Spiegelglas – Unheimliche Geschichten - Michael Siefener - E-Book

Spiegelglas – Unheimliche Geschichten E-Book

Michael Siefener

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Beschreibung

»Ich … glaube … nicht … du existierst nicht!«
Wie der Wind hatte das Ding ihn nun erreicht. Ein Gestank wie aus Höllenpfühlen drang Georg in die Nase, als es seine Handgelenke packte. Brennender Schmerz durchzuckte ihn. Das Ding verzerrte die Lippen in höhnischem Triumph. »Ich scheine doch zu existieren, oder?« Das Wesen lachte meckernd.
Georg versuchte, sich aus dem schraubstockartigen Griff der ungeheuerlichen Kreatur zu befreien, doch er konnte seine Arme nicht mehr bewegen. »Wir gehen auf eine Reise – du und ich«, hauchte das Ding …

Bereits Michael Siefeners frühes Werk mit unheimlichen Erzählungen gehört zu den Kleinoden der phantastischen Literatur. Das Interesse für das Okkulte und für die angloamerikanische Weird Fiction ist unübersehbar. Daneben ist Siefener als Übersetzer tätig und hat mit dem Roman »Das Haus der Dämonen« auch einen Beitrag zur Horror-Saga »Murphy« beigetragen.

Dieser Band enthält folgende unheimliche Geschichten:
› Die Angst und die Stadt
› Die Rückkehr
› Abendstimmung mit Burgruine
› Die Versuchung
› Im Schatten
› In Stein
› Hinter dem Spiegelglas
› Hotel Kehrwieder

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Michael Siefener

 

 

Spiegelglas

 

 

 

 

Unheimliche Geschichten 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

 

Neuausgabe

Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv 

Cover: © Steve Mayer, 2023 

Korrektorat: Bärenklau Exklusiv

 

Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang

 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt. 

 

Alle Rechte vorbehalten

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Spiegelglas 

Die Angst und die Stadt 

Die Rückkehr 

Abendstimmung mit Burgruine 

Die Versuchung 

Im Schatten 

In Stein 

Hinter dem Spiegelglas 

Hotel Kehrwieder 

 

Das Buch

 

 

 

 

»Ich … glaube … nicht … du existierst nicht!«

Wie der Wind hatte das Ding ihn nun erreicht. Ein Gestank wie aus Höllenpfühlen drang Georg in die Nase, als es seine Handgelenke packte. Brennender Schmerz durchzuckte ihn. Das Ding verzerrte die Lippen in höhnischem Triumph. »Ich scheine doch zu existieren, oder?« Das Wesen lachte meckernd.

Georg versuchte, sich aus dem schraubstockartigen Griff der ungeheuerlichen Kreatur zu befreien, doch er konnte seine Arme nicht mehr bewegen. »Wir gehen auf eine Reise – du und ich«, hauchte das Ding …

Bereits Michael Siefeners frühes Werk mit unheimlichen Erzählungen gehört zu den Kleinoden der phantastischen Literatur. Das Interesse für das Okkulte und für die angloamerikanische Weird Fiction ist unübersehbar. Daneben ist Siefener als Übersetzer tätig und hat mit dem Roman »Das Haus der Dämonen« auch einen Beitrag zur Horror-Saga »Murphy« beigetragen.

 

 

Dieser Band enthält folgende unheimliche Geschichten:

› Die Angst und die Stadt

› Die Rückkehr

› Abendstimmung mit Burgruine

› Die Versuchung

› Im Schatten

› In Stein

› Hinter dem Spiegelglas

› Hotel Kehrwieder

 

 

***

Spiegelglas

 

Unheimliche Geschichten

 

 

Die Angst und die Stadt

 

Es war schon dunkel, als David Thurn auf den Bahnhofsvorplatz trat und die Lichter der nassen Stadt sah. Er spannte seinen Regenschirm auf, ging hinüber zu dem großen, beleuchteten Stadtplan und suchte nach der Straße, in der sein Hotel lag.

Es war ein kurzer Weg, aber er war unangenehm genug für David. Die Dunkelheit erschien ihm wie ein Meer aus schwarzen Wellen, die Passanten waren wie Schwärme missgestalteter Fische, und die Autos mit ihren weißen Augen und den chromblitzenden Mäulern waren Haie auf blinder Suche nach Futter. David mochte keine Städte, er mochte keine Menschen, sie machten ihm Angst. Vorsichtig lugte er unter dem Rand seines grauen Schirms hervor. Er spürte die Blicke der anderen, der Novembermenschen, eingehüllt in ihre dicken Mäntel, über sich die endlosen grauen Baldachine aus Stoff. Zu Hause in seinem kleinen Ort, wo ihn jeder kannte und niemand eine unkalkulierbare Bedrohung für ihn darstellte, konnte er sich freier bewegen, doch in der Fremde und vor allem in fremden Städten war es völlig anders. Er atmete auf, als er die Hotellobby betrat und den Schirm schließen konnte.

Da befiel ihn die Angst, der Portier werde ihm sagen, dass kein Zimmer auf seinen Namen reserviert sei, bedaure, aber man sei ausgebucht, und auch in den anderen Hotels der Stadt sei nichts mehr …

»David Thurn«, sagte er so leise an der Rezeption, dass der Portier, ein älterer Mann mit grauem Haar und einer dezenten Phantasieuniform, noch einmal nach dem Namen fragen musste.

Dann schaute er in seinem Computer nach. Früher, als es noch Gästebücher gegeben hatte, da hatte nicht die Gefahr bestanden, dass eine Maschine den eigenen Namen mutwillig verschlang und die Existenz des Trägers leugnete. »Zimmer 312«, sagte der Portier zu Davids großer Erleichterung und schob ihm einen Schlüssel mit einem großen Metallknochen daran über die Theke. »Einen schönen Aufenthalt wünsche ich.« Das Zimmer war zweidimensional, es hatte keine Tiefe, so wie viele Menschen keine Tiefe haben.

David war froh, dass er höchstens zwei Nächte hierbleiben musste.

Morgen würde er sich die Bibliothek ansehen, und falls sich die Verhandlungen noch ein wenig hinziehen sollten, dann würde er eine zweite Nacht hier verbringen und spätestens übermorgen wieder heimfahren können. Den Abtransport würde er wie immer durch eine Spedition regeln lassen.

Er besaß keinen Führerschein, denn er hatte Angst vor Autos, Angst vor dem Verkehr und vor allem Angst vor den Menschen, die in den Autos saßen und für den Verkehr und die andauernden Unfälle verantwortlich waren. Nachdem David seinen kleinen Koffer ausgepackt hatte – er legte großen Wert auf tadellose Kleidung, damit man ihn nicht bereits wegen seines äußeren Erscheinungsbildes ablehnte –, stellte er fest, dass er seit heute Morgen noch nichts gegessen hatte.

Ihm war der Gedanke zuwider, hinunter in das Restaurant des Hotels zu gehen, denn er liebte es nicht, in Gegenwart fremder Menschen zu speisen. Doch heute Abend blieb ihm wohl nichts anderes übrig. Seufzend stellte er sich vor den hohen Spiegel, der auf die Innenseite der Tür geklebt war, und prüfte sein Äußeres.

Der graue Anzug saß gut, war nicht verknittert, das weiße Hemd war fleckenfrei, soweit er sehen konnte, und das helle, an den Schläfen ausgedünnte Haar hatte er glatt zurückgekämmt. Manchmal war es ihm, als versuchte er durch sein Äußeres mit den Gebäuden, den Straßen, den Plakaten und Bildwänden zu verschmelzen. Zu verschwinden. Nie dagewesen zu sein. Er lächelte traurig über diesen Gedanken, schlüpfte in seinen schützenden Mantel und verließ das Zimmer. An der Rezeption musste er erfahren, dass das Restaurant heute geschlossen war; es sei eine Panne im Betriebsablauf eingetreten, was immer das bedeuten mochte.

Aber es gebe ein gutes Lokal nur einige hundert Meter von hier, sagte der Portier und wies hinaus in die Finsternis. In die Finsternis. Hinaus in die regennass glänzende Fremde. Nein, schrie es in David, aber er traute sich nicht, unter den fragenden Blicken des Portiers wieder nach oben zu gehen.

Also verließ er das Hotel. Es hatte aufgehört zu regnen. Der feuchte Film, der über der Stadt lag, war an vielen Stellen wie ein Spiegel. Auf dem Asphalt. An den Mauern. Den Fenstern. Ein Spiegel der Nacht, der ihre Träume bündelte. Ein Spiegel, aus dem die Alpträume David sprungbereit anglotzten. Kurz schloss er die Augen und blieb stehen. Nun atmete er etwas leichter. »Kommen Sie und staunen Sie. So etwas haben Sie noch nicht gesehen!«

David zuckte unter der schrillen Stimme zusammen und riss die Augen auf. Rechts von ihm befand sich ein erleuchteter Hauseingang, der von zwei großen Spiegeln flankiert wurde. Spiegellust stand über dem Eingang. Und davor hockte wie ein Wächter eine missgestaltete kleine Person, die nur aus Verwachsungen und fließenden Formen zu bestehen schien. Die Stimme war sowohl männlich als auch weiblich. Sie streckte einen Arm hervor – so etwas wie einen Arm. David sprang vor der Gestalt davon, wechselte die Straßenseite unter dem wütenden Gehupe der Autos und lief ein paar Schritte, bis ihn eine Frau mit einer ungeheuer dunklen, rauchigen Stimme ansprach. 

»Du bist genau mein Typ. Kommst du mit? Ich werde dich wahnsinnig machen, das verspreche ich dir.« Aus den Schatten der Häuser löste sich etwas sehr Großes und glitt auf die Frau zu, die ihren breiten, grell geschminkten Mund zur Maske eines Lächelns verzerrt hatte. Davids Herz raste. Er hastete in eine Seitenstraße, die sich gerade in diesem Augenblick geöffnet zu haben schien, und verschwand in der Stille, die aus ihr wie Atemluft entwich. Hier waren die Häuser nicht mehr so hoch; kein Fenster durchdrang die Mauern in dieser Gasse, die einen seltsam fließenden Verlauf hatte. Keinen rechten Winkel schien es in ihr zu geben. Als David am anderen Ende wieder herauskam, war ihm, als hätte die Gasse ihn ausgespuckt.

Er stand nun auf einer größeren, heller beleuchteten Straße und wusste nicht mehr, wo er war, und das Restaurant, das der Portier ihm genannt hatte, würde er wohl nie mehr finden. Doch sicherlich war es gut so. In der Bahnhofsgegend gab es schließlich nur selten gute Lokale. Bestimmt hatte ihn der Portier absichtlich in die Irre geschickt, oder er hatte gewollt, dass David in einer üblen Kaschemme landete.

Sein Hunger war verschwunden, und er wollte nur noch zurück in die relative Sicherheit seines Hotelzimmers. Wenn diese Bibliothek nicht wäre … Er konnte sich nicht erinnern, je in dieser Stadt gewesen zu sein, und doch kam sie ihm auf vage Weise bekannt vor. Beinahe hatte er den Eindruck, als Kind hier gewesen zu sein. Vielleicht hatte er einmal einen Ausflug mit seinen Großeltern hierher gemacht, dachte er, als er die kleinere, stillere Straße entlangging, von der er hoffte, dass sie ihn in die Richtung des Bahnhofs und seines Hotels zurückführte.

Er hatte mit seinen Großeltern viele Ausflüge gemacht, nachdem er bei ihnen eingezogen war, weil seine Eltern verstorben waren. Am schönsten waren die Reisen in Gegenden gewesen, in denen es keine Städte gab, sondern nur Bäume, Berge oder das Meer. Doch so sehr er sich auch von den Menschen fernhielt, so war er als Antiquar immer wieder gezwungen, Ankäufe in größeren Städten zu tätigen, und jedes Mal war es ein Alptraum für ihn. Hier konnte jederzeit das Unheil hereinbrechen.

Dass es nie wirklich über ihn hereingebrochen war, spielte dabei keine Rolle. Die Angst vor dem Unbestimmten ist immer schrecklicher als die Wirklichkeit. David war so in seinen Gedanken versunken gewesen, dass er den Menschenauflauf vor sich nicht bemerkt hatte. Er stieß einer schwarzen Gestalt in einem aufgebauschten Mantel in den Rücken, die sich daraufhin langsam umdrehte.

Durch den breitkrempigen Herrenhut, den die Gestalt trug, konnte David ihr Gesicht nicht sehen. Er murmelte eine Entschuldigung und machte sich so klein und unauffällig, wie er konnte.

Der Mann vor ihm reckte sich, wurde größer und größer und schien über den schlotternden David Thurn herfallen zu wollen. Schon glaubte David den Stoff des schwingenähnlichen Mantels zu spüren, der ihn eine Sekunde lang einhüllte; dann war der Mann plötzlich verschwunden. David atmete auf schritt vorsichtig, wie in einem Traum weiter, aber er sah sich einer Mauer aus Menschen gegenüber, die ihm alle den Rücken zugekehrt hatten.

Schon wandte er sich ab und wollte ein paar Schritte zurückgehen und die Straßenseite wechseln, doch auch hinter ihm stand eine Mauer aus Menschen. Er war umzingelt. Bekam kaum noch Luft. Zog die Schultern ein. Erwartend. Aber niemand tat ihm etwas. Alle schienen langsam nach vorn zu streben, einem Ziel entgegen, das David nicht sehen konnte, denn er war nicht groß genug.

Und David wurde mitgezogen, mitgedrückt, mitgeschoben. Er hätte schreien mögen vor Schrecken über all diese Menschen, aber er brachte keinen Ton heraus. Dann bildete sich eine Gasse vor ihm, und von hinten wurde immer noch geschoben. Die Berührung mit den anderen war widerlich. Schließlich brachte ihn der Druck in seinem Rücken zu einer Fensterfront, die zu einem Geschäft zu gehören schien.

Er sah die Auslage, die nur aus einem einzigen alten, großen, rostigen Schlüssel bestand, wie man sie im Mittelalter benutzt hatte, und schon war er durch die Tür geschoben worden, die sich sofort hinter ihm schloss und nicht das leiseste Geräusch von draußen hereinließ. Einen so seltsamen Laden hatte er noch nie gesehen.

Es gab keine Regale, keine Schränke, keine Vitrinen, nichts außer diesem Schlüssel im Schaufenster und einer breiten Theke, beinahe wie die im Hotel, hinter der jemand saß, der ebenfalls eine Livree trug und David freundlich und geschäftsmäßig zugleich begrüßte. Hinter ihm befand sich die nackte, unverputzte Wand.

Der Mann – denn um einen solchen schien es sich zu handeln, auch wenn sein Gesicht geschminkt war und eindeutig weibliche Züge hatte – brachte mit dunkler Stimme zum Ausdruck, wie sehr er sich freue, nun auch David als Kunden begrüßen zu dürfen, und holte unter der Theke einen kleinen Schlüssel hervor, der in ein modernes Schloss zu passen schien. Es habe ja lange gedauert, sagte der feminine Mann, bis David sich entschieden habe, aber daher sei es umso schöner, dass er nun diesen Schlüssel erhalten könne.

---ENDE DER LESEPROBE---