Der gute Freund - Gert Rothberg - E-Book

Der gute Freund E-Book

Gert Rothberg

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Beschreibung

In diesen warmherzigen Romanen der beliebten, erfolgreichen Sophienlust-Serie ist Denise überall im Einsatz. Denise hat inzwischen aus Sophienlust einen fast paradiesischen Ort der Idylle geformt, aber immer wieder wird diese Heimat schenkende Einrichtung auf eine Zerreißprobe gestellt. Doch auf Denise ist Verlass. In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg. »Hallo, Anette, hallo, so warte doch!« Es war eine Jungenstimme, die das laut über den Hof des Gutes Dreilinden rief. Das Mädchen am Tor blieb stehen und sah zurück. Nun blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als auf den kleinen Bruder zu warten. Er kam wie die wilde Jagd über das Kopfsteinpflaster des Hofes geprescht. Hinter ihm Rolli, der mexikanische Zwergterrier. »Pass auf, dass du nicht stürzt, Friedo«, rief Anette. »Ach wo!« Der sechsjährige Friedo blieb vor seiner Schwester stehen und blies die Luft aus. Seine grauen Augen sahen sie vorwurfsvoll an. »Warum wolltest du Rolli und mich nicht mitnehmen, Anette? Du hattest mir doch versprochen, dass ich heute mit dir an den See zum Baden gehen darf.« Die zwanzigjährige Anette strich sich das braune Haar aus der Stirn. Ihre blauen Augen sahen den kleinen Bruder etwas verlegen an. »Ich gehe ja gar nicht zum Baden, Friedo. Ich will nur einen kleinen Spaziergang machen.« »Da kannst du uns auch mitnehmen.« Friedos Stimme klang trotzig. »Du bist den ganzen Tag nicht zu Hause, und wenn du endlich aus der dummen Fabrik heimkommst, kümmerst du dich nicht um mich.

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Sophienlust Extra – 10 –

Der gute Freund

Ein Verbrecher bedroht ihre heile Welt …

Gert Rothberg

»Hallo, Anette, hallo, so warte doch!« Es war eine Jungenstimme, die das laut über den Hof des Gutes Dreilinden rief.

Das Mädchen am Tor blieb stehen und sah zurück. Nun blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als auf den kleinen Bruder zu warten. Er kam wie die wilde Jagd über das Kopfsteinpflaster des Hofes geprescht. Hinter ihm Rolli, der mexikanische Zwergterrier.

»Pass auf, dass du nicht stürzt, Friedo«, rief Anette.

»Ach wo!« Der sechsjährige Friedo blieb vor seiner Schwester stehen und blies die Luft aus. Seine grauen Augen sahen sie vorwurfsvoll an. »Warum wolltest du Rolli und mich nicht mitnehmen, Anette? Du hattest mir doch versprochen, dass ich heute mit dir an den See zum Baden gehen darf.«

Die zwanzigjährige Anette strich sich das braune Haar aus der Stirn. Ihre blauen Augen sahen den kleinen Bruder etwas verlegen an. »Ich gehe ja gar nicht zum Baden, Friedo. Ich will nur einen kleinen Spaziergang machen.«

»Da kannst du uns auch mitnehmen.« Friedos Stimme klang trotzig. »Du bist den ganzen Tag nicht zu Hause, und wenn du endlich aus der dummen Fabrik heimkommst, kümmerst du dich nicht um mich. Es kümmert sich überhaupt niemand mehr um mich. Mutti hat auch nie Zeit.«

Anette legte den Arm um Friedos Schultern und lachte. Doch es sah ein wenig gequält aus. »Komm schon. Und von wegen dummer Fabrik. Ich muss dort ernsthaft arbeiten. Das kannst du dir wohl nicht vorstellen?«

Friedo schürzte die Lippen. »Deine Schuld, dass du in der Fabrik arbeiten musst. Du hättest ja bei uns auf Dreilinden bleiben können. Das hat Vati auch immer gesagt. Aber du wolltest che-misch-pharma-pharma …«

Anette lachte. »Chemisch-pharmazeutische Assistentin heißt das, Friedo. Du wirst es dir wohl nie merken. Ja, das wollte ich werden, weil es mir Spaß macht, Friedo. Warum soll ich keinen Beruf haben? Dreilinden wirst doch du einmal übernehmen.«

»Aber du wirst heiraten. Das sagen alle auf dem Gut, Anette.«

»Das ist möglich, Friedo. Aber bis dahin kann noch viel Zeit vergehen.« Gedankenverloren sah Anette zum Waldrand hin, auf den sie jetzt zugingen. Friedo hatte recht. Sie hätte keinen Beruf ergreifen müssen, denn auf Dreilinden gab es Arbeit genug. Aber die Eltern waren mit ihr darin einig gewesen, dass ein Mädchen heutzutage ebenfalls etwas lernen sollte, um notfalls auch auf eigenen Beinen stehen zu können. Besonders der Vater war dieser Ansicht gewesen. Er hatte sehr nüchtern gedacht. Als der Nachkömmling Friedo zur Welt gekommen war, hatte Gero von Linden zu Anette gesagt, dass der Junge eines Tages Dreilinden übernehmen solle. Doch der Vater hatte damals nicht geahnt, dass er nur kurze Zeit haben würde, seinen Sohn darauf vorbereiten zu können, einmal der Herr von Dreilinden zu sein.

Gero von Linden war vor zwei Jahren gestorben. Seitdem bewirtschaftete seine Frau, die Mutter von Anette und Friedo, das Gut.

In Anettes Gedanken hinein sagte Friedo: »Mutti wird sicher noch vor dir heiraten, Anette.«

Das Mädchen schrak zusammen. Es blieb stehen und sah den Bruder mit großen Augen an.

Der Junge zuckte die Schultern. Auf seinem Gesicht lag ein resignierter Ausdruck, der gar nicht zu seinen sechs Jahren passen wollte. »Heute war Herr Bartholdy wieder bei uns. Mutti hat danach gesagt, dass sie ihn bald heiraten werde.«

»Ich wusste es schon, Friedo«, sagte Anette leise. Unwillkürlich legte sie ihren Arm noch fester um die Schultern des kleinen Bruders.

Er sah zu ihr auf. »Aber Herr Bartholdy passt doch gar nicht zu uns, Anette. Ich mag ihn auch nicht.«

»Aber Mutti mag ihn, Friedo. Und nur das ist wichtig. Simon Bartholdy ist zwar kein Bauer, aber er kann ja alles lernen, was er auf einem Gut können muss. Du weißt auch, wie tüchtig Mutti ist. Wir sollten es ihr nicht so schwer machen. Wir haben sie doch sehr lieb, Friedo.«

Der Junge nickte. »Ja, sehr, Anette.« Er bückte sich und streichelte Rolli. »Aber Herr Bartholdy hat Rolli getreten. Ich habe es gesehen. Er mag Tiere vielleicht nicht. Doch Hanna sagt, wer Tiere nicht mag, ist kein guter Mensch.« Anette zog den Bruder hoch. Sie strich ihm über das kurz geschnittene braune Haar.

»Unsere alte Hanna ist zwar eine gescheite Frau, Friedo, aber alles solltest du auch nicht so ernst nehmen, was sie sagt. Manchmal ist sie schon ein wenig wunderlich. Vielleicht hat Herr Bartholdy Rolli nur aus Versehen getreten.«

Jetzt zog glühende Röte über Friedos Gesicht. Seine Augen blitzten. »Ich habe es doch gesehen! Er hat ihn mit Absicht getreten. Dabei ist Rolli ein so lieber Kerl. Er tut keinem etwas.«

»Das stimmt.« Anette lockte den Hund zu sich, hob einen Stein auf und warf ihn ein Stück ins Feld. Schon raste Rolli los, um den Stein zurückzuholen. Er rollte wirklich mehr, als dass er lief. Seine rotbraunen Ohren klatschten gegen das weiße Fell, die etwas vorstehenden schwarzen Augen kullerten vor Vergnügen.

Mit diesem Spiel schaffte es Anette, den kleinen Bruder von seinen Gedanken um die Mutter und deren geplante neue Ehe abzulenken.

Erst am Abend wurde Anette wieder daran erinnert, als Friedo schon im Bett lag und sie mit der Mutter in dem großen gemütlichen Wohnzimmer saß.

Immer wieder sah Anette verstohlen zu der Mutter, die mit ihren zweiundvierzig Jahren noch eine sehr schöne Frau war. Braunes volles Haar, zu einer Krone auf dem Kopf getürmt, stand in wunderbarem Kontrast zu den tiefblauen Augen. Dorothea von Linden war klein, beinahe zierlich. Wer sie nicht kannte, hätte sie niemals für die Herrin eines so großen Gutes gehalten, wie Dreilinden es war. Brauchte sie vielleicht einen männlichen Beschützer? War sie der Rolle nicht gewachsen, in die der Tod ihres Mannes sie gezwängt hatte? Gab sie sich vielleicht nur gelassen, während die Last der Verantwortung sie zu erdrücken drohte?

Diese Fragen bestürmten Anette an diesem Tag nicht zum ersten Mal. Sie war zwanzig Jahre alt und konnte nicht mehr so kindlich denken wie der kleine Friedo. Sie hatte der Mutter auch angeboten, ihren Beruf nun aufzugeben und zusammen mit ihr auf Dreilinden zu schaffen, ihr zur Seite zu stehen. Doch noch bevor eine Entscheidung getroffen worden war, war Simon Bartholdy in das Leben der Mutter getreten. Durch einen Zufall. Gut Dreilinden lag mitten im schönsten Teil des Allgäus. In der Nähe war eine Siedlung von Ferienhäusern entstanden. In einem dieser Ferienhäuser hatte der Kaufmann Simon Bartholdy seinen Urlaub verbracht. Das war vor mehreren Monaten gewesen. Seitdem war er sehr oft zu Besuch gekommen. Er lebte in Mannheim.

Dorothea von Linden hatte nun schon mehrere Male zu ihrer Tochter gesehen und einen Anlauf zum Sprechen genommen. Jetzt wagte sie es endlich, etwas zu sagen. »Du bist so nachdenklich, Anette.« Ihre Stimme klang unsicher.

Anette sah auf. Mitten hinein in die forschenden Augen der Mutter. »Du weißt, woran ich gedacht habe, Mutti«, sagte sie leise. »Er war heute wieder hier. Während meiner Dienstzeit. Warum? Will er mir nicht begegnen?«

Das Gesicht Dorotheas von Lindens rötete sich leicht. »Das war nur ein Zufall, Anette. Mein Gott, sei doch nicht so misstrauisch. Simon Bartholdy hat keinen Grund, dir aus dem Weg zu gehen.« Dorothea neigte sich vor, bis sie die Hand auf Anettes Arm legen konnte. »Oder muss ich fürchten, dass meine Tochter mir Steine in den Weg legen will, dass sie ein Glück verhindern möchte?« Ihre Stimme vibrierte.

»Wäre es dein Glück, Mutti, wieder zu heiraten?«, fragte Anette. Ihr Gesicht war sehr ernst.

Die Mutter lehnte sich zurück. Auf diese Frage schien sie gewartet zu haben. Ihre Antwort kam blitzschnell. »Ja, es wäre mein Glück.« Jetzt starrte sie auf ihre Hände. »Das erste Glück meines Lebens.«

»Mutti!« Anette war sehr erschrocken. »Und deine Ehe mit Vati?«

»Sie war kein Glück für mich. Einmal musst du es wissen, Anette. Mit Friedo kann ich darüber nicht sprechen, ohne ihm jenes Bild zu verzerren, das er von seinem Vater behalten soll. Aber du bist erwachsen, mit dir kann ich offen reden. Du hast selbst oft darüber geklagt, dass du zu deinem Vater kein besonders inniges Verhältnis finden konntest.«

»Ja, das stimmt, Mutti. Je älter ich wurde, um so mehr spürte ich, dass irgendwo zwischen Vati und mir eine Mauer stand, an der ich mich wundstieß. Mit Vati konnte man zwar immer vernünftig sprechen, denn er war klug, aber man konnte nicht mit ihm lachen und …«

»Er war zu klug. Zu geschäftstüchtig und zu stark auf Materielles ausgerichtet. Darunter habe ich gelitten. Er hat mich nur geheiratet, weil er mit meiner Mitgift das heruntergekommene Gut sanieren konnte.«

Erschrocken sah Anette die Mutter an. »Warum hast du Vati dann geheiratet, wenn du das wusstest?«

»Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich hatte ihn lieb. Sehr lieb sogar. Aber diese Liebe starb in mir, als ich immer wieder zurückgestoßen wurde. Die Liebe zu dir und Friedo, eure Liebe, das war mein einziges Glück. Mutterglück. Aber eine Frau braucht mehr, wenn ihr Leben erfüllt sein soll. Jede Frau sehnt sich danach, von einem Mann geliebt zu werden.« Dorothea von Linden stand auf. Langsam ging sie durch das Zimmer. An einem der Fenster blieb sie stehen und starrte in den Abend hinaus. »Es fällt mir schwer, dir das alles zu sagen, aber ich muss ehrlich sein. Nur dann kannst du mich verstehen. Alt genug bist du dazu bereits. Ich muss nicht mehr fürchten, mich vor dir lächerlich zu machen, wenn ich gestehe: Ich sehne mich nach Liebe. Ich möchte das nachholen, was ich versäumt habe.« Dorothea drehte sich um. Langsam kam sie zu ihrer Tochter zurück und blieb hinter ihr stehen. »Anette, Simon Bartholdy liebt mich. Ich bin erst zweiundvierzig Jahre alt. Wir hätten noch eine gute Zeit vor uns. Aber Friedo und du, ihr sollt in mein Glück eingeschlossen sein. Simon ist ein reifer Mann von achtundvierzig Jahren. Er hat eine gescheiterte Ehe hinter sich. Auch er musste Liebe entbehren. Wir werden uns das neue Leben sehr behutsam aufbauen. Bitte, hilf mir dabei. Sei zugänglich zu Simon.« Sie neigte sich zu ihrer Tochter hinab und legte die Arme um sie.

»Ich bin nicht so vermessen, meiner Mutter Vorschriften machen zu wollen. Ich frage mich nur, ob dein Entschluss richtig ist, Mutti. Nach allem, was du eben gesagt hast, erst recht. Was willst du tun, wenn auch diese Ehe wieder eine Enttäuschung für dich wird, Mutti?«

Dorothea lächelte zuversichtlich und überzeugt. »Es wird eine gute Ehe sein, Anette. Auch zu deinem Glück, und besonders zu dem von Friedo. Er braucht mit seinen sechs Jahren ein festes Zuhause, die Geborgenheit in einer Familie und einen Vater. Simon und ich werden in zwei Wochen in aller Stille heiraten, Anette.«

Das junge Mädchen zuckte zusammen. Aber es schwieg.

*

Vierzehn Tage später fand die Trauung Dorothea von Lindens und Simon Bartholdys statt. Das Paar war dazu in einen kleinen, von Dreilinden weit entfernten Ort gefahren.

Friedo und Anette blieben zu Hause.

Anette hatte es verstanden, den kleinen Bruder zu beruhigen. Das hatte sie gegen besseres Wissen getan und gegen ihr Gefühl. Sie wusste, dass sie mit Simon Bartholdy niemals vertraut werden würde. Er war ein gut aussehender, sehr gepflegt wirkender Mann, aber sie konnte in seinen dunklen Augen nicht jene Güte entdecken, von der die Mutter immer wieder sprach. Also musste er zu der Mutter anders sein als zu ihr selbst.

Das stimmte. Simon Bartholdy verstand es, Dorothea von Linden Liebe vorzuheucheln. Sie, die nach der Geborgenheit bei einem Mann hungerte, hörte nur die Liebesschwüre und träumte von dem großen Glück.

Doch in den Wochen nach der Hochzeit sah es zunächst tatsächlich so aus, als könnte Dorothea nun doch noch ein erfülltes Leben führen.

Simon Bartholdy blieb sofort auf Dreilinden. Er hatte seine Zelte in Mannheim abgebrochen. Dorothea hatte er gesagt, er habe seine Stelle als kaufmännischer Leiter in einer größeren Firma gekündigt. Aber dort hatte es in Wirklichkeit nichts mehr zu kündigen gegeben. Simon war schon vor drei Monaten entlassen worden. Er hatte vor Schulden nicht mehr ein und aus gewusst. Nur der Hinweis auf seine baldige Heirat hatte ihm den Gerichtsvollzieher erspart.

Um seine Gläubiger nicht länger warten lassen zu müssen, arbeitete Simon fleißig auf Gut Dreilinden. Vor allem in der Gutskanzlei. Denn ihn interessierten die Abrechnungen. Dorothea überließ ihm diese Arbeit gern. Sie war noch immer mehr als ausgelastet, denn von dem übrigen Gutsbetrieb verstand ihr Mann nichts.

Friedo hatte sich nach langem Zögern und Auflehnen nun doch dazu entschlossen, »Vati« zu Simon Bartholdy zu sagen. Anette nannte ihn Simon. Es wäre ihr lächerlich vorgekommen, in ihrem Alter noch einen anderen Mann Vater nennen zu müssen.

Simon Bartholdy gab sich Mühe, das Vertrauen von Friedo und Anette zu gewinnen. Er wollte Frieden auf Dreilinden, um seine Pläne in aller Ruhe verwirklichen zu können. Diese Pläne waren von ihm längst genau ausgetüftelt worden. Schon lange vor der Heirat.

Simon Bartholdy wollte reich und unabhängig sein. Bei diesem Wunsch war ihm Dorothea nur das Mittel zum Zweck. Er liebte sie nicht, freute sich aber, ein so leichtes Spiel mit der bisher enttäuschten Frau zu haben. Er unterstützte ihre Gutgläubigkeit mit jedem Wort, mit jeder Geste. Das geschah so geschickt, dass nicht nur Dorothea glaubte, nun das wahre Glück gefunden zu haben. Auch ihre Kinder verloren etwas von ihrer Skepsis gegenüber Simon Bartholdy. Und die alten Angestellten auf dem Gut gönnten ihrer Herrin dieses neue Leben.

*

Ein halbes Jahr nach der Trauung hatte es Simon Bartholdy geschafft, dass Dorothea ein Testament zu seinen Gunsten aufsetzte. Sie war nach dem Tod ihres ersten Mannes Erbin des Gutes geworden. Mit der Verpflichtung, es eines Tages an den kleinen Friedo weiterzugeben. Zu diesem Zeitpunkt sollte auch Anette ausbezahlt werden, deren Vater zusätzlich bestimmt hatte, dass ihr auf Lebenszeit ein Wohnrecht auf Dreilinden bleiben sollte.

Diese, die Kinder betreffenden Bestimmungen, legte auch Dorothea in ihrem Testament nieder. Sosehr sie auch unter dem Einfluss ihres Mannes stand, ihre Kinder wollte sie gesichert wissen. Aber bis zu Friedos Volljährigkeit würde Simon Bartholdy das Gut verwalten und seinen Nutzen daraus ziehen können, falls Dorothea vor ihm sterben sollte.

*

Nun sprach niemand mehr davon, dass Anette ihren Beruf aufgeben und ihrer Mutter zur Seite stehen sollte. Anette arbeitete weiter als chemisch-pharmazeutische Assistentin bei der Firma Wagner. Jeden Morgen fuhr sie mit ihrem kleinen Wagen zu dem Werk, nach fünf Uhr kam sie zurück. Bei schönem Wetter ritt sie dann oft noch aus. Meistens begleitete Friedo sie auf seinem Pony. Nur selten verbrachte Anette die Abende mit der Mutter und deren Mann. Das junge Mädchen verhielt sich so, als wolle es kein störendes Element sein. Dieses Verhalten bedrückte Dorothea oft. Immer von Neuem bemühte sie sich, das gute Verhältnis zu ihren Kindern nicht zu verlieren.

Aber erst nach Weihnachten gelang es ihr, Anette am Abend in das Wohnzimmer zu locken. Dass Anette kam, hatte jedoch einen besonderen Grund. Denn es kam jetzt öfter Besuch ins Haus. Simon Bartholdy hatte sich mit Albert Schlüter, einem Angestellten des Werkes Wagner, angefreundet.

Albert Schlüter war vierzig Jahre alt, mittelgroß, untersetzt und ein etwas strenger Typ. Aber Anette verstand sich gut mit ihm. Er war erst vor zwei Monaten in das Werk gekommen, doch seit dieser Zeit arbeitete sie viel mit ihm zusammen, obwohl sie im Labor schaffte und Albert Schlüter als Werbefachmann angestellt war. Ihm war es gelungen, Anettes Vertrauen zu gewinnen. Dass er sich mit ihrem Stiefvater angefreundet hatte, war ihr zunächst unangenehm gewesen. Aber nun sah sie diese Freundschaft als Plus für Simon Bartholdy an. Allmählich glaubte sie, zu voreingenommen gegen diesen gewesen zu sein. Immerhin war die Mutter glücklich – und Albert Schlüter schätzte Simon Bartholdy. Anette konnte nicht wissen, dass die beiden Männer schon seit Jahren eng befreundet waren und dass Simon Bartholdy Albert Schlüter nur nachgezogen hatte. Er brauchte diesen Mann in seiner Nähe. Mit ihm hatte er schon mehrere krumme Dinge ausgeheckt. Warum sollte Albert Schlüter ihm nun nicht behilflich sein, den größten Plan seines Lebens zu verwirklichen? Dieser Mann war ein Typ, der kein Misstrauen erregte, und er war hellwach, wenn es darum ging, eine Chance zu nutzen.

Anette, vertrauensselig und noch ohne Erfahrung mit niederen Charakteren, schätzte Albert Schlüter. Sehr zur Freude ihres Stiefvaters.

*

Mitte Mai entschlossen sich Dorothea und Simon Bartholdy, für zwei Wochen in den Süden zu reisen. Dorothea hatte in der letzten Zeit nur mehr von dieser verspäteten Hochzeitsreise geschwärmt. Sie freute sich darauf, mit dem geliebten Mann einmal ohne die vielen Pflichten auf dem Gut leben zu können. Anette gönnte ihrer Mutter diese Abwechslung und nahm sich für deren Abwesenheit Urlaub. Friedo sollte nicht so viel allein sein, und so manche Arbeit der Mutter konnten die Angestellten auch nicht übernehmen.

Am Tor drückte Dorothea Friedo noch einmal an sich. Dann küsste sie Anette. »Bleibt mir gesund, ich werde viel an euch denken. Ihr wisst nicht, wie sehr ich mich darauf freue, einmal ein Stückchen dieser schönen Welt kennenzulernen.«

Erst in diesem Augenblick fiel Anette auf, dass die Mutter früher nie verreist war. Weder allein noch mit dem Vater. Kinder dachten wohl nicht darüber nach, ob die Mutter auch einer Erholung bedurfte. Ihnen war es wichtiger, dass sie in ihrer Nähe sein konnten.

Als Dorothea schon neben Simon Bartholdy im Wagen saß, riss sie den Schlag noch einmal auf und kam wieder an das Tor zurückgelaufen. Noch einmal umarmte sie ihre Kinder und sagte: »Ich habe euch sehr lieb.« Plötzlich standen Tränen in ihren Augen. Verlegen lief sie zum Wagen zurück.

Anette war sehr erschrocken. Warum hatte die Mutter das getan? Warum war sie noch einmal zurückgekommen? Machte sie sich Vorwürfe, ihre Kinder vernachlässigt zu haben? Das tat sie doch nicht. Auch musste eine Frau doch in ihrem Herzen Platz für die Liebe zu ihrem Mann und zu ihren Kindern haben. Sehr nachdenklich ging Anette in das Gutshaus. Auf ihr lag ein Albdruck, eine Vorahnung, die sie bange stimmte. Erst Friedo und Rolli rissen sie wieder aus ihren so plötzlich aufgetauchten trüben Gedanken.

*

Dorothea und Simon Bartholdy waren bis nach La Spezia gefahren. Dort mieteten sie sich in einem sehr feudalen Hotel ein. Dorothea hätte zwar eine kleine Pension bevorzugt, aber damit war Simon nicht einverstanden gewesen.

Vier Tage lang genossen die beiden das Leben im Hotel, fuhren mit dem Motorboot aufs Meer hinaus und machten kleine Ausflüge. Zum Baden war es noch etwas zu kühl.

Am fünften Tag wollten sie ein Stück in die Berge hinauf. Gute Straßen führten von La Spezia in den etruskischen Apennin, in diese verkarstete Landschaft, die dem einen Schaudern und dem anderen Entzücken bescherte.

Dorothea, die den neuen Wagen gern fuhr, saß schon am Steuer und wartete auf ihren Mann. War ihm vielleicht entgangen, dass sie zu ihm ins Bad gerufen hatte, sie wolle schon zum Wagen gehen? Der strahlende Sonnenschein hatte sie aus dem Zimmer getrieben.

Jetzt stieg sie schuldbewusst noch einmal aus. Natürlich konnte Simon sie nicht gehört haben, das Wasser hatte ja im Bad noch gerauscht. Vielleicht wartete er jetzt im Zimmer auf sie und konnte sich nicht erklären, wo sie blieb.