Sternentänzer, Band 10 - Hoffen und Bangen in Lilienthal - Lisa Capelli - E-Book

Sternentänzer, Band 10 - Hoffen und Bangen in Lilienthal E-Book

Lisa Capelli

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Beschreibung

Linas Onkel Rocco taucht auf und eröffnet eine Artistenshow in Lilienthal. Carolin ist mit Sternentänzer begeistert dabei. Doch leider hat sie dadurch kaum noch Zeit für Ferdi. So ist Stress natürlich vorprogrammiert. Schließlich kommt es soweit, dass sich Carolin zwischen ihrer Beziehung und ihrem Pferd entscheiden muss. Ausgerechnet jetzt passiert bei der Artistenshow ein schlimmer Unfall. Ein Unfall, der nicht nur Caros, sondern auch Sternentänzers ganzen Einsatz erfordert.

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In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:

Band 1:   Das Rätsel um den weißen Hengst

Band 2:   Das geheimnisvolle Mädchen

Band 3:   Weißer Hengst in Gefahr

Band 4:   Caro unter Verdacht

Band 5:   Rettung für Lindenhain

Band 6:   Bedrohung für den weißen Hengst

Band 7:   Letzter Auftritt des weißen Hengstes?

Band 8:   Der unheimliche Pferdehof

Band 9:   Zeit der Entscheidung

Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal

Band 11: Silbersterns Geheimnis

Band 12: Abschied mit Folgen

Band 13: Caro und das Mädchen im Moor

Band 14: Ponys in Not

Band 15: Eine rätselhafte Vision

Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine

Band 17: Caro und die weiße Stute

Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes

Band 19: Achterbahn der Gefühle

Band 20: Die geheimnisvollen Briefe

Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung

Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe

Band 23: Geister aus der Vergangenheit

Band 24: Die Magie des weißen Hengstes

Band 25: Voller Einsatz für Lina

Band 26: Verwirrung des Herzens

Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau

Band 28: Aufregung um Stute Aziza

Band 29: Eine Reise voller Überraschungen

Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb

Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe

Band 32: Ein unglaublicher Verdacht

Band 33: Die verschwundenen Ponys

Band 34: Caro gibt nicht auf

Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain

Band 36: Feuerprobe für die Liebe

Band 37: Wo ist Sternentänzer?

Sternentänzer

Hoffen und Bangen in Lilienthal

Lisa Capelli

Band 10

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sternentänzer, Band 10 – Hoffen und Bangen in Lilienthal2. aktualisierte Auflage © 2009 by Panini Verlags GmbH,Rotebühlstraße 87, 70178 StuttgartAlle Rechte vorbehalten

Chefredaktion: Claudia WeberRedaktion: Sonja WittlingerLektorat: Helga KronthalerUmschlag: tab indivisuell, StuttgartFotos: © Juniors Bildarchiv; mauritius imagesSatz: Vanessa Buffy, MannheimISBN: 978-3-8332-1380-9eISBN: 978-3-8332-3091-2

www.panini.de

Hoffen und Bangen in Lilienthal

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.

Es kommt Besuch

Carolin Baumgarten, genannt Caro, hockte auf ihrem Lieblingsplatz – dem Holzgatter, das die große Pferdekoppel des Reiterhofs Lindenhain umzäunte. Sie hatte beide Augen geschlossen und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrer Haut. Gab es etwas Schöneres, als sich nach einem langen Winter die Sonne auf die Nase scheinen zu lassen? Den Frühling zu riechen und dabei das zufriedene Geschnaube von Pferden zu hören?

Plötzlich spürte Carolin etwas Feuchtes an ihrer Hand. „Ihhhhh“, kicherte sie und zog ihre Hand weg. Sie öffnete die Augen und blickte geradewegs in die dunklen, feucht glänzenden Kohleaugen eines wunderschönen weißen Araberhengstes mit mondheller Mähne. Sie wischte die Hand an ihrer Kapuzenjacke ab. „Du kannst ja gerne an meiner Hand schnuppern, mein Süßer. Aber mit deiner nassen Zunge drüberzuschlecken geht zu weit!“

Der Hengst warf seinen eleganten Hals in die Höhe, gerade so, als wolle er sagen: „Hey, ich will dir doch nur zeigen, wie lieb ich dich hab!“

Carolin beugte sich vor und liebkoste seine samtweichen Nüstern. „Ach Sternentänzer, du bist das Liebste und Schönste und Tollste auf der ganzen Welt! Und du gehörst mir!“

Da stupste sie auf einmal jemand mit der Hand so kräftig in den Rücken, dass sie beinahe kopfüber auf die Weide gepurzelt wäre. „He ...“

„Hi, Caro. Ich hab unglaubliche Neuigkeiten.“

Carolin drehte sich um. Hinter ihr stand Lina Schniggenfittich, ihre beste Freundin, und strahlte über das ganze Gesicht. Ihre grünen Augen funkelten wie Edelsteine. Ihre langen roten Locken wehten im Wind, mit ihren Händen fuchtelte sie aufgeregt herum. Carolin richtete sich wieder auf. „Du hast mich vielleicht erschreckt ...“

„Hier!“ Lina streckte ihre rechte Hand aus und hielt Carolin einen breiten weißen Umschlag unter die Nase. „Ich hab einen Brief bekommen.“

Carolin verdrehte die Augen. „Nun mach’s nicht so spannend, Lina. Erzähl schon von wem!“

Linas Strahlen wurde immer breiter. „Mein Onkel Rocco hat mir geschrieben.“

Carolin lächelte. „Dein heiß geliebter, aber völlig schräger Onkel aus Berlin!“

„Na ja.“ Lina legte den Kopf zur Seite. „Nicht mehr lange.“

„Wie?“

„Mein schräger Onkel wird nicht mehr lange in Berlin sein. Er kommt nach Lilienthal! Mann, Caro, ich freu mich so!“ Lina drehte sich so schnell einmal um die eigene Achse, dass ihre geblümten Röcke flogen. Lina trug immer Röcke. Aber nicht nur einen, sondern mehrere übereinander. Dazu dicke Schnürstiefel. Sie war überhaupt ein ungewöhnliches Mädchen. Carolin mochte sie wie eine Schwester.

„Super!“ Auch Carolin fand Linas Onkel total sympathisch. Er war Artist, Feuerschlucker, Fakir und so ziemlich der ungewöhnlichste Erwachsene überhaupt, den sie jemals erlebt hatte. Zuletzt hatte Onkel Rocco ein festes Engagement im Showtheater Fantasia in Berlin gehabt, wo nur die besten Artisten auftraten. Als Carolin gemeinsam mit Lina nach Berlin gefahren war, hatten die beiden eine Vorstellung gesehen. „Kommt er zu Besuch?“, erkundigte sich Carolin.

„Nee!“ Lina schüttelte ihre wilde Mähne. „Besser. Viel, viel besser! Er will erst mal hier in Lilienthal bleiben und bringt sogar seine ganze Truppe mit.“

„Du meinst, er will hier wohnen?“, fragte Carolin. Ein Grinsen huschte über ihr Gesicht, als sie sich vorstellte, wie Onkel Rocco mit seinen langen schwarzen Locken und im hautengen Anzug mit Tigermuster durch die Straßen von Lilienthal spazierte, beim Bäcker Bauer sein Brot kaufte oder im Supermarkt einen Einkaufswagen durch die Regalreihen schob.

„Nicht nur das!“ Lina vollführte wieder ihr ausgelassenes Tänzchen. „Er will hier auftreten, Caro. Onkel Rocco will in Lilienthal seinen eigenen Zirkus aufbauen. Eine Artistenshow, so was Ähnliches wie ... wie das Fantasia in Berlin.“

„Echt?“ Carolin sah Lina erstaunt an. „Eine Artistenshow? In unserem Lilienthal?“ Lilienthal, das waren ein paar Dutzend Häuser, eine Schule, eine Kirche mit Pfarrhaus, ein paar Restaurants, eine Döner-Bude, ein Kino, ein Supermarkt, eine Bücherei, das kleine Wäldchen, eine Tankstelle, mehrere Läden und der Reiterhof. Carolin schmunzelte. Berlin, das war ... na ja ... in jedem Fall etwas größer.

„Warum denn nicht?“ Lina funkelte sie an. „Wir haben doch den großen Festplatz in Lilienthal. Da kann er locker sein Zelt aufbauen und Wohnwagen hinstellen.“

„Stimmt“, nickte Carolin. „Da ist jede Menge Platz.“

„Na also!“ Lina warf ihre Arme mitsamt Brief in die Luft. „Onkel Rocco kommt und Lilienthal kriegt eine eigene Artistenshow. Ist das nicht der totale Oberhammer?“

Lautes Gewieher von Sternentänzer unterbrach Linas Freudentanz. Carolin deutete lachend zu ihrem Pferd. „Ich glaub, Sternentänzer will bei der Show mitmachen.“

Lina hielt inne. „Das ist doch die Idee! Wir könnten die Lindenhain-Pferde in die Show einbauen. Das wär doch supergenial.“

„Was wär supergenial?“ Nick kam angestiefelt. Er führte Stella, ein geflecktes Shetlandpony, auf die Koppel. Nick Heuberg – zwanzig Jahre jung, kurze hellblonde Haare, samtbraune Augen, durchtrainierte Figur – arbeitete auf Lindenhain. Er mistete die Ställe aus, kümmerte sich um die Pferde und gab Reitunterricht.

„Linas Onkel zieht eine Artistenshow in Lilienthal auf“, klärte Carolin Nick auf.

„Cool“, meinte Nick, schob seinen Kaugummi von einer Backe in die andere und kraulte die Mähne des Shettys. „Und das geht so einfach?“

„Logo“, gab Lina begeistert zurück. „Lilienthal hat doch den Festplatz.“

„Und habt ihr auch schon die Erlaubnis?“ Nick öffnete das Gattertor und schob Stella auf die Weide.

Lina sah ihn verständnislos an. „Was denn für eine Erlaubnis? Von wem? Wofür?“

„Vom Weihnachtsmann“, gab Nick kopfschüttelnd zurück. „Von der Gemeinde natürlich! Oder meinst du, du kannst da einfach hopplahopp mal schnell ein Zelt aufbauen und eine Show hinlegen? Da könnte ja jeder kommen!“

„Bestimmt hat das dein Onkel schon längst erledigt“, vermutete Carolin.

Lina blies die Backen auf und blickte Nick ratlos an. „Keine Ahnung.“

Carolin hüpfte vom Gatter. „Ferdi und ich, wir gehen heute Abend ins Kino, kommt ihr mit, du und Thorben?“

Lina nickte. „Au ja! Treffen wir uns um halb sieben im Kino. Jetzt muss ich erst mal das mit Onkel Rocco regeln.“ Sprach’s und eilte davon.

Carolin und Ferdi waren schon vor halb sieben im Foyer des Kinos in Lilienthal.

„Ich hol mal einen Eimer Popcorn“, erklärte Ferdi und marschierte hinüber zu der kleinen Bar, wo es Getränke und Süßigkeiten gab. Carolin sah ihm nach. Dass Ferdi jetzt ihr Freund war, erschien ihr manchmal noch total unwirklich. Etliche Monate waren zwar vergangen, seit sie sich auf Jans Geburtstagsfeier so richtig nahe gekommen waren. Doch es fühlte sich ab und zu noch komisch und ungewohnt an. Ferdinand Reifenbach. Kurzes blondes Haar, wasserblaue Augen. Süße Sommersprossen. Mäßig begabter Reiter, genialer Eishockeyspieler, gehörte jetzt zu ihr. Und sie zu ihm. Erst bester Kumpel, jetzt Freund. „Carolinchen, ich hab mich in dich verliebt.“ Als er ihr mit diesen Worten seine Liebe gestand, hätte sie sich am liebsten die Ohren zugehalten. Carolin beobachtete Ferdi beim Popcornholen. Dieser Vollidiot macht mit seiner dämlichen Liebeserklärung alles kaputt, hatte sie damals gedacht. Doch dann hatte auch sie in ihrem Bauch die Schmetterlinge gespürt. Erst ganz sacht, dann immer heftiger.

„Hier, Carolinchen.“ Ferdi kam wieder zurück. In einer Hand hielt er eine riesige Tüte voll Popcorn, in der anderen eine Tüte Gummibärchen, die er ihr entgegenstreckte. „Nur für dich. Und ich pick dir auch jedes Weiße einzeln raus, versprochen.“

„Danke.“ Carolin grinste. Doch es war ein gutes Gefühl. Ein verdammt gutes sogar!

In diesem Moment stürmten Thorben und Lina Hand in Hand zur Eingangstür herein.

Thorben Sander war der Sohn von Lindenhains Tierarzt Dr. Joachim Sander und schon länger mit Lina zusammen. Carolin mochte Thorben. Und auch Ferdi und er kamen gut miteinander klar, daher unternahmen die vier auch immer wieder gemeinsam etwas.

„Hey, super, ich hab Megakohldampf“, freute sich Lina und fischte sich eine Hand voll Popcorn aus Ferdis Tüte.

„Ich besorg mal die Cola dazu“, verkündete Thorben und stellte sich an der Bar an.

„Weißt du schon mehr wegen Onkel Rocco?“, erkundigte sich Carolin gleich bei der Freundin.

Lina zuckte bedröppelt die Schultern. „Natürlich hat er noch keine Genehmigungen.“

Carolin zog eine Grimasse. Onkel Rocco und Behördenkram, das passte zusammen wie Salamischeiben auf Erdbeermarmelade. Nämlich gar nicht! „Und jetzt?“

„Keine Panik. Er muss sich die Papiere eben besorgen. Das kriegt er locker hin, meint er. Er kommt morgen früh und dann geh ich mit ihm zur Gemeinde.“ Lina sah Carolin an. „Kommst du mit? Wir haben doch erst in der dritten Stunde Unterricht?“

Carolin nickte eifrig. „Klar.“

Thorben kam mit zwei übergroßen Bechern Cola zurück. „Was gibt’s da zu tuscheln, Mädels?“

„Frag ich mich auch“, grinste Ferdi. „Die zwei sehen sich ständig, da müsste doch mal alles gesagt sein.“

„Tja, Mann“, meinte Thorben. „Es gibt Dinge bei Frauen, die wir Jungs wohl niemals verstehen werden.“

Lina klatschte in die Hände. „Lasst uns reingehen!“

Der Film war total langweilig und hatte noch dazu Überlänge. Aber Caro fand es schön, mal wieder mit Ferdi zu kuscheln.

Nach dem Film verabschiedeten sich die Freunde.

Ferdi begleitete Carolin nach Hause. Hand in Hand liefen sie durch die sternenklare Nacht. „Ich find’s klasse, dass wir endlich wieder was zusammen unternommen haben“, sagte Ferdi. „Du hast mich in den letzten Wochen ja schon ein bisschen vernachlässigt.“ Dann deutete er nach oben. „Welchen Stern soll ich dir runterholen?“

Carolin streckte den Kopf. „Hm, ich nehme den zweiten links hinter der Milchstraße.“

„Wird gemacht!“ Ferdi nickte ernst. „Gleich morgen früh werfe ich mein Raumschiff an.“

Carolin kicherte übermütig. „Nimmst du mich mit?“

Ferdi blieb stehen und zog sie an sich. „Wohin du willst!“

Carolin kuschelte sich in die Umarmung. „Ich hab dich lieb. Von hier bis zum Mond.“

„Was?“ Gespielt entsetzt schob sie Ferdi von sich. „Nur?“ „Okay, und wieder zurück.“

„Schon besser.“ Ferdi zog sie wieder an sich. „Ich hab dich lieb von hier bis zum Mars und wieder zurück.“

„Hm!“ Carolin überlegte. „Ist der Mars weiter weg als der Mond?“

„Aber hallo“, entgegnete Ferdi. „Auf dem Mond waren Menschen, auf dem Mars nur eine Sonde.“

„Na gut.“

„Ich hab dich lieb quer durch alle Galaxien.“ Ferdi drückte sie ganz fest an sich.

„He, Ferdi, du erdrückst mich“, nuschelte Carolin in seine Jacke.

Ferdi gab ihr einen Kuss. „Am liebsten würd ich dich nie wieder loslassen.“

Carolin seufzte tief. „Das musst du auch nicht. Nie wieder.“

Punkt halb acht Uhr hupte es am nächsten Morgen in der Breitensteinstraße 9. Zweimal, dreimal, viermal.

Ines Baumgarten, Carolins Mutter, die sich gerade eine Tasse Kaffee einschenkte, schob den Küchenvorhang zur Seite und spähte hinaus. „Was soll dieses dämliche Gehupe so früh am Morgen?“, schimpfte sie. „Der weckt die ganze Gegend auf!“

Carolin holte sich die Cornflakes-Schachtel aus dem obersten Fach des Küchenschranks. „Irgendein Durchgeknallter“, vermutete sie und ließ sich auf den Küchenstuhl fallen. Sie gähnte und streckte sich.

„Du, Caro“, meinte ihre Mutter, die immer noch zum Fenster hinausguckte. „Da draußen steht ein kunterbunt bemalter Kleinbus. Am Steuer sitzt ein Typ mit langen dunklen Haaren, dem ich nicht in der Nacht begegnen möchte. Neben ihm hockt deine Freundin und winkt. Ich befürchte fast, das Gehupe gilt dir.“

„Lina?“ Carolin schoss so schnell von ihrem Stuhl hoch, dass sie beinahe ihr Müsli vom Tisch gewischt hätte.

Ines nickte. „Die mit den wilden Locken.“

„Oh nee!“ Carolin zupfte an ihrem überlangen Pferde-Schlafshirt. „Ich bin noch nicht mal angezogen.“ Geschwind flitzte sie nach oben in ihr Zimmer, schlüpfte in ihre Jeans, zog einen Pulli an und lief zurück in die Küche. „Ich bin dann weg, Mam.“

„Caro, warte, du ...“

Doch da fiel die Tür schon hinter Carolin ins Schloss.

„Manno, wo bleibst du denn?“ Lina hopste aus dem Bus und machte Carolin die hintere Tür auf. „Du hast doch gesagt, dass du mit zur Gemeinde kommen willst.“

Rocco drehte sich um und zwinkerte Carolin zu. „Hi, Caro. Alles im grünen Bereich?“

Carolin zwinkerte zurück. „Logo!“ Rocco sah noch genau so aus, wie Carolin ihn in Erinnerung gehabt hatte: breite Schultern, athletische Figur, lange schwarze Korkenzieherlocken, warme braune Augen, dick mit schwarzem Kajal untermalt. Um seine Stirn war ein Tuch geschlungen.

„Wir können, Onkel Rocco“, übernahm Lina unternehmungslustig das Kommando. „Ich hab auch schon alle Infos. Wir müssen zu Herrn Werner Ganzenmüller im Ordnungsamt, der erteilt alle Genehmigungen. Das geht bestimmt ruck, zuck.“

Werner Ganzenmüller musterte Onkel Rocco mit einem durchdringenden Blick von oben bis unten. „Feuershow, Akrobatennummern, Pferdegala“, wiederholte er äußerst skeptisch und schob seine Goldrandbrille auf die Nasenspitze. „Meinen Sie wirklich, dass Sie in Lilienthal damit richtig sind?“

„Aber hallo!“, rief Lina gleich dazwischen. „Und wie.“

„Wäre das nicht eher ein angemessenes Programm für eine Großstadt?“, fasste Herr Ganzenmüller hartnäckig nach.

Onkel Rocco lächelte ihn freundlich an. „Ich denke schon, dass auch die Menschen hier in Lilienthal gute und künstlerisch wertvolle Unterhaltung zu schätzen wissen.“

„Nun ja.“ Herr Ganzenmüller räusperte sich und zwickte seine Augen zusammen. „Sie wissen ja sicher, dass Sie jede Menge Genehmigungen benötigen. Feuerschutz, Stromanschluss, Tierhaltung, Plakatierung, et cetera, et cetera.“

Onkel Rocco nickte. „Darüber bin ich mir durchaus im Klaren.“

„Also dann.“ Herr Ganzenmüller räusperte sich erneut. „Ich schlage vor, Sie nehmen erst mal die ganzen Anträge mit und füllen sie aus, dann sehen wir weiter. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte.“

Onkel Rocco verabschiedete sich von Werner Ganzenmüller und verließ dessen Büro. Carolin und Lina schlichen mit gesenkten Köpfen hinterher. Mit einem freundlichen Lächeln drückte die Sekretärin Onkel Rocco dann einen Stoß Formulare in die Hand.

„So ein Vollidiot, dieser Ganzenmüller!“, wetterte Lina aufgebracht, als sie das Gebäude verließen.

Rocco fasste sich an den Kopf. „Mir war schon klar, dass das jede Menge Papierkram mit sich bringt, aber dass es so kompliziert sein würde ...“ Er wedelte mit dem Stapel Unterlagen.

„Und wie der dich angeguckt hat, als ob du geradewegs aus dem Weltall kommen würdest.“ Lina schimpfte wie ein Rohrspatz. „Echt das Hinterletzte! Aber das mit den ganzen Genehmigungen bekommst du doch hin. Oder, Onkel Rocco?“

Rocco zuckte nur die Achseln. Carolin warf Lina einen besorgten Blick zu. Das sah im Moment nicht wirklich gut aus!

Klappt der Plan?

Als Carolin wenig später in die Schule radelte, war auch noch die Bahnschranke zu. Lilienthal wurde durch die Schranke in zwei Teile geteilt. Die Breitensteinstraße, wo Carolin wohnte, lag auf der einen Seite, die Schule auf der anderen. Die Schranke war eins von Carolins Orakeln – war sie geschlossen, standen die Zeichen auf Sturm, stand die Schranke offen, versprach es ein guter Tag zu werden.

„Mist!“, murmelte Carolin und schaukelte ihr Rad ungeduldig zwischen den Beinen hin und her. Rocco hatte zwar angeboten, sie zur Schule zu bringen. Doch Carolin hatte keine Lust, nach Schulschluss den Bus zu nehmen und das letzte Stück zu laufen, und daher dankend abgelehnt. Es ist schon doof, überhaupt zu spät zu kommen! Aber zu spät zu kommen, wenn der Unterricht ohnehin erst in der dritten Stunde beginnt, ist oberdämlich, überlegte sie.

Als die Schranke endlich den Weg freigab, fuhr Carolin in Windeseile weiter, parkte dann ihr Rad und lief so schnell die Treppen hinauf, dass sie völlig außer Atem oben ankam. Die Tür zum Klassenzimmer war schon zu. Carolin holte tief Luft, dann drückte sie die Klinke.

Miss Peggy Strawberry, ihre Englischlehrerin, blickte ihr streng entgegen. „Carol, you are late.“ Sie schaute auf ihre Uhr. „Viel zu spät.“

Jaja, ich weiß, gab Carolin in Gedanken zu. „I’m sorry“, sagte sie laut und huschte an ihren Platz. Der Stuhl neben ihr war noch leer. Komisch! Lina, wo bist du?

„Do you know where Lina is?“, wollte Miss Strawberry auch gleich wissen.

Würde mich auch interessieren, dachte Carolin besorgt. Rocco wollte Lina doch eigentlich vor der Schule absetzen und dann wieder zurück nach Berlin fahren. Lina, wo bist du?

Nach einer Stunde Englisch und einer Stunde Deutsch klingelte die Glocke zur großen Pause. Etwas beunruhigt stiefelte Carolin im Pausenhof auf und ab. Was, wenn Lina mit Rocco nach Berlin gefahren ist? Und überhaupt, was wird denn jetzt aus Roccos Show?

„Na Caro.“ Julias Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Julia Schlupf war das hübscheste Mädchen der Klasse – das bildete sie sich zumindest ein. Ihr Vater besaß die Strumpffabrik Cecila und hatte Geld wie Heu. Auch darauf bildete sich Julia mächtig viel ein. Carolin selber war Julia eigentlich egal. Doch es störte sie mächtig, dass sie sich immer wieder über Lina lustig machte.

„Was gibt’s, Julia?“

„Bist du denn jetzt so richtig mit Ferdinand Reifenbach zusammen?“, erkundigte sie sich neugierig.

Carolin grinste in sich hinein. Tja, das schmeckt dir gar nicht, du alte Giftspritze, dachte sie. Julia hatte Ferdinand kürzlich bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung in Grünstadt näher kennen gelernt und ihn und sein Geld höchst interessant gefunden. Ferdinands Eltern waren ähnlich wohlhabend wie die Schlupfs. „Wie kommst du denn da drauf?“, entgegnete Carolin betont unschuldig.

„Ihr seid gestern zusammen im Kino gesehen worden. Ihr habt rumgeknutscht.“ Julia zwinkerte ihr zu. „Ich versteh dich ja, Ferdinand ist echt ein ganz Süßer. Und so reich und kultiviert. Ich hab mich mit ihm auf dem Wohltätigkeitsdinner auch ganz prächtig unterhalten. Und er sich auch mit mir.“

Kommentarlos drehte Carolin sich um und ging. Was soll das, Julia?, dachte sie und ballte die Fäuste. Willst du mir damit sagen, dass du viel besser zu ihm passt als ich? Pech gehabt! Ferdi hat sich für mich entschieden!

Sofort nach der Schule machte sich Carolin auf den Weg zur großen Wiese am Rand von Lilienthal. Dort, wo Lina mit ihrer Großmutter wohnte. In Wohnwagen. Linas Eltern waren fast immer unterwegs. Sie zogen von einem Jahrmarkt zum anderen und verkauften ihre selbst gemachten Kräuterprodukte.

Carolin schob ihr Rad das letzte Stück auf dem schmalen Waldweg und schaute zuerst in den Wohnwagen von Lina, dann in den von Linas Großmutter Ami. Beide Wagen waren verschlossen, die Vorhänge zugezogen. Komisch! Keine Spur von Lina. Carolin ließ ihr Bike auf die Wiese fallen und lief hinüber bis ans Ufer des kleinen Sees. Linas Lieblingsplatz. Hierher kam Lina, wenn sie Kummer hatte oder nachdenken wollte. Carolin spähte umher. Kleine Wellen schwappten träge ans Ufer, auf dem Wasser schwammen ein paar Wildenten. Sonst war nichts zu sehen. Keine Lina. Keine Ami. Besorgt radelte Carolin nach Hause.

Dort empfing ihre Mutter sie schon mit hochgezogenen Augenbrauen. „Du schuldest mir eine Erklärung“, polterte sie los, noch ehe Carolin ihre Jacke ausgezogen hatte.

Carolin blickte Ines verwundert an. „Wieso das denn?“ Im Geiste ging sie rasch ihr Sündenregister durch, doch es fiel ihr beim besten Willen nichts ein. Selbst die letzte Mathearbeit war erstaunlicherweise ganz gut ausgefallen. Eine glatte Drei. Aber man wusste ja nie.

„Wer war dieser seltsame Mann, der dich heute Morgen abgeholt hat?“, fragte Ines.

Carolin winkte erleichtert ab. „Ach, das war nur Linas Onkel und der hat uns zur Schule gefahren.“ Na ja, stimmt nicht ganz, aber fast! Klingt aber immer noch besser als die Wahrheit.

Ines sah ihre Tochter streng an. „Ach ja? So früh? Und warum kommst du dann jetzt mit dem Rad zurück?“

Mist! „... weil ... weil ...“, stotterte Carolin. „Weil Lina und ich noch Hausaufgaben machen wollten und mein Rad bei ihr stand.“

„Aha“, sagte ihre Mutter wenig überzeugt.

„Genau. Was gibt’s zu essen?“, versuchte Carolin rasch abzulenken.

Ines griff nach einer Plastiktüte, die auf dem Küchenstuhl lag. „Stell dir vor, beim Imbiss an der Ecke gibt’s neuerdings Sushi zum Mitnehmen. Da konnte ich nicht widerstehen.“

Carolin verzog das Gesicht. „Ihhh, dieses Fischzeug ess ich nicht!“

Ungerührt holte Ines zwei mit Alufolie bedeckte Schälchen aus ihrer Plastiktüte und packte sie auf den Tisch. „Du hast Sushi noch nie probiert“, meinte sie und zog die Alufolie ab.

Carolin starrte auf die kleinen Fischpakete. „Du kannst mich nicht zwingen, Mam“, murmelte sie. „Das verstößt gegen das Jugendschutzgesetz, die Menschenwürde und bestimmt auch gegen das Tierschutzgesetz.“

„Ach was!“ Ines drückte Carolin auf den Stuhl. „Sushi ist gesund.“

Carolin deutete angewidert auf die Pakete. „Und womit ist das Zeug eingeschnürt?“

„Das ist Seetang, meine Liebe“, erklärte Ines und steckte genüsslich ein Paket in ihren Mund.

„Und was für eine ätzend grüne Krem ist das? Und dieses komische gelbliche Schwabbelzeug?“

„Ach komm, Caro, jetzt stell dich nicht so an!“ Ines schnappte sich das nächste Paket und tunkte es in die grüne Krem.

Carolin schüttelte energisch den Kopf. „Nee, Mam! Es gibt Grenzen. Und die sind bei toten Fischen mit Algenschleife eindeutig überschritten.“ Sie schaute auf die Uhr. „Und außerdem muss ich jetzt sowieso los. Ich hab Jan versprochen, ihm beim Stallausmisten zu helfen.“ Stimmte zwar nicht, aber auf der Flucht vor toten Fischen war Carolin jedes Mittel Recht.

Ines seufzte und zog Carolins Portion zu sich herüber.

Als Carolin schwungvoll in die Einfahrt nach Lindenhain einbog, erwartete sie eine Überraschung. Roccos kunstvoll bemalter Graffitibus parkte mitten auf dem Hof. Hofhund Herr Maier schnüffelte höchst aufgeregt daran herum, Hundedame Carolina saß vor der Hundehütte und beobachtete das Geschehen mit wachsamen Augen.

Was geht denn hier ab? Was will Rocco denn bei Gunnar?, schoss es Carolin durch den Kopf. Gunnar Hilmer war der Big Boss und Besitzer von Lindenhain. Sommer wie Winter trug er Cowboyhut und Cowboystiefel. Seit über sechs Jahren lebte er nun schon mit Vicky, seiner besseren Hälfte, auf dem Reiterhof.