Spuken für Meister - S.E. Harmon - E-Book

Spuken für Meister E-Book

S.E. Harmon

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Beschreibung

Rain Christiansen ist fest davon überzeugt, dass er das Übernatürliche niemals ganz verstehen wird, aber als Medium und Cold-Case-Detective hat er sich allmählich eine gewisse Routine angeeignet. Was nicht heißen soll, dass alles reibungslos läuft – schließlich steht eine Hochzeit an. Endlich wagt Rain den Gang vor den Altar mit seinem Partner Danny McKenna, und sein Glück scheint vollkommen. Die Ehe kann er kaum erwarten – die Hochzeitsvorbereitungen allerdings würde er gern überspringen, denn die kosten jede Menge Nerven. Zusätzlich zu all dem Stress hält die Arbeit Rain und die PTU auf Trab. Die stumme Geisterfrau Hannah Caldwell bittet Rain, ihre Freundin Cherry Parker zu finden, damit sie sich von ihr verabschieden kann. Für Rain eigentlich so leicht wie der Biss in ein Stück Hochzeitstorte, denn das Aufspüren von Vermissten steht ganz oben auf der Liste von Dingen, die er am besten kann. Doch wenn es um Geister geht, ist nichts so, wie es scheint. Schon bald nimmt sein einfacher Vermisstenfall eine düstere Wendung – und Rain merkt, dass er so sehr damit beschäftigt war, Danny zu schützen, dass er die Vorsichtsmaßnahmen für sich selbst außer Acht gelassen hat … Teil 4 der spuktakulären Abenteuer um Special Agent Rain Christiansen.

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S.E. HARMON

SPUKEN FÜR MEISTER

EIN FALL FÜR RAIN CHRISTIANSEN 4

Aus dem Amerikanischen von Stefanie Kersten

Über das Buch

Rain Christiansen ist fest davon überzeugt, dass er das Übernatürliche niemals ganz verstehen wird, aber als Medium und Cold-Case-Detective hat er sich allmählich eine gewisse Routine angeeignet. Was nicht heißen soll, dass alles reibungslos läuft – schließlich steht eine Hochzeit an. Endlich wagt Rain den Gang vor den Altar mit seinem Partner Danny McKenna, und sein Glück scheint vollkommen. Die Ehe kann er kaum erwarten – die Hochzeitsvorbereitungen allerdings würde er gern überspringen, denn die kosten jede Menge Nerven.

Zusätzlich zu all dem Stress hält die Arbeit Rain und die PTU auf Trab. Die stumme Geisterfrau Hannah Caldwell bittet Rain, ihre Freundin Cherry Parker zu finden, damit sie sich von ihr verabschieden kann. Für Rain eigentlich so leicht wie der Biss in ein Stück Hochzeitstorte, denn das Aufspüren von Vermissten steht ganz oben auf der Liste von Dingen, die er am besten kann.

Doch wenn es um Geister geht, ist nichts so, wie es scheint. Schon bald nimmt sein einfacher Vermisstenfall eine düstere Wendung – und Rain merkt, dass er so sehr damit beschäftigt war, Danny zu schützen, dass er die Vorsichtsmaßnahmen für sich selbst außer Acht gelassen hat …

Über die Autorin

S. E. Harmons stürmische Liebe zum Schreiben dauert bereits ein Leben lang an. Der Weg zu einem guten Buch ist jedoch steinig, weshalb sie ihre Leidenschaft schon mehrere Male aufgeben wollte. Letztendlich hat die Muse sie aber immer wieder an den Schreibtisch zurückgeholt. S. E. Harmon lebt seit ihrer Geburt in Florida, hat einen Bachelor of Arts und einen Master in Fine Arts. Früher hat sie ihre Zeit mit Bewerbungsunterlagen für Bildungszuschüsse verbracht. Inzwischen schreibt und liest sie in jeder freien Minute Liebesromane. Als Betaleser hat sie derzeit ihren neugierigen American Eskimo Dog auserkoren, der sich bereitwillig ihre Romane vorlesen lässt, vorausgesetzt, die Bezahlung in Form von Hundekeksen stimmt.

Die englische Ausgabe erschien 2022 unter dem Titel »The Spooky Life«.

 

Deutsche Erstausgabe April 2023

 

© der Originalausgabe 2022: S. E. Harmon

© für die deutschsprachige Ausgabe 2023:

Second Chances Verlag, Inh. Jeannette Bauroth

Hammergasse 7–9, 98587 Steinbach-Hallenberg

 

Alle Rechte, einschließlich des Rechts zur vollständigen oder auszugsweisen Wiedergabe in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Alle handelnden Personen sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

 

Umschlaggestaltung: Frauke Spanuth, Croco Designs

unter Verwendung von Motiven von John Neff/Wirestock, DesiDrew Photography, New Africa, Peter Kim

 

Lektorat: Julia Funcke

Korrektorat: Second Chances Verlag

Schlussredaktion: Daniela Dreuth

Satz & Layout: Judith Zimmer

 

ISBN: 978-3-948457-74-7

 

www.second-chances-verlag.de

 

 

Inhaltsverzeichnis

Titel

Über die Autorin

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Epilog

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KAPITEL 1

Tja … Einen Geist bei unserer Hochzeitslocation vorzufinden, das war schon typisch für mich.

Ich beobachtete nachdenklich, wie die Frau unter den schmiedeeisernen Bogen neben einer Ansammlung hoher Hartriegelbüsche spazierte. Ein paar Blüten schwebten um sie herum zu Boden, als sie unter dem Bogen stehen blieb. Ihre Aufmerksamkeit schien ganz dem Podest zu gelten, auf dem das Brautpaar während der Zeremonie normalerweise stand. Meine Anwesenheit war ihr wohl schon bewusst – sie hatte ein- oder zweimal in meine Richtung gesehen, mehr aber auch nicht.

Ein stummer Geist sollte eigentlich ein Grund zum Feiern sein. Aber das fühlte sich wie etwas an, das der alte Rain Christiansen denken würde. Der neue Rain Christiansen, der seine Fähigkeiten akzeptierte, sollte sie vermutlich fragen, was mit ihr los war. Woher kam sie? Und warum schaute sie so sehnsüchtig auf den malerischen Bogen?

Andererseits war auch der neue Rain Christiansen durchaus der Meinung, dass die alte Weisheit »Kümmer dich um deinen eigenen Kram« ein stark unterschätzter Ratschlag war. Ich hatte so schon genug mit dem Geisterkram um die Ohren, auch ohne dass ich mich aktiv um neue Kundschaft bemühte.

Erneut warf ich ihr einen Blick zu.

»Mr Christiansen?«

Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich zu der Stimme um. Vor mir standen zwei Frauen und musterten mich neugierig. Ich blinzelte ein paarmal und brauchte einen Moment, um von der Geisterwelt in die reale zurückzukehren und mich daran zu erinnern, was zum Teufel ich hier eigentlich machen sollte.

Ach ja, ganz vergessen. Die Realität war ebenfalls ein Trauerspiel. Ich nahm zusammen mit Paula McKenna, der Mutter meines Verlobten, eine mögliche Location für meine Hochzeit unter die Lupe. Und die Frau war schon an einem guten Tag nicht unbedingt mein größter Fan.

Mein Verlobter Daniel McKenna war in Beziehungen so viel besser als ich. Ja, ich hatte mehr davon gehabt, aber selbst im Bestfall waren sie oberflächlich gewesen. Also war ich ziemlich entzückt gewesen, als ich erfahren hatte, dass man in echten Beziehungen Aufgaben untereinander aufteilte. Es gab Dinge, die er übernahm, Dinge, die ich übernahm, und Dinge, die wir zusammen erledigten.

Diese Stippvisite in der Hölle – äh, am potenziellen Veranstaltungsort – sollte ganz klar in der Schublade Gemeinsam stecken. Nur dass Danny mir eine vage Nachricht mit irgendeinem Unsinn geschickt hatte, von wegen, er wäre beim Treffen mit einem Handwerker aufgehalten worden, aber nun auf dem Weg. Ich nahm stark an, dass ich mir das »auf dem Weg« in Anführungszeichen vorstellen sollte. Er war über eine Stunde zu spät dran. Jemand, der so fuhr wie er, dürfte eigentlich zu gar nichts je eine Stunde zu spät kommen. Wie lang konnte es außerdem dauern, auf ein Loch in der Wand zu zeigen und zu sagen: »Hey, reparier das mal«?

Ich warf einen sehnsüchtigen Blick hinüber zu dem gepflasterten Weg, der sich zum Parkplatz schlängelte. Doch auch in dieser Richtung blieb mir die Flucht verwehrt. Paula hatte mich auf dem Polizeirevier von Brickell Bay zum Mittagessen abgeholt. Ich hatte es nicht über mich gebracht, ihr zu erklären, dass diese Mahlzeit für mich normalerweise aus dem bestand, was ich mir mit einer Hand in den Mund schieben konnte. Aber die Sorge hätte ich mir sparen können – sie hatte das Mittagessen sowieso nur als Vorwand benutzt, um mich ins Auto zu bekommen. Und wie jedes gute Opfer hatte ich an meiner Entführung mitgewirkt.

»Mr Christiansen?« Bei Francine Wells, der Koordinatorin von Kennedy Atrium and Gardens, machten sich offenbar schon Zweifel an meiner geistigen Gesundheit breit. »Geht es Ihnen gut?«

»Ja, natürlich«, erwiderte ich hastig. »Ich war nur gerade mit den Gedanken woanders.«

»Es heißt Doktor Christiansen«, korrigierte Paula die Frau, als hätte ich eine Lizenz zum Skalpellschwingen. Ich war nicht diese Art von Doktor, und das wusste sie auch. Aber jetzt, wo ich ihr Schwiegersohn in spe war und nicht mehr nur der Ex-Freund, der ihrem Baby in der Vergangenheit das Herz gebrochen hatte, würde sie meine Außenwirkung ruckzuck auf Vordermann bringen. »Er hat früher als FBI-Agent gearbeitet, wissen Sie? Er ist so intelligent und so mutig.«

»Das kann ich mir vorstellen.« Francine musterte mich erwartungsvoll, als rechne sie mit einer Demonstration meines Heldenmuts. »Er sieht auch sehr mutig aus.« Das sollte mir wohl einen Schubs in die richtige Richtung geben.

Ich schaute mich nach einem armen, hilflosen Eichhörnchen oder etwas Ähnlichem um, das ich heldenhaft retten konnte, entdeckte aber nichts Passendes. Also entschloss ich mich, stattdessen meine Intelligenz unter Beweis zu stellen. »Äh …«, sagte ich.

»Er hat ganz allein einen Serienmörder zur Strecke gebracht«, prahlte Paula weiter – was streng genommen eine Lüge war, weil das eine ziemlich stark romantisierte Version der Ereignisse darstellte.

»Oh, tatsächlich?« Francine wirkte ein bisschen zu begeistert. »Das ist ja so spannend.«

Ach ja? Diese Frau hatte die Ausstrahlung einer Autoverkäuferin – wenn auch auf die nette Art einer älteren Dame. Alles war ein bisschen zu interessant, ich war ein bisschen zu gut aussehend und unsere zweite Chance auf die große Liebe ein bisschen zu herzergreifend. Wenn man von jemandem derart hofiert wurde, war das ein sicheres Zeichen dafür, dass der Preis die Kreditkarten um Gnade betteln lassen würde.

»Ich darf über diese Dinge nicht wirklich sprechen«, meinte ich diplomatisch, statt meine Schwiegermutter als Lügnerin zu entlarven. »Sie wollten uns gerade zeigen, wo wir unser Eheversprechen abgeben?«

Das dirigierte sie in eine Richtung, die mich … na ja, so ziemlich jede Entscheidung meines Lebens bereuen ließ. Francine Wells kannte sich beeindruckend und zugleich beängstigend gut mit Hochzeiten aus. Trotz meiner wiederholten Hinweise, dass wir uns die Location ja erst mal nur anschauten, mussten wir uns einfach über ein paar Dinge klar werden, bevor wir wieder fuhren.

Erstens: Der Bogen im Garten war ein Sahnestückchen unter den Plätzen, an denen sich ein Paar das Ja-Wort geben konnte. »Umgeben von Hartriegelsträuchern«, schwärmte sie. »Das ist so unglaublich romantisch. Allein in der vergangenen Woche haben vier Paare unter diesem Bogen geheiratet.« Dannys Mutter wirkte angemessen beeindruckt. Ich nickte zustimmend und versuchte, so aufmerksam wie möglich auszusehen.

Zweitens galt es zu beachten, dass wir uns keinen allzu großen Kopf um die Kosten machen sollten. Francine ritt gern auf der Phrase nur einmal im Leben herum. »Sie heiraten ja nur einmal im Leben«, sagte sie und fügte dann noch augenzwinkernd ein »Hoffentlich!« hinzu, als wären wir beste Freunde.

Und zu guter Letzt betonte sie noch ausführlich, dass sie alles Schwule komplett unterstützte. »Mein Bruder ist schwul«, verkündete sie mit einem strahlenden Lächeln, während sie mich am Arm packte. »Kennen Sie Derek?« Ich konnte nicht widerstehen und entgegnete, dass ich wohl eine der wöchentlichen Ausgaben von Alle Homos kennen sich verpasst haben musste. Das verwirrte Francine sichtlich. Dannys Mutter wählte just diesen Augenblick, um ihre riesengroße Handtasche – für die sie einen Waffenschein brauchte – zurechtzurücken und mir das Ding dabei in die Seite zu rammen.

»Ups«, meinte sie mit einem honigsüßen Lächeln und tätschelte mir den Arm. »Ich habe gar nicht bemerkt, dass du da stehst, mein Lieber.«

»Nichts passiert«, ächzte ich. Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass ihre Burberry-Abrissbirne mir nicht die Rippen gebrochen hatte, wandte ich mich wieder an Francine. »Das alles ist wirklich hübsch. Aber unterm Strich kommt es auch auf den Preis an. Wo bewegen wir uns da?«

Und wie viele Organe muss ich dafür auf dem Schwarzmarkt verkaufen?

Man musste kein Profiler sein, um Francines gewieften Blick zu interpretieren. Ihr Gesichtsausdruck war überaus unschuldig, aber hinter ihrer Stirn arbeitete der Verstand einer Geschäftsfrau. Das respektierte ich … oder würde es zumindest tun, wenn ihr Unternehmen mich nicht an den Fußknöcheln fesseln, kopfüber aufhängen und durchschütteln würde, bis mir noch der letzte Cent aus den Taschen gefallen war.

»Ich bin mir sicher, dass wir einen Kostenvoranschlag ausarbeiten können, der Ihnen zusagt. Immerhin ist das eine Erfahrung, die man nur einmal im Leben macht«, schwärmte sie. »Aber jetzt müssen Sie sich erst mal noch das Atrium ansehen. Das ist der perfekte Ort für den Empfang. Folgen Sie mir bitte.«

Ich schlenderte hinter den beiden Frauen her, die sich auf dem Weg zu dem gläsernen Meisterwerk weiter angeregt unterhielten. Das Atrium war zu einem Garten hin offen, der so friedlich und abgeschieden wirkte, als ob selbst die Stechmücken Eintritt zahlen müssten. Paula hob praktisch ab vor Begeisterung, als Francine sie auf den Marmorfußboden hinwies.

Davor hatte Danny mich von Anfang an gewarnt. »Sobald wir ein Datum festgelegt haben, wird sie wie ein Terrier sein, der sich eine Ratte geschnappt hat«, hatte er gesagt. Tja. Ich hätte nie gedacht, dass ich in so einer Situation mal die Ratte sein könnte, aber seine Aussage hätte nicht zutreffender sein können. Als uns bei einem von Paulas Sonntagsessen blöderweise der vierte Dezember rausgerutscht war, hatte sie postwendend ein Planungsbuch hervorgezaubert – so dick, dass ich mir ernsthafte Sorgen um den Esstisch gemacht hatte.

Plötzlich hatten wir in einem Sumpf aus Blumen, Sitzordnungen und Hochzeitsanzügen gesteckt. Als wir sie entgeistert anstarrten, hatte sie nur abgewinkt und verkündet, dass sie die Vorbereitungen übernehmen würde … was sie dann auch getan hatte, mit der Zielstrebigkeit eines Fünf-Sterne-Generals.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich mochte Paula – meistens –, aber sie schien fest entschlossen, eine Hochzeit für uns auszurichten, die sogar die Queen als »ein wenig übertrieben« bezeichnet hätte. Selbst etwas so Simples wie das Probeessen war in eine ausführliche Diskussion ausgeartet. Als sie sich endlos über die Frage »Hühnchen oder Fisch?« ausließ, hatte Danny mutig ein Buffet vorgeschlagen. Der Blick, den er dafür kassiert hatte, war so bitterböse gewesen, dass ich mich beinahe bekreuzigt hätte – und das, obwohl ich schon mal einen waschechten Dämon bezwungen hatte. Na ja, besser gesagt einen wütenden Geist, aber das war nah genug dran.

»Es wird kein Buffet geben, Daniel«, hatte sie steif erwidert, und damit war das Thema beendet gewesen.

Danny und ich hatten über ihren Kopf hinweg einen ängstlichen Blick getauscht. Offensichtlich schlitzte einem der Gott der Ehe die Kehle mit einem Eins-kaufen-eins-gratis-dazubekommen-Coupon auf, wenn man seinen Hochzeitsgästen ein Buffet vorsetzte. Und ich hatte buchstäblich mein Leben riskiert, als ich Paula vorsichtig beibrachte, dass meine Eltern aktuell mehr oder weniger vegan lebten. Nachdem ihr Kopf aufgehört hatte, wie wild auf ihren Schultern zu kreiseln, hatte sie in sorgsam gemäßigtem Tonfall geantwortet: »Wir werden ihnen eine … Alternative anbieten.«

Dann hatte sie uns darüber informiert, dass sie sich erst einmal hinlegen müsse … nach all dem Stress und so.

Ich warf dem einsamen Geist noch einen Blick zu. Die Frau schien sich in ihrer eigenen Welt verloren zu haben. Vielleicht war sie ja hier gefangen. Mein Pflichtgefühl ermahnte mich, ihr zu helfen, und nach ein paar weiteren Minuten des Zögerns schlenderte ich in ihre Richtung. Zum Glück waren Paula und Francine vollkommen mit ihrem Gespräch über Farbgestaltung beschäftigt.

Dass hier Pläne ohne meinen Input gemacht wurden, störte mich nicht besonders. Ich musste nur wissen, was ich tragen und wo ich stehen sollte – und wie schnell ich Danny meinen Ehemann nennen durfte. Offiziell. Ich meine, war das nicht der Sinn der Sache? Oh, aber eins war da doch noch: Wie viel würde mich dieser ganze Unsinn kosten? Vielleicht konnte mir das mal jemand beantworten, bevor sie mich in dem Smoking, den ich nicht wollte, zum Altar schubsten.

Doch jetzt hatte ich erst mal einen Geist zu befragen.

Geister gehörten seit meiner Kindheit zu meinem Leben. Damals hatte ich noch nicht gewusst, was sie waren. Für mich waren sie einfach Freunde gewesen, die außer mir niemand sehen konnte. Hin und wieder hatte sogar ein Kind mit mir spielen wollen, auch wenn das frustrierend sein konnte, weil wir uns nie einig wurden. Und wenn sie das Spiel verloren, verschwanden sie manchmal. Mit zunehmendem Alter gaben Fernsehserien und Filme meinen Freunden einen Namen. Geister. Je mehr ich über sie erfuhr, desto weniger wollte ich mit ihnen zu tun haben. Ich fing an, sie zu ignorieren, und schließlich lernten sie, sich am Rand meines Lebens zu bewegen.

Aber sie verschwanden nie ganz.

Permanent anwesend und nervig zu sein, war im Prinzip die Regel bei Geistern. Sie folgten mir in mein Erwachsenenleben und meine Profiler-Karriere beim FBI – mit vielversprechenden Berufsaussichten, die ich mir selbst gründlich verbaute, indem ich die Existenz einiger dieser Geister schließlich anerkannte. Aber zu meiner Verteidigung: Es ist ganz schön schwierig, in einem Mordfall zu ermitteln und dabei nicht mit dem Opfer zu reden, wenn es direkt neben deinem Schreibtisch steht. Und noch mehr, wenn dieses Opfer einfach nicht die Klappe hält.

Ein paar Nachrichten von Verstorbenen, die ich überempfindlichen Verwandten überbracht hatte – mehr hatte es nicht gebraucht, um mich bei meinem Boss auf der schwarzen Liste landen zu lassen. Alford Graycie, Chef der Verhaltensanalyse-Einheit – kurz BAU –, hatte mich in meine Heimatstadt Brickell Bay in Florida geschickt, damit ich dort an einem Cold Case arbeitete. Der ermittelnde Detective und Teamleiter der Cold-Case-Einheit war rein zufällig auch mein Ex-Freund gewesen, was die Sache … unangenehm gemacht hatte. Aber wir hatten das überwunden. Tatsächlich sogar so gut, dass wir nun heiraten würden. Die alte Geschichte: Junge trifft Junge, Junge liebt Junge, Junge verlässt Junge, Junge hasst Junge, Junge kommt zurück und liebt Junge wieder. Plus Geister.

Jetzt arbeitete ich für die Paranormal Tactical Unit des Brickell Bay Police Department. Ein bisschen wie die Cold-Case-Einheit … plus Geister. Aber hey, alles in meinem Leben beinhaltete Geister, sehr zu meinem Verdruss. Eigentlich hätte auf meinem Führerschein der Vermerk Rain Christiansen (plus Geister) stehen sollen. Inzwischen hatte ich das als Teil dessen akzeptiert, was mich ausmachte. Ja, ich hatte mich lange mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, aber das blieb besser unerwähnt.

Nach meinem Ausscheiden aus dem FBI hatte ich mir Sorgen gemacht, dass die Arbeit mich nicht mehr genug fordern würde. Meine Ängste hatten sich als unbegründet herausgestellt. Ehrlich gesagt wäre mir ein bisschen weniger Serienkiller zu meinem Morgenkaffee ganz recht gewesen. Und ich stand immer noch auf einer schwarzen Liste: der meiner aktuellen Vorgesetzten. War wohl irgendwie mein Ding.

Die Geisterfrau musterte mich beunruhigt, als ich auf sie zuging. »Ich heiße Rain.« Ich blieb in einigem Abstand zu ihr stehen, um sie nicht zu verschrecken. »Und Sie?«

Sie winkte mir zögerlich zu. Ich war echt schlecht darin, das Alter von Leuten zu schätzen – sie konnte sechzig sein und sich gut gehalten haben oder vierzig und vorzeitig gealtert sein. Die Frau war etwas kleiner als ich, wirkte mit ihren breiten, eckigen Schultern aber ziemlich stämmig. Ihre Kleidung war einfach – verwaschene Jeans, eine gestreifte Bluse und weiße Sneaker zum Reinschlüpfen. Ihre dunklen Haare wurden im Nacken von einer Schildpatt-Klammer zusammengehalten.

Wir musterten einander stumm. Ich war vor allem neugierig darauf, warum sie nicht sprach. Normalerweise war das die zweitliebste Aktivität der Geister, direkt nach Mir-unsäglich-auf-die-Nerven-Gehen. Vielleicht konnte sie es nicht fassen, dass ich sie sah. Nach Jahren des unbemerkten Umherwanderns war das für manche schwer zu verkraften.

Langsam fragte ich mich auch, ob wir wohl beide zu Salzsäulen erstarrt waren.

»Geht es Ihnen gut?«, brach ich schließlich das Schweigen. »Ich kann Ihnen helfen, wenn Sie mich lassen.«

Sie antwortete nicht, schob sich nur ein paar Haarsträhnen hinters Ohr.

Vielleicht hing sie ja fest. Ich konnte ihr helfen, auf die andere Seite hinüberzuwechseln. Dakota Daydream, mein Berater in allen Geister-Angelegenheiten, hatte mir beigebracht, mit der überschüssigen Energie umzugehen, die ein Geist möglicherweise in sich trug. Ich war nicht gerade ein Experte in der Anwendung dieser Technik, hatte jedoch schon einigen Geistern zum Übertritt verholfen. Beim letzten Mal allerdings hatte ich unserem Haus dabei auch gleich ein neues Panoramadach verpasst. Doch Thomas Kane, Serienmörder und ungebetener Gast, hatte ja auch nicht gehen wollen, vielleicht machte das den Unterschied aus.

Ich war bereit, es noch mal zu versuchen.

Das goldene Licht zu finden, das in ihrem Brustkorb pulsierte, war einfach. Ich griff danach, beinahe hypnotisiert von seiner Helligkeit, und die Fäden rannen wie glühender flüssiger Honig über meine Finger. Vorsichtig bewegte ich meine Hand und wickelte mir einige der Stränge ums Handgelenk, sodass ich sie sicher im Griff hatte. Dann zog ich leicht daran.

Der Geist schrie auf und hielt sich den Bauch. Erschrocken ließ ich die Fäden fallen. Mein Blick huschte zum Gesicht der Frau, aber sie wirkte nicht wütend, nur … verzweifelt. Na ja, daraus konnte ich ihr wohl kaum einen Vorwurf machen. Der Übertritt war nicht nur eine physische, sondern genauso – oder vielleicht sogar noch mehr – eine mentale Erfahrung.

Erneut zog ich an dem Strang, doch die Frau griff nach meiner Hand und schüttelte den Kopf, einen flehenden Ausdruck in den Augen. Das fühlte sich nicht nach dem Widerstand an, den Kane mir entgegengebracht hatte. Nicht so, als wäre sie nicht bereit zu gehen. Sondern beinahe, als könnte sie es nicht. Ich entließ die Energie aus meinem Griff und schürzte nachdenklich die Lippen.

Jedes verdammte Mal.

Jedes Mal, wenn ich dachte, ich hätte nun endlich den Bogen raus, streute wieder irgendwer Sand ins Getriebe, und ich legte eine Vollbremsung hin. Ich rieb mir todmüde die Augen. »Sind Sie hier begraben?«, fragte ich. »Francine rastet aus, wenn das der Fall ist.«

Sie schüttelte nachdrücklich den Kopf.

»Okay, immerhin etwas.«

Es wäre nett gewesen, mit einer Leiche anfangen zu können – das Opfer war eins der Schlüsselelemente eines Tatorts und die erste Informationsquelle für den Ermittler. Ich war jedoch nicht scharf darauf, Francine zu verklickern, dass jemand ihren schönen Garten besudelt hatte. Oh, und dass sie ihr Atrium auf unbestimmte Zeit nicht mehr nutzen konnte. Schon jetzt sah ich vor mir, wie ich sie davon zu überzeugen versuchte, dass die Bräute sicher absolut begeistert sein würden von Hochzeitsfotos mit Polizeiabsperrband im Hintergrund. Nichts brachte so viel Schwung in die Bude wie ein kleiner Mord.

Hmm. Möglicherweise war ich der Einzige, der das so empfand.

Der Geist zog leicht an meiner Hand, und ich schenkte der Frau wieder meine volle Aufmerksamkeit. »Lassen Sie mich raten. Sie können nicht mit mir sprechen, Sie sind noch nicht bereit zu gehen, und Sie haben hier noch nicht alles erledigt.« Ihr Nicken ließ mich aufseufzen. »Und jetzt wollen Sie mir wahrscheinlich irgendwas zeigen.«

Ein weiteres enthusiastisches Nicken. Toll, der Tag wurde ja immer katastrophaler. Bis jetzt hatte mich kein Geist an einen Ort geführt, der in mir nicht den Drang geweckt hätte, mich unter »Nimm mich zu dir, Jesus«-Rufen in einen aktiven Vulkan zu stürzen. »Wie heißen Sie?«

Ich hielt ihr meine Handfläche hin, und sie zögerte kurz, bevor sie sie sacht mit einem Finger berührte. Einen Moment später buchstabierte sie mir kitzelnd den Namen Cherry auf die Haut.

»Wie wäre es noch mit Ihrem Nachnamen?«

Wieder schrieb sie etwas in meine Hand, dieses Mal mit mehr Druck.

»Parker? Cherry Parker?«

Sie nickte heftig und fügte noch ein finden hinzu.

»Okay«, meinte ich langsam. »Sie wollen, dass ich Cherry Parker finde. Habe ich verstanden. Aber wie heißen Sie?«

Sie schnaufte, buchstabierte dann aber den Namen Hannah auf meine Handfläche. Als ich sie nach einem Nachnamen fragte, warf sie mir einen entnervten Blick zu und wiederholte Cherry Parker. Verstanden. Ich seufzte erneut. Offenbar wollte sie sich von ihrer Freundin verabschieden, und alles andere war nebensächlich.

Das Zuschlagen einer Autotür lenkte mich von dieser schlechtesten Partie Galgenmännchen aller Zeiten ab. Als ich zum Eingang des Gartenbereichs rüberschaute, entdeckte ich Danny auf dem Weg. Er trug schwarze Jeans, ausgetretene Boots und einen schwarzen Pullover, dessen hochgeschobene Ärmel seine tätowierten Unterarme entblößten. Die Polizeimarke und die Waffe an seinem Gürtel machten klar, dass er auf dem Weg noch etwas Dienstliches erledigt hatte.

Meiner Meinung nach hatte Gott bei Dannys Geburt verkündet: Und es werde eine Augenweide. Natürlich war ich nicht dabei gewesen, aber es kam mir plausibel vor. Er war über eins achtzig groß und zog mit seinen schwarzen Haaren und blauen Augen Blicke auf sich, wohin er auch ging. Allerdings schien ihn diese Aufmerksamkeit immer ziemlich zu nerven. Ihm war es unerklärlich, dass man sich etwas auf eine Sache einbilden sollte, auf die man überhaupt keinen Einfluss hatte.

Mir war es egal, ob ihn irgendwelche fremden Leute anglotzten. Das Beste an ihm sahen sie sowieso nicht, weil das nichts mit seinem Aussehen zu tun hatte. Er war die geduldigste, selbstloseste Person, der ich je begegnet war, und unterstützte andere, wo er nur konnte. Seine inneren Werte überstiegen die äußeren in jeder Hinsicht um ein Vielfaches. Und da ich ein weiser Mann war, der wusste, worauf es im Leben wirklich ankam, bewunderte ich seine Äußerlichkeiten noch ein bisschen.

Der Geist neben mir gab einen leisen Laut von sich, und ich schaute wieder zu ihm. Die Frau tippte mir grinsend ans Kinn, als wollte sie mich daran erinnern, den Mund wieder zuzumachen. Ich lachte, weil ich mich kein bisschen schämte. Jeder, der Augen im Kopf und noch einen Puls hatte, würde diesen Mann anstarren. Auch wenn er ein Verräter war, der mich in den Samtklauen seiner hochzeitsbesessenen Mutter zurückgelassen hatte.

»Und wo kommst du jetzt bitte her?«, fragte ich ihn.

Er drückte mir einen Kuss auf die zusammengekniffenen Lippen. »Das Treffen mit dem Handwerker hat länger gedauert. Er meint, dass er die beschädigte Hausseite weiter nach außen ziehen kann. Da die Wand sowieso weg ist, wird das Wohnzimmer dadurch größer, und wir hätten mehr Schlafzimmer.«

»Wozu brauchen wir mehr Platz?« Ich runzelte die Stirn, weil das Leben auf einer Baustelle jetzt schon verflucht unangenehm war. Die sollten das so schnell wie möglich über die Bühne bringen und sich nicht häuslich einrichten. »Wir sind nur zu zweit. Plus Watson natürlich.«

Watson, unser pflichtvergessener Hund, war schon durch mehrere Gehorsamstrainings gefallen, und wir hatten uns entschieden, es gut sein zu lassen. Er war lieb und alt, und ein paar Hundehaare auf der Couch hatten noch niemandem geschadet. Vermutlich. Früher hatte er mal einer kleinen alten Dame gehört, die sich als Serienmörderin entpuppt hatte, aber da waren wir ihm gegenüber nicht nachtragend.

»Platz ist immer gut.« Röte breitete sich auf Dannys Wangen aus, und er zuckte die Schultern, während er sich über den Nacken rieb. »Falls wir ihn mal brauchen.«

Oh. Es dauerte einen Augenblick, bis bei mir der Groschen fiel. Wir hatten schon ein paarmal darüber gesprochen, unsere Familie zu erweitern. Inzwischen hatten wir uns auf ein Ja geeinigt – auch wenn meins mehr als zurückhaltend gewesen war –, aber das war ein Plan für die Zukunft. Eine weit entfernte Zukunft. Als ich das »weit entfernt« noch ein paarmal betont hatte, hatte Danny mich entnervt daran erinnert, dass wir auch nicht jünger wurden.

Er war fest entschlossen, einen Erwachsenen aus mir zu machen, auch wenn ich mich mit Zähnen und Klauen dagegen wehrte. Eigentlich benutzte man diesen Ausdruck ja nur als Übertreibung, aber ich hatte vor, genau das zu tun. Ehe, Hypothek und Kinder. Fuck. Dagegen sollte es ein Gesetz geben.

»Klingt gut«, erwiderte ich, als mir klar wurde, dass er noch immer auf eine Antwort wartete. »Über wie viele Räume reden wir hier, McKenna? Immerhin habe ich dir schon ein Kind geschenkt, das auf den Namen Watson hört. Dafür hätte ich gerne ein bisschen Anerkennung.«

»Hast du. Aber ich finde, unser nächster Zuwachs sollte etwas weniger … Fell haben.«

Ich stemmte die Hände in die Hüften, weil sich schon jetzt zeigte, was für eine Niete er als Vater war. »Du würdest unser Kind nicht lieben, wenn es haarig ist?«

Er lachte. »Wir haben was Wichtigeres zu besprechen – also so ziemlich alles. Wenn wir uns für die neue Idee entscheiden, passt Derek den Kostenvoranschlag für den Wiederaufbau an.«

»Die Renovierung«, warf ich rasch ein.

»Den Nullen auf der Rechnung nach ist es ein Wiederaufbau«, entgegnete er mit hochgezogener Augenbraue.

Wenn er damit meinte, dass ein Großteil unserer Ersparnisse dafür draufgehen würde, hatte er recht. Die Hochzeit und die Flitterwochen würden wohl den Rest auffressen. Dann mussten wir diese hypothetischen Kinder mit Wasser und Brot großziehen. Leitungswasser, nicht etwa das teure Zeug aus der Flasche.

»Hey, ich bin den Geist losgeworden, oder?«

»Sehr gründlich sogar.« Ich wusste, dass er gerade wieder die rauchende Ruine des Wohnzimmers vor Augen hatte, nachdem ich die Wand meines Büros beim Sieg über den Mistkerl Kane weggepustet hatte. »Wann wird denn dieses Ley-Linien-Portal-Ding fertig?«

Die Frage konnte ich ihm nicht verübeln. Dakota hatte zu den Ley-Linien recherchiert, Energielinien, die den Planeten durchzogen und sich an bestimmten Hotspots kreuzten. Er war der Meinung, dass ich sie vielleicht nutzen konnte, um den Geistern ohne so viel … Feuer und Zerstörung zu helfen. Spielverderber.

Jetzt mussten wir nur noch den passenden Ort dafür festlegen, die Linien zu graben. Dakota war in der vergangenen Woche zu Besuch gekommen und hatte den Außenbereich mit einem kleinen Gerät abgeschritten, das elektromagnetische Energie maß. Dann hatte er verschiedene Punkte in unserem Garten mit kleinen, orangefarbenen Fähnchen markiert. Watson war bereits seiner Bürgerpflicht nachgekommen und hatte die meisten davon angepinkelt.

»Bald«, erwiderte ich. »Dakota arbeitet dran.«

»Gut. Dann hast du wohl deinen Handwerker und ich meinen.«

Danny gab mir einen weiteren Kuss, in dem ich mich nur zu gerne verlor. Als ich mich wieder von ihm löste, schenkte er mir ein kleines, schiefes Grinsen und streichelte mit dem Daumen über meine Wange. Ich wusste genau, wofür dieser Kuss gewesen war. Damit ließ er mich wissen, dass er das mit uns immer noch wollte – obwohl er mir eine Hälfte seines Hauses überschrieben und ich diese prompt in die Luft gejagt hatte.

Dann schaute er sich zum ersten Mal richtig um und betrachtete die Glas-und-Marmor-Konstruktion des Atriums. »Wow. Das hier ist echt …« Er verstummte und musterte die zarten Blüten, die sich am Gestell des Bogens nach oben rankten. »Wow.«

»Jep« war alles, was ich dazu sagte.

Zugegeben, die Lichterketten verliehen dem Ganzen etwas Magisches, aber es wirkte auch ein wenig … zu viel des Guten.

Das schien Danny ähnlich zu sehen. »Ist alles ein bisschen zu schick, oder?«

»Stimmt.«

Wir legten beide keinen Wert auf schickes Ambiente. Es würde schon unangenehm genug werden, weil wir beide auch keinen Wert auf öffentliche Zuneigungsbekundungen legten. Mein Nacken kribbelte allein bei dem Gedanken daran, dass alle uns anstarren würden, während wir unser Ehegelübde ablegten. Wenn dann noch eine Pferdekutsche ins Spiel kam, würde ich als erster Mensch in die Geschichte eingehen, der an Erröten gestorben war. Seine Wangen sind immer röter geworden, und dann ist er in Flammen aufgegangen, würden unsere Gäste später schwärmen. Die beste Hochzeit, auf der ich je war.

Das erinnerte mich daran, dass ich Danny noch gar nicht von der neuesten Idee seiner Mutter erzählt hatte. Also tat ich das nun. In seinem Gesicht passierte etwas Kompliziertes, als wüsste er nicht recht, was er sagen oder tun sollte.

Ich nickte verständnisvoll. Ja. Genau so war meine Reaktion auch ausgefallen bei der Vorstellung, wie wir beide als männliche Aschenputtel-Zwillinge in einer Pferdekutsche vorfuhren. Hatte ich schon erwähnt, dass unsere komplette Einheit eingeladen war?

»Okay«, sagte er und ließ einen langen Atemzug entweichen. »Das kommt nicht infrage. Und die Location hier passt auch nicht wirklich.«

Das war der Moment, in dem ich mich gleich noch mal in ihn verliebte. »Fantastisch. Jetzt musst du das nur noch deiner Mutter klarmachen.«

»Es gibt sicher einfachere Wege, abzutreten.«

»Mach schon«, ermutigte ich ihn. Was war das Leben schon ohne Opfer? Vor allem, wenn andere sie erbrachten. »Und beeil dich, weil ich noch eine Verabredung in Sachen Geister habe.«

Er blinzelte ein paarmal, während er über meine Worte nachdachte. »Hast du … eine Leiche an unserer Hochzeitslocation gefunden?«, fragte er langsam.

»Nein«, erwiderte ich abwehrend. »Glaube ich zumindest. Sie will uns irgendwohin führen.«

»Komisch, ich mache tatsächlich lieber einen Geister-Ausflug, als mich weiter mit Hochzeitsplanung zu beschäftigen. Wir sollten meiner Mutter Bescheid sagen.«

Ich hoffte doch stark, dass er das »wir« als Pluralis Majestatis gemeint hatte.

Wir trafen Paula schließlich im Schmetterlingsgarten an, wo sie sich mit Francine über das Freilassen von einem Dutzend blauer Falter nach unserem Gelöbnis unterhielt. Nur mit Mühe unterdrückte ich ein Schaudern. Ich hatte nichts gegen Schmetterlinge, aber letztlich waren sie nur Ungeziefer mit guter Publicity. Mir wäre es lieber, wenn mir nicht Dutzende von Insekten ins Gesicht flogen, weil sie das Atrium gar nicht schnell genug verlassen konnten. Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und … Oh Gott, macht sie weg, macht sie weg!

Paulas Blick fiel auf Danny, und sie gab einen zufriedenen Laut von sich. Als sie sich nach oben streckte, um ihn zu umarmen, kam er ihr entgegen. Dann meckerte sie geschlagene fünf Minuten lang über seine Verspätung. Nachdem er sich entschuldigt hatte und sie ausreichend befriedet war, lächelte sie uns strahlend an. »Schon vergessen, Darling. Ich gehe davon aus, dass Rain dich herumgeführt und auf den neuesten Stand gebracht hat?«

»Er hat mir ein bisschen was erzählt, ja.«

Sogleich machte sie sich daran, die Lücken zu füllen, tatkräftig unterstützt von Francine, die weiterhin überaus eifrig bei der Sache war. Die beiden konnten gar nicht genug erzählen über Sitzordnung und Stühle und wo er stehen würde und wo ich stehen würde … und was auch immer sie sonst noch umtrieb. Sie klangen wie zwei kleine Vögel, die aus Vera Wangs Kleiderschrank ausgebüxt waren und sich nun angeregt bezwitscherten.

Danny sah nicht so genervt aus, wie ich erwartet hatte. Sein warmer, ein bisschen liebevoller Blick war auf mich gerichtet, während er den beiden Frauen zuhörte, und ein feines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Ich tat mein Bestes, um nicht zu erröten, doch danach zu schließen, wie sich das sexy Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitete, versagte ich kläglich.

Ich konnte einfach nicht anders. Dieses Lächeln schenkte er mir normalerweise, wenn ich etwas tat, das in seinen Augen niedlich war. Oder wenn er kurz davor war, etwas Unanständiges mit mir zu machen. Schwer zu unterscheiden, und manchmal waren die Grenzen fließend.

Mit verengten Augen versuchte ich ihm mental zu übermitteln, dass er aufhören sollte, mich mit Blicken auszuziehen. Ich konnte das amüsierte Funkeln sehen, als er mich noch einmal gründlich von oben bis unten musterte. Am liebsten hätte ich ihm einen Klaps auf den Arm verpasst. Und genau das hätte ich auch getan, wenn ich mir nicht so sicher gewesen wäre, dass seine Mutter das als Angriff gegen ihr Bärenjunges werten und mich umgehend mit einem Taser attackieren würde. Ob sie überhaupt einen Taser bei sich hatte, wusste ich nicht, aber ihre Handtasche war definitiv zu groß, um nur einen Geldbeutel und ein Handy zu beherbergen.

Vögelchen Nummer eins kam endlich zum Schluss und faltete die Hände vor der Brust. »Also …« Paula war deutlich anzusehen, dass sie hier enormes Potenzial erkannte. »Was meint ihr dazu, Jungs?«

Ich riss meinen Blick endlich von ihrem Unruhestifter von Sohn los und rieb mir über den Nacken. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Mama Bär und ich nicht einer Meinung waren. Ich würde das Geld lieber in den Pool stecken, den wir uns beide wünschten, als in eine sauteure Feier. Eine Feier, die nur einen einzigen Tag ausmachte. Poolnudeln waren für die Ewigkeit.

Ich drehte mich zu Danny, weil es nie zu früh war, um seinen Zukünftigen in die Pfanne zu hauen. »Es ist sehr nett. Wirklich nett. Und wie nett das hier ist.« Je mehr Falten sich auf ihrer Stirn bildeten, desto mehr »nett« würde ich gern präsentieren. »Wie findest du es, Danny? Gefällt es dir?«

Er sah sich um, und ich wartete darauf, dass er das Offensichtliche verkündete: Es war unfassbar protzig. Und wahrscheinlich auch genauso teuer. Danny hasste Aufmerksamkeit, und diese Location schrie geradezu: Seht mich an, ich heirate heute! Danke, dass ihr gekommen seid, ihr dürft euch gern in den Bereich für einsame arme Würstchen setzen.

»Ja, das würde schon passen«, sagte er.

Mir fielen beinahe die Augen aus dem Kopf, weil das so überhaupt nicht das war, was wir gerade besprochen hatten. »Äh … was?«

Paula gab einen entzückten Laut von sich. »Großartig!«

»Ja, ist es.« Er schaute mich zärtlich an, und seine blauen Augen erinnerten an ein Feld voller Kornblumen. »Das Beste. Und du verdienst das Beste.«

Ooooh, ich hasste ihn gerade so sehr. Und ich liebte ihn mehr, als ich je für möglich gehalten hätte.

Paula wandte sich an mich. »Rain? Honey, du hast noch nicht viel dazu gesagt. Was geht dir gerade durch den Kopf?«

Ganz sicher wollte sie nicht hören, wie gerne ich ihren Sohn vernaschen würde. Ich seufzte. »Wir nehmen es.«

Danny stieß mich leicht mit der Schulter an. »Dann wäre das ja geklärt, und wir können gehen.«

»Gehen?« Seine Mutter starrte uns an, als würden wir plötzlich in Zungen sprechen. »Aber wir haben noch so viel zu tun. Rain, mir fehlt noch deine Meinung zu den Blumen. Wie wäre es mit Rosen?«

Ich schüttelte mich, weil ich sofort an einen gewissen Serienmörder denken musste, der diese Blume ein bisschen zu gern gemocht hatte. »Ich glaube, ich habe für den Rest meines Lebens genug von Rosen.«

»Er hasst Rosen?« Francine war vollkommen entgeistert. »Wer mag denn bitte keine Rosen?«

Ich entschied, sie nicht darüber in Kenntnis zu setzen, dass Rosen vielen Zwecken dienen konnten. Manche Leute arrangierten Sträuße daraus. Andere benannten ihre Opfer danach.

»Bis dann, Mom. Die Pflicht ruft«, fügte Danny noch hinzu, als Paula erneut protestierte. »Danke, dass du dich um den Termin hier gekümmert hast.«

Er umarmte sie kurz und drückte ihr einen Kuss auf die gesträhnten kastanienbraunen Haare. Sofort fasste sie sich peinlich berührt an den Kopf. Ihre Friseurin hatte sie letzte Woche zu breiten blonden Strähnchen überredet, und Paula fand sie grauenvoll. Für mich sah sie hübsch damit aus. Allerdings beschränkte sich meine Frisuren-Expertise auch auf Waschen und Föhnen.

»Sehen wir uns am Sonntag?«, fragte sie angespannt.

»Natürlich. Und wir bringen auch nichts mit«, versprach Danny, bevor sie ihren üblichen Satz loswerden konnte. »Und er mag Callas.«

Ich schnaubte, leugnete es aber nicht. Wenn ich denn eine Lieblingsblume benennen musste, dann war es vermutlich diese. »Und woher weißt du das?«, hakte ich nach, als wir vor dem Auto standen.

»Ich kenne dich.« Er gab mir einen Kuss auf den Mund, der mich ein wenig außer Atem zurückließ. »Ich hoffe, dass du mir das irgendwann glaubst, bevor wir in ein Seniorenheim umziehen.«

Und dann stieg er ein, weil er gern das letzte Wort hatte. Ich warf über meine Schulter einen Blick auf den Bogen und musste zugeben, dass es … nicht nur schrecklich war. Ich konnte mir durchaus vorstellen, Danny dort zu heiraten. Er würde verdammt gut aussehen in dem weißen Smoking, den seine Mutter für ihn im Sinn hatte.

»Aber die Kutsche ist gestrichen«, verkündete ich beim Einsteigen. »Ich will bei meiner Hochzeit nicht nach Pferd riechen, und genau das wird passieren.«

Er lachte leise. »Das ist ziemlich vernünftig für deine Verhältnisse.«

»So bin ich. Vernünftig.« Ich warf ihm einen bedeutungsvollen Blick zu. »Und standhaft.«

»Ich weiß, ich weiß. Und ich dachte erst wirklich, dass das alles zu viel des Guten ist. Aber dann hat sie beschrieben, wie es aussehen wird, und plötzlich waren da Gefühle. Ich habe dich vor mir gesehen, wie du unter dem Bogen stehst, und ich konnte mir auf einmal vorstellen, wie …« Seine Wangen färbten sich rosig, und ich wusste, dass er diesen Satz nicht beenden würde. »Egal, ich hätte dich nicht so auflaufen lassen dürfen. Bist du dir sicher, dass es für dich in Ordnung ist? Es ist noch nicht zu spät, um einen Rückzieher zu machen.«

Ich betrachtete ihn ein bisschen zu lang, einfach, weil ich ihn gerne anschaute. Eine meiner Lieblingsbeschäftigungen – wenn auch eine etwas gruselige. Ich will dich heiraten. Mir egal, wo und wie.

»Ja«, sagte ich schließlich. »Ich bin dabei.«

Sein Lächeln ließ mich die Stirn runzeln. So was machte man, wenn einem aufging, dass es nur wenig gab, was man für diesen einen Menschen nicht tun würde.

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass mich dieses Lächeln nach all den Jahren kaltlassen sollte«, meinte ich.

Er zog eine Augenbraue hoch, und das silberne Barbell-Piercing darin blitzte kurz auf. »Tut es aber nicht?«

Ich lachte leise und wandte mich von meinem persönlichen Meistermanipulator ab, um mich anzuschnallen. »Tut es aber nicht.«

KAPITEL 2

Ich wusste nie, was mich erwartete, wenn ein Geist das Ruder übernahm, aber das Haus, zu dem Hannah uns führte, sah überraschend normal aus. An manchen Ecken ein bisschen heruntergekommen, und die blaue Fassade war sicher nicht erst seit gestern so verblichen. Der Rasen sollte mal wieder gemäht werden, und der Beton in der Einfahrt war an mehreren Stellen gebrochen. Ein hoffnungsvolles Zu-verkaufen-Schild stand neben dem Briefkasten in Form einer Kuh.

Als ich einen Blick auf die Rückbank warf, war Hannah verschwunden. Frustrierend, aber nicht überraschend. Auf Dannys fragenden Blick hin schüttelte ich den Kopf. Wir würden also selbst herausfinden müssen, warum sie uns hergeführt hatte.

Wir gingen die Einfahrt hinauf. Als wir die Veranda erreichten, öffnete sich die Haustür, und ein Mann trat heraus. Er hatte eine Glatze und war tief gebräunt, nicht besonders groß, aber kräftig und hatte einen kleinen Bierbauch, der über den Bund seiner abgenutzten Jeans hing. Der am Straßenrand geparkte Chevy-Pick-up piepte, als der Typ die Treppe herunterstieg. Beinahe hätte er eine Stufe übersehen, als er uns bemerkte und abrupt stehen blieb.

Ich schätzte ihn auf irgendwo zwischen Anfang fünfzig und Ende sechzig. Sein Gesicht war von der Sonne gegerbt oder zeigte Spuren seines Alters – oder beides. Sein Blick huschte von Danny zu mir und wieder zurück. Er nahm die Marke und die Waffe an meinem Gürtel wahr und dann das Gleiche bei Danny. Mehr brauchte es nicht dafür, dass sein neugieriger Gesichtsausdruck verschlossen wurde.

»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er.

»Rain Christiansen vom BBPD.« Ich zeigte ihm meinen Ausweis und deutete auf Danny, der es mir gleichtat. »Das ist Detective McKenna.«

»Lee Parker«, stellte er sich vor, wirkte dabei aber genervt. »Was hat die Kleine jetzt wieder angestellt?«

»Wer?«, fragte ich verdutzt.

»Katie. Meine Tochter. Deswegen sind Sie doch hier, oder? Nie hat man seine Ruhe mit diesem Mädchen.« Er runzelte die Stirn, als wir seine Vermutung nicht bestätigten. »Na ja, wegen Jonah sicher nicht. Der Junge hat noch nie in seinem Leben was falsch gemacht.«

»Wir wollen uns nicht über Katie oder Jonah mit Ihnen unterhalten. Ich bin wegen Ihrer Frau hier.« Als er mich nur anstarrte, ohne zu blinzeln, fügte ich noch hinzu: »Cherry Parker. Können wir bitte mit ihr sprechen?«

Ein Lachen platzte aus ihm heraus. Kein besonders nettes. »Wenn Sie sie finden, gerne.« Er lachte noch einmal. »Diesen Namen habe ich schon seit Jahren nicht mehr gehört.«

Ich tauschte unauffällig einen Blick mit Danny. Seiner besagte eindeutig: Was hast du jetzt wieder ausgegraben? »Würden Sie das vielleicht näher ausführen?«

»Wenn Sie mir erklären, warum Sie hier nach jemandem suchen, den ich seit siebzehn Jahren nicht mehr gesehen habe«, erwiderte Lee. »Wir haben direkt nach der Highschool geheiratet. Unsere Eltern waren überzeugt, dass wir das bereuen würden. Sie haben sich geirrt … bis zu dem Tag, an dem sie mich und die Kinder verlassen hat.«

Ich klopfte kurz die Stelle ab, an der sich eigentlich mein Mitgefühl regen sollte, aber da wehte nur eine Wollmaus vorbei. »Das … tut mir leid«, rang ich mir ab. »Sie hatten seitdem keinen Kontakt mehr zu ihr?«

»Nein. Ich habe eine Weile nach ihr gesucht, sogar einen Privatdetektiv angeheuert, den ich mir nicht leisten konnte. Habe nie wieder von ihr gehört.« Mit finsterer Miene senkte er den Blick. »Wir sind ohne sie besser dran.«

Keine Ahnung, wen er davon überzeugen wollte. Während Danny ihm ein paar Routinefragen stellte, achtete ich auch auf die Dinge, die Lee nicht sagte. Ich wollte alles wissen, was er zu verbergen versuchte.

»Wie lief Ihre Ehe denn bis dahin?«, fragte Danny.

»Alles war gut. Ich meine, es war nicht perfekt. Wir hatten unsere Höhen und Tiefen, aber wer hat die nicht?« Er schaute auf Dannys Hand und machte eine Geste in Richtung seines Rings. »Sie wissen ja, wie das ist.«

Ich unterdrückte mit Mühe ein Schnauben. Wenn Lee dachte, dass er damit an Danny herankam, irrte er sich gewaltig. Danny würde sich eher in ein pinkes Einhorn verwandeln und Glitzer kacken, als freiwillig etwas Persönliches von sich preiszugeben.

Wie erwartet blieb er beim Thema. »Sie meinten, dass es nicht perfekt war. Wieso das?«

»Na ja, wir haben uns schon oft gestritten. Ein paar von meinen Geschäften haben sich nicht ausgezahlt, und das hat uns in eine finanziell angespannte Situation gebracht. Sie hatte Angst, weil ich Geld aus den College-Fonds der Kinder genommen habe.« Immerhin schien er sich dafür ein bisschen zu schämen. »Ich dachte, ich könnte das Geld zurückgeben, aber es ist anders gelaufen.«

»Was noch?«

»Sie hat sich eine Woche freigenommen, darüber haben wir uns auch gestritten. Wir brauchten das Geld, wissen Sie? Dann hat sie den Urlaub noch mal verlängert, als sie eigentlich wieder zur Arbeit gehen sollte. Aber sie hat sich auch nicht richtig entspannt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sie Entscheidungen trifft und Pläne schmiedet, in denen die Kinder und ich nicht vorkommen.« Er zuckte die Schultern. »Also hat das alles irgendwie Sinn ergeben, als sie dann abgehauen ist.«

»Sie waren nicht überrascht?«, fragte ich.

»Ich habe gesagt, dass es Sinn ergeben hat, nicht, dass ich nicht überrascht war. Ich war fix und fertig. Ich hätte nie gedacht, dass sie Katie und Jonah nicht mitnimmt, selbst wenn sie mich verlässt. Wir hatten unsere Schwierigkeiten, aber bei den Kindern haben wir nichts bereut.«

Es war nicht so ungewöhnlich, dass Menschen sich auseinanderlebten. Selbst eine lange Ehe konnte unerwartet scheitern. Das hatte ich auf die harte Tour gelernt, als meine Großeltern nach vierzig Jahren einen auf Gwyneth Paltrow gemacht und sich für eine »schmerzlose Scheidung« entschieden hatten. Was auch immer das heißen sollte.

»Ich habe vierzig Jahre damit verbracht, hinter diesem Mann herzuräumen«,hatte meine Großmutter jedem in ihrer Umgebung verkündet. »Die nächsten vierzig Jahre werde ich ganz bestimmt nicht so verbringen.« Das erklärte allerdings nicht, warum sie bis zum Tod meines Großvaters weiter zusammengelebt hatten … und zwar genau wie vor der Scheidung. Und das mit Freude. Soweit ich es beurteilen konnte, waren sie ein Hippie-Traumpaar gewesen und hatten sich nur scheiden lassen, weil ihnen das Drama gefiel.

Also nein, so komisch wäre es nicht, wenn Cherry ihre Koffer gepackt hätte und gegangen wäre, trotz der zwei Kinder und einer langen Ehe. Aber die Bestätigung dafür wollte ich mir schon gerne bei der Frau persönlich holen.

»Hatte Ihre Frau eine Freundin namens Hannah?«, fragte ich neugierig.

»Vielleicht. Wahrscheinlich. Ich kannte nicht alle Freunde meiner Frau.« Lee stieß einen lauten Seufzer aus. »Hören Sie, ich habe das alles schon mal durchgemacht, als sie abgehauen ist. Ihre Schwester Bonnie war diejenige, die sie als vermisst gemeldet hat. Die Cops haben hier rumgeschnüffelt und mich verhört. Dann haben sie mein Haus durchsucht. Mein Auto. Und wofür? Cherry ist nicht verschwunden. Sie ist einfach gegangen.«

»Okay«, erwiderte ich gelassen. »Dann macht es Ihnen ja sicher nichts aus, wenn wir weiter nach ihr suchen.«

»Tun Sie sich keinen Zwang an«, gab er unfreundlich zurück. »Ich muss zur Arbeit.«

Sichtlich wütend marschierte er an uns vorbei, war aber so vernünftig, uns nicht anzurempeln. Stattdessen machte er einen weiten Bogen um uns, als hätten wir eine ansteckende Krankheit. »War nett, mit Ihnen zu plaudern!«, rief ich ihm hinterher.

Einen Moment später stieg er in seinen Pick-up. Der Motor sprang stotternd an, und Lee fuhr in einer Rauchwolke davon. Als er dann beinahe eine volle Minute lang vor dem Stoppschild an der nächsten Kreuzung hielt, lachte ich in mich hinein. Autofahrer, die die Straßenverkehrsregeln sonst eher als grobe Richtlinien verstanden, wurden urplötzlich zu Musterschülern, wenn Polizisten in der Nähe waren.

Als ich mich zu Danny umdrehte, um einen Scherz darüber zu machen, betrachtete er immer noch das Haus der Parkers, offenbar tief in Gedanken versunken. »Alles okay?«, fragte ich.

»Hm?« Er schenkte mir ein abwesendes Lächeln. »Ja, klar. Ich habe nur nachgedacht.«

Ah. Ich wartete geduldig, während er sich über den Nacken rieb. Ich wusste genau, was als Nächstes kam – ein untrügliches Zeichen dafür, dass wir vielleicht schon ein bisschen zu lange zusammenarbeiteten. Wenn er den Mund wieder aufmachte, würde er eine sauber zusammengestellte Liste von Dingen parat haben, die wir erledigen mussten, und zwar vorgestern. So war er eben. Wahrscheinlich hatte er auch schon ein paar Verdächtige im Hinterkopf, obwohl wir noch nicht mal in die Fallakte geschaut hatten. Weil er nämlich der misstrauischste Kerl auf der We…

»Wir müssen Lees Alibi für den Tag von Cherrys Verschwinden überprüfen. Ich würde außerdem gerne mit den Kindern Jonah und Katie sprechen«, meinte er knapp. »Und mit der Schwester, Bonnie. Mit den Nachbarn. Und allen anderen, die in Cherrys Leben eine Rolle gespielt haben und etwas darüber wissen könnten, warum sie gegangen ist.«

»Wenn sie ihn wirklich einfach verlassen hat. Kommt mir komisch vor, dass sie sich praktischerweise in Luft aufgelöst hat, als die Eheprobleme schlimmer wurden.«

»Da gebe ich dir recht.«

Dannys Handy klingelte, und er fischte es aus seiner Hosentasche. Ein Blick aufs Display ließ ihn kurz die Augen schließen, bevor er den Anruf annahm. »Mom, wir sind doch eben erst weg. Rain? Er ist …« Er warf mir einen Blick zu, doch ich schüttelte den Kopf wie ein nasser Bernhardiner. »Er kann gerade nicht. Ich glaube, er spricht mit einem Zeugen.«

Ich seufzte erleichtert auf, auch wenn er das ungeschickt ausgedrückt hatte. Die richtige Ansage hätte gelautet: Rain ist nie erreichbar. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Ton. Wobei, sparen Sie sich die Mühe. Er ruft eigentlich nie jemanden zurück. Danke!

Das Gespräch hatte gerade erst begonnen, und er sah jetzt schon entnervt aus. »Nein, es ist uns egal, wie gut das Angebot für die Kutsche ist. Rain will nicht damit … autsch.« Er starrte mich finster an, nachdem ich ihm einen Tritt ans Schienbein versetzt hatte. »Wir wollen nicht mit irgendwelchen Pferden zur Trauung kommen.«

Ich hörte noch eine Weile zu, nur um sicherzugehen, dass das kleine Wiesel mich nicht wieder als Sündenbock benutzte. In Gedanken war ich jedoch schon mit der vermissten Cherry Parker beschäftigt. Im besten Fall hatte sie ihre Familie verlassen. Im schlimmsten hatte Lee ein Sie-sind-also-schon-ein-bisschen-zu-lange-verheiratet-Seminar besucht.

Ich entdeckte einen Mann, der ein paar Häuser weiter in einer geöffneten Garage stand. Er trug ein schmutziges weißes Tanktop und eine Jeans, die schon bessere Zeiten gesehen hatte, und nippte an einem Bier. Als er merkte, dass ich zu ihm rüberschaute, wandte er den Blick nicht ab – stattdessen prostete er mir mit der Flasche zu, bevor er noch einen Schluck daraus nahm.

Na dann. Das war praktisch eine schriftliche Einladung. Ich gab Danny mit einer Geste zu verstehen, was ich vorhatte, und er nickte. Dann schlenderte ich hinüber zu dem gepflegten, beige gestrichenen Haus. Eine gute Gelegenheit, mal den Nachbarn auf den Zahn zu fühlen.

Mein redseliger neuer Kumpel hieß Clifford – Cliff für seine Freunde – und lamentierte lang und breit über Ehefrauen, die ohne Vorwarnung einfach abhauten. »Ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis ihr hier wieder rumschnüffelt und Lee auf die Nerven geht. Er ist ein anständiger Kerl, der es echt nicht leicht hatte.«

Cliff kaute mir nur zu gerne ein Ohr ab, was vermutlich bedeutete, dass das, was seinen Mund verließ, zu neunzig Prozent Unsinn war. Je bereitwilliger die Leute mit einem sprachen, desto weniger wussten sie tatsächlich – so die Faustregel.

Als ich nach Verdächtigen bohrte, präsentierte mir Cliff Katies Freund als guten Kandidaten. Seiner Meinung nach war der Kerl unberechenbar gewesen. Er hatte laut Musik gehört und war regelmäßig durch Katies Schlafzimmerfenster eingestiegen. »Außerdem hatte er einen Haufen Tattoos am Hals«, erinnerte sich Cliff mit einem abfälligen Schnaufen. »Und er verstand sich nicht gut mit ihrer Mutter.«

Ich machte mir einen mentalen Vermerk, den Freund zu überprüfen, hegte aber nicht viel Hoffnung. Wenn es strafbar wäre, den Partner seines Kindes nicht zu mögen, müssten wir für die Ermittlungen eine ganz neue Einheit ins Leben rufen. Ich konnte mir meinen Boss bildlich dabei vorstellen, wie sie Detectives bei dieser Abteilung willkommen hieß.

Cliff echauffierte sich weiter, bis ein blauer Camry in die Straße einbog. Da riss er plötzlich die Augen auf. Er drückte mir die Bierflasche in die Hand, die ich ihm jedoch verdutzt wieder zurückgab. »Ich bin im Dienst«, informierte ich ihn säuerlich.

»Ach, leben Sie doch mal ein bisschen«, erwiderte er angespannt und drückte sie mir wieder in die Hand.

»Wie bitte?«, fragte ich.

»Kommen Sie schon, tun Sie mir den Gefallen«, flüsterte er.

Ich stellte das Bier auf dem Werkzeugkasten ab. Cliff wollte ich sicher keinen Gefallen tun, und ganz bestimmt würde ich mich nicht während der Arbeitszeit mit einem Bier in der Hand sehen lassen. Der Camry bog in die Einfahrt ein, und Cliff schubste die Bierflasche hinter einen Kartonstapel.

Er eilte zum Auto hinüber, um die Frau zu begrüßen, die gerade ausstieg. Sie war klein, reichte ihm kaum bis zum Kinn und trug einen pinken Trainingsanzug. Cliff nahm ihr einen winzigen Hund ab, während er Stein und Bein schwor, dass er natürlich dabei war, die Garage aufzuräumen, wie sie ihn gebeten hatte. Und nein, er lungerte nicht nur herum und trank Bier.

Ich biss mir auf die Unterlippe, um nicht zu lachen. Plötzlich hatte ich eine Vision davon, wie ich das Bier hinter den Kartons hervorfischte, woraufhin der arme Cliff tot umfiel. Dann bemerkte ich jedoch, dass Danny zu unserem Auto ging, und verabschiedete mich mit einem Winken von Cliff, bevor ich zurück über die Straße eilte.

Wir erreichten das Auto gleichzeitig, und Danny drückte auf den Türöffner. »Was hat es mit dem Kerl auf sich, der sich da an den Zwergspitz klammert?«, fragte er mich beim Einsteigen. »Und warum habt ihr beide Schwarzer Peter mit einer Bierflasche gespielt?«

»Das war mein neuer Freund Cliff.« Ich schnallte mich grinsend an. »Er hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass wir Lee seiner Meinung nach in Ruhe lassen sollten, weil er schon genug durchgemacht hat. Und er glaubt auch, dass Cherry freiwillig gegangen ist.«

»Das scheint hier weit verbreitet zu sein.«

»Außerdem ist er davon überzeugt, dass Frauen ihren Platz kennen und tun sollten, was man ihnen sagt … War er zumindest, bis seine Frau ihr Auto in der Einfahrt abgestellt und ihn angewiesen hat, mit Buttercup spazieren zu gehen. Danach kam nur noch eine Menge Ja, Schatz, sofort, Schatz.«

Danny lachte leise. »Wir sollten wohl die anderen informieren. Entweder haben wir ein potenzielles Mordopfer oder eine Frau, die einfach so ihre Kinder zurückgelassen hat.«

Ich verzog das Gesicht. Egal welches dieser beiden Szenarien wir bestätigten, es würde uns bei der Familie der Familie keine Pluspunkte einbringen. »Es gibt auch noch die Möglichkeit eines Unfalls«, erinnerte ich ihn, während er das Auto anließ.

»Und du bist der einzige Mensch, der das für was Positives halten würde«, meinte er amüsiert. »Kev und Tab schließen noch diesen Mord/Selbstmord ab. Und Nick sollte mit seiner Zeugenaussage im Russo-Fall in ein paar Tagen durch sein.«

»Ich glaube, danach hat er Urlaub.«

»Erst in zwei Wochen.« Er stellte die Klima-Automatik neu ein. »Sag mir Bescheid, wenn du mit dem ersten Schwung Laufarbeit durch bist. Dann setzen wir eine Besprechung an.«

»Ja, Schatz«, erwiderte ich und machte dabei einen auf Pantoffelheld-Cliff. »Sofort, Schatz.«

»Das ist eine gute Übung für dich. Gefällt mir.« Ein belustigtes Funkeln tanzte in seinen Augen, und er tätschelte mir das Knie. »Mach nur so weiter.«

»Leck mich, Schatz.«

Er lachte. Wie gut, dass er meinen Sarkasmus so amüsant fand. Dieser Zwei-Sekunden-Trip ins Reich der Gehorsamkeit war schon die pure Hölle gewesen.

KAPITEL 3

Ich hielt mich an die Anweisungen und vergrub mich in den folgenden beiden Tagen in den Parker-Fall. Dann setzte ich ein Meeting an. Ich hatte sogar tolle kleine Infomappen mit Fotos, Daten, Namen und grundlegenden Fakten zusammengestellt. Und ich orderte Mittagessen für alle bei Panera, auch bekannt als Suppe und Sandwiches zum doppelten Preis.

Niemand schien meine Gewissenhaftigkeit zu schätzen zu wissen.

Ich stand neben meinem Whiteboard und tippte mir mit einem Marker ans Bein. Bis jetzt hörte ich vor allem Papiergeraschel, aber kein einziges »Danke, dass du so fantastisch bist, Rain«.

Auf den ersten Blick wirkte die Paranormal Tactical Unit nicht wie eine Einheit, deren fünf Mitglieder gut zusammenarbeiteten. Wir waren alle sehr verschieden und hatten sehr spezielle Vorgehensweisen bei Ermittlungen. Kevin St. James war Dannys bester Freund, und man merkte schnell, warum. Er war echt ein netter Kerl, ebenso gelassen wie intelligent und fähig in seinem Job. Außerdem war er ein Essensstaubsauger – kein großes Problem, solange man keinen Wert darauf legte, ein stets gut gefülltes Süßigkeitenglas auf dem Schreibtisch zu haben.

Ich warf dem leeren Glas auf meinem Tisch einen Blick zu. Die Tüte Mini-Snickers hatte keine Chance gehabt, und Berichten zufolge waren sie einen grausamen Tod gestorben. Seufz.

Dann war da noch Nick, das jüngste Mitglied unseres Teams. Er war ein guter Detective, aber er trat nicht ab und zu mal in Fettnäpfchen – das waren ganze Fettfässer, in denen er sich gerne versenkte. Darüber hinaus nutzte er sein gutes Aussehen – dunkle Haare und Augen und ein glatter, dunkler Teint –, um jede Frau um den Finger zu wickeln, als gäbe es kein Morgen.

Sein Charme ließ unser Technikgenie Tabitha Wright vollkommen kalt. Tabs Temperament passte zu ihren roten Haaren, ich vermutete jedoch, dass viel davon der Tatsache geschuldet war, dass sie aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Körpergröße ständig unterschätzt wurde. Vor einem Monat hatte ein Verdächtiger sie angegrapscht und im Anschluss rumgeheult, er habe keine Zahnversicherung, während ich ihm versicherte, dass wir seinen Schneidezahn bestimmt finden würden.

Und dann gab es noch Danny, der perfekte Mann dafür, unser Schiff zu steuern und unsere Persönlichkeiten in sinnvolle Bahnen zu lenken. Nicht weil er so wahnsinnig ausgeglichen und ruhig gewesen wäre, sondern weil er uns alle gepflegt herumkommandierte. Das war ebenso Teil seiner Natur wie Ehrlichkeit und Geduld, aber diese Charaktereigenschaften mochte ich. Wie er zur Decke schaute und bis zehn zählte, während er mir die korrekte Trennung von Wäschestücken erklärte – eher weniger.

»Ich verstehe das Problem nicht«, sagte ich missmutig, sortierte aber weiter die Wäsche auf dem Boden. »Ich stecke die dunklen Handtücher mit den dunklen Klamotten in die Maschine. Warum ist das falsch?«

»Handtücher kommen zusammen mit Handtüchern rein«, erwiderte er geduldig. »Sie hinterlassen Fusseln auf deiner Kleidung. Soll ich dir noch mal meinen Hoodie zeigen?«

»Herrgott noch mal, Danny.« Ich stand so kurz vor einem Wutanfall. »Wenn du das Ding noch einmal rausholst, zünde ich es an. Dann sind die Fusseln weg.«

Es muss wohl nicht gesondert erwähnt werden, dass seine Wäschelektion schnell ein Ende fand.