Einzug in Sophienlust - Simone Aigner - E-Book

Einzug in Sophienlust E-Book

Simone Aigner

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Magda Enzinger eilte nervös in der Küche des Kinderheims Sophienlust vom Kühlschrank zum Küchenschrank und wieder zurück und überprüfte sämtliche Vorräte. Im Keller an den Gefriertruhen war sie auch schon dreimal gewesen, um sich zu vergewissern, dass sie für die nächsten Tage alles so gut als möglich vorbereitet hatte. Es klopfte an die Küchentür. »Ja?«, rief sie und hörte selbst, wie aufgeregt und hektisch sie klang. Else Rennert, die Heimleiterin von Sophienlust, die von den Kindern ›Tante Ma‹ genannt wurde, betrat den Raum. »Magda, meine Liebe, müssten Sie nicht längst zu Hause sein, um Ihren Koffer zu packen?«, fragte sie und lächelte ihr zu. Magda strich mit flachen Händen über ihre Küchenschürze. »Sie haben ja recht«, bestätigte sie. »Aber ich frage mich beständig, ob ich auch wirklich genug vorgekocht und eingekauft habe. Ich meine, ich bin ja immerhin fünf Tage nicht da. So lange war ich noch nie weg!« Else Rennert lachte leise. »Keine Sorge, Magda. Schwester Regine und ich schaffen es schon, für die kurze Zeit für unsere Schützlinge zu sorgen. Auch die größeren Kinder haben versprochen, mitzuhelfen, einige haben schließlich sogar vor gar nicht langer Zeit an einem Kochkurs teilgenommen. Und Heidi und Kim fassen natürlich auch mit an, soweit sie das schon können.« Magda seufzte schwer und setzte sich an den Küchentisch.

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Sophienlust - Die nächste Generation – 69 –

Einzug in Sophienlust

Für Leon und Marie beginnt eine neue Zeit …

Simone Aigner

Magda Enzinger eilte nervös in der Küche des Kinderheims Sophienlust vom Kühlschrank zum Küchenschrank und wieder zurück und überprüfte sämtliche Vorräte. Im Keller an den Gefriertruhen war sie auch schon dreimal gewesen, um sich zu vergewissern, dass sie für die nächsten Tage alles so gut als möglich vorbereitet hatte. Es klopfte an die Küchentür.

»Ja?«, rief sie und hörte selbst, wie aufgeregt und hektisch sie klang.

Else Rennert, die Heimleiterin von Sophienlust, die von den Kindern ›Tante Ma‹ genannt wurde, betrat den Raum.

»Magda, meine Liebe, müssten Sie nicht längst zu Hause sein, um Ihren Koffer zu packen?«, fragte sie und lächelte ihr zu. Magda strich mit flachen Händen über ihre Küchenschürze.

»Sie haben ja recht«, bestätigte sie. »Aber ich frage mich beständig, ob ich auch wirklich genug vorgekocht und eingekauft habe. Ich meine, ich bin ja immerhin fünf Tage nicht da. So lange war ich noch nie weg!«

Else Rennert lachte leise.

»Keine Sorge, Magda. Schwester Regine und ich schaffen es schon, für die kurze Zeit für unsere Schützlinge zu sorgen. Auch die größeren Kinder haben versprochen, mitzuhelfen, einige haben schließlich sogar vor gar nicht langer Zeit an einem Kochkurs teilgenommen. Und Heidi und Kim fassen natürlich auch mit an, soweit sie das schon können.«

Magda seufzte schwer und setzte sich an den Küchentisch.

»Ich weiß es ja. Trotzdem habe ich das Gefühl, euch alle im Stich zu lassen«, klagte sie. Else Rennert setzte sich zu ihr.

»Sophienlust und die Kinder liegen Ihnen sehr am Herzen, ich weiß. Aber ab und an dürfen Sie ruhig auch einmal an sich denken. So, wie ich Sie kenne, haben Sie für vierzehn Tage vorgekocht und gebacken, und Regine und ich müssen nur noch auftauen und aufwärmen.«

»Und das Esszimmer und die Küche wieder in Ordnung bringen«, ergänzte Magda und drohte spielerisch mit dem Finger. »Nicht, dass hier das Chaos Einzug hält, während ich weg bin.«

Else Rennert lachte. »Lassen Sie sich überraschen. Aber jetzt freuen Sie sich lieber auf die Tage in Hamburg mit Ihrem Horst. So heißt er doch, nicht wahr?«

Magda lächelte verlegen.

»Horst Reinhardt, ja. Ich wohne aber im Hotel, nicht, dass Sie denken …«, informierte sie sie.

»Ich denke gar nichts«, unterbrach Else Rennert sie.

»Es ist ja auch nur, weil ich mich nicht aufdrängen will. Horst hat zwar im Haus seiner Schwiegertochter eine Einliegerwohnung für sich, aber ich hätte dennoch das Gefühl … nun, ich kenne diese Vera ja gar nicht.« Unbehaglich betrachtete Magda ihre Hände.

»Sie sollten sich nicht so viele Gedanken machen. Jetzt legen Sie bitte die Schürze ab und fahren in Ihre Wohnung. Wann geht Ihr Zug nach Hamburg?«

»Morgen früh um neun Uhr. Ich werde am späten Nachmittag ankommen. Horst holt mich vom Bahnhof ab.«

»Bringt er Jan mit? Seinen Enkel? Geht der Kleine eigentlich inzwischen in die Schule?«, fragte Else.

»Nein, erst im Herbst. Ich glaube nicht, dass er den Jungen mitbringt. Wir haben auch gar nicht darüber gesprochen. Aber vielleicht sehe ich ihn einmal, während ich in Hamburg bin.«

»Gut. Sie werden sicher viel zu erzählen haben, wenn Sie zurück sind. Ich wünsche Ihnen eine gute Reise und ein paar wundervolle Tage mit Ihrem Horst«, sagte Else. Sie lächelte, strich Magda rasch über den Arm und stand auf. »Und jetzt hurtig! Sie haben sich doch schon von allen verabschiedet, oder?«

Magda schmunzelte, winkte ab und stand gleichfalls auf. »Mehrmals, Else, mehrmals«, gab sie zu.

»Dann bringe ich Sie jetzt nach draußen, sonst sind Sie am Ende um Mitternacht noch hier«, entschied die Heimleiterin. Magda nickte, nahm ihre Küchenschürze ab und hängte sie an den Haken seitlich des Vorratsschrankes. Sie verließen die Küche und gingen durch den Flur zur Eingangshalle des Kinderheims. Zwei Flure und etliche Türen gingen von hier ab, sie führten zum Esszimmer, zum Spielzimmer, zum Biedermeier-Zimmer, in dem der Besitzer des Kinderheims, Nick von Wellentin-Schoenecker, oft wichtige Gespräche führte, und zu den Büros. Ebenso führte von der Eingangshalle aus eine Treppe ins obere Stockwerk, wo die Kinder ihre Zimmer hatten.

»Gute Reise und eine schöne Zeit für Sie, Magda«, wiederholte Else.

»Danke, bis bald«, verabschiedete sich Magda. Sie lächelten einander zu. Magda drückte die zweiflügelige Haustür auf und trat nach draußen. Einen Moment blieb sie noch auf der obersten Stufe der Freitreppe stehen und ließ den Blick über den großen Park gleiten, der zu Sophienlust gehörte. In einiger Entfernung, bei den Spielplätzen, sah sie die siebenjährige Heidi und Kim, den kleinen Asiaten, die mit den Hunden Barri und Anglos spielten. Heidi warf für Barri, den Bernhardiner, einen gelben Plastikring, den der Hund mit großen, freudigen Sprüngen apportierte. Kim übte sich im Kräftemessen mit Anglos, der Dogge. Beide zogen jeweils an einem Ende eines Seils, das aus bunten Schnüren gedreht war. Obwohl der Sechsjährige im Grunde keine Chance gegen den kräftigen Hund hatte, wandte die gutmütige Dogge nur so viel Kraft auf, dass der Kleine nicht sofort verlor.

Magda lächelte ein wenig wehmütig, dann schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Was war denn los mit ihr? Sie war in einer Stimmung, als müsste sie dauerhaft von Sophienlust Abschied nehmen, dabei hatte sie nur eine gute Woche Urlaub. Vermutlich kam sie nicht damit zurecht, dass sie ihr Refugium über die Küche und die Verpflegung für die Kinder einige Tage abgeben musste. Dabei freute sie sich doch so sehr auf Horst Reinhardt, den sie vergangenen Sommer beim Einkaufen kennengelernt hatte. In den wenigen Wochen, die ihnen vergönnt gewesen waren, ehe sein Umzug von Sonnstetten, das nicht allzu weit von Sophienlust entfernt lag, nach Hamburg erfolgt war, waren sie einander nahegekommen. Verantwortlich für ihr Kennenlernen war der kleine Jan gewesen, der Enkel von Horst. Die Mutter des Kindes, Horsts Schwiegertochter Vera, hatte sich beruflich in Brasilien aufgehalten, für ›Ärzte ohne Grenzen‹. Horsts Sohn Thomas, ihr Mann, war bei einem Unfall verstorben, sodass der Großvater während ihrer Abwesenheit für seinen Enkel gesorgt hatte. Da sich der lebhafte Junge bei seinem Großvater sehr gelangweilt hatte, hatte Magda ihm Sophienlust als Aufenthaltsmöglichkeit vorgeschlagen. Nach Rücksprache mit Vera hatte Horst Jan ins Kinderheim gebracht, wo der Kleine sich sehr wohlgefühlt hatte.

Nun wohnte Horst schon seit etlichen Monaten zusammen mit seiner Schwiegertochter und seinem Enkel in Hamburg. Über all die Zeit hatten sie per Telefon und WhatsApp Kontakt gehalten. Nun endlich würden sie sich wiedersehen. Magdas Herz machte einen freudigen kleinen Hüpfer. Sie würde ihre kleine Reise jetzt genießen und die Zeit mit Horst sowieso. Und in einer Woche war sie wieder hier.

Rasch eilte sie die Freitreppe hinunter. Sie musste nach Hause und packen.

*

Auf dem Arm von Dr. Benedikt Lindner saß die kleine Marie, zwischen ihm und seiner Partnerin Annika Küster stand ihr Bruder Leon. Alle vier winkten einem davonfahrenden Wagen nach. Erst als das Fahrzeug um eine Kurve gebogen und nicht mehr zu sehen war, ließen die Erwachsenen die Arme sinken. Auch Leon hörte auf zu winken, nur Marie wedelte noch immer mit dem Ärmchen.

»Du kannst jetzt aufhören, Marie«, kritisierte ihr Bruder. »Mama und Papa sehen uns gar nicht mehr.« Marie ließ den Arm sinken.

»Was machen wir jetzt?«, fragte Leon und sah zu den Erwachsenen hoch. Annika strich ihm über den Kopf.

»Was hältst du vom Spielplatz?«, fragte sie.

»Au ja! Pielplaz! Ich mag auch«, rief Marie und patschte die Händchen zusammen.

»Na gut«, stimmte Leon gnädig zu. »Schubst ihr mich auch auf der Schaukel an?«, erkundigte er sich.

»Klar«, versprach Benedikt. »Aber erst gehen wir auf euer Zimmer. Ihr müsst euch umziehen und mit Sonnencreme einreiben.«

»Okidoki«, rief Leon, schwenkte die Arme und hopste voran.

Benedikt schmunzelte und legte seinen freien Arm um die Schultern von Annika. Sie lächelte ihm zu.

»Wir üben Familie«, sagte er. Annika lachte.

»Ja, für ein paar Stunden.«

»Immerhin ein Vorgeschmack. Spätestens in zehn Jahren möchte ich Kinder mit dir«, erinnerte Benedikt seine Freundin.

»Einverstanden.« Annika drückte sich an seine Seite. »Aber erst geht es nach Afrika. Wir bauen dort die beste Kinderklinik, die man sich vorstellen kann. Der Bauplatz ist perfekt, die Gelder stehen bereit und die Flüge sind gebucht. Ich freue mich wirklich auf unser Projekt.«

»Und ich mich erst. Aber vor Afrika kommt noch etwas viel Wichtigeres«, sagte Benedikt.

»Was denn?« Unschuldig sah Annika ihren Freund an. Marie begann, auf seinem Arm zu zappeln. Behutsam ließ er das Kind herunter. Die Kleine eilte ihrem Bruder nach, der einige Meter vor ihnen lief. Ben grinste.

»Denk mal gut nach mein Herz«, sagte er.

»Ich muss nicht nachdenken. Ich zähle schon die Tage, bis zu unserer Hochzeit.« Sie wandte ihm das Gesicht zu und lächelte ihn voller Zärtlichkeit an. Ben küsste sie, nahm sich dabei jedoch nicht so viel Zeit wie sonst und schaute, wo die Kinder waren. Annika nahm ihm das nicht übel, im Gegenteil. Für seine Umsicht und Achtsamkeit liebte sie ihn nur umso mehr.

»Ja, mein Schatz. Nächsten Monat heiraten wir, und zwei Wochen später wandern wir aus. Und wenn die Klinik fertig ist und sich etabliert hat, gründen wir eine Familie«, fasste Benedikt ihre Pläne noch einmal zusammen.

»So und nicht anders, Ben«, bestätigte Annika, und ihr Herz schlug schneller vor Liebe und Freude. Ein Leben an Bens Seite lag vor ihr. Sie hatten gemeinsame Pläne und Wünsche und arbeiteten zielstrebig an der Umsetzung. In zehn Jahren war sie Ende dreißig, das schien ihr in ihrem Beruf als Ärztin eine gute Zeit, um Mutter zu werden. Für die Hochzeit war alles vorbereitet. Die Gäste waren eingeladen. Der Kreis war nicht allzu groß. Sie hatten den Nebenraum eines guten Lokals in Braunschweig reserviert und das Essen ausgesucht. Auch ein Termin bei einem Fotografen war gemacht. Sie dachte an ihr schneeweißes Brautkleid, das sie am Hochzeitstag tragen wollte. Ben hatte ihr einen Strauß zartrosa Rosen dazu versprochen.

»Aber vor der Kür kommt die Pflicht.« Grinsend fasste Ben nach ihrer Hand. »Und die heutige Pflicht heißt: Kinderbetreuung.«

Annika lachte leise. »Du hast recht. Aber die paar Stunden, bis Tobias und Svenja wieder hier sind, werden wir schon schaffen.«

»Das will ich meinen«, stimmte Ben zu. »Hast du den Zimmerschlüssel von den beiden?«

»Ja, klar. Svenja hat ihn mir schon beim Frühstück gegeben. Marie muss unbedingt nach dem Essen einen Mittagsschlaf machen, sonst ist sie den Rest des Tages quengelig.« Annika zog den Schlüssel aus der Tasche ihrer Jeans und hielt ihn zur Bestätigung hoch.

»Kommt ihr?«, rief Leon, der schon am Haupteingang des Hotels stand. Seine kleine Schwester saß in der Hocke neben ihm und betrachtete etwas am Boden.

»Ein Äfer«, erklärte sie, als Annika und Ben bei ihnen waren.

»Richtig, ein Käfer«, lobte Ben. »Und jetzt kommt, wir machen uns spielplatzfertig.«

*

Horst Reinhardt stand auf dem Bahnsteig, einen kleinen Blumenstrauß aus roten Gerbera und weißem Schleierkraut in der Hand. Aufgeregt zupfte er am Kragen seines hellgelben Poloshirts. Der Zug musste jeden Moment kommen. Zum x-ten Mal überprüfte er den Sitz seiner Haare in der Spiegelung eines Schaukastens, in dem die An- und Abfahrtszeiten der Züge aushingen. In diesem Augenblick kam die Durchsage, dass der Intercity, in dem Magda saß und den er sehnlichst erwartete, einfahren sollte. Sein Puls beschleunigte sich, und Horst straffte die Schultern als der Zug heranrauschte. Waggon reihte sich an Waggon, und er meinte schon, die Bahn würde gar nicht anhalten, als sie doch langsamer wurde und schließlich ausrollte. Die Türen öffneten sich und erste Reisende stiegen aus. Mitten unter ihnen kletterte Magda die Zugtreppe hinunter. Sie trug ein weißes Kostüm mit blauen Besätzen am Kragen und an den Säumen. Ihre dunklen Haare glänzten. In der Hand hielt sie eine blaue Reisetasche, genau im gleichen Farbton wie die Besätze an ihrer Kleidung. Sie sah jung und glücklich aus und auch ein wenig schlanker, als er sie in Erinnerung hatte. Horsts Herz machte einen freudigen Hüpfer.

»Magda!«, rief er über die Köpfe der Fahrgäste hinweg, reckte sich, was bei seiner Größe von 1,85 Metern gar nicht nötig gewesen wäre, und winkte. Suchend sah Magda sich um, ehe sie ihn entdeckte. Ein Strahlen ging über ihr Gesicht, und augenblicklich fühlte Horst Reinhardt sich selig wie beim ersten Date. Die Menge der Ankommenden zerstreute sich, und endlich konnte er ihr entgegengehen.

»Magda, meine Liebe. Ich freue mich so, dich zu sehen!«, begrüßte er sie und legte leicht die Hand auf ihren Oberarm. »Ich habe dir eine Kleinigkeit mitgebracht.« Mit der Andeutung einer Verbeugung reichte er ihr die Blumen. Magda lachte.

»Horst, ich freue mich auch. Und lieben Dank für die Blumen, sie sind wunderschön. Aber jetzt möchte ich richtig begrüßt werden.« Sie sah zu ihm hoch, ein erwartungsvolles Funkeln in den Augen.

Mit beschämtem Schmunzeln beugte er sich zu ihr und küsste sie. Eine Welle der Verlegenheit durchlief ihn dabei. Solche Vertraulichkeit, vor allen Leuten, entsprach eigentlich gar nicht seinem Wesen. Zudem erwiderte Magda den Kuss länger, als er erwartet hatte. Er spürte aufsteigende Hitze in den Wangen. Rasch richtete er sich auf.

»Darf ich dir deine Tasche abnehmen?«, rettete er sich in eine sachliche Frage.

»Gerne.« Die Reisetasche und die Blumen wechselten den Besitzer. Horst reichte Magda den Arm, damit sie sich unterfassen konnte.

»Ich habe einen Parkplatz direkt vor dem Bahnhof gefunden«, informierte er sie. Wie unschicklich, sofort von sich selbst zu sprechen. »Wie war deine Anreise?«, ergänzte er eilig.

»Es hat alles ganz wunderbar geklappt«, versicherte Magda.

»Wie schön. Dennoch denke ich, du wirst erschöpft sein von der langen Fahrt. Ich schlage vor, ich bringe dich ins Hotel. Wenn du einverstanden bist, würde ich dich um 19 Uhr wieder abholen und wir gehen Essen?«, schlug er vor.

»Das ist eine sehr gute Idee«, stimmte Magda zu. »Obwohl ich eigentlich gar nicht erschöpft bin. Wenn du nichts anderes vorhast, könnte ich lediglich einchecken, mein Gepäck im Zimmer abstellen, und wir machen einen Spaziergang? Es ist ein so schöner Nachmittag.«

»Sehr gerne. Wir könnten ein Stück an der Alster entlanglaufen. Es ist herrlich dort.«

»Ich freue mich.« Magda drückte seinen Arm. Horst Reinhardt schmunzelte. Es fühlte sich wunderbar an, sie so nahe bei sich zu wissen.

*

Sie betraten das Foyer des Hotels ›Alster-Sonne‹. Der Eingangsbereich war geräumig, das honigfarbene Parkett glänzte, und gegenüber dem Empfangstresen gab es einen großzügigen Wartebereich. Rote Sesselchen mit tiefen Sitzen gruppierten sich um kleine Tische aus dunklem Holz. Auf jedem Tisch stand eine goldfarbene Vase, in der eine weiße Rose steckte.

»Mama! Mama!«, rief ein kleines Kind, wobei es die Silben betonte und im gleichen Takt mit der flachen Hand auf einen der Tische klopfte. Magda sah in die entsprechende Richtung. Das Kind war ein kleiner Junge, vielleicht vier Jahre alt. Er stand bei einer der Sitzgruppen. In einem der Sessel krabbelte ein kleines Mädchen herum. Es war höchstens zwei Jahre alt. Ein Mann und eine Frau, wahrscheinlich die Eltern, versuchten, auf die Kinder einzuwirken. Magda verstand nicht, was sie sagten, doch plötzlich purzelte die Kleine von den Polstern herunter. Der Mann konnte sie eben noch auffangen, ehe sie auf das Parkett fiel, und sprach sanft auf die Kleine ein. Dennoch fing das kleine Mädchen an zu schluchzen. Der Junge wandte sich ihr zu und sagte ebenfalls etwas.

Magda spürte, wie Horst ihr behutsam die Hand auf den Rücken legte.

»Möchtest du einchecken, Magda?«, fragte er freundlich und lenkte ihre Aufmerksamkeit von der Familie ab.

»Natürlich«, erwiderte sie und lächelte erst ihm und dann der jungen Frau hinter dem Empfang zu. Wenige Minuten später waren die Formalitäten erledigt, und sie hatte ihre Schlüsselkarte, die zum Öffnen ihrer Zimmertür diente.

»Ich trage gerne deine Tasche auf dein Zimmer«, teilte Horst ihr mit. »Ich kann aber auch hier auf dich warten.« Er neigte den Kopf in Richtung der Sitzgruppen. Magda sah, dass die beiden Kinder nun nebeneinander auf einem Sessel saßen, das Mädchen mit gesenktem Blick. In dem vergeblichen Versuch, mit den Beinen zu baumeln, schlug der Junge die Fersen gelangweilt gegen das Polster des Sessels. Plötzlich sprang er auf.

»Ich such jetzt die Mama«, rief er, rannte los, stolperte über seine eigenen Füße und schlug der Länge nach hin. Augenblicklich begann er laut zu weinen. Die Frau, die Magda bis eben für die Mutter der Kinder gehalten hatte, eilte zu ihm. Der Kleine drehte ihr den Rücken zu, blieb zusammengekauert am Boden sitzen und weinte weiter.

»Die Mama soll kommen«, stieß er hervor, unterbrochen von Schluchzern. Die Frau streichelte die Schulter des Kindes. Wieder legte Horst Magda behutsam die Hand auf den Rücken. Schuldbewusst lächelte Magda ihm zu.

»Entschuldige. Irgendwie beschäftigen mich die Kinder. Ich bringe rasch meine Tasche nach oben. Würdest du hier auf mich warten? Ich bin in wenigen Minuten wieder hier.«

»Natürlich«, versicherte Horst.

Magda nahm den Aufzug in den ersten Stock, wo sie ihr Zimmer hatte. Geräuschlos glitt der Fahrstuhl nach oben. Die Tür öffnete sich, und sie sah einen langen Flur vor sich. Auf dem Boden lag weicher blauer Teppichboden, der jeden Schritt verschluckte. Am Ende des Gangs befand sich ein bodentiefes Fenster, seitlich davon stand eine üppige Birkenfeige. Links und rechts gab es Zimmertüren aus hellem Holz, auf die Rahmen waren feine goldfarbene Ornamente gezeichnet. Kleine runde Lampen, die in die Wände zwischen den Türen eingelassen waren, sorgten für gedämpftes Licht. Magda hatte das Zimmer Nummer elf bekommen, nur wenige Schritte vom Aufzug entfernt. Mit der Schlüsselkarte öffnete sie die Tür.

Der Raum war großzügig und gepflegt. Auf einem Kissen des Doppelbettes lag ein Stück Schokolade, auf einem Schreibtisch stand ein Arrangement aus einer Flasche Mineralwasser, einer Flasche Piccolo und einer kleinen Schale, gefüllt mit Obst. Magda stellte ihre Reisetasche auf den Kofferträger und warf einen Blick in den Spiegel, der darüber hing. Noch rasch einmal mit der Bürste über die Haare fahren und die Lippen nachziehen und sie war ausgehfertig.

Wenige Minuten darauf verließ sie ihr Zimmer wieder. Vor der Tür gegenüber kauerte der kleine Junge, der im Foyer hingefallen war. Sein Gesichtchen war verweint, und die braunen Haare waren verstrubbelt. Magda lief die wenigen Schritte über den Flur und ging in die Knie, um halbwegs auf Augenhöhe mit dem Kind zu sein.

»Kleiner Mann, was ist denn los? Kann ich dir helfen?«, fragte sie sanft. Der Bub schüttelte den Kopf und gab keine Antwort.

»Du suchst deine Mama, nicht wahr?«, fuhr Magda fort. Das Kind nickte.

»Weißt du nicht, wo sie ist?«

»Doch. Sie wollte mit dem Papa Boot fahren und bald wieder da sein. Aber sie kommen nicht«, sagte er. Sein Stimmchen klang heiser. Der arme Kleine. Unter ›bald wiederkommen‹ verstanden Kinder oft eine völlig andere Zeitspanne als Erwachsene.

»Und warum sitzt du hier vor der Tür?«, fragte Magda behutsam.

»Na, weil das doch unser Zimmer ist. Aber es ist zu«, erklärte das Kind.

»Wie heißt du denn, mein Kleiner?«, erkundigte sich Magda.

»Leon«, gab der Junge Auskunft.