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Spiritualität, Lebenserfahrung, Gott, Seele, Leben
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Gott, Leben, Selbsterfahrung, Spirituelles
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Seitenzahl: 186
Veröffentlichungsjahr: 2015
www.tredition.de
Gina K.
Spuren
der Schwarzwaldwoelfìn
www.tredition.de
© 2015 Gina K.
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7323-4302-7
Hardcover:
978-3-7323-4303-4
e-Book:
978-3-7323-4304-1
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhalt
Vorwort
Nur ein Narr (Gedicht)
Qualität statt Quantität
Mutter Erde (Gedicht)
Umgang mit Gefühlen
Liebesgedicht an eine Tulpe (Gedicht)
Der Sinn richtiger Ernährung
DU hast die Wahl (Gedicht)
Authentizität oder „Die Befreiung aus der Opferrolle“
Das wünsche ich Dir (Gedicht)
Das Spiel des Lebens
Der Weg ist das Ziel (Gedicht)
Über Gott - den Großen Geist
Die Farben Gottes (Gedicht)
Vom Geben und Nehmen
Regenwald (Gedicht)
Religion und Gurus
Meister (Gedicht)
Krankheit
Morgen (Gedicht)
Die Wichtigkeit von Stille
Gräser (Gedicht)
Über das Bewusstsein
Tier (Gedicht)
Das Mysterium des Todes
Der Tod (Gedicht)
Schlusswort
Vorwort
Mein Name ist Gina. Auf meiner Geburtsurkunde steht Regina. Doch die bin ich nicht. Regina bezeichnet eine Person, die meine Eltern gerne gehabt hätten und zwar so, wie sie sich diese in ihren Wunschträumen gedacht hatten. Ich konnte ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen, denn ich bin anders - völlig anders. Deshalb bin ich Gina. Als Gina fühle ich mich wohl und kann mich mit mir selbst identifizieren. Als Gina bin ich - ich.
Warum Schwarzwaldwoelfin, wo ich doch noch nicht einmal im Schwarzwald lebe? Nun, ich wurde am Tor zum Schwarzwald geboren und war schon immer gerne dort unterwegs. Ob in Begleitung meiner Hunde oder alleine, meine Füße haben unzählige Wege dort beschritten, waren an vielen versteckten Plätzen und haben mir immer zu neuen Erkenntnissen verholfen, gepaart mit wundervollen Aus- und Einblicken in die Natur.
Mein Krafttier ist der Wolf und so fügte ich beide Begriffe zusammen. Entstanden ist die Schwarzwaldwoelfin. Mikey, mein im März 2012 verstorbener Seelenhund, war es dann, der diesen Namen schuf und die Schwarzwaldwoelfin zum Leben erweckte. Ihm zu Ehren begann ich damals eine homepage aufzubauen, als er mich verlassen musste. So konnte ich meine Trauer um ihn mit etwas Gutem verbinden. Da eine homepage einen Namen braucht, kreierte ich den Namen Schwarzwaldwoelfin.
Über ein Jahr füllte ich die Seite dann mit Tierschutzprojekten und sog. „Tagestexten“. In diesen Texten griff ich immer ein Thema auf, von welchem ich mich gerade berührt fühlte und schrieb darüber meine spirituellen Erkenntnisse und Einsichten. Nach dem Tod meines Lebensgefährten im Februar 2014, versuchte ich dies beizubehalten, schaffte es aber nicht. Stattdessen begann ich nun, Briefe zu schreiben. Briefe, die an ihn gerichtet waren, immer aber auch ein gerade aktuelles Thema enthielten. Ich spielte mit dem Gedanken, diese eines Tages anderen als Wegbegleitung, zur Verfügung zu stellen. Inzwischen glaube ich aber, dass die Trauer über einen persönlichen Verlust, von Mensch zu Mensch so grundverschieden ist, dass meine Texte zu wenig abdecken würden und so ließ ich auch das wieder sein.
Doch da war diese Stimme, die pausenlos in mir tönte, dass ich schreiben soll. Und so begann ich dann in meinem Sommerurlaub dieses Werk. Der Grundgedanke war zunächst, meinem Sohn meine Erfahrungen zu hinterlassen, für die Zeit wenn ich mal nicht mehr auf Erden weile. Aber nicht nur meinem Sohn, sondern auch meinen Enkelkindern – die ich doch hoffentlich noch erleben darf. Je mehr ich aber schrieb, desto mehr wuchs in mir der Wunsch, diese Zeilen allen daran Interessierten hinterlassen zu wollen. Der eine mag sie belächeln, wie man oft auch mich belächelte, den anderen werden sie zu Kritik animieren, was auch natürlich ist und einige werden etwas darin finden, das ihnen hilft sich neu zu entdecken. Für sie habe ich diese Zeilen geschrieben. Für all diejenigen, die weiter wachsen und dazu beitragen wollen, unsere Erde wieder lebenswert zu machen.
Immer einmal wieder habe ich von Menschen gesagt bekommen, dass sie meine Stärke bewundern. Darauf möchte ich erwidern, dass diese Stärke nicht aus mir selbst kommt. Ihr voraus gingen viele, sehr schlimme Erlebnisse, um die mich ganz sicher niemand beneiden würde. Dass ich diese alle überlebte und dass genau sie es waren, sie mich stärker gemacht haben, sehe ich als Geschenk Gottes an. Er hat mir immer wieder neue Kraft gegeben, damit ich wieder aufstehen kann. Er hat mir Türen geöffnet, wo ich keine mehr gesehen habe und er hat mir all die weltlichen und geistigen Helfer geschickt, die mich dabei unterstützt haben, meinen Weg kontinuierlich fortzusetzen, auch wenn ich glaubte, ich könne keinen weiteren Schritt mehr tun. Diesen Weg gehen zu dürfen erfüllt mich mit Dankbarkeit. Dennoch habe ich ihn oft genug auch verflucht.
Betonen möchte ich, dass es sich bei allem, was hier geschrieben steht, um meine persönlichen Erfahrungen handelt. Jeder muss seinen Lebensweg finden und diesen alleine gehen. All die Dinge, die ihm dort begegnen, muss er selbst erleben und erfahren, um so eins mit ihm zu werden.
Somit ist dieses Buch kein Ratgeber. Ich bin weder Coach, noch Führer und schon gar kein Meister. Ich bin Mensch, bin eine Reisende auf dem Weg zwischen Geburt und Tod und somit Schülerin bis zum Ende. Wenn ich Euch hier an meinen Erfahrungen teilnehmen lasse, dann einzig und alleine deshalb, weil ich dem Ruf meiner Seele folge und mir nichts sehnlicher wünsche, als dass viele Menschen sich ebenso auf den Weg machen, um Frieden zu schaffen. Jeder auf seine Art.
Ich widme dieses Buch in erster Linie meinem Sohn Benjamin mit all seinen Nachkommen. Ich widme dieses Buch auch meinem Weggefährten Marcel, der mir schon vorausgegangen ist. Er war mit Sicherheit derjenige, mit dem ich am meisten über all das gesprochen habe, was ich hier hinterlasse. Er war mein Seelenpartner und nichts kann seinen Platz je füllen. Vor allem aber widme ich dieses Buch Mutter Erde. Die Zeit ist reif für eine große Veränderung. Ich wünsche mir, dass Mutter Erde wieder die Achtung erhält, die sie so sehr verdient und dass endlich Schluss ist, mit der sinnlosen Ausbeutung von Mensch und Tier sowie der schönen Pflanzenwelt. Ich wünsche mir, dass Bäume wieder alt werden dürfen, dass Wälder wieder dicht werden, dass Tiere weder in Schlachthäusern noch in Versuchslabors ihr Leben lassen müssen und dass Friede wieder in die Herzen der Menschen einzieht.
Ich danke all den Menschen, die mein Leben in irgendeiner Form berührt haben und es zu dem machten, was es ist. Sie alle haben mir meine Erfahrungen geschenkt. Gute und schlechte.
Ich danke allen, die mich ertragen haben in Phasen, in denen es mir schlecht ging und die auch meine dunklen Seiten aushielten. Wen auch immer ich in irgendeiner Form verletzt habe - es tut mir leid. Es war niemals meine Absicht, jemandem weh zu tun. Doch auf der Reise dieses Erdenlebens bleibt uns dies allen nicht erspart. So wird jeder sowohl verletzt, als auch schuldig. Das ist Teil dieses Daseins. Wichtig ist es, zu lernen und zu wachsen. Darum habe ich mich bemüht.
Ich danke meinen Schutzgeistern und Helfern aus der anderen Hälfte des Seins. Und ich danke meinen Ahnen, die mich unsichtbar auf meinem Weg begleiten und unterstützen.
Ich danke meinen Tieren, die mir immer die treuesten Freunde waren. Sie alleine haben die Gabe, die Menschen anzunehmen, wie sie sind und trotz all ihrer Fehler und Schwächen zu lieben. Sie sind es, die uns auffangen, wenn wir am Ende sind und uns still und leise weitertragen. Ihnen gilt meine ganze Liebe, denn sie waren es, die mich wieder lieben gelernt haben, als ich es nicht mehr konnte.
Besonderen Dank möchte ich an dieser Stelle auch meiner damaligen Therapeutin, Renate Bergner, aussprechen. Sie fing mich im Jahr 2000 nach einem traumatischen Vorfall auf und ich weiß nicht, was – ohne sie – aus mir geworden wäre. Sie hielt meinen jahrelang aufgestauten Schmerz mit mir aus und deckte in einer Engelsgeduld Schicht um Schicht von mir auf, bis das, was ich wirklich war, zum Vorschein kam. Ich nenne sie gerne meine zweite Mutter, die mir nochmal neu das Leben schenkte.
Und natürlich gebührt am meisten Ehre dem Großen Geist, der mich Tag für Tag, Nacht für Nacht unermüdlich führt, leitet und schützt. Worte reichen nicht aus, ihm zu danken. Ich kann ihm nur danken, indem ich ihm mein Leben anvertraue und zu meiner Nummer 1 mache.
Gina K.
Nur ein Narr
Als ein Narr bin ich geboren -
zu dienen euch als Spiegelbild.
Schaut ihr hinein - seht ihr verschwommen
euch mal ganz zart und mal ganz wild.
Mit Fingern zeigt ihr auf mich Narren,
ich werd bespuckt und angespien.
Ihr spannt mich vor den Narrenkarren
und läßt ihn mit Geschrei mich ziehn.
Und wenn die Kräfte mir versagen,
ich bin ein Narr - und lache laut.
Ein Narrenkind darf niemals klagen,
verschafft sich eine dicke Haut.
Doch tief im Narrenherz begraben,
ruht Weisheit - ist gefüllt die Brust.
Der Pöbel sieht nur meine Narben.
Wer tiefer blickt - sieht Lebenslust.
Wer mich erkennt - wird mich verstehen,
dass ich - der Träumer - helfen muß.
Wer mich erkennt - wird mit mir gehen,
will bei mir bleiben - bis zum Schluß.
Er wird durch mich die Sterne seh’n,
wird fühlen, wie noch nie zuvor,
wird vor so manchem Zauber steh’n
und schreiten durch das Narrentor.
Wer mich erkennt - erkennt nur sich -
als Narr bin ich gekommen.
Im Spiegel sieht er niemals mich,
hat nur sich selbst vernommen.
( Gina K. 2012)
Qualität statt Quantität
Das Leben ist voll von materiellen Gütern, die nie in vollem Umfang verbraucht werden können. Und das Leben ist voll von Eindrücken, die nie alle ganz verarbeitet werden können. Dies ist meine Erfahrung. Gerade mit der zweiten – der, der Eindrücke – habe auch ich noch immer zu kämpfen.
Oft habe ich mich gefragt, wie es sein kann, dass es in dieser Welt Menschen gibt, die Hunger leiden. Ehrlich gesagt, konnte ich mir das nie vorstellen. So als junger Mensch lebt man vor sich hin, versucht sich selbst zu finden und definieren und greift nach allem, was man haben kann. Und – auch wenn wir oft das Gegenteil glaubten – wir hatten verdammt viel. Vielleicht zu viel. Meine Generation, die sog. Nachkriegs-Generation, erlebte ich als zwar materiell verwöhnt, doch seelisch verkümmert. Warum boomte gerade in den 60er und 70er Jahren die „flower-power-Bewegung“ mit all ihren Nebenerscheinungen, ihren vielen Drogenkranken und –toten?
Die Antwort, die ich für mich darauf gefunden habe ist die, dass viele dieser Jugendlichen verwirrt und irritiert waren. Unsere Generation bestand aus Kindern von Eltern, die zum Teil schwer traumatisiert waren, weil sie – selbst noch Kind – den Krieg miterleben mussten. Dieser wurde nie wirklich verarbeitet. So blieben sie selbst Kinder, weil sie nie eine Kindheit hatten. Ihre Kindheit fiel dem Wettlauf mit dem Tod zum Opfer.
Was resultiert daraus? Erwachsene Menschen, die nie wachsen und reifen durften und so innerlich verängstigte und wütende Kinder geblieben sind. Und genau diese Menschen wurden dann zu Vätern und Müttern, die Kinder erziehen wollten. Doch nach welchen Maßstäben? Nach welchen Kriterien? Sie kannten doch nur Aufopferung der eigenen Kindheit, Angst, Hunger und Not. Sie kannten Anpassung und Gehorsam, Strenge und Verzicht. Wie sollten diese Menschen nun ihre eigenen Kinder in Liebe und Freiheit erziehen? Sie waren – so meine Meinung – mit dieser Aufgabe vielerorts schlichtweg überfordert.
Ich kann nur von meinen eigenen Erfahrungen sprechen. Aber ich weiß aus vielen Gesprächen, dass es unzählige Gleichgesinnte gibt, welche ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Um besser verstanden zu werden, möchte ich auf ein Beispiel zurückgreifen.
Meine Mutter, drittgeborenes Kind im damaligen Polen (die zwei vor ihr geborenen Kinder starben und so wurde sie die Älteste aller Geschwister), verlebte zunächst eine – wie ich aus ihren Erzählungen weiß – schöne, aber kurze Kindheit. Sie wuchs auf inmitten unberührter Natur, auf einem Bauernhof in der Nähe der Netze. Ihr Leben begann zwischen Gänsen, Kühen und Pferden im Kreise ihrer Familie. Diese Idylle sollte jedoch nicht lange währen, denn der Krieg nahm ihr all das. Auf die Einzelheiten, die sie mir berichtete, gehe ich an dieser Stelle nicht ein, denn um diese geht es mir hier nicht. Wichtig ist, dass sie mit ihrer hochschwangeren Mutter und ihrer sechsjährigen Schwester im Alter von 9 Jahren über Nacht alles hinter sich lassen und fliehen musste. Sie – als die Älteste – wurde plötzlich in eine Verantwortung getrieben, der ein Kind, in diesem Alter niemals gerecht werden konnte. Ihre Mutter forderte die Kinder auf, alles anzuziehen, was möglich war, um so viel, als möglich mitnehmen zu können. Dann bepackte sie in aller Eile einen Kinderwagen mit den nötigsten Dingen und flüchtete mit ihren beiden Mädchen in der Eiseskälte des Januars. Meine Mutter spürte zu der Zeit ihre Angst nicht, denn sie musste auf die hochschwangere Mutter aufpassen, den Wagen schieben, und ihre kleine Schwester mitziehen. Da blieb keine Zeit für Angst oder Wut. Hier ging es nur ums Überleben. Sie erzählte oft, wie sie über Leichen hinwegstolperten, wie sie Vergewaltigungen von Frauen sah oder wie aus toten Pferden Fleisch geschnitten wurde, um nicht zu verhungern. Hätte sie in diesem Moment Angst oder Entsetzen gespürt … sie wäre wohl nicht fähig gewesen, zu handeln. Der Mensch ist wunderbar geschaffen, denn der menschliche Körper verfügt über einen Mechanismus, der ihn auch solche Extremsituationen überleben lässt, indem er auf „Verdrängung“ schaltet. So auch bei diesen vielen Kriegsüberlebenden.
Was passierte nun später? Meine Mutter landete dann irgendwann mit ihrer Familie in einem Flüchtlings-Auffanglager. Dort teilten sie sich mit anderen Familien einen Raum für eine Zeit. Dann ging die Reise weiter in das nächste Lager und das übernächste, bis sie irgendwann hier ankamen und blieben.
Hier reifte meine Mutter nun (äußerlich) zu einer jungen Frau, fand einen Mann (meinen Vater) und heiratete ihn, um nun auf eigenen Füßen zu stehen und selbst eine Familie zu gründen.
Mein Vater – nicht ganz so traumatisiert – aber dennoch auch aufgewachsen bei alleinstehenden Tanten, ohne Mutter und mit einem Vater, der in den Krieg ziehen musste und somit im Grunde genommen ebenfalls nicht erreichbar für ihn war, sieht das auch heute noch als „nicht schlimm“ an. So sehr kann ein Mensch verdrängen, dass er nicht einmal mehr diesen ersten Verlust und den damit verbundenen Schmerz spürt.
Mein Vater also, der seine Mutter als Kleinkind verloren hat, suchte sich eine Frau, die stets große Verantwortung zu tragen hatte und eine Familie versorgen konnte. Meine Mutter, immer nur in der Verantwortung für ihre Familie, suchte sich einen Mann, der ihr endlich das geben konnte, was sie sich so sehr wünschte … versorgt zu werden und nicht mehr länger Verantwortung zu tragen. Beide hatten also genau den Pol angezogen, den sie zum Ausgleich brauchten. Und genau daraus entstand ich.
Nun stelle man sich diese beiden Menschen als Eltern vor. Was geschah? Mein Vater strebte seine Karriere an, um „materiell“ abgesichert zu sein und so für alles sorgen zu können. Das konnte er, das hatte er gelernt. Bei seinen Tanten und seinem Vater hatte er erfahren, dass es das wichtigste war, zu arbeiten und so etwas zu werden. Und noch heute höre ich seine Worte, gegen die ich bereits in meiner Jugend rebellierte und die ich immer schon in Frage stellte: „Hast Du was, bist Du was – hast Du nichts, bist Du nichts“
Meine Mutter hingegen, strebte nach etwas ganz anderem, nämlich danach, endlich versorgt zu werden und keine Verantwortung mehr tragen zu müssen. Sie sehnte sich danach, endlich einmal selbst Kind sein zu dürfen und ganz unbekümmert mit ihrer Puppe (das war dann ich) spielen zu können. Eine Puppe – so meinte sie – gehört einem ja ganz allein. Man kann sie anziehen und ausziehen und kämmen – ganz nach Belieben. Eine Puppe kann man aber auch – wenn einem nicht danach ist – in die Ecke setzen und sie später wieder hervorholen. Die Puppe bleibt dann ruhig und still dort sitzen – ein Kind nicht. Das hatte sie wohl nicht berücksichtigt.
So wurde ich also Puppenkind, das alles hatte, was es zum Leben brauchte. Saubere und schicke Kleidchen, weiße Strumpfhosen und schwarze Lackschuhe, ordentliche Zöpfe und vorbildliche Tischmanieren. Ab und zu durfte ich mit den Eltern in Urlaub fahren, aber auch dort galt vor allem eines: Zucht und Ordnung. Ein Kind hat sich so zu verhalten, dass man es nicht hört. Wie eine Puppe eben.
Je älter ich wurde, desto mehr rebellierte ich gegen dieses System. Ich rebellierte gegen alles und jeden, denn ich wollte nur eines: Freiheit. Ich verstand zu jener Zeit noch nicht, dass meine Eltern mir unmöglich diese Freiheit zugestehen konnten. Denn hätten sie erkannt, wie wichtig es für ein Kind ist, ernst genommen zu werden, gefördert zu werden, bedingungslos geliebt und geachtet zu werden, hätten sie ihre eigene Kindheit in Frage stellen müssen. Sie hätten sich mit sich und ihrer Vergangenheit auseinandersetzen müssen. Das aber schafften sie nicht. Zu leidvoll war diese, als dass sie sich daran erinnern wollten. Also mussten sie das Leben ihrer Kinder genauso machen, wie ihre eigene Kindheit war … einsam und schmerzvoll. Nur so konnten sie mit ihrem Trauma umgehen, weil sie sich so vormachen konnten, ihr eigenes Schicksal sei „normal“ gewesen.
Das Resultat aus all diesen ganzen Verkettungen war dann, dass die Familien immer mehr Wert darauf legten, Güter anzuhäufen. Je mehr man vorweisen konnte, desto mehr stieg das Ansehen in der Bevölkerung. Man fühlte sich sicher! Wer etwas vorzuführen hatte, sei es ein Haus, einen neuen Wagen, tolle Erlebnisberichte aus dem letzten Urlaub, der hatte es geschafft. Er gehörte zu denen, die etwas waren.
So ging es weiter. Viele Jahre dienten nur dem Aufbau von Prestige. Niemand hinterfragte, warum und für was man da so viel aufbaute. Ich habe meine Mutter so oft versucht dahingehend zu überreden, dass sie sich mal etwas gönnen soll, dass sie reisen soll und sich das Leben schön machen. Leider konnte sie das überhaupt nicht. Sie sparte und legte jeden Cent auf die Seite und wenn ich fragte, für was sie das denn tue, antwortete sie: „Für Euch“. Wir erklärten ihr immer wieder, dass sie das nicht tun soll, weil wir das nicht wollten. Wir haben genug und uns geht es gut. Aber sie ließ sich nicht davon abbringen und wir konnten sie nicht überzeugen, dass ihr Denken falsch ist. Heute ist Mama schon lange in einem Altersheim, weil sie dement ist. Und all ihre Ersparnisse fließen nun dort in ihre Pflege. Schade, dass sie es nicht „bewusst“ erleben kann, dass sie nun doch – wenn auch auf eine ganz andere Art – aber eben doch für sich gesorgt hat. Jetzt – in der Demenz – darf sie endlich das sein, was sie sich ihr Leben lang gewünscht hat: ein Kind – ohne jede Verantwortung für das, was es tut.
Wir alle leben in einer überaus reichen Welt, auch wenn ich viele Menschen ständig jammern und klagen höre. Manchmal möchte ich diese unzufriedenen Menschen gerne mal einen Monat nach Afrika, Brasilien oder nach Syrien schicken – dorthin wo täglich Menschen sterben. Dorthin, wo Menschen nicht einmal Wasser zum Trinken haben, während sich hier Kleinkinder schon dicke Bäuche mit Coca-Cola antrinken. Dorthin wo Kinder nicht einmal das Nötigste haben, um überleben zu können, während sich hier Müllberge aus achtlos weggeworfenen Spielzeugen ansammeln. Wo sich Kinder prostituieren, um ihre Familien zu unterstützen, während hier Kinder nicht einmal mehr im Haushalt helfen müssen.
Wie kann so etwas möglich sein? Wie kann es angehen, dass wir hier jammern, während wir nachweislich täglich Lebensmittel und andere Verbrauchsgüter in den Müll kippen? Wo dort Menschen mit so wenig zufrieden sind wie etwas reinem Wasser und Mais, um ihren Kindern wenigstens einen Brei anbieten zu können? Was haben wir zu klagen? Wir, die ihre Ärsche auf blankpolierte Toiletten platzieren und uns dieselben mit geblümtem Toilettenpapier abwischen können, während Menschen in anderen Teilen der Erde, ihre Notdurft in Löcher verrichten und zwischen dem Gestank ihrer eigenen Fäkalien leben müssen ?
Was ist aus uns geworden?
Ich kann nicht sagen, dass ich nicht auch bestimmte Dinge genieße. Auch ich genieße den Luxus, hin und wieder wegfahren zu können, Urlaub zu machen oder den Luxus, meine Tiere unterhalten zu können. Aber meine Wertmaßstäbe haben sich gravierend geändert. Innerlich habe ich einen Wandel erlebt weg von der Quantität – hin zur Qualität. Und immer noch ist es mir nicht genug, denn ich weiß, dass noch weniger, mich noch glücklicher machen wird.
Meine Erfahrung ist, dass alles, was der Mensch an einem „Zuviel“ hat, bald zu Ballast wird. Hat man viel Eigentum – hat man auch viel Verantwortung. Ich – für meinen Teil – möchte gerne so wenig wie möglich verwalten müssen, also muss ich dafür sorgen, dass ich nur so viel besitze, wie ich auch problemlos überblicken und versorgen kann. Das macht mich ein Stück weit freier.
Heute ist für mich nicht mehr wichtig, dass der Kühlschrank voll ist. Heute ist für mich wichtig, was ich im Kühlschrank habe. Während ich noch vor Jahren viele Lebensmittel bedenkenlos in den Müll entsorgt habe, weil sie nicht mehr genießbar waren, ist dies heute zu einer Seltenheit und einer großen Ausnahme geworden. War ich früher bedacht darauf, ein Auto als Statussymbol zu fahren, ist es mir heute nur noch wichtig, dass das Fahrzeug praktisch ist und die speziellen Bedürfnisse abdeckt, die ich habe. Hatte ich früher noch Spaß daran, von tollen Aktivitäten aus einem Urlaub zu erzählen, komme ich heute lieber erholt und zufrieden nach Hause – ohne etwas Besonderes erlebt zu haben.
Qualität statt Quantität. Als ich vor zwei Jahren umgezogen bin, habe ich mich von vielem getrennt. Ich fragte mich, wie viele Bettbezüge braucht ein Mensch? Wie viele Handtücher? Wie viele Kaffeeservice? Ich wette, jeder zweite Haushalt weist mehr davon auf, als er jemals benutzen und verbrauchen kann. Auch ich habe immer noch zu viel davon, aber doch schon weniger, als zuvor. Wie glücklich müssen sich die Menschen einst gefühlt haben, als sie am Sonntag ihr ganz besonderes Kaffeegeschirr aus dem Schrank holten, weil sie nur dieses eine hatten und es für besonderen Anlässe aufbewahrten und pflegten. Da war der Sonntagskaffee tatsächlich noch etwas ganz außergewöhnliches und wurde mir großer Sorgfalt abgehalten. Wie besonders war so ein Kaffee im Gegensatz zum heutigen „coffee-to-go“?
Wer geht heute noch liebevoll mit solchen Bräuchen um? Wer hat noch ein solches Sonntagsgedeck und bereitet dementsprechend den Tisch vor? Wer nimmt sich noch die Zeit, das besondere und ausgefallene zu genießen? Wir alle haben doch gar keine Zeit mehr dazu. Wir sind gewohnt, zu rennen, zu hetzen, uns schnell etwas im Vorbeigehen in den Mund zu stecken, immer darauf aus, dies zu tun und jenes zu erledigen.
Wann kommen wir mal zur Ruhe?