Static Way - W. D. Perske - E-Book

Static Way E-Book

W.D. Perske

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Beschreibung

STATIC WAY – THE AWAKENING Ein düsterer Mystery-Roman im Stil der 1980er – fesselnd, verstörend und zutiefst menschlich. Falcon Lake, Oregon. Herbst 1984. Die Luft ist elektrisch, der Nebel wird dichter – und irgendetwas Unaussprechliches erwacht in den Schatten. Als die introvertierte Elaine neu in die Stadt zieht, ahnt niemand, dass ihre Ankunft mit einer Serie bizarrer Ereignisse zusammenfällt: Schüler verschwinden spurlos, ein seltsames Knistern liegt in der Luft, und Jaydens Zeichnungen beginnen, die Zukunft vorherzusagen. Gemeinsam mit seinen Freunden – dem nerdigen Logan, dem impulsiven Tyler und der geheimnisvollen Elaine – wird Jayden in ein Netz aus Geheimnissen, verstörenden Experimenten und interdimensionalem Grauen hineingezogen. Und über allem steht ein Name, der nicht ausgesprochen werden darf: The Defiler. Doch was ist Static Way? Ein längst vergessenes Regierungsprojekt? Ein Riss zwischen den Welten? Oder nur der Anfang von etwas viel Größerem? Für Fans von Stranger Things, Stephen King & Lovecraft – aber 100 % eigenständig. Mit starken Figuren, nostalgischer 80er-Jahre-Atmosphäre, düsteren Geheimnissen und einem übernatürlichen Feind, der mehr ist als nur ein Monster. „Manche Türen bleiben nicht geschlossen, weil niemand sie öffnen kann – sondern weil niemand es wagen will.“

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EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Urheberrecht

Static Way: The AwakeningAutor: W.D. Perske (Wilfried Perske)© 2025 Wilfried Perske – Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Genehmigung des Autors in irgendeiner Form reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden. Dies gilt insbesondere für: – Nachdruck – Übersetzung – Mikroverfilmung – Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen SystemenRechtlicher Hinweis: Die in diesem Buch dargestellten Personen, Handlungen und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Personen, Unternehmen oder tatsächlichen Geschehnissen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.Eigenverlag – Erste Auflage 2025Kontakt: Coburger Str. 36 14612 Falkensee

Inhaltsverzeichnis

Urheberrecht      1

Inhaltsverzeichnis      2

Aus dem Archiv      3

Episode 1 Halloween kommt früh      4

Episode 2 Zerfleischt im Nebel      24

Episode 3 Echo im Holz      37

Episode 4 Zwischen den Zeilen      49

Episode 5 Projekt Static Way: Phase A      67

Episode 6 Der Defiler      86

Episode 7 Der Marrow-Drinker      103

Episode 8 Artefakt 57      115

Episode 9 Schattenspiele      129

Episode 10 Die Tiefenschicht      141

Episode 11Der Ausfall      152

Episode 12 Rückkopplung      163

 

Aus dem Archiv

„Die Dinge, die wir fürchten, leben nicht im Schatten. Sie leben im Spiegel.“ – Anonym, aufgezeichnet auf Tonband 4 – Projekt Static Way

„Was wir Monster nennen, ist oft nur der Teil von uns, den wir nicht begreifen wollen.“ – Elaine Carter, Tagebuchauszug, 1984

„Nicht alles, was aus der Dunkelheit kommt, ist blind. Manche sehen nur zu viel.“ – Archivnotiz Nr. 9 – Abteilung F / 1983 (vermutlich gelöscht)

„Du denkst, du kämpfst dagegen an. Aber irgendwann merkst du, dass du nur noch gegen dich selbst kämpfst." – Cole Walker, undatiertes Fragment

„In Falcon Lake ertrinken Geheimnisse nicht im See. Sie lernen schwimmen."– Sheriff Carter, inoffizielles Logbuch, 1984

„Ich zeichne nicht, was ich sehe. Ich zeichne, damit ich nicht von dem gesehen werde, was mich ansieht." – Jayden Blake, Notiz am Rande einer Skizze

Episode 1 Halloween kommt früh

Der Himmel über Falcon Lake, Oregon, hing an diesem Oktobermorgen wie ein nasser, grauer Lappen zwischen den Gipfeln der Nadelbäume. Es war die Art von Morgen, die einem das Gefühl gab, als hätte die Welt den Atem angehalten, kurz bevor etwas Unausweichliches geschah. Für Jayden Blake fühlte sich jeder Morgen so an, seit er mit seiner Familie in diese gottverlassene Kleinstadt gezogen war, aber heute war es anders. Intensiver. Das Knistern in der Luft war fast greifbar.

Jayden saß auf der obersten Stufe der Veranda seines leicht heruntergekommenen Holzhauses, den Zeichenblock auf den Knien, einen Kohlestift zwischen den Fingern. Das Papier war noch leer. Seine braunen Haare, genau die Sorte widerspenstig, die seine Mutter jeden Morgen zu bändigen versuchte und die auf dem Cover eines jeden seiner inneren Abenteuer prangte, fielen ihm in die Stirn, als er den Blick über die Straße schweifen ließ. Falcon Lake war ein Ort, der sich verzweifelt an eine Vergangenheit klammerte, die längst verblasst war, wie die abgeblätterte Farbe an den Fassaden der Main Street. Holzhäuser mit Veranden, die unter der Last der Jahre ächzten, Tankstellen, deren Zapfsäulen aussahen, als hätten sie seit dem letzten Ölpreisschock keinen Tropfen Benzin mehr gesehen, und ein Kino, dessen Neonreklame nur noch ein müdes, intermittierendes Flackern zustande brachte.

Ein Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken. Nicht das übliche Knirschen der Äste im nahen Blackwood Forest oder das ferne Rauschen des Falcon Lake, jenes tiefen, nebligen Sees, der mehr Geheimnisse zu verbergen schien als Wasser. Es war das vertraute Rattern von Rollen auf Asphalt, begleitet von einem ebenso vertrauten, lauten Lachen.

Tyler Walker bog mit seinem BMX-Rad um die Ecke, den riesigen Ghettoblaster auf der Schulter, aus dem die neuesten Beats von Run DMC dröhnten und die Stille des Morgens zerfetzten. Tyler war das genaue Gegenteil von Jayden: laut, wo Jayden leise war, impulsiv, wo Jayden zögerte, das pulsierende, afroamerikanische Herz ihrer kleinen Clique. Sein Grinsen war so breit wie der Lenker seines Fahrrads.

"Yo, J-Man! Starrst du wieder Löcher in die Luft oder versuchst du, mit den Eichhörnchen zu kommunizieren?" Tyler sprang mit einer lässigen Bewegung vom Rad, ließ es achtlos auf den Rasen fallen und pflanzte sich neben Jayden auf die Stufen. Der Ghettoblaster landete mit einem dumpfen Geräusch zwischen ihnen.

"Hab nachgedacht", murmelte Jayden und zuckte mit den Schultern. Sein Blick wanderte zurück zu dem leeren Blatt Papier. Es war nicht so, dass ihm die Ideen fehlten. Sein Kopf war voll davon, ein wirbelnder Strudel aus Bildern, Fragmenten von Träumen, die sich wie Nebelschwaden festsetzten, sobald er versuchte, sie zu fassen.

"Nachdenken ist gefährlich, Mann. Vor allem in dieser Stadt." Tyler stieß ihm den Ellbogen in die Seite. "Logan müsste auch gleich kommen. Hat gestern Abend noch bis spät an seinem Funkgerät gebastelt. Meinte, er hätte fast eine Nachricht von Außerirdischen empfangen."

Jayden konnte sich ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Logan Marsh, der dritte im Bunde, war der Nerd der Gruppe, ein wandelndes Lexikon für alles, was mit Science-Fiction, Arcade-Spielen und obskuren Funksprüchen zu tun hatte. Seine Sci-Fi-T-Shirts waren legendär, ebenso wie seine Fähigkeit, stundenlang über die technischen Daten der Enterprise zu referieren.

Das leise Quietschen einer schlecht geölten Fahrradkette kündigte Logans Ankunft an. Er kam die Straße heruntergeradelt, etwas unsicherer als Tyler, die Schultasche fast so groß wie er selbst, einen alten Walkman-Kopfhörer um den Hals.

"Morgen, Leute", sagte Logan und ließ sein Rad vorsichtig neben Tylers fallen. "Habt ihr das gehört heute Nacht? Dieses komische Brummen?"

Tyler verdrehte die Augen. "Nicht schon wieder, Logan. Das war wahrscheinlich nur der Kühlschrank deiner Mom."

"Nein, ernsthaft!" Logan setzte sich zu ihnen. "Es war anders. Tiefer. Und mein Radio hat total verrücktgespielt. Nur Rauschen und dann… dieses Knistern."

Jayden hob den Kopf. Knistern. Da war es wieder, dieses Wort. Er spürte es manchmal selbst, eine Art statische Aufladung in der Luft, als würden sich unsichtbare Fäden spannen. Meistens tat er es als Einbildung ab.

"Wahrscheinlich nur die alten Leitungen", sagte Tyler und zuckte mit den Schultern, aber sein Blick traf kurz den von Jayden.

Bevor das Gespräch weitergehen konnte, unterbrach das Geräusch eines sich nähernden Motors die morgendliche Routine. Ein verbeulter, rostbrauner Pick-up-Truck kam die Straße heruntergerumpelt und hielt mit quietschenden Bremsen direkt vor ihnen. Am Steuer saß Chad Wilson, ein stämmiger Oberstufenschüler mit einem fiesen Grinsen und Augen, die so kalt waren wie der nahende Winter. Auf dem Beifahrersitz fläzte sich Brody "Spike" Miller, Chads ebenso unangenehmer Schatten, dessen Grinsen dem seines Freundes in nichts nachstand.

"Na sieh mal einer an, die drei Musketiere der Falcon Hollow High", höhnte Chad und ließ den Motor aufheulen. "Oder sollte ich sagen, die drei Verlierer?"

Tyler sprang auf. "Was willst du, Wilson?"

"Ach, nichts Besonderes, Walker." Spike lehnte sich aus dem Fenster. "Wir wollten nur sichergehen, dass ihr euren täglichen Beitrag zur Umweltverschmutzung leistet, indem ihr existiert."

Jayden spürte, wie sich ein kalter Knoten in seinem Magen bildete. Chad und Spike waren die selbsternannten Könige der Schule, und ihre Lieblingsbeschäftigung war es, Schwächere zu drangsalieren. Ihre kleine Gruppe war ein bevorzugtes Ziel.

"Verschwindet, Chad", sagte Logan leise, aber mit fester Stimme.

Chad lachte. "Ooh, der kleine Marsh wird mutig. Was willst du tun? Uns mit deinem Taschenrechner bewerfen?" Er stieg aus dem Truck, gefolgt von Spike. Die beiden waren deutlich größer und kräftiger als Jayden und seine Freunde.

Die Konfrontation war unausweichlich. Jayden kannte das Drehbuch. Es würde mit Beleidigungen beginnen, dann vielleicht ein paar Schubser, und wenn sie Pech hatten, endete es mit einem blauen Auge oder einem aufgeschlagenen Knie. Er hasste diese Momente, diese sinnlose Zurschaustellung von roher Gewalt.

Doch bevor Chad den ersten Schritt auf sie zumachen konnte, lenkte ein anderes Geräusch ihre Aufmerksamkeit ab. Ein Umzugswagen, groß und weiß, bog langsam in ihre Straße ein und hielt vor dem Haus neben Jaydens, das seit Monaten leer gestanden hatte. Die Fahrertür öffnete sich und ein Mann mittleren Alters stieg aus, gefolgt von einer Frau. Und dann, von der Beifahrerseite, ein Mädchen.

Sie mochte in Jaydens Alter sein, vielleicht fünfzehn. Blasse Haut, dunkle, fast schwarze Augen, die den nebligen Morgen auf eine unergründliche Weise zu spiegeln schienen. Sie stieg langsam aus, ihre Bewegungen hatten etwas Zögerliches, fast Schwereloses. Ihr Blick wanderte über die Straße, streifte kurz die Gruppe vor Jaydens Haus und blieb dann für einen Moment an ihm hängen.

In diesem Augenblick spürte Jayden es wieder, stärker als je zuvor. Ein elektrisches Prickeln auf seiner Haut, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Das Knistern in der Luft wurde zu einem leisen Summen, das nur er zu hören schien. Gleichzeitig durchfuhr ein seltsames Bild seinen Geist, so klar und deutlich, als hätte es sich direkt auf seine Netzhaut gebrannt: Ein einzelnes, riesiges Auge, glühend und von pulsierenden Adern umgeben, das ihn aus einer undurchdringlichen Dunkelheit anstarrte.

Das Bild verschwand so schnell, wie es gekommen war, und ließ Jayden keuchend und mit pochendem Herzen zurück. Sein Kohlestift war ihm aus der Hand gefallen und auf den Verandaboden gerollt.

Die Ankunft des Mädchens hatte die Dynamik verändert. Chad und Spike schienen für einen Moment ihre Feindseligkeit vergessen zu haben und starrten neugierig auf die Neuankömmlinge. Selbst Tyler hatte seinen üblichen Redeschwall eingestellt.

Das Mädchen wandte den Blick ab und folgte ihren Eltern zum Haus.

"Wer ist das denn?", murmelte Tyler und kratzte sich am Kopf.

Chad schnaubte. "Neue Opfer, würde ich sagen." Er warf Jayden und seinen Freunden einen letzten verächtlichen Blick zu, dann stieg er wieder in seinen Truck. "Wir sehen uns in der Schule, Freaks." Mit einem lauten Aufheulen des Motors verschwanden sie die Straße hinunter.

Die unmittelbare Bedrohung war vorbei, aber die seltsame Spannung in der Luft blieb. Jayden hob zitternd seinen Stift auf. Das Bild des Auges war immer noch präsent, eingebrannt in sein Gedächtnis. Unwillkürlich, fast wie von einer fremden Hand geführt, begann er zu zeichnen. Nicht das Auge. Noch nicht. Aber Linien, Kreise, Spiralen, die sich auf dem Papier formten, ohne dass er bewusst darüber nachdachte.

"Alles okay, Jayden?", fragte Logan besorgt und musterte ihn.

Jayden nickte nur, unfähig zu sprechen. Er wusste nicht, was gerade passiert war. Aber er wusste, dass sich etwas verändert hatte. Halloween kam dieses Jahr vielleicht früher als erwartet nach Falcon Lake. Und es brachte mehr mit als nur Kürbisse und Süßigkeiten.

Die Gänge der Falcon Hollow Highschool rochen nach einer Mischung aus Bohnerwachs, alter Kreide und der subtilen Verzweiflung von Teenagern, die versuchten, Algebra zu verstehen. Das Gebäude selbst war ein Relikt aus den 70ern, ein Labyrinth aus lindgrünen Spinden, flackernden Leuchtstoffröhren und Klassenzimmern, in denen die Sonne nur selten den Weg durch die schmutzigen Fenster fand.

Jayden, Tyler und Logan navigierten durch das morgendliche Gedränge, jeder in seinen eigenen Gedanken verloren. Tylers Ghettoblaster war ausnahmsweise still, ein Zugeständnis an die Schulregeln, das er nur widerwillig machte.

"Habt ihr sie gesehen?", fragte Tyler und meinte das neue Mädchen. "Ich wette, sie kommt aus einer Großstadt. Portland oder so."

"Sie sah… anders aus", sagte Logan und schob seine Brille zurecht. "Irgendwie…"

"Intensiv?", ergänzte Jayden leise. Das war das Wort, das ihm in den Sinn kam. Ihre dunklen Augen hatten etwas Unergründliches gehabt.

Als sie den Hauptflur erreichten, sahen sie sie. Das neue Mädchen stand vor dem Sekretariat, den Rucksack über einer Schulter, und sprach mit Mrs. Davison, der Sekretärin, deren Dauerwellenfrisur ebenso ein Relikt der 70er war wie das Gebäude selbst.

Sie trug einfache Jeans und einen dunklen Pullover, nichts Auffälliges, und doch zog sie die Blicke auf sich. Vielleicht lag es an ihrer blassen Haut, die im fahlen Licht des Flurs fast durchscheinend wirkte, oder an der Art, wie sie dastand, ein wenig abseits, als wäre sie unsichtbar und würde gleichzeitig jeden im Raum beobachten.

Als sie sich umdrehte und ihren Stundenplan entgegennahm, kreuzten sich ihre Blicke erneut mit denen von Jayden. Wieder spürte er dieses seltsame, elektrische Kribbeln, und für einen Sekundenbruchteil flackerte das Bild des monströsen Auges vor seinem inneren Auge auf. Er zuckte unwillkürlich zusammen.

Das Mädchen bemerkte seine Reaktion. Ein Ausdruck, den er nicht deuten konnte – Neugier? Erkenntnis? – huschte über ihr Gesicht, bevor sie sich abwandte und den Gang entlangging.

"Okay, das war seltsam", murmelte Tyler. "Sie hat dich angestarrt, als wüsste sie dein dunkelstes Geheimnis, J-Man."

Jayden sagte nichts. Er fühlte sich beobachtet, nicht nur von dem Mädchen, sondern von etwas anderem, etwas Unsichtbarem, das in den Schatten dieser Schule, dieser Stadt, lauerte.

Die erste Stunde war Geschichte bei Mr. Henderson, einem Lehrer, dessen Begeisterung für den Amerikanischen Bürgerkrieg nur von seiner Fähigkeit übertroffen wurde, seine Schüler in den Schlaf zu reden. Jayden saß wie üblich in der letzten Reihe, seinen Zeichenblock unter dem Geschichtsbuch versteckt. Er versuchte, den Worten des Lehrers zu lauschen, aber seine Gedanken drifteten immer wieder ab. Zu dem Mädchen. Zu dem Auge. Zu dem Knistern.

Er begann unbewusst zu kritzeln, Linien formten sich zu Kurven, Schatten krochen über das Papier. Als er nach einer Weile auf sein Werk blickte, war er überrascht. Er hatte ein Auge gezeichnet. Nicht das glühende, monströse Auge aus seiner Vision, sondern ein menschliches Auge, dunkel und unergründlich, das ihn vom Papier aus anzustarren schien. Es erinnerte ihn an die Augen des neuen Mädchens.

Plötzlich spürte er eine Veränderung im Raum. Ein subtiles Summen, eine kaum wahrnehmbare Vibration, als würde ein riesiger Dynamo langsam hochfahren. Das Licht der Leuchtstoffröhren über ihm flackerte einmal, zweimal, dann stabilisierte es sich wieder. Einige Schüler blickten irritiert auf, aber Mr. Henderson setzte ungerührt seinen Vortrag fort.

Jayden jedoch spürte es deutlich. Das Knistern war wieder da, stärker diesmal, und es schien von einer bestimmten Richtung auszugehen. Er blickte auf.

Das neue Mädchen saß drei Reihen vor ihm, am Fenster. Sie hatte den Kopf leicht gesenkt, aber ihre Hand lag auf dem Tisch und ihre Fingerknöchel traten weiß hervor, als würde sie die Tischplatte umklammern. Ihr Atem ging schnell und flach. Sie schien die einzige im Raum zu sein, die ebenfalls etwas bemerkte. Ihre dunklen Augen waren auf einen Punkt außerhalb des Fensters gerichtet, auf den nebelverhangenen Blackwood Forest, der sich wie eine dunkle Welle hinter dem Sportplatz der Schule erhob.

Das Knistern wurde lauter, intensiver, fast schmerzhaft. Jayden presste die Hände an die Schläfen. Was war hier los?

Dann, so schnell wie es gekommen war, war es wieder vorbei. Das Summen verklang, das Knistern erstarb. Das Licht der Lampen brannte wieder gleichmäßig. Das Mädchen am Fenster entspannte sich langsam, ihre Atmung normalisierte sich. Sie warf einen kurzen, fast verstohlenen Blick zurück zu Jayden, dann wandte sie sich wieder nach vorn.

Die Glocke läutete das Ende der Stunde ein. Jayden packte langsam seine Sachen zusammen, sein Herz hämmerte noch immer. Er musste mit Tyler und Logan reden. Er musste wissen, ob sie auch etwas gespürt hatten.

Als er den Klassenraum verließ, sah er, wie das neue Mädchen von Mr. Henderson angesprochen wurde. Er konnte nicht verstehen, was sie sagten, aber sie nickte nur und nahm einen Zettel entgegen. Wahrscheinlich eine Liste mit Schulmaterial oder Informationen für neue Schüler.

Auf dem Flur warteten Tyler und Logan bereits auf ihn.

"Mann, diese Stunde war ja wieder der Brüller", stöhnte Tyler. "Ich glaube, ich hab von Kanonenkugeln geträumt."

"Hast du das Flackern der Lichter bemerkt?", fragte Jayden sofort, seine Stimme leiser als beabsichtigt.

Tyler zuckte mit den Schultern. "Ja, kurz. Wahrscheinlich wieder die miese Elektrik in diesem Schuppen."

Logan nickte zustimmend. "Typisch Falcon Hollow. Hier funktioniert doch nichts richtig."

Jayden zögerte. Sollte er ihnen von dem Knistern erzählen? Von dem Mädchen? Von dem Auge, das er gezeichnet hatte, das ihn so an sie erinnerte? Er entschied sich dagegen. Noch nicht. Sie würden ihn für verrückt erklären. Er musste erst selbst verstehen, was hier vor sich ging.

"Wir sollten zur Arcade gehen nach der Schule", schlug Tyler vor, um die Stimmung aufzuhellen. "Ich muss meinen Highscore bei Pac-Man verteidigen."

"Gute Idee", sagte Logan. "Vielleicht hat Mr. Chang ja schon die neue Lieferung 'Space Invaders'-Automaten bekommen."

Die "WarpZone" Arcade war einer der wenigen Lichtblicke in Falcon Lake, ein neonerleuchteter Tempel der digitalen Unterhaltung, betrieben von dem exzentrischen, aber gutmütigen Mr. Chang.

Jayden nickte zustimmend, obwohl seine Gedanken woanders waren. Er konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass dieser Tag erst der Anfang von etwas viel Größerem und Unheimlicherem war.

Die Mittagspause verbrachten sie wie üblich in der lauten, überfüllten Cafeteria. Der Geruch von undefinierbarem Essen hing schwer in der Luft. Jayden stocherte lustlos in seinem Essen herum. Er sah das neue Mädchen an einem Tisch in der Ecke sitzen, allein. Sie las ein Buch und schien die laute Umgebung völlig auszublenden.

Plötzlich tauchten Chad und Spike neben ihrem Tisch auf, ihre Schatten fielen drohend über sie.

"Na, Blake", sagte Chad mit seinem typischen höhnischen Grinsen. "Schmeckt das undefinierbare Etwas heute besonders gut?" Spike lachte kehlig.

Tyler spannte sich an. "Was wollt ihr schon wieder?"

"Wir wollten nur mal nach unserer Lieblingszeichnerin sehen", sagte Spike und beugte sich zu Jayden herunter, sein Atem roch nach Zigaretten und abgestandenem Kaffee. "Hast du heute schon was Schönes für uns gemalt? Vielleicht ein paar Einhörner, die Regenbögen pupsen?"

Jayden sagte nichts, starrte nur auf seinen Teller. Er wusste, dass jede Reaktion sie nur weiter anstacheln würde.

"Oder vielleicht das neue Mädchen?", fuhr Chad fort und warf einen Blick zu dem Tisch in der Ecke. "Sie sieht ja ganz passabel aus. Vielleicht ein bisschen blass um die Nase. Was meinst du, Blake? Ist sie dein Typ? So still und unheimlich wie du?"

"Lasst ihn in Ruhe, Wilson", knurrte Tyler und stand auf. Er war zwar kleiner als die beiden, aber sein Zorn konnte ihn gefährlich machen.

Chad lachte nur. "Oder was, Walker? Willst du uns mit deinem Ghettoblaster verprügeln?" Er packte Jaydens Zeichenblock, der neben seinem Tablett lag. "Mal sehen, was der Meister heute so geschaffen hat."

"Gib das her!", rief Jayden und versuchte, nach dem Block zu greifen, aber Chad hielt ihn außer Reichweite. Er blätterte durch die Seiten, sein Grinsen wurde breiter.

"Oh, sehr hübsch. Bäume. Ein See. Und was ist das? Ein Auge? Ziemlich gruselig, Blake. Träumst du nachts von sowas?"

Er hielt die Seite mit der Zeichnung des Auges hoch, sodass es jeder in der Nähe sehen konnte. Einige Schüler kicherten. Jayden spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg.

In diesem Moment stand das neue Mädchen von ihrem Tisch auf. Langsam, bedächtig. Sie sagte nichts, aber ihr Blick war fest auf Chad gerichtet. Ein Blick, der so intensiv war, dass er selbst Chad für einen Moment innehalten ließ.

Wieder spürte Jayden dieses seltsame Knistern in der Luft, diesmal begleitet von einem leisen, hochfrequenten Pfeifen, das nur er zu hören schien. Die Lichter in der Cafeteria flackerten erneut, diesmal heftiger. Ein Tablett klirrte zu Boden. Das Pfeifen wurde lauter, schriller.

Chad ließ den Zeichenblock fallen, als hätte er sich die Finger verbrannt. Er presste sich die Hände an die Ohren. "Was zum Teufel…?" Auch Spike verzog das Gesicht und sah sich verwirrt um.

Das Pfeifen und das Knistern verschwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren. Die Lichter normalisierten sich. Das neue Mädchen stand immer noch da, regungslos, ihr Blick unverändert.

Chad schüttelte den Kopf, sichtlich irritiert. "Was war das denn für ein Scheiß?" Er funkelte Jayden wütend an. "Das warst du, oder, Freak?"

Bevor er jedoch etwas tun konnte, tauchte Mr. Henderson in der Tür der Cafeteria auf. "Wilson! Miller! Was geht hier vor?"

Chad und Spike zuckten zusammen. "Nichts, Mr. Henderson. Gar nichts."

"Dann seht zu, dass das so bleibt. Und lasst die anderen Schüler in Ruhe."

Wortlos und mit finsteren Blicken zogen sich die beiden Mobber zurück.

Jayden hob zitternd seinen Zeichenblock auf. Die Seite mit dem Auge war leicht geknickt. Tyler klopfte ihm auf die Schulter. "Alles klar, Mann?"

Jayden nickte nur. Sein Blick wanderte zu dem neuen Mädchen. Sie hatte sich wieder an ihren Tisch gesetzt und ihr Buch aufgeschlagen, als wäre nichts geschehen. Aber als sie kurz aufblickte und ihre Augen die seinen trafen, wusste Jayden, dass sie etwas damit zu tun gehabt hatte. Er wusste es einfach.

Und er wusste auch, dass dieses Knistern, dieses Pfeifen, diese seltsame Energie, die er spürte, wenn sie in der Nähe war, kein Zufall sein konnte. Etwas verband sie. Etwas Dunkles und Mächtiges.

Falcon Lake war nicht mehr nur eine langweilige, abgelegene Kleinstadt. Es war ein Ort, an dem Geheimnisse unter der Oberfläche brodelten. Und er hatte das Gefühl, dass er und seine Freunde gerade erst begonnen hatten, daran zu kratzen.

Die restlichen Schulstunden zogen sich wie Kaugummi. Jayden konnte sich kaum konzentrieren. Immer wieder sah er das Gesicht des neuen Mädchens vor sich, ihre dunklen, intensiven Augen. Und immer wieder spürte er dieses unterschwellige Knistern, wenn er an sie dachte. Wer war sie? Und was hatte es mit diesen seltsamen Vorkommnissen auf sich?

Nach dem letzten Klingeln trafen sich Jayden, Tyler und Logan wie verabredet vor der Schule, ihre BMX-Räder schon startklar.

"Auf zur WarpZone!", rief Tyler und schwang sich auf sein Rad. "Der Verlierer zahlt die erste Runde Cola!"

Der Weg zur Arcade führte sie durch die Innenstadt von Falcon Lake. Vorbei an "Ruby's Pie Heaven", dem Diner, dessen Apfelkuchen legendär war und dessen rote Neonschrift schon bessere Tage gesehen hatte. Vorbei an "Dean's Fuel & Auto", der Tankstelle und Werkstatt, wo Tylers älterer Bruder Cole arbeitete und versuchte, den alten Rostlauben der Stadtbewohner noch ein paar weitere Meilen abzuringen. Die Straße war gesäumt von Geschäften, von denen viele leer standen, ihre Fenster blind und staubig. Ein leiser Hauch von Verfall lag über allem, wie der Nebel, der sich oft von den Hängen des Blackwood Forest herabschlich und die Stadt in ein schauriges Grau tauchte.

Die "WarpZone" Arcade war ein willkommener Farbtupfer in dieser Monotonie. Durch die getönten Scheiben drang das gedämpfte Blinken und Piepen der Spielautomaten nach draußen. Mr. Chang, ein kleiner, drahtiger Mann mit einem ewigen Lächeln und einem beeindruckenden Schnurrbart, begrüßte sie mit einer Verbeugung.

"Ah, meine jungen Freunde! Bereit, die Highscores zu brechen?"

Die nächste Stunde verbrachten sie in der lauten, bunten Welt der Pixel und Joysticks. Tyler hämmerte auf die Knöpfe von Pac-Man ein, Logan versuchte sich an den Feinheiten von Donkey Kong, und Jayden ließ sich von den hypnotischen Mustern von Galaga gefangen nehmen. Für eine Weile konnte er die seltsamen Ereignisse des Tages vergessen.

Doch als er gerade dabei war, eine neue Welle von feindlichen Raumschiffen abzuwehren, spürte er es wieder. Das Knistern. Diesmal subtiler, aber unverkennbar. Er blickte sich um.

Und da sah er sie. Das neue Mädchen. Sie stand am Eingang der Arcade, ihr Blick wanderte über die Reihen der blinkenden Automaten. Sie zögerte einen Moment, dann betrat sie den Laden. Sie schien niemanden Bestimmten zu suchen, schlenderte einfach zwischen den Automaten hindurch, ihre Finger strichen leicht über die Gehäuse, als würde sie ihre Energie spüren.

Sie blieb vor einem alten Flipperautomaten stehen, einem Relikt aus einer noch früheren Ära der Spielhallen. Der Automat war dunkel, außer Betrieb. Sie legte ihre Hand darauf, schloss kurz die Augen.

Plötzlich flackerten die Lichter des Flippers auf. Ein kurzes, helles Aufleuchten, begleitet von einem leisen elektrischen Surren. Dann war er wieder dunkel.

Das Mädchen zog ihre Hand zurück, als hätte sie sich erschrocken. Sie blickte sich verstohlen um, um zu sehen, ob jemand etwas bemerkt hatte. Ihr Blick traf Jaydens.

Wieder dieser intensive, unergründliche Ausdruck. Und dann, zum ersten Mal an diesem Tag, sah er den Anflug eines Lächelns auf ihren Lippen. Ein winziges, fast unmerkliches Lächeln, das aber eine seltsame Wärme in Jayden auslöste.

Bevor er reagieren konnte, drehte sie sich um und verließ die Arcade so leise, wie sie gekommen war.

Jayden starrte ihr nach, das Raumschiff auf seinem Bildschirm explodierte unbeachtet.

"Hey, Erde an Jayden!", rief Tyler. "Du hast gerade dein letztes Leben verloren!"

Aber Jayden hörte ihn kaum. Das Knistern war verschwunden, aber die Erinnerung an ihr Lächeln und das seltsame Aufleuchten des Flippers blieben.

Er wusste jetzt zwei Dinge mit Sicherheit. Erstens: Das neue Mädchen hieß Elaine. Er hatte es auf ihrem Stundenplan gesehen, als sie vor dem Sekretariat stand.

Und zweitens: Elaine Carter war definitiv anders. Und er hatte das unbestimmte Gefühl, dass ihr Schicksal auf irgendeine Weise mit seinem eigenen und dem seiner Freunde verbunden war.

Der Nebel von Falcon Lake barg mehr Geheimnisse, als er sich je hätte vorstellen können. Und das Knistern in der Luft war erst der Anfang. Er griff nach seinem Zeichenblock, der neben dem Automaten lag. Seine Finger juckten. Er musste zeichnen. Er musste das Auge zeichnen. Diesmal nicht das menschliche Auge von Elaine. Sondern das andere. Das, was er in seiner Vision gesehen hatte. Das, was sich anfühlte, als würde es aus den tiefsten Schatten des Blackwood Forest starren.

Die restliche Zeit in der WarpZone verging wie im Flug, doch Jaydens Konzentration war dahin. Das Bild des glühenden Auges drängte sich immer wieder in seine Gedanken, überlagerte die bunten Pixel auf den Bildschirmen. Als sie schließlich genug Kleingeld in die Automaten geworfen hatten und mit leeren Taschen, aber vollen Köpfen – zumindest was Spielstrategien anging – wieder auf die Straße traten, begann die Dämmerung, den Himmel in ein tiefes Violett zu tauchen. Die Neonlichter der Stadt wirkten nun heller, die Schatten länger und bedrohlicher.

"Mann, ich hab Hunger", verkündete Tyler und rieb sich den Bauch. "Wie wär's mit 'ner Pizza bei Ruby's? Ich geb einen aus, wenn Logan mir seine Taktik für den Endgegner bei 'Defender' verrät."

"Abgemacht", sagte Logan sofort. "Aber meine Weisheit hat ihren Preis. Eine extra große Peperoni."

Jayden schwieg. Der Gedanke an Essen war ihm fern. Er wollte nur nach Hause, in die Stille seines Zimmers, und zeichnen. Die Umrisse des Auges formten sich bereits unter seinen Fingernägeln, ein unsichtbarer Druck, der entfesselt werden musste.

"Ich pass heute, Leute", sagte er leise. "Muss noch… was erledigen."

Tyler musterte ihn Stirn runzelnd. "Alles klar bei dir, J-Man? Du bist heute komischer als sonst. Und das will was heißen."

"Mir geht's gut", log Jayden. "Bin nur müde."

"Na gut, Kunst-Freak." Tyler grinste. "Aber du verpasst was. Ruby macht heute ihre berühmten Knoblauchknoten."

Sie trennten sich an der nächsten Straßenecke. Tyler und Logan bogen in Richtung Diner ab, ihre Stimmen und ihr Lachen verhallten langsam in der hereinbrechenden Dunkelheit. Jayden fuhr allein weiter, die Stille fühlte sich nun schwerer an, fast erdrückend. Der Wind raschelte in den Blättern der Bäume, die den Straßenrand säumten, und jeder Schatten schien eine unheimliche Form anzunehmen. Er trat fester in die Pedale.

Zuhause angekommen, warf er sein BMX-Rad achtlos in den Schuppen und eilte ins Haus. Seine Mutter war in der Küche und bereitete das Abendessen vor, der Duft von gebratenem Hähnchen erfüllte die Luft. Amanda, seine ältere Schwester, saß am Küchentisch und machte Hausaufgaben, ihre Miene wie üblich leicht genervt.

"Na, wie war die Schule, Schatz?", fragte seine Mutter, ohne sich umzudrehen.

"Ganz okay", murmelte Jayden und versuchte, unauffällig in sein Zimmer zu verschwinden.

"Setz dich, das Essen ist gleich fertig", rief sie ihm nach.

Aber Jayden hörte schon nicht mehr. Er schloss die Tür seines Zimmers hinter sich und ließ sich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch fallen. Der Zeichenblock lag bereit. Mit zitternden Händen nahm er den Kohlestift zur Hand.

Er schloss die Augen und versuchte, sich das Bild der Vision wieder ins Gedächtnis zu rufen. Das glühende, einzelne Auge. Die pulsierenden Adern. Die ledrige, albtraumhafte Haut, die es zu umgeben schien, obwohl er in der Vision keinen vollständigen Körper gesehen hatte. Nur dieses monströse, hasserfüllte Auge.

Sein Stift begann sich über das Papier zu bewegen. Zuerst zögerlich, dann immer schneller, immer sicherer, als würde eine fremde Kraft seine Hand führen. Linien entstanden, dunkel und scharf. Schatten krochen über das weiße Blatt, formten sich zu etwas Unheilvollem. Er zeichnete nicht, er exorierte das Bild aus seinem Kopf auf das Papier.

Die Details entstanden wie von selbst: die unnatürliche, fast reptilienartige Pupille, die in einem kranken Gelbrot zu glühen schien. Die feinen Äderchen, die sich wie ein krankes Netz darüber spannten. Die Textur der Haut, die das Auge umgab – schuppig, vernarbt, irgendwie feucht und doch trocken zugleich. Er zeichnete Tentakel-ähnliche Fortsätze, die sich vom Rand des Auges zu winden schienen, deren genaue Form jedoch im Dunkel seiner Vorstellung verborgen blieb. Er konnte den Geruch fast wahrnehmen, den er in seiner Vision verspürt zu haben glaubte – eine Mischung aus Verwesung und kaltem Metall.

Als er innehielt und das fertige Bild betrachtete, lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken. Es war abscheulich. Es war furchteinflößend. Und es war exakt das, was er gesehen hatte. Das Auge auf dem Papier schien ihn anzustarren, voller bösartiger Intelligenz. Ein Auge, das nicht jagte – es hasste.

Ein Klopfen an der Tür ließ ihn zusammenfahren. "Jayden? Essen ist fertig!" Es war Amandas Stimme.

Er schob den Block hastig unter ein paar Schulbücher. "Komm gleich!"

Beim Abendessen war er still und in sich gekehrt. Die Bilder aus seinen Visionen und die Zeichnung des Auges ließen ihn nicht los. Er spürte immer noch dieses unterschwellige Knistern, eine Art Echo der Ereignisse des Tages.

"Was ist los mit dir?", fragte Amanda und musterte ihn argwöhnisch. "Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen."

"Hab nur Kopfschmerzen", murmelte er.

Nach dem Essen half er beim Abwasch, dann zog er sich wieder in sein Zimmer zurück. Er konnte nicht widerstehen und zog den Zeichenblock wieder hervor. Das Auge starrte ihn an, eine stille Drohung. Er wollte es weglegen, es zerreißen, aber er konnte nicht. Es war, als hätte ein Teil von ihm dieses Bild erschaffen müssen, um es zu verstehen, um es zu bannen.

Er dachte an Elaine. An ihre blasse Haut, ihre dunklen Augen, die Art, wie sie die elektrischen Störungen zu spüren schien, die ihn ebenfalls heimsuchten. War sie wie er? Spürte sie auch dieses… Ding, was auch immer es war, das sich in den Schatten von Falcon Lake verbarg?

Er nahm einen frischen Bogen Papier und begann, Elaine zu zeichnen, so wie er sie in der Arcade gesehen hatte, vor dem alten Flipperautomaten, mit diesem flüchtigen Lächeln auf den Lippen. Es war ein Versuch, das hässliche Bild des Auges mit etwas anderem zu überlagern, etwas weniger Bedrohlichem.

Spät in dieser Nacht, als das Haus still war und nur das leise Ticken der Uhr im Flur zu hören war, lag Jayden wach in seinem Bett. Der Mond warf fahle Schatten durch sein Fenster. Er hatte den Zeichenblock mit dem monströsen Auge auf seinem Nachttisch liegen lassen, mit dem Bild nach unten. Trotzdem fühlte es sich an, als würde es ihn immer noch beobachten.

Er dachte an Halloween, das in ein paar Wochen vor der Tür stand. Normalerweise freute er sich darauf – die Kostüme, die Süßigkeiten, der Gruselspaß mit Tyler und Logan. Aber dieses Jahr fühlte es sich anders an. Das Unheimliche war nicht mehr nur ein Spiel. Es war real geworden.

Ein plötzliches Geräusch ließ ihn aufschrecken. Ein leises Kratzen, das von draußen zu kommen schien, von der Veranda. Er hielt den Atem an, lauschte. War es nur ein Tier? Ein Ast, der gegen die Hauswand schlug?

Das Kratzen kam wieder, diesmal lauter, insistierender.

Jayden schob langsam die Decke zurück. Sein Herz hämmerte. Er schlich zum Fenster und spähte vorsichtig durch einen Spalt im Vorhang.

Die Straße lag im Dunkeln, nur von dem spärlichen Licht der wenigen Laternen erhellt. Der Nebel kroch vom Blackwood Forest herüber, legte sich wie ein Leichentuch über die schlafende Stadt. Er konnte nichts Ungewöhnliches sehen.

Doch dann hörte er es wieder. Und diesmal war es näher. Es kam von direkt unter seinem Fenster.

Ein leises, kehliges Knurren.

Jayden erstarrte. Das war kein Tier, das er kannte. Es klang… falsch. Unnatürlich.

Er wagte nicht, sich zu bewegen, wagte kaum zu atmen. Das Knurren verklang, aber er spürte eine eisige Kälte, die nichts mit der Nachttemperatur zu tun hatte. Eine Präsenz. Dunkel und bösartig.

Er dachte an das Auge. An den Geruch von Verwesung und Metall.

Langsam, ganz langsam, zog er sich vom Fenster zurück und kroch wieder unter seine Decke, zog sie bis unters Kinn. Er schloss die Augen fest, aber die Bilder waren da, unauslöschlich.

Falcon Lake war erwacht. Oder besser gesagt, etwas in Falcon Lake war erwacht.

Und Halloween, so schien es, kam dieses Jahr tatsächlich sehr viel früher. Es hatte bereits begonnen. Mit einem Knistern in der Luft, einer Vision von einem monströsen Auge und einem unheilvollen Kratzen in der Dunkelheit.

Jayden wusste, dass dieser Tag nur der Anfang war. Der Anfang von etwas Schrecklichem. Und er hatte die furchtbare Ahnung, dass er und seine Freunde mittendrin steckten.

 

Episode 2 Zerfleischt im Nebel

Der Schlaf war für Jayden in dieser Nacht kein Zufluchtsort, sondern ein weiteres Labyrinth aus Schatten und unheilvollen Echos. Das Kratzen unter seinem Fenster war verstummt, doch die Stille, die darauf folgte, war schwer und lauernd, als würde die Dunkelheit selbst den Atem anhalten. Er wälzte sich hin und her, das Laken klebte ihm feucht am Rücken, und das Bild des gezeichneten Auges brannte sich immer wieder hinter seine Lider, pulsierte dort in widerwärtigen Farben. Als er schließlich in einen unruhigen, fiebrigen Schlummer glitt, fand er sich nicht in vertrauten Traumlandschaften wieder, sondern in einem Strudel aus kaltem, klammem Nebel und einer Angst, die so dicht war, dass sie ihm die Kehle zuschnürte.

Er träumte von dem Auge. Es war riesig, eine monströse, ölige Kugel, die in einer undurchdringlichen, pulsierenden Dunkelheit schwebte und ihn anstarrte. Es war nicht nur ein Sehen, es war ein Durchdringen, ein kaltes, analytisches Abtasten seiner tiefsten Ängste, seiner verborgensten Schwächen. Die pulsierenden Adern um das Auge herum zuckten im Rhythmus eines unsichtbaren, gigantischen Herzens, und ein leises, metallisches Klicken, wie von einer riesigen Insektenklaue, die auf Stein tippt, begleitete jeden seiner Lidschläge – falls ein solches Wesen überhaupt Lider besaß. Der Geruch von Verwesung, feuchter Erde und scharfem, stechendem Ozon hing schwer in der Traumluft, kroch ihm in die Nase und verursachte einen Brechreiz. Jayden wollte schreien, weglaufen, sich die Augen zuhalten, aber seine Glieder waren wie Blei, schwer und unbeweglich, seine Stimme ein stummer Schrei in seiner Kehle, gefangen wie ein Vogel in einem Käfig aus Furcht. Das Auge kam näher, unaufhaltsam, füllte sein gesamtes Sichtfeld, und er spürte einen unerträglichen Druck in seinem Kopf, als wollte es ihn absorbieren, ihn zermalmen, ihn verschlingen und in seine eigene albtraumhafte Realität ziehen.

Er erwachte mit einem gellenden Schrei, der in seinem Zimmer erstarb, erstickt von den Kissen, in die er sein Gesicht gepresst hatte. Schweißgebadet saß er im Bett, sein Herz raste wie ein gefangener Vogel gegen seine Rippen. Das erste fahle, graue Morgenlicht, das typische Licht von Falcon Lake, schob sich durch die dünnen Vorhänge und malte gespenstische, tanzende Schatten an die Wände seines kleinen Zimmers. Die Zeichnung des Auges lag immer noch auf seinem Nachttisch, das Papier schien im Dämmerlicht fast zu atmen, die dunklen Linien darauf wirkten noch schwärzer, noch bedrohlicher. Er starrte es an, eine Mischung aus Faszination, Abscheu und tiefem, nagendem Entsetzen in seinem Blick. Es war mehr als nur eine Zeichnung. Es war ein Fenster zu etwas Unaussprechlichem. Eine Warnung, die er nicht ignorieren konnte, so sehr er es auch wollte. Er hatte das Gefühl, wenn er es lange genug anstarrte, würde es zurückstarren, würde blinzeln.

Das Frühstück an diesem Morgen war eine stille, angespannte Angelegenheit. Der Geruch von Kaffee und Toast konnte die unterschwellige Furcht, die in Jayden wohnte, nicht vertreiben. Jaydens Mutter, eine Frau, deren Lächeln in letzter Zeit immer seltener wurde, bemerkte seine blasse Haut und die dunklen Ringe unter seinen Augen sofort. "Schlecht geschlafen, Schatz?", fragte sie besorgt und legte ihm eine Hand auf die Stirn, ihre Finger kühl auf seiner erhitzten Haut. "Du glühst nicht, aber du siehst furchtbar aus. Hattest du wieder einen deiner Alpträume?" Jayden zuckte nur mit den Schultern und stocherte lustlos in seinen Cornflakes herum. Wie sollte er erklären, was ihn quälte? Dass er von monströsen Augen träumte, die seine Seele zu sezieren schienen? Dass er eine unsichtbare Bedrohung in der Luft spürte, ein Knistern, das nur er und vielleicht noch dieses seltsame neue Mädchen wahrzunehmen schienen? Er fühlte sich schon genug wie ein Außenseiter in dieser Stadt, in seiner eigenen Familie manchmal. Seine Sensibilität, seine künstlerische Ader, die ihn früher ausgezeichnet hatten, fühlten sich nun wie eine Bürde an, eine offene Wunde für die Schrecken, die Falcon Lake verbarg. Amanda, seine Schwester, die ihm gegenübersaß, warf ihm einen kurzen, prüfenden Blick über den Rand ihrer Müslischale zu.

---ENDE DER LESEPROBE---