Sara will einen Papa - Simone Aigner - E-Book

Sara will einen Papa E-Book

Simone Aigner

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie wird die von allen bewunderte Denise Schoenecker als Leiterin des Kinderheims noch weiter in den Mittelpunkt gerückt. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Diese beliebte Romanserie der großartigen Schriftstellerin Patricia Vandenberg überzeugt durch ihr klares Konzept und seine beiden Identifikationsfiguren. Sara hopste über den Rasen des Kindergartens ›Sonnenküken‹. Dort drüben auf der Bank saß Oliver und passte auf, dass alle Kinder einträchtig spielten und sich nicht stritten oder Unfug machten, wie zum Beispiel Timo, der Luise einen Becher Sand über den Kopf geschüttet hatte. Luise hatte ein Riesengeschrei gemacht und Timo war weggerannt, gestolpert und hatte sich die Knie aufgeschlagen. Das war ein Theater gewesen. Aber jetzt waren alle wieder friedlich. Sara pflückte ein Gänseblümchen ab und eilte zu Oliver. »Guck mal Oli«, rief sie, ganz außer Atem. »Was ich gefunden habe.« Sie hielt ihm das Blümchen hin. Oliver lächelte. »Das ist sehr schön. Sollen wir es ins Wasser stellen?«, fragte er. »Nein.« Sara schüttelte den Kopf. »Es ist für die Mama. Es ist doch bald Abholzeit, hat Kirsten gesagt.« »Da hat sie recht«, bestätigte Oliver.

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Sophienlust - Die nächste Generation – 93 –

Sara will einen Papa

Unveröffentlichter Roman

Simone Aigner

Sara hopste über den Rasen des Kindergartens ›Sonnenküken‹. Dort drüben auf der Bank saß Oliver und passte auf, dass alle Kinder einträchtig spielten und sich nicht stritten oder Unfug machten, wie zum Beispiel Timo, der Luise einen Becher Sand über den Kopf geschüttet hatte. Luise hatte ein Riesengeschrei gemacht und Timo war weggerannt, gestolpert und hatte sich die Knie aufgeschlagen. Das war ein Theater gewesen. Aber jetzt waren alle wieder friedlich. Sara pflückte ein Gänseblümchen ab und eilte zu Oliver.

»Guck mal Oli«, rief sie, ganz außer Atem. »Was ich gefunden habe.« Sie hielt ihm das Blümchen hin. Oliver lächelte.

»Das ist sehr schön. Sollen wir es ins Wasser stellen?«, fragte er.

»Nein.« Sara schüttelte den Kopf. »Es ist für die Mama. Es ist doch bald Abholzeit, hat Kirsten gesagt.«

»Da hat sie recht«, bestätigte Oliver. Sara kletterte auf die Bank und setzte sich dicht neben ihn.

»Oli?« Sie drückte ihren Kopf an seinen Arm. »Magst du der Mama die Blume geben?«, bat sie.

»Ich?« Erstaunt sah er zu ihr hinunter. »Das ist doch dein Geschenk für sie.«

»Ich mag aber, dass du das machst«, beharrte Sara.

»Die Mama freut sich viel mehr, wenn du ihr das Blümchen gibst«, sagte Oliver.

»Nö«, behauptete Sara und begann, mit den Beinen zu baumeln. »Die Mama mag dich nämlich ganz doll und wenn du ihr was schenkst, mag sie dich bestimmt noch viel lieber. Außerdem mag ich, dass du zu meinem Geburtstag kommst. Der ist auch bald.«

Oliver strich der Kleinen flüchtig über den Arm.

»Hallo Sara, mein Mäuschen«, hörte Sara die Stimme ihrer Mutter. Sie sah zur Pforte des Kindergartens. Eben kam die Mama den Weg entlang gehumpelt, auf zwei Krücken gestützt.

»Bitte gib sie ihr«, wisperte Sara und versuchte, Oliver das Blümchen in die Hand zu drücken. Doch der hatte beide Hände jetzt locker zwischen die Knie gelegt, sodass das nicht möglich war. Sie war ziemlich enttäuscht. Aber noch war nicht alles verloren. Sie konnte der Mama die Blume geben und ihr sagen, dass sie von Oli war. Das war fast so, als hätte er es selbst getan.

*

»Hallo Oliver«, begrüßte Fiona Endres den Erzieher und blieb, auf ihre Gehhilfen gestützt, vor der Bank stehen. Sie lächelte ihn an.

»Frau Endres, hallo. Wollen Sie sich setzen?«, bot Oliver an, stand auf und deutete auf seinen Platz.

»Für einen Moment gerne«, stimmte Fiona zu. Von ihrer Wohnung bis zum Kindergarten war es nicht weit. Sie musste nur etwa fünfzig Meter die Straße entlanggehen und einmal um die Ecke. Das war auch mit dem verletzten Bein und den Krücken zu schaffen. Zudem wollte sie nicht ständig nur zu Hause herumsitzen.

»Mit den Krücken ist das Laufen doch recht beschwerlich«, gab sie zu. »Ich hoffe aber, dass ich sie bald los bin.« Vorsichtig setzte sie sich und streckte das verletzte Bein von sich.

»Was heißt das?«, erkundigte sich Oliver freundlich. »Steht eine weitere Operation an?«

»Tatsächlich ja. Die Letzte hoffe ich, seit dem Unfall vor über einem Jahr. Wenn alles klappt, wie der Doktor es sich vorstellt, kann ich danach bald wieder richtig laufen«, berichtete Fiona.

»Das wäre wirklich schön. Es ist schon unglaublich, wie schnell etwas schiefgehen kann«, sagte Oliver. »Es war ein Fahrradunfall, richtig?«

»Gewissermaßen. Nur saß der Unfallverursacher auf dem Rad. Er hat mich wohl nicht gesehen und ist direkt auf mich zugefahren. Ich habe noch versucht, beiseite zu springen, und bin dabei auf einer Eisplatte ausgerutscht. Der Sturz hat sich gelohnt, sozusagen.« Sie seufzte.

»Wann müssen Sie wieder in die Klinik?«, fragte Oliver.

»Nächste Woche schon. Ich kann nicht sagen, dass ich mich darauf freue, aber ich wäre doch sehr froh, bald wieder ganz gesund zu sein«, erwiderte Fiona.

»Das verstehe ich gut. Ich wünsche Ihnen jedenfalls das Beste«, sagte Oliver herzlich.

»Vielen Dank.« Sie lächelte zu ihm auf. Oliver war ein großer, kräftiger Mann mit kleinem Bauchansatz und rotbraunen lockigen Haaren. Zudem trug er einen gepflegten kurz geschnittenen Vollbart. Sein Alter konnte sie schlecht einschätzen, doch er mochte auf die Vierzig zugehen.

Er wirkt wie ein gemütlicher Bär, dachte Fiona. Oliver war ihr durchaus sehr sympathisch, mehr aber auch nicht. Er stand noch immer neben der Bank. Eigentlich hätte er sich auch wieder setzen können. Es war genug Platz.

»Sara wohnt in der Zeit wieder im Kinderheim Sophienlust?«, fragte Oliver.

»Ja, wie jedes Mal, wenn ich in die Klinik muss. Es gefällt ihr dort sehr gut«, bestätigte Fiona.

»Mama«, meldete sich Sara zu Wort und reckte ihr das Blümchen entgegen. »Das ist für dich von Oli.«

»Oh, Dankeschön.« Mit einem pflichtgemäßen Lächeln nahm Fiona ihrer Tochter die kleine Blume ab und tauschte einen raschen Blick mit dem Erzieher. In dessen Mundwinkeln saß der Anflug eines Schmunzelns.

»Schätzchen, ich habe mich jetzt genug ausgeruht. Sei so lieb und hole deinen Rucksack, damit wir nach Hause gehen können«, sagte Fiona zu der Kleinen. Artig nickte Sara und sprang davon. Fiona lehnte die Krücken an die Bank und versuchte die Blume am Knopfloch ihrer Bluse festzustecken. Da sie sich für den Heimweg auch wieder auf die Gehhilfe stützen musste, konnte sie sie nicht in der Hand halten.

»Es tut mir leid, Oliver, dass Sara immer wieder Verkupplungsversuche startet«, entschuldigte sie sich betreten. Oliver grinste und setzte sich nun doch wieder auf die Bank.

»Machen Sie sich keine Gedanken. Ich mache mir auch keine«, versicherte er.

»Sie wünscht sich unbedingt einen Papa«, fühlte sie Fiona verpflichtet, Oliver den Grund für Saras Verhalten zu erklären.

»Ich weiß. Das hat sie mir erzählt und ihren Freunden auch«, sagte der Erzieher und lächelte noch immer.

»Ja. Es ist nur so, sie ist sehr aktiv auf der Suche und das ist mir wahrhaft unangenehm. Sie hat vor ein paar Wochen unseren alleinstehenden Nachbarn über den Gartenzaun angesprochen, ob er nicht ihr Papa sein wollte. Herr Kohler hat ihr erklärt, er wäre schon zu alt dafür. Daraufhin hat sie den Postboten gefragt, ob er das übernehmen könnte, weil sie einen Papa bräuchte. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie peinlich mir das ist. Natürlich habe ich mit ihr darüber geredet, ich merke aber, es nützt nichts«, berichtete Fiona. Während sie sprach wurde ihr unangenehm warm. Stellte sie sich eben ein Armutszeugnis aus? Versagte sie in der Erziehung von Sara? Schließlich engagierte sich die Kleine zielstrebig weiter, bei der Suche nach einem Vater, obwohl sie ihr nachdrücklich gesagt hatte, sie sollte das unterlassen. War sie als Mutter ihrer Kleinen nicht genug? Oder ging es schlichtweg darum, dass alle Kinder, die Sara kannte, sowohl eine Mutter als auch einen Vater hatten? Vielleicht fühlte sie sich als Außenseiterin, ohne Papa.

Sara kam aus der zweiflügeligen Tür des Kindergartens. Ihr Rucksack saß ordentlich auf ihrem Rücken. Sie hüpfte strahlend auf sie zu.

»Mama, ich mag Oli zu meinem Geburtstag einladen«, sagte sie, kaum, dass sie bei ihnen war.

»Wir müssen deinen Geburtstag nachfeiern, Mäuschen, das weißt du doch«, wich Fiona aus. Sara nickte ernsthaft.

»Ich weiß doch. Wegen dem Krankenhaus. Aber das ist nicht soo schlimm, wenn Oli dann auch kommen darf«, versicherte Sara und sah erwartungsvoll zwischen ihrer Mutter und dem Erzieher hin und her.

»Wir werden sehen«, sagte Fiona. Jetzt nur keine Diskussion, die in Trotz und Tränen endete. Auf die Krücken gestützt erhob sie sich vorsichtig. »Auf Wiedersehen Oliver«, verabschiedete sie sich.

»Tschüs Oli«, rief Sara und winkte ihm zu, während sie bereits los eilte, Richtung Gartentür.

»Tschüs«, sagte auch Oliver und lächelte.

*

»Freust du dich über die Blume?«, erkundigte Sara sich, während sie den Gehweg entlangliefen.

»Ja, meine Kleine. Sie ist sehr hübsch. Daheim stellen wir sie ins Wasser.« Fiona warf einen Blick zu dem Knopfloch, in dem das Gänseblümchen steckte. Es sah schon ein wenig kümmerlich aus. Sie sah dem Gesichtchen ihrer Tochter an, dass Sara sie ihre kleine List durchschaut wusste. Sie musste unbedingt noch einmal mit ihrem Töchterchen über deren Bemühungen reden. Es ging einfach nicht, dass Sara immer wieder aktiv nach einem Vater suchte, auch wenn ihr klar war, dass die Kleine sich keine weitergehenden Gedanken machte.

»Sie ist von Oli für dich. Weil er dich sehr mag«, versicherte Sara, als wüsste sie, was die Mutter beschäftigte und hüpfte ein paar Schritte.

»Mäuschen, ich weiß, dass du dir einen Papa wünschst«, begann sie das Gespräch, das sie eigentlich gar nicht erneut führen wollte, schon gleich nicht, während sie auf die Krücken gestützt die Straße entlang humpelte. »Aber eigentlich brauchen wir doch gar keinen Papa, oder? Wir kommen doch prima zu zweit zurecht«, sprach sie weiter und hoffte auf eine Zustimmung von Sara, von der ihr klar war, die würde sie nicht bekommen.

»Doch brauchen wir einen«, widersprach die Kleine sofort. »Und Oli passt ganz prima. Ich mag ihn doll und er kennt viele schöne Spiele und gut vorlesen kann er auch.«

»Das mag ja alles sein. Aber er kann dir im Kindergarten vorlesen und ihr könnt dort zusammenspielen«, hielt Fiona dagegen. Sara blieb stehen und sah mit nahezu versteinertem Gesichtchen zu ihrer Mutter hoch. Widerstrebend verhielt auch Fiona im Laufen.

»Du magst Oli also auch nicht? Genauso wie Herrn Kohler nicht und wie den Postboten nicht?«, fragte sie und sah sie an, als hätte sie sich einer üblen Verfehlung schuldig gemacht. Unangenehmerweise fühlte sie sich tatsächlich augenblicklich schuldbewusst.

»Ich mag Oli durchaus, unser Nachbar Herr Kohler ist auch sehr nett und der Postbote sowieso. Deswegen wird aber keiner von den Dreien dein Papa werden.« Allmählich wurde sie ungehalten.

»Das ist ganz gemein von dir!« Sara stampfte mit dem Fuß auf und im selben Moment stürzten Tränen über ihr kleines Gesicht.

»Sara, Kleines. Jetzt beruhige dich. Wir gehen nach Hause. Ich habe Nudelsuppe für uns gekocht.«

»Ich mag die dumme Suppe nicht«, schluchzte Sara laut. Auf der Straßenseite gegenüber lief Frau Gruber. Sie war Mitte fünfzig und die Plaudertasche des Wohngebietes. Natürlich sah sie sehr aufmerksam zu ihnen herüber. Immerhin grüßte sie verhalten und sie lief eindeutig unnötig langsam, umso viel als möglich von der Auseinandersetzung zwischen Sara und ihr mitzubekommen.

»Nach der Suppe gibt es Erdbeereis. Aber nur, wenn du jetzt aufhörst zu weinen und zu streiten«, versuchte Fiona sich durchzusetzen. Wie erbärmlich. Sie bemühte sich doch tatsächlich, ihre Tochter mit einer Kugel Eis zu besänftigen, damit diese ihren Aufstand zumindest für den Moment aufgab. Sara rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. Ohne weiteren Protest, jedoch mit finsterem Gesicht, stapfte sie neben Fiona her, die sich ebenfalls wieder in Bewegung setzte.

*

Sara kniete in ihrem Zimmer auf dem Boden. Vor ihr lag, aufgeklappt, ihr rosa Koffer. Er war schon ziemlich voll. Die Mama hatte reichlich Kleidung eingepackt, zwei Bilderbücher, Zahnputzzeug, Schuhe, ihren Badeanzug, Unterwäsche und Söckchen. Sara überlegte, ob die Mama es merkte, wenn sie die hellbraune Strickjacke wieder rausnahm. Die gefiel ihr gar nicht. Die Mama fand sie toll und meinte, es könnte auch mal kühl draußen werden, während sie im Kinderheim war und dann würde sie sie gut brauchen können. Dabei war doch jetzt Sommer, da brauchte sie keine Jacke. Außerdem war sowieso zu viel im Koffer. Sie wollte noch Fips mitnehmen, ihren Maulwurf und das Angelspiel mit den bunten Holzfischen. Das wollte sie unbedingt Heidi und Kim zeigen, die auch in Sophienlust wohnten. Und vielleicht auch noch das Einhorn-Glitzerspiel? Das war so schön, mit der rosa Verpackung. Sie hatte es letztes Weihnachten bekommen. Man konnte funkelnde Wolkenkristalle sammeln, aber man musste es zu viert spielen. Das war schwierig, denn mit Heidi und Kim waren sie nur drei. Vielleicht spielte Pünktchen auch mit? Sara krauste das Näschen. Pünktchen war sehr lieb und machte viele Spiele mit oder half, wenn jemand Kummer hatte. Eigentlich hieß sie Angelina. Alle im Kinderheim nannten sie aber Pünktchen, weil sie sehr viele Sommersprossen hatte und rote krause Haare. Pünktchen war schon ziemlich groß. Möglicherweise mochte sie gar keine Wolkenkristalle sammeln? Sara seufzte schwer. Es war keine leichte Entscheidung. Erstmal brauchte sie Platz im Koffer. Sie zerrte die Strickjacke unter den T-Shirts hervor, wobei diese ins Rutschen gerieten und beschloss das Angelspiel einzupacken. Das war ganz leicht, sie musste es nur oben auf die Kleidung legen. Leider sah es jetzt so aus, als würde der Koffer nicht mehr zugehen. Die Strickjacke hatte viel weniger Platz gebraucht, als sie gedacht hatte und das Wolkenspiel lag noch immer neben ihr, statt im Koffer. Fips, den Maulwurf, konnte sie auf den Arm nehmen, das war kein Problem.

Ihre Zimmertür ging auf und die Mama kam herein.

»Sara es wird Zeit …« Sie brach ab. »Was machst du denn da?«, fragte sie vorwurfsvoll.

»Ich brauch die Spiele«, erklärte Sara und ahnte schon, es würde schwierig werden, Mama zu überzeugen. »Ich will sie mit Heidi und Kim spielen.«

»Schon gut, aber warum hast du die Jacke raus? Und die T-Shirts zerknittern doch alle, so wie es jetzt aussieht«, seufzte ihre Mutter.

»Ich mag die Jacke nicht«, protestierte Sara. »Und im Koffer ist zu wenig Platz.«

»Die Jacke kommt mit«, entschied die Mama. »Wir packen beide Spiele in einen Stoffbeutel. Ich schließe jetzt den Koffer. Gleich ist Hilde da, sie fährt uns ins Kinderheim.«

»Von mir aus«, maulte Sara. Anziehen würde sie die Jacke trotzdem nicht. Hilde gehörte die Apotheke, in der die Mama arbeitete, wenn sie gesund war. Sie war viel älter als Mama, fast schon eine Oma. Sie war sehr nett und wenn der Kindergarten Ferien machte, durfte Sara manchmal mit in die Apotheke und im Hinterzimmer spielen.

Es läutete an der Wohnungstür. Das war sie bestimmt.

»Darf ich aufmachen?«, bat Sara und beschloss, ihrer Mutter den Koffer zu überlassen.

»Ja. Aber erst fragst du, wer außen steht«, wies die Mama sie an. Sara eilte in den Flur. Durch den Spion konnte sie nicht sehen, dazu war sie noch zu klein.

»Wer ist denn da?«, rief sie und feixte vor Vorfreude. Hilde brachte ihr oft eine Kleinigkeit mit.

»Ich bin es, Hilde«, hörte sie die vertraute Stimme von außen. Sara reckte sich und zog die Türklinke herunter. Hilde stand im Flur und lächelte sie an.

»Hallo Sara. Prima machst du das. Erst fragen wer draußen steht, auch wenn die Mama daheim ist«, lobte Hilde und hielt ihr ein Tütchen mit Gummibärchen hin. »Möchtest du die haben?«, fragte sie.

»Au ja! Danke«, rief Sara freudig. »Darf ich sie auch gleich essen?«

»Darfst du«, antwortete die Mama aus dem Kinderzimmer und kam zu ihnen.

»Hallo Hilde. Schön, dass du hier bist und uns wieder fährst«, begrüßte sie ihre Chefin und Freundin.

»Immer gerne. Du kannst ja im Moment nicht Autofahren, mit dem Bein«, sagte Hilde.

»Das ist richtig. Aber ich könnte ein Taxi nehmen. So weit ist es ja nicht, bis Wildmoos«, antwortete die Mama.

»Kommt nicht infrage. Ich helfe euch gerne. Ist der Koffer fertig?«

»Ja!«, rief Sara mit vollem Mund. »Wir brauchen nur noch eine Stofftüte für die Spiele.«

»Schön. Holst du sie? Dann trage ich gleich alles nach draußen. Kommt ihr nach?«, fragte Hilde.

»Machen wir«, sagte die Mama. Sara eilte in die Küche. Hinter der Tür stand ein Körbchen, in dem lagen ein paar Stoffbeutel für Einkäufe. Es war auch ein recht großer dabei. Den würde sie nehmen.

*

Florian Richter sah seine Angestellte, das Kindermädchen Karen Schubert, entgeistert an.

»Das ist nicht Ihr Ernst Karen. Sie können mich doch nicht von einem Tag auf den anderen im Stich lassen. Wer soll sich um Jan kümmern? Gerade jetzt habe ich jede Menge Termine.«

»Es tut mir so leid Herr Richter. Es ist mir klar, dass ich Ihnen damit ein großes Problem mache. Aber ich muss zu meinem Vater und mich um ihn kümmern. Ich weiß, ich müsste eine Kündigungsfrist einhalten, aber …« Sie brach ab und sah ihn hilflos und bittend gleichermaßen an.

»Ich kann Sie ja verstehen«, seufzte Florian Richter. Eben hatte Karen ihm mitgeteilt, dass ihr 70-jähriger Vater erkrankt war und dauerhaft Unterstützung brauchte. Sie musste ihre Arbeit bei ihm aufgeben und hatte zudem gebeten, bereits nächste Woche gehen zu dürfen. Doch wer sollte sich um Jan kümmern? Es war undenkbar innerhalb weniger Tage einen vertrauenswürdigen Ersatz für die zuverlässige, einfühlsame Karen zu finden.

»Gut. Ich möchte nicht, dass Sie sich mit Sorgen um Ihren Vater plagen, Karen«, entschied er. Die junge Frau tat ihm durchaus leid. Sie und Jan hatten sich gut verstanden und mittlerweile war sie fast vier Jahre bei ihm angestellt gewesen. Ihm blieb nur, überbrückungshalber noch einmal seine Mutter zu bitten, die dem lebhaften Kleinen jedoch nie länger als ein paar Stunden gewachsen war.

»Ich kann meine Freundin Ulla fragen, ob sie ein paar Wochen auf Jan aufpassen kann«, schlug Karen vor. »Sie ist eigentlich Buchhalterin und im Moment auf Arbeitssuche. Ihr Chef, der eine Schreinerei betrieben hatte, hat aus Altersgründen aufgehört und sein Nachfolger ist kurzfristig abgesprungen. Ulla hat eine neue Stelle in Aussicht, aber erst in zwei Monaten.«

»Hat sie denn Erfahrung mit Kindern?«, fragte Florian. Er schwankte zwischen Hoffnung, dass dies eine vorrübergehende Möglichkeit war und Bedenken.

»Leider nicht«, gab Karen zu. Florian rang sich ein Lächeln ab.

»Machen Sie sich keine Gedanken Karen. Kümmern Sie sich um Ihren Vater, er braucht Sie jetzt. Ich finde schon eine Lösung.«

»Vielen Dank Herr Richter. Es hat mir wirklich sehr gut bei Ihnen gefallen und Jan ist ein ganz lieber kleiner Junge«, sagte Karen. Florian nickte und lächelte mühsam weiter. Er stand vor einem nahezu unlösbaren Problem.

*

Marlies Richter stellte eine Tasse Tee vor ihren Sohn auf den Terrassentisch und setzte sich behutsam ihm gegenüber auf den weich gepolsterten Gartenstuhl. Ihr machte der Rücken seit Tagen zu schaffen.

»Das mit Karen tut mir wirklich leid, für dich und Jan. Und für ihren Vater natürlich auch. Selbstverständlich helfe ich euch. Es ist nur so, dass ich derzeit reichlich Arzttermine habe, wegen meiner Rückenbeschwerden. Ich versuche, sie so gut als möglich in die Zeiten zu verschieben, in denen ihr mich nicht braucht.«

Florian griff nach seiner Tasse und trank vorsichtig einen kleinen Schluck Tee. Er war noch zu heiß. Mit der Aussage seiner Mutter war ihm nicht recht geholfen. Seine Terminkalender hatte die nächste Zeit kaum Lücken, sogar an den Wochenenden standen Kundengespräche an. Als selbstständiger Unternehmensberater brauchte er sich über mangelnde Arbeit nicht zu beklagen. Wenn er nicht reihenweise seine Besprechungen absagen und auf irgendwann später verschieben wollte, brauchte er eine Art 24-Stunden-Betreuung für Jan, so wie sie Karen gewährleistet hatte. Er spürte den besorgten Blick seiner Mutter.

»Ehrlich gesagt«, begann er. »Reicht es nicht, wenn du hier und da einspringst.« Marlies Richter nickte.

»Das habe ich mir schon gedacht. Weißt du, mir geht da noch ein Gedanke durch den Kopf. Nur als Übergangslösung, bis du für Karen einen Ersatz gefunden hast. Ich habe letzthin mit Frau Reichelt gesprochen. Sie musste ja für ein paar Tage zu einer Fortbildung und ihr Mann war natürlich wieder unterwegs. Sie hat ihre Tochter Leonie in der Zeit in das Kinderheim Sophienlust gebracht. Die Kleine soll ganz begeistert von dem Heim gewesen sein, obwohl sie zuerst gar keine Lust hatte, dorthin zu gehen.«

»Sophienlust?« Florian stellte seine Tasse zurück auf die Untertasse. »Davon habe ich schon gehört. Es ist in Wildmoos, nicht wahr?«

»Ja. Das sind ja nur etwa zwanzig Kilometer von hier.« Er hörte die Hoffnung in der Stimme seiner Mutter, ihm eine Lösung aufgezeigt zu haben. Überzeugt war er allerdings nicht.

»Ich dachte immer, das Heim ist ausschließlich für Waisenkinder«, sagte er und nahm eine der Zitronenwaffeln, die seine Mutter bereitgestellt hatte.

»Nein, scheinbar nicht. Zumindest hörte es sich bei Frau Reichelt so an, als könnte man sich auch in einer Notlage oder bei einem Betreuungsengpass dorthin wenden. Ich glaube nicht, dass man für ihre Tochter eine Ausnahme gemacht hat.«

»Weißt du mehr über das Heim? Wie viel Kinder wohnen dort? Und was kostet der Aufenthalt?«, fragte Florian. Wenn es der kleinen Leonie Reichelt dort gefallen hatte, musste es wirklich schön sein. Leonie war schwer zufriedenzustellen, was sicher auch daran lag, dass sie von ihrem Vater, der oft monatelang auf Baustellen im Ausland arbeitete, uferlos verwöhnt wurde, so wie er zuhause war.