Du bist mein Vater! - Simone Aigner - E-Book

Du bist mein Vater! E-Book

Simone Aigner

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Pascal Ebert eilte durch seine Wohnung. Der Herd war abgestellt, die Kaffeemaschine auch. Sämtliche Fenster waren geschlossen. Der Regen rauschte vom trüben Himmel und rann über die Scheiben. Eben hatte er seine wenigen Zimmerpflanzen gegossen. Das war dringend notwendig gewesen, bei manchen Pflanzen hatte die Erde bereits Abstand zum Topf gebildet, so trocken war sie gewesen. Soweit war jetzt alles in Ordnung und er war ja auch nur bis übermorgen Abend weg. Er lief in sein Schlafzimmer. Dort stand auf seinem Bett seine Reisetasche. Ein Teil seiner benötigten Kleidung lag noch, sorgfältig gefaltet, daneben. Seine Kulturtasche hatte er bereits eingepackt, ebenso die schwarzen blank polierten Schuhe, die er auf dem Flug auf die Malediven tragen wollte. Seine Flugbegleiter-Uniform hing an einem Bügel an der verspiegelten Tür des Kleiderschrankes. Sie war frisch gereinigt und noch von der Plastikfolie umhüllt, die die Reinigung zum Schutz übergezogen hatte. Er würde sie erst am Flughafen anziehen. Pascal legte ein T-Shirt und eine kurze Hose in seine Reisetasche. Beides würde er nachts zum Schlafen anziehen. Jetzt, Ende Oktober, war es auf den Malediven wunderbar warm. Er warf einen Blick auf die Uhr, die auf seinem Nachtschrank stand. 16 Uhr. Das Tageslicht war trüb, einesteils wohl wegen des Wetters, andernteils brach um die Jahreszeit ja auch die Dunkelheit früh herein.

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Sophienlust - Die nächste Generation – 101 –

Du bist mein Vater!

Unveröffentlichter Roman

Simone Aigner

Pascal Ebert eilte durch seine Wohnung. Der Herd war abgestellt, die Kaffeemaschine auch. Sämtliche Fenster waren geschlossen. Der Regen rauschte vom trüben Himmel und rann über die Scheiben. Eben hatte er seine wenigen Zimmerpflanzen gegossen. Das war dringend notwendig gewesen, bei manchen Pflanzen hatte die Erde bereits Abstand zum Topf gebildet, so trocken war sie gewesen. Soweit war jetzt alles in Ordnung und er war ja auch nur bis übermorgen Abend weg.

Er lief in sein Schlafzimmer. Dort stand auf seinem Bett seine Reisetasche. Ein Teil seiner benötigten Kleidung lag noch, sorgfältig gefaltet, daneben. Seine Kulturtasche hatte er bereits eingepackt, ebenso die schwarzen blank polierten Schuhe, die er auf dem Flug auf die Malediven tragen wollte. Seine Flugbegleiter-Uniform hing an einem Bügel an der verspiegelten Tür des Kleiderschrankes. Sie war frisch gereinigt und noch von der Plastikfolie umhüllt, die die Reinigung zum Schutz übergezogen hatte. Er würde sie erst am Flughafen anziehen. Pascal legte ein T-Shirt und eine kurze Hose in seine Reisetasche. Beides würde er nachts zum Schlafen anziehen. Jetzt, Ende Oktober, war es auf den Malediven wunderbar warm.

Er warf einen Blick auf die Uhr, die auf seinem Nachtschrank stand. 16 Uhr. Das Tageslicht war trüb, einesteils wohl wegen des Wetters, andernteils brach um die Jahreszeit ja auch die Dunkelheit früh herein. Für ihn jedenfalls wurde es höchste Zeit, sich auf den Weg zu machen. Er schloss die Reisetasche, und in diesem Augenblick läutete es an seiner Wohnungstür. Verblüfft blieb er vor seinem Bett stehen. Er erwartete niemand und er wollte jetzt auch nicht aufgehalten werden. Vielleicht war es der betagte und etwas schwerhörige Herr Beetke, der ein Stockwerk unter ihm wohnte. Meist wollte er sich irgendetwas ausleihen, ein paar Kaffeefilter zum Beispiel oder die Tageszeitung. Er gab auch alles pflichtgemäß zurück. Leider nutzte er sowohl das Ausleihen als auch die Rückgabe der Gefälligkeiten für längere Schwätzchen. Im Grunde mochte Pascal den alten Herrn, aber gerade jetzt fehlte ihm die Zeit mit ihm zu plaudern. Ungeduldig trommelte er mit dem Daumen auf den Griff seiner Reisetasche. Wenn er jetzt öffnete und es stand wirklich der Nachbar vor der Tür, kam er niemals pünktlich zum Flughafen.

Es läutete wieder. Pascal gab es auf. Er musste zur Tür raus und Beetke hatte erfahrungsgemäß alle Zeit der Welt. Er würde so rasch nicht aufgeben. Ihm blieb nichts anderes übrig, als sich der Situation zu stellen. Er nahm seine Tasche und ging mit großen festen Schritten in den Flur. Ohne durch den Spion zu sehen, öffnete er. Im Treppenhaus stand ein Junge von etwa acht Jahren, der zu ihm aufsah.

»Hallo«, sagte er verblüfft.

»Hallo. Heißt du Pascal?«, fragte das Kind.

»Ja«, antwortete er und sah kurz zur Seite, wo sein Namensschild neben der Glocke angebracht war. Auf diesem stand nur sein Nachname ›Ebert‹.

»Ich bin Finn«, sagte der Junge. Er trug eine hellgrüne Jacke, die tropfnass war und quer über seiner Schulter lag der bunte Riemen einer durchfeuchteten Tasche. Ein Rennwagen war auf der Tasche abgebildet. Um die Füße des Kindes bildeten sich winzige Wasserlachen.

»Okay, Finn. Wie kann ich dir helfen?« Vielleicht suchte das Kind jemanden im Haus. Jemandem, von dem es nur den Vornamen wusste, der vielleicht auch nicht auf dem Türschild stand. Jemand, der zufällig auch Pascal hieß. Er hätte niemanden gewusst. Aber er kannte ja auch nicht alle Mieter im Haus.

»Kannst du mit zu meiner Mama kommen? Sie ist krank. Bestimmt geht es ihr besser, wenn du sie besuchst«, sagte der Junge.

»Wie bitte? Kenne ich deine Mama?« Perplex musterte er den Kleinen. Er war zierlich, hatte braune strubbelige Haare, die ebenfalls durchnässt waren und ein paar Sommersprossen auf der Nase.

»Klar kennst du sie. Außerdem bist du mein Papa.« Nun war Pascal endgültig irritiert. Wie kam der Kleine darauf?

»Pass auf, Finn«, begann er, in dem Versuch, sich sämtliche Ansinnen, die das Kind an ihn hatte, fernzuhalten. »Ich bin ganz sicher nicht dein Papa, da verwechselst du etwas. Es tut mir auch leid, dass deine Mama krank ist, aber es wird bestimmt nicht besser, wenn ich sie besuche. Wir kennen uns doch gar nicht.« Außerdem musste er jetzt endlich zum Flughafen.

»Doch. Du kennst sie und sie kennt dich. Sie hat mir immer wieder von dir erzählt und auch Bilder gezeigt«, beharrte der Junge. »Warte, ich zeige dir ein auch Bild von ihr, dann weißt du es wieder.« Er zerrte den Riemen seiner Tasche von der Schulter, blieb mit dem Riegel, mit dem man die Länge des Gurts einstellen konnte, in seinen Haaren hängen und verzog für einen Moment das Gesicht. Die Tasche landete auf dem Fliesenboden des Flurs. Finn ging in die Knie, öffnete sie und kramte darin herum. Mit einem Handy in der Hand rappelte er sich wieder auf. Die Tasche fiel um und heraus rollte eine halb leere Flasche Johannisbeerschorle. Finn schenkte dem Getränk keine Beachtung. Pascal sah auch einen Apfel, der aus dem Inneren der Tasche lugte.

»Da«, sagte Finn, nachdem er auf dem Display herumgewischt und getippt hatte. Pascal sah in das Gesicht einer Frau, die etwa dreißig Jahre alt sein mochte. Ihr Gesicht war schmal und blass und wurde von kinnlangen braunen Haaren umrahmt. Tatsächlich kam sie ihm bekannt vor.

»Weißt du es jetzt wieder?«, forschte Finn.

»Wie heißt deine Mama?«, fragte Pascal und räusperte sich. Sein Blick ging von dem Display des Handys zu dem Kind. Mutter und Sohn sahen sich ähnlich. Er bekam ein mulmiges Gefühl im Bauch. Konnte es sein, dass es sich bei der Frau auf dem Bild um Emma handelte? Aber ihre Beziehung, die nur wenige Monate gedauert hatte, war doch schon ewig her. Über zehn Jahre. Der Junge war höchstens acht Jahre alt.

»Emma Zuber«, sagte der Kleine prompt. »Magst du das Bild noch mehr sehen? Oder soll ich es dir schicken? Dann brauche ich deine Handynummer. Aber dabei musst du mir helfen …«

»Nein, nein«, unterbrach er ihn eilig. »Das ist nicht nötig. Wie alt bist du, Finn?«

»Zehn.« Der Junge steckte das Handy wieder in seine Tasche und auch die Flasche, die bis zur Wand des Flurs gerollt war. »Kommst du jetzt mit?«

»Finn, das geht nicht. Ich muss zur Arbeit. Ich bin schon zu spät dran.«

Zehn Jahre war er alt. Dann konnte es doch sein. Aber andererseits konnte es auch nicht sein. Emma hätte ihm doch sicherlich erzählt, wenn …

»Kann ich bei dir warten? Dann gehen wir nach deiner Arbeit zur Mama«, schlug das Kind vor und unterbrach damit seine Überlegungen.

»Unmöglich. Das ist alles völlig unmöglich. Finn, du verstehst das nicht. Am besten, du gehst wieder nach Hause zu deiner Mutter. Außerdem bist du völlig durchnässt. Du kannst krank werden. Du musst dich umziehen. Und ich habe jetzt wirklich keine Zeit.«

»Die Mama ist aber im Krankenhaus.« Er rührte sich nicht von der Stelle.

»Wer passt denn dann auf dich auf? Die Oma?«

»Nö. Lisa. Aber die mag ich nicht mehr.« Er sah zu Boden.

»Wer ist Lisa?« Geschwister hatte Emma keine gehabt, das wusste er.

»Eine Freundin von der Mama.«

»Und wo wohnt diese Lisa?«

»Das sag ich dir nicht.« Finn verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich bleib bei dir. Die Mama hat gesagt, du bist mein Papa. Und jetzt ist sie krank. Du musst sie besuchen und du musst dich um mich kümmern. Das sagt der Erik auch.« Wer war nun wieder das? Er beschloss, nicht nachzufragen.

»Finn.« Am liebsten hätte er sich die Haare gerauft. Er musste zum Flughafen! Aber er konnte das Kind nicht einfach hier stehen lassen, oder doch? Er musterte den Jungen. Das kleine Gesicht war blass. Er musste frieren, in den nassen Sachen. Trockene Kleidung in seiner Größe hatte er nicht. Und hergekommen war er schließlich auch alleine, oder?

»Wie bist du denn hierhergekommen?«, fragte er.

»Mit dem Fahrrad. Das steht unten. Ich hab es auch abgeschlossen«, versicherte er.

»Musstest du lange von deiner Tante Lisa bis hierherfahren?« Woher hatte das Kind seine Adresse? Finn zuckte mit den Schultern.

»Sie ist nicht meine Tante«, korrigierte er.

Wenn er mit dem Rad alleine hergefunden hatte, konnte er auch wieder zurückfahren. Er lauschte. Der Regen hatte nachgelassen.

»Finn. Nun sei mal vernünftig. Ich muss jetzt zur Arbeit, ich bin schon viel zu spät dran. Sag mir den Namen von deiner Tante, also, ich meine von Lisa und die Adresse. Ich melde mich bei euch, wenn ich zurück bin.«

»Nö. Ich mag nicht zu Lisa.« Plötzlich sah er aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen. »Wenn ich nicht bei dir bleiben darf, warte ich hier, bis du wiederkommst.« Er schniefte und fuhr sich mit einer beinahe wütenden Bewegung mit dem Ärmel über die Augen. Ein Stockwerk tiefer wurde die Haustür geöffnet. Pascal hörte die Stimmen seiner Nachbarin Gerit Schneider und ihrer kleinen Tochter Tilda. Die beiden wohnten im gleichen Stockwerk wie er, ihm gegenüber.

»Finn, du kannst nicht hierbleiben. Du musst zurück zu deiner Tante«, beharrte er. »Ich bin mehrere Tage unterwegs. Du kannst nicht hier im Flur warten.« Er fühlte sich regelrecht hilflos. Ihm lief die Zeit davon und der Kleine war nicht bereit, sich von der Stelle zu rühren oder Auskünfte zu geben, mit denen er etwas anfangen konnte. Dass er völlig durchnässte Kleidung trug, machte ihn auch nervös. Er fühlte sich in eine Verantwortung geschoben, der er nicht gewachsen war.

Gerit Schneider kam die Treppe nach oben. Tilda, deren leuchtendrote Haare zu zwei straffen Zöpfen geflochten waren, bemühte sich, immer zwei Stufen gleichzeitig zu nehmen, wobei sie sich am Geländer entlang hangelte.

»Hallo«, grüßte Gerit ihn und lächelte. Sie hielt einen Schirm in der Hand, aus dem Regenwasser tropfte.

»Hallo«, grüßte er zurück. Mutter und Tochter waren im ersten Stockwerk angekommen. Tilda musterte Finn, der böse guckte und ihren Blick mied. Die Nachbarin lehnte ihren Schirm in die Ecke neben ihrer Wohnungstür und sperrte auf. Gerit und Tilda verschwanden in ihren vier Wänden und die Tür ging wieder zu.

»Also, Finn. Zum letzten Mal. Fahr zurück zu deiner Tante. Ich glaube, es hat jetzt auch aufgehört zu regnen.« Dafür wurde es zügig dunkel. Der Junge setzte sich auf den kalten Fliesenboden, den Rücken an die Wand gelehnt, zog die Beine an den Bauch und senkte den Kopf auf die Knie. Seine schmalen Schultern zuckten.

»Mann, Mann, Mann«, murmelte Pascal und massierte sich den Nacken. Er konnte einfach gehen. Er musste sich nicht kümmern, oder? Himmel! Nein, er konnte ihn nicht einfach hier sitzen lassen, das verbot ihm sein Gewissen. Wen konnte er anrufen, um den Part der Verantwortung abzugeben? Die Polizei? Das schien ihm überzogen. Außerdem musste er mit Sicherheit warten, bis ein Staatsdiener hier auftauchte und dann war sein Flug längst weg und das gab richtig Ärger, das war sicher. Es war nicht davon auszugehen, dass die gesamte Crew auf ihn wartete. Notfalls musste ein Kollege einspringen.

Die gegenüberliegende Wohnungstür ging wieder auf und Gerit kam heraus. Sie sah von Finn zu Pascal.

»Probleme?«, fragte sie und blieb stehen. Tildas kleines Gesicht schob sich in den Türspalt. Neugierig lugte sie in den Flur.

»Ja, ich glaub schon«, gab Pascal zu.

»Kann ich helfen?«

»Ich wüsste nicht wie. Der junge Mann hier möchte … also er meint …« Er stotterte, war nicht sicher, ob er der Nachbarin, die er kaum kannte, erzählen mochte, worum es ging. Schon gar, wo der Junge zuhörte.

Finn ließ die Arme sinken und stieß die Füße nach vorne, sodass er nun mit ausgestreckten Beinen auf dem kalten Boden saß. Sein kleines Gesicht war völlig verweint. Er sah sowohl zornig als auch sehr unglücklich aus.

»Er ist mein Papa. Und ich will, dass er mit zu der Mama kommt, weil sie krank ist. Er will aber nicht. Und bei ihm bleiben darf ich auch nicht«, schluchzte er. Pascal schoss die Hitze ins Gesicht. Während er um Worte gerungen hatte, um der Nachbarin die Situation zu erklären, machte Finn gar keine Umstände und platzte mit allem heraus, was ihm auf der Seele lag. Dabei kannte er Gerit doch noch weniger als er selbst.

»Oh.« Überrascht sah Gerit ihn an.

»Das stimmt so alles nicht«, hielt er dagegen und die Hitze in seinem Gesicht wollte nicht weichen.

»Wohl stimmt das!« Finn hob einen Fuß und ließ ihn wieder fallen, als wollte er in sitzender Position aufstampfen.

»Ich habe doch gar keine Kinder!«, verteidigte Pascal sich. »Außerdem müsste ich seit zehn Minuten unterwegs sein. Ich muss heute Abend noch auf die Malediven fliegen«, erklärte er Gerit.

»Ich geh nicht zurück zu Lisa.« Wieder fing der Junge an zu schluchzen. »Ich bleib hier sitzen, bist du mit mir zu meiner Mama fährst.«

»Ich bin wirklich ratlos. Er stand vor einer viertel Stunde hier vor meiner Tür«, sagte Pascal zu seiner Nachbarin. Er hatte den dringenden Wunsch, ihr zu erklären, in welch ungünstiger Lage er war. »Lisa kenne ich auch nicht«, ergänzte er.

»Ich verstehe die Zusammenhänge zwar nicht, aber hier sitzen bleiben kann er natürlich nicht«, stimmte Gerit zu. »Außerdem muss er aus der nassen Kleidung raus.«

»Wenn deine Mama krank ist und du nicht hierbleiben kannst, musst du halt ins Kinderheim«, meldete sich Tilda zu Wort. Finn hörte auf zu weinen. Irritiert sah er Tilda an.

»Ich war schon mal da. Da gibt es Spielplätze und Hunde und einen ganz großen Garten. So groß.« Sie breitete die Arme aus soweit sie konnte und beschrieb einen Bogen. »Und Tante Ma gibt dir was Trockenes zum Anziehen. Sie hat ganz viel da«, versicherte Tilda. »Und es schmeckt alles super. Manchmal gibt es Himbeerpudding. Den kocht Magda.«

Pascal runzelte die Stirn. Was plapperte die Kleine denn da? Außerdem hatte er gar kein Recht dazu, den Jungen in ein Kinderheim zu bringen. Und die Zeit hatte er auch nicht.

»Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll«, sagte Pascal und hatte das untrügliche Gefühl, sich eine Entscheidung von der Nachbarin zu erhoffen.

»Wir können das Jugendamt informieren«, schlug Gerit vor. Pascal war erleichtert und fühlte sich für einen Moment nicht mehr ganz auf sich alleine gestellt. An das Jugendamt hatte er noch gar nicht gedacht. Und doch half es ihm nicht weiter. Das kostete Zeit, die er nicht hatte.

»Aber Sie müssen los, ich weiß schon«, fuhr die Nachbarin fort. »Wenn Sie sich vorstellen können, mir den Kleinen zu überlassen, dann kümmere ich mich darum. Meine Cousine Vera arbeitet beim Jugendamt. Jetzt, am Wochenende, ist da nur ein Notdienst. Ich rufe Vera privat an und frage, was zu tun ist. Wenn Sie mir Ihre Handynummer geben, halte ich Sie auf dem Laufenden«, versicherte Gerit.

»Wirklich?« Das Angebot erschien ihm wie ein Lichtstreifen am Horizont.

»Sicher.«

»Ich werde auch bei der Polizei nachfragen. Vielleicht gibt es schon eine Vermisstenmeldung zu dem Jungen«, fuhr Gerit fort.

»Sie sind ein Schatz.« Am liebsten hätte er sie geküsst, ganz flüchtig auf die Wange nur, das war klar.

*

Finn saß auf der Sofakante im Wohnzimmer von der Frau, die mit seinem Vater besprochen hatte, sich um ihn zu kümmern. Die Frau hieß Gerit und war eigentlich ganz nett. Sie hatte ihm ein Handtuch gegeben und einen Bademantel von Tilda, und ihn in ihr Badezimmer geschickt. Er sollte seine nasse Kleidung ausziehen und sich abfrottieren. Sie wollte seine Sachen in den Trockner geben, damit er sie schnell wieder anziehen konnte.

Obwohl er alleine im Bad gewesen war, hatte er sich sehr geschämt, sich in der fremden Umgebung auszuziehen. Er hatte aber auch so doll gefroren, dass er beschlossen hatte, sich nicht zu schämen.

Nun trug er einen Mädchenbademantel. Der war ganz weiß und hatte bunte Sticker drauf, die aussahen wie Melonenstücke, Zitronenhälften, Erdbeeren und so weiter. Das war voll peinlich und richtig doof, für einen Jungen.

Gerit hatte ihm auch hellblaue Socken von dem Mädchen gegeben, das Tilda hieß und ihre Tochter war. Obwohl ihm nun ein bisschen wärmer war, fühlte er sich ganz schrecklich. Es war alles schiefgegangen. Er hatte ja auch nicht richtig daran geglaubt, dass der Mann, der sein Papa sein sollte, seine Mama gleich besuchen würde. Aber ein bisschen gehofft hatte er es schon. Erik hatte ihn gewarnt. Die Erwachsenen wären manchmal sehr schwierig. Wenn seine Eltern sich wirklich schon mehr als zehn Jahre nicht gesehen oder gesprochen hatten, würde Pascal ihm wahrscheinlich gar nicht glauben, dass er sein Sohn war. Leider hatte er recht behalten. Nicht einmal das Bild von seiner Mutter hatte geholfen. Pascal hatte nur immer wieder gesagt, dass er zur Arbeit müsste und er, Finn, zurück zu Lisa sollte.

In Finns Kehle saß ein Würgen und heiße Tränen stiegen ihm in die Augen. Auf keinen Fall wollte er jetzt wieder anfangen, zu weinen.

Tilda saß ihm auf einem Sessel gegenüber. Sie war mit dem Rücken bis ganz zur Lehne gerutscht, sodass nur ihre Füße über den Rand der Sitzfläche ragten. Sie hielt ein Malbuch auf dem Schoß. Ein paar Buntstifte lagen neben ihr, zwischen der Armlehne und ihrem einen Bein. Lisa hätte so was niemals erlaubt, weil die Stifte den Sesselbezug hätten beschmieren können.

Finn merkte deutlich, dass Tilda gar nicht malen wollte. Sie tat nämlich nur so, als ob sie in das Buch guckte und sich ein Bild aussuchte. Stattdessen schielte sie immer wieder zu ihm.

Finn rieb sich die Nase. Durch einen Tränenschleier sah er vor sich auf dem Couchtisch den Becher Kakao und den Teller mit Schokoladenkeksen, die Tildas Mama gebracht hatte. Er hatte Hunger und Durst, aber er mochte nichts essen. Tilda hatte auch einen Kakao bekommen. Der war inzwischen ausgetrunken und von den Keksen hatte sie auch zwei gegessen.