Stern des Westens - Barbara Cartland - E-Book

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Barbara Cartland

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Beschreibung

Elita Garson, einzige Tochter des sehr vermögenden Industriellen Granite Garson, fühlt sich wie in einem goldenen Käfig, da ihr Vater alles über ihr Leben und ihre Freunde bestimmt. Als ihr Vater sie mit Alan Doughty verheiraten will, in dem Elita die gleiche von Geld und Macht getriebene Person sieht wie in ihrem Vater, beschließt sie wegzulaufen und ihrem Vater zu beweisen, dass sie ihren eigenen Unterhalt bestreiten kann. Elita trifft beim Verlassen des Hotels auf Hans, einen vermeintlichen Angestellten des Hotels, der ihr hilft eine Anstellung als Stewardess zu bekommen. Elita ist sehr von Hans beeindruckt, fürchtet aber, ihn nie wieder zu sehen, da er ihr keine Kontaktadresse gegeben hatte. Dieser Flug erweist sich als eine große Wende in Ihrem Leben - ihr wird eine neue Anstellung angeboten und sie findet sich in ein Abenteuer in Kopenhagen verstrickt. Wird Elita die Herausforderungen eines unabhängigen Lebens bestehen und wird sie Hans, der sie in ihren Träumen verfolgt, wieder sehen?

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Seitenzahl: 331

Veröffentlichungsjahr: 2025

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1

»Geld! Geld! Geld! Du denkst an nichts anderes als an Geld!«

Elita schleuderte ihrem Vater diese Worte entgegen, stand gleichzeitig vom Tisch auf und ging wütend zum Fenster hinüber, in der Bewegung gab ihr Nylon-Negligé eine genaue Vorstellung von ihrer Figur.

Ihr Vater lachte. Es war kein angenehmes Lachen, aber eines, das seinen Gegnern in der Finanzwelt wohlbekannt war.

»Ich glaube diese Bemerkung schon einmal gehört zu haben«, meinte er sarkastisch. Seine scharfen Augen beobachteten seine Tochter, die auf die Dächer Londons hinausblickte, ohne etwas wahrzunehmen.

»Ja, du hast es schon gehört«, stimmte sie zu. »Und du wirst es wieder hören. Dein ganzes Leben wird von Geld beherrscht und begrenzt. Es ist alles, was dich interessiert. Die Herzen der Menschen - oder, ihre Gefühle - sind dir gleich. Dich interessiert nur, was du anfassen und handeln kannst; was Menschen für dich tun können; was sie dir einbringen. Geld! Für dich besitzen Menschen keine Nationalität, sondern nur einen Preis - zu dem sie gekauft werden können!«

Elitas Worte überschlugen sich. Sie sprach heftig und mit einer Leidenschaft, die ihre Augen aufblitzen ließ, ihr ganzes Gesicht belebte und ihr eine aparte Schönheit verlieh.

Ihr Vater betrachtete sie wohlwollend, ehe er mit einem plötzlichen zornigen Achselzucken erklärte:

»Das sind doch nur Worte. Sie klingen gewichtig und mutig; aber was weißt du schon von Geld - außer, wie man es ausgibt?«

»Ich bin das, was du aus mir gemacht hast«, gab Elita zurück. »So ist es seit meiner Kindheit gewesen: ‚Du kannst nicht mit der kleinen Jean spielen, die am anderen Ende der Straße wohnt. Ihre Eltern haben keinen Pfennig Geld! Du kannst nicht mit den Jungen ausgehen, die dich zum Tanzen eingeladen haben, sie haben kein Geld. Schlimmer noch - sie sind hinter deinem her.‘«

Sie stampfte mit dem kleinen Fuß auf. »Dein Geld hat mich ausgeschlossen. ‚Das reiche Garson-Mädchen!‘ Die Leute sprechen mit mir in einem anderen Ton, nur weil ich deine Tochter bin. Sogar in der Schule hat man mich bevorzugt behandelt, weil du darum gebeten hattest. ‚Wir können es uns nicht leisten, Mr. Garson zu beleidigen‘ hörte ich eine der Lehrerinnen einmal sagen. ‚Sonst reißt er uns womöglich die Schule über dem Kopf ab.‘«

»Bislang habe ich noch nie ein Angebot für eine Schule eingereicht«, erklärte Granite Garson nachsichtig.

»Dann ist das wohl das Einzige, was du noch nicht zu übernehmen versucht hast«, gab Elita zurück. »Mein Leben lang ist es immer dasselbe gewesen. Die Leute waren nervös oder ängstlich mir gegenüber. Ich bin ausgeschlossen gewesen, nur weil du reich bist und nicht zulässt, dass die Leute das vergessen.«

»Und du hast es wohl nie genossen, mein Geld auszugeben?«

Elita wandte sich vom Fenster ab und kehrte zum Frühstückstisch zurück.

»Natürlich habe ich mich gefreut, dass ich schöne Kleider, prächtige Pelze und kostbaren Schmuck besaß«, gab sie zu. »Aber wohin hat mich das gebracht? Die Frage stellt man sich doch, wenn man Geld ausgibt, oder nicht? Was bekommt man dafür zurück? Ich stelle diese Frage jetzt. Hat dem Geld mir Freunde ein- gebracht? Nur die Freunde, die du für mich ausgesucht hast. Hat es mich glücklich gemacht? Nun, ich frage dich, bin ich glücklich?«

»Jetzt hör mir mal zu, Elita. Wenn es dich so aufregt, dann werde ich diese jungen Leute eben bitten zu bleiben. Ich wusste nicht, dass sie dir so viel bedeuten.«

»Tun sie auch nicht. Das ist es ja eben. Ich habe Dickie und Zara Manfield nur zweimal getroffen. Aber bloß, weil ich vorschlug, sie zu uns aufs Land einzuladen, was hast du gemacht? Du hast sie überprüfen lassen, hast deine Spione angesetzt, alles über sie herauszufinden. Sie stellen fest, dass Dickies Landbesitz verschuldet ist und dass Zara anstrebt, diesen Lord... wie hieß er noch? – zu heiraten. Na und? Warum all diese Mühe? Warum? Bloß, weil du Angst hast, sie könnten die Hand nach ein paar Pennies von meinem Vermögen ausstrecken. Parasiten hast du sie genannt!«

Granite Garson erhob sich nun ebenfalls und warf mit einem Knall seine Zeitung auf den Tisch.

»Wenn sie so wichtig für dich sind, dann kannst du sie ja haben«, bemerkte er gleichgültig. »Wenn es dir Spaß macht, gib ihnen doch alles, was du hast. Mir ist es wirklich egal.«

»Ist es eben nicht, das ist es ja gerade. Ich bin dir wichtig genug, dass du mich mit dieser lächerlichen Mauer aus Gold umgibst. Ich bin zwanzig, vergiss das nicht. Noch sechs Monate, und ich bin einundzwanzig, und ich glaube, ich habe nie auch nur einen Atemzug getan, ohne Geld zu riechen.«

Sie durchquerte das Zimmer und baute sich vor ihm auf.

»Ich habe keinen Freund, der nicht verdächtig wäre«, fuhr sie fort. »Ich habe keinerlei Bekannte, abgesehen von denen, die du für mich ausgesucht hast. Ich verlasse diesen goldenen Käfig auf dem Land nur, um mit deinen überreichen, überfütterten Freunden in anderen goldenen Käfigen zu hocken - ich sage dir, ich habe es satt - satt bis obenhin!«

Sie setzte sich und hieb mit den geballten Fäusten auf den Tisch.

»Dickie und Zara Manfield sind mir egal; sie bedeuten mir nicht das geringste. Aber ich verachte und verabscheue die Methoden, mit denen du alles über sie herausgefunden hast, mit denen du mein Hirn vergiftet hast, fast noch ehe ich sie richtig kannte, und jetzt ist es so weit, dass ich jedes Mal, wenn sie mich um eine Zigarette bitten, vermute, dass sie es in Wirklichkeit auf mein Bankkonto abgesehen haben.«

Mr. Garson warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

»Ich muss in die Stadt. Lade zu der Party ein, wen du willst. Aber wenn du das nächste Mal über mein Geld die Nase rümpfst, dann denk daran, dass du das Leben ohne Geld sehr ungemütlich finden wurdest und dass die Welt ganz und gar nicht der warme, gemütliche Ort ist, als der sie dir jetzt erscheint.«

»Warm und gemütlich!« stieß Elita aus. »Dass ich nicht lache! Umgeben von deinen Speichelleckern, bewacht, behütet und eingesperrt. Ich könnte ebenso gut in einem östlichen Harem leben.«

»Du solltest die Welt da draußen mal kennenlernen. Ich bezweifle, dass der Nordwestwind der Armut dir so gut gefallen würde.«

»Eine ausgezeichnete Idee. Genau das werde ich tun. Du glaubst wohl, weil du mich in Gold gebettet aufgezogen hast, konnte ich jetzt nicht ohne leben, und weil ich mir immer alles kaufen konnte, ohne über den Preis nachdenken zu müssen, konnte ich nicht mit wenig Geld auskommen. Nun, genau da irrst du dich.«

Mr. Garson warf einen Blick auf die Uhr über dem Kamin.

»Eines Tages wirst du mich davon überzeugen müssen, dass du recht hast«, tröstete er sie. »Bis dahin sei ein braves Mädchen, iss dein Frühstück und lade die Manfields - oder wie immer sie heißen - übers. Wochenende ein.«

Einen Moment lang konnte Elita nicht antworten. Sie stand nur da und schaute ihn mit riesengroßen, dunklen Augen in dem kleinen, spitzen Gesicht an.

Sie war nicht einmal einen Meter und sechzig groß, und in den Satinpantoffeln - anstelle der hochhackigen Schuhe, die sie normalerweise trug - sah sie eher aus wie ein Kind, wie ein trauriges, unzufriedenes Kind mit Schmollmund und einer Falte auf der weißen Stirn.

»Heb dir deine Argumente für heute Abend auf«, bemerkte Granite Garson lächelnd. »Aber vergiss nicht, dass draußen ein Bentley auf dich wartet, damit du zum Einkaufen fahren kannst, und dass unsere Zimmer hier im Hotel uns etwa dreißig Pfund am Tag kosten.«

Ehe sie Zeit hatte zu antworten, verließ Granite das Zimmer. Elita hörte die leise Stimme des Dieners, als er Mr. Garson seinen Bowler und den zusammengerollten Schirm reichte. Sie hörte, wie die äußere Tür des Apartments geschlossen wurde und wusste, dass ihr Vater gegangen war.

Sie sank auf eines der weichen Satinsofas nieder. Sie fühlte sich plötzlich erschöpft von ihrer eigenen Wut, ihrem Abscheu; und mit einem Gefühl der Hilflosigkeit erkannte sie, dass das, was sie gesagt hatte, das, was sie fühlte, auf ihren Vater vollkommen ohne Wirkung geblieben war.

Sie konnte toben und ihn anschreien, aber er schob es einfach als vollkommen belanglos beiseite. Sie war seine Tochter; sie würde tun, was er wollte, und das war’s.

Zugegeben, er hatte eingelenkt und erlaubt, dass die Manfields nach allem, was er über sie gesagt hatte, dennoch kommen und das Wochenende mit ihnen verbringen durften. Aber sie wusste jetzt, dass sie sie nie wieder sehen wollte.

So nett sie auch waren, so angenehm sie auch sein konnten, sie wurde ihnen immer misstrauen aufgrund dessen, was ihr Vater über sie herausgefunden hatte.

Beim Gedanken an das Spionagesystem ihres Vaters - sie hatte ihm schon oft gesagt, dass es nichts anderes war! - erhob sie sich vom Sofa und ging unruhig im Zimmer auf und ab. Sie hasste es! Hasste es! Manchmal hasste sie sogar ihn.

Früher war er anders gewesen. Sie erinnerte sich noch daran. Auch damals war er ehrgeizig gewesen, rücksichtslos sogar, wenn es ums Geschäft ging, aber er hatte noch eine sanfte Seite gehabt. Damals hatte ihre Mutter noch gelebt, und abends war er zu jemandem heimgekehrt, der ihn um seiner selbst willen liebte und nicht im Geringsten an seinem Geld interessiert gewesen war.

»Nicht noch mehr Millionen, John!« hatte sie ihre Mutter einmal in fast verzweifeltem Ton sagen hören. »Was sollen wir denn damit? Das können wir in tausend Jahren doch nicht ausgeben. Wir können doch nur viermal am Tag essen; und wir können nur in einem Bett schlafen.«

Ihr Vater hatte gelacht, und ohne sich um Elita zu kümmern, die die beiden mit aufgerissenen Augen beobachtete, hatte er ihre Mutter in die Arme genommen und zärtlich geküsst.

»Warum bist du nicht wie andere Frauen?« hatte er gefragt. »Warum willst du keine Smaragde, Rubine und Diamanten, die um deinen Hals hangen? Warum willst du nicht ein Dutzend Autos in der Garage und Rennpferde, die in Ascot deine Farben tragen?«

»Sei nicht albern, John«, hatte seine Frau erwidert, sich aus seiner Umarmung gelöst und angefangen, Elitas verstreutes Spielzeug aufzusammeln. »Du weißt, dass ich hier mit dir glücklich bin. Ich will nicht nach Ascot, und ich kann keine Unmenge von Schmuck tragen, wenn ich durch den Garten gehe. Du solltest dein Geld lieber einer Kirche stiften oder so.«

Damals hatte er angefangen, einen - wie Elita es jetzt nannte - goldenen Zaun um seine Familie zu errichten. Er ging in die Welt hinaus, aber sein Heim blieb eine Oase des Friedens und der Ruhe, in der Geld keine Rolle spielte, in der es nur Liebe und Glück gab, weil sie eine Familie waren.

Dann starb Elitas Mutter. Sie wusste noch, als wäre es erst gestern gewesen, wie sie geweint und geschluchzt hatte, und wie niemand in der Lage gewesen war, sie zu trösten.

»Du musst jetzt an deinen Vater denken«, hatten ihre Kindermädchen erklärt. »Versuche, ihn zu trösten, Kind.«

Trotz ihres eigenen Kummers hatte Elita das gewollt, aber so sehr sie sich auch bemühte, sie kam nicht an ihren Vater heran. Er hatte sich vor ihr verschlossen, wie vor allen anderen auch. Er konnte nicht über seinen Kummer sprechen; wollte ihn nicht zugeben.

Allmählich, so allmählich, dass sie es anfangs gar nicht bemerkte, wurde er zu dem harten, rücksichtslosen Mann, den sie ‚Granit‘ Garson nannten. Er maß alles und jeden nach einem Maß. Ihn interessierte nur das Finanzimperium, das er um sich selbst errichtet hatte.

Elita, die mit ihrer Ausbildung beschäftigt war, begriff erst, als sie siebzehn war, wie sehr seine Haltung auch ihr Leben beeinflusste. Bei einer Einladung hörte sie jemanden beiläufig zu ihrem Vater sagen:

»Wie hübsch Elita geworden ist. Sie wird bald heiraten, John. Die Männer werden sie umschwärmen wie die Motten das Licht.«

Elita hatte gesehen, wie sich das Gesicht des Vaters verdüsterte. »Meine Tochter wird keinen Mitgiftjäger zur Kirche schleppen« hatte er erklärt.

Die Frau, mit der er sich unterhielt, lächelte.

»Nicht alle jungen Männer sind Mitgiftjäger; und wenn Elita einen Mann finden muss, der so reich ist wie sie selbst, dann wird das die Anzahl ihrer Tanzpartner beträchtlich einschränken.«

»Das kannst du getrost mir überlassen«, hatte Granite Garson grimmig erklärt.

In dem Jahr, als Elita offiziell debütierte, hatte sie erfahren, was er gemeint hatte. Jeder, den sie kennenlernte, wurde überprüft und untersucht, und in neun von zehn Fallen aus ihrem Blickfeld entfernt, und wenn Elita sie später bei einer Party oder bei anderer Gelegenheit wiedertraf, machten sie keinen weiteren Versuch, sie auch nur anzusprechen.

Sie brauchte ein paar Monate, bis sie begriff, dass sich ihre Bekannten auf die Söhne und Töchter der Freunde ihres Vaters und ein paar Mädchen beschrankte, mit denen sie zur Schule gegangen war und deren Eltern, wenn auch nicht, mit Granite Garson befreundet, so doch zumindest in der Lage waren, sich als sehr reich zu bezeichnen.

»Geld! Geld! Geld!«

Auch jetzt, als sie im Zimmer herumlief wie ein eingesperrtes Raubtier, murmelte Elita dieses Wort immer wieder vor sich hin.

Ein Kellner öffnete die Tür.

»Darf ich abräumen, Miss?«

»Ja, bitte.«

Sie sah ihm zu, als er den Tisch hinausrollte. Sie hatte nichts gegessen, hatte nur an ihrem Kaffee genippt. Denn als sie sich zu Tisch gesetzt hatte, um zu frühstücken - ihr Vater hatte bereits angefangen - hatte er ihr erzählt, was er über die Manfields herausgefunden hatte.

Es war ihr nicht sonderlich wichtig, ob die beiden übers Wochenende eingeladen wurden oder nicht. Sie mochte Dickie Manfield, er war lustig und amüsant und ein sehr guter Tänzer. Und auch Zara hatte ihr gefallen, denn sie war hübsch und wirkte immer so fröhlich und sorglos.

Jetzt ging sie zum Schreibtisch hinüber. Bislang hatten sie für dieses Wochenende drei Gäste: Reggie Pound - sein Vater gehörte dem Vorstand in einem Dutzend Gesellschaften an, an denen ihr eigener Vater beteiligt oder interessiert war; Sybil Crossley - ihr Vater war Millionär, und sie und Elita waren von Kindheit an in eine gewollte Freundschaft gedrängt worden.

Elita mochte Sybil nicht, hatte sie nie gemocht, und sie war ziemlich sicher, dass Sybil sie auch nicht mochte.

Der dritte Gast war Alan Doughty. Elitas Gesicht veränderte sich, als sie seinen Namen las. Sie wusste sehr wohl, warum er eingeladen worden war, und sie wusste auch, dass die bloße Tatsache seiner Gegenwart für sie schon gefährlich war.

Ihr Vater hatte es sich in den Kopf gesetzt, dass sie Alan heiraten sollte. Er war der junge Mann, den Granite vor mehr als einem Jahr für sie ausgewählt hatte. Alan war genauso, wie sich Granite Garson einen Schwiegersohn vorstellte.

Er war immens reich, außerordentlich arbeitsam, schrecklich ehrgeizig und wurde es wahrscheinlich nicht nur im Stadtrat, sondern in der Welt der großen Politik noch zu etwas bringen. Doch sonst war er entsetzlich langweilig.

Anfangs hatte Elita Alan für einen Witz gehalten; aber jetzt hatte sie Angst sowohl vor ihm als auch vor ihrem Vater. Sie fühlte sich in die Enge getrieben. Wohin auch immer sie ging, was immer sie auch tat, Alan war ebenfalls dort.

»Ach, übrigens, ich habe Alan auch eingeladen«, wurde ihr Vater beiläufig bemerken, wenn sie einen gemeinsamen Theaterbesuch geplant hatte.

»Tut mir leid, ich habe keine Karte mehr übrig.«

»Oh, dafür habe ich gesorgt, ehe ich ihn eingeladen habe«, würde ihr Vater dann erklären, und langsam fing sie an zu vermuten, dass er seiner Sekretärin aufgetragen hatte, wann immer Theaterkarten gekauft wurden, eine zusätzlich zu besorgen, damit Alan auch immer mitkommen konnte.

Alan führte sie aus, wann immer sie in London waren. Er verbrachte fast jedes Wochenende bei ihnen. Erst gestern hatte Alan mit ihnen bei Claridge diniert, wo sie wohnten, und anschließend waren sie alle ins Theater gegangen und hatten den Abend mit einem Essen im Savoy beschlossen.

Als sie im Ballsaal tanzten, hatte Elita plötzlich erkannt, dass sie sich langweilte - mit Alan, beim Tanz mit ihm, bei der Vorstellung allein, dass noch mindestens eine Stunde verstreichen musste, ehe sie heimgehen und ihn damit loswerden konnte. »Er ist nicht übel«, dachte sie, »bloß einfach langweilig.«

»Du siehst heute Abend sehr hübsch aus.«

Sie konnte seine Stimme hören, glatt und ernst. Seine Finger, die ihre Hand hielten, drückten etwas fester zu.

»Danke für das Kompliment.«

»Es war nicht als Kompliment gemeint. Ich habe nur die Wahrheit gesagt.«

»Dann fühle ich mich geschmeichelt, dass du so denkst.«

»Ich komme euch am Wochenende besuchen«, fuhr Alan fort. »Dein Vater hat mich eingeladen. Lade nicht zu viele Leute ein, ich möchte dich etwas fragen.«

Die verlegene Art, in der er sprach, hatte ihr gezeigt, was er meinte. Von plötzlicher Panik erfasst, hatte sie sich umgedreht und ihn einfach auf der Tanzfläche stehen gelassen, um zu ihrem Tisch zurückzukehren.

Fieberhaft überlegte sie, wen alles sie zum Wochenende einladen konnte, und entsetzt erkannte sie, wie wenig Leute sie kannte - Leute, die einzuladen sie von ihrem Vater die Erlaubnis erhalten hatte.

Es war lächerlich, absurd, und doch musste sie sich der Tatsache stellen, dass sie nur sehr wenige junge Leute kannte. Es gab massenhaft Freunde ihres Vaters, Geschäftsverbindungen, aber sie bedeuteten keinen Schutz gegen die Frage, die Alan ihr stellen würde.

»Was ist Alan doch für ein charmanter Junge«, hatte ihr Vater erklärt, als sie in der Kutsche, die auf sie gewartet hatte, ins Claridge zurückfuhren.

Elita hatte nicht geantwortet, und nach einer Weile fuhr er fort:

»Klug ist er auch. Er wird es weit bringen. Mehr noch, er ist vernünftig und ausdauernd, nicht wie die meisten anderen jungen Kerle, die sich scheinbar überhaupt keine Gedanken um die Zukunft machen.«

Diese Vorschusslorbeeren für Alan! dachte Elita fast hysterisch und hatte gern gefragt, ob er das tatsächlich ernst meinte, biss sich aber auf die Lippen. Einen Witz dieser Art wurde ihr Vater überhaupt nicht komisch finden.

»Ich freue mich, dass er das Wochenende mit uns verbringt«, fuhr Mr. Garson fort. »Lass uns keine zu große Gesellschaft geben. Es ist netter, wenn wir ganz unter uns sind.«

Dann gehörte Alan also schon zur Familie! Elita hatte lange wach gelegen, nachdem sie ins Hotel zurückgekehrt waren, hatte überlegt, wie sie es verhindern konnte, auch nur für einen Moment mit Alan allein zu sein.

Zum Frühstück war sie in gereizter Stimmung erschienen, in der Hand eine Liste der Leute, die sie einzuladen beabsichtigte. Und dann hatte ihr Vater ihr erzählt, was er über die Manfields herausgefunden hatte.

»Geld! Geld! Geld!«

Sie sprach die Worte laut aus, und als sie sich umwandte, sah sie Jenkins, den Kammerdiener ihres Vaters, der in der Tür stand und sie überrascht ansah.

»Verzeihen Sie, Miss, aber haben Sie vergessen, dass Sie um zehn Uhr mit dem Friseur verabredet waren?«

»Ehrlich gesagt, ja«, gab Elita zu, warf einen Blick auf die Uhr. Es war fünf Minuten vor zehn, und sie war noch nicht einmal angezogen. »Rufen Sie an und sagen Sie, dass ich später komme, ja, Jenkins?«

»Sehr wohl, Miss.«

Er wollte gehen, wurde aber von Elita an der Tür zurückgehalten.

»Jenkins, was wurden Sie tun, wenn Sie das Gefühl hatten, Sie hatten zu viel Geld?« wollte sie wissen.

Jenkins sah nicht überrascht aus. Er war seit fast zehn Jahren bei Mr. Garson und hatte Elita aufwachsen sehen.

»Diese Frage kann ich nicht beantworten, Miss Elita. Ich war immer viel zu sehr damit beschäftigt, meinen Lebensunterhalt zu verdienen, als dass ich mir Gedanken über Geld hätte machen können.«

Jetzt war es Elita, die überrascht aussah.

»Aber, Jenkins, wenn Sie Ihren Lebensunterhalt verdienten, haben Sie sich doch gewiss auch Gedanken über Geld gemacht? Dafür haben Sie doch gearbeitet, für Geld.«

»Aber nein, überhaupt nicht, Miss. So sehe ich das nicht. Ein Mann muss arbeiten und Lohn erhalten, um für sich sorgen zu können. Aber es gehört noch mehr dazu. Ich würde mich nicht dazu herablassen, eine Arbeit anzunehmen, die mich nicht interessiert, nur weil sie gut bezahlt ist.«

»Das würden Sie nicht?«

»Nein, wirklich nicht, Miss. Ehrlich gesagt, man hat mir hin und wieder Stellen angeboten, bei denen ich mehr bekommen hätte als bei Mr. Garson. Aber ich mag diese Arbeit hier. Das habe ich gelernt. Ich bin sozusagen dazu herangezogen worden, denn mein Vater war Butler und meine Mutter Zofe. Ich wollte immer Kammerdiener werden, und das bin ich nun und, wie ich glaube, für den Rest meines Lebens.«

»Und das gefällt Ihnen?« Elita klang fast ungläubig.

»Sehr gut, Miss. Ich finde, Mr. Garson ist ein sehr anregender Arbeitgeber. Er lässt einen nicht zur Ruhe kommen.«

»Aber Sie könnten mehr verdienen, wenn Sie etwas anderes tun würden?«

»Sehr leicht sogar, Miss. Heutzutage gibt es alle möglichen Beschäftigungen. Man muss nicht einmal viel Erfahrung haben. Sie sind gut bezahlt, aber ein Mensch braucht mehr im Leben als Geld, sage ich immer.«

»Das habe ich auch immer gesagt«, stimmte Elita ihm zu.

Sie wollte gerade etwas anderes sagen, als das Telefon klingelte. Jenkins durchquerte das Zimmer und nahm den Hörer.

»Mr. Garsons Apartment!« sagte er. »O ja, Miss, ich werde es ihr ausrichten.« Er wandte sich Elita zu. »Die Sekretärin aus dem Büro. Mr. Garson wünscht Sie zu sprechen, Miss.«

Sie presste den kalten Hörer an ihr Ohr. Konnte es möglich sein, dass ihr Vater sich entschuldigen wollte? Warum sollte er sie sonst anrufen, kaum dass er sie verlassen hatte?

»Hallo! Bist das du, Elita?«

»Ja, Vater.«

»Hör zu, Alan hat mich gerade angerufen. Er möchte, dass wir heute Abend im Ritz mit ihm essen.«

»Warum?«

Elita wurde sofort wieder aggressiv. Ihr Vater zögerte.

»Ach, ich denke, er mochte uns einfach nur sehen. Nur wir drei hat er gesagt. Eine andere Verabredung haben wir doch nicht, oder?«

»Nein. Aber ich glaube nicht, dass wir allein mit Alan speisen sollten. Es wird recht langweilig sein, meinst du nicht?«

»Langweilig!«

Sie hörte die Überraschung in der Stimme ihres Vaters und begriff ganz plötzlich, was geschah. Alan hatte Angst vor dem Wochenende; dort würden zu viele Menschen sein, als dass er sagen konnte, was er sagen wollte.

Wenn sie im Ritz waren, würde ihr Vater ans Telefon gerufen werden - das war schon zu oft so geschehen. Er würde ewig fortbleiben; er kam vielleicht überhaupt nicht zurück. Sie wurde mit Alan allein sein, den sie in den vergangenen Wochen fast instinktiv gemieden hatte.

»Ich kann nicht, Vater«, antwortete sie hastig. »Ich habe... schon etwas anderes geplant.«

»Dann sag das ab. Ich will hingehen. Alles andere ist nicht so wichtig.«

»Ich will aber nicht mit Alan dinieren«, erklärte Elita entschieden.

»Jetzt sei nicht albern, Elita.« Sie konnte hören, wie die Stimme ein wenig schärfer wurde vor Zorn. »Wenn du immer noch schmollst wegen dieser Leute, die du zum Wochenende einladen wolltest, dann lade sie ein. Lade ein, wen immer du willst, aber mach keine Schwierigkeiten, wenn.es um Alan geht. Er ist ein anständiger Junge, und ich mag ihn.«

»Warum magst du ihn so sehr?« erkundigte sich Elita. »Weil du seine Konversation so anregend findest? Oder weil er so reich ist?«

»Elita, was ist nur mit dir los? Hör um Himmels willen endlich auf, auf dem Geld herumzuhacken. Wir hatten das Thema beim Frühstück, und wie es scheint, sollen wir es auch zum Abendessen serviert bekommen. Du kannst leicht so hochmütig reden. Aber wo wärest du denn ohne Geld, hm? Das möchte ich gern wissen! Du hast noch nie einen Pfennig selbst verdient, und du wirst es auch nie tun. Irgendjemand muss dich durchbringen. Wenn ich tot bin, brauchst du einen Mann, der sich das leisten kann.«

»Ich weiß, dass ich niemals selbst einen Pfennig verdient habe«, gab Elita zurück. »Aber das heißt nicht, dass ich dazu nicht in der Lage bin.«

»Red nicht solchen Unsinn«, sagte ihr Vater wütend. »Verdammt, ich kann nicht den ganzen Morgen damit vergeuden, mir diesen Quatsch anzuhören. Ich habe schon alles so arrangiert, dass wir beide heute Abend mit Alan dinieren. Ich habe dich nur angerufen für den Fall, dass du andere Plane hast.«

»Nun, das habe ich. Ich habe eine Menge besserer Dinge zu tun, und du wirst überrascht sein, wenn du siehst, was das ist.«

Knallend legte sie den Hörer auf die Gabel. Sie wusste, wie wütend es ihren Vater machen würde, dass sie das Gespräch abgebrochen hatte.

Wie konnte er es wagen zu sagen, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie einen Pfennig selbst verdient hatte? Wie konnte er es wagen, so herablassend und hochmütig zu sprechen, wo er doch wusste, dass sie verhätschelt und eingesperrt worden war, dass man es ihr nie erlaubt hatte, für sich selbst zu denken?

Es war keine Bitte, dass sie heute Abend mit Alan dinieren sollte - es war ein Befehl. Und bis zu diesem Tag hatte sie niemals den Versuch unternommen, einen solchen Befehl zu missachten.

Vom Wohnzimmer ging sie in ihr Schlafzimmer hinüber. Es war ein riesiger, prächtiger Raum, eigentlich dazu bestimmt, als Brautgemach zu dienen, und nicht, um von einer einsamen jungen Frau bewohnt zu werden. Elita sperrte die Tür hinter sich zu. Dann schaute sie sich fast verzweifelt um, als suche sie etwas, auf das sie sich konzentrieren könnte.

Ihr Blick fiel auf den Schreibtisch in der Ecke am Fenster. Sie ging hinüber, nahm eine Feder und zog ein Blatt blass graues Schreibpapier heraus. Sie zögerte nur einen kurzen Augenblick lang, ehe sie kritzelte:

»Ich werde Dir beweisen, dass ich Geld verdienen kann. Was ich verdiene, werde ich Dir schicken. Ich hoffe, Du wirst es klug verwenden.«

Sie faltete das Papier und steckte es in einen Umschlag, auf den sie den Namen ihres Vaters schrieb. Sie war noch immer zornig, aber es war eine beherrschte Wut, die es ihr erlaubte, sich bewusst, ohne Eile zu bewegen. Ihr Verstand arbeitete klar und sicher, und sie wusste genau, was sie tun musste.

Sie suchte ein Minimum von Dingen zusammen, von denen sie glaubte, dass sie sie benötigen würde - ein schlichtes, schwarzes Nachmittagskleid; ein Cocktailkleid, ebenfalls schwarz. Sie hatte das Gefühl, dass es das auch am Abend tun würde; ein paar Blusen und Strickjacken; Unterwäsche, die schlichteste und am wenigsten bestickte, die sie besaß; Schuhe; Handschuhe.

Als der Koffer voll war, ging sie ins Bad, badete und zog sich dann, ins Schlafzimmer zurückgekehrt, ein schlichtes, graues Kostüm an. Sie hatte es für die Reise gekauft, wenn es unmöglich war, ihre Kleider gebügelt zu bekommen. Es hatte viel Geld gekostet, sah aber einfach aus und würde keine Aufmerksamkeit erregen.

Dazu gehörte ein Mantel. Sie nahm ihn über den Arm, hob ihre Tasche hoch und öffnete sie. Darin befand sich eine mit Geldscheinen gefüllte Brieftasche. Ungeduldig zog sie die Banknoten heraus, behielt nur genau zehn Pfund.

Die übrigen Scheine und ein Scheckheft, das in einer Schublade ihrer Kommode lag, schob sie in einen Umschlag und legte ihn unter den Brief an ihren Vater.

In der Schublade befand sich auch ihr Pass. Sie zögerte kurz, nahm ihn dann aber an sich und packte ihn in den Koffer.

Dann warf sie einen Blick in den Spiegel. Auf dem Ankleidetisch lag eine dreireihige Perlenkette, die ihrer Mutter gehört hatte. Sie liebte sie, nicht, weil sie kostbar war, sondern weil ihre Mutter sie getragen hatte.

Doch dann schüttelte sie den Kopf. Das wurde Kapital bedeuten - Kapital, das sie nicht mitnehmen wollte.

Sie legte die Kette in die Schublade; dann schloss sie den Koffer, hob ihn auf und sperrte die Tür auf. Sie trat auf den Gang hinaus. Wenn sie durch die Suite gegangen wäre, hätte sie vielleicht Jenkins getroffen, und sie hatte keine Lust, irgendwelche Fragen zu beantworten.

Die Suite, die sie bewohnten, befand sich am Ende eines langen Ganges im ruhigsten Teil des Hotels. Hastig ging sie den Flur entlang. Als sie sich dem Fahrstuhl näherte, sah sie einen Mahn auf sich zukommen. Er trug keinen Hut, und ihr kam der vage Gedanke, dass er ein Angestellter des Hotels sein musste.

Sie wich zur Seite aus, damit er vorbeigehen konnte, und dabei öffnete sich ihr Koffer, der nur unzureichend geschlossen war. Sie war es schließlich nicht gewohnt, sich selbst mit derlei Dingen zu befassen.

Elita stieß einen verärgerten Schrei aus, als all ihre Kleider zu Boden fielen.

Ein Paar Schuhe rollte in eine Richtung, ihre Strümpfe glitten über das Parkett, und ein Nylonnachthemd hatte sich mit anderen Kleidungsstücken verhakt, so dass eine Schlange aus dünner, pastellfarbener Wäsche ihr zu folgen schien, obwohl sie nur wenige Schritte weitergegangen war, seit der Koffer aufgesprungen war.

Elita stellte den Koffer ab und kniete sich hm.

»Darf ich helfen«, sagte eine ruhige Stimme.

Als sie aufblickte, sah sie den Mann, der sich angeschickt hatte, an ihr vorbeizugehen. Er war jung und gutaussehend, mit hellem Haar. Dankbar nahm sie ihm ihre Strümpfe ab.

»Danke. Ich muss zu sehr in Eile gewesen sein, um den Koffer richtig zu schließen.«

»Ist doch immer dasselbe mit diesen neuen Koffern. Meiner ist kürzlich am Flughafen auf gegangen. Es goss in Strömen, und ich musste zwischen den Pfützen nach meinen weißen Hemden suchen!«

»Sie Ärmster!« rief Elita.

Er griff nach ihren Schuhen. Sie wickelte sie in Papier und legte sie oben in den Koffer.

»Ich fürchte, Ihre Kleider werden ziemlich zerknittert sein«, bemerkte er.

»Das macht nichts. Ich will nur fort von hier.« Sie überlegte nicht, ehe sie das sagte, und erkannte erst dann, dass es zu viel gewesen war.

»Von hier?« fragte er.

»Ja.« Aus einer Laune heraus fügte Elita hinzu: »Ich... ich habe gekündigt. Ich suche eine neue Stelle.«

»Hatten Sie Ärger?«

»Genau«, stimmte Elita dankbar zu. »Einen Streit, einen sehr schlimmen, und deshalb... deshalb habe ich gekündigt.«

»Und wahrscheinlich, ohne den Lohn der letzten Woche mitgenommen zu haben, was?« vermutete der Fremde.

Elita legte das letzte Stück in den Koffer zurück und schaute lächelnd zu ihm auf.

»Sie scheinen mich zu verstehen. Sie haben wohl irgendwann einmal genau dasselbe getan.«

»Ich hatte oft das Gefühl, ich müsste genau das tun. Aber ich war wohl nie so tapfer wie Sie. Was wollen Sie jetzt anfangen?«

»Eine andere Stelle suchen. Sie wissen wohl nicht zufällig eine?«

Es schoss ihr durch den Kopf, dass es peinlich wäre, wenn er etwas im Hotel vorschlagen wurde, aber stattdessen fragte er:

»Was für eine Stelle suchen Sie denn?«

»Ich wäre eigentlich gern Stewardess«, erwiderte Elita impulsiv. »Ich habe schon immer gedacht, ich konnte das recht gut. Ich spreche zwei Sprachen - das ist doch eine der Voraussetzungen, nicht wahr? Glauben Sie, ich sollte zum Flughafen fahren und bei B.O.A.C. fragen, ob man mich nimmt?«

»Soviel ich weiß, haben die eine lange Warteliste«, antwortete der Fremde.

»Oh!« Elita war sehr enttäuscht. »Dann ist es wohl Zeitverschwendung, dorthin zu fahren?«

»Man kann es immer versuchen.«

Er schien über etwas nachzudenken und betrachtete sie, wie es Elita schien, abschätzend. Dann sagte er:

»Sie haben gerade gesagt, Sie sprechen zwei Sprachen. Welche?«

»Deutsch und Französisch«, sagte Elita. »Ein bisschen Italienisch - genug, um einen Führer zu verstehen oder etwas zu essen zu bestellen - und ein ganz, ganz wenig Spanisch. Aber Deutsch, Englisch und Französisch spreche ich fließend.«

»Verstehe.« Er half ihr, ihren Koffer fest zu schließen, und dann standen beide auf.

»Vielen Dank, dass Sie mir geholfen haben. Ich glaube, ich werde es riskieren und zum Flughafen hinausfahren. Wenn B.O.A.C. mich nicht nimmt, gibt es immer noch die anderen Fluggesellschaften. Ich kann sie ebenso gut alle probieren.«

»Ich habe eine bessere Idee.«

»Und die wäre?«

»Ich glaube, ich kann Sie bei einer Fluglinie unterbringen«, antwortete der Fremde. »Keine der großen, nur eine private Chartergesellschaft. Aber wenigstens bekommen Sie da Erfahrung.«

»Das konnten Sie wirklich für mich tun? Aber Sie wissen doch überhaupt nichts von mir.«

»Und Sie wissen nichts von mir. Mein Name ist Hans Knudsen.«

»Dann sind Sie kein Engländer?« Sie war überrascht.

»Meine Mutter war Engländerin, aber mein Vater ist Däne.«

»Oh, Sie sind Däne. Deshalb...« Sie wollte schon sagen »Deshalb sehen Sie so gut aus«, aber riss sich dann doch zusammen. So etwas konnte sie nicht zu jemandem sagen, den sie gerade erst kennengelernt hatte. Stattdessen sagte sie also:

»...deshalb sprechen Sie so gut Englisch. Alle Dänen, die ich kennengelernt habe, sprechen perfekt Englisch.«

»Danke für das Kompliment. Und wie heißen Sie?«

»Elita Gar...« Sie brach plötzlich ab. Fast hätte sie sich verraten. Wer kannte schließlich nicht den Namen Garson? Sie hüstelte. »Ich muss wohl etwas in den Hals bekommen haben. Vielleicht eine Fluse von dem Teppich. Gardener ist mein Name, Elita Gardener.«

Hans Knudsen verbeugte sich, als hatte eine dritte Person sie soeben einander vorgestellt.

»Ich würde vorschlagen, dass wir uns darüber unterhalten. Wie wäre es, wenn wir über die Hintertreppe nach unten und durch die Seitentür hinausgingen? Ich halte es für einen Fehler, wenn wir das Hotel durch den Haupteingang verlassen. Gleich um die Ecke ist ein kleines Café. Dort können wir uns unterhalten, und ich erzähle Ihnen von diesem Job.«

»Das hört sich wunderbar an.«

Elita warf einen Blick über die Schulter. Sie hatte plötzlich Angst, Jenkins konnte aus der Suite auftauchen. Außerdem wollte eines der Mädchen ungefähr um diese Zeit kommen, um ihre Kleider zu bügeln.

»Beeilen wir uns«, schlug sie hastig vor.

Hans Knudsen führte sie einen schmalen Korridor entlang, den sie nicht einmal bemerkt hatte. Ein paar Sekunden später eilten sie über die Hintertreppe nach unten, und er trug ihren Koffer.

Einen Augenblick lang fragte sich Elita, was ihr Vater wohl sagen wurde, wenn er sie mit einem fremden Mann aus dem Hotel fliehen sah, einem Mann, den sie in einem Korridor aufgelesen hatte, einem Mann, von dem sie nichts wusste.

Lächelnd dachte sie dann daran, dass der Mann auch nichts von ihr wusste.

Sie holte tief und aufgeregt Luft. Das war Abenteuer! Das war das Leben ohne Geld!

2

Eine gelangweilte Kellnerin nahm Hans Knudsens Bestellung entgegen, und dann waren sie allein, lächelten sich über den kleinen Tisch hinweg schüchtern an.

»Werden Sie Ärger bekommen, weil Sie einfach so mit mir ausgegangen sind?« erkundigte sich Elita.

»Ärger?« wiederholte er fragend und zog die Brauen hoch.

»Ich... meine, wird man im Hotel merken, dass Sie fortgegangen sind?« erklärte Elita.

Er lächelte.

»Ich denke, wir sind sicher. Ich glaube kaum, dass in den nächsten ein, zwei Stunden jemand meine Abwesenheit bemerken wird, aber es ist nett von Ihnen, daran zu denken.«

»Was machen Sie?« wollte Elita wissen und betrachtete erneut sein schlichtes, dunkles Jackett und die gestreifte Hose.

Vielleicht war er am Empfang tätig, dachte sie. Aber sie konnte sich nicht erinnern, ihn dort gesehen zu haben.

»Wir sind hergekommen, um über Sie zu reden«, erinnerte er sie. »Wenn Sie heute noch eine Stelle haben wollen, müssen wir uns beeilen.«

»Ja, ja, natürlich.«

Ihre Neugier ließ ein wenig nach. Sie vertiefte sich in ihre eigenen Probleme. Eines jedenfalls war für sie sicher - weder er noch irgendjemand sonst durfte erkennen, dass sie nicht war, was sie zu sein schien - eine Sekretärin oder Gesellschafterin; eine Frau ohne besondere Bedeutung auf der Suche nach einer anderen Stellung. Wenn jemand erriet...

Sie unterbrach ihre Gedanken. Ihr kamen Visionen von Erpressung, die sie jedoch augenblicklich verdrängte.

Der Mann ihr gegenüber hatte ein offenes, ehrliches Gesicht. Er sah auch gut aus, aber das hatte nichts damit zu tun. Irgendetwas an ihm sagte ihr, dass sie ihm vertrauen konnte, dass er sie nicht im Stich lassen wurde.

»Sie wollen also Stewardess werden?« sagte er jetzt ernst.

»Ich nehme an, es gibt auch noch... andere Dinge, die ich tun könnte«, meinte sie zögernd. Sie wollte nicht zugeben, dass sie vollkommen untalentiert war, wenn es ums Tippen ging, um Kurzschrift oder irgendetwas anderes, das von einer guten Sekretärin erwartet wurde.

»Wie ich gerade schon sagte«, fuhr Hans Knudsen fort, »kenne ich zufällig die Lage und weiß, dass es bei allen großen Fluggesellschaften lange Wartelisten gibt. Aber ich habe einen Freund, der einen Spezial-Service mit privaten Chartermaschinen eingerichtet hat - die Golden Eagle Line. Die Gesellschaft gibt es noch nicht lange, aber sie ist ein großer Erfolg, und er ist sehr stolz darauf.«

In Gedanken schob er den Pfefferstreuer hin und her, während er fortfuhr:

»Mein Freund hat erst vor ein paar Tagen mit mir darüber gesprochen, dass er für seine längeren Flüge Stewardessen benötigt. Wenn ich ihn dazu bringen könnte, Sie zu empfangen, würden Sie darin auf der Stelle zu ihm fahren?«

»Aber natürlich. Ich wäre sehr froh über eine solche Gelegenheit.«

Er warf einen Blick auf ihre Hände, die weich und weiß waren, mit langen, wundervoll manikürten Nageln.

»Ich nehme an, Sie wissen, welche Plichten eine Stewardess hat?«

»Recht genau. Tatsächlich so gut, dass ich mich frage, ob es überhaupt nötig ist, ihm zu erzählen, dass ich noch keinerlei Erfahrung in diesem Beruf habe.«

Sie hatte das Gefühl, dass Hans Knudsen sie fragend ansah, und fuhr hastig fort:

»Sehen Sie, ich bin sehr viel geflogen. Mein letzter Arbeitgeber hat mich nach ganz Europa mitgenommen, und auch nach Afrika und Ägypten. Ich bin nie luftkrank gewesen, und ich kann mich noch ganz genau erinnern, wie sich die Stewardessen um uns gekümmert haben - tatsächlich war ich mit einer von ihnen sogar befreundet.«

»Nun, wenn Sie ganz sicher sind, dass Sie es schaffen«, Hans Knudsen lächelte. »Warten Sie dann bitte hier, während ich mit meinem Freund telefoniere?«

»Natürlich.«

Er erhob sich und verließ das Café, und Elita erinnerte sich, dass sie gleich um die Ecke eine Telefonzelle gesehen hatte. Dorthin würde er wohl gehen, dachte sie.

Sie seufzte leise auf und zog ihre Kaffeetasse zu sich heran. Es war ein Seufzer der Aufregung und Spannung, aber auch der Vorfreude und Angst. Wie ungewohnt das alles doch war! Wieviel besser, als mit einigen der Freunde zum Essen zu gehen, die ihr Vater für sie ausgesucht hatte; durch die Geschäfte zu schlendern und Dinge zu kaufen, die sie eigentlich nicht brauchte; und vor sich einen Abend mit Alan zu haben - Alan, der ihr die Frage stellen würde, die sie nicht hören wollte.

Sie fragte sich, wieviel Zeit ihr noch bliebe, bis man nach ihr suchen würde. Ihr Vater würde wohl nicht ins Claridge zurückkommen, bis es Zeit wurde, sich zum Abendessen umzuziehen. Dann würde er Jenkins fragen, wo sie war, und der würde erwidern, dass er sie den ganzen Tag nicht gesehen hatte.

Ihr Vater wurde in ihr Schlafzimmer gehen und die Nachricht finden. Und dann? Was würde er tun?

Elita lächelte vor sich hm, als sie sich seinen Ärger und das unausbleibliche Gefühl von Frustration vorstellte. Er wurde alles versuchen; um zu vermeiden, dass die Presse von der Sache Wind bekäme.

Granite Garson hasste Publicity. Er war grob zu den Reportern, wann immer sie versuchten, ihn zu interviewen, und er kochte vor Wut, wenn Elitas Name in den Klatschspalten auftauchte. »Die schöne Tochter des großen Finanzmannes...« oder »Tochter des Industriemagnaten tanzt auf einem Ball...«

»Das Land wird schon wie Amerika!« rief Granite Garson dann voll Abscheu aus. »Es gibt kein Privatleben mehr. Diese Nachrichtenhaie treiben sich auch überall herum und versuchen, sich ein bisschen Geld zu verdienen, indem sie die Geheimnisse anständiger Menschen verraten, die nur in Ruhe gelassen werden wollen.«  »Die Öffentlichkeit will es so«, hatte Elita einmal schüchtern widersprochen, und ihr Vater hatte sie in seiner Wut so laut angebrüllt, dass sie nie wieder versucht hatte, die Presse zu verteidigen.

Jetzt erkannte sie, dass sein Hass auf die Zeitungen für sie von Vorteil war. Er wurde über ihr Verschwinden Stillschweigen bewahren. Er würde seinen eigenen Geheimdienst, wie sie ihn nannte, einsetzen müssen, um sie zu finden.

Sekretärinnen, denen er vertrauen konnte; Männer, die seit Jahren für ihn arbeiteten; Agenten in ganz Europa, mit denen er in Verbindung stand; alle wurden im Vertrauen aufgefordert, nach ihr zu suchen.

Für einen Augenblick wurde Elitas Mund zu einer grimmigen Linie. »Ich werde ihn schlagen«, versprach sie sich selbst. »Ich werde ihm zeigen, dass ich nicht nur ohne sein Geld auskommen, sondern auch mein eigenes verdienen kann.«

Sie nippte an ihrem Kaffee, stellte fest, dass er fast kalt war, und sah wartend zur Tür hinüber. Wie lange Hans Knudsen fortblieb! Wenn er sich nun doch entschlossen hatte, ihr nicht zu helfen, und ins Claridge zurückgegangen war? Sie hier allein gelassen hatte?