Sophienlust Bestseller 56 – Familienroman - Marisa Frank - E-Book

Sophienlust Bestseller 56 – Familienroman E-Book

Marisa Frank

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Beschreibung

Der Sophienlust Bestseller darf als ein Höhepunkt dieser Erfolgsserie angesehen werden. Denise von Schoenecker ist eine Heldinnenfigur, die in diesen schönen Romanen so richtig zum Leben erwacht. Das Kinderheim Sophienlust erfreut sich einer großen Beliebtheit und weist in den verschiedenen Ausgaben der Serie auf einen langen Erfolgsweg zurück. Denise von Schoenecker verwaltet das Erbe ihres Sohnes Nick, dem später einmal, mit Erreichen seiner Volljährigkeit, das Kinderheim Sophienlust gehören wird. Silvia Weiß riß sich von der Hand der Mutter los. Sie lief auf die Gartentür zu. Da es ihr nicht gelang, diese zu öffnen, blieb sie stehen und wartete auf die Mutter. Automatisch griff Margot Weiß wieder nach der Hand ihrer vierjährigen Tochter. Das Mädchen versteckte ihr Hände auf dem Rücken. »Ich bin sauer«, verkündete es mit vorgeschobener Unterlippe. »Die Kinder hier waren nett. Ich habe noch mit ihnen spielen wollen.« Mit einer müden Geste legte Margot ihrer Tochter die Hand auf das kurzgeschnittene Haar. Die Frau spürte, daß sie mit ihrer Kraft am Ende war. »Es ging nicht, du hast es doch gehört.« »Klar!« Unbekümmert rüttelte Silvia an der Tür. »Sie haben keine Arbeit für dich. Ich will aber Freunde zum Spielen. Du mußt wieder arbeiten, damit ich Freunde habe. Am besten wäre eine Freundin oder ein Freund. Ich kann mir dann aussuchen, wen ich lieber habe, der ist dann mein Lieblingsfreund.« Sie gab das sinnlose Rütteln auf.

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Sophienlust Bestseller – 56 –

Sei nicht traurig, Mami

Wir finden schon wieder ein Zuhause

Marisa Frank

Silvia Weiß riß sich von der Hand der Mutter los. Sie lief auf die Gartentür zu. Da es ihr nicht gelang, diese zu öffnen, blieb sie stehen und wartete auf die Mutter. Automatisch griff Margot Weiß wieder nach der Hand ihrer vierjährigen Tochter.

Das Mädchen versteckte ihr Hände auf dem Rücken. »Ich bin sauer«, verkündete es mit vorgeschobener Unterlippe. »Die Kinder hier waren nett. Ich habe noch mit ihnen spielen wollen.«

Mit einer müden Geste legte Margot ihrer Tochter die Hand auf das kurzgeschnittene Haar. Die Frau spürte, daß sie mit ihrer Kraft am Ende war. »Es ging nicht, du hast es doch gehört.«

»Klar!« Unbekümmert rüttelte Silvia an der Tür. »Sie haben keine Arbeit für dich. Ich will aber Freunde zum Spielen. Du mußt wieder arbeiten, damit ich Freunde habe. Am besten wäre eine Freundin oder ein Freund. Ich kann mir dann aussuchen, wen ich lieber habe, der ist dann mein Lieblingsfreund.« Sie gab das sinnlose Rütteln auf. Ihre Miene hatte sich auch wieder erhellt.

Margot seufzte. »Ich möchte gerne arbeiten.«

Silvia hob den Kopf. »Bist du traurig, Mami?«

Margot versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. Es wollte ihr nicht so recht gelingen. So öffnete sie nur die Tür und meinte: »Wir wollen gehen.«

»Hier!« Die Kleine streckte der Mutter die Hand hin. »Du kannst sie halten. Bist du dann nicht mehr traurig?«

»Ich werde es versuchen.« Margot ergriff die Hand der Vierjährigen und zog sie hinaus auf die Straße.

Nachdem sie ein paar Schritte gegangen waren, blieb Silvia plötzlich stehen. Forschend sah sie zu ihrer Mutter empor. »Du machst noch immer ein trauriges Gesicht«, stellte sie fest. »Freust du dich, wenn ich dir einen Kuß gebe?«

»Natürlich, mein Kleines.» Die Mutter beugte sich hinunter.

Schnell schlug Silvia die Arme um ihren Hals. Sie küßte die Mutter mitten auf den Mund, dann meinte sie: »So, nun mußt du wieder fröhlich sein.«

»Ich werde mich bemühen«, versprach Margot. Sie drückte ihr Kind liebevoll an sich. Silvia hielt jedoch nicht lange still. Sie war ein sehr lebhaftes Kind und hatte bereits wieder ein neue Idee.

»Mami, wir gehen einfach andere Kinder suchen. Ich helfe dir dabei.«

Temperamentvoll streckte sie den Arm aus. »Dort, Mami, in diesem großen Haus wohnen vielleicht Kinder.«

Margot Weiß nahm ihre Tochter auf den Arm. »Schätzchen, ich habe dir doch erzählt, warum wir nach Maibach gefahren sind. Ich habe gehofft, hier im Kindergarten Arbeit zu finden.«

Silvia nickte. »Das geht nicht, denn sie haben bereits eine neue Tante für die Kinder.«

»Stimmt.« Die Frau wandte ihr Gesicht zur Seite. Sie konnte nicht lächeln. Sie wußte wirklich nicht mehr, wie es weitergehen sollte. Seit Wochen schon war sie auf Arbeitssuche. Sie war gelernte Kindergärtnerin und hatte sich immer eingebildet, den idealen Beruf zu haben. Diese Tätigkeit hatte es ihr auch ermöglicht, für ihre Tochter sorgen zu können. Doch seit in ihrem Heimatort der eine Kindergarten geschlossen worden war, stand sie auf der Straße. Nächste Woche sollte sie nun die Zweizimmerwohnung räumen, die sich über dem ehemaligen Kindergarten befand. Noch immer wußte sie nicht, wohin sie mit ihrer kleinen Tochter ziehen sollte.

»Mami!« Silvia stieß ihre Mutter an. »Vielleicht haben sie in diesem großen Haus noch keine Tante.«

»Sylvi, das ist ein Hotel«, erklärte Margot. Sie war dem Blick ihrer Tochter gefolgt.

»Was ist ein Hotel? Mami, sieh nur!« Aufgeregt zappelte die Kleine in den Armen der Mutter. »Da geht gerade ein Kind hinein. Los, wir wollen ihm nachlaufen.«

»Im Hotel wohnen Leute. Sie übernachten dort, wenn sie auf Reisen sind«, versuchte die Kindergärtnerin zu erklären. Silvias Eifer konnte sie damit jedoch nicht dämpfen.

»Was ist denn mit dem Kind? Schläft es in dem Haus?« fragte sie.

»Ich glaube schon.« Margot stellte ihre Tochter auf den Boden zurück. »Wir werden zum Bahnhof gehen und nachsehen, wann wir nach Hause fahren können.«

Dieser Vorschlag gefiel dem Mädchen überhaupt nicht. Es beklagte sich: »Mami, du hast gesagt, daß wir den ganzen Tag hierbleiben. Ich will noch nicht nach Hause. Jetzt, wo dort keine Kinder mehr sind, ist es langweilig.«

»Wir müssen zurück. Ich habe hier ja keine Arbeit gefunden.« Margot starrte vor sich auf den Boden. Sie war ratlos. Wie sollte es weitergehen? Dieser Kindergarten in Maibach war ihre letzte Hoffnung gewesen.

»Mami«, drängte Silvia. Sie sah wieder zu dem Hotel hin. Dieses große Gebäude hatte es ihr anscheinend angetan. »Wenn dort ein Kind schläft, dann kannst du viellleicht aufpassen, ob es auch richtig liegt. Wir sollten fragen gehen.«

Margot Weiß reagierte nicht. Verzweifelt versuchte sie, einen Ausweg zu finden. Wie sollte sie nur bis nächste Woche eine Arbeit und eine geeignete Wohnung finden?

»Wenn du dich nicht traust, dann frage ich«, verkündete Silvia. Sie warf ihrer Mutter einen raschen Seitenblick zu, dann eilte sie an den Straßenrand.

Margot kriegte sie im letzten Moment noch zu fassen. »Was soll das? Du darfst doch nicht einfach auf die Straße laufen. Hast du vergessen, daß man vorher nach links und rechts sehen muß?«

Die Kleine senkte schuldbewußt ihr Köpfchen. »Vergessen nicht, aber nicht daran gehalten.«

»Auf der Straße fahren so viele Autos.«

Silvia sah die Mutter treuherzig an. »In die Autos wäre ich bestimmt nicht hineingelaufen. Ich wollte nur zu dem Hotel, um das Kind zu fragen, ob es niemanden zum Beaufsichtigen braucht. Ich kann ihm auch sagen, daß du eine ganz liebe Tante bist.«

»Nein, Silvi, in einem Hotel braucht man keine Kindergärtnerin. Die Kinder, die dort absteigen, sind in den meisten Fällen in Begleitung von ihren Eltern.«

»Was machen wir dann?« Silvia sah sich um. Sie entdeckte einen Polizisten. »Jetzt weiß ich es«, rief sie erfreut. »Wir fragen den Schutzmann. In meinem Bilderbuch hat Hänschen sich verlaufen, da hat der Polizist geholfen. Die grünen Männer beschützen die Menschen.«

»Silvi, wir haben uns weder verlaufen, noch müssen wir beschützt werden.« Margot lächelte, obwohl ihr nicht danach zumute war.

Das Kind nickte zustimmend. Laut überlegte es weiter:

»Ein Polizist muß auch aufpassen, daß die Autos richtig fahren. Das ist dann ein Verkehrspolizist. So einer war einmal bei uns im Kindergarten.«

»Richtig«, stimmte ihre Mutter zu.

»Mami, dann mußt du einfach Polizist werden. Anstatt auf Kinder, paßt du dann eben auf die Autos auf.«

»Das geht nicht so einfach«, meinte Margot geduldig. »Ich bin Kindergärtnerin.«

»Ist das ein so großer Unterschied?« Silvia überlegte. »Wenn die Kinder nicht artig sind oder was falsch machen, dann mußt du mit ihnen schimpfen oder sie bestrafen. Wenn jemand falsch parkt, dann schreibt der Polizist einen Zettel. Das hat er uns erzählt.«

»Das nennt man Strafmandat.«

»Weiß ich. Damit bestraft er die Autofahrer, die etwas verkehrt gemacht haben. Ich überlege nur gerade, ob wir nicht Kindergärtnerin bleiben sollen. Manche Kinder können sehr lieb sein. Ein Autofahrer hat sicher keine Zeit, mit mir zu spielen.«

»Also überlassen wir die Autos dem Polizisten. Laß uns nun aber weitergehen.« Margot nahm ihr Töchterchen bei der Hand, ging mit ihr zum Zebrastreifen, und überquerte mit ihr vorschriftsmäßig die Straße.

»Mami, ich mag aber noch nicht zum Bahnhof gehen«, meldete Silvia sich wieder zu Wort. »Warum kannst du nicht Eismacher werden?«

Margot verbiß sich ein Lächeln. Sie wußte sofort, worauf ihre Tochter hinauswollte. Sie wartete jedoch ab.

Gleich darauf fing Silvia schmeichelnd an. »Mami, du bist doch eine liebe Mami. Wenn du ein Eismacher wärst, dann bekäme ich doch immer ganz viel Eis.«

Ihre Mutter versuchte ernst zu bleiben. »Das würde ich nicht tun, denn dann würdest du jeden Tag Bauchweh haben.«

»Mhm«, machte Silvia. Sekundenlang stand ihr Plappermäulchen still. »Mami«, kam es dann wieder, »da ich gestern kein Eis gegessen habe und auch heute noch keines, kann mein Bauch kein Bauchweh bekommen, wenn ich jetzt eines esse.«

Margot blieb stehen. »Du willst also ein Eis?«

»Ja, ein ganz großes.« Die Vierjährige strahlte sie an. Den Problemen ihrer Mutter brachte sie kein Verständnis entgegen, dazu war sie noch zu klein.

»Ich glaube, ein ganz großes hat in deinem Bauch gar keinen Platz. Du hast doch gerade erst eine Banane bekommen.«

»O Mami! Du kennst meinen Bauch nicht. Da geht ganz viel hinein. Gehen wir einen Eismann suchen?«

Margot nickte. »Anschließend gehen wir dann aber zum Bahnhof.«

»Ein wenig könnten wir doch auch noch spazierengehen«, bettelte Silvia. »Zu Hause hast du dann noch genug Zeit zum Zeitunglesen. Die Frau am Kiosk läßt dich sicher wieder in alle reingucken.«

Margot Weiß wußte nicht, was sie darauf sagen sollte. Seit Wochen studierte sie die Stellenangebote. Sie wäre bereit gewesen, jede Arbeit anzunehmen, aber das ging wegen Silvia nicht. Sie hatte niemanden für das Kind.

*

Regine Nielsen sah den Arzt an. Sie hatte zwar bereits vor den Röntgenaufnahmen gewußt, daß irgend etwas mit ihr nicht stimmte, aber so schnell konnte sie sich jetzt nicht entscheiden.

»Sie sollten nicht zögern. Am besten wäre es, Sie würden noch diese Woche zu uns kommen. Ich kann Ihnen zwar Medikamente mitgeben, einen neuerlichen Anfall verhindern können diese allerdings auch nicht.«

Unsicher senkte die Kranken- und Kinderschwester ihren Blick.

»Gleich operieren… ich weiß nicht.«

»Sie hatten doch große Schmerzen?« Der Arzt lächelte schwach. Er war es gewohnt, daß die Leute vor einer Operation zurückschreckten.

»Sie haben recht, noch so einen Anfall möchte ich mich nicht aussetzen.«

»Über kurz oder lang machen Ihnen die Gallensteine sicher wieder zu schaffen. Die Röntgenaufnahmen haben dies klar an den Tag gebracht. Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben, Frau Nielsen. Sie müssen unter das Messer. Die Gallenkolik kann sich jederzeit wiederholen. Als Krankenschwester muß ich Ihnen ja nicht sagen, daß es zur Gallenblasenentzündung und somit zu einer Gelbsucht kommen kann. Wenn das erst der Fall ist, geht es um Minuten.«

Dr. Schifko schenkte Schwester Regine ein aufmunterndes Lächeln. Er kannte sie von ihren Besuchen im Krankenhaus her. Hin und wieder kam es schon vor, daß ein Kind aus dem Kinderheim Sophienlust im Maibacher Krankenhaus eingeliefert wurde. Viele Jahre schon arbeitete Regine Nielsen in diesem sogenannten »Haus der glücklichen Kinder«.

Schwester Regine strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn. »Möchte bloß wissen, wie ich zu diesen Steinchen gekommen bin. Nun weiß ich wenigstens Bescheid.« Sie erhob sich. »Vielen Dank, Herr Doktor.« Sie reichte dem Arzt die Hand.

»Bis nächste Woche dann. Spätestens«, setzte er nachdrücklich hinzu. »Wenn Sie wollen, können Sie auch gleich morgen zu uns kommen. Ein Bett haben wir für Sie frei, und Gallen-operationen sind heutzutage wirklich eine reine Routinesache.«

»Ich muß zuerst auf alle Fälle mit Frau von Schoenecker sprechen.«

»In Ordnung. Ich höre von Ihnen.« Dr. Schifko nickte Frau Nielsen noch einmal freundlich zu, bevor er zu den nächsten Unterlagen griff. Auf ihn warteten noch weitere Fälle.

Schwester Regine verließ nachdenklich das Krankenhaus. Sie wußte, daß der Chefarzt recht hatte, trotzdem war ihr bei dem Gedanken an die bevorstehende Operation etwas mulmig zumute. Da sie noch einiges in Maibach zu erledigen hatte, ließ sie das Auto gleich auf dem Parkplatz vor dem Krankenhaus stehen, denn in der Nähe des Marktplatzes fand man in den seltensten Fällen auf Anhieb einen Abstellplatz. Bevor die Krankenschwester sich auf den Weg machte, holte sie noch den Einkaufszettel aus der Tasche. Dort hatte sie auch die speziellen Wünsche der Köchin Magda notiert.

*

Die kleine Silvia preßte ihr Näschen an dem Schaufenster platt und betrachtete eingehend die Auslagen.

»Diese Puppe, Mami, die ist süß.«

»Ja«, bestätigte Margot Weiß, ohne hinzusehen.

»Mami, die andere ist noch süßer. Sie hat ein rotes Höschen an. So eine Puppe möchte ich.« Sie sah zu ihrer Mutter hoch, merkte, daß diese in eine ganz andere Richtung blickte.

»Mami, du mußt dir die Puppe ansehen, sie wird dir auch gefallen.«

Die Frau war mit ihren Gedanken ganz woanders. Nun versuchte sie, sich auf ihre Tochter zu konzentrieren. »Meinst du die Negerpuppe?«

Silvia ergriff die Hand der Mutter. »Die mit der roten Hose und dem braunen Gesicht.«

»Das ist eine Negerpuppe«, erklärte Margot geduldig. »Sie ist braun, so wie die Neger.«

»Dann mag ich eben eine Negerpuppe. Magst du sie nicht auch?«

Margot beugte sich zu ihrer Tochter hinunter. »Mir gefällt sie auch, aber wir werden sie nicht kaufen.«

»Mami!« Silvia schmiegte sich an ihre Mutter. »Wenn sie dir doch gefällt.«

Die Kindergärtnerin schüttelte den Kopf. »Man kann nicht alles haben, was einem gefällt. Im übrigen hast du schon ein Eis gehabt.«

»Das hat mir nicht gefallen, es hat nicht geschmeckt«, stellte Silvia richtig. »Mami, wie teuer ist eigentlich die Puppe?«

»In jedem Fall zu teuer für uns.«

»Wie teuer?« beharrte Silvia.

Margot beugte sich etwas vor, um das Preisschild entziffern zu können.

»Sie kostet vierzig Euro.«

Silvia hob ihre Hand und streckte zwei Finger in die Höhe. »Zwei Euro habe ich noch. Die kann ich dazugeben. Reicht das?«

»Nein, mein Schatz, vierzig Euro sind eine ganze Menge Geldstücke.«

»Schade!« Silvia verzog ihr Gesicht. »Ich würde dir auch mehr geben, aber ich habe nur das.«

Margot strich ihrer Tochter über die Haare. »Dann kaufen wir die Puppe eben, wenn du mehr Euro hast.«

»Das wird aber lange dauern.« Silvia sah ihrer Mutter ins Gesicht. Bedauernd zuckte sie mit den Achseln. Wenn ihre Mutter so dreinsah, dann wußte sie, daß ein weiteres Betteln vergebens war. Sie bedachte die Puppe noch einmal mit einem sehnsüchtigen Blick, dann wandte sie sich ab.

»Können wir jetzt zum Bahnhof gehen?« fragte Margot.

»Noch nicht. Ich bin auch lieb. Ich will keine Puppe und kein Eis mehr. Ich will lieber einen Freund oder eine Freundin, aber ich weiß, daß das nicht geht, also will ich spazierengehen. Nur noch ein bißchen, Mami.«

»Das können wir bei uns zu Hause auch«, meinte Margot.

»Schon, aber dann sind wir wieder zu Hause, und ich weiß, daß du dir dort Sorgen machst.« Mit ernstem Gesichtchen sah Silvia zu ihrer Mutter auf.

»O Kind!«

Der Frau entfuhr ein Seufzer. Sie zog ihre Tochter an sich. Sie mußte sich mehr zusammennehmen. Auf keinen Fall wollte sie, daß Silvia ihre Unbekümmertheit verlor, aber wie sollte sie das verhindern? Nächste Woche stand sie mit dem Kind auf der Straße. Man hatte ihr ohnehin bereits vierzehn Tage Verlängerung gewährt. »Du hast recht, wir wollen uns noch ein bißchen in Maibach umsehen. Es ist ein nettes Städtchen.« Mit einem Lächeln versuchte sie, die Gedanken an die nächste Woche beseite zu schieben.

»Was machen wir jetzt?« fragte Silvia erwartungsvoll.

»Wir gehen spazieren«, sagte Margot. »Du kannst bestimmen, welche Richtung wir einschlagen.«

»Ja«, sagte Silvia, aber ihre Stimme klang enttäuscht.

Margot begriff, ihre Tochter wollte mit ihr gemeinsam etwas unternehmen. Sie hatte in letzter Zeit wirklich wenig Zeit für das Kind gehabt. Immer wieder hatte sie es bei der Nachbarin oder bei Frau Singer am Kiosk gelassen. Trotzdem hatte alles nichts genützt, sie hatte weder Arbeit noch eine Unterkunft gefunden.

Sie spürte den erwartungsvollen Blick ihrer Tochter, sie riß sich zusammen. »Was hältst du davon, wenn wir zuerst zu dem Brunnen hingehen. Wir sehen nach, ob das Wasser kalt oder warm ist.«

»Au ja, das machen wir.« Die Kleine lachte, dann lief sie Richtung Brunnen davon.

»Halt!« rief ihre Mutter hinter ihr her. »Willst du mich nicht mitnehmen?«

Silvia hielt sofort an. »Los, komm!« Sie streckte der Mutter die Hand hin. Zusammen gingen sie zum Brunnen. Zuerst streckte sie den Finger, dann die ganze Hand in das Wasser. Eine Zeitlang brachte Margot es fertig, nicht an ihre Sorgen zu denken. Sie ging mit ihrem Kind noch zum Stadtturm, dann lief sie am Stadtgraben entlang. Von der Brücke aus durfte Silvia Steine in den Wassergraben werfen.

»Schwäne!« rief das Mädchen plötzlich, »Mami, ich will ins Wasser.« Es rannte am Graben entlang, bis es zu einer Treppe kam. Dort streckte sie ihre Ärmchen aus, um damit die Schwäne heranzulocken.

»Mami, sie kommen nicht, ich muß sie holen gehen.« Ehe Margot recht begriff, hatte Silvia sich bereits ihre Schuhe ausgezogen.

»Das kommt überhaupt nicht in Frage. Du kannst doch hier nicht ins Wasser gehen. Der Graben ist sicher sehr tief.«

»Du meinst, ich muß die Schuhe wieder anziehen?« Die Kleine war nicht begeistert. »Das kann ich nicht. Ich habe heute Schuhe mit Bändern an. Ich kann nicht binden.«

»Du ziehst die Schuhe wieder an, und ich binde sie dann«, bestimmte Margot.

Silvia tat, wie ihr geheißen. Ihr Köpfchen steckte voller Ideen, aber sie war auch folgsam. »Muß ich den Schwänen auf Wiedersehen sagen?« fragte sie dann.

»Ja, für uns wird es nun wirklich Zeit«, Margot richtete sich langsam auf.

»Darf ich nicht noch ein wenig zugucken. Schau, die Schwäne schwimmen zur Brücke. Du kannst hier warten, ich laufe nur ein Stück mit.«

Margot warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Aber wirklich nur ein kleines Stück.«

»Nur bis zur Brücke«, versicherte Silvia und eilte davon.

Die Mutter sah ihr nach. Silvia machte wirklich an der Brücke halt. Von dort aus versuchte sie nun, die Aufmerksamkeit der Tiere zu erregen. Langsam folgte Margot ihr, mit den Gedanken bereits wieder weit weg. Würde man eine Zwangsräumung vornehmen?

Silvia seufzte. Es waren dumme Schwäne, sie kamen einfach nicht heran. Sie schob ihre Unterlippe vor und dachte nach. Füttern müßte ich sie, aber ich habe nichts dabei. Die Tasche enthielt nicht einmal ein Bonbon. Sie wußte, daß auch ihre Mutter nichts dabei hatte. Also sah sie sich suchend um. Auf der anderen Straßenseite befand sich eine Baustelle, die mit einem Bretterzaun zur Straße hin abgesichert war. Vielleicht fand sie dahinter etwas Eßbares.

Silvia rannte los. Sie lief auf das Loch im Bretterzaun zu. Heftig zog sie an dem losen Brett, um den Durchschlupf zu vergrößern.

Passanten wurden sogleich auf das Kind aufmerksam. »He, du! Das ist kein Spielplatz«, rief eine ältere Dame von der Brücke aus.

Erst jetzt fand die Mutter wieder in die Realität zurück. Auch Schwester Regine sah das Kind. Gleichzeitig mit Margot eilte sie über die Straße.

Silvia drehte nur kurz den Kopf herum und rief: »Ich bin gleich wieder da!« Dann verschwand sie durch das Loch.