Spitze, Tüll und Mr Right - Nicole S. Valentin - E-Book

Spitze, Tüll und Mr Right E-Book

Nicole S. Valentin

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Beschreibung

Hätte dieser arrogante Kerl die rote Ampel nicht übersehen und sich dann auch noch – zur Wiedergutmachung – als edler Wohltäter aufgespielt, wäre Franziska Mölling nun nicht in der prekären Situation, Maximilian von Rothenburg auf das Weingut seiner Familie begleiten zu müssen – als dessen Freundin. Dass sie sich auf ihrer gemeinsamen Reise tatsächlich in dieses vermeintliche Gottesgeschenk an die Frauen verliebt, konnte sie schließlich nicht ahnen. Doch Franziska gelingt nicht nur der Blick hinter Max’ mühsam konstruierte Fassade, sondern sie lüftet zu allem Überfluss ein Geheimnis um seine Familie, das sie auf der Stelle wieder vergessen möchte. Denn ausgerechnet das wird sie nicht mit Max teilen können …

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Nicole S. Valentin

Spitze, Tüll und Mr Right

Liebesroman

Umschlaggestaltung: Casandra Krammer – www.casandrakrammer.de Korrektorat: Jeanine Ziebarth – http://kreativkorrektur.de1.Auflage, April 2021© 2021 Nicole S. Valentiin  Für Marcel Ein Stern am HorizontEin Schmetterling im FrühlingEin Licht im Dunkel  

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Epilog

Danke,

Leseprobe

Impressum

Prolog

~oOo~

Max sieht auf die Uhr am Armaturenbrett, stößt einen wilden Fluch aus, während er in der Innentasche seines Jacketts nach seinem Handy kramt. Die verflixte Gegensprechanlage funktioniert mal wieder nicht, da er vergessen hat, Bluetooth zu aktivieren, und dieses Mistding hat sich im Stoff verhakt.

Er hätte einfach im Bett bleiben sollen.

Ein süffisantes Grinsen schleicht sich in sein Gesicht.

Es war nicht sein Bett, in dem er heute erwacht ist.

Auch wenn ihm der Name der Dame nicht mehr wichtig ist, ihre Rundungen sind ihm noch sehr wohl in Erinnerung.

Jetzt müsste er sich unbedingt im Hotel melden, Bescheid geben, dass er sich verspätet, aber das vermaledeite Telefon hängt irgendwo in seiner Jacke fest. „Verdammte Scheiße, jetzt komm doch …“ Ein Hupkonzert hinter ihm zwingt ihn, auch die zweite Hand wieder auf das Lenkrad zu legen und den Blick auf die Straße zu richten, nur um unmittelbar in die Bremsen zu steigen.

Er hat die rote Ampel übersehen.

Das Gesicht vor der Windschutzscheibe ist jung, zu sehr geschminkt und die Lippen sind zu einem tonlosen Oh geformt.

Als er knapp vor ihr zum Stehen kommt, schlägt das Mädchen mit den Handinnenflächen auf die Motorhaube seines Lexus’ und stiert ihn mit schreckgeweiteten schwarzumrandeten Augen an, ehe sie aus seinem Sichtfeld verschwindet.

Max’ Blut rauscht hinter seinen Ohren und kalter Schweiß bricht ihm aus, als er sich abschnallt und hektisch sein Auto verlässt.

„Hey, ist alles in Ordnung mit dir?“

Das Mädchen sitzt auf der Straße, mit angezogenen Knien, und giftet ihn an, als er sich neben sie hockt, um sich zu vergewissern, dass sie nicht verletzt ist.

„Na klar. Es ging mir noch nie besser. Müsst ihr Scheißtypen mit euren Bonzenschleudern neuerdings nicht mehr auf die Straßenverkehrsordnung achten, oder was?“ Sie schiebt seine helfenden Hände von sich und steht umständlich auf. Unter anderen Umständen hätte er das Kind darauf hingewiesen, dass es sich ein wenig im Ton vergriffen hat, aber hier ist er wohl derjenige, der sich entschuldigen sollte. „Ich habe dich nicht gesehen, es tut mir leid.“

„Sach an, tatsächlich?“ Eine Zornesfalte erscheint auf ihrer Stirn, als sie sich die schwarze Jeans abklopft. „Da wäre ich gar nicht allein draufgekommen. Ich lass mich nämlich gern überfahren.“

Sie inspiziert die Ellbogen ihrer Ärmel, als er das riesige Loch im Stoff ihrer Hose entdeckt. Direkt über ihrem Knie. Verschämt deutet er darauf. „Ich kaufe dir eine Neue.“

Sie bedenkt ihn mit einem vernichtenden Blick, ehe sie seinem Fingerzeig folgt und ihr Bein betrachtet. „Die ist so, Schlaumeier. Mit Loch war sie günstiger.“ Sie verdreht die Augen. „Mir fehlt nichts. Du kannst wieder in deine beschissene Karre steigen.“ Sie nickt in Richtung seines Wagens, hinter dem sich bereits eine ansehnliche Schlange gebildet hat. Fußgänger bilden eine Traube am Fußgängerüberweg und beobachten die groteske Szene.

Teils kopfschüttelnd, teils schadenfroh.

Etwas hilflos kratzt Max sich über den Hinterkopf. „Wo musst du denn hin? Dann bringe ich dich.“

Sie lacht verächtlich auf. „Du glaubst doch nicht, dass ich in dein Auto steige, oder?“

Langsam verliert er die Geduld mit dem verzogenen Gör. Er streckt den Rücken durch, als ihm bewusst wird, dass er mit Freundlichkeit nicht weiterkommt. „Du steigst augenblicklich in das Auto. Entweder bringe ich dich ins nächste Krankenhaus, um sicherzugehen, dass du tatsächlich unverletzt bist, oder ich fahre dich nach Hause.“ Seine Stimme hat einen bedrohlichen Ton angenommen. Er kann Kinder eigentlich gut leiden, wenn sie sich zu benehmen wissen. Aber dieser Teenager gehört ganz offensichtlich nicht in diese Kategorie. Zumal sie Anstalten macht, sich die Kopfhörer wieder in die Ohren zu stöpseln, die aus ihrem Jackenkragen hängen.

Demonstrativ stellt sie die Musik derart laut, dass sogar er das Gebrülle hören kann, das nunmehr ihre Ohren beschallt.

Mit einem spöttischen Blick fährt sie sich durch das schwarz gefärbte Haar und streckt ihm den Mittelfinger entgegen, als sie ihren Weg ohne ihn fortsetzt.

Und Max steht wie ein Idiot auf dem Fußgängerüberweg und kann ihr nur hinterhersehen.

So ein Früchtchen.

„Machen Sie sich nichts daraus. Die kleine Mölling ist, wie sie ist.“ Eine ältere Frau läuft an ihm vorbei, um ebenfalls die Straße zu überqueren, nicht ohne ihm verständnisvoll auf den Oberarm zu klopfen.

Erstaunt sieht er sie an. „Sie kennen das Mädchen?“ Ein Nicken, dann geht sie weiter. Er hadert mit sich. Soll er einfach wieder einsteigen und weiterfahren? Die Ampel steht für die Autofahrer erneut auf Rot, also nimmt er die Verfolgung auf. „Entschuldigen Sie bitte, aber Sie wissen nicht zufällig, wo sie wohnt? Dann könnte ich mich später selbst davon überzeugen, dass es ihr gut geht.“ Etwas skeptisch betrachtet sie ihn von oben bis unten, ehe sie antwortet. „Na ja, es wäre sicherlich nicht das Schlechteste, wenn Sie Franziska davon erzählen, was Marie so treibt.“ Die Frau atmet tief ein. „Wo sie wohnt, weiß ich leider nicht, aber das Brautmodengeschäft der Möllings ist die Straße runter, auf der linken Seite. Eigentlich können Sie es nicht verfehlen.“ Dann wendet die Frau sich ab.

Und er widmet sich dem ungeduldig hupenden Verkehr, indem er sein Auto endlich fortbewegt.

~oOo~

Kapitel 1

„Finden Sie nicht auch, dass das Kleid zu sehr aufsetzt? Ich sehe fett darin aus.“ Die zukünftige Braut dreht sich vor dem Spiegel, der Tüll des Unterrockes raschelt, während ihre Brüste den Anschein erwecken, als wollten sie lieber aus dem Mieder heraus als hinein.

Sie sieht aus wie das Sahnebaiser auf der Hochzeitstorte.

Aber zumindest scheint sie ihre Augen nicht davor zu verschließen. Ich hasse es, wenn Frauen sich für ihren Tag der Tage einbilden, über Nacht in eine Kleidergröße 36 zu passen, obwohl sie in einer Kleidergröße 38 einer Prinzessin sehr viel näherkommen würden.

Und bei Frau Kreutzer wäre wohl eine Größe 44 angebracht.

Und ganz sicher kein Herzbustier.

Oder – Gott bewahre – ein Meerjungfrauenschnitt.

Meine Mitarbeiterin und beste Freundin Susanne wirft mir einen amüsierten Blick zu. Es ist ein schmaler Grat, auf dem ich mich bewege.

Immerhin ist die Hochzeit der große Tag der Braut. Sie muss sich wunderschön und sexy fühlen. Und wenn das eben in einem zu kleinen oder unvorteilhaften Kleid passiert, muss ich lächeln und es für gut befinden.

Doch hier habe ich offensichtlich noch ein Mitspracherecht.

„Nun ja, darf ich ehrlich sein?“ Ihre riesigen Augen sehen mich auffordernd an. „Es schmeichelt Ihnen nicht sonderlich. Aber meine Vorschläge haben Ihnen nicht gefallen, Frau Kreutzer. Warten Sie noch einen Moment, vielleicht sollten Sie sich das Kleid wenigstens ansehen, das mir für Sie vorschwebt. Wirklich, es ist wie für Sie gemacht und liegt sogar im Budget.“ Ich drehe ihr den Rücken zu, atme tief in den Brustkorb. Heute fühle ich mich so gar nicht nach Brautkleid. Es ist mal wieder einer dieser Tage, an denen man lieber im Bett bleiben sollte.

ICH hätte lieber im Bett bleiben sollen. Einfach mal die Vorhänge zuziehen und unter der Bettdecke verkriechen, bis es draußen dunkel wird.

Denk an Sina. Du tust das nur für Sina, Franziska.

Ich ziehe die Schutzhülle meines Brautkleid-Favoriten von der Stange. Dieses Kleid hat kleine Ärmelchen, statt eines Bustiers ein ausgearbeitetes Oberteil und besticht durch seine dezente Perlenstickerei. Aber vor allen Dingen hat es durch die A-Form die Gabe, Problemzonen einfach wegzuzaubern. Es schenkt eine lange Silhouette und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Gesicht der Braut. Zudem ist der Rock ordentlich berüscht, wie Frau Kreutzer es gern hätte.

Mit einem angestrengten Lächeln reiche ich Susanne den Traum aus elfenbeinfarbenen Satin und hoffe, dass es Frau Kreutzer ebenso gut gefällt, wie es mir an ihr gefallen wird.

An meine Kundin gerichtet gebe ich mich gewohnt professionell. „Bevor Sie etwas dagegen sagen, probieren Sie es erst mal an. Wir können es noch entsprechend ändern, sollte es zu lang oder zu weit sein. Und ich habe einen wunderschönen Petticoat aus Tüll, der perfekt dazu passt.“

Ihr Blick wirkt äußerst skeptisch, aber sie nickt.

Sie hat niemanden mitgebracht, der ihr bei der Auswahl behilflich ist, was an sich schon traurig ist und wirklich äußerst selten vorkommt.

In der Regel bevölkern beste Freundinnen, Mütter und Schwiegermütter neben der Braut mein Geschäft. Eine jede mit einer anderen Meinung und einem eigenen Geschmack.

Daher muss ich in diesem Fall besonders sensibel mit der Braut umgehen.

„Das ist Ihr Kleid, Frau Kreutzer, glauben Sie mir.“ Ich lege die notwendige Entschlossenheit in meine Stimme.

„Ich kann es ja wenigstens mal anziehen, nicht wahr?“ Ergeben klettert meine Braut in spe vom Podest, den ich vor einen ausladenden Spiegel gestellt habe.

Ich bete, dass sie nicht über den Saum des sündhaft teuren Kleides fällt oder gar die Spitze zerreißt, sollte sie sich nicht von allein aus dem viel zu engen Mieder befreien können. Ich gebe Susanne ein Zeichen, die ihr sofort helfend unter die Arme greift.

Seufze erleichtert auf, als sich die beiden Frauen in die Umkleidekabine zurückziehen. Selbstverständlich nicht, ohne dass sich Frau Kreutzer ein weiteres Gläschen Champagner gönnt, den wir kostenlos zur Verfügung stellen.

Manchmal hege ich den Verdacht, dass sich manche Damen einen Spaß daraus machen, unzählige Brautkleider zu probieren und sich zu betrinken, nur um dann einfach wieder zu entschwinden, ohne sich für eines der Kleider zu entscheiden.

Aber so ist das Geschäft, das gehört zum Service dazu.

Und meine Schwester Sina ist … war eine hoffnungslose Romantikerin. Niemals würde ich diese kleine Geste des Hauses aus dem Angebot nehmen oder den Champagner gegen einen Prosecco tauschen.

Franziska, wenn sich eine Frau ein Brautkleid kauft, weil sich ein Mann für sie entschieden hat, dann hat sie sich auch einen ordentlichen Champagner verdient.

Mein dezenter Hinweis, dass sich die Frau auch für den Mann entscheiden muss und ein guter Prosecco es auch tun würde, hat sie lediglich mit einem Schulterzucken quittiert und grinsend meine Wange geküsst.

Heute stelle ich ihre Entscheidung nicht mehr infrage.

Es ist, wie es ist, weil es eben Sinas Wunsch gewesen ist.

Wie alles in meinem Leben richte ich es nach ihren Wünschen aus. Immerhin darf ich leben. Somit ist der Champagner nur ein kleines Opfer, welches ich zu bringen habe.

Und eben aus diesem Grund genehmige ich mir selbst ein Gläschen.

Jetzt in diesem Moment, da in der Umkleidekabine gekichert wird.

Jetzt in diesem Moment, da Sina so präsent für mich ist.

Jetzt in diesem Moment, da ich in dem riesigen Spiegel einen Blick auf mich selbst erhasche.

Eine desillusionierte ehemalige Tänzerin, die mit dem Brautladengeschäft ihrer Schwester krampfhaft versucht, den kläglichen Rest ihres Lebens … Maries Leben einigermaßen erträglich zu gestalten.

Was, in Gottes Namen, hast du dir nur dabei gedacht, du sentimentale Ziege?

Ich kippe den Schampus ziemlich respektlos in einem einzigen Zug hinunter, als die zierliche Türklingel eine weitere Besucherin ankündigt.

Erschrocken fahre ich zusammen, verschlucke mich hustend und kann überhaupt nichts gegen die Tränen tun, die mir in die Augen schießen.

Genau so sieht sie aus … die Frau, von der ich mein Brautkleid kaufen möchte, Franziska. Die Frau, die mich in einen Männertraum verwandelt … Wie eine keuchende, tränenverschmierte Säuferin.

Noch ehe ich den Blick gen Tür richte, versuche ich zuerst, mich wieder zu fangen. Hebe entschuldigend eine Hand hinter meinem Rücken in die Luft und ringe nach Sauerstoff. Wische die Tränen von meinen Wangen und entsorge das leere Glas in einer Nische meiner Regale mit den Brautschuhen, ehe ich mich umdrehe, um die Kundin zu begrüßen.

Und mir stockt der Atem.

~oOo~

Max versucht sich ein Grinsen zu verkneifen. Dieser Hustenanfall ist filmreif.

Ein Rotschopf wedelt mit einer Hand in der Gegend herum, versucht vergeblich, eine Sektflöte vor seinen Augen verschwinden zu lassen.

Sollte das die Mutter der Rotznase von heute Mittag sein, braucht sich niemand mehr darüber zu wundern, dass es mit der Jugend immer mehr den Bach runtergeht.

Na ja, eine nette Figur hat sie … zumindest was er von ihrer Kehrseite sagen kann.

Der Arsch ist klein, die Taille schmal, endlos lange Beine.

Allerdings trägt sie diese flachen Schuhe … Ballerinas nennt man sie wohl. Er ist der Meinung, man sollte Frauen diese Schuhe verbieten. Zumindest Frauen mit solchen Beinen.

Und dann dreht sie sich um, sieht ihn an. Und er wünschte, er könnte die Farbe ihrer Augen trotz der Entfernung zwischen ihnen erkennen. Sommersprossen tanzen über ihr Gesicht und sie sieht definitiv zu jung aus, um bereits Mutter eines Teenagers zu sein. Er bemerkt die Überraschung, die ihr förmlich ins Gesicht geschrieben steht.

„Oh je, Sie sind zu früh. Ihre Verlobte probiert noch ein Kleid an. Vielleicht sollten Sie lieber vor der Tür warten?“

Seine Verlobte? … Vor der Tür? …

Dann hört er das Gekicher aus dem hinteren Teil des Geschäfts. Seine Mundwinkel ziehen sich unweigerlich nach oben. Klar, aus welchem anderen Grund sollte sich ein Mann schon in ein Brautgeschäft verirren, als um zu bezahlen?

Lächelnd macht Max einen Schritt auf sie zu. „Ich fürchte, da liegt ein Irrtum vor. Ich wollte wissen, wie es Ihrer …“

In diesem Moment betreten zwei weitere Frauen giggelnd den Raum und der Rotschopf wird plötzlich hektisch. „Frau Kreutzer, warten Sie einen Moment. Ich muss zuerst Ihren Verlobten nach draußen begleiten. Er darf doch das Kleid noch nicht sehen.“

Besagte Frau Kreutzer wird auf ihn aufmerksam. Er schenkt ihr sein schönstes Zahnpastalächeln und kann der Röte regelrecht dabei zusehen, wie sie von ihrem Dekolleté Besitz ergreift, während die Rothaarige die zukünftige Braut zielstrebig wieder in den Hintergrund zu drängen scheint. Eine Blondine fischt nach der ausladenden Schleppe, damit niemand darüber stolpern kann.

Was für ein törichter Gedanke zu glauben, er wäre in irgendeiner Form, Art oder Weise mit dieser Frau verbunden.

„Das ist nicht mein Verlobter, Frau Mölling.“ Frau Kreutzer linst über die Schulter der Besitzerin des Ladens, um noch einen Blick auf ihn zu erhaschen, und er widersteht dem Drang, seine Augenbrauen mit den Fingern nachzufahren. Einfach nur mal so, um zu sehen, wie die Damen reagieren.

Die Blondine mustert ihn zumindest interessiert, die Schleppe noch immer in der Hand.

„Ach nein? Aber warum …?“ Fragend wendet sich Frau Mölling wieder in seine Richtung, gibt die etwas korpulente Frau frei, die unverzüglich an ihr vorbeirauscht, mit einem Ruck das Kleid aus den Händen der dritten Frau befreit, um ein Podest vor dem ausladenden Spiegel in der Mitte des Raums zu ersteigen. Er geht davon aus, dass sie diesen fraglos besten Platz in Beschlag nimmt, um die Szenerie überblicken zu können.

„Sie haben mich ja nicht ausreden lassen.“ Amüsiert steckt er die Hände in die Hosentaschen seiner Stoffhose. Was für ein Hühnerstall. „Ich hatte heute Morgen einen Zusammenstoß mit einem jungen Mädchen, das wohl irgendwie zu diesem Laden zu gehören scheint. Zumindest sagte man mir das.“ Ihre Augen sind grün. „Und jetzt wollte ich mich lediglich nach ihrem Befinden erkundigen.“ Max zuckt mit den Schultern, wagt sich einen weiteren Schritt vor.

„Mit Marie? Ist alles in Ordnung mit ihr? Was hat sie denn jetzt wieder angestellt?“ Ihm entgeht der leicht resignierte Unterton in ihrer Stimme nicht.

„Ich fürchte, ich habe etwas angestellt. Sie ist mir vor das Auto gelaufen …“

„Vor das Auto? Um Gottes willen.“ Frau Mölling läuft um eine Theke herum, greift nach einem Telefon, wählt eine Nummer. „Aber davon hat sie mir gar nichts erzählt. Geht es ihr gut?“ Noch während sie darauf wartet, dass man das Telefonat bestätigt, trifft ihr ängstlicher Blick den seinen und Max’ Nackenhaare stellen sich senkrecht.

Fast tut es ihm leid, dass er sie damit derart überfallen hat. Er nimmt die Hände aus den Taschen, versucht sich in einer beruhigenden Geste. „Ja, es ging ihr gut. Sie ist direkt weitergelaufen, nachdem sie mich liebreizend darauf hingewiesen hat, dass ich mich zum Teufel scheren soll.“

Wieder ein Blick aus diesen moosgrünen Augen, dann konzentriert sie sich auf das Telefonat. „Marie, ich bin´s. Hier steht ein Mann, der behauptet, du wärest ihm vor das Auto gelaufen.“ Sie sieht aus dem Fenster, zieht ihre Stirn kraus. „Aha. Ja. Und wie geht es dir?“ Ihre Besorgnis lässt sich so gar nicht in Einklang bringen mit dem bitterbösen Blick, den sie in seine Richtung verschießt. „Dann ist es ja gut. Ich hatte schon Angst … nein, wir sehen uns nachher zu Hause. Komm nicht so spät.“ Das Gespräch ist beendet und ihre Augen versprühen grüne Funken. „Sie ist Ihnen also vor das Auto gelaufen, he? Wie interessant. Oder war es nicht vielleicht doch eher so, dass Sie eine rote Ampel überfahren haben?“

„Ich habe mich dafür entschuldigt und wollte Sie nach Hause bringen …“

„Wie ritterlich.“

„Sie hat mir den Mittelfinger gezeigt. Das spricht nicht unbedingt für eine gute Erziehung.“

Dass er einen Schritt zu weit gegangen ist, wird ihm augenblicklich klar, als sich Frau Mölling vor ihm aufbaut und ihren Finger in seine Brust bohrt. „Ach, und Sie haben Ihren Führerschein in einer Tombola gewonnen? Rot ist immer im oberen Bereich einer Ampel. Das kann man sich sogar bei einer Rot-Grün-Schwäche merken.“ Sie schnaubt abfällig. „Ich hätte Ihnen noch etwas ganz anderes als nur den Mittelfinger gezeigt, seien Sie sich da sicher.“

Abwehrend greift er nach ihrem Finger, hält ihn fest. „Hören Sie, ich wollte nur …“ Doch Frau Mölling hört ihm gar nicht zu, blickt fassungslos auf seine Hand, die die ihre umfasst. Er lässt sie los, als hätte er sich daran verbrannt.

Sie leckt sich über die vollen Lippen. Er folgt der Bewegung ihrer Zunge, sein Puls erhöht sich merklich. Sie sieht ihn nicht an, aber ihre Stimme klingt belegt, als sie die Hand zurückzieht und auf den Verkaufstresen deutet. „Lassen Sie Ihre Versicherungskarte hier. Ich habe zu arbeiten.“

Damit lässt sie ihn stehen und kümmert sich um ihre Kundin, die sie beide nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen hat.

~oOo~

Was, bitte, war denn das?!

Mir ist mit einem Mal unglaublich heiß und das hat mit Sicherheit nichts mit dem Schlückchen Alkohol zu tun, den ich mir vor seinem Erscheinen gegönnt habe.

Widerlich groß, unverschämt gut aussehend, widerwärtig arrogant und fährt meine Nichte mit seinem Auto an! Er besitzt doch tatsächlich die Frechheit, ihr dafür auch noch die Schuld in die Schuhe zu schieben. Sie ist mir vor das Auto gelaufen …, dass ich nicht lache!

Ich weiß schon, warum ich keinen Wert auf einen Kerl in meinem Leben lege. Sie halten sich allesamt für Gottes Geschenk an uns Frauen.

Und dieser offensichtlich im Besonderen.

Mit seinen dunklen Haaren, die ihm in den Nacken fallen. Diesen fast schwarzen Augen und einem Ohrloch für einen Ohrring … wo gibt es denn das noch, bitte?

Sicher, Schatz, wenn nicht du … wer dann?

Frau Kreutzer hat er jedenfalls über die Maßen beeindruckt, wie mir scheint. Sie fährt sich pausenlos durch die Haare, blinzelt unentwegt und klimpert mit ihren Wimpern.

Wenn ich nicht genau wüsste, dass ich es mit einer erwachsenen Frau zu tun habe, würde ich auf pubertäre Hormone tippen.

Dieser blasierte Fatzke scheint sich auch noch einen Spaß daraus zu machen, derart attraktiv auf Frauen zu wirken.

Dabei wirkt sein Lächeln einfach nur albern. Er sollte sich vielleicht selbst mal dabei beobachten. Pah.

Ich sehe ihn bildlich vor mir, wie er allmorgendlich sämtliche Facetten seiner Gesichtszüge vor dem Badezimmerspiegel perfektioniert.

Das kostet mich lediglich ein müdes Gähnen.

Das habe ich perfektioniert, mein Freund.

Viel schlimmer ist jedoch die Tatsache, dass er den Laden nicht verlässt. Er folgt meiner Beratung, hängt an meinen Lippen, als würde ich ihm das Kleid verkaufen wollen. Lässig lehnt er gegen ein Regal, beobachtet uns interessiert.

Mir platzt gleich der Kragen.

Und Susanne? Anstatt sich auf das Kleid zu konzentrieren, hat sie nur Augen für diese einzige Hose im Raum. Ich hatte heute genügend Testosteron in meinem Laden.

Unwillig schenke ich dem Kerl noch einmal meine Aufmerksamkeit. „War noch etwas, Herr …?“

„… Rothenburg. Und nein, es ist nichts mehr. Ich höre Ihnen einfach gern zu, Frau Mölling.“ Sein Lächeln bringt meine Kundin anscheinend zum Schmelzen.

Er macht einen Schritt nach vorn und besitzt tatsächlich die Impertinenz, noch eins draufzusetzen. Anerkennend lächelt er Frau Kreutzer an. „Sie sehen wunderschön aus, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf. Ihr Verlobter ist ein glücklicher Mann.“

Ein verzücktes Oh lässt mich ein wenig am Verstand meiner Kundin zweifeln. Sogar ihre Ohren leuchten mittlerweile blassrosa und ich würde Rothenburg am liebsten mit irgendetwas bewerfen, damit er endlich den Laden verlässt.

Selbst Susanne spitzt verzückt die Lippen.

Man könnte glatt auf die Idee kommen, sie sei schüchtern. Ich verdrehe innerlich die Augen.

Er stört meine Ruhe empfindlich. Und das kann ich überhaupt nicht gebrauchen.

~oOo~

Max ist noch nicht bereit zu gehen. Irgendetwas hindert ihn daran. Vielleicht ist es nur ein Vorwand, aber er möchte der Ursache auf den Grund gehen, warum sich sein Puls erhöht, nur weil er diese Frau berührt hat. Oder warum sie plötzlich derart einsilbig ist. „Ich möchte mich gern selbst davon überzeugen, dass es Marie gut geht.“

Der Rotschopf schnappt in seine Richtung. „Ich denke, das wird nicht nötig sein. Sollte meine Nichte bleibende Schäden zurückbehalten, werde ich das mit Ihrer Versicherung klären.“

Ihre Nichte also …

„Leider habe ich die Daten nicht im Kopf. Das bedeutet wohl, ich muss doch noch einmal wiederkommen.“ Ohne ihr die Chance einer Antwort einzuräumen, verlässt er das Brautmodengeschäft. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln begibt er sich zu seinem Wagen, verstaut die Versicherungskarte zurück ins Handschuhfach. Er konnte es nicht übers Herz bringen, diese ohne Weiteres zu übergeben.

Nein, Frau Mölling braucht definitiv nicht nur seine Versicherungsdaten.

~oOo~

Kapitel 2

Ich schütte die Nudeln ab und lasse den Topf samt Inhalt scheppernd in die Spüle fallen, als mir das kochende Wasser über die Fingerspitzen läuft.

„Verdammter Mist, verflucht noch mal!“ Schnell halte ich die verbrühte Hand unter fließend kaltes Wasser, ungeachtet der Tatsache, dass die Nudeln nun überall verteilt sind.

Susanne erscheint im Türrahmen und schiebt mich zur Seite, um sich einen Überblick über die Sauerei zu verschaffen, die ich veranstaltet habe.

„Himmel, Ziska, geh aus der Küche. Ich räume hier schon auf.“ Die tiefe Falte zwischen ihren Augen verrät mir die Anstrengung, mit der sie versucht, nicht gänzlich aus der Haut zu fahren.

Aber auch ich muss mich beherrschen, um nicht an die Decke zu gehen. „Nein, ich kriege das auch allein hin. Du musst mich nicht immer retten.“ Ich presse meine Lippen fest aufeinander. Meine Finger pochen und Tränen schwimmen in meinen Augen.

„Doch. Anscheinend bin ich die Einzige, die dich überhaupt noch retten kann. Vor dir selbst, wie mir scheint, denn das ist momentan am dringendsten.“ Sie funkelt mich durch graue Augen an und ich gebe nach.

„Ich geh duschen.“

„Das ist eine gute Idee. Danach schmeißt du dich in einen Fummel und wir gehen tanzen.“ Sie wirft die Nudeln von der Spüle in das Sieb, nur um dieses im Abfalleimer zu entleeren.

„Hey, man kann sie noch essen.“ Entsetzt trete ich den Rückzug an, versuche sie daran zu hindern. „Sie lagen doch nur in der Spüle. Und die ist sauber.“

„Wir essen heute keine stärkehaltigen Kohlenhydrate. Zumindest nicht, bevor wir mindestens vier Stunden getanzt haben.“

„Ich gehe nicht tanzen, Suse. Auf keinen Fall.“

„Aber selbstverständlich wirst du mit mir tanzen gehen. Heute wäre dein vierter Hochzeitstag. Und dass du Adrian nicht geheiratet hast, muss einfach gefeiert werden. Standesgemäß mit lauter Musik und jeder Menge Tequila.“

Es ist Samstagabend. Das Geschäft ist morgen zu. Ich weiß, sie wird keine weiteren Ausflüchte von mir dulden. Dennoch versuche ich es erneut. „Aber Marie …“

„… wird heute nicht hier übernachten. Ich habe sie ausquartiert. Natürlich erst, nachdem ich mich persönlich davon überzeugt habe, dass es ihr gut geht und sie keine Verletzungen durch den Unfall davongetragen hat.“ Siegessicher grinst sie mir ins Gesicht. „Du siehst, es gibt einfach keine Ausreden, die ich gelten lassen kann. Geh also ins Bad und brezel dich auf. Du hast ein Date mit mir. Wer braucht schon einen Ehemann, um einen anständigen Hochzeitstag zu feiern?“

Ich denke nur noch selten an Adrian, meinen ehemaligen Tanzpartner und Verlobten, der gar nicht schnell genug das Weite suchen konnte, nachdem ich ihm eröffnet hatte, dass ich die Verantwortung für meine Nichte übernehme und mit dem Tanzen aufhören würde. Ich bin nur froh, dass das alles vor der Hochzeit mit ihm passiert ist. So konnte ich die Einladungen wieder abbestellen und stattdessen Umzugskartons packen.

Feiern wir also meinen Nicht-Hochzeitstag. Ich ergebe mich meinem Schicksal. Was bleibt mir auch anderes übrig?

Das Taxi hält vor dem Levantehaus. Ich blähe meine Wangen auf. „Hier willst du rein? Scheiße, das kostet uns die Einnahmen eines ganzen Monats, Suse.“

Meine Freundin hat eindeutig einen Knall. Nicht nur, dass der Laden sauteuer ist, nein, ohne Member kommt man gar nicht erst rein.

Jetzt wird mir zumindest klar, warum ich mich derart aufhübschen musste.

Meine erste Wahl, eine enge Jeans und ein Seidentop, wurde unverzüglich moniert.

Nun schäle ich mich also im kleinen – klitzekleinen – Schwarzen aus dem Taxi und krame in meinem Gedächtnis nach den Geldmitteln, die uns für den heutigen Abend zur Verfügung stehen.

„Beruhige dich, Ziska, Hannes lädt uns ein.“ Sie kichert. Ich merke, wie sehr sie sich auf den Abend freut. Ihre Augenbrauen tanzen durch ihr Gesicht, als sie sich verschwörerisch unterhakt und mich zum Eingang zerrt.

Hannes ist Susannes On-off-Beziehung. Er hat genügend Geld an den Füßen, um zwei Mädchen wie uns durchaus mal auszuhalten. Eigentlich entspricht das nicht meinem Charakter, aber Suse zuliebe spiele ich mit. Ich werde einfach von vornherein klarmachen, dass ich meine Getränkerechnung selbst übernehme. Dann habe ich zumindest nicht das Gefühl, ihr Lover hält mich bei Laune, damit er sie heute Nacht abschleppen kann. Das wird er sowieso tun – und ich komme erst gar nicht in Versuchung, mich sinnlos zu betrinken.

Das könnte ich mir in diesem Schuppen gar nicht erlauben.

Augen zu und durch, Franziska. Auch diese Nacht geht irgendwann vorüber …

Der männliche Einbauschrank an der Tür mustert uns kurz, nickt aber zustimmend, als Susanne ihm Hannes Namen nennt.

Und schon sind wir drin.

Es dauert nicht lange, bis ich mich ein wenig von ihrer Aufregung anstecken lasse. Wir waren lange nicht tanzen.

Ich habe lange nicht mehr getanzt.

Aber hier gibt es keine Barre und ich habe eindeutig die falschen Schuhe an für ein Fouetté en tournant oder ein Grand jeté.

Ich schüttele die Gedanken ab. Hier ist kein Platz für Klassik.

Im Gegenteil.

Die Bässe wummern durch meinen Körper und plötzlich kann ich es nicht mehr abwarten, endlich die Tanzfläche zu erobern.

Ungeduldig warten wir darauf, dass die Garderobe unsere Jacken sicher verstaut.

Suse ist ein Genie. Niemals wäre ich von allein auf die Idee gekommen, den Abend anders zu verbringen, als selbstmitleidig vor dem Fernseher zu versauern, nur um anschließend noch deprimierter in mein Bett zu kriechen.

„Komm, wir holen uns zuerst etwas zu trinken.“ Meine beste Freundin zerrt mich hinter sich her, an der Cocktailbar vorbei.

„Warte, hier bekommen wir doch …“ Ich deute auf die Bar, aber sie schüttelt den Kopf, zieht mich weiter.

„Heute gibt es Schampus, mein Herz. Und nicht das Gesöff aus dem Laden.“ Sie schreit mir nahezu ins Gesicht, um die Lautstärke der Musik zu übertönen.

Na gut, ein Gläschen kann ich mir sicher auch leisten.

Dieser Club hat eine eigene Bar für die champagnertrinkende Gemeinde. Und dieser Schampus ist einige Klassen besser und auch teurer als der, den ich selbstlos im Geschäft anbiete. Ich überschlage gedanklich erneut meine Geldreserven.

Suse bestellt uns zwei Gläser und während wir warten, strahlt sie über das ganze Gesicht. Wippt mit den Füßen zum Beat von The Weeknd´s Save your tears und blickt sich um. „Da ist Hannes.“ Unkoordiniert winkend stößt sie fast die Gläser um, die der nette junge Mann hinter der Theke zu unserer Verfügung gestellt hat, nachdem Suse ihm die silbernen VIP-Karten vor die Nase gehalten hat.

Ich frage sie erst gar nicht, wie lange sie diese schon mit sich rumträgt, geschweige denn, dass ich wissen möchte, was die Dinger gekostet haben. Ich rette lediglich mein Getränk vor ihren unkontrollierten Bewegungen und nippe an dem Moët Rosé.

Vorzüglich!

Hannes bahnt sich einen Weg zu uns und zieht meine Freundin in seine Arme. Küsst sie ziemlich leidenschaftlich auf den Mund und ich nehme direkt noch einen Schluck.

Nicht, dass ich neidisch wäre, aber den beiden beim Trockensex zusehen zu müssen, steigert meine Laune nicht unbedingt.

Nach gefühlten zehn Minuten Zungenkrieg begrüßt er mich flüchtig und flüstert Suse eine Schweinerei ins Ohr. Ich kann es nicht verstehen, allerdings spricht ihr Gesichtsausdruck Bände. Und seine Hand auf ihrem Hintern verrät mir den Rest.

Ich nehme direkt noch einen Schluck aus dem Glas und wünsche mich doch zurück nach Hause, vor den Fernseher.

Hier bin ich offensichtlich überflüssig. Das dritte Rad am Wagen zu sein, scheint mir nicht sonderlich erstrebenswert.

Ich drehe den beiden meinen Rücken zu und blicke direkt in die belustigten Augen des Barkeepers. Ziehe eine Augenbraue in die Höhe und proste ihm wortlos zu, ehe ich mein Glas gänzlich austrinke. Er schiebt mir unaufgefordert ein ordentlich gefülltes über den Tresen, beugt sich zu mir herüber. „Ab fünf Uhr habe ich frei.“

Ich nehme das Prickelwasser dankend entgegen. „Das ist aber schön für dich.“

Er lacht und wirft sich ein Tuch über die Schulter, und ich drehe mich wieder zu meiner Begleitung, stelle erleichtert fest, dass sie sich voneinander getrennt zu haben scheinen.

Für den Moment zumindest.

Susanne greift nach meiner Hand. „Komm, wir haben eine Lounge.“

Auch das noch.

„Suse, soll ich nicht lieber nach Hause fahren? Ihr habt euch anscheinend ziemlich lange nicht gesehen.“

Sie straft mich mit einem vernichtenden Blick. „Jetzt werde mal nicht komisch. Du hast noch nicht getanzt.“

„Du dafür schon umso intensiver.“ Ich sehe flüchtig auf Hannes Rückseite.

Sie sollten Geld von den Zuschauern verlangen.

Suse schnauft abwertend. „Warum so genierlich, du Nonne. Vielleicht sollten wir dir auch endlich mal was zum Fummeln suchen. Dir wächst ja noch das Jungfernhäutchen wieder zu, wenn du so weitermachst.“

Susanne Förster ist unglaublich feinfühlig und verständnisvoll. Ich habe ja solches Glück.

Allerdings lasse ich mich zu keiner Erwiderung herab. Suse ist der beste Mensch, den ich kenne. Trotz ihrer spitzen Zunge. Und tief in meinem Inneren weiß ich, dass sie recht hat. Ich lebe tatsächlich wie eine Nonne … wenn man die Geschichte mit Gott außer Acht lässt.

Ich arbeite und lebe enthaltsam. Ich sollte meinen Gynäkologen vielleicht wirklich mal nach dem Zustand meines Hymens fragen, wenn er das nächste Mal einen Blick darauf wirft.

Hannes führt uns zu den dunkelgrünen Lounge-Sofas und ich stelle mein Getränk auf den Tisch.

„Ich gehe auf die Tanzfläche. Wenn ihr euer Begrüßungsritual beendet habt, kommt einfach nach.“ Jetzt lasse ich sie stehen, spüre allerdings Suses Grinsen, welches mich begleitet.

~oOo~

Gelangweilt sieht Max sich um.

Er hätte nicht herkommen sollen. Janas Hand liegt besitzergreifend auf seinem Oberschenkel, während sie sich mit ihrer Freundin unterhält, die sich ihnen ungefragt angeschlossen hat.

Es ödet ihn an.

Diese Clubs haben nichts mehr zu bieten, was ihn interessiert. Vielleicht ist er wirklich schon zu alt für diesen Scheiß.

Philipp hat dem Partyleben schon vor langer Zeit den Rücken gekehrt. Noch bevor er seine jetzige Frau Hanna kennengelernt hat, mit der er zurzeit auf irgendeinem Luxusdampfer den Honeymoon zelebriert.

Aber Max hatte tatsächlich die Hoffnung, dass ihn dieser kleine Ausflug in Hamburgs Nachtleben von dem Stress der vergangenen Woche ablenkt. Immerhin hat er auch für die nächsten Tage noch die alleinige Verantwortung für das Hotel, das er mit Philipp gemeinsam führt.

Allerdings wäre ihm ein Bier zuhause auch ganz lieb, wenn er sich so umschaut.

Selbst seiner heutigen Begleitung kann er nichts Positives abgewinnen. Er trifft sie schon zu lange. Ihre falschen Brüste quellen aus dem hautengen Kleid heraus, lenken eindeutig zu viele männliche Blicke auf sich.

Max ist sich ziemlich sicher, dass der eine oder andere durchaus bereits weiß, wie sie nackt aussieht. Ihre Vita ist fragwürdig, doch bisher hat ihn das nie gestört.

Womöglich steckt er mitten in einer Midlife-Crisis.

„Ich hole mir ein Bier.“ Er stößt Janas Hand, gröber als ursprünglich gewollt, von seiner Hose, ignoriert ihren fragenden Blick. Max hat eine Lounge reserviert, Getränke kommen eigentlich an den Tisch.

Dennoch hat er das Bedürfnis, sich die Beine zu vertreten.

Vielleicht sollte er einfach verschwinden. Der Tisch ist bezahlt, für die Ladys gesorgt. Und nach Sex steht ihm auch nicht mehr der Sinn.

Er sollte wirklich einen Arzt aufsuchen.

In Gedanken an sein heimisches Sofa bestellt er sich ein Becks an der nächsten Bar und beobachtet die sich im Takt der Musik schlängelnden Körper der Frauen, während er einen tiefen Schluck aus seiner Flasche nimmt.

Vergisst fast das Schlucken, als sie ihm ins Auge fällt.

Sieh an, der Rotschopf.

Mit geschlossenen Augen wiegt sie ihre Hüften. Langsam und verführerisch. Die Hände tief in den langen Haaren vergraben, scheint sie alles um sich herum vergessen zu haben.

Lichtquader auf der Tanzfläche hüllen sie in ständig wechselnde Farb- und Lichtreflexe. Ihr rotes Haar leuchtet und er ist sich sicher, seit Langem nichts Sinnlicheres mehr gesehen zu haben als diese tanzende Frau.

Seine Eier beginnen anzuschwellen und Hitze kriecht über seine Wirbelsäule, bei dem Gedanken daran, wie sie sich wohl erst unter ihm winden würde.

Das Geheimnis, ob sie ein Höschen unter ihrem verdammt kurzen Kleid trägt, bringt sein Blut in Wallung.

Es sammelt sich eindeutig zu tief unter seiner Gürtellinie.

Er wirft einen Blick auf ihre Schuhe und grinst anerkennend. Die hohen Absätze stehen ihr umso vieles besser als diese flachen Kleinmädchenschuhe, die sie bei ihrem letzten Aufeinandertreffen getragen hat.

Definitiv Bett-Schuhe.

Der Kerl unmittelbar hinter ihr scheint ähnliche Gedanken mit sich herumzutragen, denn er tanzt unaufhaltsam in ihre Richtung, reißt sie aus ihrem tranceartigen Zustand, indem er ihre Hüften umfasst und seinen Schwanz an ihrem Hintern reibt.

Max’ Fingerknöchel treten um den Flaschenhals weiß hervor und er stellt das noch halb volle Bier lieber zurück auf die Theke, ehe es Scherben gibt.

Zielstrebig drängelt er Menschen aus dem Weg, ohne den Hurensohn aus den Augen zu lassen, der es wagt, eine Frau gegen ihren Willen derart zu bedrängen. Denn dass der Wichser ihr Einverständnis nicht hat, zeigt ihm Franziska Möllings Reaktion.

Sie zieht die deplatzierten Hände von ihrem Körper, versucht sich von ihnen zu lösen. Jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Wie eine Klette klebt er an ihrem Rücken, gibt sie nicht frei. Ihr wutverzerrtes Gesicht lässt keinen Zweifel, dass er wie gerufen kommt.

„Wenn du nicht augenblicklich deine Drecksfinger von mir nimmst, dann …“ Sie schreit ihrem Peiniger in die Ohren, was diesen nur noch mehr anzustacheln scheint. Jedoch bringt sie diese Drohung nicht mehr zu Ende. Franziska verliert fast das Gleichgewicht, als sich Max’ Finger in den Nacken des anderen schrauben, ihn von der Tanzfläche schleifen.

Das tut ihm leid, er wird sich später dafür bei ihr entschuldigen.

Die Hände wild durch die Luft fuchtelnd, versucht sich dieses kleine Dreckschüppengesicht aus dem eisernen Griff des wesentlich größeren Mannes zu befreien. Mit fragwürdiger Wirkung. Max befürchtet, dass er ihm das Genick bricht, sollte der Pisser nicht aufhören zu zappeln.

„Ey Mann, beruhig dich. Ich wollte ihr doch nichts tun.“ In einer abwehrenden Geste versucht er den Rücken durchzudrücken und Max’ abzuschütteln.

„Halts Maul, ehe ich mich vergesse.“ Mit mahlendem Kiefer zieht er ihn in Richtung Ausgang. Neugierige Augen folgen ihm, Gäste geben den Weg frei. Fast wehmütig übergibt er ihn dem Personal an der Tür.

Zu gern hätte er die Sache auf seine Weise erledigt. Aber hier ist nicht der richtige Ort. „Hier, kümmert euch um die Luftpumpe. Er kann seine Finger nicht bei sich behalten.“

Zum ersten Mal nimmt er das Gesicht des anderen wahr. Ein blonder Wicht mit schweißnassem Hemd und gegelter Föhnfrisur, der unverzüglich Hilfe suchend den Schutz der Security sucht, verzweifelt versucht, den Abstand zwischen Max und sich selbst zu vergrößern.

Doch die Rechnung hat er ohne Max gemacht. Dieser richtet sein nur leicht verrutschtes Hemd, ehe er sich zu seiner vollen Größe aufbaut und durch zusammengebissene Zähne einen letzten gut gemeinten Rat an den Mann bringt. „Sollte ich dich noch einmal hier erwischen, oder sonst irgendwo, werde ich dich nicht so liebevoll hinausbegleiten. Ich hoffe, du merkst dir mein Gesicht. Denn deines werde ich nicht vergessen.“

Aus dem Augenwinkel bekommt Max gerade noch mit, wie sich die Türsteher dieses Problems annehmen.

Dann macht er sich auf die Suche nach dem Rotschopf.

~oOo~

Kapitel 3

Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Mit zittrigen Knien verlasse ich die Tanzfläche. Bemerke die Blicke, die mir folgen.

Ich brauche unbedingt etwas zu trinken. Mein Hals ist völlig ausgetrocknet, meine Haare kleben unangenehm im Nacken.

Es hat einen Moment gedauert, ehe ich Rothenburg als meinen Retter erkannt habe.

Dieses Bild, wie er den widerlichen Typen im Genick hatte, werde ich mein Leben sicher nicht mehr vergessen.

Verdammt, ich konnte meinen Blick ja gar nicht von ihm nehmen.

Selbst in diesem diffusen Licht war die Statur seines äußerst ansprechenden Körpers sehr wohl zu erkennen. Und wenn mein ungeübtes Auge das schon feststellt, wie mag es wohl den ganzen Goldgräberinnen in diesem Club ergehen?

Denn machen wir uns nichts vor – die Hälfte der hier anwesenden holden Weiblichkeit ist doch nur auf der Suche nach einem reichen Gönner. Und Rothenburg ist mit absoluter Sicherheit ein Objekt der Begierde.

Wenn auch nicht meiner eigenen.

Es ist Zeit, die Flucht anzutreten, ehe er noch auf den dummen Gedanken kommt, die Lorbeeren für seine Liebenswürdigkeit einzufordern.

Es ist ja nicht so, dass ich ihm nicht dankbar wäre, dass er mich aus dieser brenzligen Situation befreit hat. Aber ich denke, sein Ego ist auch so schon groß genug. Und es gibt bestimmt genügend Frauen hier, die ihm seine Taten anständig vergelten.

Man muss ja nicht direkt jede Mode mitmachen.

Aber ich habe die Rechnung ohne Rothenburg gemacht.

Er ist in ein anregendes Gespräch mit Suse vertieft, die sich bereits suchend nach mir umsieht. Und mich selbstverständlich auch umgehend entdeckt, freudestrahlend auf mich zeigt.

Verfluchter Mist. Mir bleibt aber auch nichts erspart.

Unverzüglich setzt sich mein Ritter in Bewegung, kommt in geschmeidigen Schritten auf mich zu.

Er ist schon ein satter Anblick.

Rothenburg überragt den Großteil der hier anwesenden Herren. Seine dunkle Jeans schmiegt sich wie eine zweite Haut um seine wohlgeformten Schenkel, die Ärmel seines Hemdes lässig hochgekrempelt. Seine Haare sind eine Spur zu lang, aber das mindert seine Attraktivität nicht. Ganz im Gegenteil.

Männer tragen wieder kurz, also ein weiterer Punkt, der ihn vom herkömmlichen Fußvolk unterscheidet.

Sein sinnlicher Mund beginnt zu lächeln und ich lächle zurück, ohne großartig darüber nachzudenken.

Hervorragend, Franziska. Das ist wahrscheinlich genau die Zustimmung, die er braucht …

Ich beiße auf meine Zunge, verbiete mir das Lächeln.

„Es geht Ihnen gut.“ Eine simple Feststellung, die er selbstverständlich seiner Ritterlichkeit zuspricht. Dass ich zu ihm aufsehen muss, verursacht ein namenloses Kribbeln in mir, was mich gleichzeitig irritiert wie missgestimmt zurücklässt.

„Ja, vielen Dank. Es wäre allerdings nicht nötig gewesen, mir zu helfen. Das hätte ich durchaus allein geschafft.“

„Daran zweifle ich nicht eine Sekunde. Aber so waren Sie ihn schneller los.“ Sein Lächeln vertieft sich, lässt seine weißen Zähne im vagen Licht förmlich leuchten.

Ich schlucke hart. „Denken Sie jetzt bloß nicht, ich sei Ihnen etwas schuldig.“

„Nicht im Traum …“

„Gut. Und jetzt werde ich wieder an meinen Platz …“ Meine Hand deutet in die Lounge, ohne dass ich den Satz beende.

„Lassen Sie sich durch mich bitte nicht aufhalten.“ Doch er bewegt sich keinen Millimeter, was unweigerlich bedeutet, dass ich mich an ihm vorbeiquetschen muss, um zu Suse und Hannes zu gelangen.

Und er ist sich dessen bewusst, denn ich bemerke das verräterische Funkeln seiner Augen, während er auf mich herabsieht, die Daumen lässig in den Taschen seiner Hose verhakt.

Das hat er sich ja fein ausgedacht …

„Ziska, Hannes und ich hauen ab. Du bist ja in guter Gesellschaft, wie mir scheint.“

Ich habe die beiden nicht kommen sehen, doch Suse schlingt ihre Arme um meine Mitte und presst sich kurz gegen meinen Rücken. Ehe ich überhaupt reagieren kann, drückt sie mir einen Kuss auf die Wange. „Bleib ruhig noch. Ich habe dir die VIP-Karte in deine Handtasche gesteckt. Du kannst trinken, was immer du möchtest.“

„Was soll das heißen? Ihr haut ab? Wir sind doch eben erst gekommen. Und überhaupt … ich werde selbstverständlich nicht allein hierbleiben.“ Ich drehe mich in ihre Arme, betrachte sie fassungslos.

Ich habe ja damit gerechnet, dass Sie nicht mit mir nach Hause gehen wird, aber dass sie mich hier mitten in diesem überteuerten Club einfach stehen lässt, schlägt dem Fass den Boden aus.

„Aber du bist doch nicht allein.“ Sie grinst ziemlich frech in Rothenburgs Richtung, der lediglich eine Augenbraue in seine Stirn zieht.

„Susanne Förster, das kann doch nicht dein Ernst sein!“ Wäre ich meine Nichte, würde ich meine Krallen ausfahren und ihr die Augen auskratzen. Wie kann sie es wagen, mich erst dazu zu überreden, sie hierher zu begleiten, nur um mich dann einfach den Wölfen zu überlassen?

Gut, in meinem Fall ist es nur ein Wolf. Aber der reicht im Zweifel ja schon aus.

„Sei nicht so prüde, Ziska! Denk an dein Jungfernhäutchen.“ Sie zwinkert mir zu. „Ich rufe dich morgen früh an.“ Damit lässt sie mich einfach stehen.

Mein Gesicht wird mit einem Mal siedend heiß. Vermutlich leuchte ich schillernd rot, ebenso wie die Lichtquader auf der Tanzfläche. Ich schließe meine Lider, atme tief in den Brustkorb.

Das ist doch nur ein Traum. Ein fürchterlicher Albtraum!

„Subtilität ist nicht unbedingt die Stärke Ihrer Freundin, oder?“ Die Belustigung in Rothenburgs Stimme ist nicht zu überhören.

Wütend funkele ich ihn an. „Aber die Ihre, wie mir scheint!“

„O ja. Besonders in solchen Situationen. Ich könnte Ihnen auch gestehen, dass Sie wunderschön ausgesehen haben, wie sie sich völlig versunken in die Musik auf der Tanzfläche bewegt haben. Oder dass es mich rasend hat werden lassen, wie dieser Kerl sich an Sie rangemacht hat.“ Unschuldig zuckt er mit den Schultern und mir bleibt förmlich die Spucke weg. „Allerdings kennen wir uns noch nicht lang genug, um derart offen miteinander zu sprechen.“

Das hat er doch jetzt nicht wirklich von sich gegeben, oder?

Mir ist eindeutig der Schampus nicht bekommen.

Oder er hat vielleicht doch einen Schlag vor den Kopf kassiert …

Wie dem auch sei, ich werde der Ursache jetzt mit Sicherheit nicht auf den Grund gehen.

Nein, denn ich gehe nach Hause.

Unverzüglich.

Ohne Umwege.

Ich schnaube unwirsch und quetsche mich doch an ihm vorbei.

Spüre seinen durchdringenden Blick im Rücken.

Ein zartes Lächeln schleicht sich in mein Gesicht. Jetzt, da er es nicht sehen kann.

Oh ja, du bist mir auch aufgefallen, Rothenburg.

~oOo~

Max überlegt, ob er ihr anbieten soll, sie nach Hause zu begleiten. Allerdings ist er sich sicher, dass sie dieses Angebot rigoros abweisen wird.

Nein, seine Zeit ist noch nicht gekommen.

Jedoch lässt er es sich nicht nehmen, aus dem Augenwinkel zu verfolgen, wie sie den Club verlässt und in ein Taxi steigt.

Er selbst macht sich ebenfalls auf den Heimweg. Es gibt nichts, was ihm dieser Abend noch zu bieten hätte.

~oOo~

Achtlos streife ich meine Schuhe ab, gehe barfuß in unsere Küche. Nach Kaffee steht mir nicht der Sinn, aber der Kühlschrank gibt noch eine Flasche Weißwein preis, die ich in ein großzügiges Wasserglas umfülle.

Auch wenn ich befürchte, dass es auf keinen Fall genügen wird, um mir den Abend schön zu saufen.

Dennoch ist es einen Versuch wert.

Meine Wut auf Suse ist morgen wieder verflogen.

Es ist, wie es ist. Ich würde sie nicht direkt als rücksichtslos bezeichnen. Nein, vielmehr geht sie zu arglos mit ihren Mitmenschen um. Aus gutem Hause stammend musste sie sich um das Leben und darum, wie es funktioniert, noch nie Gedanken machen.

Sollte ich wirklich mal ihre Hilfe benötigen, ist sie jedoch die Erste, die ihr Leben für mich geben würde.

Das hat sie bereits einmal getan und ich vertraue niemandem mehr als ihr.

Wir leben in einer todschicken Hamburger Gegend. Allerdings nur, weil Suses Eltern in der Weltgeschichte herumtingeln und ihrer Tochter diese hübsche Vorstadtvilla überlassen haben. Nach Sinas Tod war ich gezwungen umzudenken.

In meiner kleinen Wohnung, die ich damals bewohnte, wäre niemals Platz gewesen für Marie und mich. Ein Schulkind hat andere Ansprüche als deckenhohe Spiegel mit Ballettstange und einer Matratze auf dem Boden.

Und in Sinas Wohnung zu leben … nein. Die Erinnerungen hätten mich erstickt. Und Marie brauchte dringend eine Luftveränderung.

Suse hat uns, ohne zu zögern, einen Platz in ihrem Haus angeboten. Völlig selbstlos und ohne jeden Anspruch an mich.

Wahrscheinlich hätte sie es auch gar nicht nötig, mir im Geschäft zu helfen. Sie verdient sich lediglich ein kleines Taschengeld zu ihrem sowieso schon vorhandenen Vermögen.

Aber ich hinterfrage das nicht weiter, denn ich bin überzeugt, sie sieht es als ihren Beitrag zu unserer Freundschaft. Sie greift mir unter die Arme, wo sie nur kann, und ich zeige ihr eben hin und wieder, wie das Leben funktioniert, wenn es mal wieder über sie hinwegrollt.

Dennoch.

Gerade jetzt in diesem Moment würde ich ihr nur zu gern einen Denkzettel verpassen.

Vielleicht gehe ich morgen nicht ans Telefon, wenn sie anruft, um sich zu erkundigen, wie mein weiterer Abend verlaufen ist. Sie könnte einen Dämpfer vertragen.

Schließlich kann sie nicht wissen, dass Rothenburg mir wohlgesonnen ist. Es hätte auch böse enden können. In vielerlei Hinsicht.

Denn eines muss man ihm lassen – er ist wirklich verdammt scharf.

Ziemlich schnell ist das Glas leer und ich habe endlich die nötige Bettschwere, um Ruhe zu finden. Diese gefährlichen Augen, die mich bereits eine ganze Weile verfolgen, endlich loszuwerden.

Zumindest für diese Nacht.

„Mensch, Ziska, ich hatte schon Angst, der Kerl hätte dir etwas angetan. Warum gehst du nicht an dein verdammtes Telefon?“

Ich zucke lediglich die Schultern. „Vielleicht hättest du dir darüber gestern den Kopf zerbrechen sollen, ehe du lieber deinem Trieb gefolgt bist, anstatt mit mir nach Hause zu kommen.“

„Ich habe wenigstens noch einen Trieb.“ Ärgerlich lässt sie ihr Jäckchen achtlos auf den Boden fallen. „Und jetzt brauche ich eine Dusche und einen Kaffee, und zwar in genau dieser Reihenfolge.“

Ich hebe die Jacke auf und hänge sie an die Garderobe, was meine Freundin mit einem fragwürdigen Blick quittiert.

---ENDE DER LESEPROBE---