried. Er sprang aus dem Auto, zog die Kleine heraus und stellte sie auf ihre Beine.

»Mami, ich will zu meiner Mami«, jammerte Marion.

»Aber Marion, du bist doch schon ein großes Mädchen. Du weißt doch, daß wir nach Nürnberg fahren.«

Marion nickte tapfer, doch dann verzog sich ihr Gesichtchen wieder. Sie stöhnte. »Mir ist so schlecht. Ich will nicht mehr Auto fahren.«

»Aber du fährst doch gern Auto.« Helfried war ratlos. Unsicher streckte er seine Hand nach der Kleinen aus.

»Aber nicht hier, wo so viele Autos sind. Riech nur!« Schnuppernd hob sie die Nase. »Hier stinkt es.«

»Das sind Auspuffgase«, sagte Helfried automatisch.

»Wenn ich mit Mami spazierenfahre, dann gibt es nie solche Gase«, beharrte Marion. »Oh, mir ist so schlecht.«

»Na ja, vielleicht gehen wir ein wenig spazieren, bevor wir weiterfahren.«

»Wo, hier?« Marion sah sich um. »Hier gibt es doch nur Autos.« Der Parkplatz war klein. Entsetzt sah das Kind auf die vorbeirasenden Wagen.

Helfried hob die Schultern und ließ sie wieder sinken. Er wußte, Marion hatte recht, aber was sollte er tun?

»Hier gefällt es mir nicht«, sagte Marion in seine Gedanken hinein. »Du hast gesagt, Nürnberg ist schön.«

»Wir sind noch nicht in Nürnberg.« Helfried seufzte.

»Dann gehen wir doch hin.« Marions Gesichtchen hatte wieder etwas Farbe bekommen.

»Geht es dir besser? Können wir wieder einsteigen?« Erfreut öffnete Helfried die Autotür, doch Marion wich zurück.«

»Nicht fahren.«

»Aber sonst kommen wir doch nicht nach Nürnberg.« Helfried nahm die Vierjährige auf die Arme. »Es ist noch ziemlich weit. Ist dir noch immer schlecht?« Fragend sah er ihr in die blauen Augen.

»Ich weiß nicht. Beinahe hätte ich vorhin gespuckt. Jetzt«, Marion legte ihr Köpfchen schief, »jetzt glaube ich, ich habe Hunger.«

Helfried mußte lachen. Er hielt die Kleine etwas von sich ab. »Ob dies deinem Magen bekommt? Ich mache dir einen Vorschlag. Du bekommst eine von den Bananen, und dann fahren wir weiter.«

»Über diese lange, gerade Straße?« Marion zog einen Flunsch. »Das geht nicht. Da kommt mein Bauch wieder hoch.«

»Das bildest du dir nur ein.« Helfried fuhr der Kleinen über das Köpfchen. Sein Herz zog sich zusammen. Er fand, Marion war ein bildhübsches Kind, sah der Mutter sehr ähnlich. »Auf einer kurvenreichen Straße wird einem noch viel leichter schlecht.«

»Ich mag diese Straße aber nicht«, sagte Marion mit Bestimmtheit.

»Weißt du was? Du lehnst dich im Sitz zurück und schließt die Augen, dann siehst du die Straße nicht«, schlug Helfried vor.

»Ganz fest mache ich die Augen zu«, versicherte Marion. Doch sobald Helfried wieder einige Kilometer auf der Autobahn gefahren war, begann sie seitlich hinauszublinzeln und sah, alles bewegte sich wieder so schnell an ihr vorbei.

»Mir wird schon wieder schlecht«, jammerte sie. »Mit dir ist das Autofahren nicht lustig.«

Helfried wußte nicht, was er darauf antworten sollte. Er verringerte nur das Tempo, blieb auf der rechten Seite.

Es sind viel zu viele Autos da«, begann Marion nach einiger Zeit wieder. »Können wir nicht woanders fahren?«

»Gut«, gab Helfried nach. Bei der nächsten Gelegenheit fuhr er von der Autobahn ab, benutzte nun Landstraßen. Die Landschaft war sehr

hügelig, die Straßen waren kurvenreich. Marions Magen, der schon vorher rebelliert hatte, meldete sich wieder.

Helfried, der mit seinen Gedanken schon in Nürnberg war, wurde erst aufmerksam, als Marion wieder heftig schluckte.

»Aber Kleines!« Schnell lenkte er das Auto an den Straßenrand.

Marion schluchzte. »Ich kann doch nichts dafür.« Sie kletterte aus dem Wagen und lief hinter einen Busch. Sie schämte sich und wehrte Helfried, als er ihr helfen wollte, ab.

Unschlüssig ging dieser am Straßenrand auf und ab. Hin und wieder sah er zu Marion hin. Die Kleine hatte sich auf den Boden gesetzt. Plötzlich hörte er sie lachen.

»Sieh nur«, rief sie, »wie lustig die Ameisen sind. Sie gehen immer hin und her.«

Erleichtert lief Helfried zu ihr. Wie schnell bei Kindern doch die Stimmung wechselte. Trotzdem schreckte er vor der Weiterfahrt zurück. »Machen wir einen kleinen Spaziergang«, schlug er vor.

»Sehen wir dann noch mehr Ameisen?« fragte Marion.

Helfried hob sie hoch. »Mal sehen. Komm, wir fahren noch bis zu dieser Abzweigung da vorn. Dort können wir dann das Auto einfach stehenlassen.«

Bei der Weggabelung angelangt, sprang Marion wieder flink aus dem Wagen. Diesmal hatte es ihr der hölzerne Wegweiser angetan. Begeistert stand sie davor.

»Dorthin will ich.« Sie wandte sich zu Helfried um. »Was steht unter den Figuren?«

»Kinderheim Sophienlust«, las Helfried laut.

»Was ist das?« fragend sah Marion ihn an.

Helfried wollte es ihr erklären, aber Marion war nach der langen Autofahrt ungeduldig. »Ich werde es schon merken«, rief sie und lief in die Richtung, in die der Wegweiser zeigte.

Helfried hatte Mühe, ihr zu folgen. »Halt, nicht so schnell!«

Er mußte seine Schritte beschleunigen, denn Marion blieb nicht stehen.

Bald darauf kamen die beiden an eine hohe, dichte Hecke.

»Dahinter ist wahrscheinlich das Kinderheim«, erklärte Helfried. »Eine sehr schöne Lage«, sagte er anerkennend hinzu.

Marion war schon weitergelaufen. »Irgendwo muß es doch hineingehen«, rief sie. Gleich darauf stieß sie einen Freudenschrei aus. Sie hatte das große schmiedeeiserne Tor entdeckt.

»Marion!« Etwas atemlos hastete Helfried hinter dem Kind her.

»Da hinten sind viele, viele große Bäume«, rief Marion begeistert. Ohne auf Helfried zu achten, begann sie das Eisengitter zu erklettern.

»Marion, laß diesen Unsinn!« Helfrieds Stimme klang jetzt streng. »Du hast doch versprochen, brav zu sein.«

»Bin ich doch«, rief die Kleine übermütig. »Sieh nur, was ich kann.« Sie war bereits ziemlich hoch hinaufgeklettert, ließ nun eine Hand los und beugte sich etwas vom Gitter weg.

»Komm sofort herunter«, rief Helfried empört.

Marion lachte nur. Sie kletterte noch ein Stück höher.

»Jetzt sehe ich Kinder. Huhu«, schrie sie und ließ wieder eine Hand los, um zu winken.

Erstaunt hob Fabian Schöller den Kopf. Er und Vicky waren mit den Hunden gerade im Park.

»Halte dich fest«, rief Vicky Langenbach entsetzt. Aber da war es schon geschehen. Fabians Dogge Anglos stürmte bellend auf das Tor zu. Marion erschrak und verlor dadurch das Gleichgewicht.

Helfried konnte sich im ersten Moment vor Schreck nicht rühren, dann stürzte er auf das Kind zu, das bewegungslos auf dem Boden lag. Er kniete neben der Kleinen nieder. »Marion, ist dir etwas passiert? Wo tut es dir denn weh!«

»Alles tut mir weh. Mami, Mami!« Die Kleine begann herzzerreißend zu weinen.

Helfried wollte sie aufheben, aber da sagte Fabian, der herangekommen war: »Das dürfen Sie nicht tun. Als Roland vorige Woche vom Baum gefallen war, mußte er solange liegen bleiben, bis die Frau Doktor kam. Dann wurde er ins Krankenhaus gebracht. Ganz vorsichtig wurde er auf eine Trage gelegt.«

Entsetzt sah Helfried den Jungen an. »Krankenhaus«, stammelte er.

Fabian nickte bestätigend. »Wenn man herunterfällt, dann bricht man sich etwas. Da kann weder Tante Isi noch Schwester Regine helfen. Da muß ein Arzt her.«

»Ich will zu Mami«, jammerte Marion. »Mein Kopf.«

»Sie blutet«, stellte Fabian ruhig fest.

»Bluten? Ich will nicht bluten.« Marion richtete sich auf, ließ sich aber gleich darauf mit einem Schmerzensschrei wieder zurücksinken. »Der Kopf tut so weh, alles wackelt!«

»Es wird am besten sein, du bewegst dich nicht«, sagte Fabian altklug. »Vicky holt schon Tante Isi.«

»Wer ist Tante Isi?« fragte Helfried. Er war völlig verwirrt. Sollte er mit dem Kind schimpfen? Er hatte ihm doch befohlen herunterzukommen. »Was machen wir nun?« fragte er ratlos.

»Tante Isi wird schon etwas einfallen«, sagte Fabian zuversichtlich. Er schlüpfte durch das Tor und hockte sich neben Marion. »Tante Isi ist sehr lieb. Du mußt nicht mehr weinen.«

»Aber mein Kopf. Er tut so weh!«

»Du bist auf den Kopf gefallen...«, Fabian wollte noch etwas sagen, aber seine Dogge Anglos und der Bernhardiner-Rüde Barri begannen plötzlich zu bellen und liefen einer Frau entgegen.

»Da kommt Tante Isi.« Fabian erhob sich. Er sah Helfried an. »Tante Isi ist Frau von Schoenecker. Sie sorgt für uns.«

Irgendwie fühlte Helfried sich erleichtert. Die jugendlich aussehende Frau, die auf das Tor zukam, strahlte Sicherheit aus. Bei ihr muß sich jedes Kind wohlfühlen, schoß es ihm durch den Kopf.

»Denise von Schoenecker«, stellte sich die Frau vor. »Es wurde mir bereits erzählt, was geschehen ist. Ich hoffe sehr, es ist Ihnen recht, daß ich Frau Dr. Frey verständigen ließ. Sie ist die ärztliche Betreuerin unserer Kinder.«

»Danke.« Das freundliche Lächeln von Denise tat Helfried gut. »Sie sehen mich völlig ratlos«, gestand er. »Ich bin von der Autobahn abgefahren, weil Marion sich nicht wohl fühlte. Doch das hat sich rasch wieder gelegt. Als wir ausstiegen, um ein wenig Luft zu schnappen, war sie gleich wieder munter und übermütig. Sie ist ein sehr lebhaftes Kind.« Er sah auf Marion, und seine Besorgtheit kehrte zurück. »Sie wird sich doch nichts gebrochen haben? Wir sind unterwegs nach Nürnberg.«

Zugleich mit Helfried beugte sich nun auch Denise über das Kind. Marion hörte auf zu jammern. »Du bist genauso lieb wie meine Mami«, sagte sie, wobei sich ihr Mund zu einem Lächeln verzog.

»Wo ist denn deine Mami?« fragte Denise, um das Kind abzulenken.

»Sie ist zu Hause. ich bin schon groß. Ich darf allein nach Nürnberg fahren. Oh, mein Kopf! Ist er kaputt?« Ihre großen blauen Augen füllten sich erneut mit Tränen.

»Du hast ihn dir aufgeschlagen.« Denise holte ein Taschentuch hervor und wischte dem Kind die Tränen von den Wangen. »Jetzt wird gleich eine Ärztin kommen. Sie wird dich verbinden.«

Marion schluchzte. »Ich habe nicht gefolgt. Wenn Mami das erfährt, wird sie böse sein.«

»Das glaube ich nicht«, sagte Helfried beruhigend.

»Wirst du mich nicht verpetzen?«

»Ganz sicher nicht«, versicherte Helfried.

»Da bin ich aber froh.« Doch der frohe Ausdruck verschwand gleich wieder von ihrem Gesicht. »Mein Kopf! Er summt und sticht.«

»Die Tante Doktor kommt«, verkündete Fabian. Er hatte als erster das Auto gesehen.

Dr. Anja Frey, die zusammen mit ihrem Mann in Wildmoos eine Praxis hatte, stieg aus dem Auto. Mit einem kurzen Kopfnicken begrüßte sie die Anwesenden. Dann galt ihr Interesse nur noch dem Kind.

*

Als die Tür zum Biedermeierzimmer sich öffnete und die Ärztin eintrat, sah Helfried Deng ihr mit bangem Gesicht entgegen. Schwerfällig erhob er sich.

Er fühlte sich schuldig. Wenn Marion sich schwere Verletzungen zugezogen hatte... Er konnte den Gedanken nicht zu Ende denken.

»Ich konnte keine Knochenbrüche feststellen.« Dr. Anja Frey stellte ihre Ärztetasche ab.

»Einen Kaffee?« fragte Denise von Schoenecker und griff bereits nach der Kanne.

»Gern.« Die Ärztin lächelte, wandte sich dann aber gleich wieder an den Mann. »Ich rate von einer Weiterfahrt dringend ab. Die Kleine sollte die nächsten Tage unbedingt das Bett hüten. Sie hat eine Platzwunde, und außerdem konnte ich Anzeichen einer Gehirnerschütterung feststellen.«

Haltsuchend griff Helfried nach der Stuhllehne. »Ist es so schlimm? Muß sie ins Krankenhaus?«

»Ich glaube, das ist nicht nötig, aber sie muß ruhig liegen. Eine Autofahrt kann ich nicht erlauben.« Dr. Anja Frey sah Frau von Schoenecker an, und diese verstand.

Denise nickte und sagte: »Natürlich haben wir ein Zimmer frei.«

»Ich verstehe nicht.« Helfried sah von einer der beiden Damen zur anderen. »Was soll ich bloß tun? Ich wollte nach Nürnberg.«

»Das können Sie doch.« Beruhigend lächelte Denise den Mann, den sie für Marions Vater hielt, an. »Wir sprachen doch vorher schon von Sophienlust. Ich verwalte das Kinderheim bis zur Großjährigkeit meines Sohnes. Unser Ziel ist es, Kindern zu helfen. Wir holen nicht nur gefährdete oder verlassene Kinder nach Sophienlust, wir kümmern uns auch um Kinder, deren Eltern verreisen müssen. Ich glaube, Marion wäre bei uns bis zu ihrer Genesung gut aufgehoben.«

Dr. Anja Frey stimmte ihr zu. »Hier gibt es genug Kinder, die ihr Geschichten vorlesen könnten, wenn ihr langweilig wird. Es wäre die beste Lösung, wenn Ihre Kleine eine Woche hierbleiben würde.«

Helfried überhörte das ›ihre‹. Er überlegte, aber er war noch immer sehr verwirrt. Es fiel ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

»Wo ist Marion jetzt?« fragte er schließlich.

»Sie ist im Erste-Hilfe-Zimmer«, gab die junge Ärztin Auskunft. »So wird der Raum genannt, in dem ich die Kinder behandle. Schwester Regine ist bei ihr.«

Nun war es an Denise von Schoenecker, einige Erklärungen abzugeben: »Schwester Regine ist Kinder- und Krankenschwester in einer Person. Sie geht ganz in der Fürsorge für unsere Schützlinge auf. Daher wird sie von den Kindern auch sehr verehrt.«

»Ich weiß nicht... Ich kann doch nicht...« Helfried Deng wich Denise von Schoeneckers Blick aus, nagte an seiner Unterlippe. Er hatte sich noch immer nicht zu einem Entschluß durchringen können. »Es ist eine dumme Situation«, stellte er schließlich fest.

»Ich finde, Sie haben Glück gehabt, daß das gerade hier passiert ist.« Gelassen nahm Anja Frey die Kaffeetasse auf. Bevor sie trank, fuhr sie fort: »Hier hatten Sie sofort Hilfe. Eine Woche mindestens muß Marion das Bett hüten, dann wird sie wieder fit sein. Natürlich könnte sie auch im Krankenhaus behandelt werden, aber ich bin überzeugt, daß es ihr hier besser gefallen wird.«

»Natürlich. Marion ist im Grunde genommen ein liebes Kind. Sie ist anpassungsfähig, macht kaum Schwierigkeiten.« Unsicher sah Helfried vor sich hin und bemerkte dadurch De­nise von Schoeneckers Befremdung nicht.

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Denise.

»Sie wurde von ihrer Mutter nie verwöhnt. Wie ich sie kenne, würde sie schon hierbleiben. Nur, kann ich das auch zulassen? Ich bin wirklich in einer verzwickten Situation.« Helfried hatte laut gedacht. Jetzt schüttelte er den Kopf.

Auch Anja Frey schüttelte leicht den Kopf. »Sie können froh sein, daß dem Kind nicht mehr passiert ist. In acht bis zehn Tagen können Sie die Kleine mitnehmen, wohin Sie wollen. Und bis dahin ist sie hier gut aufgehoben.«

Sie trank den Rest ihres Kaffees, dann stellte sie die Tasse auf den Tisch zurück.

»Ich gehe zu Schwester Regine und sage ihr, daß man Marion in ein Bett legen soll.«

»Ich komme gleich nach.« Denise von Schoenecker hatte den Blick noch immer auf den Mann gerichtet. Nachdem sich die Tür hinter der Ärztin geschlossen hatte, fragte sie: »Nun? Sie müssen sich wirklich keine Sorgen machen. Es ist das beste, wenn die Kleine hier ihre Gehirnerschütterung auskuriert. Bei Schwester Regine und Frau Dr. Frey ist sie in den besten Händen. Wenn Sie wollen, können Sie gern auch so lange hierbleiben. Wir haben in Sophienlust drei Gästezimmer. Im Moment ist keines belegt.«

»Hierbleiben?« Verständnislos sah Helfried Deng die Verwalterin des Kinderheimes Sophienlust an. Als er ihren Vorschlag begriff, schüttelte er den Kopf. »Nein. Was soll ich hier? Ich wollte doch nach Nürnberg. Ich habe auch keinerlei Bedenken, was Marion betrifft. Sie ist hier sicher in den besten Händen. Nur...« Wieder biß er auf die Lippen. Es war dumm von ihm gewesen, das Kind mitzunehmen.

»Ist etwas nicht in Ordnung?« Denise wußte nicht, was sie vom Verhalten dieses Mannes halten sollte. Er war zwar besorgt gewesen, aber sein Verhältnis zu dem Kind war doch irgenwie eigenartig.

Denise wollte ihre Bedenken gerade äußern, da sagte Helfried: »Ich würde gern mit ihr sprechen. Ich muß ihr doch erklären, daß sie jetzt nicht mit nach Nürnberg fahren kann.«

»Natürlich können Sie Marion sehen. Kommen Sie!« Denise führte ihn zurück in die Halle, die der Mittelpunkt von Sophienlust war. Von hier gelangte man zu allen im Erdgeschoß liegenden Zimmern. Dazu gehörte auch das Biedermeierzimmer. Es war mit stilechten Möbeln eingerichtet, von denen es auch seinen Namen hatte. In diesem Zimmer empfing Denise meistens ihre Besucher.