Kaminkehrer im Glück - Simone Aigner - E-Book

Kaminkehrer im Glück E-Book

Simone Aigner

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Ricarda Scheffer saß an ihrem Nähtisch, über ihre Arbeit gebeugt. Hochkonzentriert ließ sie den schimmernden weißen Brautsatin durch die Nähmaschine gleiten. Die Nadel ratterte gleichmäßig auf und ab und durchdrang mit feinsten Stichen das edle Material. Auf ihrem Schoß bauschte sich der Stoff. Sie zuckte zusammen, als das Telefon läutete, und konnte gerade noch verhindern, dass die Naht schief wurde. Sie hangelte nach dem mobilen Hörer, der auf einem Regal seitlich des Nähtisches stand, und drückte auf Gesprächsannahme. »Änderungsschneiderei Scheffer«, meldete sie sich. Helles Lachen drang durch die Leitung. »Ricci, Liebes. Ich bin es, Doro. Warum so förmlich?« »Ah, Doro.« Nun musste auch Ricarda lachen. »Ich war so vertieft in die Arbeit, ich habe gar nicht darauf geachtet, wer anruft. Nein, Süße, dein Brautkleid ist noch nicht fertig, falls du deswegen anrufst.« Sie streckte den Rücken durch und legte den Kopf weit in den Nacken, um die Verspannungen zu lösen, die sie stets plagten, wenn sie allzu lange über ihren Näharbeiten saß. »Deswegen rufe ich nicht an«, versicherte Doro. »Es geht um den Junggesellinnen-Abschied, den ich eigentlich gar nicht wollte.

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Sophienlust - Die nächste Generation – 73 –

Kaminkehrer im Glück

Ein Happyend mit Hindernissen …

Simone Aigner

Ricarda Scheffer saß an ihrem Nähtisch, über ihre Arbeit gebeugt. Hochkonzentriert ließ sie den schimmernden weißen Brautsatin durch die Nähmaschine gleiten. Die Nadel ratterte gleichmäßig auf und ab und durchdrang mit feinsten Stichen das edle Material. Auf ihrem Schoß bauschte sich der Stoff. Sie zuckte zusammen, als das Telefon läutete, und konnte gerade noch verhindern, dass die Naht schief wurde. Sie hangelte nach dem mobilen Hörer, der auf einem Regal seitlich des Nähtisches stand, und drückte auf Gesprächsannahme.

»Änderungsschneiderei Scheffer«, meldete sie sich.

Helles Lachen drang durch die Leitung. »Ricci, Liebes. Ich bin es, Doro. Warum so förmlich?«

»Ah, Doro.« Nun musste auch Ricarda lachen. »Ich war so vertieft in die Arbeit, ich habe gar nicht darauf geachtet, wer anruft. Nein, Süße, dein Brautkleid ist noch nicht fertig, falls du deswegen anrufst.« Sie streckte den Rücken durch und legte den Kopf weit in den Nacken, um die Verspannungen zu lösen, die sie stets plagten, wenn sie allzu lange über ihren Näharbeiten saß.

»Deswegen rufe ich nicht an«, versicherte Doro. »Es geht um den Junggesellinnen-Abschied, den ich eigentlich gar nicht wollte. Aber nun liegen Bea, Christa und Greta mir ständig in den Ohren. Und ich dachte, ehe sie hinter meinem Rücken was organisieren, mache ich einen Vorschlag zur Güte. Ich würde mich gerne mit euch allen nächstes Wochenende in ›Oskars Schlemmerparadies‹ treffen. Samstagabend um 19 Uhr. Ich bitte dich sehr, auch zu kommen. Bestimmt findet sich jemand, der ein paar Stunden auf Ella aufpasst.«

Ricarda warf einen sorgenvollen Blick auf sämtliche anstehenden Arbeiten. Eigentlich hätte sie Nachtschichten einlegen müssen, um alles zu schaffen. Und nun auch noch eine Einladung, die sie einen ganzen Abend kosten würde. Zwar war Doros Hochzeit erst in fünf Wochen, aber ihr Kleid war ja nicht der einzige Auftrag, den sie hatte. Mittlerweile stapelten sich die Änderungsarbeiten, mit denen Ricarda ihren Lebensunterhalt verdiente, und sie kam kaum mehr hinterher. Zwei Stühle seitlich ihres Arbeitsplatzes verschwanden beinahe unter Kleidung, die zu ändern oder auszubessern war, und auch auf dem freistehenden Kleiderständer gingen Röcke, Blusen und ein Sakko. Für Ellas Beaufsichtigung brauchte sie auch jemanden.

»Ich komme gerne«, erwiderte sie schließlich und merkte, wie wenig überzeugend sie klang.

»Sicher?« Doro lachte leise. »Ich weiß, du gehst nicht gerne abends aus, aber ich hoffe, ich heirate nur einmal. Tu mir den Gefallen, bitte. Du würdest mir wirklich fehlen.«

»Ich komme wirklich gerne«, bekräftigte Ricarda ihre Zustimmung. »Außerdem stimmt es gar nicht, dass ich nicht ausgehen will«, verteidigte sie sich. »Es ist doch nur, weil ich dann immer jemanden für die Kleine brauche.« Und weil ihr die Arbeitszeit fehlte. Die Kunden kamen gern zu ihr, worüber Ricarda sehr froh war. Sie lehnte nie einen Auftrag ab. Doch Vollzeit zu arbeiten und gleichzeitig für Ella da zu sein, ohne Unterstützung zu haben, kostete viel Kraft und Energie.

»Hast du jemanden für Ella? Wenn nicht, könnte ich Ronja fragen. Sie verdient sich sicher gerne ein paar Euro als Babysitter«, schlug Doro vor.

»Das ist lieb, aber nicht nötig. Ich frage Frau Gärtner, meine Nachbarin. Sie hat jetzt schon zwei Mal auf sie aufgepasst. Das klappt gut, die beiden mögen sich.« Zudem hatte Frau Gärtner drei Töchter großgezogen und kümmerte sich auch regelmäßig um ihre vier Enkel. Sie hatte reichlich Erfahrung mit Kindern. Ronja dagegen, eine Klavierschülerin von Doro, war gerade 15 Jahre alt und hatte keine Geschwister. Ein liebes Mädchen zwar, sie hatte sie einmal kennengelernt, als sie Doro auf einen Kaffee besucht hatte, doch für ihre Begriffe verträumt und selbst noch ein Kind. Ihr wollte sie ihre fünfjährige Schwester lieber nicht anvertrauen.

»Prima. Wenn Frau Gärtner nicht kann, sag mir Bescheid, ja? Bis Samstag, ich freu mich«, verabschiedete sich Doro fröhlich.

»Ich mich auch. Bis dann«, erwiderte Ricarda, und nun freute sie sich wirklich ein bisschen. Sie würde die Arbeit schon schaffen, und ausgegangen war sie wirklich lange nicht mehr, schon wegen ihrer kleinen Schwester. Seit ihre Eltern vor drei Jahren kurz nacheinander verstorben waren, kümmerte sie sich um Ella, als wäre sie ihre Tochter. Sie tat es von Herzen gerne, doch viel Zeit für sich selbst hatte sie nicht. Während das Schwesterchen im Kindergarten war, ging sie ihrer Arbeit als Änderungsschneiderin nach. Am Nachmittag machte sie meist den Haushalt und beschäftigte sich mit der Kleinen. Am Abend war sie oft ziemlich erschöpft, setzte sich aber doch häufig noch an Näharbeiten, wenn Ella schlief.

Manchmal, wenn sie mehr aus Versehen als aus Absicht über ihr Leben nachdachte, hatte sie Sorge, es zu verpassen. Sie steckte fest, zwischen Arbeit und Fürsorge für die Kleine ...

Für einen Augenblick ließ Ricarda die Hände in den Schoß sinken, auf dem sich noch immer die Röcke von Doros Kleid bauschten. Weich und seidig fühlte sich der edle Stoff an. Eigentlich war es ja das, was sie machen wollte: Maßgeschneiderte Kleidung herstellen und die Schnitte dafür selbst entwerfen. Doch das war ein Traum, der einer bleiben würde. Heutzutage wurde das meiste günstig in Ladengeschäften großer Modeketten gekauft oder im Internet bestellt. Nur ganz selten bekam sie einen Auftrag für ein spezielles Wunsch-Modell. So bestand ihre Alltagsarbeit aus Kürzen oder Verlängern von Säumen, Auslassen von zu eng gewordenen Hosen oder Kleidern, oder Ausbessern von schadhafter Garderobe, die ihrem Besitzer lieb und wert war.

Ricarda schob ihre trüben Gedanken beiseite und wandte sich wieder dem Brautkleid zu. Irgendwann würde sie sich ihren Traum erfüllen und maßgeschneiderte Kleidung anfertigen und verkaufen. Vielleicht konnte sie sich auf etwas spezialisieren, das dennoch gefragt war. Eventuell konnte sie für Schwangere nähen, die nicht so viel Auswahl in den Läden oder im Internet fanden. Oder für etwas kräftigere Kunden? Ab bestimmten Größen war es schwierig, schicke, moderne Mode zu finden, die mit ein wenig Geschick und Raffinesse sogar ein paar Pfündchen wegmogelte.

Spätestens wenn Ella nach der Grundschule eine weiterführende Schule besuchte, würde sie mehr Zeit haben. Dann konnte sie ihre Pläne umsetzen, für den Anfang parallel zu den Änderungsarbeiten. Und wenn es dann gut lief …

Ricarda schüttelte den Kopf. Träumereien. Die konnte sie sich nicht erlauben, sie musste vorwärtskommen. Vielleicht konnte ihr Schwesterchen heute Nachmittag für zwei oder drei Stunden zu ihrer Kindergartenfreundin Saskia. Dort war Ella gut aufgehoben, und sie konnte weiterarbeiten.

*

Kritisch betrachtete Ricarda sich im Spiegel. Das ärmellose rote Kleid stand ihr sehr gut. Die blonden Haare fielen in weichen Wellen über ihre Schultern, und mit einem dezenten Make-up hatte sie ihre Augen betont. Ja, so konnte sie zu Doros Junggesellinnen-Abend gehen.

»Du bist hübsch«, versicherte Ella, die ein paar Schritte hinter ihr stand, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und das Köpfchen zur Seite geneigt. »Das kommt von dem neuen Kleid. Darf ich es auch mal anziehen, wenn ich groß bin?«

Ricarda lachte.

»Sicher, Ella-Schätzchen. Aber bis dahin dauert es noch eine Weile.« Neu war das Kleid nicht. Sie hatte nur schon lange keine Gelegenheit mehr gehabt, es zu tragen.

»Und deine Haare sind so schön. Bekomme ich auch solche Haare?« Ella zog an ihren braunen Löckchen und musterte sie mit gerunzelter Stirn.

»Du hast wunderschöne Haare Ella, auch wenn sie nicht blond sind. Aber du hast Locken! Das ist was ganz Tolles. Ich habe keine«, sagte Ricarda. Ihre Haare fielen eigentlich immer glatt. Sogar die Wellen für den heutigen Abend hatte sie nur mühsam mit Föhn und Bürste hinbekommen. Eine gute Portion Haarspray fixierte die Anstrengung.

»Hm«, machte Ella und seufzte schwer. »Ich mag ja lieber keine Locken und dafür deine Farbe. Du, Ricci, Saskias Mama hat neue Haare. Die sind jetzt rot. Sie hat sie gef–gef …« Ella brach ab und rieb mit einem Finger über ihre Stirn.

»Gefärbt?«, schlug Ricarda vor.

»Genau.« Erleichtert nickte die Kleine. »Kann ich meine Haare auch gefärben?«

»Färben«, korrigierte Ricarda. »Vielleicht wenn du groß bist«, stellte sie in Aussicht. »Guck doch mal nach draußen, Ella, und sag mir, ob Frau Gärtner schon kommt.«

Ella nickte und hüpfte zum Fenster. Sie schob einen Stuhl davor und kletterte hinauf. »Ja. Sie ist gleich da«, informierte sie Ricarda.

»Fein. Du bist schön artig, und wenn sie dich nachher ins Bett bringt, wird auch gleich geschlafen, hörst du, Schätzchen?«, ermahnte Ricarda ihre kleine Schwester. Gerade die Bettgehzeiten versuchte die Kleine gerne in die Länge zu ziehen. Immer wieder fiel ihr etwas ein, was noch unbedingt sein musste. Eine zweite Gute-Nacht-Geschichte zum Beispiel, oder sie brauchte noch etwas zu trinken. Oder ihr Teddy war verschwunden. Meist fand er sich dann unter dem Bett wieder oder im Kleiderschrank.

»Ich bin ganz artig«, versicherte Ella. »Frau Gärtner liest mir bestimmt wieder ganz viele Geschichten vor, bis ich doll müde bin.«

Es läutete an der Haustür.

»Ich mach auf«, rief Ella, rannte aus dem Schlafzimmer und eilte die Stufen hinunter. Ricarda hielt sekundenlang die Luft an und folgte der Kleinen. Jedes Mal, wenn Ella die Treppe hinunterrannte, sah sie sie bereits stürzen. Erleichtert atmete sie aus, als sie hörte, dass das Schwesterchen schon unten war und die Haustür aufzog. Sie folgte der Kleinen.

Auf der Stufe vor der Tür stand die Nachbarin und lächelte das kleine Mädchen an. »Hallo, Ella. Na, machen wir beide uns wieder einen gemütlichen Abend?«, begrüßte sie das Kind.

»Au ja!«, rief Ella und vergaß in ihrer Aufregung, die Nachbarin zu begrüßen.

»Hallo Frau Gärtner, wie lieb, dass Sie sich die Zeit nehmen«, bedankte sich Ricarda.

»Immer gerne, liebe Frau Scheffer. Ihr Schwesterchen ist so ein liebes Mädchen. Es macht mir Freude. Genießen Sie den Abend und lassen Sie sich Zeit«, versicherte die Nachbarin.

Ricarda ging in die Knie und drückte Ella an sich. »Tschüs meine Kleine.«

»Tschüs.« Ella entwand sich ihr. »Frau Gärtner, hast du mir einen Kirschmuffin mitgebracht?« Erwartungsvoll sah sie zu der Nachbarin auf.

Frau Gärtner lächelte. »Natürlich. Wie ich es dir beim letzten Mal versprochen habe. Und für deine Schwester auch einen.« Sie lächelte Ricarda zu. Diese erwiderte das Lächeln und verabschiedete sich. Bei Frau Gärtner war Ella in besten Händen. Sie musste sich keine Gedanken machen. Rasch zog sie die Haustür hinter sich zu und ging zu ihrem Wagen, der unter dem Carport stand.

*

Pascal Herold schlüpfte in seine neuen blauen Mokassins, die wunderbar weich und bequem waren, griff nach seinem Schlüsselbund, das auf dem Garderobenschrank lag, und warf dabei einen schnellen Blick in den Spiegel. Die Frisur saß, das helle Hemd stand ihm gut und seine Laune war bestens. Heute war Samstag, und er hatte sich vorgenommen, sich nach über einem halben Jahr als selbstständiger Kaminkehrermeister mit eigenem Kehrbezirk, endlich mal wieder ein Wochenende frei zu gönnen. Die Arbeit lief hervorragend. Seine Bedenken, ob er dafür geeignet war, nicht mehr als Angestellter zu arbeiten und nunmehr für alles selbst verantwortlich zu sein, hatten sich mittlerweile verflüchtigt.

Mit beschwingten Schritten verließ er das Haus. Er war spät dran, sein bester Freund Gernot wartete sicher schon auf ihn. Pascal öffnete mit der Fernbedienung sein weißes Mercedes-Cabrio, das vor der Garage stand, und hatte unvermittelt den Drang, über die Tür in den Wagen zu springen. Er grinste. Im Garten gegenüber stand die betagte Frau Rüttger und zupfte an ihren Tomatenpflanzen. Er war sicher, sie stand hauptsächlich deswegen draußen, um mitzubekommen, was in ihrem mittelbaren Umfeld in der gepflegten Wohngegend der Ortschaft Wernau geschah. Nebenan fegte Herr Grumbich sorgsam seine Terrasse, auch mit Blickrichtung zu ihm. Pascal beschloss, auf das kleine Vergnügen, in den Wagen zu springen, zu verzichten. Was mochten die Nachbarn denken, wenn sie ihn bei solchen Albernheiten sahen. Er hatte ja seinen dreißigsten Geburtstag inzwischen auch hinter sich.

Gesittet setzte er sich also hinters Steuer und ließ den Motor an. Er winkte Frau Rüttger und Herrn Grumbich zu, während er langsam vom Grundstück fuhr. Grumbich, der nicht allzu gut sah, rückte an seiner Brille und grüßte verhalten zurück. Frau Rüttger winkte eifrig. Schmunzelnd beschleunigte Pascal den Wagen.

Eine viertel Stunde später stellte er sein Cabrio auf dem Parkplatz ab, der zu der Gaststätte ›Oskars Schlemmerparadies‹ gehörte.

Die Abendsonne schien, in der großen Linde, die seitlich vom Parkplatz stand, sang ein Vogel, und die Luft war angenehm warm. Pascal hoffte, dass Gernot im Gartenbereich des Lokals einen Tisch besetzt hatte. Bei dem herrlichen Wetter wollte er jede Sekunde im Freien genießen.

Guter Dinge betrat er das Lokal. Zur linken Seite der geräumigen Gaststube saßen an einem langen Tisch etliche junge Frauen. Sie lachten und schwatzten, und auf dem Tisch lag ein Blumenkranz. Vielleicht feierten die Mädels einen Geburtstag. Die junge Frau in der Mitte gefiel ihm. Mit ihren seidigen blonden Haaren und dem schlicht-eleganten roten Kleid leuchtete sie aus dem Kreis der anderen Frauen hervor. Sie unterhielt sich angeregt mit einer fülligen Dunkelhaarigen, die neben ihr saß. Die Dunkelhaarige war auch sehr attraktiv, doch die Blonde war eher sein Typ.

»Pascal!«, hörte er Gernots Stimme. Er sah zur Bar. Dort saß sein bester Freund und hob grüßend die Hand. Pascal lachte und ging zu ihm.

»Gernot, alter Junge, wie schön«, sagte er. Die Männer umarmten sich und klopften einander auf die Schulter. »Warum sitzt du denn hier drinnen im Trüben? Draußen ist schönstes Wetter.«

»Ich weiß.« Gernot grinste. »Und genau deswegen war kein Tisch mehr frei, als ich vor ein paar Minuten gekommen bin. Wir können ja abwechselnd alle zehn Minuten nach draußen sehen. Vielleicht ergibt sich was. Alles klar bei dir?«

»Alles bestens«, versicherte Pascal und setzte sich auf den Platz neben ihn. »Und bei dir?«

»Auch gut. Lore macht sich einen gemütlichen Abend zu Hause. Sie sagt, sie genießt es, wenn ich mal ein paar Stunden fort bin.« Gernot grinste breit.

»Ich genieße meine Freiheit, und dass ich kommen und gehen kann, wie ich will«, sagte Pascal schmunzelnd.

»Jeder wie er mag.« Gernot lachte noch immer. »Mir gehts prächtig mit Lore. War die richtige Entscheidung, dass wir geheiratet haben.«

»Deine Lore ist ja auch ein Glücksgriff«, bestätigte Pascal. »Die Frauen, die mir gefallen, wollen alle ruckzuck heiraten und Kinder kriegen, oder mindestens zusammenziehen. Ich will nichts von alldem. Mir gehts prima, so wie es ist. Und fürs Kinderglück habe ich Finn, das reicht mir völlig.«

Gernot lachte.

»Du hast einfach die Richtige noch nicht getroffen. Wenn es dich mal so richtig erwischt, dann überlegst du dir das anders. Wetten?«

»Die Wette hast du schon verloren.« Pascal grinste breit. »Außerdem gibt es so viele reizvolle Frauen. Es wäre doch schade, sich auf eine Einzige zu beschränken«, fuhr er belustigt fort.

»Du bist und bleibst ein Don Juan«, erwiderte Gernot lachend.

»Aber nicht doch. Ich bin durchaus eine treue Seele«, versicherte Pascal, noch immer schmunzelnd. Aus den Augenwinkeln sah er die attraktive Blonde mit dem roten Kleid an dem Tisch mit den vielen Frauen. Wie zufällig blickte er in ihre Richtung. Eben lachte sie und strich sich mit einer Hand die langen dichten Haare zurück. Ihre Haarspitzen bogen sich leicht nach innen, als hätte sie sie über eine dicke Rundbürste geföhnt. Bei jeder Bewegung schimmerte das Blond im Licht der Abendsonne, die einen milchigen Lichtstrahl durch das Fenster seitlich von ihr schickte.

»Das sehen Lydia und Corinna sicher anders«, entgegnete Gernot. Pascal winkte ab.

»Mit Lydia war nie was, und Corinna hat aus zwei Dates und einem Kuss eine gemeinsame Zukunft machen wollen. Das ging mir einfach zu schnell«, verteidigte er sich. Gernot lachte.

»Du musst dir eben noch die Hörner abstoßen. Wie ich sehe, hast du gerade wieder eine Frau im Visier, die zügig heiraten und Kinder kriegen will«, amüsierte er sich. »Ich tippe auf die Blonde.«

»Unsinn.« Mit einem Grinsen wandte sich Pascal wieder seinem Freund zu. »Ich dachte, ich kann durchs Fenster nach draußen sehen, ob was frei wird.«

»So, so.« Gernot klang belustigt.

»Aber hübsch ist sie, das musst du zugeben«, fuhr Pascal schmunzelnd fort.

»Durchaus«, erwiderte Gernot. »Wie gehts deinem Neffen?«, wechselte er das Thema.

»Finn? Prächtig. Er ist wirklich ein drolliger kleiner Kerl. Stell dir vor, er wünscht sich zu seinem nächsten Geburtstag von mir einen Kaminkehreranzug in seiner Größe. Mit Zylinder und Leiter und Kehrbesen«, berichtete Pascal.

»Natürlich Finn. Oder hast du sonst noch einen Neffen?« Gernot lächelte. »Und? Wirst du ihm den Wunsch erfüllen?«

»Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wo ich so einen Mini-Anzug herbekommen soll, von dem Rest ganz zu schweigen«, erwiderte Pascal.

»Guck halt mal bei Faschingsbekleidung«, schlug Gernot vor.

»Jetzt? Im Sommer? Finn hat schon in vier Wochen Geburtstag«, hielt Pascal dagegen.

»Im Internet bekommst du alles, unabhängig von der Jahreszeit. Sagt zumindest Lore«, ließ Gernot ihn wissen. »Ich hab es ja nicht so mit dem Bestellen. Ich kaufe lieber im Laden, und das auch nur, wenn es sein muss.«

»Lore hat sicher recht. Aber so eine Faschingsverkleidung taugt meistens wenig. Ich möchte ihm schon was schenken, was eine Weile hält«, erwiderte Pascal und zog die Getränkekarte aus dem Ständer, der auf dem Tresen stand. Beinahe hätte er mit dem Ellbogen die kleine Kristallvase mit den weißen Margeriten umgestoßen, die ein Stück daneben stand.

»Klar. Vollkommen richtig. Dann kann er den Anzug noch an seinen eigenen Sohn weitergeben und der später an seinen«, erwiderte Gernot mit unbewegter Miene.

»Mach dich ruhig lustig.« Pascal musste selbst grinsen. Er stellte sich seinen Neffen in einem maßgeschneiderten kleinen Kaminkehreranzug vor. Er würde allerliebst aussehen.

»Du bist hin und weg von dem Kleinen. Und du willst keine eigenen Kinder«, spottete Gernot.

»Korrekt. Aber Finn wird ja nach ein paar Stunden wieder von seiner Mutter abgeholt, und dann hab ich meine Ruhe«, antwortete Pascal und studierte die Getränkekarte.

»Ich guck mal nach draußen, wegen einem freien Tisch«, sagte Gernot. »Bestellst du mir ein alkoholfreies Radler?«