Sophienlust Bestseller 48 – Familienroman - Marietta Brem - E-Book

Sophienlust Bestseller 48 – Familienroman E-Book

Marietta Brem

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Beschreibung

Die Idee der sympathischen, lebensklugen Denise von Schoenecker sucht ihresgleichen. Sophienlust wurde gegründet, das Kinderheim der glücklichen Waisenkinder. Denise verwaltet mit wahrem Herzblut das spätere Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim gehören wird. In der Reihe Sophienlust Bestseller werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. Denise hilft in unermüdlichem Einsatz Scheidungskindern, die sich nach Liebe sehnen und selbst fatale Fehler begangen haben. Dann wieder benötigen junge Mütter, die den Kontakt zu ihren Kindern verloren haben, dringend Unterstützung. Denise ist überall im Einsatz, wobei die Fälle langsam die Kräfte dieser großartigen Frau übersteigen. Denise formt mit glücklicher Hand aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. Jedes Kinderschicksal ist ihr wichtig. Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. »Ein Sauwetter ist das heute«, schimpfte Petzy Lemke, ein hübsches zehnjähriges Mädchen. »Statt daß es schneit, wie es zu dieser Jahreszeit üblich wäre, regnet es Bindfäden. So was Verrücktes!« »Du wirst dich doch auch eine Weile im Haus beschäftigen können«, antwortete Christa Lemke lächelnd. Mit ihren fünfunddreißig Jahren war sie bereits eine früh gereifte Frau, die sich keine großen Gedanken um ihr Aussehen machte. Glücklich verheiratet, mit einem Kind und einem neu erbauten Haus, das bis zum Dach mit Hypotheken belastet war, konnte sie weder viel Zeit noch Geld für ihr Aussehen verschwenden. »Was soll ich denn machen, Mutti? Kann ich dir vielleicht helfen?« maulte das Mädchen. »Die kann auch nichts dafür, daß du Langeweile hast«, bemerkte Christa lakonisch und widmete sich wieder ihrer Näharbeit. Patricia brauchte dringend etwas Neues zum Anziehen. Einfach in einen Laden gehen, und der Tochter etwas zu kaufen, das konnten sich die Lemkes einfach nicht leisten. »Ich geh noch eine Weile zu Anne hinüber. Vielleicht hat die genau so eine Mattscheibe wie ich.« »Das lohnt sich nicht mehr, Petzy. Du weißt, daß Vati bald kommt, und dann essen wir. Die halbe Stunde wirst du dich wohl noch allein beschäftigen können.«

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Sophienlust Bestseller – 48 –

Ich will wieder nach Hause

Kommst du mit?

Marietta Brem

»Ein Sauwetter ist das heute«, schimpfte Petzy Lemke, ein hübsches zehnjähriges Mädchen. »Statt daß es schneit, wie es zu dieser Jahreszeit üblich wäre, regnet es Bindfäden. So was Verrücktes!«

»Du wirst dich doch auch eine Weile im Haus beschäftigen können«, antwortete Christa Lemke lächelnd. Mit ihren fünfunddreißig Jahren war sie bereits eine früh gereifte Frau, die sich keine großen Gedanken um ihr Aussehen machte.

Glücklich verheiratet, mit einem Kind und einem neu erbauten Haus, das bis zum Dach mit Hypotheken belastet war, konnte sie weder viel Zeit noch Geld für ihr Aussehen verschwenden.

»Was soll ich denn machen, Mutti? Kann ich dir vielleicht helfen?« maulte das Mädchen. Die Schultasche, die noch immer am Boden lag, bekam einen saftigen Tritt ab,

»Die kann auch nichts dafür, daß du Langeweile hast«, bemerkte Christa lakonisch und widmete sich wieder ihrer Näharbeit. Patricia brauchte dringend etwas Neues zum Anziehen. Einfach in einen Laden gehen, und der Tochter etwas zu kaufen, das konnten sich die Lemkes einfach nicht leisten.

»Ich geh noch eine Weile zu Anne hinüber. Vielleicht hat die genau so eine Mattscheibe wie ich.«

»Das lohnt sich nicht mehr, Petzy. Du weißt, daß Vati bald kommt, und dann essen wir. Die halbe Stunde wirst du dich wohl noch allein beschäftigen können.«

Ärgerlich biß Christa den Nähfaden ab.

»Nimm doch eine Schere, Mutti. Mit mir schimpfst du immer, und selber machst du es genauso.« Es bereitete Petzy eine diebische Freude, die Mutter bei einem Fehler zu ertappen.

»Ich bin schon fertig. Jetzt kannst du die Hose anziehen. Hoffentlich paßt sie auch.« Die Frau strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn, dann stand sie auf. Ihr Gesicht verzog sich dabei schmerzerfüllt.

»Was hast du, Mutti? Ist dir nicht gut?« Besorgt strich das Mädchen über Christas Arm.

»Doch, doch das schon«, wehrte die Frau ab. »Ich bin wohl ein bißchen zu lang an der Maschine gesessen. Aber du brauchst morgen eine neue Hose. Die alte ist schon eine Schande.«

»Dann laß sie mich anprobieren. Die sieht wirklich toll aus. Das Rot wird gut zu meinem schwarzen Pulli passen.« Patricia, die von ihren Eltern nur zärtlich Petzy gerufen wurde, brach in helle Begeisterungsrufe aus, weil die Hose wie angegossen paßte.

»Was meinst du, ob ich aus dem Stoffrest noch einen Rock für dich machen soll?« überlegte Christa laut. »Es müßte eigentlich reichen. Dann hättest du für das Frühjahr auch gleich etwas zum Anziehen.«

»Au ja, Mutti. Und dazu strickst du mir noch einen weißen Angorapulli. Weißt du, so einen flauschigen mit weiten Ärmeln.« Die Augen des Mädchens strahlten vor Freude.

»O Petzy, muß es ausgerechnet Angora sein? Du weißt doch, wie teuer solche Wolle ist. Und wenn man Pech hat, ist nach dem ersten Waschen alles verfilzt. Dann haben wir umsonst so viel Geld ausgegeben.«

»Aber das ist jetzt schick.« Alle Freude war verflogen. »Nie bekomme ich das, was die anderen in meiner Klasse haben. Wenn ich im Sommer dann in die Mittelschule oder auf das Gymnasium gehen soll, habe ich nichts zum Anziehen.«

»Nicht, Petzy, sei doch nicht traurig. Bis dahin ist es noch lange hin. Wer weiß, vielleicht können wir uns dann schon etwas mehr leisten, wenn ich wieder einen Arbeitsplatz gefunden habe.«

Das waren Christas Hauptsorgen. Wie sollte sie Geld verdienen, wenn sie niemand einstellte? Dabei hatten sie so fest damit gerechnet, daß sie wenigstens das Geld für das tägliche bescheidene Leben würde heimbringen können.

Aber bis jetzt sah es düster aus. Es gab in Maibach und Umgebung zwar einige Drogerien, die jedoch alle kein neues Personal einstellten. Auch beim Arbeitsamt hatte die Frau kein Glück gehabt.

Lediglich in Stuttgart wurde ihr eine Arbeitsmöglichkeit geboten. Aber die hatte sich nach längerem Durchrechnen auch als unrentabel erwiesen. Es blieb zuviel Geld auf der Strecke, schon allein für die Fahrt mit der Bahn. Außerdem mußte sie ja auch von irgend etwas leben.

»Schön wär’s«, seufzte Peggy. »Ich meine, das mit dem Geld. Aber wenn du dann nie daheim bist, gefällt mir das auch nicht. Was soll ich dann die ganze Zeit allein machen? Annes Mutter ist immer da.«

»Annes Eltern haben auch kein Haus gebaut, so wie wir. Dafür hast du jetzt ein eigenes großes Zimmer. Einen schönen Garten haben wir auch, wo du im Sommer spielen kannst.«

»Anne hat auch ein eigenes Zimmer. Und sie hat dauernd etwas Neues zum Anziehen.«

»Sei nicht ungerecht, Petzy.« Wie Christa Lemke diese Auseinandersetzungen mit ihrer Tochter haßte. Sie belasteten sie und verdarben ihr die Laune, die ohnehin meist nicht die beste war. Am Ende brachten sie doch nichts, denn sie hatten schließlich von Anfang an gewußt, was auf sie zukam. Jetzt durften sie nicht murren, sondern mußten sich eben nach der Decke strecken, wie es andere Leute in so einer Lage auch taten.

Erleichtert atmete die Hausfrau auf, als sie hörte, daß das Garagentor geöffnet wurde. Endlich kam Roland nach Hause.

Heute war ein Brief von der Bank gekommen, den sie nicht zu öffnen wagte. Er sah so amtlich und fast feindselig aus, daß ihr eine Gänsehaut über den Rücken lief, wenn sie nur daran dachte.

»Roland?«

Die Haustür fiel ins Schloß. »Ich komme gleich. Muß mir nur erst die Hände waschen und den Regen aus den Haaren schütteln«, kam die Antwort aus dem Flur.

»So, jetzt gehst du noch eine Viertelstunde in dein Zimmer hinauf und lernst für morgen. Vati und ich haben etwas zu besprechen…«

»… das ich nicht hören darf«, vollendete Petzy schnippisch den angefangenen Satz. »Ich finde es nicht schön, daß ihr Geheimnisse vor mir habt.«

»Aber Petzy, das sind doch keine Geheimnisse. Es ist nur so, daß du ohnehin nichts davon verstehst. Nicht einmal ich kenne mich in diesen Dingen aus.«

»Aber wenn du doch mit Vati darüber sprichst«, wandte das Mädchen noch ein.

Die Mutter sagte nichts darauf. Sie versenkte die Nähmaschine in den Tisch und machte den Deckel zu. Dann kniete sie auf den Boden, um die Fäden und die heruntergefallenen Stecknadeln aufzusammeln.

»Aha, meine beiden Frauen sind fleißig. Das sehe ich sehr gern. Nur weiter so, dann werden wir es gemeinsam noch zu etwas bringen.« Roland Lemke strahlte über das ganze Gesicht.

Der Mann war eine blendende Erscheinung. Seine schwarzen Haare wurden bereits von Silberfäden durchzogen, die besonders an den Seiten auffielen. Aber es störte nicht. Im Gegenteil, es verlieh ihm ein seriöses Aussehen, und man hatte das Gefühl, daß man sich auf ihn verlassen konnte.

So jedenfalls empfand es Christa. Sie freute sich jedesmal, wenn ihr Mann einmal pünktlich Feierabend hatte. Das kam nur selten vor, denn meist führte ihn sein Beruf als Cheffahrer einer großen Fabrik ins Ausland oder zumindest so weit von zu Hause weg, daß er irgendwo übernachten mußte und erst am nächsten Tag zurückfahren konnte.

Innig legte die Frau ihre Arme um den Hals des Mannes, der seine kalte Wange an ihre überhitzte preßte.

»Schön warm bist du, Christachen. Das dringt durch bis in mein Herz.« Sie lachten beide, und Petzy stützte die Hände in die Hüften.

»So, und mich mag keiner?« Die Eltern merkten wohl, daß sie es nicht ernst meinte. Aber sie taten betroffen.

»Natürlich lieben wir dich, Schätzchen«, meldete sich Roland als erster zu Wort. »Komm her, Petzy. Du bist doch unser Sonnenschein.«

Obwohl er einen leichten Ton angeschlagen hatte, wußte Christa doch, wie ernst es ihm mit seiner Äußerung war. Wie lange hatten sie auf das Wunschkind warten müssen.

Nie würde Christa den Tag vergessen, als ihr Frauenarzt ihr die Schwangerschaft bestätigt hatte. Es war ein Freudentag gewesen für sie und Roland. Obwohl ihre Ehe von Anfang an glücklich war, hatte es doch den Anschein, als ob von diesem Tag an irgendein guter Geist schützend seine Hand über die kleine Familie hielt.

Wenn nur die Schulden nicht wären…

Jetzt fiel Christa auch der Brief wieder ein. »Du gehst jetzt in dein Zimmer, Petzy, und lernst für morgen. Bitte, sei ein liebes Mädchen. In einer halben Stunde können wir dann essen.«

Als Petzy verschwunden war, wandte sich die Frau wieder Roland zu. »Heute ist ein Brief von der Bank gekommen.«

»Und was steht drin?«

»Ich weiß es nicht«, gestand Christa kleinlaut. »Komm, gehen wir in die Küche. Ich kann dann nebenher das Essen richten.«

Roland Lemke fuhr sich mit den Fingern durch sein dichtes Haar. Dann ging er bereitwillig hinter seiner Frau her. Liebevoll umfing sein Blick Christa. Zugegeben, ihre Hüften waren in den letzten Monaten etwas breiter geworden. Ihre gesamte Figur war nicht mehr die eines Püppchens, wie er früher immer gesagt hatte.

Aber das störte ihn nicht. Der Mensch, den er geheiratet hatte, war derselbe geblieben, seine Christa, auch wenn sie nicht mehr so rank und schlank war wie damals.

»Warum hast du ihn nicht aufgemacht?« fragte er aus seinen Überlegungen heraus.

»Er ist an dich adressiert.«

»Na und? Sonst machst du doch die Post von der Bank auch auf. Außerdem hast du ebenso für alles unterschrieben wie ich auch.«

»Trotzdem«, beharrte Christa und stellte den Topf auf den Elektroherd.

»Was gibt es denn zum Essen?« Der Mann hielt den Brief in der Hand, ohne Anstalten zu machen ihn zu öffnen. Er ahnte schon, was er enthielt. Es konnte nichts Gutes sein, was die Bank ihm mitteilte. Die nächste Tilgungsrate war fällig. Das bedeutete wieder einen ziemlichen Rutsch in die roten Zahlen.

»Gulasch. Ich habe es schön scharf gemacht, so wie ihr beide es gern habt«, antwortete Christa und rührte in dem Topf. Dabei starrte sie wie gebannt den grünblauen Briefumschlag an.

»Nun mach ihn schon auf. Oder fürchtest du dich am Ende auch davor, so wie ich?«

»Sag doch nicht so etwas, Roland. Einer von uns muß sich doch um das Finanzielle kümmern. Da darfst du auch keine Angst davor haben.«

Roland Lemke lachte leise. »Ich habe doch auch nur Spaß gemacht.« Er schlitzte das Kuvert mit einem scharfen Messer auf. »Ich weiß ohnehin, was darin steht. Mein nächstes Gehalt ist schon wieder ausgegeben, ohne daß wir auch nur einen Pfennig davon gesehen haben.«

Betroffen senkte Christa den Kopf. Wenn sie doch wenigstens ein bißchen zum täglichen Leben beitragen könnte. Aber niemand wollte sie haben, so sehr sie sich auch bemühte, eine Arbeit zu finden.

»Sie haben die Zinsen schon wieder erhöht. Ein ganzes Prozent diesmal. Du kannst dir ausrechnen, was das bei unserer Kreditsumme ausmacht. Das sind über zweitausend Euro im Jahr.«

»Kann man denn nichts dagegen unternehmen?« Christa wußte, wie unsinnig ihre Frage war.

»Nein, nichts. Wir müssen zahlen. Zahlen, bis wir schwarz werden. Denen ist es natürlich gleichgültig, ob wir dabei verhungern müssen.«

»Es war ein Fehler, das Haus zu bauen. Wenn ich bloß eine Anstellung finden würde. Mit einem Gehalt ist es einfach nicht zu schaffen. Wir müssen etwas unternehmen, denn so geht es nicht weiter.«

»Und was, bitte, meinst du, daß wir machen sollen? Etwa alles wieder verkaufen? Nein, da arbeite ich lieber Tag und Nacht und an den Wochenenden auch noch.« Roland wurde immer heftiger, denn er war so stolz auf sein Eigenheim. Niemand durfte es ihm wegnehmen.

Christa wußte das zwar, aber ihrer Meinung nach gab es keinen anderen Ausweg aus diesem Dilemma.

»Komm, Roland, reg dich nicht auf. Zuerst werden wir essen, und dann, wenn Petzy im Bett ist, setzen wir uns noch einmal zusammen und rechnen alles durch.«

Der Mann seufzte tief auf. »Das bringt auch nichts. Und wenn wir es hundertmal durchrechnen, können wir aus einem Euro nicht zwei machen. Aber wie du meinst, ich lasse mich gern belehren.«

Es sollte spöttisch klingen, aber die Frau merkte doch, wie unglücklich ihr Mann waar. Es schnitt ihr ins Herz, doch sie konnte ihm nicht helfen.

Sie stellte drei Teller auf den Tisch, dann rief sie Petzy und verteilte das Gulasch gerecht, denn sie wußte, daß ihre Tochter immer ziemlich hungrig war.

»Ich könnte es mal mit Heimarbeit versuchen«, murmelte sie aus einer Überlegung heraus.

Roland ließ den Löffel sinken. »Das soll wohl ein Witz sein.«

»Nein, eigentlich nicht«, versuchte Christa, sich zu verteidigen. »Irgendwo muß doch Geld herkommen. So jedenfalls kann es nicht mehr weitergehen.«

»Ich will nichts mehr davon hören. Schon gar nicht beim Essen.« Ärgerlich schob der Mann den Löffel in den Mund. Aber es schmeckte ihm nicht besonders.

*

An diesem Morgen war alles schiefgegangen. Jedenfalls empfand es Hildegard Klinke so. Zuerst hatte der Wecker nicht geläutet, dann waren die Frühstückseier zu hart gekocht, und schließlich war der Wagen nicht angesprungen, weil es in der vergangenen Nacht Frost gegeben hatte.

Und das ausgerechnet heute!

Wie lange hatte sie um den Platz der Fahrdienstleiterin gekämpft, der diesen Monat frei geworden war. Und wirklich, sie hatte ihn bekommen.

Nun war es nur noch wichtig, welchen Eindruck sie auf ihre Kollegen machte. Daß es sich dabei ausschließlich um Männer handelte, das wußte Hildegard bereits.

Dann endlich stand sie in ihrem kleinen Zimmer im Betrieb, das von heute an ihr Reich sein sollte. Hier entwarf sie die Pläne für die Fahrer, und hier hatte sie auch ein Waschbecken mit einem Spiegel, was sehr wichtig für sie war.

Sie wollte immer gepflegt und toll aussehen, das nahm sie sich vor, während sie ihre Lippen nachzog. Mit ihren fünfundvierzig Jahren sah sie noch immer gut aus, was nicht

zuletzt an ihrer ausgezeichneten Figur lag. Trotzdem fühlte sie sich manchmal schon so alt und verbraucht, daß sie am liebsten pfundweise Make-up ins Gesicht geschmiert hätte.

Rasch fuhr sie mit dem Kamm durch ihre schwarzen glatten Haare, die sie gestern abend erst wieder frisch gefärbt hatte.

»Die Arbeit hat sich gelohnt«, murmelte die Frau zufrieden. Dann zog sie mit einem Stift noch die Augenbrauen nach und tupfte sich etwas Rouge auf die Wangen.

Zum Glück konnte Walter, ihr Mann, sie so nicht sehen. Er war noch zu Hause, denn er mußte Tomi, den fünfjährigen gemeinsamen Sohn, in den Kindergarten bringen.

Es klappte alles wunderbar mit dem Jungen, denn Hildegard und Walter verstanden es, sich zu arrangieren. Da es zum Glück im Betrieb gleitende Arbeitszeit gab, fing Hildegard morgens früher an, damit sie am Nachmittag zeitig nach Hause gehen konnte.

Bis sie so gegen vierzehn Uhr heimkam, wurde Tomi von einer Nachbarin versorgt, die selbst einen kleinen Sohn im Kindergarten hatten.

Auf ihre geliebte Arbeit verzichten zu müssen, das konnte sich Hildegard Klinke nicht vorstellen. Sie brauchte die Abwechslung, denn das tägliche Einerlei brachte sie zum Wahnsinn, wie sie immer zu sagen pflegte.

Sie wußte genau, daß es ihrem Mann Walter gar nicht recht war, daß sie arbeiten ging. Wir brauchen das Geld nicht, sagte er immer, wenn sie morgens aus dem Bett kam.

Sie warf einen raschen Blick auf die Uhr. In wenigen Minuten begann ihr Arbeitstag. Und wie dieser Tag verlief, ob erfolgreich oder nicht, davon hing ihre weitere Zukunft auf diesem Platz ab.

»Guten Morgen. Oh, welch ein Glanz in unserer Hütte.« Der Mann blieb verdutzt an der Tür stehen. »Sind Sie etwa die Nachfolgerin von Otto?«

»Wenn Sie Herrn Waggenbach meinen, ja«, antwortete Hildegard und lächelte verbindlich. »Und wer sind Sie?«

»Ich bin Karl, äh…, ich meine, Karl Lämmlein«, murmelte der Mann zuerst verlegen. Dann aber gab er sich einen Ruck und streckte der Frau seine Hand hin. Er musterte seine neue Vorgesetzte von Kopf bis Fuß. »Herzlich willkommen in unserer Männerwirtschaft.«

»Danke, Herr Lämmlein, das ist sehr freundlich von Ihnen. Ich hoffe, daß wir uns gut vertragen werden, auch wenn ich eine… ich meine, auch wenn ich die einzige Frau in Ihrer Männerwirtschaft bin, wie Sie gerade so schön sagten.«

»Gerade deshalb, Frau Klinke.« Karl Lämmlein lachte ein bißchen verlegen auf. »Wir dachten alle, es käme ein Herr Klinke und nicht eine Frau. Na, die anderen werden staunen. Auf die Gesichter bin ich schon gespannt wie ein Regenschirm.«

Hildegard Klinke rang sich mit Mühe ein Lächeln ab, das ihr aber nicht so gut gelingen wollte. »Wenn Sie und Ihre Kollegen nichts dagegen haben, würde ich hier gern alles so belassen, wie Otto es eingeführt hat. Ich meine, es…«

Der Frau war es sichtlich peinlich, das zu sagen, was sie dachte, denn sie wußte nicht, wie sie bei den anderen damit ankam.

»Das ist uns auch das liebste. Wir mögen Veränderungen nämlich auch nicht gern, überhaupt, wo jetzt alles so schön eingefahren ist.«

»So geht es mir auch, Herr Lämmlein, oder… darf ich Karl zu Ihnen sagen? Wir wollen doch mehr freundschaftlich miteinander umgehen, das heißt, wenn Sie alle das auch wollen.«

»Oh, da sind die anderen mit Sicherheit auch dafür. Außerdem hatten wir noch keine so tolle Fahrdienstleiterin. Da ist es uns eine Ehre, wenn wir Sie auch beim Vornamen nennen dürfen.« Ein anerkennender Blick glitt über Hildegards überschlanke Figur.

Sie bemerkte es sofort, und ein Gefühl, so wohlig wie ein sanftes Streicheln, durchfuhr ihren Körper. Genau das hatte sie erreichen wollen. Die Männer sollten in ihr nicht nur die Vorgesetzte sehen, sondern vor allem die Frau.

Diese Erkenntnis kam wie ein Blitz über Hildegard Klinike. Ja, sie wollte Bewunderung. In ihr konnte sie sich sonnen, wie es andere Leute an irgendeinem Strand unter der Sonne taten.