STARBUCK II - Matt Braun - E-Book

STARBUCK II E-Book

Matt Braun

0,0
7,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

In Tombstone ist der Teufel los. Maskierte Banditen überfallen die Silbertransporte und verschwinden mit der Beute in der Wüste. Wells Fargo ist der Verzweiflung nahe. Hinter den geheimnisvollen Raubzügen scheinen die Earps zu stecken, und es gibt niemanden, der es mit diesen gerissenen Revolvermännern aufnehmen könnte.

Niemanden – bis auf Luke Starbuck.

Für eine angemessene Summe ist der Menschenjäger auch dazu bereit, gegen Wyatt Earp und Doc Holliday anzutreten. Er ahnt nicht, dass ihn ein Kampf erwartet, der sogar den Gunfight am OK-Corral in den Schatten stellt...

Der Band Starbuck II enthält die Romane Starbuck gegen die Earps und Starbuck gegen Jesse James von Matt Braun. Der Apex-Verlag veröffentlicht diese Klassiker des Western-Romans in seiner Reihe APEX WESTERN, ergänzt um ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2019

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


MATT BRAUN

Starbuck II

Zwei Romane in einem Band

Apex Western, Band 22

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

STARBUCK GEGEN DIE EARPS 

 

STARBUCK GEGEN JESSE JAMES 

 

»Lynchjustiz, ohne gesetzlichen Krimskrams«: Matt Brauns Starbuck-Romane - 

Ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth 

 

Das Buch

In Tombstone ist der Teufel los. Maskierte Banditen überfallen die Silbertransporte und verschwinden mit der Beute in der Wüste. Wells Fargo ist der Verzweiflung nahe. Hinter den geheimnisvollen Raubzügen scheinen die Earps zu stecken, und es gibt niemanden, der es mit diesen gerissenen Revolvermännern aufnehmen könnte.

Niemanden – bis auf Luke Starbuck.

Für eine angemessene Summe ist der Menschenjäger auch dazu bereit, gegen Wyatt Earp und Doc Holliday anzutreten. Er ahnt nicht, dass ihn ein Kampf erwartet, der sogar den Gunfight am OK-Corral in den Schatten stellt...

Der Band Starbuck II enthält die Romane Starbuck gegen die Earps und Starbuck gegen Jesse James von Matt Braun. Der Apex-Verlag veröffentlicht diese Klassiker des Western-Romans in seiner Reihe APEX WESTERN, ergänzt um ein Essay von Dr. Karl Jürgen Roth.

STARBUCK GEGEN DIE EARPS

 

 

 

Anmerkung des Autors

 

 

Die Schlacht am OK-Corral gehört zu den dauerhaftesten Mythen in der Folklore des Westens.

Allerdings ist nur den allerwenigsten Menschen bewusst, dass diese Schießerei am OK-Corral lediglich eine Art Vorspiel war, ein Auftakt. Was danach geschah, kann man als blutiges Kapitel in den Annalen des Alten Westens bezeichnen.

Zwischen dem Oktober des Jahres 1881 und April 1882 wurde Tombstone zu einem Schlachtfeld. Eine brutale Blutrache, ausgelöst durch die Schießerei am OK-Corral, führte zu Mord und Meuchelmord und kaltblütiger Hinrichtung. Dabei wurde nie in Frage gestellt, wer tötete oder warum. Es gab lediglich Kontroversen um Wyatt Earps Motive, und in gewissem Umfang gibt es diese Kontroverse noch immer. Von Erfindungen und Mythen befreit haben verblüffende Wahrheiten die Zeit überdauert.

Die Fakten beweisen ganz eindeutig, dass Habgier und Korruption, bedingt durch politisches Taktieren, die eigentlichen Ursachen dieses Blutvergießens waren. Postkutschenüberfälle waren an der Tagesordnung, und Wyatt Earp wurde verdächtigt, daran beteiligt, ja, sogar Drahtzieher einer Bande gewesen zu sein. In jener Zeit schickte Wells Fargo tatsächlich zwei Agenten nach Tombstone. Sie hatten die Aufgabe, die Bande aufzustöbern und dem Blutvergießen ein Ende zu setzen.

Luke Starbuck war für eine solche Aufgabe wie kein anderer geeignet. Sein Ruf als Detektiv und Menschenjäger war im Alten Westen konkurrenzlos. Die hier beschriebenen Ereignisse und die Erkenntnisse, die er über Wyatt Earp gewann, sind im Wesentlichen dokumentierte Fakten. Hinsichtlich seiner Vorgehensweise und der Handlungen bestimmter Charaktere wurden literarische Zugeständnisse gemacht. Alles andere liegt dichter bei der Wahrheit als beim Mythos.

Dieser Roman erzählt durch Luke Starbuck die Geschichte, wie sie noch nicht erzählt worden ist.

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

Starbuck überquerte die Larimer Street, wobei er die Polizeistation nicht aus den Augen ließ.

Irgendwie fühlte er sich mit dem .45er Colt, der im Bund seiner Hose steckte, unwohl. Er war daran gewöhnt, für das Gesetz einzutreten und betrachtete das Verbot dieser Stadt, Faustfeuerwaffen zu tragen, als absoluten Unsinn. Zwar verbarg sein Jackett die Waffe, aber es ärgerte ihn dennoch, dass er durch den sogenannten Fortschritt plötzlich auf der anderen, der falschen Seite des Gesetzes stand.

Wie die meisten Städte des Westens galt nun auch Denver als fortschrittliche Metropole. Im Jahre 1881 war die Bevölkerung auf nahezu 100.000 Einwohner angewachsen, und dank der Reformbemühungen und der damit verbundenen Erlasse wurden die Gepflogenheiten der ehemaligen Grenze zunehmend verdrängt. Nicht, dass das alte Denver durch diese kosmopolitische Haltung völlig verschwunden wäre; wer Freudenhäuser, Spielsaloons oder anrüchige Saloons betrieb, arbeitete immer noch mit Korruption und Schmiergeldern. Doch jetzt war diese Stadt ein Handelszentrum mit zwei Eisenbahnlinien und einem aufstrebenden finanziellen Distrikt. Und einem Gesetz, das das Tragen von Waffen verbot.

Starbuck fragte sich langsam, warum er Texas überhaupt verlassen hatte. Während er an der Polizeistation vorbeiging, kam ihm in den Sinn, dass späte Einsicht die wohl schlechteste Ausgangsposition sei. Mit dieser Erkenntnis kam sich ein Mann allerdings sehr blöde vor.

Von Nordwesten wehte ein lebhafter Dezemberwind. Er brummte, hob die Nase in den Wind, um zu prüfen, ob der Wind Schnee ankündigte, und eilte über die Straße. Nachdem er den halben Block entlang gelaufen war, bog er in den Eingang des Brown Palace Hotels ein.

In der Lobby zog er seine Taschenuhr hervor. Im Brief Vernon Whiteheads hatte Punkt zehn gestanden, und so blieben ihm noch einige Minuten Zeit. Er erkundigte sich an der Rezeption. Whiteheads Name verursachte noch weit mehr Aufmerksamkeit, als er erwartet hatte. Der Mann hinter dem Schalter wies ihm die richtige Richtung, wobei er mehrfach darauf aufmerksam machte, dass der betreffende Gentleman die beste Suite des Hotels bewohne. Starbuck durchquerte die Lobby, warf einen Blick auf das üppige Dekor und die schreiende Bemalung, die sich über die ganze Breite der Decke erstreckte. Ihm fiel ein, dass ein Schlafhaus daran gemessen ziemlich erbärmlich wegkam.

Während er die breiten Stufen emporstieg, erinnerte er sich, dass die ganze Operation gewaltige Ausmaße annehmen würde. Zu Beginn des kommenden Frühjahres würden die Präsidenten der Viehzüchter-Verbände des gesamten Westens in Denver Zusammentreffen. Sie hatten die Absicht, sich in einer International Cattlemen's Association zu vereinen. Ihr Hauptziel war, abgesehen davon, mit vereinten Kräften gegen die Heimstätter vorzugehen, gemeinsam etwas gegen Vieh- und Pferdediebe zu unternehmen. Vernon Whitehead, der Vorsitzende des Exekutiv-Komitees, hatte ihn zu einer vorbereitenden Planungssitzung eingeladen. Ihm war die Position eines Chef-Weidedetektives angeboten worden.

John Chisum, der vielleicht der meist respektierte Rinderzüchter im Westen war, hatte ihn für diese Aufgabe empfohlen. Einige Monate zuvor hatte er maßgeblich dazu beigetragen, eine Bande von Viehdieben unschädlich zu machen, die auf Chisums Besitztümern in New Mexiko ihr Unwesen trieb. Zur selben Zeit hatte er auch Billy the Kid verfolgt und war in jener Nacht dabei gewesen, als Pat Garrett den jungen Outlaw tötete. Die darauffolgenden Veröffentlichungen hatten seinen ohnehin schon weitbekannten Ruf als Menschenjäger noch mehr publik gemacht.

Oben angekommen ging Starbuck durch den Korridor und blieb schließlich vor der Tür der Suite stehen. Er nahm seinen Hut ab, strich die Aufschläge seines Jacketts gerade und klopfte. Das Stimmengemurmel drinnen erstarb rasch, und einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet. Ein älterer Mann mit weißglänzendem Haar streckte ihm grüßend die Hand entgegen.

»Sie müssen Luke Starbuck sein?«

»Yes Sir, das bin ich. Und Sie?«

»Vern Whitehead.« Whitehead trat beiseite. »Treten Sie ein. Ich werde Ihnen die anderen Herren vorstellen.«

Die Suite war verschwenderisch eingerichtet. Ein dicker Perserteppich bedeckte den Boden des Salons. Vor dem Kamin waren mehrere Sessel und ein Plüschdiwan gruppiert. Die anderen Mitglieder des Komitees - Sam Urschel, Oscar Beiden und Earl Poe - erhoben sich und traten ihm entgegen. Nachdem sie einander vorgestellt hatten, hieß Whitehead die Männer, sich zu setzen.

Niemand versuchte zu plaudern. Diese Männer waren Rancher, denen trotz ihres Reichtums Höflichkeit fremd war. Und heute ging es nur ums Geschäft. Von Anfang an war erkennbar, dass Whitehead als Sprecher der Gruppe fungierte. Und darüber hinaus war völlig klar, dass das Gespräch mehr als nur eine Befragung sein würde.

Whitehead musterte ihn mit einem schiefen Blick. »Sind Sie wirklich so gut, wie John Chisum sagt?«

Starbuck war überhaupt nicht beeindruckt. Offensichtich wollten sie ihn in die Defensive treiben, und diese Taktik kam bei ihm nicht an. Er ließ sie warten, indem er sich eine Zigarette drehte. Nachdem er an seinem Daumennagel ein Streichholz angerissen hatte, nahm er einen tiefen Zug und blies den Rauch aus.

»Nicht, dass Sie mich missverstehen. Aber Sie hätten mich wohl kaum hierher gebeten, wenn Sie nicht zuvor Erkundigungen über mich eingeholt hätten.«

»Oh, natürlich haben wir das, Mr. Starbuck. Wir können's uns nicht leisten, auf das Gerede von irgendwem etwas zu geben. Nicht einmal auf das eines John Chisum.«

»Dann, denke ich, sind Sie ja im Bild.«

»Ja, lassen Sie mal sehen.« Whitehead holte ein Bündel Papiere aus seiner Jackentasche. Er entfaltete sie und begann vorzulesen. »Sie sind seit Sommer '76 Weidedetektiv. Ihr Hauptquartier war auf Ben Langhams LX Ranch, unten im Texas Panhandle. Dort haben Sie für die Panhandle Cattlemen's Association gearbeitet.«

»Stimmt so ziemlich.« Starbuck bewunderte die Spitze seiner Zigarette. »Mal abgesehen von der Zeit, in der ich für Chisum arbeitete.«

»Hier steht, Sie haben vierzehn Männer umgebracht.«

»Ich hab' mir nie die Zeit genommen, sie zu zählen.«

Whitehead blickte ihn forschend an. »Sind bei diesen vierzehn auch die dabei, die Sie aufgehängt haben?«

»Nein.« Starbuck blickte ihn ausdruckslos an. »Dann wäre die Zahl beträchtlich höher.«

»Nicht schlecht für einen Mann, der...« - Whitehead warf einen Blick auf seine Notizen - »...der noch nicht mal vierunddreißig ist. Wie kommt's eigentlich, dass ein Mann in Ihrem Alter noch nie verheiratet war?«

Starbuck lächelte. »Ich liebe meine Arbeit.«

»Auch jetzt noch?« Whitehead stieß mit dem Finger auf die Papiere. »Demzufolge haben Sie die LX von Langham geerbt und sie an eine Gruppe von Leuten unten im Panhandle verkauft. Sie müssen doch einiges dafür bekommen haben, was Ihnen ein angenehmes Leben ermöglicht.«

»Ich hab' genug, um klarzukommen.«

»Moment mal!«, unterbrach Oscar Beiden. »Sie haben Geld und wollen uns weismachen, Sie würden weiter für Lohn arbeiten. Einige von uns halten das für reichlich seltsam. Ist nicht leicht zu schlucken.«

»Wie gesagt«, bemerkte Starbuck mit gleichmütiger Stimme. »Ich liebe meine Arbeit. Wieviel ich auf der Bank habe, geht weder Sie noch sonst jemanden was an. Das ist meine Sache.«

Diese Worte waren mit der unerschütterlichen Gewissheit eines Mannes gesprochen worden, der sich um andere wenig kümmerte. Starbuck war gut einsachtzig groß, doch seine Gestalt täuschte. Er war schlank und geschmeidig, katzengleich in seinen Bewegungen, hatte einen eckigen Unterkiefer und lebhaftes kastanienbraunes Haar. Die fünf Jahre, die er als Weidedetektiv gearbeitet hatte, hatten ihn brutalisiert, und die Spuren dieses grausamen Geschäfts waren in seinen Augenwinkeln eingegraben. Er hatte den stählernen Blick eines Mannes, der dadurch am Leben geblieben war, dass er schnelle Entscheidungen traf. Und jetzt, als er die Männer anblickte, war er nicht sicher, ob er diesen Job überhaupt wollte. Ihre bohrende Art passte nicht zu seinem Stil.

»Mal angenommen«, rekapitulierte Whitehead, »wir würden Ihnen diesen Job anbieten. Könnten Sie zehn oder zwölf gute Männer rekrutieren und sie dazu ausbilden, Befehle zu befolgen und keine Fragen zu stellen? Ich rede von einer Detektivabteilung, die überall dahin geschickt wird, wo sie gebraucht wird und alles tut, was ihr gesagt wird.«

»Das hängt davon ab.«

»Wovon?«

»Von dem, der die Befehle gibt«, sagte Starbuck gleichmütig. »Ich nehme Anweisungen entgegen, aber keine Befehle. Entweder tue ich etwas auf meine Art, oder ich tu's überhaupt nicht.«

»John Chisum...« - Whitehead hielt inne, als wolle er seine Worte abwägen - »...sagte uns, Sie seien eigensinnig. Wenn Sie damit einverstanden wären, sich gegenüber dem Exekutiv-Komitee verantwortlich zu erklären, wären wir bereit, Ihnen den Spielraum zu geben, den Sie brauchen.«

»Darf ich das so verstehen, dass Sie damit sich und diese anderen Herren meinen?«

»In erster Linie«, räumte Whitehead ein. »Natürlich ist von all dem noch nichts offiziell, bis die Vereinigung im kommenden Frühjahr gegründet worden ist. Aber so stellt es sich im Augenblick dar.«

»Sagen Sie mir doch mal genau, woran Sie dachten, wenn Sie sagen, Sie brauchen zehn oder zwölf Männer?«

»An Töten«, erwiderte Whitehead unverblümt. »Wir würden natürlich keine Einwände machen, wenn sie ein paar Leute vor Gericht brächten. Aber wir sähen einen Dieb lieber gehängt, als dass er ins Gefängnis gesteckt wird.«

»Das klingt so, als wollten Sie eine Todesschwadron ins Leben rufen.«

»Summa summarum glaube ich, dass die Rancher einige Millionen Dollar jährlich durch Viehdiebstahl verlieren. Wir möchten dem ein Ende setzen, und dazu wüsste ich keinen besseren Weg als den Galgenbaum.«

Starbuck erhob sich langsam. Da, wo der Revolver im Hosenbund steckte, war sein Jacket etwas ausgebeult, und er strich es vorsichtig glatt. Dann blickte er die Männer der Reihe nach an und nickte schließlich Whitehead zu.

»Sie werden von mir hören.«

Noch ehe die Rinderzüchter ganz begriffen hatten, was er vorhatte, drehte er sich um und ging in Richtung Tür. Das Gespräch war beendet.

Während er die Stufen hinabging, traf Starbuck eine rasche Entscheidung. Dies war keine Aufgabe für ihn. Die Ehre, die damit verbunden war, konnte man nicht leugnen als Chef-Weidedetektiv würde sein Prestige unter den Rinderzüchtern gewaltig zunehmen. Auch wegen des Tötens hatte er keine Bedenken. In den vergangenen fünf Jahren hatte ihn der Anblick des Todes hart gemacht. Einen Mann zu hängen, war kein Vergnügen, aber es war auch nichts Abstoßendes. Es war einfach eine Aufgabe, die rasch erfüllt werden musste, eine Lektion für diejenigen, die raubten und mordeten und dabei straffrei ausgingen. Ebenso wenig verschwendete er keinen Gedanken darauf, einen Mann zu erschießen, der versuchte, ihn zu erschießen. Das verursachte bei ihm weder eine Gefühlsregung noch Bedauern. Er hatte dadurch überlebt, dass er sein Leben durch andere nicht in Gefahr bringen ließ.

Es war also nicht der Job selbst, der ihn störte. Stattdessen hatte er Vorbehalte gegenüber Vernon Whitehead. Irgendein tiefer Instinkt sagte ihm, dass der Rancher gelogen hatte. Er spürte, dass Whitehead alles sagen - alles versprechen - würde, um ihn dazu zu bringen, zu diesem Job ja zu sagen. Darüber hinaus fühlte er, dass Whitehead etwas Despotisches an sich hatte. Obwohl es während des Gesprächs nicht zutage getreten war - die Anzeichen waren ganz deutlich. Nach und nach würde der Rancher statt der Anweisungen Befehle geben. Möglicherweise würde er, wie ein Ausbilder bei der Armee, blinden Gehorsam und unbedingte Loyalität verlangen. Was bedeutete, sie würden sich zu einer Abteilung von Dummköpfen entwickeln. Und irgendwann einmal schließlich würde Whitehead Farbe bekennen und zeigen, wie er wirklich war, und dann gäbe es keine andere Möglichkeit, als diese Vereinbarung zu lösen. Dies alles schien ihm die Mühe nicht wert, vom Ärger einmal ganz abgesehen.

Zudem gab es für ihn überhaupt keinen Grund zur Eile. Er musste den erstbesten Job nicht annehmen. Wie eines der Mitglieder des Komitees richtig bemerkt hatte, benötigte er kein Geld. Nach dem Tod von Ben Langham, seinem alten Freund, der zugleich so eine Art Vater für ihn gewesen war, hatte er die größte Rinderranch in der Panhandle geerbt. Doch obwohl Langham versucht hatte, ihm seine Rastlosigkeit auszutreiben, passte diese Verantwortung nicht zu seinem Wesen. Eine unbestimmbare innere Unruhe machte es ihm unmöglich, sich an Menschen oder Dinge länger zu binden. Er reiste unbeschwert, und er reiste allein - niemandem verantwortlich als sich selbst. Er war mit seinem Leben zufrieden und hatte nicht die Absicht, es zu ändern. Deshalb hatte er die Ranch im letzten Monat verkauft. Der Erlös - an die 200.000 Dollar - war auf einer Bank in Forth Worth bestens aufgehoben. Die Zinsen allein reichten, um seine Bedürfnisse zu stillen. Dabei blieb ihm noch immer genug für gelegentliche Extravaganzen. Somit hatte er die Unabhängigkeit, genau das zu tun, was ihm gefiel. Besonders, was Arbeit anbelangte.

Als er schließlich die Lobby erreicht hatte, war Starbuck zu der Entscheidung gelangt, dass er für die International Cattlemen's Association nicht arbeiten würde. Er war sich nicht sicher, welche Folgen diese Entscheidung haben würde und machte sich keine sonderlichen Sorgen wegen seiner Zukunft. Sein Ruf war gefestigt und für einen Weidedetektiv, der Ergebnisse vorweisen konnte, gab es überall im Westen Arbeit. Morgen war noch Zeit genug, über die nächsten Schritte nachzudenken. Im Augenblick hatte er nur den heftigen Wunsch, das Nachtleben von Denver kennenzulernen. Er hatte davon gehört, dass es hier Freudenhäuser gab, die auf chinesische Mädchen spezialisiert waren. Junge schlitzäugige Orientalinnen, deren Unterleib angeblich völlig anders sein sollte als der weißer Frauen. Schon der Gedanke daran brachte ihn dazu, seinen Schritt zu beschleunigen.

Als er den Hoteleingang erreichte, bemerkte Starbuck einen Mann, der gegen die Wand gelehnt stand. Er war untersetzt und hatte breite Schultern. Auf seinem Kopf klebte ein Bowler-Hut, der wie ein Vogelnest wirkte. Er lächelte, entblößte einen blinkenden Goldzahn und trat Starbuck in den Weg.

»Heißen Sie Starbuck?«

»Wer will denn was?«

»Mr. Griffin. Horace Griffin. Er würde gern mit Ihnen sprechen.«

Starbuck schaute sich um. »Ich kenne keinen Mister Horace Griffin.«

»Aber er kennt Sie.«

»Woher?«

»Warum lassen Sie ihn das nicht selbst erzählen? Mr. Griffin ist Divisions Superintendent von Wells-Fargo - und ich bin nicht autorisiert, mehr zu sagen.«

Starbuck musterte ihn einen Augenblick und zuckte dann mit den Schultern. »Warum nicht? Kostet mich ja nichts, ihm mal zuzuhören.«

Der schwergewichtige Mann lächelte und wies auf die Tür. Draußen gingen sie in Richtung Larimer Street und durchquerten rasch die Stadt. Etwa zehn Minuten später betraten sie die Wells, Fargo & Company Express Station. Dort wurde Starbuck in ein Privatbüro geführt und von einem Mann begrüßt, der sich als Horace Griffin vorstellte. Feierlich wie ein Priester hielt sich Griffin gar nicht erst mit langen Vorreden und Höflichkeiten auf, sondern kam direkt zur Sache. Er bot Starbuck einen Sessel auf der anderen Seite des Schreibtisches an.

»Mr. Starbuck, ich weiß alles über Ihr Treffen mit den Leuten der Cattlemen's Association. Sollten Sie den Job angenommen haben, brauchen wir uns nicht weiter zu unterhalten. Falls nicht, habe ich einen Vorschlag, der Sie sicherlich interessieren wird.«

»Wie haben Sie von diesem Treffen Wind bekommen?«

»Eines der Mitglieder des Exekutiv-Komitees ist ein sehr enger persönlicher Freund. Der hat aber mit unserem Gespräch nichts zu tun.«

Starbuck blickte ihn abschätzend an. »Sagen wir, ich bin ohne feste Beschäftigung.«

»In Ordnung«, nickte Griffin. »Ich nehme an, Sie haben schon von Tombstone gehört?«

»Arizona?«

Griffin nickte. »Im vergangenen Jahr wurden im Tombstone-Distrikt vierzehn unserer Postkutschen ausgeraubt. Wir transportieren Express-Frachten und Lohngelder für die Silberminen. Die Verluste sind also beträchtlich. Sehr beträchtlich sogar.«

»Klingt fast so, als hätten Sie ein Problem.«

»Und es wird ständig schlimmer.« Griffin beugte sich vor und stützte die Ellenbogen auf den Schreibtisch. »Vor etwa zehn Tagen verschwand der Agent unserer Station in Tombstone.«

»Was meinen Sie damit - er verschwand?«

»Er ist einfach weg, Mr. Starbuck! Ohne eine Spur hinterlassen zu haben.«

Starbuck blickte ihn interessiert an. »Besteht die Möglichkeit, dass er in die Raubüberfälle verwickelt war?«

»Es ist mehr als eine Möglichkeit«, erwiderte Griffin. »Haben Sie je von Wyatt Earp gehört? Doc Holliday?«

»Ich meine, ich hätte vor einiger Zeit in den Zeitungen über sie gelesen. Soweit ich mich erinnere, ging es dabei um irgendeine Schießerei.«

»Die Presse nannte es das Gefecht am OK-Corral. Aber das will natürlich überhaupt nichts besagen. Was zählt, ist einfach das: Der Sheriff von Tombstone glaubt, dass Earp und Holliday hinter den Raubüberfällen stecken. Inoffiziell hat er auch unseren Agenten Marsh Williams beschuldigt, mit ihnen unter einer Decke zu stecken.«

»Und Williams ist plötzlich verschwunden?«

»Genau!«

»Hat der Sheriff Anklage erhoben?«

»Er verhaftete Holliday im vergangenen Jahr, kurz nach einem der Raubüberfälle. Alles wies daraufhin, dass er einen klaren Fall hatte. Aber das Gericht wies die Anklage zurück, obwohl es sogar einen Augenzeugen gab. Die drei Komplizen, die Holliday gehabt haben soll, wurden rein zufällig bei anderen Überfällen getötet.«

»Und wie sieht's jetzt aus?«

»Ich laufe gegen eine Mauer«, sagte Griffin verdrossen. »Wir haben einen weiteren Agenten nach Tombstone gebracht, aber er berichtet, es sei aussichtslos. Jedermann ist davon überzeugt, dass Wyatt Earp Williams getötet hat, aber alle haben Angst zu reden. Wir haben weder eine Anklage noch Zeugen und keine Möglichkeit, die Raubüberfälle zu unterbinden.«

»Ich hab' das Gefühl, Sie wollen mir einen Job anbieten.«

»Wir sind über Ihre Arbeit informiert«, bemerkte Griffin. »Bitte, missverstehen Sie mich nicht. Ich meine nicht die Männer, die Sie getötet haben, sondern Ihre Detektivarbeit. Ich war besonders beeindruckt davon, wie Sie sich vor einigen Jahren in diese Bande von Pferdedieben eingeschlichen haben. Der Bandenführer hieß doch Dutch Henry Horn, oder?«

»Stimmt genau«, erwiderte Starbuck. »Sie haben ein gutes Gedächtnis.«

»Ebenso gut kann ich einen Menschen beurteilen, Mr. Starbuck. Offen gesagt, wir brauchen einen Mann, der für uns inkognito in Tombstone arbeitet. Ich glaube, dass Sie der richtige Mann für diesen Job sind.«

Starbuck überdachte dieses Angebot. »Was Postkutschenräuber anbelangt, kann ich Bohnen von Schrot nicht unterscheiden. Wie kommen Sie darauf, dass ausgerechnet ich schaffe, was Ihre eigenen Leute versiebt haben?«

»Diebe sind Diebe«, sagte Griffin gleichmütig. »Ihre Mentalität unterscheidet sich kaum, ob es sich nun um Pferdediebe oder Postkutschenräuber handelt. Sie haben gezeigt, dass Sie genau wie sie denken können und die Beweise liefern können, um sie zu überführen. Alles in allem glaube ich, dass Sie genau der richtige Mann für Tombstone sind.«

Einen Augenblick lang rechnete Starbuck. Dann fixierte er ihn mit festem Blick. »Meine Arbeit ist nicht billig, und ich habe eine bestimmte Art zu arbeiten. Ich tu's auf meine Weise und befolge keine Anweisungen. Von niemandem. Nicht mal von Wells-Fargo.«

»Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, versicherte Griffin ihm sehr ernsthaft. »Ich habe nicht die Absicht, irgendwelche Vorschriften zu machen. Und Sie können sagen, was Sie an Vergütung dafür haben wollen. Ich habe lediglich zwei Bitten.«

»Oh?« Starbuck hob fragend die Augenbrauen. »Was für Bitten wären das?«

»Zum ersten, halten Sie mich durch Fred Dodge, unseren Stations-Agenten in Tombstone, auf dem Laufenden. Zweitens, beenden Sie die Raubüberfälle - egal, welche Mittel Sie für nötig halten.«

»Wenn ich mich nicht verhört habe, autorisieren Sie mich, die Burschen festzunehmen oder zu töten, je nachdem, was am besten ist.«

»Genau das tue ich, Mr. Starbuck! Und je schneller, desto besser.«

»Mr. Griffin«, grinste Starbuck und streckte seine Hand aus. »Sie haben soeben einen Detektiv eingestellt.«

Horace Griffin stand auf. Er nahm Starbucks Hand mit festem Griff und wünschte ihm für Tombstone Glück. Er hielt das nicht nur für die beste Lösung, sondern vielleicht sogar für die einzige Lösung. Für Wells, Fargo & Company jedenfalls war die Sache völlig richtig.

Willst du einen Mörder fangen, engagiere einen Mörder.

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Eine Woche später überquerte Starbuck die Grenze zum Arizona-Territorium. Von dort aus folgte er einer südlichen Route durch das Sulphur Spring Valley, wobei er die Dragoon Mountains streifte. Dann ritt er nach Südwesten, an Tombstone vorbei, und schlug dann die Richtung nach Nogales und der mexikanischen Grenze ein. An einem kalten Morgen spät im Dezember ritt er ins Hauptquartier der San Bernardino Ranch.

John Slaughter, der alles Land im Umkreis eines Tagesrittes beanspruchte, führte die Ranch wie ein Feudalimperium. Das einzige Gesetz, das längs der Grenze galt, war sein eigenes. An die 40.000 Rinder und 5.000 Pferde trugen sein JHS-Brandzeichen. Er war ein ehemaliger Texas-Rancher, der schon in Arizona gesiedelt hatte, als das Gebiet noch den Apachen-Stämmen gehörte. Unerbittlich, wie er war, hatte er Apachen wie mexikanische Banditen mit ihren eigenen Waffen bekämpft und schließlich ein Königreich geschaffen, das kein Abtrünniger zu betreten wagte. Von weit größerer Bedeutung aber war für Starbuck, dass er ein alter und vertrauter Gefährte eines gemeinsamen Freundes war, nämlich der von John Chisum.

Das Haupthaus war ein riesiger Adobe-Bau, der sich in einem offenen Geviert wie ein Fort duckte. Ober die gesamte Vorderseite zog sich eine Veranda, von einer Empore überdacht. Starbuck stieg ab, wickelte die Zügel seines Fuchswallachs um einen Haltebalken und schlug eine gewaltige Staubwolke aus seinem schweren Wintermantel. Als er auf die Verandastufen zuging, bemerkte er, dass die Fensterläden, die aus dickem Holz gefertigt waren, mit Schießscharten versehen waren. Er lächelte, da er nun ganz sicher war, dass er die Situation richtig beurteilt hatte. John Slaughter - und nicht Tombstone - war der Ort, wo er zu beginnen hatte.

Ein Diener, ein Mestize, empfing ihn an der Tür, nahm seinen Hut und seinen Mantel. Dann wurde er durch einen Korridor geführt, und seine Sporen klingelten auf dem gefliesten Boden. Er gelangte schließlich in ein riesiges Arbeitszimmer. Sättel und Pferdegeschirre waren überall im Raum verstreut. An den Wänden hing eine beeindruckende Menge von Gewehren. Beherrscht aber wurde das Ganze von einem abgenutzten Schreibtisch aus Walnussholz und dem Mann, der dahinter saß.

Starbuck war überrascht. Aufgrund der Erzählungen, die er gehört hatte, war er davon ausgegangen, dass Slaughter ein Riese von einem Mann war, mit breiten Schultern und so gewaltig wie eine Eiche. Stattdessen war der Mann, der jetzt um den Schreibtisch herum kam, eher mittelgroß, mochte auf Ende dreißig zugehen und hatte einen kleinen Bauch. Doch sein ganzes Auftreten wirkte energisch, und sein Gesicht war dunkel. Seine Augen waren grau und durchdringend, und Starbuck wurde unvermittelt daran erinnert, dass die Körpergröße eines Mannes überhaupt nicht zählte. Entschlossenheit und Schneid waren, alles zusammen genommen, das, was den Wert eines Mannes ausmachte.

Slaughter blieb stehen und nickte liebenswürdig. »Ich bin John Slaughter.«

»Luke Starbuck.« Starbuck streckte die Hand aus. »John Chi- sum sagte mir, ich sollte mal bei Ihnen vorbeischauen, wenn ich in Ihre Nähe käme.«

»Teufel, ja!« Slaughter schwenkte seinen Arm mit plötzlicher Begeisterung. »Sie sind der Weidedetektiv. Der Mann, der dem alten John half, Billy Bonney zur Strecke zu bringen und das Lincoln County zu säubern.«

»Der ehemalige Weidedetektiv« erzählte ihm Starbuck. »Ich arbeite jetzt für Wells-Fargo.«

»Mann, ich will verdammt sein.« Slaughter wies auf die Sessel vor dem knisternden Kamin. »Machen Sie sich's bequem und erzählen Sie mir die Geschichte. Sie kümmern sich jetzt um die Ersatzpferde, was?«

Starbuck sah keinen Anlass, etwas zu verheimlichen. »Mr. Slaughter, ich wurde als Agent engagiert. Sie haben mich losgeschickt, um zu sehen, was in Tombstone vorgeht.«

»Nennen Sie mich John.« Slaughter ließ sich in einen Sessel sinken und schaute plötzlich düster drein. »Luke, tut mir leid, wenn ich das sagen muss, aber mit dieser Verpflichtung hat man Ihnen keinen Gefallen getan. Nicht die Spur, verdammt noch mal.«

»Amen«, sagte Starbuck ohne Ironie. »Tatsache ist, das ist der Grund, warum ich erst zu Ihnen kam, statt direkt nach Tombstone zu reiten. Ich dachte, Sie könnten mir die Wahrheit über bestimmte Dinge erzählen.«

»Welche Dinge?«

»Über Wyatt Earp zum Beispiel, um gleich zur Sache zu kommen. Wells-Fargo sagten, er und Doc Holliday stecken hinter diesen Postkutschenüberfällen.«

»Yeah, sie und Bill Brocius.«

»Brocius?«

»Curly Bill Brocius«, verbesserte sich Slaughter. »Er ist der Anführer der Bande, die für diese Überfälle verantwortlich ist. Ein Teil seiner Bande waren die Leute, die Earp am OK-Corral ermordete.«

»Ermordete?« Starbuck war erstaunt. »Ich hatte das so verstanden, als sei das ganz gesetzlich gewesen.«

»Allmächtiger Gott, nein! Das war ganz schlicht und einfach ein Streit unter Dieben.«

»Wie das?«

»Earp hatte den Wells-Fargo-Agenten in der Tasche. Er wusste genau, wann Lohngelder transportiert wurden, und leitete diese Informationen durch Doc Holliday an Brocius weiter. Die Bande überfiel die Postkutschen und teilte die Beute anschließend mit Earp. Bislang hat's zwar niemand bewiesen, aber Sie können Ihre Stiefel drauf verwetten, dass die Sache genauso gelaufen ist.«

»Und was ist dann geschehen?«

»Tja, das ist so eine Geschichte, zu der man den Hintergrund kennen muss. Das zu erzählen, dauert 'ne Weile.«

»Nur zu«, grinste Starbuck. »Ich muss nirgendwohin.«

Slaughter holte eine Pfeife und seinen Tabaksbeutel heraus. Nachdem er sie gefüllt hatte, paffte er vor sich hin. Dann lehnte er sich zurück, wobei die Pfeife wie ein angesengter Hauer aus seinem Mund ragte, und begann zu erzählen.

Wyatt Earp war gemeinsam mit seinen vier Brüdern und Doc Holliday zum Jahresende 1879 in Tombstone angekommen. Als ehrgeiziger Mann war Earp darauf bedacht, Sheriff des Cochise County zu werden und ließ keine Gelegenheit aus, von seiner Zeit als Gesetzeshüter in den Rinderstädten von Kansas zu erzählen. Stattdessen aber bestellte der Gouverneur des Territoriums, John Behan, seinen Hauptrivalen für dieses Amt. Völlig verstimmt machte Earp gemeinsame Sache mit einer Bande von Spielern und Revolverhelden. Dazu gehörten unter anderem Leute wie Luke Short, Bat Masterson und Buckskin Fred Leslie. In der Zwischenzeit war einer von Wyatts Brüdern, Virgil Earp, zweimal bei der Wahl um das Amt des Town Marshals geschlagen worden. Beim zweitenmal ergab sich aber aus dieser Wahl die Unterstützung, die die Earps brauchten. John Clum, Herausgeber des wöchentlichen Epitaph, wurde zum Bürgermeister gewählt. Tombstones andere Zeitung, der Nugget, gehörte Harry Woods, der Sheriff Behan unterstützte. Earp und Clum, die als Mitglieder der gegnerischen Gruppe zusammenkamen, wurden bald enge Freunde. Damit waren die Verhältnisse klar.

Nur kurze Zeit später begannen die Postkutschen-Überfälle. Wenngleich es keinen schlüssigen Beweis gab, ging doch bald das Gerücht um, dass Earp mit Curly Bill Brocius eine Vereinbarung getroffen habe. Zu Brocius' Bande gehörten unter anderem die Brüder Clanton, die Brüder McLowery und Johnny Ringo, der gefährlichste pistolero des Arizona Territoriums. Auch Doc Holliday hatte bei mehreren Gelegenheiten Verbindung mit der Bande. Aber da keine hieb- und stichfesten Beweise vorlagen, konnte man die Verbindung zu Earp nicht nachweisen. Zu ganz legaler Macht kamen die Earps schließlich, als der Town Marshal auf mysteriöse Art und Weise Tombstone verließ. Bürgermeister Clum, der inzwischen als Familienmitglied betrachtet wurde, setzte kurzerhand Virgil Earp als Ersatzmann auf diesem Posten ein.

Nach einigen Monaten schließlich artete das gegenseitige Misstrauen zwischen den Earps und der Brocius-Bande in offene Feindschaft aus. Erst vor zwei Monaten, am 26. Oktober, kam es zu einem Blutvergießen. Die Gebrüder Earp und Doc Holliday stellten fünf Bandenmitglieder im OK-Corral. Nur zwei der Verbrecher waren bewaffnet, aber dadurch ließen die Earps sich nicht aufhalten. Innerhalb weniger Sekunden ermordeten sie drei der Männer; die anderen überlebten, weil sie sich duckten und davonliefen, obwohl sie ständig von Doc Holliday beschossen wurden. Als Folge dessen wurde Virgil Earp das Marshal-Abzeichen abgenommen, da der Stadtrat rebellierte. Wyatt und Doc Holliday wurden formell des Mordes angeklagt, und die Aussage eines Augenzeugen ergab, dass die Morde kaltblütig vollzogen worden waren. Richter Wells Spicer aber, einer der politischen Busenfreunde der Earp-Clum-Partei, entschloss sich einfach, die Fakten zu ignorieren. Mit seinem Urteil, das wegen der verdrehten Logik besonders bemerkenswert ist, sprach er Earp und Holliday von jedem Vorwurf frei. Die Anklage wurde niedergeschlagen.

Danach senkte sich eine unheimliche Ruhe über Tombstone. Die Postkutschenüberfälle endeten abrupt, und die Brocius- Bande hatte sich seit über einem Monat nicht mehr in der Stadt gezeigt. Earp und Holliday, die wie gewöhnlich ihren Geschäften im Alhambra Saloon nachgingen, schienen eine günstige Gelegenheit abzuwarten. Doch jeder in Tombstone war davon überzeugt, dass Earp noch einen weiteren Trumpf im Ärmel hatte. Trotz seines abstoßenden Rufes war er nicht als Schlappschwanz bekannt.

Das ist des Pudels Kern, fasste Slaughter zusammen, während er die Asche aus seiner Pfeife klopfte. »Earp und seine Leute haben zwar zurückstecken müssen, aber erledigt sind sie noch lange nicht. Es sei denn, ich würde mich sehr irren.«

Starbuck verarbeitete erst einmal, was er gehört hatte, und schwieg einen Moment. Dann blickte er auf. »Was wissen Sie über Fred Dodge, den neuen Wells-Fargo-Agenten? Besteht die Möglichkeit, dass Earp versuchen könnte, mit ihm einen ähnlichen Handel zu schließen?«

»Das wage ich zu bezweifeln. Nach dem, was mit Marsh Williams passiert ist - er ist der, der plötzlich verschwand - denke ich kaum, dass Dodge Ambitionen hat, mit Earp gemeinsame Sache zu machen.«

»Und wie stehen die Chancen, dass Earp mit Brocius Frieden schließt?«

»Tja...«, sagte Slaughter abwägend. »Ich schätze, dass unter solchen Halsabschneidern alles möglich ist. Aber ich würde fast sagen, dass die Chancen weitaus besser dafür stehen, dass sie darüber nachdenken, wie sie sich gegenseitig am besten umbringen können.«

»Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?«

»Nun, Brocius hat einiges wettzumachen, was die drei Männer seiner Bande anbelangt, die Earp ermordete. Und Earp weiß genau, dass er so lange nicht sicher ist, wie Brocius noch da ist. Wenn es keinen anderen Grund gäbe, könnte ich mir vorstellen, dass er schon deshalb verdammt reizbar ist, weil Brocius ihn mit diesen Überfällen in Verbindung bringen kann.«

Danach herrschte ziemlich lange Stille. Starbucks Blick wanderte zum Feuer, und er schien völlig in Gedanken versunken. Slaughter, der ihn aufmerksam beobachtet hatte, drehte sich schließlich im Sessel um.

»Wo wollen Sie anfangen?«

Starbuck massierte seinen Hinterkopf. »Ich hab' den Eindruck, dass ich mich ganz an Earp ranmachen muss. Da er alles nach außen abschirmt, ist die einzige Chance, von innen an ihn ranzukommen. Früher oder später wird er sich versprechen, und wenn er das tut, bin ich zur Stelle.«

»Klingt einleuchtend«, nickte Slaughter düster. »Ich brauche Ihnen natürlich nicht erst zu sagen, dass Sie sich in ein Vipernnest begeben. Ein Fehler, und Sie werden sterben.«

»Ich werde mit höchstem Einsatz spielen.«

»Nur so geht es!«, strahlte Slaughter. »Und bei Gott, wenn Sie Hilfe brauchen, tun Sie nur eins. Schreiben Sie. Wenn ich Gelegenheit habe, mit diesen verfluchten Bastarden abzurechnen, bin ich da.«

»Da Sie's gerade erwähnen, ich könnte einen Rat brauchen.«

»Jeden, den Sie wollen! Schießen Sie los.«

»Ich brauche jemanden, der als Verbindungsmann zu Fred Dodge fungiert. Wäre nicht sonderlich gut für mich, in seiner Gesellschaft gesehen zu werden. Aber ich muss durch ihn Informationen an Wells-Fargo weiterleiten. Kennen Sie jemanden?«

»Harry Woods«, informierte ihn Slaughter. »Das ist Ihr Mann.«

»Der Zeitungsverleger?« Starbuck schaute skeptisch drein. »Ich brauche jemanden, der 'ne ständige Maulsperre hat. Meinen Sie, dass er das bringt?«

»Himmeldonnerwetter nochmal!«, brüllte Slaughter. »Harry hasst Wyatt Earp mehr als der Teufel das Weihwasser. Und wenn Sie bis zum Jüngsten Tag suchten, Sie würden keinen besseren als ihn finden.«

Starbuck lächelte und erhob sich. »Ich nehme Sie beim Wort. Und vielen Dank.«

Slaughter versuchte vergeblich, ihn dazu zu überreden, die Nacht bei ihm zu verbringen. Aber Starbuck war bereits tausend Meilen geritten und gierte nun förmlich danach, mit der Jagd zu beginnen. Als die Sonne mittags fast den Zenit erreicht hatte, schwang er sich in den Sattel und ritt nach Norden, Richtung Tombstone.

 

Anfang des Jahres 1878 kämpfte sich ein beschmutzter, fußkranker Prospektor durch die zerklüfteten Berghänge des San Pedro Valley. Sein Name war Ed Schieffelin, und er stolperte buchstäblich über eine der ergiebigsten Silberminen in der Geschichte der Grenze. Bei einem Erzgehalt von zwanzigtausend Dollar pro Tonne erwies sich diese Entdeckung als größte im Südwesten und leitete einen Boom ein, der unerreicht blieb. Schieffelin taufte die Fundstelle Tombstone, und innerhalb weniger Monate verwandelte sich das abgelegene Camp in einen Rummelplatz. Über die siebzig Meilen lange Wüstenstrecke nach Tucson wurde eine Postkutschenverbindung eingerichtet. Männer und Maschinen kamen an, dicht gefolgt von Kaufleuten und Händlern, Spielern und Kneipenbesitzern und der wohl besten Auswahl an Freudenmädchen, die je im ärmlichen Arizona zu finden waren. In kürzester Zeit entwickelte sich aus der Anhäufung von Wüstenratten, die in Zelten und notdürftig zusammengehauenen Hütten hausten, eine lärmende, aufstrebende Stadt. Die Bevölkerung wuchs in nur drei Jahren auf sechstausend an und nahm noch immer zu. In einem Land; von dem man zuvor noch geglaubt hatte, dass dort nur Apachen und Skorpione leben könnten, breitete sich nun eine Stadt mit allen Errungenschaften der Zivilisation aus. Es war eine staubige Hölle, die Tag und Nacht geöffnet war.

 

Früh am nächsten Abend hatte Starbuck sein Pferd in einem Mietstall untergebracht. Dunkelheit senkte sich über Tombstone, und er hatte keine Mühe, in der Menge der Minenarbeiter, die durch die Straßen drängten, unterzutauchen. Während es aufs Abendessen zuging, machten Saloons und Spielhallen schon ein gutes Geschäft.

Innerhalb einer halben Stunde hatte er das Büro des Nugget ausgemacht. Vor einem Saloon, der direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite lag, postierte er sich und hatte das Büro im Blickfeld. Dank seiner Reisekleidung und des Stoppelbartes war er unter den schäbigen Minenarbeitern so gut wie unsichtbar. Als er die vierte Zigarette rauchte, endete sein Warten.

Ein Mann, den er für den Drucker hielt, trat aus der Vordertür und eilte die Straße hinab. Nur wenige Augenblicke später zog ein Mann die Vorhänge an den Bürofenstern zu.

Er trat die Zigarette aus, überquerte die Straße und ging in eine Gasse, die neben dem Büro abbog. Er fand die Hintertür und klopfte leise. Drinnen hörte er das Tappen von Schritten, dann wurde die Tür geöffnet, durch die ein schwacher Lichtschimmer fiel. Der Mann, der die Vorhänge geschlossen hatte, stand im Türrahmen.

»Harry Woods?«

»Ja?«

»Ich habe eine Nachricht von John Slaughter für Sie.«

»Slaughter?« Woods schien verwirrt, trat dann aber rasch beiseite. »Treten Sie ein.«

Starbuck trat ein und wartete, bis Woods die Tür geschlossen hatte. »Ich heiße Starbuck. Luke Starbuck.«

»Sind Sie einer von Slaughters Leuten?«

»Nicht direkt.« Starbuck schaute sich im Büro um und stellte dann zu seiner Zufriedenheit fest, dass sie allein waren. »Ich brauche Hilfe, und Slaughter sagte, ich könnte Ihnen vertrauen.«

Woods war ein Zwerg von Mann mit schütterem Haar und wissbegierigen Augen, die durch dicke Brillengläser stark vergrößert wurden. Er war schlank und schnell, hochintelligent und begriff sofort, dass sein Besucher aus bestimmten Gründen so unauffällig gekommen war. Er wies auf das vordere Büro.

»Bitte hier entlang.«

Starbuck hatte sich mit den Risiken abgefunden, die damit verbunden waren, dass er seine Identität enthüllte. Als ihm nun Woods, der aufmerksam und neugierig im Büro saß, zuhörte, taktierte er nicht erst groß herum. Er beschrieb kurz seine Mission für die Wells-Fargo und betonte den Umstand, dass er unerkannt arbeiten müsse. Dann wiederholte er alles, was Slaughter ihm hinsichtlich Wyatt Earp und des unbeständigen politischen Klimas von Tombstone erzählt hatte. Er endete damit, dass er den Verleger bat, als Mittelsmann zu Fred Dodge zu fungieren. Woods, der augenscheinlich von diesem Plan fasziniert war, willigte ohne zu zögern ein.

»Noch etwas«, fügte Starbuck hinzu. »Ich werde unter dem Namen Jack Johnson arbeiten. Bitte nehmen Sie keine Verbindung zu mir auf, außer, es handelt sich um etwas ganz Dringendes. So oder so wird es mir gelingen, mit Ihnen in Verbindung zu kommen.«

»Sonst noch was?«, fragte Woods. »Alles! Ich bin bereit, alles zu riskieren, wenn ich dadurch Tombstone von Earp und seiner Bande befreien kann.«

»Was ist mit Earp?«, fragte Starbuck. »Wissen Sie etwas Persönliches über ihn? Gewohnheiten, Familie oder ähnliches dieser Art?«

»Ich hab' da tatsächlich was!« Woods lachte. »Ich habe an einen befreundeten Verleger in Kansas geschrieben und ihn gebeten, mal in seinen alten Zeitungen nachzusehen. Was er herausgefunden hat, war sehr aufschlussreich, um es mal vorsichtig auszudrücken.«

»Zum Beispiel?«

»Oh, zum Beispiel die Tatsache, dass die Earps mit dem Betrieb eines zweitklassigen Freudenhauses angefangen haben. Die Gerichtsakten in Wichita beweisen das zweifelsfrei.«

»Ich will verdammt sein!«

»Es kommt noch besser. Wyatt und zwei seiner Brüder haben ehemalige Huren geheiratet. Auch das geht aus den gerichtlichen Unterlagen eindeutig hervor.«

Starbuck schien verwirrt. »Ich dachte immer, Earp sei in Kansas Gesetzeshüter gewesen. Wie passt das mit dem zusammen, was Sie sagen?«

»Er war ein ganz gewöhnlicher Polizist«, entgegnete Woods. »Er prahlt damit, dass er Stadt-Marshal gewesen sei, aber das ist reine Angabe. Tatsache ist, dass er von der Polizei in Wichita entlassen und aus der Stadt gejagt wurde. In Dodge City ist es ihm etwas besser ergangen, aber nicht viel. Er ist ein Pokerspieler und Lügner, ein Angeber, aber ohne Substanz.«

Starbuck beschloss, mit seinem Urteil zu warten. Earp schien Gewalt und Waffen nur dann zu gebrauchen, wenn es nötig war, und das war für einen Mann ohne Substanz wohl kaum typisch. »Was ist mit seiner Familie? Sie erwähnten vor wenigen Minuten Frauen?«

»Huren!« Woods gebrauchte das Wort voller Ekel. »Übler Abschaum und keine Spur besser als die Männer, die sie geheiratet haben.« Er hielt nachdenklich inne. »Earps Schwägerin ist vielleicht die einzige Ausnahme. Sie heißt Alice Blaylock, und nach dem zu urteilen, was ich gesehen habe, steht sie weit über den anderen.«

»Sie ist nicht verheiratet?«

Woods schüttelte den Kopf. »Sie lebt bei Earp und seiner Frau. Die anderen Brüder haben Häuser ganz in der Nähe, drüben am westlichen Ende der Fremont Street.«

Starbuck überlegte einen Augenblick. »Slaughter sagte, Earp habe einen Faro-Spieltisch im Alhambra. Ist das alles... hat er sonst nichts an Geschäften?«

»Es gibt Gerüchte, denen zufolge er mit wichtigen Minen-Leuten zu tun hat. Bedenkt man natürlich, was für ein Angeber er ist, so könnte er dieses Gerücht selbst in Umlauf gebracht haben.«

»Könnten Sie sich mal umhören und sehen, was Sie sonst noch entdecken?«

»Gern.« Woods zögerte und studierte ihn aufmerksam. »Wenn Sie meine Frage bitte entschuldigen wollen, aber wie wollen Sie an Earp herankommen?«

Starbuck lächelte. »Ich selbst bin auch ein ganz brauchbarer 5pieler. Ich hab' mir überlegt, dass ich ihn auf vertrautem Boden angehe und dann sehe, wohin das führt.«

Mehrere Minuten verstrichen, während sie über Tombstones Bewohner sprachen. Starbuck erhob sich schließlich, um zu gehen, nachdem er Interessantes über die Stadt und ihre Halbwelt erfahren hatte. Woods empfahl ihm das Occidental Hotel, wobei er darauf verwies, dass das Essen ganz annehmbar sei und die Gäste für eine solche Stadt ziemlich zivilisiert seien. An der Tür lächelte Woods herzlich und bot ihm die Hand.

»Gute Jagd, Luke. Und fröhliche Weihnachten.«

»Weihnachten?«

»Aber natürlich.« Woods warf ihm einen sonderbaren Blick zu. »Heute ist Heiligabend.«

»Yeah?« Irgendwie wirkte Starbuck überrascht. »Das wünsche ich Ihnen auch, Harry. Hoffe, der Weihnachtsmann bringt Ihnen was Besonderes.«

Starbuck trat hinaus in die Gasse, und Woods schloss langsam die Tür. Seine Aufregung, das Gefühl von Verschwörung und Gefahr, wich plötzlich unendlicher Traurigkeit. Irgendwie, fand er. war es schade, dass jemand kein Gefühl mehr für Weihnachten hatte, es einfach verlor. Luke Starbuck machte auf ihn den Eindruck, als wäre er der einsamste Mensch, dem er je begegnet war. Einsam und sehr allein.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

Der Weihnachtstag war unfreundlich und kalt. Kurz nach Mittag schlich Bürgermeister John Clum die Fremont Street hinunter. Sein Gesichtsausdruck war irgendwie abwesend, und er ging mit herabgesunkenen Schultern - wie jemand, der schwer zu tragen hat. Nur wenn er einem Passanten begegnete, gelang es ihm, seine sonst übliche Freundlichkeit an den Tag zu legen. Dann, nach dem Austausch der Festtagswünsche, tippte er an seinen Hut und schenkte ihnen das obligate Lächeln eines Politikers. Das Ergebnis war zwar etwas gezwungen, aber dennoch überzeugend.

An der Ecke Fremont und First bog er in Richtung Südwesten ab. Dort betrat er die Treppe eines bescheidenen Hauses, das aus Schindelbrettern gebaut war. Ein Kalkanstrich verlieh dem Ganzen die Farbe alten Elfenbeins und das Haus machte insgesamt den Eindruck, als wäre es dringend reparaturbedürftig. Die Planken auf der Veranda quietschten wie ein Sargdeckel, und plötzlich fürchtete er sich vor den nächsten Minuten. Dann, als er vor der Tür stehenblieb, riss er sich zusammen und klopfte.

Einen Augenblick später schwang die Tür auf. Er lüftete seinen Hut und zauberte ein schwaches Grinsen hervor. »Tag, Wyatt.«

Mit einem kurzen Nicken forderte Earp ihn auf, einzutreten. »Unterwegs, um deine üblichen Runden zu machen, John?«

»War ich«, sagte Clum, während er eintrat, »bis ich im Oriental 'ne Pause machte, um einen Drink zu nehmen.«

»Yeah?« Earp schloss die Tür und wandte ihm das Gesicht zu.

»Ist irgendwas passiert, dass du deine Pläne geändert hast?«

»Ich hab' was gehört, das meiner Weihnachtslaune einen Dämpfer aufgesetzt hat. Und ich dachte, du solltest es auch wissen.«

Clum ließ sich in einen Sessel fallen, und Earp nahm ihm gegenüber Platz. Sogar jetzt, wo er sich erholte, war etwas Böses an Earp. Er war mittelgroß, kräftig gebaut, trug kurzgeschorenes Haar und einen dichten, gepflegten Schnurrbart. Seine schiefergrauen Augen und seine schweigsame Art waren auffällig. Dabei wirkte er aber kalt und leidenschaftslos. Für John Clum war er ein Mann, der nicht einmal die kleinste Regung zeigte.

»Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen«, bemerkte Earp trocken, »musst du erfahren haben, dass der Weihnachtsmann verstorben ist.«

Eine Welle von Furcht überkam Clum. Die Gelassenheit, die er gerade wiedergewonnen hatte, verließ ihn plötzlich. Unter Earps starrem Blick begann seine Stimme zu zittern, und sein Gesicht wurde bleich.

»Du kennst doch Dave Parker?«

»Den Minen-Ingenieur?«

Clum nickte. »Vergangene Nacht war er in Benson. Er ging in einen Saloon, und da war Curly Bill Brocius, in voller Lebensgröße.«

Earps Gesicht verdunkelte sich. »Allein?«

»Ringo und ein paar von den anderen waren bei ihm. Parker sagte, er war voll wie eine Kanone, und nicht mal Ringo konnte ihn dazu bringen, das Maul zu halten.«

»Weshalb?«

»Wegen einer Todesliste«, sagte Clum zögernd. »Er hat eine Todesliste aufgeschrieben, Wyatt. Unsere Namen stehen ganz oben an, und danach kommen Doc und deine Brüder und dann Richter Spicer.«

»Tatsächlich?«, fragte Earp, in dessen Augen unverhohlener Spott funkelte. »Und kaum hattest du das gehört, bist du hierher gerannt, als stünde deine Hose in Flammen.«

Clum beugte sich in seinem Sessel vor. »Ich mein's ernst, Wyatt! Parker war tatsächlich da. Ich hab's selbst gehört.«

»Mag sein«, erwiderte Earp. »Aber das ist Kneipengeschwätz, das sind Sprüche im Suff! Hat überhaupt nichts zu bedeuten.«

»Du verstehst nicht! Er hatte tatsächlich eine Liste. All unsere Namen standen auf dem Papier! Parker sagte, er habe sie herumgeschwenkt und jedem, der in Hörweite war, erzählt, dass wir so gut wie tot seien. Und für mich klingt das so, als habe tatsächlich Brocius geredet.«

»Du lässt dich leicht einschüchtern, nicht wahr, John?«

Clum war ein vierschrötiger, fetter Mann mit Hängebacken und feistem Kinn. Er hatte überlebt, weil er Verstand besaß, und weil er mit Worten umgehen konnte, hatte er gewissen, wenn auch bescheidenen Erfolg als Zeitungsverleger und Politiker. Aber er lehnte Gewalt ab und besaß so gut wie nichts an physischem Mut. Seine eigene Furcht stieß ihn zurück, und je mehr sie zunahm, desto mehr verfluchte er sich dafür, dass Earp sein Leben so sehr beherrschte. Heute jedoch zeigte er so etwas wie ein Fünkchen Ungehorsam.

»Ich denk' daran, die Zeitung zu verkaufen.«

»Wie kommst du denn auf eine derart blöde Idee?«

»Bill Brocius«, gestand Clum. »Zumindest war er ausschlaggebend. Ich hab' schon seit einiger Zeit darüber nachgedacht.«

»Du denkst doch nicht etwa daran, Tombstone zu verlassen, oder?«

»Doch, das tue ich«, murmelte Clum, wobei er den Blick senkte. »Der Indianer-Agent drüben in der San-Carlos-Reservation hat seinen Posten aufgegeben. Und ich habe überlegt, ob ich mich nicht darum bewerben soll.«

»Du brauchst doch nur ein paar Fäden zu ziehen, oder?«

»Sicher. Ein paar Verbindungen hab' ich noch.«

Earp erhob sich aus seinem Sessel. Er steckte die Hände in die Taschen und stapfte zum Fenster. Er blickte über die Fremont Street in Richtung Stadtmitte. Doch seine Augen schauten in eine unbestimmbare Ferne, auf nicht existente Ereignisse.

Eigentlich lebte Earp von den Schwächen und Fehlern anderer Menschen. Er war ambitioniert und kaltblütig und glaubte, dass die Schwäche anderer ihm auf Dauer einen Vorteil verschaffte. Einmal, in einem der seltenen Augenblicke von Offenheit, hatte er bemerkt: »Auf dieser Welt gibt es nur zwei Arten von Menschen. Die, die nehmen und die, die genommen werden.« Den größten Teil seines Lebens hatte er nach diesem Kodex gelebt. Er benutzte Menschen, solange sie für ihn wichtig waren, und ließ sie dann fallen.

Was ihn antrieb, war nicht Macht allein. Es waren vielmehr die Früchte der Macht. Er gierte nach Achtung und war besessen von dem Gedanken, respektiert zu werden. In den Rinderstädten von Kansas hatte er den Kampf verloren und dieses Ziel nicht erreicht. Seine Brüder waren als Hurensöhne verrufen, und ihm selbst war es nie gelungen, über die Position eines gewöhnlichen Polizisten hinauszukommen. So hatte er die gesamte Familie entwurzelt und war mit ihr nach Tombstone gezogen, um dort ganz von vorn anzufangen. Doch von Anfang an war nichts so gelaufen, wie es geplant gewesen war, und die Morde am OK-Corral hatten seine Position noch weiter geschwächt. Doch trotz all seiner geschäftlichen wie politischen Rückschläge war er noch immer nicht bereit, die Konsequenzen zu ziehen und Tombstone zu verlassen. Und er war auch noch nicht soweit, John Clum fallen zu lassen.

Schließlich wandte er sich vom Fenster ab. Sein Gesicht verfinsterte sich, und seine Stimme klang hart. »Mir gefällt dieser Gedanke nicht, John. Ich möchte, dass du die Zeitung so lange weiterführst, bis ich dir etwas anderes sage.«

»Wozu?«

»Um das zu erreichen, was wir von Anfang an wollten. Im Augenblick haben Behan und seine Bande die besseren Karten. Doch das wird sich ändern. Ich hab' noch immer die Absicht, das County unter Kontrolle zu bekommen - so oder so.«

Clum schüttelte zweifelnd den Kopf. »Wyatt, wir sind in Tombstone erledigt. Und auch im Cochise County ist es aus. Ich hab' doch die Warnung deutlich mitbekommen, als der Stadtrat mich aus dem Weg schaffte und Virgil als Marshal feuerte. Ich hab' zu dir gehalten, aber jetzt...« Seine Stimme zitterte und er spielte nervös mit seinem Hut. »Brocius will uns töten. Und für eine solche Situation hab' ich einfach nicht die Nerven. Ich will weg.«

Earp wehrte seine Einwände mit einer kurzen Geste ab. »Wenn du weiter so denkst, wirst du dein Leben lang ein armes Schwein bleiben.«

»Lieber ein armer Mann als ein toter Mann. Und eine andere Alternative sehe ich wirklich nicht.«

»Verdammt noch mal! Du hast doch keine Wahl! Du bist zwar feige aber nicht dumm. Nimm endlich die Pfropfen aus den Ohren und hör mir genau zu.«

Clum blickte unfreundlich drein. »Willst du mir drohen, Wyatt?«

Mit einem verächtlichen Grunzen durchquerte Earp den Raum und setzte sich wieder in den Sessel. »Ich sag' dir, ich brauche das Bürgermeisteramt zurück, um mein Spiel spielen zu können. Und ich brauche diese Zeitung, um die öffentliche Meinung beeinflussen zu können. Ob dir das nun passt oder nicht - es bedeutet, dass ich dich brauche. Also lassen wir dieses Gerede von wegen die Stadt verlassen und verschwinden. Kapiert?«

»Und was geschieht, wenn du mich nicht länger brauchst?«

»Himmel noch mal!«, stöhnte Earp. »Hör doch endlich mit dem Gejammer auf. Wenn diese Geschichte beendet ist, werden wir alle so reich wie Midas sein.«

»Ich hoffe, du meinst damit nicht Postkutschen.«

»Strick du weiter und überlass mir den Rest und die Feinheiten!«

»Wyatt, hör mir doch bitte zu! Wir können uns keinen weiteren Ärger leisten. Ein einziger Fehler, und wir landen alle im Gefängnis... oder es passiert noch Schlimmeres.«

»Da geht's doch schon wieder los. Du hast einfach Angst!«

»Ich stelle lediglich Tatsachen fest. Behan beobachtet uns mit Adleraugen, und Brocius hat unsere Namen auf seine Todesliste gesetzt. Mein Gott, wir stecken schon viel zu tief drin! Warum sollen wir das Loch denn noch tiefer schaufeln?«

»Die einzigen Löcher, die ich zu graben beabsichtige, sind die mit den Grabsteinen oben drauf. Eines für Brocius und vielleicht sogar eines für Behan. Es sei denn, er hält sich aus meinen Angelegenheiten raus.«

»Hör auf«, bettelte Clum. »Ich hab' ja schon Alpträume deswegen, Wyatt.«

»Alpträume weswegen?«

»Marsh Williams«, sagte Clum dumpf. »Das war einfach nicht nötig... du hättest ihn nicht...«

»Halt's Maul!«, fauchte Earp ihn an und deutete auf die Küche. »Da drin sind die Frauen. Also mach den Mund zu und halt ihn auch geschlossen.«

»Entschuldige, ich hab' nicht nachgedacht.«

Ärger blitzte in Earps Augen, dann verengten sie sich, und sein Blick wirkte verschleiert. »Nun verlier bloß nicht die Nerven, John, Du solltest dich daran erinnern, dass Marsh Williams deshalb - verschwand.«

»Ich weiß«, entgegnete Clum resigniert. »Es wird nicht wieder geschehen. Du kannst dich auf mich verlassen, Wyatt.«

»Was anderes hab' ich auch nie gedacht. Aber da du schon mal hier bist, lass uns übers Geschäft reden.«

Earp beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf seine Knie. Seine Stimme klang plötzlich wieder normal, als er zu sprechen begann. John Clum hörte ihm zu und nickte beifällig. Und doch bewegte ihn ein geradezu lähmender Gedanke. Er fragte sich ständig, ob er Tombstone je lebend verlassen würde.

 

Alice Blaylock stand in der Küche und versuchte, das Stimmengewirr aus dem Wohnzimmer einfach nicht wahrzunehmen. Sie hatte Earps plötzlichen Wutausbruch gehört und fühlte, dass der Besuch des Bürgermeisters ihren Schwager in schlechte Laune gebracht hatte. Damit war jede Hoffnung auf ein erfreuliches Weihnachtsfest vergangen.

Sie setzte sich an den Küchentisch und schälte Kartoffeln. Ihre Schwester Mattie stand am Spülstein und reinigte das Geschirr, das nach einem späten Frühstück übriggeblieben war. In der Küche war es durch den kleinen Eisenherd angenehm warm. Ein fettes Huhn, schön gefüllt und im Ofen brutzelnd, erfüllte den Raum mit seinem Duft. So schön, dachte Alice, war's im Haushalt der Earps noch nie gewesen. Ein beruhigendes Zwischenspiel war dieses Erledigen von normalen Hausfrauentätigkeiten. Dann konnten sie und Mattie so tun, als existierte die Welt da draußen überhaupt nicht. Und doch wusste sie, dass das eben nur ein Zwischenspiel war.

Sie warf Mattie einen Blick zu, und ein Gefühl tiefen Mitleids überkam sie. Mattie war früher attraktiv gewesen. Nun wirkte sie verbraucht und zerbrechlich. Ihre ganze Erscheinung war durch zu viele Jahre im harten Klima des Westens geprägt worden. Ihre Augen, an den Winkeln von tiefen Krähenfüßen durchsetzt, wirkten ständig sorgenvoll. In ihr Gesicht waren die Narben eines grausamen und gnadenlosen Lebens tief eingefurcht. Sie war dreißig Jahre alt und sah aus wie mindestens vierzig.

Alice, die vier Jahre jünger war, fühlte sich zuweilen wegen ihres eigenen Aussehens schuldig. Sie hatte ihr schwarzes Haar glatt in den Nacken zurückgekämmt, wodurch die feinen Konturen ihres Gesichts und ihr jugendlich frisches Aussehen betont wurden. Ihre Augen waren dunkel und ausdrucksvoll. Ein sonniges, munteres Lächeln spielte auf ihrem Gesicht. Sie war nicht groß, ging aber aufrecht, und ihre Kleidung betonte ihre schlanke Gestalt schmeichelnd. Der Gesamteindruck war einfach entwaffnend und irgendwie provozierend. Eine eigenartige Mischung aus Unschuld und Dreistigkeit.

Vom Aussehen einmal abgesehen hätten wohl die wenigsten Menschen sie tatsächlich für unschuldig gehalten. Im Gegenteil: die Frauen der Earp-Familie waren durch die harte Wirklichkeit des Lebens völlig anders. Zu ihrer Beschämung hatte sie erfahren müssen, dass Laster ihr Lebensinhalt war, fast so eine Art Familienunternehmen. Zuweilen hatte sie sogar Schwierigkeiten, sich mit dem Gedanken abzufinden, dass Mattie eine ehemalige Prostituierte war.

Vor einem Jahr etwa, ohne auch nur die Wahrheit im Entferntesten zu ahnen, war sie in den Westen gekommen, um bei ihrer Schwester zu leben. Ihre Eltern, die im Frühjahr bei einer der jährlichen Überschwemmungen des Ohio ums Leben gekommen waren, hatten nicht viel hinterlassen. Um ihre Gunst buhlten mehrere Freier, Jungen aus ihrer Heimatstadt, die sie etwas ablenkten. Und sie erwog für kurze Zeit den Gedanken, ob sie heiraten sollte. Doch einen Mann nur aus Gründen der Sicherheit, nicht aber aus Liebe zu heiraten, widersprach ihrem Charakter. So war sie mit romantischen Vorstellungen über das Leben an der Grenze ins Arizona Territorium gezogen.

In Tombstone angekommen, schwanden ihre Schulmädchen-Illusionen schnell. Sie stellte fest, dass das Leben in den Minen-Camps brutal und unzivilisiert war. Die Abenteuer, von denen sie in Groschenromanen gelesen hatte, gab es nicht. Bei weitem ihre größte Enttäuschung jedoch war Matties Ehemann. Sie sah, dass ihre Schwester ein Monster geheiratet hatte.

All das hatte Alice im Verlauf des letzten Jahres gelernt. Und mehr. Zunächst bestürzt verstand sie langsam Matties Beweggründe, und mit dem Verstehen kam das Akzeptieren. Zu ihrem Leidwesen musste sie dann erkennen, dass Wyatt Earp von Natur aus ein gefühlloses Scheusal war. Er war völlig mitleidlos und entpuppte sich zuweilen sogar in der Abgeschlossenheit ihres Hauses als Sadist. Am schlimmsten jedoch schien ihr, dass er korrupt und ungerecht war und mit jedem, der nicht unmittelbar zur Familie gehörte, skrupellos umging. Die Morde im vergangenen Oktober - drei Männer waren am OK-Corral brutal niedergeschossen worden - hatten sie bis ins Mark erschüttert. Sie wusste nicht, was Tod eigentlich bedeutete, und fand es dennoch unerträglich, mit einem Mörder zusammen unter einem Dach zu leben. Irgendwie war das Ganze mit einem Gefühl von Entsetzen und Unwirklichkeit verbunden. Mit dem Entsetzen, aus einem bösen Traum zu erwachen und dann festzustellen, dass er Wirklichkeit war.

Was ihr eigenes Leben anbelangte, so hatte das aufgehört zu existieren. Die Earps waren Ausgestoßene, und ihre Frauen waren Gegenstand gemeinen Geschwätzes. Kein anständiger Mann in Tombstone würde seinen Hut vor einer Frau aus dem Clan der Earps ziehen, geschweige denn ihr gar den Hof machen oder sie zu einem Ereignis einladen. Abgesehen von Doc Holliday und Wyatts Geschäfts-Kumpanen kamen nur wenige Männer ins Haus. Sie hatte auch keine Gelegenheit, andere kennenzulernen, und ihre Chance, von den ehrenwerten Mitgliedern der Gesellschaft akzeptiert zu werden, war noch geringer. Sie hieß Blaylock, und sie hatte nichts getan, was einen schlechten Ruf gerechtfertigt hätte. Doch für die Stadtbewohner war sie nur eine Earp-Frau.

Alice fragte sich oft, warum sie sich einfach hatte gefangen nehmen lassen. Ein Grund dafür war sicherlich ihre Naivität Ein anderer ihre Liebe und Sorge für Mattie. Und doch erkannte sie, dass dies alles mehr Entschuldigung als Rechtfertigung war. An solchen Tagen wie heute, wenn sie intensiv darüber nachdachte, war die Situation besonders verderblich, wie ihr schien. Wenn sie nicht aufpasste, erfüllte sie Selbstverachtung und bitteres Bedauern. Sie suchte nach der Kraft, einfach aus der Tür zu gehen und nie wieder zurückzusehen. Dann aber, erkennend, dass sie weder Geld noch irgendwelche Aussichten hatte, packte sie eine weit größere Angst. Erbarmungslos von der Zeit besiegt, in einem abgeschiedenen Minen-Camp gestrandet, würde auch ihr eines Tages nichts als der älteste Beruf der Welt bleiben. Dieser Gedanke bereitete ihr Ekel und ließ sie verzweifeln.

Matties Stimme durchdrang die Trance, in der sie sich befand. Plötzlich bemerkte sie, dass sie mit dem Messer in der einen Hand und einer Kartoffel in der anderen leeren Blickes auf die Tischplatte starrte. Sie schaute auf und sah, dass Mattie sie mit gerunzelter Stirn anschaute.

»Entschuldige«, sagte sie. »Ich muss wohl vor mich hin geträumt haben.«

»Das tun wir alle, meine Kleine. Ist ja auch die einzige Form von Unterhaltung, die Frauen in dieser Familie überhaupt haben.«

»Hattest du mich etwas gefragt?«

»Ich bat dich um einen Gefallen«, bestätigte Mattie und nickte dabei in Richtung Wohnzimmer. »Sei bitte vorsichtig mit dem, was du sagst, wenn Wyatt und der Bürgermeister da drüben fertig sind.«

»Was sollte ich schon sagen?«

»Je weniger, desto besser. Vor allem aber, lass ihn nicht wissen, dass wir etwas von dem, was sie besprochen haben, mitgehört haben.«

Alice erschauerte. »Ich habe nichts gehört. Absolut nichts.« Mattie atmete tief und schwer durch. »Ich wünschte um alles in der Welt, das könnte ich auch sagen. Manchmal ist es mehr, als ein Mensch ertragen kann.«

»Ich weiß«, erwiderte Alice mit dunkler Stimme. »Ich bete jede Nacht, dass es nicht noch schlimmer wird. Und das wird es sicher nicht. Bestimmt nicht, nach alldem.«

»Oh, mein Gott!«, sagte Mattie versonnen. »Wie ich mir wünsche, wir wären nie in diese Stadt gekommen. Am liebsten würde ich alles hinwerfen und zurück nach Kansas gehen.«

»Nein, sag das nicht...«

Alice hielt inne und warf einen raschen Blick zum Wohnzimmer. Die Stimmen der Männer waren jetzt lauter, und das Ächzen der Dielen dröhnte durchs Haus. Wenige Augenblicke darauf wurde die Eingangstür geschlossen, und alles war ruhig. Dann hallten Schritte. Eine Art Drohung, die ständig näher kam. Alice machte sich wieder ans Kartoffelschälen, und Mattie packte den Pumpenschwengel und pumpte Wasser in den Ausguss. Keine der beiden ließ sich anmerken, dass sie die nahenden Schritte gehört hatten.

Earp blieb im Türrahmen stehen. »Wann, zum Teufel, gibt's was zu essen? Ich hab' noch Geschäfte in der Stadt zu erledigen?«

»Verdammt noch mal, Wyatt!« Mattie wirbelte herum und stemmte die Hände in die Hüften. »Haben deine Geschäfte keine Zeit? Heute ist Weihnachten!«

»Na und?«, sagte Earp mürrisch. »Heute Nacht läuft ein Riesenspiel. Und falls du's vergessen hast, ich bin Kartengeber.«

»Ich meine trotzdem, dass du diese Nacht darauf verzichten kannst. Gerade diese Weihnachtsnacht.«

»Stell das Essen auf den Tisch und streite nicht mit mir darüber.«

Earp drehte sich um und ging zurück ins Wohnzimmer. Mattie wartete, lauschte, bis er sich entfernt hatte. Dann winkte sie Alice zu und senkte ihre Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern.

»Wir können Weihnachten feiern. Nur wir zwei! So wie in alten Zeiten, als wir noch Kinder waren, und die Menschen noch lachten.«

»Ja«, lächelte Alice traurig. »Ganz wie in alten Zeiten.«

 

 

 

Viertes Kapitel

 

 

In dieser Nacht nahm Starbuck seine Tätigkeit auf. Gegen acht Uhr durchschritt er die Schwingtür des Alhambra. Er trug ein schwarzes Jackett aus feinstem Stoff, dazu ein weißes Leinenhemd und einen luxuriösen schmalen Binder. Seinen Kopf zierte, elegant zurechtgekniffen, ein Schlapphut, und seine Füße steckten in halbhohen Ziegenlederstiefeln, die auf Hochglanz poliert waren. Selbst ein Blinder hätte ihn sofort als professionellen Spieler erkannt.

Das Alhambra war einer der feinsten Spielsalons in Tombstone. Eine Mahagoni-Bar säumte die ganze Länge der einen Wand. Dahinter türmten sich protzig unzählige Flaschen vor einem funkelnden Spiegel, der von den allgegenwärtigen Aktmalereien flankiert war. Längs der gegenüberliegenden Wand gab es Keno- und Faro-Tische, dazu ein Roulette sowie ein Chuck-A-Luck-Spiel. Am anderen Ende des Raums befanden sich die Poker-Tische, deren Deckenüberzüge im mostfarbenen Licht der tiefhängenden Lampen gedämpft wirkten. Die ganze Atmosphäre wirkte herzlich und zugleich zurückhaltend, war ausschließlich auf die Jagd nach dem Glück ausgerichtet.

Starbuck blieb an der Bar stehen und bestellte einen Whisky. Er nahm einige Schlucke, stemmte dann einen Ellbogen auf den Tresen und drehte sich um. Er hatte den Saal im Blickfeld. Die Menge war so bunt, wie er erwartet hatte. Kaufleute und Vertreter, die in ihrer städtischen Kleidung besonders vornehm wirkten, bewegten sich zwischen Bergarbeitern und Cowboys und raubeinigen Fuhrleuten. Alles war in pausenloser Bewegung, die lediglich durch das gedämpfte Murmeln von Unterhaltung und die Gewonnen-Verloren-Rufe der Bankhalter unterbrochen wurde. Allem Anschein nach wurde hier ehrlich gespielt, im Vertrauen darauf, dass der Salon auch so Profit bringen würde. Und tatsächlich bewiesen die Geldsummen, die den Besitzer wechselten, dass das Alhambra ausgezeichnet lief.