Sophienlust Bestseller 13 – Familienroman - Anne Alexander - E-Book

Sophienlust Bestseller 13 – Familienroman E-Book

Anne Alexander

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise verwaltet mit wahrem Herzblut das spätere Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim gehören wird. In der Reihe Sophienlust Bestseller werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Denise hilft in unermüdlichem Einsatz Scheidungskindern, die sich nach Liebe sehnen und selbst fatale Fehler begangen haben. Dann wieder benötigen junge Mütter, die den Kontakt zu ihren Kindern verloren haben, dringend Unterstützung. Denise ist überall im Einsatz, wobei die Fälle langsam die Kräfte dieser großartigen Frau übersteigen. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. Jedes Kinderschicksal ist ihr wichtig. Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Die kleine Villa stand am Abhang des fast sechshundert Meter hohen Monte Salora. Von der Terrasse aus hatte Marion Färber einen herrlichen Blick auf den Golf von Neapel. Besonders abends saß sie gern hier, trank ein Glas Wein und genoß den Sonnenuntergang. Manchmal war auch Alfredo Pontello bei ihr, in dessen Armen sie dann lag, während sie auf die Stimme des kleinen Mädchens lauschten, das auf dem Nachbargrundstück wohnte. Auch jetzt sang Ramona wieder. "Che baccan che baccan, fa la pionggia...", klang es zu ihr hinüber. Jedesmal, wenn sie Ramonas ­Stimme hörte, mußte sie an ihre eigene Tochter denken. Sie hatte Selina seit über einem Jahr nicht mehr ge­sehen, dennoch vermißte sie sie kaum. Ich bin einfach nicht dazu geschaffen, wie eine Glucke um sie herum zu sein, entschuldigte sie sich vor sich selbst. Sie war überzeugt davon, daß Selina dafür Verständnis aufbrachte. Es war früher Vormittag. Ein leichter Wind kam von Süden, strich über die Terrasse und trug den Duft nach Blumen und blühenden Sträuchern mit sich. Marion Färber stützte sich auf die Brüstung des Geländers Sie blickte zum Hafen hinunter. Alfredo hatte versprochen, sie an diesem Tag zu besuchen. Sie wollten aufs Meer hinausfahren. Die Vorfreude ließ die Augen der jungen Frau strahlen. Marion gab sich ganz den Gedanken an ihren Geliebten hin. Alfredo Pontello wohnte drüben in Neapel. Seine Eltern besaßen ein Haus auf dem Vomero-Hügel.

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Sophienlust Bestseller – 13 –

Verschollen in Peru

Selina bangt um ihren Vati

Anne Alexander

Die kleine Villa stand am Abhang des fast sechshundert Meter hohen Monte Salora. Von der Terrasse aus hatte Marion Färber einen herrlichen Blick auf den Golf von Neapel. Besonders abends saß sie gern hier, trank ein Glas Wein und genoß den Sonnenuntergang. Manchmal war auch Alfredo Pontello bei ihr, in dessen Armen sie dann lag, während sie auf die Stimme des kleinen Mädchens lauschten, das auf dem Nachbargrundstück wohnte.

Auch jetzt sang Ramona wieder. »Che baccan che baccan, fa la pionggia...«, klang es zu ihr hinüber.

Jedesmal, wenn sie Ramonas ­Stimme hörte, mußte sie an ihre eigene Tochter denken. Sie hatte Selina seit über einem Jahr nicht mehr ge­sehen, dennoch vermißte sie sie kaum. Ich bin einfach nicht dazu geschaffen, wie eine Glucke um sie herum zu sein, entschuldigte sie sich vor sich selbst. Sie war überzeugt davon, daß Selina dafür Verständnis aufbrachte.

Es war früher Vormittag. Ein leichter Wind kam von Süden, strich über die Terrasse und trug den Duft nach Blumen und blühenden Sträuchern mit sich. Marion Färber stützte sich auf die Brüstung des Geländers Sie blickte zum Hafen hinunter. Alfredo hatte versprochen, sie an diesem Tag zu besuchen. Sie wollten aufs Meer hinausfahren.

Die Vorfreude ließ die Augen der jungen Frau strahlen. Marion gab sich ganz den Gedanken an ihren Geliebten hin. Alfredo Pontello wohnte drüben in Neapel. Seine Eltern besaßen ein Haus auf dem Vomero-Hügel. Sie war zweimal in diesem Haus zu Gast gewesen und hatte gespürt, daß seine Eltern sie nicht gerade schätzten, doch das machte ihr wenig aus. Alfredo bekannte sich offen zu ihr. Er würde sich von seinen Eltern nicht beherrschen lassen.

»Signora!«

Aus ihren Träumen gerissen, drehte sich Marion um. »Ja, was gibt es, Angela?« fragte sie.

»Sie wollten mir noch sagen, in welchem Zimmer Ihre Tochter wohnen wird, Signora«, erinnerte das Hausmädchen sie leicht vorwurfsvoll.

Marion seufzte auf. »Das hat doch noch Zeit.«

»Signorina Selina kommt am Sonntag!«

Die junge Frau dachte kurz nach. »Geben Sie meiner Tochter das linke Gästezimmer, Angela«, entschied sie. »Vom Fenster aus hat man so einen herrlichen Blick auf die Bucht, das wird ihr gefallen. Und stellen Sie ihr bitte Blumen hinein. Selina liebt Blumen über alles.«

»Gern. Was für welche, Signora?«

Was waren Selinas Lieblingsblumen? Marion nagte an der Unterlippe. Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern. »Nehmen Sie Rosen«, entschied sie schließlich.

Angela nickte. »Und dann müssen Sie mir noch sagen,was Signorina Selina gern ißt, damit ich den Speiseplan danach zusammenstellen kann.« Sie fühlte, daß sie störte, doch sie blieb unerbittlich. So gern sie für Signora Färber arbeitete, sie konnte nicht verstehen, daß sie sich so gar nicht auf die Ankunft der Tochter zu freuen schien. Sie selbst hätte es kaum erwarten können, ihre Tochter in die Arme zu schließen, doch die Signora stand auf der Terrasse und wartete auf Signor Pontello.

»Ich schreibe es Ihnen heute abend auf.«

»Gut, Signora.« Angela kehrte innerlich seufzend in die Küche zurück. Sie ahnte, daß Marion bis zum Abend ihr Versprechen vergessen haben würde, aber dann mußte sie eben noch einmal fragen. Jetzt wollte sie sich erst um das Zimmer der kleinen Signorina kümmern.

Im Hafen hatte ein schmuckes Motorboot angelegt. Ein junger, weißgekleideter Mann sprang an Land. Er beschattete die Augen mit der Hand und blickte den Berg hinauf. Glücklich winkte ihm Marion zu, obwohl es unmöglich war, daß er sie vom Kai aus sehen konnte. Trotz der vorgehaltenen Hand mußte ihn die Sonne blenden.

Sie ging ins Schlafzimmer und überprüfte vor dem großen, venezianischen Spiegel noch einmal ihr Aussehen. Mit sich zufrieden summte sie ein Lied vor sich hin. Sie war vierunddreißig, fast fünf Jahre älter als Alfredo, doch das sah man ihr nicht an. Obwohl er wußte, daß sie eine zwölfjährige Tochter hatte, ahnte er nichts von dem großen Altersunterschied. Er nahm an, sie hätte die Tochter bereits als Siebzehnjährige bekommen.

Es dauerte noch fast eine halbe Stunde, bis Alfredo Pontello die Villa seiner Geliebten erreicht hatte. Nachdem er die weißen Stufen, die vom Tal aus den Berg hinaufführten, erklommen hatte, blieb er einige Sekunden stehen, um Atem zu schöpfen und sich mit einem silbernen Kamm die schwarzen Haare zurückzukämmen. Erst dann drückte er auf den Klingelknopf.

Angela öffnete ihm und begrüßte ihn auf italienisch. »Die Signora erwartet Sie auf der Terrasse, Signor«, sagte sie und neigte leicht den Kopf.

»Bringen Sie mir bitte etwas Kaltes nach draußen, Angela.« Alfredo hob die Hand und kniff dem Hausmädchen leicht in die Wange. »Sie werden von Tag zu Tag hübscher.«

»Aber, Signor!« Angela errötete. Ihr Rückzug in die Küche ähnelte einer Flucht.

Auf der Terrasse fielen sich Marion Färber und Alfredo Pontello einander in die Arme. Leise flüsterte der junge Mann seiner Geliebten zärtliche Koseworte ins Ohr. Dann hielt er sie etwas von sich ab. »Ich habe eine Überraschung für dich, Amore mio.«

»Was für eine Überraschung?« Marions Augen leuchteten erwartungsvoll auf.

»Ich werde mir Urlaub nehmen. Wir beide fahren über Ostern nach Sardinien. Du weißt, ich besitze dort ein Haus. Es werden wundervolle Wochen werden, Marion.«

»Ich freue mich.« Sie schmiegte sich an ihn, bot ihm ihre Lippen zum Kuß. Dann erstarrte sie und trat einen Schritt zurück. Das Leuchten in ihren Augen erlosch. »Und Selina?« fragte sie sehr leise.

»Was ist mit ihr?«

»Hast du vergessen, daß meine Tochter über Ostern nach Capri kommt?«

Das Gesicht des jungen Mannes umwölkte sich. »Ich habe mich so gefreut, Amore mio. Es war schwer genug, Urlaub zu bekommen, du kennst doch meinen Vater.« Er strich ihr über die Wange. »Kannst du ihr nicht schreiben, sie soll erst in den Pfingstferien kommen? Nein, ruf an, das geht schneller.«

Marion schüttelte den Kopf. »Mein geschiedener Mann fliegt am Montag nach Peru. Ich habe dir ja erzählt, daß David an einem Buch über die Inkas arbeitet. Er kann Selina natürlich nicht mitnehmen.«

»Sagtest du nicht, sie wäre schon einmal in einem Kinderheim gewesen?«

Sophienlust, dachte Marion, das wäre natürlich eine Möglichkeit. Sie wollte schon zustimmen, schüttelte dann aber entschieden den Kopf. Selina war immerhin ihre Tochter, und sie hatten sich lange nicht mehr gesehen. »Wir könnten sie nach Sardinien mitnehmen«, schlug sie vor. »Selina freut sich ganz sicher auf den Besuch bei mir. Ich möchte sie nicht enttäuschen.«

»Auf einige Wochen mehr oder weniger kommt es doch nicht an«, meinte Alfredo. Er zog Marion in die Arme. »Ruf deinen geschiedenen Mann an, sage ihm, daß es nicht geht und er das Kind woanders unterbringen soll.« Zärtlich berührten seine Lippen ihre Stirn. »Diese Wochen auf Sardinien sollen nur unserer Liebe gehören, Marion.«

»Ich kann ihr nicht absagen.« Die Frau lächelte ihm verführerisch zu. »Es heißt doch immer, ihr Italiener wäret so kinderlieb.« Sie rieb ihre Nase an seiner.

»Ich liebe Bambinos, aber deine Bambina ist zwölf Jahre alt, schon fast eine Signorina, Amore mio. Ich habe mir den Urlaub in den leuchtendsten Farben ausgemalt. Selina würde alles verderben. Sie...« Er schlug sich gegen die Stirn. »Laß sie ruhig kommen, Marion, sie wird eben hier bei Angela bleiben. Ja, Angela kann für sie sorgen!«

Wie auf ein Stichwort trat Angela mit einem Tablett auf die Terrasse. Sie stellte einen Krug mit eisgekühlter Limonade und zwei Gläser auf ein Tischchen.

Alfredo wollte mit ihr sofort über Selina sprechen, doch Marion schüttelte den Kopf. »Wir sind heute den ganzen Tag zusammen, Alfredo. Uns wird sicher eine Lösung einfallen«, meinte sie. »Ich bin nicht dafür, etwas zu überstürzen.«

»Auf eine gute Lösung.« Alfredo hob sein gefülltes Glas. Seine dunklen Augen blitzten.

Bald darauf schlenderten sie zum Hafen hinunter. Marion trug einen breitkrempigen Sonnenhut, der sie noch jünger erscheinen ließ. Sie wirkte wie ein junges Mädchen. Galant half ihr Alfredo an Bord. Während sie sich setzte, warf er den Motor an. Wie ein Pfeil schoß die Delphina über das Wasser. Sie fuhren durch den Hafen und jagten in Richtung Blaue Grotte davon.

»Das ist, was ich unter leben verstehe«, schrie Alfredo. Er drehte sich zu ihr um.

Marion hielt sich fest. Sie liebte es, mit Alfredo durch das Wasser zu jagen. Sein Geschwindigkeitsrausch riß sie förmlich mit. Das Boot beschrieb jetzt eine ausladende Kurve. Alfredo ließ mit einer Hand das Steuer los, winkte zum wolkenlosen Himmel hinauf, riß aber bereits in der nächsten Sekunde das Steuer wieder zur anderen Seite. Er war wie besessen.

Marion stand vorsichtig auf, stellte sich neben ihn. Alfredo beugte sich zu ihr hinüber. Ihre Lippen trafen sich zu einem leidenschaftlichen Kuß.

Vor ihnen tauchte eine Klippe auf. Die Delphina raste auf die Felsen zu, wurde beim Zusammenprall hochgehoben und stürzte zur Seite. Es ging alles so schnell, daß den beiden nicht einmal Zeit blieb, aufzuschreien, als sie wie ein Ball durch die Luft gewirbelt wurden und ins Wasser eintauchten.

*

»Schade, daß Selina nicht schon zu Ostern bei uns ist«, meinte Angelina Dommin, eines der Dauerkinder von Sophienlust. Vorsichtig bemalte sie ein ausgeblasenes Hühnerei mit Filzstiften.

»Finde ich auch.« Irmela Groote betrachtete kritisch das Ei, das sie bemalt hatte. »Was meinst du, soll ich noch die Wolken weiß ausmalen, Pünktchen?«

Angelina schüttelte den Kopf. »Laß es lieber, so finde ich es hübscher.« Sie nahm einen anderen Filzstift und malte auf ihr Ei einen kleinen braunen Hasen. »Selina hat noch nie erlebt, wie lustig es an Ostern bei uns ist.«

»Ich freue mich schon aufs Ostereiersuchen«, sagte Irmela. Sie war zwar bereits fünfzehn, stürzte sich aber jedes Jahr wie die ganz Kleinen ins Vergnügen. »Ostern und Weihnachten können nirgendwo schöner sein als bei uns in Sophienlust.«

»Meine ich auch«, mischte sich Fabian Schöller ein. Er und Wolfgang Binder, ein Junge, der nur für drei Wochen in Sophienlust lebte, waren dabei, Osterkörbchen für die Jüngsten zu basteln. »Na, was sagt ihr dazu?« Er hielt ein Körbchen hoch, das rechts und links mit roten Schleifen umwickelte Bastschwänzchen hatte.

»Prima.« Angelika Langenbach lachte. Sie und ihre Schwester Viktoria lebten schon seit Jahren in Sophienlust. »Das soll doch sicher Heidis Körbchen sein.«

»Erraten.« Fabian grinste. »An diesen Rattenschwänzchen kann ich ziehen, ohne daß sich sofort ein Protestgeschrei erhebt.«

»Typisch Fabian«, meinte Angelina. »Ich…« Sie blickte zur Tür. Die fünfjährige Heidi Holsten, das jüngste der Sophienluster Dauerkinder, steckte den Kopf durch den Türspalt. »Sag’ mal, Heidi, hast du vergessen, daß das Bastelzimmer momentan für jedes Kind unter zehn tabu ist?«

Die Kleine schüttelte den Kopf. Sie trat jetzt ganz in den Raum. Die Kinder konnten sehen, daß sie eines ihrer Zwergkaninchen im Arm hielt. »Ich glaube, es ist krank.« Tränen kullerten aus ihren Augen. »Schneeweißchen liegt einfach nur so da.«

Pünktchen und Irmela sprangen auf. Während die Ältere Heidi das Kaninchen aus dem Arm nahm, versuchte Angelina die Kleine zu trösten.

»Was hat es denn?« Angelika und die übrigen Kinder waren ebenfalls aufgestanden. Fabian hatte nur noch rasch das Körbchen verschwinden lassen.

»Ich weiß nicht«, antwortete Irmela. »Es sieht wirklich komisch aus. Vielleicht hat es sich den Magen verdorben. Was hat es denn gefressen, Heidi?«

»Es muß sterben, nicht wahr?« Heidi schluchzte laut auf.

»Aber wer wird denn gleich so was denken?« fragte Angelina sanft. Sie tupfte der Kleinen die Tränen vom Gesicht. »Was sagt denn Justus?«

»Justus ist nicht da«, stammelte Heidi. »Er ist doch heute morgen nach Maibach gefahren und kommt erst am Abend wieder.« Erneut liefen dicke Tränen über ihre Wangen.

»Wir bringen Schneeweißchen zu Waldi & Co«, entschied Irmela. »Onkel Hans-Joachim kann ihm bestimmt helfen.«

Heidis Gesichtchen klärte sich etwas auf. »An Onkel Hans-Joachim habe ich gar nicht gedacht«, sagte sie. »Oh, ich bin dumm!«

»Nein, nicht dumm.« Wieder schlang Pünktchen ihre Arme um die Kleine. »Wenn man Kummer hat, vergißt man nur manchmal, wer einem helfen kann.«

»Wir gehen alle mit«, schlug Wolfgang vor. »Dürfen wir doch, oder?«

»Wir müssen nur Schwester Regine Bescheid sagen.« Fabian rannte bereits in die Halle, um die Kinder und Krankenschwester zu suchen. Angelina und Irmela betteten inzwischen das kranke Kaninchen in eine gepolsterte Schachtel.

Zehn Minuten später befanden sich die Kinder schon auf dem Weg zum Tierheim. Schneeweißchen lag in seinem Karton im Gepäckkorb von Irmelas Fahrrad. Sie fuhr ganz besonders vorsichtig, um den Karton nicht unnötig zu erschüttern. Unterwegs trafen sie noch Nick und Henrik, die Söhne Denise von Schoeneckers, der Verwalterin des Kinderheims. Ohne lange zu fragen, schlossen sich die beiden ihnen an. Pünktchen schenkte Nick ein freundliches Lächeln.

Waldi & Co., das Heim der glücklichen Tiere, lag neben dem langgestreckten Landhaus des Tierarztes Hans-Joachim von Lehn. Seine Frau Andrea trat gerade mit dem zweijährigen Peter-Alexander aus dem Haus, als die Kinder eintrafen. Sie stellte den kleinen Jungen auf den Boden. Auf seinen dicken Beinchen rannte er ihnen entgegen.

»Komm zu Onkel Henrik, Peterle«, rief der neunjährige Henrik. Er breitete die Arme aus, um seinen kleinen Neffen aufzufangen.

Peterle machte Anstalten, in Henriks Arme zu laufen, doch dann wandte er sich abrupt nach rechts. »Peterle Nick gehen«, krähte er und umklammerte die Beine des Sechzehnjährigen.

»Sein Onkel Henrik scheint heute nicht sein Favorit zu sein«, scherzte die zwölfjährige Angelika. Sie bückte sich zu Peterle hinunter und hob ihn hoch. »Was bist du doch für ein süßes Kerlchen«, meinte sie.

»Verwöhnt ihn nur richtig.« Andrea von Lehn begrüßte lachend die Kinder. Ihr Blick blieb an Heidi hängen. »Aber was hast du denn, Herzchen?« Sie faßte unter Heidis Kinn und hob ihren Kopf leicht an. »Sieht aus, als hättest du geweint.«

»Ganz doll hab’ ich geweint«, sagte Heidi. »Schneeweißchen ist krank.«

Sie zog die Nase hoch. »Aber Onkel Hans-Joachim macht doch Schneeweißchen wieder gesund, nicht wahr?«

Es wäre für Andrea leicht gewesen, ganz einfach ja zu sagen, doch sie wollte dem Kind nicht Hoffnung machen, wo es vielleicht gar keine mehr gab. »Am besten, wir zeigen dein Schneeweißchen erst einmal Onkel Hans-Joachim«, schlug sie vor.

»Wir gehen alle mit«, sagte Fabian.

»Dann kann sich Onkel Hans-Joachim ja gar nicht mehr in seiner Praxis drehen«, meinte Pünktchen vernünftig. »Nicht, Heidi, wir geben Tante Andrea dein Schneeweißchen und warten hier draußen.«

Die Kleine zauderte. Ganz ängstlich beobachtete sie, wie Nick den Karton seiner Stiefschwester überreichte. »Es hat aber doch etwas Angst, wenn

ich nicht dabei bin«, sagte sie schließlich.

»Wir werden ganz vorsichtig mit ihm sein«, versprach Andrea. Mit ihrer freien Hand strich sie der Kleinen durch die blonden Haare. »Spielt ein bißchen mit Peterle, ja?«

Heidi zog erneut das Näschen hoch, dann nickte sie. »Aber Onkel Hans-Joachim darf ihm nicht weh tun«, verlangte sie.

»Das wird er auch nicht.« Bevor Heidi noch weitere Bedenken äußern konnte, brachte Andrea das Kaninchen ins Haus.

»Es wird schreckliche Angst haben.« Die Fünfjährige ließ sich neben ihr Rad ins Gras gleiten.

Angelika stellte Peterle auf den Boden zurück. Der kleine Junge ließ sich auf die Knie hinunter und krabbelte auf Heidi zu. Obwohl Peterle schon prima laufen konnte, meinte er oft, so schneller vorwärts zu kommen. »Ei, ei«, machte er und strich über Heidis bloße Beine.

Aus dem Tierheim drang aufgeregtes Bellen zu ihnen. Waldi, der kleine Kurzhaardackel, nach dem das Heim benannt worden war, hatte die Ankunft der Kinder mitbekommen. Energisch verlangte er, von ihnen begrüßt zu werden.

»Wer bleibt bei Heidi und Peterle?« Irmela sah ihre Kameraden an.

»Wir.« Nick nahm Pünktchens Arm.

»Einverstanden.« Angelina strahlte ihn an. Sie verehrte Nick seit Jahren und träumte oft davon, eines Tages seine Frau zu werden. Die Zeit bis dahin erschien ihr endlos, schließlich war sie erst dreizehn, drei Jahre jünger als Nick.

Die anderen Kinder rannten zum Tor des Tierheims. Über ihm war ein langes, buntes Schild angebracht. Die Kinder hatten es selbst gemalt. In riesigen Buchstaben verkündete es, daß sich hier Waldi & Co., das Heim der glücklichen Tiere, befand. Und es war auch ein Heim, wie man es sich nur wünschen konnte. Tiere, die das Glück hatten, nach Waldi & Co. gebracht zu werden, schienen das große Los gezogen zu haben. Außer zahlreichen Hunden und Katzen gab es einen Esel, der vor der Schlachtbank gerettet worden war, ein zahmes Reh in einem Freigehege und einen jungen Schimpansen namens Mogli.

»Wenn ein Kaninchen tot ist, kommt es dann in den Hasenhimmel?« fragte Heidi. Peterle in den Armen, schluchzte sie wieder auf. Mit einem Händchen wischte sie sich über die Augen.

»Heidi weint.« Erstaunt drehte sich Peterle zu Nick und Pünktchen um. »Hat Heidi aua?«

»Ein bißchen«, entgegnete Nick. Er kniete sich neben Heidi und seinem Neffen ins Gras. »Wer wird denn immer gleich das Schlimmste denken?« Sanft nahm er Heidis Näschen zwischen die Finger. »Ich bin sicher, daß sich Schneeweißchen nur überfressen hat. Bestimmt hast du deinen Kaninchen zuviel Futter in ihren Stall gegeben.«

»Sie müssen doch satt werden.«

»Aber man kann auch zuviel des Guten tun«, meinte Pünktchen.

Heidi sprang auf. Sie rannte über den Hof zum Landhaus hinüber. Vor dem Fenster der Tierarztpraxis blieb sie stehen. Sie wollte sich gerade auf die Zehenspitzen stellen, um hindurchzusehen, als Pünktchen sie einholte und zurückzog. »Ich wollte doch nur gucken.«

»Was sollen denn Onkel Hans-Joachim und Tante Andrea denken, wenn sie dich am Fenster sehen?« fragte Pünktchen.

»Ich bin so schrecklich traurig, Pünktchen.« Heidi klammerte sich an Angelina.

»Weißt du schon, daß Selina kommt?« versuchte Angelina, sie abzulenken, während sie die Kleine bei der Hand nahm und zur Wiese zurückführte.

»Weiß jeder.« Heidi nagte an ihrer Unterlippe. »Rosenrot wird auch sterben, wenn Schneeweißchen nicht mehr da ist.«

Bevor Pünktchen ihr noch antworten konnte, kam Hans-Joachim von Lehn aus seiner Praxis. Er hielt den Karton mit Schneeweißchen im Arm. Heidi löste sich sofort von Pünktchens Hand und rannte auf ihn zu. »Ist es tot?« Einen Schritt vor dem Tierarzt blieb sie stehen. Sie zitterte am ganzen Körper.

»Nein, Heidi, dein Schneeweißchen ist nicht tot, aber es muß ein paar Tage in Waldi & Co. bleiben, damit ich es besser beobachten kann«, sagte Hans-Joachim von Lehn. Er beugte sich hinunter und ließ das kleine Mädchen in den Karton schauen. »Siehst du?«

»Was hat Schneeweißchen?« Nick kam mit Peterle auf dem Arm zu seinem Schwager.

»Einen verdorbenen Magen.«

»Wie du gesagt hast.« Ehrfürchtig blickte Heidi zu Nick auf.