Spiegelspringer - Liliana Wildling - E-Book
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Spiegelspringer E-Book

Liliana Wildling

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Beschreibung

 Michael ist auf den ersten Blick ein normaler junger Mann, der in Kürze seinen 18. Geburtstag feiern darf, doch der Schein trügt. Der frühe Tod seines Vaters lastet schwer auf seinen Schultern und setzt ihm immer noch zu. Seine Mutter konnte diesen Schicksalsschlag nicht verkraften und spült ihre Sorgen regelmäßig mit Alkohol hinunter.    Seitens seiner Mitmenschen von Kindesbeinen an ausgegrenzt, ist Daniel sein einziger Freund. Als jener von Schlägern angegriffen und verletzt wird, schreitet Michael ein und ahnt nicht, welche Folgen das nach sich zieht. Im Zuge der Auseinandersetzung segelt er Kopf voran in einen Spiegel und findet sich plötzlich in einem steinernen Tunnel wieder.  

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Liliana Wildling

Spiegelspringer

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Informationen

 

© Liliana Wildling 2016

Neuauflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

 

 

1. Lektorat: Manuela Rölke

2. Lektorat & Korrektorat: Laura Stadler

Coverdesign: birdnamedrobyn (Etsy)

 

 

CN

Alkoholsucht, Körperverletzung, versuchter Mord

Vertrauen, Freundschaft, Neubeginn

 

Inhaltsangabe

 

Prolog

Sorgen

Erklärungsnot

Vermisst

Hilfe

Die Spiegelhöhle

Onkel Joseph

Einmal Freak, immer Freak

Pläne

Dejavú

Neustart

Danksagung

Weitere Titel der Autorin

 

 

 

 

 

 

Prolog

Michaels Chancen, aus dieser Situation unbeschadet herauszukommen, standen denkbar schlecht. Er wollte trotzdem nichts unversucht lassen, seinen Freund zu beschützen.

 

Der Anführer der vier Kerle, die Daniel eben zusammengeschlagen hatten, stieß einen schrillen Pfiff aus. Die Typen packten Michael blitzschnell an Handgelenken und Fußknöcheln. Er wehrte sich aus Leibeskräften, doch es gelang ihm nicht, sich aus dem Griff herauszuwinden. Sie zerrten ihn vor die gläserne Front der Bar. Da das untere Glaselement schon mehrmals zertrümmert worden war und der Besitzer sich nicht jedes Mal ein neues leisten konnte, klemmte seit geraumer Zeit ein alter Spiegel im Rahmen, damit das Loch nicht so auffiel.

»3!«

Michaels Körper wurde in Bewegung gesetzt, grob nach hinten geschaukelt, und wieder nach vorn. Sein Kopf kam dem Spiegel nahe genug, um sein vor Schreck verzerrtes Gesicht zu erkennen. Das Wummern seines wild hämmernden Herzens dröhnte in seinem Kopf.

»2!«

»Hört auf!«, schrie sein Freund verzweifelt. Er ahnte wohl, was als Nächstes passieren würde. Auch Michael erkannte den Countdown als solchen, doch anders als Daniel kam ihm vor Angst kein Laut über die Lippen – es ging nach hinten und wieder nach vorn – Adrenalin rauschte einem Gewitter gleich durch seine Adern.

»1!«

Es ging ein letztes Mal nach hinten und wieder nach vorn.

»Los!«

Nach dem Vorwärtsschwung ließen die Schläger zeitgleich los und Michael segelte genau in den Spiegel. Ich werde jetzt sterben, schoss es ihm durch den Kopf. Er kniff im letzten Moment die Augen zu und dachte:

Wäre ich doch bloß ein Spiegelspringer.

Wie alles begann

1 Tag davor

 

Eltern sollten sich um ihre Kinder kümmern, nicht umgekehrt. Diese einfache Tatsache beschäftigte Michael seit geraumer Zeit. Die Gedanken des jungen Mannes, dessen Mom in ihrer Rolle als Vorbild auf ganzer Linie versagte, drehten sich häufig um dieses Thema. Der einzige Ausweg aus seiner verzwickten Lage schien darin zu bestehen, sich endlich auf die Hinterbeine zu stellen und auszuziehen. Aber es gelang ihm nicht, die gravierenden Auswirkungen abzuschätzen, die ein Weggang mit sich brachte. Würde sie ohne ihn zurechtkommen? Oder würde ihre Alkoholsucht sie vollends zerstören?

 

Michaels Wagen rollte langsam die verlassene Straße Richtung Zuhause entlang, während er über seinen Sorgen brütete. Sein Blick glitt über die leuchtenden Lila- und Gelbtöne am Himmel, die den Sonnenaufgang ankündigten. Das prächtige Farbenspiel konnte ihn nicht aufheitern. Gedankenverloren parkte er das Auto in einer selten benutzten Sackgasse unweit seines Elternhauses. Das altersschwache Vehikel mit den vielen Dellen, dessen verblichener brauner Lack an manchen Stellen abplatzte, wurde in der Hauptstraße nicht gerne gesehen. Die anderen Anwohner, deren auf Hochglanz polierte Neuwagen in ihren Einfahrten standen, fühlten sich von dem Anblick seiner alten Schrottkarre gestört.

Er stieg aus und lief den Rest der Strecke zu Fuß. Am Ende der sauberen, aber weniger herausgeputzten Sackgasse gab es einen Kiesweg, der zur blitzblanken Mainstreet führte. Unzählige beige und hellblaue Bungalows und Reihenhäuser säumten die allzeit gepflegte Straße, deren graues Band zu beiden Seiten von feinsäuberlich zurechtgestutztem Grün eingefasst wurde. Die unkrautfreien Vorgärten, deren perfekte Rasen penibel jeden Samstag gemäht wurden, strahlten wenig Leben aus. Es gab weder Löwenzahn in den Ritzen zwischen den Pflastersteinen noch Moos. Kurzum – Greenwood Village war der Inbegriff von Spießertum.

Auf dem Weg zum Haus vernahm Michael das Erwachen des Tages, welches sich durch das quietschende Geräusch der Jalousien bemerkbar machte, die am Nachbarhaus hochgezogen wurden. Unzählige Pfützen zeugten vom nächtlichen Regen und in eine davon trat er unabsichtlich hinein. Das Wasser in seinem rechten Schuh gab bei jedem Schritt schmatzende Geräusche von sich. Vor der Türschwelle verharrte er einen Moment, betrachtete seine löchrigen Treter und überlegte, ob es nicht besser wäre, sie vor der Tür auszuziehen. Er seufzte leise, unschlüssig, was er jetzt tun sollte. Sich langsam nähernde, schlurfende Schritte ließen ihn Unerfreuliches ahnen. Eine Wolke aus Whiskey und billigem Parfüm stieg ihm in die Nase.

»Hast du vor, Wurzeln zu schlagen, oder gehst du rein?«, fragte seine Mom lallend. Ihre grünen Augen schienen trüb, der Blick glasig. Sie schob sich an ihm vorbei und versuchte, die Tür aufzusperren. Das lange, schwarze Haar fiel ihr dabei ins Gesicht und sie warf es ungeduldig zurück.

Die Zeiger seiner Armbanduhr standen auf kurz nach 6 Uhr morgens und er fragte sich, vom wievielten Date sie nach Hause kam. Er hasste diese peinlichen Situationen.

Die Betrunkene fummelte mit zittrigen Fingern an ihrem Schlüsselbund herum und er musterte sie dabei unauffällig. Die verlaufene Wimperntusche in dem viel zu stark geschminkten Gesicht und die verrutschten Träger ihres Kleides erweckten den Eindruck, eine Prostituierte nach getaner Arbeit zu betrachten. Ihre nach Alkohol stinkenden Ausdünstungen unterstrichen diese Empfindung. Seit dem Tod seines Dads ließ sie sich vollkommen gehen und schlief ständig in fremden Betten.

Bis sie endlich den richtigen Schlüssel fand und es schaffte, die Tür aufzumachen, vergingen etliche Minuten. Sie wankte in den schmalen, bis dahin sauberen Flur und hinterließ mit ihren schlammigen High Heels eine beachtliche Dreckspur. Michael behielt seine triefenden Schuhe an und folgte ihr. Er glaubte, die Schimpftiraden der Reinigungskraft angesichts dieser Sauerei bereits hören zu können. Eigentlich konnten sie sich diesen Luxus gar nicht leisten, aber alle Anwohner dieser Straße nahmen Delias Dienste in Anspruch. Wie schnell dieser Vorfall die Runde machen würde, nachdem sie erst gestern hier gewischt hatte, wollte er sich nicht ausmalen. Die ewig nörgelnde Frau Gust, welche gegenüber wohnte, würde es Delia wie immer brühwarm erzählen.

Die Ausschweifungen seiner Mom hatten im Laufe der letzten Jahre dazu geführt, dass sämtliche Nachbarn die beiden mieden. Anfangs hatte man sie noch hin und wieder zu Grillfesten und Geburtstagsfeiern eingeladen, da jeder mit der verzweifelten Witwe Mitleid empfand, aber deren schändliches Benehmen zu fortgeschrittener Stunde sorgte ständig für Streitereien.

 

Michael überholte seine Mom hastig, um eine weitere Verzögerung an der Wohnungstür des Doppelhauses zu vermeiden, und verschwand umgehend in seinem spärlich eingerichteten Zimmer. Der große Spiegel, welcher innen am Türblatt hing, klirrte leise in seiner Halterung, als Michael die Tür schnell zuzog. Die goldgelben Wände strahlten im ersten Morgenlicht förmlich. Das große Bett mit der orange und rot gemusterten Bettwäsche nahm fast den gesamten Raum ein. Der fröhliche Farbreigen in seinen vier Wänden stand in krassem Gegensatz zu seinen düsteren Gefühlen.

Unter dem Fenster stand ein kleiner Schreibtisch. Dort setzte er sich auf den Stuhl aus altersdunklem Holz und dachte zerknirscht darüber nach, wie und wann der Abstieg seiner Mom begonnen hatte. Er erinnerte sich an die gepflegte Frau von früher. Sie hatte sich um die Familie gekümmert und er hatte sie aus tiefstem Herzen geliebt. Die kleine Familie lebte zufrieden ihr Leben. Eines Tages ging sein Dad bei einer Kneipenschlägerei dazwischen, um die Streithähne zu trennen. Dabei wurde er tödlich verwundet. Zwei Tage lang wachte seine Frau im Krankenhaus über ihn, dann erlag er seinen schweren Verletzungen. Michael wohnte vorübergehend bei einer Freundin seiner Eltern und dachte, sein Dad wäre krank. Als er kurz vor der Beerdigung die Wahrheit erfuhr, erlitt er einen heftigen Schock. Dieses traumatische Ereignis lag nun fast zwölf Jahre zurück, belastete ihn jedoch unvermindert.

Sein Dad hatte zu Lebzeiten ein beliebtes Wein- und Antiquitätengeschäft geführt und besaß die nötigen Kontakte, um es am Laufen zu halten. Seine Mom hatte sich leider nie für kaufmännische Belange interessiert und wollte auch jetzt nichts davon wissen. Sie verscherbelte ein Stück nach dem anderen und investierte die Einnahmen in Alkohol. Das Erbe schrumpfte mit beängstigender Geschwindigkeit. Michael wollte nicht über das böse Erwachen seitens seiner Mom nachdenken, wenn sich diese Geldquelle dem Ende zuneigte. Stattdessen stand er auf und ging zum Fenster. Dabei fiel sein Blick auf sein Spiegelbild in der Fensterscheibe. Den Kopf voller Fragen betrachtete er es eingehend. Er war fast erwachsen und die harte Arbeit in der Papierfabrik hatte aus dem schlaksigen Teenager einen gut gebauten Mann werden lassen. Die Mädchen blickten ihm gerne nach. Einzig seine jadegrünen Augen in dem von schwarzem Haar umrahmten Gesicht wirkten sehr traurig und mutlos.

Ich wünschte, mein Dad wäre hier, dachte er zum tausendsten Mal. Ein Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenzucken.

»Hast du mal eine Minute für mich?«, ertönte die zittrige Stimme seiner Mom.

»Ich bin müde, die Schicht war lang und ich will jetzt schlafen. Komm später wieder!«

Später. Da zog sie längst wieder um die Häuser, das wusste er mit Sicherheit. Sie war nie nüchtern genug, um ein vernünftiges Gespräch zu führen. Also hatte er dieses Unterfangen aufgegeben und beschloss, diese beknackte Situation auszusitzen. Mit einem stärkeren Durchsetzungsvermögen gesegnet hätte er seinen Kram schon vor Jahren gepackt, aber noch benötigte er dazu ihre Erlaubnis. In einem Monat vollendete er sein achtzehntes Lebensjahr und konnte tun und lassen, was er wollte. Ein Lächeln zuckte um seine herabhängenden Mundwinkel.

Die beiden würden sich jeweils eine kleine Wohnung suchen müssen. Für ihn würde sich nicht viel ändern. Er wusch seine Wäsche selbst und konnte ganz passabel kochen.

Es klopfte erneut an der Tür. Ganz leise diesmal, vorsichtig. Mit einem resignierten Grummeln öffnete er widerwillig die Tür und betrachtete sorgenvoll die heruntergekommene Gestalt davor. Der beißende Geruch nach Whiskey und diverser anderer harter Getränke erfüllte den Flur.

»Was willst du?«, fragte er in einem möglichst neutralen Ton, um seine Wut zu verbergen.

»Kannst du mir ein bisschen Geld leihen, nur bis nächste Woche. Ich hab den Flügel noch nicht an den Mann gebracht.«

Aber deinen Körper bringst du jede Nacht an den Mann, dachte er und bemühte sich, seinem Gesichtsausdruck diesen hässlichen Gedanken nicht anmerken zu lassen.

»Ja, der Flügel. Ich weiß, der ist schwierig«, sagte er stattdessen, kramte in seiner Geldbörse herum und hielt seiner Mom ein paar Scheine hin. Sie nahm das Geld, drückte ihm einen Kuss auf die Wange, drehte sich um und wankte davon. Am liebsten hätte er sie in höchster Lautstärke angebrüllt, doch er konnte nicht. Schließlich war sie immer noch seine Mom.

Er versuchte vergeblich, einzuschlafen; die Wut brodelte zu stark in ihm. All die unausgesprochenen Worte und die Hilflosigkeit, mit der er ihren Verfall mitansehen musste, nagten an ihm und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen.