Sternentänzer, Band 1 - Das Rätsel um den weißen Hengst - Lisa Capelli - E-Book

Sternentänzer, Band 1 - Das Rätsel um den weißen Hengst E-Book

Lisa Capelli

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Beschreibung

Für Caro gibt es nur eins im Leben: Pferde. Als auf ihrem Reiterhof eines Tages der wunderschöne Schimmel Sternentänzer auftaucht, verliebt sie sich sofort in ihn. Doch der griesgrämige Besitzer von Sternentänzer macht den beiden das Leben schwer. Immer wieder versucht er die Freundschaft zwischen Caro und dem Pferd zu verhindern. Denn Sternentänzer umgibt ein großes Geheimnis: Wer ihn reitet, kann in die Zukunft sehen. Ein Kampf um diese geheimnisvolle Gabe beginnt, bei dem Caros Liebe zu ihrem Pferd auf eine harte Probe gestellt wird.

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In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:

Band 1:   Das Rätsel um den weißen Hengst,

Band 2:   Das geheimnisvolle Mädchen

Band 3:   Weißer Hengst in Gefahr

Band 4:   Caro unter Verdacht

Band 5:   Rettung für Lindenhain

Band 6:   Bedrohung für den weißen Hengst

Band 7:   Letzter Auftritt des weißen Hengstes?

Band 8:   Der unheimliche Pferdehof

Band 9:   Zeit der Entscheidung

Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal

Band 11: Silbersterns Geheimnis

Band 12: Abschied mit Folgen

Band 13: Caro und das Mädchen im Moor

Band 14: Ponys in Not

Band 15: Eine rätselhafte Vision

Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine

Band 17: Caro und die weiße Stute

Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes

Band 19: Achterbahn der Gefühle

Band 20: Die geheimnisvollen Briefe

Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung

Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe

Band 23: Geister aus der Vergangenheit

Band 24: Die Magie des weißen Hengstes

Band 25: Voller Einsatz für Lina

Band 26: Verwirrung des Herzens

Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau

Band 28: Aufregung um Stute Aziza

Band 29: Eine Reise voller Überraschungen

Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb

Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe

Band 32: Ein unglaublicher Verdacht

Band 33: Die verschwundenen Ponys

Band 34: Caro gibt nicht auf

Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain

Band 36: Feuerprobe für die Liebe

Band 37: Wo ist Sternentänzer?

Sternentänzer

Das Rätsel um den weißen Hengst

Lisa Capelli

Band 1

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sternentänzer, Band 1 – Das Rätsel um den weißen Hengst3. überarbeitete Auflage© 2008 by Panini Verlags GmbH,Rotebühlstraße 87, 70178 StuttgartAlle Rechte vorbehalten

Chefredaktion: Claudia WeberRedaktion: Sonja WittlingerRedaktionelle Mitarbeit: Heike BertholdLektorat: Waltraud RiesUmschlag: tab indivisuell, StuttgartFotos: © Juniors, mauritius imagesSatz: CB Fotosatz & Werbeproduktion, FellbachISBN: 978-3-8332-1138-6eISBN: 978-3-8332-3082-0

www.panini.de

Das Rätsel um den weißen Hengst

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.

Ein geheimnisvoller Neuling

Als Carolin an diesem herrlichen Sommermorgen aufwachte, wusste sie nicht, dass dieser Tag ihr ganzes Leben verändern sollte. Sie hatte Ferien, es war warm, und es war klar, was man da machte: ausreiten. Sie sprang glänzend gelaunt aus dem Bett und hüpfte rasch unter die Dusche. Dann fuhr sie einmal schnell, aber energisch, mit der Bürste durch ihr kurzes dunkles Haar. Eilig schlüpfte sie in ihre Jeans und zog ein rotes T-Shirt über den Kopf. Blitzschnell rauschte sie hinunter in die Küche – nur keine Minute verlieren!

„Hallo, Mam!“ Sie drückte ihrer Mutter einen Kuss auf die Wange und machte sich hastig über ihr Müsli her.

„Morgen Schatz. Wenn du nur genauso schnell und fröhlich wärst, wenn es in die Schule geht“, bemerkte Ines Baumgarten.

„Tja“, seufzte Carolin und knackte ein Schoko-Flake. „Wenn die Lehrer Fell, Mähne und Hufe hätten …“

„Du und deine Pferde“, lächelte Ines, zog sich im Flurspiegel die Lippen nach und knüpfte ein Tuch um ihren Hals. Im Grunde war die Mutter heilfroh über das Hobby ihrer Tochter. Die Pferde hatten sie über die Trennung ihrer Eltern hinweggetröstet.

„Ach, Schatz. Es wird spät werden heute. Wir haben noch ein Geschäftsessen. Wenn du Hunger hast, hol dir doch eine Pizza aus dem Tiefkühlfach. Und wenn was ist, ruf mich auf dem Handy an.“

Carolin grinste. „Mann, Mam, was soll schon sein? Ich bin 13 und kein Baby mehr! Außerdem bleibe ich den ganzen Tag in Lindenhain.“ Sie wedelte mit dem Müslilöffel. „Bis später.“

Der Reiterhof Lindenhain lag ungefähr eine knappe halbe Fahrrad-Stunde von dem Dörfchen Lilienthal entfernt. Hier wohnte Carolin in einer Doppelhaushälfte in der Breitensteinstraße 9. Im Garten zwei Apfelbäume, die im Herbst kleine rote Äpfel trugen. Außerdem gab es noch einen Gemüsegarten, oder das, was einmal ein Gemüsegarten war. Jetzt wuchsen dort nur ein Büschel Schnittlauch und ein paar Karotten. Ines hatte keine Zeit mehr für den Garten, seit sie den Job bei einem Rechtsanwalt hatte. Carolin lebte allein mit ihrer Mutter in der Breitensteinstraße, da ihr Vater Paul vor einem Jahr ausgezogen war. Er hatte sich in seine Sekretärin verliebt. Rosanna. Typ Tussi. Kurze Röckchen, tiefe Ausschnitte, rote Wallemähne. Es gab eine Menge Streit und Krach deswegen. Beim bloßen Gedanken an die neue Freundin ihres Vaters trat Carolin vor Wut so heftig in die Pedale, als wollte sie den Weltrekord im Schnell-Mountainbiken brechen. Erst als der Reiterhof in Sichtweite kam, drosselte sie das Tempo. Sie verbrachte jede freie Minute in Lindenhain und in den Ferien durfte sie manchmal auch länger bleiben. Ihre Mutter wusste, dass sie dort gut aufgehoben war. Der Hof war wie eine zweite Heimat für sie. Oben auf einem Hügel zwischen großen alten Linden lag er: Ein lang gestreckter hellgelber Stall mit blauen Türen, einem Auslauf davor und der Reithalle, einem weißen Gebäude. Ein großer Paddock mit einem blauen Holzzaun und ein Reitplatz gehörten auch noch dazu. Einen kleinen Tümpel gab’s zudem, in dem unzählige Kaulquappen und Krötenlarven schwammen und eine Holzbank unter einer dicken alten Linde. Hier legte die Hofkatze Eulalia mit Vorliebe ihre „Geschenke“ ab: Mäuse, kleine Ratten und anderes Getier. Frisch erlegt und blutig. Als Carolin völlig außer Atem auf dem Reiterhof um die Ecke bog, winkte ihr Nick schon freudig entgegen. Seine kurzen, hellblonden Haare leuchteten in der Sonne. Seine samtbraunen Augen, in denen für gewöhnlich ein ironisches Lächeln lauerte, blitzten aufgeregt. Im Arm hielt er einen Korb, in dem Striegel, Kamm und Lappen lagen, sein dunkelblauer Overall stand vor Dreck.

Der Achtzehnjährige war Lindenhains Mann für alles. Er gab Reitunterricht, versorgte die Pferde, kümmerte sich um alle anfallenden Arbeiten und war Schwarm aller Mädchen. Carolin mochte Nick. Er war wie ein älterer Bruder für sie.

„Hi Caro! Schau dir mal unseren Neuzugang an: Ist das nicht ein traumhaft schönes Pferd?“ Nick wies mit dem Zeigefinger auf den Reitplatz. Vorne trabten ein paar Pferde im Kreis. Immer rundherum. Die Schweife wehten, ein Pferd wieherte laut. Ganz hinten in der Ecke stand ein Schimmel. Sein helles Fell glänzte wie Seide und seine Mähne glitzerte in der Sonne. Er war am Zaun festgebunden und bewegte seinen eleganten Kopf unwillig hin und her.

„Ein Araber“, murmelte Caro. Sie stellte verwundert fest, dass ihr Herz plötzlich ein paar Takte schneller schlug. Schnell stellte sie das Bike ab und lief zum Reitplatz. Kurz vor dem Zaun blieb sie einen Moment stehen. Ein merkwürdiges Gefühl überkam sie beim Anblick des Pferdes. Es war sonnenwarm, doch sie fühlte Gänsehaut auf ihren Armen. Wie in Trance schritt sie dann auf das Pferd zu. Der Araberhengst spitzte die Ohren und sah Carolin mit stolzem Blick entgegen. Seine Augen unter dem langen Schopf waren dunkel und geheimnisvoll.

„Hallo“. Sie näherte sich vorsichtig und strich dem Tier sachte über die Nüstern. „Bist du ein schöner Kerl“, wisperte sie. In diesem Moment trat ein Mann aus dem Stall und marschierte mit großen Schritten Richtung Reitplatz. Er war groß und wuchtig, trug eine dunkelbraune Cordhose und einen dunkelbraunen Pullover. Dunkle Haare vervollständigten den düsteren Eindruck. Er schaute Carolin sehr unfreundlich an. Sie hatte ihn noch nie zuvor auf dem Reiterhof gesehen.

„He! Du! Was fällt dir ein, mein Pferd anzufassen?“, herrschte er sie böse schon von weitem an. Erschrocken zog Carolin die Hand weg und sah den seltsamen Mann irritiert an. Warum regt der sich bloß so auf?

„Ich … ich wollte doch nur …“, stammelte sie.

„Ich mag es nicht, wenn fremde Leute mein Pferd streicheln! Merk dir das gefälligst!“, fuhr er sie an, band das Pferd los und führte es eilig in den Stall.

„Was ist denn mit dem los?“ Carolin wandte sich ratlos an Nick, aber der zuckte nur die Schultern.

„Keine Ahnung.“

„Es ist doch das Normalste der Welt, ein Pferd zu streicheln. Vor allem, wenn es so wunderschön ist!“

„Frank Stone, ziemlich komischer Kauz“, nickte Nick. „Aber sei nicht traurig. Der Typ kann sein Pferd schließlich nicht Tag und Nacht bewachen.“ Er grinste. „Deine Chance, Sternentänzer kennen zu lernen, kommt schon noch.“

„Sternentänzer“, wiederholte Carolin andächtig und spürte wieder ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch.

Nick knuffte sie in die Seite. „Was ist, wollen wir ausreiten?“

Da ließ sich Carolin nicht lange bitten und folgte Nick in den Stall. Dort war es dunkel, verglichen mit dem Sonnenschein draußen, aber die Augen gewöhnten sich schnell an die Dunkelheit. Die Pferde standen in ihren Boxen auf raschelndem Stroh. Sie schlugen mit ihren Schweifen nach den fetten Fliegen, die im Stall herumbrummten. Carolin schielte durch den Stall, doch von Sternentänzer war nichts zu sehen.

„Marhaba, wie immer?“, fragte Nick und drückte Carolin Marhabas Sattel in den Arm. Carolin nickte. Marhaba war ein hübscher Brauner mit schwarzer Mähne und schwarzem Schweif. Das bravste Pferd der Welt. Außer, wenn man ihn am Bauch striegelte. Da musste man aufpassen, denn dann versuchte er immer zu zwicken. Einmal hatte er Carolin in den Arm gebissen. Hinterher hatte sie einen riesigen blauen Fleck gehabt.

„Wollen wir zum Bach runter reiten?“, fragte Nick, während er Shania sattelte.

„Klar“, nickte Carolin und drückte ihr Gesicht an Marhabas Hals. Er roch warm und gut nach Pferd. Sein Fell kitzelte in der Nase, doch Carolins Gedanken waren nicht bei Marhaba.

Heimlicher Besuch

Pünktlich um neun schoss Carolin am nächsten Morgen mit ihrem Fahrrad die Hofeinfahrt zu Lindenhain hinein. Fast wäre sie gegen einen Pferdeanhänger gekracht, der mitten im Weg geparkt hatte. Schwankend bekam sie gerade noch die Kurve. Sie stellte ihr Rad ab und lief hinüber zur Koppel. Es war ein frischer, klarer Morgen und die Sonne strahlte schon über Lindenhain. Ein paar Pferde grasten friedlich auf der Weide, schlenderten langsam und gemächlich von einem Grasbüschel zum nächsten. Der braune Marhaba, Rocco mit dem schwarzen Langhaar und den weißen Flecken, die schwarze Lilli und die kugelrunde Sophia, ein Shetlandpony mit Übergewicht. Das fünfte Pferd glänzte so weiß, dass Carolin die Augen zusammenkneifen musste, um es im grellen Sonnenlicht erkennen zu können. Es war Sternentänzer. Carolin stockte bei seinem herrlichen Anblick beinahe der Atem. Die ganze Nacht über hatte sie diesem Moment entgegengefiebert. Auf einmal setzte sich das Pferd in Bewegung. Erst in federndem Gang, dann in wieherndem Trab drehte er ein paar Runden, den Hals elegant gebeugt, den Schweif hoch aufgerichtet. Carolin hing am Gatter und sah ihm sehnsüchtig dabei zu.

„Wenn Sternentänzer jetzt den Kopf hebt und mich ansieht“, murmelte sie dabei fast beschwörend, „dann werde ich bald auf ihm reiten …“ Und ganz genau in diesem Moment hob das Pferd seinen edlen Kopf und sah sie mit gespitzten Ohren an. Nur kurz. Einen Herzschlag lang, dann galoppierte es laut wiehernd mit wehender weißer Mähne davon. Carolins Herz fing an wie wild zu trommeln. Es war so gespenstisch. Fast so, als könne das Pferd ihre Gedanken lesen.

Wenn ihr etwas wirklich wichtig war, dann hatte Carolin die seltsame Angewohnheit, auf Zeichen zu achten. So in der Art: Wenn ich es schaffe, mit dem Fahrradreifen genau auf der Bordsteinkante zu fahren, dann … Wenn die nächste Ampel grün ist, dann … Wenn die Bahnschranke offen bleibt, dann … Wenn Mathelehrer Westfal drei Mal hintereinander hustet, dann … Diesmal wählte sie Eulalia als Orakel. Wenn auf der alten Bank unter der großen Linde Geschenke liegen, dann kann ich bald auf Sternentänzer reiten. Sie stiefelte von der Koppel herüber und wagte es kaum, auf die Holzbank zu blicken. Es war ein ausgesprochen schwieriges Orakel, das war ihr klar, denn normalerweise ging die dicke Eulalia vor allem nachts auf die Jagd. Tagsüber lümmelte sie lieber faul im Schatten herum. Aber es war ja auch ein ausgesprochen wichtiges Vorhaben. Und deswegen baute sie auch gleich vor: Das Orakel war so schwierig, dass es rein gar nichts zu bedeuten hatte, wenn es nicht gelingen sollte. Noch zwei Schritte, noch einer, jetzt musste sie vor der Bank stehen. So ganz genau wusste sie es nicht, denn sie hatte sich die Augen zugehalten. Doch dann stieß ihr Knie auf Widerstand. Augen auf und „yipiiehhh“, Carolin jubilierte. Da lag doch tatsächlich ein armes, kleines Mäuschen. Gelungen!, freute sich Carolin. Ich könnte dich knutschen, Eulalia, dachte sie. Dann schickte sie der Katze einen Handkuss hinüber in den Blumengarten neben dem Haus, wo sie zwischen Rosenstöcken, Sonnenblumen und hüfthohem Gras döste.

Mit einem zufriedenen Lächeln öffnete Carolin die Tür zum Haupthaus. Darin hatte Gunnar sein Büro. Außerdem gab es eine Art Aufenthaltsraum mit einer Kochgelegenheit. Ein Kaffeeautomat, ein Automat, voll gestopft mit Chips und Gummibären und anderen Leckereien und ein Tisch, auf dem ein paar Pferdezeitschriften lagen, standen auch darin. An den Wänden hingen goldgerahmte Urkunden, die die Pferde von Lindenhain eingeheimst hatten. Im ersten Stock waren noch ein paar Zimmer mit Betten, in denen Ferienkinder schlafen konnten. Gegenüber dem Aufenthaltsraum lag Gunnars Büro. „Gunnar Hilmer“, stand auf einem goldenen Schild eingraviert an der Tür, an die sie klopfte.

„Ja, bitte!“, brummte Gunnar. Carolin öffnete die Tür und streckte ihren Kopf ins Zimmer.

„Hi Gunnar!“

„Hm“, brummte dieser, ohne einen Blick aus seiner Fußballzeitschrift zu nehmen.

„Melde mich zum Pflegetag!“

„Alles klar.“

„Tja, dann mach ich mich mal an die Arbeit.“

„Hm.“

Gunnar Hilmer war so etwas wie der Big Boss auf Lindenhain. Geschäftsführer hieß das hochoffiziell. Er überprüfte die Termine, nahm die Anmeldungen entgegen, hockte am Telefon und kümmerte sich um den ganzen bürokratischen Kram. Die meiste Zeit aber verbrachte er mit den Füßen auf dem Schreibtisch hinter irgendeiner Sportzeitung. Mit Cowboyhut und Cowboystiefeln. Egal ob Sommer oder Winter, heiß oder kalt, Gunnar trug immer seine Cowboykluft. Sogar, wenn er sich für einen Geschäftstermin mal in einen Anzug zwingen musste. Früher soll er mal eine Werbeagentur gehabt haben, erzählte man sich. Dann, vor fünf, sechs Jahren hatte er Lindenhain übernommen. Damals war dort, wo jetzt die Halle stand, nur eine Scheune für Heu. Ansonsten gab es ein paar vergammelte Ställe und ein paar alte, abgewirtschaftete Arbeitspferde, die draußen gehalten wurden. „Den ersten Stein dieser Reithalle hab ich selbst gelegt“, erzählte Gunnar stolz jedem, der es hören wollte.

Inzwischen hatte sich Lindenhain zu einem stattlichen Reiterhof entwickelt. Im Stall standen Pferde aller Rassen, zwei Araber, ein herrlicher, golden glänzender Tekkiner-Hengst, eine dicke, alte Berberstute, die eigentlich nur für ein paar Tage auf dem Hof bleiben sollte, doch dann vom Besitzer nie wieder abgeholt wurde. Außerdem zwei Isländer und ein paar Shettys, die Gunnar aus Mitleid bei einer Auktion ersteigert hatte. Wie die dicke Sophia. Sie war nur Haut und Knochen, als Gunnar sie kaufte. Aber mittlerweile hatte sie sich kugelrund gefuttert. Außerdem gab es immer jede Menge Gastpferde auf Lindenhain, wie Sternentänzer. Einige blieben nur ein paar Wochen, andere wohnten schon jahrelang in ihren Privatställen. Und es gab Pferde wie Marhaba. Irgendein reicher Vater hatte das Pferd seiner verwöhnten Tochter zum Geburtstag geschenkt, weil sie es sich gewünscht hatte, und als Gastpferd auf Lindenhain eingestellt. Das Mädchen fiel einmal runter und hatte keine Lust mehr auf das doofe Pferd. Sie behauptete: „Das Mistvieh ist nicht zu reiten“, und kam nie wieder vorbei. Der Vater auch nicht. Das war vor anderthalb Jahren. Seitdem gehörte Marhaba praktisch zu Lindenhain.

Gunnar war überhaupt eine Seele von Mensch. Seine Frau Antonia, eine resolute Italienerin, hatte ihn verlassen, weil sie eifersüchtig auf die Pferde war. Sie hatte verlangt, dass er irgendeinen Job mit geregelten Arbeitszeiten annehmen sollte. „Antonia hat ja Recht“, sagte Gunnar immer. „Wer will schon einen Mann, der morgens um sechs aufstehen muss, um die Pferde zu füttern und die Ställe auszumisten?“ Inzwischen gab es aber schon eine neue Frau an seiner Seite: Freundin Vicky, eine schlanke, dunkelhaarige, durchtrainierte Person, mischte auch auf Lindenhain mit. Sie war eine glänzende Reiterin und eine beliebte Lehrerin und hatte selbst mit den größten Mehlsäcken Geduld. Pflegetage mussten sein. „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“, predigte Ines immer. Außerdem war Reiten ein ziemlich aufwändiges Hobby und sie konnte die vielen teuren Reitstunden nicht bezahlen. Das bedeutete für Carolin: Boxen ausmisten, sauber machen, eine dicke Lage neues Stroh einstreuen, die Pferde von der Koppel holen und jedes mit einem Eimer Hafer und einem Arm voll Heu versorgen. Außerdem: Hufe auskratzen, Stirnhaare, Mähne und Schweif bürsten und die Tiere zur Reitstunde fertig machen. Anfangs hatte Carolin diese Pflegetage gehasst. Doch jetzt machten sie ihr Spaß, weil man hinterher immer das Gefühl hatte, dass den Pferden ihre neue saubere Wohnung richtig gut gefiel. Außerdem hatte ihr Nick eine Methode gezeigt, die Forke so im Halbkreis herumzuschwingen, dass sie sich leichter anfühlte, als sie war.

Carolin erinnerte sich noch an ihr erstes Mal vor inzwischen fast zwei Jahren: Am Schluss konnte sie kaum noch Kardätsche und Striegel halten, so lahm waren ihre Arme. Tagelang hatte sie einen so gemeinen Muskelkater, dass sie ihren Frühstückskakao mit dem Strohhalm trinken musste. Am schwierigsten war es, durch die struppigen Mähnen zu kommen. Einen Augenblick lang war sie nahe dran gewesen, aufzugeben und die Mähnen einfach abzuschneiden. Inzwischen aber liebte Carolin die Arbeit. Normalerweise ordnete sie die Bürsten, Striegel, Kardätschen, Schwämme, Mähnenkamm und Hufkratzer hinterher sorgfältig in die Putzkiste, doch heute hatte sie keinen Nerv. Sie hatte etwas ganz anderes im Sinn. Einfach nur ganz schnell fertig werden und zu Sternentänzer gehen, so lange von diesem ekligen Stone noch nichts zu sehen ist!, dachte sie und feuerte nach der Putzaktion alles achtlos in die alte Kiste. Mit der großen Gabel packte sie dann den Mist in die Schubkarre und wollte ihn noch schnell zum Misthaufen balancieren. Entschlossen fasste sie nach beiden Griffen, hob sie hoch und begann zu schieben. Sie musste höllisch aufpassen, denn es war nicht einfach, den einrädrigen Karren gleichzeitig zu schieben und im Gleichgewicht zu halten. Aber es kam natürlich, wie immer, wenn es schnell gehen soll: Es ging schief. Nach ein paar Metern bekam das wackelige Gefährt Schlagseite. Sie versuchte, die Last nach links zu verlagern, aber es war schon zu spät. Mit lautem Gepolter fiel das Ding um und die Ladung kippte auf den Weg. „Verdammter Mist!“, fluchte Carolin und wischte sich mit dem Arm die Schweißperlen von der Stirn. Das Gepolter hatte Eulalia alarmiert und neugierig strich sie um ihre Beine. „Grins du nur“, knurrte Carolin, nahm die Mistgabel zur Hand und begann wild fluchend den Mist wieder aufzuladen. Diesmal ging es besser. Sie schaffte es sogar, die Schubkarre über ein schwankendes Brett bergauf zu schieben, ohne dabei mit ihr in den Misthaufen zu purzeln. Nach zwei Stunden war Carolin nass geschwitzt und stank wie ein Wiedehopf. Aber sie war endlich fertig und lief hinüber zur Koppel. Marhaba und die dicke Sophia grasten immer noch friedlich vor sich hin, doch von Sternentänzer war nichts mehr zu sehen. „Dann kann er eigentlich nur im Privatstall sein“, murmelte Carolin.

„Unbefugten ist der Zutritt verboten“, war auf einem großen Holzschild über der Außentür zu lesen. Befugt waren eigentlich nur die Pferdebesitzer, die ihre Pferde auf Lindenhain unterstellten, die Angestellten und die Mädchen, die die Pferde pflegen durften. Carolin war eines davon. Im Privatstall war alles viel schicker als im Stall des Reiterhofs. Jedes Pferd hatte eine große, sauber eingestreute Box für sich allein. Vor der Box befand sich ein länglicher Paddock, den die Vierbeiner bei offenen Türen jederzeit betreten konnten. Theoretisch. Denn viele Pferdebesitzer waren offenbar der Ansicht, dass frische Luft schädlich sein könnte und zogen ständig die Türen zu. An jeder Boxentür hing ein Namensschild, auf Messing eingraviert oder in Holz gebrannt, keine beschriebenen Papptafeln. An manchen Boxen hingen Rosetten, die die Pferde auf Turnieren gewonnen hatten. Zehn geräumige Boxen gab es, von denen im Moment sechs belegt waren. In der letzten Box stand er. Noch ohne Schild und Rosette, denn er war ja noch nicht lange in diesem Stall. Sein Name war mit Kreide an die Box geschrieben. „Sternentänzer“. Weiß wie Milch, mit einer langen Mähne und einem Schweif, der fast auf dem Boden schleifte. „Hallo, du Schöner!“, rief Carolin. Er drehte den Kopf zu ihr. Neugierig spitzte er die Ohren, prustete und scharrte mit dem linken Vorderbein. Vorsichtig ging sie in seine Box und streichelte seinen Kopf und die großen Nüstern. Die Stirnhaare waren weich wie Seide. Das Fell glänzte wie Samt. „Ich bin Carolin!“ Er sah sie an mit seinen großen braunen, feucht schimmernden Augen. Sein Blick ging Carolin durch und durch. Er sieht mich an, als ob er mich kennt, dachte sie. Sie fühlte wieder dieses merkwürdige Kribbeln, die Gänsehaut, wie bei ihrer ersten Begegnung. Aber da war noch mehr. Da war ein Zauber, der von ihm ausging. Etwas Magisches. Etwas ganz Merkwürdiges, was man nicht sehen konnte, irgendwie nur fühlen. „Du bist was ganz Besonderes, das weiß ich“, murmelte sie, während sie ihn liebkoste. Sternentänzer beschnupperte sie behutsam mit seinen weichen Lippen und Nüstern, als wollte er sie näher kennen lernen, und prüfte ihren Geruch. Die feinen Tasthaare an seinem Maul zitterten. Carolin schloss die Augen und genoss die Berührung. Auf einmal legte das Pferd den Kopf entschlossen auf ihre Schulter. „Schöner Sternentänzer“, murmelte sie liebevoll. Ein warmer Schauer lief über ihren Rücken und sie musste sich abstützen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Sie war so vertieft, dass sie nicht bemerkte, wie sich jemand von hinten langsam näherte. Erst als sie eine kalte Hand auf ihrer Schulter spürte, zuckte sie zusammen. Ein eisiger Schauer lief ihr den Rücken hinunter. Frank Stone, jetzt hat er mich erwischt! In einer Schrecksekunde malte sie sich aus, wie Stone sie vom Hof jagte, wie sie nie wieder Lindenhain oder Sternentänzer zu Gesicht bekommen würde, wie sie …

„He, Caro, was ist denn mit dir los? Du zitterst ja wie Espenlaub!“, hörte sie Nicks Stimme.

„Was?!“ Carolin fuhr herum, wich zurück und stieß dabei einen Wassereimer um, der im Weg stand. Das Wasser schwappte über Nicks dunkelbraune Lederstiefel. Er nahm seine Hand von ihrer Schulter.

„Ich wollte dich doch nur ein bisschen erschrecken!“, grinste er.

Carolin stampfte wütend mit dem Fuß auf. „Hast du auch, Blödmann! Und wie! Mann!“

Nick grinste von einem Ohr zum anderen. „Ist doch ein tolles Gefühl, wenn das Blut in den Adern gefriert, oder?“