Spirit Animals, Band 8: Das Dunkle kehrt zurück - Scholastic Inc. - E-Book

Spirit Animals, Band 8: Das Dunkle kehrt zurück E-Book

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Beschreibung

Band 8 des spannenden Tierfantasy-Abenteuers! Eine schreckliche Nachricht verbreitet sich in Erdas wie ein Lauffeuer: Der Immerbaum stirbt! Doch wenn der Baum stirbt, ist Erdas verloren! Meilin, Conor, Rollan und Abeke machen sich mit ihren Seelentieren auf die Suche nach der Ursache und stoßen auf eine alte Legende. Sie besagt, dass ein böser Wurm den Baum zerstören wird. Die vier müssen schnellstens einen Weg finden, den Wurm aufzuhalten - und Erdas zu retten. Entdecke die Welt der "Spirit Animals": Band 1: Der Feind erwacht Band 2: Die Jagd beginnt Band 3: Das Böse erhebt sich Band 4: Das Eis bricht Band 5: Die Maske fällt Band 6: Die Stunde schlägt Band 7: Der Zauber befreit Band 8: Das Dunkle kehrt zurück Band 9: Die Erde bebt Band 10: Der Sturm naht

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Als Ravensburger E-Book erschienen 2017Die Print-Ausgabe erscheint in der Ravensburger Verlag GmbH© 2018 Ravensburger Verlag GmbHOriginaltitel: Spirit Animals. Fall of the Beasts. Immortal GuardiansCopyright © 2015 Scholastic Inc. All rights reserved.Published by arrangement with Scholastic Inc., 557 Broadway, New York, NY 10012, USA.SCHOLASTIC, SPIRIT ANIMALS and associated logos are trademarks and/or registered trademarks of Scholastic Inc.Übersetzung: Friedrich PflügerUmschlag: Keirsten Geise unter Verwendung einer Illustration von Angelo RinaldiVorsatzkarte und Vignetten: Wahed KhakdanAlle Rechte dieses E-Books vorbehalten durch Ravensburger Verlag GmbH, Postfach 2460, D-88194 Ravensburg.ISBN 978-3-473-47863-7www.ravensburger.de

MARKTTAG

Könnte sie doch einfach nur kehrtmachen und heimgehen.

Normalerweise lebte Kaiina tagein, tagaus bei ihrem Stamm. Seit Jahren war sie nicht mehr unter so vielen fremden Menschen gewesen – das letzte Mal als kleines Mädchen mit ihrer Mutter, genau auf diesem Marktplatz. Aber jetzt war sie zwölf, und das hieß, dass auch sie zum Dschungelmarkt marschieren und Vorräte für ihren Stamm einkaufen musste.

Alle hatten sie Wünsche gehabt. Orangen für ihren Vater. Eine neue Jagdklinge für ihre Mutter. Zuckerfrucht für ihren Bruder.

Beim Gedanken an die Freude, die sie ihrer Familie mit den Mitbringseln machen würde, schöpfte Kaiina den Mut, den sie brauchte. Mit hoch erhobenem Kopf trat sie auf die Lichtung.

Achtsam ging sie zwischen den ausgelegten Matten hindurch und musterte die Waren, die dort angeboten wurden: duftende Kräuter, wilde Ananas und Sellerie, Eier vom Raufußhuhn – ihr knurrte der Magen, während sie an den Verkäufern vorbeiging. Um nicht das Geld ihres Stammes zu vergeuden, betete sie wie ein Mantra ihre Einkaufsliste herunter. Orangen. Eine Jagdklinge. Zuckerfrucht.

Immer wieder winkten sie die Händler, an denen sie vorbeikam, heran, aber sie wich schüchtern ihren Blicken aus. Sie hatte noch nie um etwas gefeilscht und fürchtete betrogen zu werden, kaum dass sie Interesse an der Ware zeigte.

»Kaiina!«

Überrascht blickte sie auf. Eine alte Frau drängte sich zwischen den Matten zu ihr durch und fasste sie an den Händen. Kaiina war erleichtert: Die Frau hieß Prana und wanderte von einem Stamm zum andern, um ihre Töpferwaren zu verkaufen. Kaiina kannte sie seit Jahren, und auf ihrem alten, faltigen Gesicht lag stets ein freundliches Lächeln.

In Pranas langem, grauem Zopf saß ihr Seelentier, ein schimmernder, messingfarbener Eisvogel, der sich mit den feinen Krallen in den silbernen Haarsträhnen der Frau festhielt. Der Vogel hüpfte auf Kaiinas Schulter hinüber und trällerte ein fröhliches Lied ohne Melodie.

Hätte ich doch nur auch ein Seelentier, dachte Kaiina. Dann hätte ich immer Gesellschaft und müsste nicht alleine zum Markt kommen. Manche Menschen verbanden sich mit Seelentieren, andere nicht – es ließ sich nicht vorhersagen. Und Kaiina hatte keines gerufen.

»Sonst ist er nicht so aufgeregt, wenn er jemandem begegnet – er mag dich wirklich gern!«, sagte Prana.

Kaiina strich dem Vogel mit der Hand über das glatte, glänzende Gefieder. Er hob den Kopf an, damit sie ihm auch das weiche Untergefieder kraulen konnte. Lächelnd ließ sich Kaiina darauf ein.

In diesem Augenblick schoss Pranas Eisvogel laut kreischend in die Höhe. Rings umher erwachten die Bäume zum Leben. Affen schrien. Zikaden zirpten. Singvögel schimpften.

Kaiina fühlte sich mit einem Mal seltsam beklommen und der ganze Markt schien zu verstummen.

Dann war es, als würde sich der Boden unter ihren nackten Füßen aufwölben. »Was ist bloß los?«, schrie sie.

Nur Augenblicke zuvor war ihr vor Hitze der Schweiß heruntergelaufen, doch nun zitterte sie plötzlich vor Kälte. Der Himmel verdunkelte sich und die Wolken ballten sich bedrohlich zusammen. Ein Blitz blendete sie, gefolgt von lautem Krachen und Donnern.

Die Explosion schleuderte Kaiina und Prana zu Boden. Kaiina klingelten die Ohren und ihr erster Gedanke war, der alten Frau aufzuhelfen. Prana war aber bereits wieder auf den Beinen und hatte Tränen in den Augen. Kaiina blinzelte heftig, um das purpurrote Blitzen aus den Augen zu bekommen, und stützte sich auf die Ellbogen.

So rasch, wie sich die Wolken gebildet hatten, lösten sie sich wieder auf. Pralles Sonnenlicht flutete auf die Lichtung und umspielte den Umriss einer riesigen Gestalt, die wenige Augenblicke zuvor nicht da gewesen war.

»Das ist nicht möglich!«, flüsterte Prana. Und doch war es so. Ein Elefant war erschienen.

Das gewaltige Tier neigte den Kopf, ließ den Rüssel herabhängen und schnüffelte am Boden. Kaiina hatte schon viele Waldelefanten im Dschungel gesehen, aber niemals einen so großen wie diesen. Mit wedelnden Ohren kam er auf Kaiina und Prana zu. Händler wie Stammesleute stoben nach allen Richtungen auseinander und äugten vom Rand des Marktes ängstlich zurück.

Kaiina blieb wie angewurzelt stehen. »K-kennst du diesen Elefanten?«, fragte sie Prana stockend. »Woher ist er gekommen? Und warum kommt er auf dich zu?«

»Nicht auf mich, Kind«, erwiderte Prana verwundert. »Er will zu dir.«

»Das verstehe ich nicht!«, schrie Kaiina und ihr traten Tränen in die Augen.

»Du hast ein Seelentier gerufen!«, sagte Prana. Sie hatte die runzlige Hand über den Mund gelegt, sodass ihre Worte kaum zu hören waren. »Aber ein Elefant, diese Augen … das ist unmöglich! Kaiina, du hast Dinesh gerufen.«

Dinesh? Ein Sagentier, eines der Großen Tiere von Erdas? Kaiina war, als würde der Boden unter ihr nachgeben – als wäre sie in Treibsand geraten.

Der Elefant näherte sich nun langsam und senkte zu Kaiinas Erstaunen seinen gewaltigen Kopf. Leuchtend türkisblaue Augen blickten sie an, funkelten verständig und fast ein bisschen belustigt angesichts der verschreckten Marktbesucher. Konnte dies tatsächlich der große Dinesh sein?

»Sag Hallo«, rief Prana ermunternd. »Er möchte deine Bekanntschaft machen.«

Der Gesichtsausdruck des Tieres wurde milde, und Kaiinas Beine schienen ihr nun auch wieder zu gehorchen. Trotz der vielen Augenpaare, die auf sie gerichtet waren, trotz der Wellen, die der Boden geschlagen hatte und trotz des unglaublichen Anblicks, den der mitten zwischen den Matten stehende gewaltige Elefant bot, wich Kaiina nicht zurück. Sie wollte ihn berühren. In ihr baute sich eine Spannung auf, die ihre Haut kribbeln ließ, und sie wusste instinktiv, dass es nur eine Möglichkeit gab, diese Spannung zu lösen.

Mit zitternden Händen ging sie auf den Elefanten zu – so dicht, dass ihre Gesichter nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren. Als sie mit dem Handrücken über das ledrige Ohr des Tieres strich und die Augen schloss, wurde sie von einer feierlichen Wärme erfüllt.

Kaiina spürte etwas Feuchtes an ihrem Hals. Sie öffnete die Augen und musste lächeln, denn Dinesh koste sie mit seinem langen Rüssel. Streichelte sie. Mit einem Mal kam sie sich irgendwie groß wie ein Elefant vor – zu groß, um sich von einem überfüllten Markt beeindrucken zu lassen. Ihre vorige Furcht kam ihr nun geradezu lächerlich vor.

Zögernd legte sie die Hand an die Flanke des Elefanten. Sie fühlte sich rau und fest an und der gewaltige Leib hob und senkte sich unter ihren Fingern. Sie sah dem Elefanten in die Augen und erkannte eine ungeheure Klugheit in seinem Blick.

»Wie konnte ich nur Dinesh rufen?«, fragte Kaiina verwundert. »Und warum ist er ausgerechnet zu mir gekommen?«

Bevor Prana antworten konnte, kam ein Mann in einem schwarzen Kittel heran: »Wahrlich ein vielversprechender Morgen!«, rief er. »Die Großen Tiere kehren zurück und ich bin ausgesandt, um sie in Sicherheit zu führen.«

Pranas goldener Eisvogel richtete keck den scharfen Schnabel in Richtung des Mannes. Kaiinas Blick wurde von der holzkohlefarbenen Spirale auf der Stirn des Mannes angezogen. Diese war erhaben und sah geschwollen aus – eher ein Brandmal als eine Tätowierung. In der brodelnden Hitze schien das Symbol Wellen zu schlagen, aber nach den aufregenden Vorfällen gerade eben war sich Kaiina nicht sicher, ob sie ihren Sinnen trauen durfte. Sie lehnte sich Schutz suchend an Dinesh und ließ sich vom langsamen Heben und Senken seiner Rippen beruhigen.

»Du kannst das Mädchen und seinen Elefanten nun in meine Obhut geben, Alte. Ich werde für alles Weitere sorgen.«

Der Elefant reckte den Rüssel in die Höhe und stieß einen tiefen Trompetenton aus, der so kräftig war, dass ihn Kaiina in ihrer Brust spüren konnte. Aus dem Dschungel antworteten andere Elefanten. Fernes Getöse verriet Kaiina, dass die anderen Elefanten herbeieilten.

Dinesh warf den Kopf in Richtung des Fremden im schwarzen Kittel und senkte die Stoßzähne. Kaiina strich Dinesh übers Ohr. Die Augen des Elefanten waren voller Misstrauen.

»Kalistan-ah«, flüsterte Kaiina ihrer alten Bekannten Prana in der örtlichen Sprache ins Ohr. Vorsicht.

Bevor Prana antworten konnte, trat der Fremde vor sie. Er trug einen gestutzten Kinnbart, war gut aussehend und braun gebrannt. »Sia-ga«, sagte er mit einem boshaften Grinsen. »Ich spreche eure Sprache, und es stimmt: Ihr solltet euch fürchten.«

Wieder zitterten die Baumwipfel und die Affen und Vögel begannen zu kreischen. Das Zirpen der Zikaden schwoll zu einem mächtigen Dröhnen an. Kaiina blickte Dinesh an in der Hoffnung, in seinen Augen Zuversicht zu finden, und dass sie nichts zu befürchten hatte. Aber Furcht war genau das, was Kaiina dort erblickte.

Dinesh machte einen Schritt nach vorn, trat dann aber wieder zurück und senkte nervös den Kopf. Kaiina folgte seinem Blick und sah, wie das grüne Dickicht vor ihnen heftig hin- und hergeschüttelt wurde. Als sich die Ranken immer weiter auseinanderbogen und die Kreatur gleich aus dem Urwald hervorbrechen musste, trompetete Dinesh noch einmal.

»Was ist los?«, rief Kaiina. Der schrille Ruf des Elefanten dröhnte ihr durch den Kopf.

Die Marktbesucher waren von ihren sicheren Beobachtungsposten wieder näher herangerückt, blieben beim Ruf des Elefanten aber erneut stehen. Das war auch gut so, denn mit einem Mal stürmte Dinesh los. Alles stob auseinander, aber auf halbem Weg über die Lichtung blieb der Elefant so plötzlich stehen, dass Erde vom Boden aufspritzte und das Tier beinahe vornüberstürzte.

Nun löste sich ein anderes gewaltiges Tier aus dem Dickicht. Es war ein Bär, wie Kaiina noch keinen gesehen hatte. Man hatte ihr beigebracht, Bären wären immer braun oder schwarz, aber dieser war weiß; vor dem kräftigen Schwarz und Grün des Dschungels zeichnete sich sein Pelz hell wie Morgenwolken ab. Verblüfft drehte sich Kaiina herum. Prana blickte sie bestürzt an.

»Was kommt da nur Falsches in unsere Welt?«, rief Prana und presste die Hand auf die Brust.

Vom Himmel ertönte ein Schrei und ein großer Adler sank herab, bis er über dem Eisbären seine Kreise zog. Dann erscholl von der anderen Seite der Lichtung Gebrüll. Als Kaiina sich umwandte, sah sie dort ein riesiges, borstiges Wildschwein mit mächtigen Hauern.

Blind vor Angst wollte Kaiina zu Prana rennen, aber schon versperrte ihr ein anderes Tier den Weg – ein muskulöses Wesen auf allen vieren, eine Art gedrungene Antilope mit gedrehten Hörnern. Mit diesen stieß es Prana an, die strauchelte und vor Kaiinas Augen zu Boden stürzte. Ihr Eisvogel flatterte über ihr und versuchte vergeblich, das Untier zu vertreiben.

Kaiina wich mit ausgestreckten Händen zurück und suchte die Nähe ihres neuen Seelentieres. Dinesh war nicht schwer zu finden – laut trompetend wirbelte er in der Mitte der Lichtung herum und versuchte, sich des Eisbären und des Wildschweins zu erwehren. Zwischen beiden Tieren, die auf ihn eindrangen, stand ganz ruhig der Fremde im schwarzen Kittel.

»Warum tust du das?«, schrie Kaiina.

Der Mann gab keine Antwort. Als Dinesh Kaiinas Angst bemerkte, drehte er sich zu ihr um. In einer einzigen flüssigen Bewegung schwang er den Rüssel, fasste das Mädchen um die Hüfte und platzierte es sicher auf seinem breiten Rücken. Sofort ging er wieder gegen den Bären und das Wildschwein in Stellung und ließ seine gewaltigen Stoßzähne durch die Luft pfeifen, um sie auf Abstand zu halten.

Der Fremde grinste Kaiina an. Die Spirale auf seiner Stirn bewegte sich jetzt ohne jeden Zweifel; sie wand sich unter seiner Haut. »Hast du es immer noch nicht begriffen? Ich sammle die Großen Tiere. Und Dinesh wird meine nächste Trophäe sein.«

Er zog ein Obsidianfläschchen aus seiner Hüfttasche und entkorkte es. Sofort wurde Kaiina von kalter Furcht erfüllt.

Der Eisbär und das Wildschwein hielten jetzt größeren Abstand voneinander. Der Elefant drehte sich nervös im Kreis. Da ihn die anderen Großen Tiere von der Seite bedrohten, konnte er nicht mehr beide Angreifer gleichzeitig in Schach halten. Kaiina fragte sich, wie lange er sie noch mit seinen Stoßzähnen beschützen konnte.

Mit einem Windstoß schwang sich der Adler herab. Er blieb in der Luft stehen und der Bärtige steckte ihm das rätselhafte schwarze Fläschchen zwischen die Klauen. Mit wenigen Flügelschlägen erreichte er Kaiina. Sie zuckte zusammen, presste die Beine fest gegen Dinesh und riss instinktiv die Arme vors Gesicht.

Aber der Adler hatte es nicht auf sie abgesehen.

Voller Schrecken musste sie mit ansehen, wie er das Fläschchen geschickt in den Klauen drehte und den Inhalt auf Dineshs breite Stirn herabtropfen ließ. Zuerst dachte Kaiina, es wäre grauer Schlamm, aber dann fing der Batzen an, sich zu bewegen wie ein Wurm oder ein Blutegel – er hatte die gleiche Form und Größe wie die pulsierende Spirale auf der Stirn des Fremden. Hastig beugte sich Kaiina nach vorn, um Dinesh das kleine Ungeheuer von der Stirn zu wischen.

Aber der Wurm bewegte sich verblüffend schnell. Er schlängelte sich über Dineshs Stirn und heftete sich so fest an die Haut des Elefanten, dass dieser ihn trotz seiner verzweifelten Bemühungen nicht abschütteln konnte. Immer wieder stach er mit seinem gezähnten Saugrüssel zu, hatte aber offenbar Mühe, die zähe Haut des Elefanten zu durchdringen. Kaiina schlug unablässig nach dem Untier, aber es wich gewandt aus. Dann schoss es zu Dineshs Ohr und verschwand zwischen den Hautfalten. Dort kam es offenbar rasch voran, denn Kaiina hörte den Elefanten laut aufschreien und er schüttelte heftig den Kopf.

Dinesh fing an zu zittern und zu beben. Er reckte den Kopf in die Höhe und ließ einen letzten schrecklichen und gequälten Trompetenstoß vernehmen. Dann verstummte er und hielt sich völlig reglos.

Der Bär und das Wildschwein ließen von ihm ab und traten zurück.

»Dinesh!«, schrie Kaiina. Sie hielt den Kopf des Elefanten mit beiden Händen gepackt. »Ist alles in Ordnung? Dinesh!«

Er rührte sich nicht.

»Immerhin konntest du ein paar Augenblicke mit deinem Seelentier genießen«, sagte der Mann. »Manchen gewähre ich nicht einmal das.«

Kaiina rieb die Haut des Elefanten und hoffte, Dinesh würde dadurch wieder aufwachen. Aber die Verbindung war fort und der Elefant blieb wie versteinert.

Das Wildschwein ließ sich gelassen im Schlamm nieder, während der Eisbär in der Dschungelhitze heftig keuchte und die Zunge aus dem Maul hängen ließ. Kaiina war mit einem Mal wie benommen und fürchtete, vor Schreck in Ohnmacht zu fallen.

Der Fremde zupfte an dem Lederband, das den Kragen seines Hemdes schloss, und entblößte seine breite Brust. Mitten darauf prangte eine Tätowierung, die wie eine Kobra aussah. Der Fremde schloss die Augen und zog dabei die Augenbrauen zusammen. Mit einem Blitz verschwanden der Bär und das Wildschwein und erschienen auf seiner Brust, jedes auf einer Seite, sodass sie ihre Vorderbeine nach den Muskeln seiner Schultern ausstreckten. Kaiina hörte auch hinter sich leises Knallen und sah, dass weitere Tätowierungen auf der Brust des Mannes erschienen: ein Adler und ein Widder. In der Mitte, direkt unter seinem Hals, blieb eine große freie Stelle.

»Nein, nein …«, stöhnte Kaiina, die eine böse Vorahnung hatte.

»Oh doch«, knurrte der Mann leise.

Wieder blitzte es auf, diesmal direkt unter Kaiina, und dann stürzte sie auch schon herunter. Sie kam so hart auf der Erde auf, dass ihr der Atem stockte. Zitternd und keuchend stützte sie sich mit den Händen hoch und erkannte sofort eine neue Tätowierung auf der Brust des Mannes, über seinem Brustbein. Dinesh.

»Wer bist du?«, ächzte Kaiina. »Warum hast du das getan?«

Der Mann baute sich bedrohlich vor ihr auf und verschränkte die Arme über den Tiertattoos auf seiner muskulösen Brust. Das seltsame spiralförmige Mal auf seiner Stirn ringelte sich und er verzog das Gesicht, als sich seine Haut dort aufbeulte und spannte. Seine Augen begannen schwach zu glühen wie die Abenddämmerung.

»Einst kannte die ganze Welt meinen Namen und bald schon wird sie ihn wieder kennen. Ich bin Zerif.«

DER IMMERBAUM

Es war ein schöner Tag und der Immerbaum sang in der Brise. Der Wind ließ seine Blätter säuseln und sie spielten ein Lied, das so chaotisch und übermütig klang wie ein gurgelnder Bach. Lenori reckte die Hände hinauf zur Sonne, schloss die Augen und genoss den wunderbaren Moment.

Ein Teil von ihr wünschte, sie könnte für immer hierbleiben.

In Greenhaven hatte Lenori einen einfachen Kräutergarten angelegt. Sie hatte die tägliche Arbeit dort sehr gemocht – die Finger durch den seidenweichen schwarzen Boden zu ziehen und für jede Sämerei genau die passende Stelle auszusuchen. Sie fand, das Hegen von Pflanzen unterschied sich gar nicht so sehr von der Schulung neuer Grünmantelrekruten. Wann immer ein Kind ein Seelentier rief und sich dem uralten Orden anschloss, dann hatte sich Lenori um den Neuankömmling gekümmert – nicht nur um seine Ausbildung, sondern auch um sein Herz und sein Wohlergehen. Der aufbrausende Olvan vergaß das allzu oft.

Während ihrer Zeit in Greenhaven war sie aber häufig und ausgiebig über die nebelverhangenen Befestigungen gewandert und hatte sehnsüchtig auf eine bewaldete Welt hinabgeblickt, die gar zu fern schien. Zwischen den grauen Steinmauern war sie nie wirklich heimisch geworden.

Ihre neue Aufgabe, den Immerbaum zu pflegen, lag ihr da schon deutlich mehr.

Seit Generationen war er die geheime Quelle der Bindung mit den Seelentieren gewesen – vielleicht sogar die Quelle allen Lebens in Erdas. Aber die Welt verfiel in Krieg. Kovo der Affe, eines der Großen Tiere, hatte seine Brüder verraten, um die Herrschaft über den Immerbaum zu erlangen. Im folgenden Streit war der Baum zerstört worden.

Doch dann war er durch ein Wunder, das Lenori noch immer nicht ganz begreifen konnte, neu geboren worden, nachdem sich die Großen Tiere geopfert hatten.

Über ihr ächzten die Äste des Großen Baums im Wind. Seine goldenen Blätter säuselten und ihr Gesang wurde immer lauter.

Wie schön der Baum doch war! Mit jedem Tag nahm seine Pracht zu. Seine silberne Spitze ragte hoch wie ein Berg in den Himmel, sodass seine obersten Äste an die Wolken reichten und einen beständig plätschernden Regen aus ihnen strichen. Während der ersten Monate war er rasch gewachsen und hatte dann aus seinen elegant geschwungenen Ästen goldene Blätter getrieben, jedes ein filigranes Juwel. Je nach der Stellung der Sonne wechselte der Baum die Farbe, strahlte silberweiß am Morgen, leuchtend gelb um die Mittagszeit, reifte nachmittags zu gedämpftem Stahlblau und explodierte bei Sonnenuntergang förmlich in Purpurrot. Das Leben mit dem Baum, wenn sich das prächtige Blätterdach über Lenori wölbte, war das Gegenteil von Einsamkeit. Und außerdem war da noch ihre Gefährtin Myriam, der Regenbogenibis.

Im Greenhaven war Myriam noch ein eitles, sich ständig putzendes Geschöpf gewesen, das die Federn sorgsam so anstellte, dass jede Farbe des Regenbogens zu sehen war. Jetzt war Myriam viel zu sehr von ihrer Rolle als Gastgeberin eingenommen, um sich noch um so etwas zu kümmern – eifrig begrüßte das Ibisweibchen nun jeden eintreffenden Vogel, während Lenori ihre tägliche lange Wanderung um den ungeheuren Stamm des Immerbaums machte. Gegen Abend gesellte sie sich dann im Lager zu Lenori, ließ sich noch ein paar saftige, aus dem Schlamm gepickte Käfer schmecken und sank dann erschöpft neben Lenoris Schlafstelle nieder.

Eines Tages war Myriam allerdings bis Sonnenuntergang nicht zu ihr zurückgekommen. Das war zwar ungewöhnlich, aber kein besonderer Grund zur Sorge; erst kurz zuvor waren Pfauen beim Baum eingetroffen und Myriam war ihnen am nächsten Tag gefolgt, um herauszufinden, welcher der schönste von ihnen war. Schließlich fand Lenori das Ibisweibchen. Es starrte am Fuß des Baums auf ein Stück Rinde der silbernen Wurzeln.

Lenori kniete sich neben Myriam und strich ihrem Seelentier übers bunt schillernde Gefieder. Myriam starrte unverwandt die Wurzel an und als Lenori ihrem Blick folgte, setzte ihr Herz für einen Moment aus.

Fäulnis.

Der Fleck war kaum länger als ihr Finger und rötlich grau wie eine Druckstelle an einer Birne. Lenori drückte vorsichtig darauf. Die Rinde war weich und gab mit einem feucht schmatzenden Geräusch nach.

Lenori hätte nicht im Traum daran gedacht, dass der Immerbaum für unbedeutende kleine Infektionen anfällig war, wie sie andere Bäume plagten. Lenori prüfte, ob sie andere Anzeichen von Krankheit finden konnte, aber der Immerbaum strotzte vor Gesundheit. Als Lenori am Abend in ihrem Schlafsack lag, musste sie noch immer an den seltsamen dunklen Fleck denken.

Am nächsten Tag blieb Myriam immer dicht an Lenoris Seite, hüpfte im Schatten kaum ein paar Schritte entfernt neben ihr her und schenkte den eingebildeten Pfauen selbst dann keine Beachtung, als diese prahlerisch vorbeistolzierten. Als Lenori an die Stelle zurückkehrte, hielt sie den Atem an.

Und stieß ihn scharf wieder aus.

Der Fleck war größer geworden. Sie legte die Hand auf die Wurzel. Der Fleck war nun so groß wie ihre drei mittleren Finger. Als sie daran zupfte, löste sich die verrottete Rinde wie schwarzes, schleimiges Papier. Dahinter war ein Hohlraum, eine schwarze Scharte im makellosen Silber des Baums.

Lenori war in den Mangrovenwäldern von Amaya aufgewachsen und kannte ein paar Kniffe, wie man Baumfäule kurieren konnte. Also sammelte sie Flechten, presste sie in den schmalen, schwarzen Riss und benetzte die Stelle mit Wasser von einem Teich. Die Flechten hatten ihre eigenen Methoden, mit Eindringlingen fertigzuwerden und konnten wie ein Wickel gegen die schwarze Krankheit wirken, wenn es der Immerbaum nicht alleine schaffte.

Als Lenori aber das nächste Mal kam, waren die Flechten verwelkt und die verfaulte Stelle an der Wurzel weiter gewachsen. Sie war nun so groß wie Lenori selbst und ragte wie ein Vorwurf über ihr auf.

Die Fäulnis reichte nun schon bis zum Stamm. Wie immer betastete Lenori die Stelle mit den Händen und zupfte so viel von dem schwarzen Schleim weg, wie sie konnte in der Hoffnung, das Fortschreiten der Krankheit einzudämmen. Als sie diesmal auf die befallene Rinde drückte, gab diese mit einem leisen Geräusch nach und Lenoris Arm drang tief in den dahinterliegenden, feuchten Hohlraum.

Lenori riss die Öffnung sofort auf, ohne sich um den schwarzen Schleim auf Armen und Gesicht zu kümmern. Wie ein Vorhang verbarg die abgestorbene Rinde eine Höhlung, die sich tief in den Baum zog. Lenori machte vorsichtig einen Schritt hinein. Ihr stockte der Atem.

Die Fäulnis musste schon lange am Immerbaum nagen, länger als Lenori gedacht hatte. Sie befand sich in einer Höhle, die tief in den Baum führte; überall tropfte befallenes, schleimig schwarzes Holz herunter und es roch seltsam süßlich nach Tod und Verwesung.

Die Fäulnis setzte sich auch unter ihren Füßen in feuchten Gängen und Tunneln fort.

Der Immerbaum war die Quelle aller Bindungen zwischen Menschen und vielen Tieren. Wenn er fiel, dann endeten all diese Beziehungen.

Und es bestand nicht der geringste Zweifel: Der Baum starb.

HEIMKEHR

Meilin wartete ungeduldig am Hafen; am liebsten wäre sie gleich den Weg nach Greenhaven hinaufgestiegen, um ihre Freunde zu begrüßen. Sie massierte einen Knoten, der sich vor lauter Sorge in ihrem Genick gebildet hatte. Dieser Knoten war ein alter Bekannter – er war während des Krieges aufgetaucht und erst nach Monaten der Ruhe in Zhong wieder verschwunden bei der einfachen und sehr befriedigenden Aufgabe, die Nation Stein für Stein wieder aufzubauen. Nun war er angesichts der Nachricht über Erdas’ neue Probleme wieder da.

Während sie wartete, dehnte sie ihren Wurfarm und hoffte, dass der Aufenthalt zu Hause sie nicht allzu sehr verweichlicht hatte.

Im Hafen war ein ständiges Kommen und Gehen von Grünmänteln, die untereinander tuschelten und Meilin bewundernde Blicke zuwarfen. Meilin besaß mehr Selbstsicherheit als die meisten Zwölfjährigen, wohl auch mehr als die meisten Erwachsenen, aber ein bisschen machte es sie schon nervös, als Heldin zu gelten. In Zhong hatte sie ein ruhiges Lächeln eingeübt, warm genug, um das Interesse der Person anzuerkennen aber doch so kühl, um Händeschütteln und Fragen vorzubeugen.

»Bist du immer noch nicht fertig?«, fragte Meilin den Wachmann herrisch.

Sie hatte gerade ihre Truhe zum hoch aufragenden Schloss von Greenhaven hinaufschaffen wollen, als ein junger Grünmantel sie auf dem Weg anhielt. Er entschuldigte sich und machte sich daran, Meilins Truhe zu durchsuchen und peinlich genau in ihren Sachen zu stöbern.

»Und? Irgendwelche Waffen gefunden?«, fragte Meilin.

»Tut mir leid, gnädige Frau«, erwiderte der Wachmann verlegen. »Wir müssen jeden durchsuchen, der in Greenhaven ankommt. Jetzt, nach dem Krieg …«

»Ja, ja. Den Krieg habe ich nicht vergessen, das kannst du mir glauben.« Der Krieg hatte Meilin nichts Geringeres als die Auszeichnung als Heldin von Erdas eingebracht – und die Bindung an ein Großes Tier. Und er hatte ihr den Vater geraubt.

Der Wachmann lief puterrot an, als er an die unterste Lage von Meilins Gepäck kam: ihre Unterwäsche.

»Du glaubst doch wohl nicht, dass ich zwischen denen irgendwelche Killerkrokodile versteckt habe, oder?«, fragte Meilin und lugte über seine Schulter.

Jhi, ein weiblicher Großer Panda, der nur ein paar Schritte entfernt saß, grunzte mürrisch und kaute gelassen auf einem Bambusschössling. In letzter Zeit hatte Jhi sich angewöhnt, Meilin für abfällige scharfe Bemerkungen sofort zu tadeln, was Meilin nur noch ärgerlicher machte.

Als ihr jedoch bewusst wurde, wie sie mit verschränkten Armen und hochgereckter Nase dastand, rang sie sich ein Lächeln ab und sagte zum Wachmann: »Ich, äh … ich mag deinen Truthahn.«

Das Seelentier des Mannes, ein besonders mittelmäßiges Federvieh, das wie verzückt Würmer aus einem Blätterhaufen pickte, reckte den Kopf, schüttelte seinen wabbeligen Kehllappen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Boden.

Der Wachmann, noch immer feuerrot, beendete die Durchsuchung und stopfte Meilins Unterwäsche, so rasch er konnte, zurück in die Truhe. »Entschuldigen Sie bitte die Umstände«, sagte er. »Alle müssen durchsucht werden, sogar die vier Helden von Erdas.«

»Du kannst es wiedergutmachen, indem du meine Truhe trägst«, sagte Meilin. Jhi grunzte wieder. »Na gut. Dann mache ich das eben selbst.«

Meilin und Jhi machten sich auf den langen Serpentinenweg hinauf zum Schloss von Greenhaven, einem mächtigen Bauwerk aus grauen Steinquadern, das sich hoch über dem Meer erhob. Es mochte ein abweisender Ort sein, aber überraschenderweise empfand Meilin Freude bei seinem Anblick. Greenhaven war ihr ebenso ein Zuhause wie Zhong. Wie auch immer – wenn es nach ihr gegangen wäre, dann wäre sie niemals zurückgekommen.

Rollan, dachte sie, während ihr Blick über die Zinnen der gewaltigen Festung wanderte, die den Grünröcken Heimat war. Wo bist du?

Die Lage musste ernst sein, wenn Rollan sein eigenes Seelentier aussandte, um sie aus Zhong zurückzurufen. Sie hatte den ganzen Tag beim Bau einer neuen Brücke für die Hauptstadt geholfen und sich eben schlafen legen wollen, als das Falkenweibchen in ihre Hütte gebraust war. Ein kleines goldenes Röhrchen war an eine von Essix’ Klauen angebunden gewesen.

Trotz seiner Erschöpfung hatte das Tier sie verächtlich angeblickt, als Meilin den Deckel des Röhrchens aufschraubte und den aufgerollten Brief herauszog. Meilin hatte sich gut vorstellen können, was Essix gesagt hätte, wenn sie konnte: Essix ist ein Falke und keine Brieftaube! Essix verspeist Brieftauben schon zum Frühstück!

Die Botschaft war merkwürdig kurz gewesen.

Meilin,

ich weiß, dass du zur Erholung für einige Zeit von hier fort musstest, und die Bitte fällt mir nicht leicht. Aber du musst so schnell wie möglich nach Greenhaven kommen. Immerbaum in Gefahr. Ich erkläre das, wenn du hier bist.

Dein Rollan

Von dem Falkenweibchen getrennt zu sein hatte Rollan einst mit dem Gefühl verglichen, als versuchte jemand, ihm die Augen auszukratzen. Es musste ihm äußerst schwergefallen sein, Essix den ganzen Weg bis Zhong zu senden. Meilin konnte es kaum erwarten, das Gesicht ihres Freundes zu sehen, wenn er wieder mit seinem Seelentier vereint war. Eigentlich konnte sie es auch so kaum erwarten, sein Gesicht wiederzusehen.

Essix war vorausgeflogen, kaum dass Meilins Boot angelandet war, aber nun kehrte sie zurück und landete selig krächzend auf Meilins Schulter. Doch dann kreischte Meilin selbst auf, denn sie wurde hinterrücks umgestoßen. Sie erschrak, aber dann spürte sie eine raue Wolfszunge, die ihr in langen Strichen über die Wange fuhr.