Spiritualität - ganz ohne Spiritualität - Anton Weiß - E-Book

Spiritualität - ganz ohne Spiritualität E-Book

Anton Weiß

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Beschreibung

Die für die Evolution notwendige Selbstbehauptung allen Lebens führt im Menschen zur Entstehung des Ichs. Das hat zur Folge, dass der Mensch von sich selbst und seinem Urgrund getrennt ist. Dadurch wenden sich die Lebenskräfte – das Unbewusste – gegen ihn. Die Überwindung dieser Spaltung kann nicht vom Ich her erfolgen, sondern ereignet sich durch den schmerzvollen Tod des Ichs, den der Mensch aushalten muss. Das aber führt ihn zur Befreiung und zur Transzendierung seines Ich-Seins.

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Anton Weiß

Spiritualität - ganz ohne Spiritualität

Versuch einer ganzheitlichen Sicht menschlichen Daseins

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Spiritualität contra Spiritualität

Das Ziel der Evolution

Die treibende Kraft

Zur Entstehung des Ichs

Die Subjekt-Objekt-Spaltung

Der Mensch im Ich

Exkurs: Ich und Denken

Ich und Unbewusstes

Ich und Individuum

Ziel des Lebens

Der unvermeidliche Tod des Ichs

Vorher - Nachher

Alles ist Gnade?

Was kann man tun?

Kämpfen oder nicht?

Die großen Ideen: Freiheit, Friede, Gerechtigkeit, Gleichheit, Humanität, Liebe

Nachwort

Literatur

Impressum neobooks

Vorwort

Ich möchte mit dieser Abhandlung einen Schlusspunkt setzen, weil ich glaube, nun alles gesagt zu haben. Es soll ein Gesamtbild dessen entstehen, wovon ich überzeugt bin. Deshalb möchte ich noch einmal alles ansprechen, was in den vorangegangenen Arbeiten schon verschiedentlich sichtbar wurde. Ich bitte daher um Verständnis, wenn schon Gesagtes hier noch einmal auftaucht, zum Teil als direkte Übernahme aus meinen früheren Abhandlungen.

Die Formulierung des Titels ist paradox, aber doch leicht verständlich zu machen: Das, was von vielen als Spiritualität angesehen wird, ist von östlichem Denken, besonders insoweit es von Advaita Vedanta her kommt, beeinflusst. Was ich als Spiritualität ansehe, verzichtet aber weitgehend auf diesen gedanklichen, in der Vedanta-Tradition verwurzelten Überbau. Wer nur das als spirituell gelten lässt, wenn Gedankengänge wie „Ich bin das Absolute“, „es gibt nur das eine Bewusstsein“, „die Welt ist eine Illusion“ im Vordergrund stehen, dann kann man das, was ich vertrete, nicht als spirituell bezeichnen. Ich sehe aber in dem, was ich erkannt habe, das Ziel aller Religionen, also das, worum es in der Spiritualität geht. Ich halte meine Sicht sehr wohl für spirituelles Denken, auch wenn es weitgehend – nicht immer - ohne das Absolute, das universale Sein oder Gott auskommt.

Sie werden sich als Leser im Verlauf der Lektüre selbst ein Urteil bilden können.

Spiritualität contra Spiritualität

Das Thema mag etwas befremdlich erscheinen, es drückt mein Anliegen aber vollgültig aus. Es geht mir darum, Spiritualität von ihrem Nimbus, den sie gerade durch den Einfluss östlicher Vorstellungen hat, zu befreien und den wesentlichen Kern sichtbar zu machen.

Wenn ich das sage, dann heißt das natürlich – wie immer -, dass dies meine Erfahrung und deshalb meine Überzeugung ist. Es hat natürlich jeder das Recht, die Dinge so darzustellen, wie er es für richtig hält. Ich tue das hiermit auch.

Mir geht es darum, Spiritualität ohne jeden spirituellen Überbau aufzuzeigen, weil dieser nur irreführt, anstatt einem Suchenden den Kern zu zeigen, um den es geht. Es geht eben nicht darum, durch Meditation, Yoga-Übungen, Konzentrations- oder Entspannungsübungen zu einem Zustand zu gelangen, der einen hinaushebt über das als begrenzt erfahrene existenzielle Sein.

Auch ich bin überzeugt, dass wir uns in einer Begrenztheit vorfinden und dass es Ziel des Lebens ist, diese Begrenzung aufzuheben, zu durchbrechen oder wie immer man es formulieren will. Dieses Durchbrechen der Begrenzung wird von vielen als Erleuchtung bezeichnet. Mir liegt die Bezeichnung „Befreiung“, die auch gebraucht wird, näher, denn es geht wirklich um die Befreiung aus einem gefangenen Zustand.

So sehr die beiden Begriffe parallel gebraucht werden, so weisen sie doch in sehr verschiedene Richtungen: In Erleuchtung ist das Wort „Licht“ enthalten, sie hat mit dem Licht der Erkenntnis zu tun; es geht um die Erkenntnis des Einsseins mit dem universalen Geist, dem Absoluten. Alles Bemühen eines Suchenden richtet sich darauf, durch Erkenntnis dieses Einsseins die Sprengung der Fesseln zu erreichen. Aus meiner Sicht ist das zum Scheitern verurteilt. Mir geht es darum, aus der Gefangenheit im Ich befreit zu werden, und das ist ein ganz existenzielles Geschehen und hat nur am Rande mit Erkenntnis zu tun.

Sehr vieles, was in der spirituellen Literatur zu finden ist, sind lediglich intellektuelle Gedankenspiele, die keinerlei Bedeutung für das, worum es geht, haben. Ich möchte dafür ein Beispiel bringen:

Bei Liquorman stellt ein Suchender folgende Frage: „Ich würde diese Hinweise – vorausgegangen war der Gedanke: Was ist, ist einfach – gerne besser verstehen. Wie Hinweise auf die Wahrheit. Du hast gesagt, dass der Verstand unmöglich die Quelle kennen kann, weil er ein Charakter in dem Gemälde ist, und um das Gemälde zu kennen, müsste er sich vom Gemälde trennen, was er aber nicht kann. Deshalb kann er die Totalität oder Quelle nicht kennen. Auf der anderen Seite sprichst du über die Quelle: dass alles, was ist, Bewusstsein ist. Jedoch kann der Körper-Verstand-Mechanismus es nicht wissen. Was ist also der Hinweis, der dir erlaubt, darüber zu sprechen? Ist es ein intuitives Verstehen?“

Das ist eine von vielen von Hunderten von Fragen, die Weisen von Suchenden gestellt werden, und in der Regel bemühen diese sich, darauf eine Antwort zu geben. Die Frage ist aber rein vom Verstand, also vom Ich her gestellt, und keine noch so einleuchtende und richtige Antwort wird auch nur das geringste bewirken. Solange nicht begriffen wird, dass genau dieses Ich, das die Frage stellt, transzendiert werden, also über Bord gehen muss, solange wird absolut nichts passieren. Der Fragesteller fühlt sich mit einer zufriedenstellenden Antwort nur um so sicherer in seinem Ich-Gebäude.

Zwei weitere Beispiele: Bei Harding (86) stellt ein Teilnehmer folgende Frage: „Glauben Sie, dass Gefühle wie das des Mitgefühls als etwas gelten könnte, das von dem Einen herkommt?“ Bei Kruse (197) äußert ein Teilnehmer: „Dass kein Denker oder Macher oder Besitzer da ist, das sehe ich. Und was mache ich jetzt damit?“

Solche Fragen und deren Beantwortung bringen den Fragesteller keinen Schritt weiter. Im Hintergrund des Fragenden befinden sich weitere 10 000 Fragen, von deren Beantwortung er sich erwartet, dass sie seinen Wissensdurst befriedigen, seine Erkenntnisse erweitern werden. Es kann durchaus sein, dass er ein Wohlgefühl nach der Beantwortung seiner Frage hat und sich in seinen Auffassungen bestätigt fühlt, oder er lernt, die Dinge etwas anders zu sehen, was ebenfalls einen beglückenden „Aha“-Effekt auslösen kann. Damit glaubt er sich seinem Ziel einen, wenn auch nur kleinen, Schritt näher. Aber er irrt sich. Es kommt nicht darauf an, ob die Frage in der einen oder in der gegenteiligen Richtung beantwortet wird. Davon hängt für die Situation im Ich überhaupt nichts ab. Der mögliche Erkenntnisgewinn hat überhaupt keine Bedeutung für das Stehen im Ich. Daran ändert sich überhaupt nichts, aber nur darum ginge es.

Der Fragesteller müsste dahin geführt werden zu erkennen, dass das Problem in seiner Art der Fragestellung liegt, denn sie erfolgt immer vom Ich her. Das Problem liegt darin, dass er als Ich diese Frage stellt und glaubt, durch Beantwortung dieser Frage das zu finden, was er sucht: Die Befreiung vom Ich. Und so kann es nicht gelingen.

Dem möchte ich die Frage eines Suchenden gegenüber stellen, die die Ich-Problematik ganz existenziell berührt: „Grundsätzlich steckt der Mensch voller Ängste, am meisten vor sich selbst. Ich fühle mich wie jemand, der eine Bombe mit sich herumträgt, die irgendwann explodieren wird. Er kann sie nicht entschärfen, er kann sie nicht wegwerfen. Er ist zu Tode geängstigt und sucht wie wahnsinnig nach einer Lösung, findet aber keine. Für mich heißt Befreiung, diese Bombe loszuwerden. Ich weiß nicht viel über die Bombe. … Manchmal möchte ich jemanden töten oder mich selbst. Dieses Verlangen ist so stark, dass ich permanent in Angst lebe. Und ich weiß nicht, wie ich mich von dieser Angst befreien kann“ (Nisargadatta, Ich bin I, 127).

Wenn Sie, lieber Leser, keinen großen Unterschied zwischen den ersten und der letzten Frage sehen, dann kann ich nur hoffen, dass Ihnen das im weiteren Verlauf der Lektüre klar wird. Für mich könnte der Unterschied nicht größer sein. Beiden gemeinsam ist nur eines: Beide Aussagen erfolgen von einem Ich her. Aber während bei dem ersten sowohl beim Fragenden als auch beim Antwortenden die Gedanken lediglich intellektuelle Überlegungen darstellen, steht beim zweiten die Existenz auf dem Spiel. Hier ist das Ich bereits an die Grenze der Verzweiflung vorgedrungen, und die Antwort ist für ihn, im Gegensatz zum ersten, von existenzieller Bedeutung.

Dieser Vergleich zeigt besser als jede theoretische Darlegung, worin ich den Unterschied zwischen einer sogenannten Spiritualität sehe und dem, worum es mir geht, nämlich um die Transzendierung des Ichs, die den Menschen in seiner gesamten Existenz erschüttert.

Ich komme inzwischen weitgehend ohne jeden theoretischen Hintergrund aus, ohne: „Du bist der Ursprung der Welt“, „Du bist das Eine“ oder wie immer solche Formulierungen lauten.

Spiritualität in jenem Verständnis ist der Irrtum zu glauben, dass sich die Dinge des Lebens viel leichter werden organisieren lassen, wenn ich erleuchtet bin. Es ist die Hoffnung, ein leichteres Leben zu haben, vor allen Dingen das Leid, das einem aus sich selbst entsteht zu beseitigen. Es wird viel Bemühen hineingesteckt in Meditation und alle anderen Praktiken, um sich über das öde Alltagsleben hinauszuheben.

Das halte ich für ein völliges Missverständnis. Es ist immer das Ich, das unter der Mühsal des Lebens leidet und dem entfliehen zu können glaubt. Dieses Ich ist die Ursache des Übels und nicht die fehlende Erleuchtung, aber das kann von den meisten nicht erkannt werden. Es ist immer ein Ich, das auf Erlösung oder Befreiung hofft, das die Bürde dieses elenden Lebens loswerden möchte, in das es verstrickt ist. Aber es geht überhaupt nicht darum, ein leichteres und angenehmeres Leben zu haben. Das ist der Wunsch eines Ichs. Es geht auch nicht um einen erhebenden Zustand, in dem die Last des Lebens von einem abfällt, so wie es sich viele vom Drogenkonsum erwarten und auch erhalten. Nur braucht man dann ständig die Droge und wird dadurch zunehmend ruiniert, sowohl körperlich, als auch geistig, seelisch und in seinen sozialen Kontakten.

Wer sich auf den Weg der spirituellen Suche begibt in der Hoffnung, das „niedere“ Leben hinter sich zu lassen, wird kein Ziel erreichen. Solange nicht wenigstens intellektuell begriffen wird, dass das Ich-Sein die Ursache aller Misere ist, dreht sich immer alles im Kreis. Er wird von Guru zu Guru wandern, Buch um Buch lesen in der Hoffnung, dass das Entscheidende doch irgendwann passieren müsste. Und immer, wenn er erhebende Erlebnisse hat, wird er glauben, dass er „Es“ nun hat, dass endlich der Schleier gefallen ist, aber kurze Zeit später oder wenn er wieder in seinem Alltagsleben steht, ist alles verflogen und zurück bleibt ein enttäuschter und verwirrter Suchender, der nicht versteht, warum er nicht bleibend verwandelt ist.

Es ist aber auch die Schuld von vielen – nicht allen! – Verfassern spiritueller Literatur, die den Eindruck erwecken, dass es ganz leicht ist, die Erleuchtung zu erlangen, ja dass man immer schon erleuchtet ist und das nur zu erkennen braucht.

Ich möchte das, was im spirituellen Bereich gesagt wird, auf das hin prüfen, was man wirklich sagen kann.

Ich würde durchaus gerne sagen – und man könnte es rechtfertigen, es so zu sagen -, dass ich z. B. ganz eins werde mit dem Willen Gottes, dass Gott und ich eins sind und nicht zwei, dass Gott - oder das Absolute, das universale Selbst, der eine Geist - durch mich sich entfaltet, durch mich seinen Ausdruck findet.

Aber wenn ich es genau prüfe, dann kann ich diese Aussagen nicht machen; es wäre nur ein Nachsagen tradierter Überzeugungen. Es ist nirgends Gott zu sehen, kein Absolutes, kein Geist, nichts. Das einzige, was ich sagen kann, ist: Ich lebe, ich bin einfach, ich schreibe jetzt diesen Text, was mir eigentlich überhaupt nicht schwer fällt, ich denke gar nicht viel dabei, jedenfalls ist es recht mühelos. Wenn meine Frau zum Essen ruft, dann komme ich. Ich erinnere mich, dass es nicht immer so war, gerade was das Zum-Essen-Rufen betrifft. Wenn ich eine „wichtige“ Arbeit hatte und mich meine Frau zum Essen gerufen hat, dann bin ich überhaupt nicht gleich gekommen, habe häufig einen befehlenden Unterton gehört und habe mich dagegen gewehrt, da ich ja auch eine wichtige Arbeit zu verrichten hatte. Das ist jetzt völlig anders: Es gibt keine wichtige Arbeit mehr und keine unwichtige. Ich tue das, was ich tue, weil es im Moment das einzige ist, was ich tun will. Und wenn meine Frau zum Essen ruft, dann ist das Essen fertig und ich begebe mich zu Tisch, eben weil jetzt das Essen fertig ist. Sollte ich gerade einen wichtigen Gedanken haben, dann fällt er mir nachher schon wieder ein, oder er war eben doch nicht so wichtig. Ich kann auch meine Frau fragen, ob ich den Gedanken noch schreiben kann. Was nicht mehr der Fall ist, sind diese Machtspielchen, die sich häufig dahinter verbergen, wodurch das Ich um seine Daseinsberechtigung kämpft. Und damit wird die Beziehung unglaublich entspannt und leicht. Es ist für beide befreiend und beglückend, weil jeder fähig ist – meine Frau schon viel früher als ich – den anderen in seinen Interessen und Bedürfnissen wahrzunehmen.

Das kann ich sagen, und ich bin überzeugt, dass dieses Verhalten mir heute möglich ist, weil in meinem Leben etwas Umwälzendes passiert ist. Weil eine Tiefe aufgebrochen ist, die vorher nicht erlebt wurde, wenn sie denn vorhanden war, was ich zwar glaube, aber eben schon nicht mehr verantwortlich sagen kann. Ich für mich glaube ja, dass dieser Einbruch des Jenseits des Ichs mit dem Absoluten zu tun hat, aber eine Aussage darüber kann ich einfach nicht machen. Es sind nur Schlussfolgerungen, Theorien, Gedanken, und ich möchte mich an das halten, was sich mir zeigt.

Das Ziel der Evolution

Wenn man die evolutionäre Entwicklung betrachtet, dann ist unbestritten, dass eine zunehmende Komplexität stattgefunden hat. Am Anfang des Lebens stehen Einzeller, heute – am derzeitigen Ende der Evolution - liegt im menschlichen Gehirn ein hochkomplexes Gebilde vor. Viele Wissenschaftler weigern sich, von Höherentwicklung zu sprechen. Ich aber rede nicht als Wissenschaftler, sondern als Mensch, der lebenslang versucht hat, Welt, Mensch und Gott aus seiner eigenen Geschichte heraus zu verstehen. Von da her steht meine Auffassung in klarem Gegensatz zu der heute üblicherweise von Wissenschaftlern vertretenen Anschauung, dass „die Evolution von Zufallsereignissen angetrieben wird, dass sie kein Ziel verfolgt oder eine Richtung besitzt“ und „dass es zu keinem Zeitpunkt … so etwas wie eine Notwendigkeit (gab)“ (Metzinger 87) (Ich halte diese Aussagen wissenschaftlich nicht für verantwortlich, denn es ist kein Wissen, sondern lediglich eine Meinung!)

Ich bin überzeugt, dass das Unternehmen „Welt“ mit seiner Entwicklung des Lebens bis hin zum menschlichen Bewusstsein – nicht zur Gestalt des Menschen! – eine Sinnrichtung hat.

Und insofern ist es für mich unabweisbar, dass dem ganzen Kosmos (Kosmos heißt „Ordnung“) ein Plan innewohnt. Als Teilhard de Chardins Gedanken in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts bekannt wurden, war ich davon begeistert: Dass die Materie die Außenseite ist, die eine Innenseite hat, nämlich den Geist, der die Entwicklung der Materie vorantreibt, war für mich wie eine Offenbarung. Das hat mir zutiefst eingeleuchtet und ich bin heute noch von der Richtigkeit dieser Idee überzeugt. Dem ganzen materiellen Sein wohnt eine treibende Kraft inne, die die Entwicklung vorantreibt, ausgehend vom materiellen Sein zu den ersten Formen des Lebens, weiter zu Pflanzen, Tieren und dann zum Menschen. Aber auch dem Menschen wohnt immer noch diese vorantreibende Kraft inne. Es ist mit ihm noch nicht die letzte Entwicklungsstufe erreicht. Die derzeitige Entwicklungsstufe besteht in einem bewussten Leben als Ich. Bewusstes Leben gibt es schon in früheren Lebensformen, denn wenn sich ein Tier im Spiegel erkennt, liegt Bewusstsein vor. Aber das Ich-Sein, sich als eigenständiges, von anderen getrenntes Wesen zu erleben, gibt es vielleicht so erst beim Menschen. Jedenfalls ist es der Mensch wie kein anderes Lebewesen vor ihm, der durch sein Ich-Sein die Erde und beginnend auch den Weltraum zu beherrschen versucht. Ganz nach dem Bibelwort: „Machet euch die Erde untertan“, aufgeschrieben vor 3000 Jahren, hat der Mensch seinen Siegeszug angetreten und sich alles untertan gemacht. Das Ergebnis sehen wir heute. Der Mensch muss heute vor sich selbst Angst haben. Er sägt an dem Ast, auf dem er sitzt, und es wird spannend im Verlauf der nächsten Jahrzehnte, wohin das führt, ob er fähig ist, das Herunterfallen noch abzuwenden.

Den Grund für die Tragödie des Menschseins sehe ich in seinem Ich-Sein.

Aber dieses Ich-Sein sehe ich nicht als die letzte Stufe der Entwicklung an. Die Entwicklung treibt den Menschen weiter voran, sie treibt ihn über sein Ich-Sein hinaus; sie zwingt ihn, sein Ich-Sein hinter sich zu lassen, zu transzendieren. Die Transzendierung des Ichs ist aber nur möglich durch einen Zusammenbruch des Ichs. Diese nächste Stufe, die erreicht werden soll, wird von Teilhard de Chardin „Christogenese“ genannt, also das Hervortreten des Christus. Teilhard de Chardin war Jesuitenpater, er war Wissenschaftler und gläubiger Christ, deshalb nannte er die nächste Stufe in der Entwicklung Christogenese. Er hat in Jesus von Nazareth die Verwirklichung und Vorausnahme dieses neuen Entwicklungsschrittes gesehen. Ich möchte das erweitern: Ich sehe diese neue Entwicklungsstufe in einer Reihe von anderen Menschen ebenfalls erreicht: in Buddha, Lao-tse, Meister Eckhart, Rumi. Es sind Menschen, in denen sich die Transzendierung, also das Überschreiten, das Hinter-sich-Lassen des Ichs ereignet hat. Ich könnte auch heute lebende Menschen nennen, die aber nur solchen Leuten bekannt sind, die sich mit spiritueller Literatur befassen: Karl Renz, Rick Linchitz, Douglas Harding (der ist 1909 geboren und möglicherweise schon gestorben).

Welche Bewandtnis es mit der Transzendierung des Ichs hat, soll im Folgenden aufgezeigt werden.

Die treibende Kraft

Wie gesagt, sehe ich eine treibende Kraft in der gesamten Entwicklung. Diese treibende Kraft zeigt sich im Menschen in der Tatsache, dass er auf der Suche ist. Er ist auf der Suche nach dem, was man allgemein vielleicht als Glück bezeichnen kann. Ich bevorzuge den Ausdruck „Erfüllung“. Alle Menschen wollen ein erfülltes Leben haben.

Wir gestalten unser Leben in der Absicht, glücklich zu werden, also Erfüllung zu finden. Und wir glauben das dadurch bewerkstelligen zu können, dass wir uns einige Dinge beschaffen, die wir dazu brauchen. Dazu gehört ein gehobener Lebensstandard, ein gesichertes Einkommen, eine Partnerin, Familie und all die Annehmlichkeiten, von denen wir heute überzeugt sind, dass sie notwendig sind zu einem zufriedenen Leben. Und nun haben wir weitgehend alle diese Dinge und stellen fest – wenn wir ehrlich sind -, dass die Erfüllung ausbleibt.

In den ersten Lebensjahren ist die Erfüllung noch leicht zu finden: Die Mutterbrust reicht, um Sättigung und Geborgenheit und damit Zufriedenheit zu vermitteln. Aber mit etwa zweieinhalb Jahren tritt das Ich hervor und damit verbunden Wünsche an das Leben, die nun nicht mehr alle erfüllt werden können. Und nun kommt Unzufriedenheit auf, weil die Wünsche nicht mehr erfüllt werden. Aber der Anschein täuscht: Selbst wenn alle Wünsche erfüllt würden, bliebe immer noch ein Unbefriedigtsein.

Ich will Ihnen das jetzt gar nicht beweisen, weil meine Erfahrung aus vielen Gesprächen zeigt, dass alles, was ich an Argumenten vorbringen könnte, anders gedeutet werden kann. Ich möchte Ihnen aber zeigen, warum ich das so sehe.

Die Wünsche erstrecken sich bei den meisten Menschen auf materielle Güter. Aber auch geistige Güter, wie ein großes Wissen oder Reisen, gesellschaftliches Leben oder Familienleben können Inhalt dessen sein, wovon sich Menschen die Erfüllung erhoffen. Wer bei sich genau hinschaut und sich nichts vormacht wird entdecken, dass die eigentliche Erfüllung bei all seinen Unternehmungen letztlich ausbleibt. Es gibt zwar viele schöne Momente im Leben, wenn man einen sportlichen, beruflichen oder privaten Erfolg hat, aber es sind nur kurze, vergängliche Momente; im Grunde sehnt man sich nach einer bleibenden Erfüllung, und allmählich merkt man, dass diese ausbleibt.