Sprachkrise und Nietzsche. Rezeption in Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" - Heiko Gerdes-Janssen - E-Book

Sprachkrise und Nietzsche. Rezeption in Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" E-Book

Heiko Gerdes-Janssen

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Beschreibung

Bachelorarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Germanistik - Neuere Deutsche Literatur, Note: 1,0, FernUniversität Hagen, Sprache: Deutsch, Abstract: Es handelt sich bei dem Text um eine Untersuchung der Sprachkrise und Nietzsche-Rezeption in Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften" unter Heranziehung von Nietzsches Schrift "ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne" und unter besonderer Berücksichtigung von Gustav Gerbers"Die Sprache als Kunst", Band 1, Bromberg 1871 als Schlüsseltext zum Verständnis der frühen Sprachkritik Nietzsches.

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Inhaltsverzeichnis

 

1. Einleitung: Sprach-Grenzen und Utopien

2. „Ton und Geberde“ - Nietzsches früher Sprachbegriff

3. Gerbers „Die Sprache als Kunst“

a. Die Sprache als Kunst und die „Künstlichkeit der Welt“

b. Nietzsches Gerber-Rezeption

4. Nietzsches Sprachkritik: „Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne“67

a. Die metaphorische Sprunglogik

b. Die Ubiquitätsthese der Metapher

c. Konvention und Lüge

5. Der Trieb nach Erkenntnis und der Wille zur Macht

6. Der Perspektivismus

7. Kritische Anmerkungen zu Nietzsches Sprachkritik

8. Musils frühe Nietzsche-Rezeption

9. Die Sprachkrise Musils

10. Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“

a. Die strukturellen Grundkategorien Essayismus, Utopie und Resignation

b. Der Protagonist Ulrich

c. Experimentalphilosophie und Essayismus als Lebensstil

11. Sprach-und Lebensdimensionen:“Spekulation à la hausse“ und „à la baisse“

12. Der „andere Zustand“-die Geschwisterliebe zwischen Agathe und Ulrich

13. Die ‚ andere‘ Sprache

15. Schlußbemerkungen: Musils und Nietzsches Utopien in der Gegenüberstellung

Literaturverzeichnis

 

1. Einleitung: Sprach-Grenzen und Utopien

 

Sprachkrisen sind kulturgeschichtlich kein Ausnahmefall. Sie sind ein latenter „Normalzustand“. Große gesellschaftliche oder kulturelle Umbrüche können zu manifesten Krisen des Sprachgebrauchs, besonders des poetischen, aber durchaus auch des alltäglichen, führen. Die beiden Sprachkrisen des 20. Jahrhunderts datieren einmal in die Jahre der Jahrhundertwende und dann in die Zeit nach 1945. War die zweite Sprachkrise Konsequenz des Missbrauchs der Sprache durch die nationalsozialistische Ideologie zu propagandistischen Zwecken und zur Umschreibung der daraus hervorgegangenen verbrecherischen Handlungen, so steht die Sprachkrise zu Beginn des 20. Jahrhundert in Zusammenhang mit dem Voranschreiten der Technik, naturwissenschaftlicher Erkenntnisse, der industriellen und damit gesellschaftlichen Entwicklung und der damit verbundenen Auflösung des von Idealismus und Christentum geprägten Welt-und Menschenbildes. Im Auseinanderfallen als sicher geglaubter Korrelationen, Eigenschaften und Werte verliert die Sprache die bisher ihr zugeschriebene Fähigkeit, die Dinge eindeutig zu bezeichnen und zu benennen. Sprachkrise ist also die schmerzliche Konfrontation mit den Grenzen der Sprache hinsichtlich ihrer Eindeutigkeit ihrer Worte und Begriffe, so wie Rainer Maria Rilke dieser Erfahrung in seinem Gedicht „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort“1 Ausdruck verliehen hat. Als ein paradigmatischer Text für diese Sprachkrise gilt Hugo von Hofmannsthals vielzitierter fiktiver Brief an Francis Bacon2, in welchem Lord Chandos dem

 

1. Rilke , s.o. : Hier versagt die Sprache nicht nur ihren Dienst eines eindeutigen Bezeichnen und Benennens, sondern ihre Verwendung, als gäbe es so etwas wie eine Eindeutigkeit der Begriffe, wirkt geradezu destruktiv.

 

2. Mayer , S. 46 – 59.

 

-Adressaten die Symptome seiner Sprachkrise schildert. Der „Chandosbrief“ datiert aus dem Jahr 1902, ist zeitlich also nach dem Lebenswerk Nietzsches und vor dem Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil entstanden. Er zeigt beispielhaft auf, was sich im „Monolog“ des Novalis3 ,um 1798/1799 verfasst, bereits andeutet, wenn sich dort die Sprache als handelndes Subjekt vom Willen des Sprachbenutzers befreit, Subjekt und Objekt damit in Eins fallen. Diese Erfahrung liegt auch dem „Chandosbrief“ zu Grunde, wenngleich mehr verunsichernd wahrgenommen und wird dann weiter reflektiert, indem Sprachskepsis und Sprachkrise, aber auch deren Überwindung zu einem, wenn nicht gar zu dem zentralen literarischen Thema überhaupt zum Beginn des 20.Jahrhundert werden. Welche Wege führen aus der Sprachkrise heraus? Einen möglichen Weg hat die Mystik vorgezeichnet: das Schweigen. Es ist dies der Weg, den Maeterlinck und auch Mauthner beschreiten, wobei Mauthner Maeterlinck durchaus kritisch gegenübersteht, mangelt es, laut Mauthner, dessen Auffassung vom Schweigen doch an der gebotenen Reichweite und Radikalität seiner Sprachskepsis.4 Ob Schweigen aus religiöser Askese und Pietät gegenüber dem Unaussprechlichen oder aus Gründen einer radikalen Sprachskepsis- Schweigen ist nur dann eine Weise der Kommunikation, wenn es eingebettet ist in den Gebrauch der Sprache. So wie zum Gebrauch der Sprache auch das Schweigen als Mittel der Kommunikation gebraucht werden kann, bis hin zum „beredten Schweigen“5. Letztendlich führt auch das Schweigen als radikalste Konsequenz einer Sprachskepsis, nicht vollständig aus der Sprachkrise heraus. Ein anderer Weg führt in die Utopie, eine Utopie, durch die die Sprachkrise nicht behoben wird, die jedoch Möglichkeiten eines kreativen Umgangs

 

3. „Wenn man den Leuten nur begreiflich machen könnte, daß es mit der Sprache wie mit den mathematischen Formeln sei-Sie machen eine Welt für sich aus-Sie spielen nur mit sich selbst, drücken nichts als ihre wunderbare Natur aus, und eben darum sind sie so ausdrucksvoll-eben darum spiegelt sich in ihnen dass seltsame Verhältnißspiel der Dinge“. Novalis S. 5

 

 

damit und eventuelle Teillösungen aufzeigt. Zwei solcher Utopien werden Gegenstand dieser Abhandlung sein. Die eine der beiden Utopien ist eine Variante dessen, was sich mit dem Begriff „Deviationspoetik“ verbindet, also der Gegenüberstellung von nicht-poetischer, alltäglicher oder wissenschaftlicher Sprache und der davon abweichenden poetisch-künstlerischen Sprache. Bei Nietzsche ist dieses Gegenüber beider Weisen des Sprachgebrauchs einerseits radikal verstanden. Andererseits ist der poetischen und der nicht-poetischen Sprache ein Wesentliches und auch Unabänderliches gemeinsam: Keine der beiden Sprechweisen vermag die Wirklichkeit zu erfassen, eine eindeutige Wahrheit durch ein Wort oder einen Begriff zu benennen. Ob poetisch oder nicht-poetisch, Worte und Begriffe bleiben vieldeutig. Bleiben die alltägliche wie die wissenschaftliche Sprache Gegenstand zwischenmenschlicher Konvention, so öffnet sich in der poetischen Sprache dem, der nicht an nur eine Wahrheit glaubt und der darum einen freien Geist hat, eine unendliche Fülle unkonventioneller, kreativer wie intuitiver Möglichkeiten der Sprachgestaltung. Der in Formeln erstarrten, toten, auf Konvention beruhenden Alltags-und Wissenschaftssprache steht eine lebendige, immer im Werden seiende poetische Sprache gegenüber. Beide Sprachen haben ihren eigenen Wert. Die Alltags-und Wissenschaftssprache sichert als Konvention die Überlebens-und Kooperationsfähigkeit der Menschheit. Die poetische Sprache aber, die sich aus aller Regelhaftigkeit löst, ist offen für die künstlerische Gestaltung, den Aspekt der Ästhetik, die Freiheit unablässiger Innovation. Dem gegenüber steht eine andere Utopie, die in Musils Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ zum Tragen kommt. Sie beruht nicht auf einer akzentuierten Divergenz von nicht-poetischer und poetischer Sprache, sondern zielt auf eine Annäherung, in der „Ratioides“ und „Nichtratioides“, wie im Lebensvollzug und so auch im Lieben, etwa zwischen Agathe und Ulrich, auch sprachlich zusammenkommen, also auf eine „andere Sprache“ für den „anderen Zustand“, den Ulrich und Agathe in ihrem Beisammensein und ihren „Heiligen Gesprächen“6 anstreben.

 

6. MoE, S. 746 – 771