Sternentänzer, Band 13 - Caro und das Mädchen im Moor - Lisa Capelli - E-Book

Sternentänzer, Band 13 - Caro und das Mädchen im Moor E-Book

Lisa Capelli

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Beschreibung

Caro entdeckt im Wald eine geheimnisvolle Moorleiche. Nach und nach findet sie heraus, dass um den Tod dieses Mädchens viele unheimliche Geschichten ranken. Ist es eines natürlichen Todes gestorben, oder war es sogar Mord? Caro bräuchte nun dringend die Hilfe ihrer Freunde, um mit ihnen das Geheimnis zu lösen. Doch Lina, Ferdi und Thorben sind weg. Caro fühlt sich im Stich gelassen. Jetzt kann sie nur noch auf Sternentänzer zählen …

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In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:

Band 1:   Das Rätsel um den weißen Hengst,

Band 2:   Das geheimnisvolle Mädchen

Band 3:   Weißer Hengst in Gefahr

Band 4:   Caro unter Verdacht

Band 5:   Rettung für Lindenhain

Band 6:   Bedrohung für den weißen Hengst

Band 7:   Letzter Auftritt des weißen Hengstes?

Band 8:   Der unheimliche Pferdehof

Band 9:   Zeit der Entscheidung

Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal

Band 11: Silbersterns Geheimnis

Band 12: Abschied mit Folgen

Band 13: Caro und das Mädchen im Moor

Band 14: Ponys in Not

Band 15: Eine rätselhafte Vision

Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine

Band 17: Caro und die weiße Stute

Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes

Band 19: Achterbahn der Gefühle

Band 20: Die geheimnisvollen Briefe

Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung

Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe

Band 23: Geister aus der Vergangenheit

Band 24: Die Magie des weißen Hengstes

Band 25: Voller Einsatz für Lina

Band 26: Verwirrung des Herzens

Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau

Band 28: Aufregung um Stute Aziza

Band 29: Eine Reise voller Überraschungen

Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb

Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe

Band 32: Ein unglaublicher Verdacht

Band 33: Die verschwundenen Ponys

Band 34: Caro gibt nicht auf

Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain

Band 36: Feuerprobe für die Liebe

Band 37: Wo ist Sternentänzer?

Sternentänzer

Caro und das Mädchen im Moor

Lisa Capelli

Band 13

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich.

Sternentänzer, Band 13 – Caro und das Mädchen im Moor© 2007 by Panini Verlags GmbH,Rotebühlstraße 87, 70178 StuttgartAlle Rechte vorbehaltenDino ist ein Imprint der Panini Verlags GmbH.

Chefredaktion: Claudia WeberRedaktion: Nicole HoffartLektorat: Sonja Wittlinger, Helga KronthalerUmschlag: tab indivisuell, StuttgartFotos: Mauritius; Bob LangrishSatz: CB Fotosatz & Werbeproduktion, Leinfelden-EchterdingenISBN: 978-3-8332-1540-7eISBN: 978-3-8332-3094-3

www.panini.de

Caro und das Mädchen im Moor

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein, und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.

Zucchini und andere Überraschungen

Eigentlich war alles wie immer auf dem Reiterhof Lindenhain. Hofhund Herr Maier döste vor seiner Hundehütte, Hofhahn Fridolin krähte lauthals auf dem Misthaufen hinter dem Stall, und aus dem kleinen Tümpel neben dem Haupthaus war das laute Quaken eines vorwitzigen Frosches zu hören. Die Wipfel der stolzen Linden, die hoch oben auf dem kleinen Hügel am anderen Ende der Koppel standen, bewegten sich ganz sacht im Wind. Und doch war alles ganz anders auf Lindenhain!

Carolin Baumgarten, genannt Caro, hockte auf der alten Holzbank vor dem Haupthaus. Sie hatte die Beine angezogen und mit den Armen umschlungen. Seufzend blickte sie sich um und kaute dabei auf ihrer Unterlippe, wie sie es immer tat, wenn sie nachdenklich war oder melancholisch – so wie jetzt gerade. Silberstern, Sternentänzers Sohn, war weg. Nicht einfach nur im Zirkus von Onkel Rocco auf dem großen Festplatz in Lilienthal wie noch vor einer Woche. Nein, Silberstern war richtig weg. Zusammen mit Annit und der ganzen Zirkustruppe.

Gedankenverloren blickte Carolin hinüber zur Weide. Für einen Augenblick schien es ihr, als würde er dort stehen – der herrliche pechschwarze Junghengst mit dem kleinen weißen Keilstern auf der Stirn – und ihr zuwiehern.

„Ach Silbersternchen, ich vermiss dich so!“, murmelte sie vor sich hin. „Dich und Cinderella – und Nick“, fügte sie seufzend hinzu. Nick war Lindenhains Mann für alles gewesen und so etwas wie ein großer Bruder für Carolin. Vor Kurzem jedoch hatte er seinen Job auf dem Reiterhof aufgegeben, um zu seiner Freundin Nina nach Berlin zu ziehen. Und die wunderschöne Stute Cinderella, Silbersterns Mutter, war inzwischen ebenfalls auf einem Reiterhof in Berlin untergebracht worden.

„He, Caro“, riss sie plötzlich eine Stimme aus ihren Gedanken.

Carolin sah auf und blickte in Jans Gesicht. Jan war Nicks Nachfolger. Er kümmerte sich jetzt um die Pferde, den Stall, den Auslauf, eigentlich um den ganzen Hof.

„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte er und schob eine blonde Haarsträhne, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte, zurück hinter sein Ohr.

„Ach nichts, ich hab nur gerade einen melancholischen Moment“, winkte Carolin ab.

„Dagegen kenn ich ein geniales Mittel“, grinste Jan und deutete auf die Mistgabel in seiner Hand. „Stall ausmisten vertreibt trübe Gedanken, anschließend bist du zu matt für Weltschmerz. Dann hast du nur noch Muskelkater und willst ab unter die Dusche.“

Carolin grinste zurück. „Nee danke, ganz so groß ist der Weltschmerz dann doch nicht.“

„Schade, ich könnte nämlich dringend Unterstützung gebrauchen!“, brummelte Jan, schulterte die Mistgabel und stiefelte weiter Richtung Stall.

Carolin ließ ihre Beine von der Bank baumeln. Warum müssen Veränderungen sein?, überlegte sie. Warum kann nicht einfach alles so bleiben, wie es ist, wenn alles passt? Warum kann man nicht einfach „Stopp!“ sagen, wenn sich nichts verändern soll? ...

Plötzlich spürte sie etwas Warmes, Weiches an ihrer Haut. Leise schnurrend strich ein kleines, pechschwarzes Kätzchen mit großen leuchtenden Augen um ihre Beine.

„Hey, du!“ Carolin lächelte zärtlich und hob das Wollknäuel auf ihren Schoß. Es war eines der vier Katzenbabys, die die Hofkatze Eulalia erst vor wenigen Wochen zur Welt gebracht hatte. Die alte Katze selbst hatte die Strapazen der Geburt nicht überstanden und war kurz danach gestorben. Sanft kraulte Carolin das kleine Kätzchen zwischen den Ohren und ließ ihre Finger durch das seidenweiche Fell gleiten.

Na ja! In diesem Fall hat eine Veränderung ja etwas Schönes hervorgebracht, überlegte Carolin und beschloss, ihre trüben Gedanken zum Mond zu schicken. Und solange sie ihren geliebten Sternentänzer hatte, war ja eigentlich auch alles in Ordnung. Wie immer, wenn Carolin an ihr prächtiges mondhelles Pferd dachte, machte ihr Herz einen kleinen Satz. Sie stand auf, setzte das Kätzchen sacht auf den Boden und entschied sich, mit Sternentänzer auszureiten.

Die Tür zum Haupthaus ging auf, und Gunnar, der Besitzer von Lindenhain, kam heraus. In der Hand hielt er seinen Cowboyhut und wedelte damit aufgebracht hin und her. „Nein, nein und nochmals nein!“, protestierte er dabei energisch.

Bevor Carolin nachfragen konnte, stürmte hinter ihm seine Lebensgefährtin Vicky durch die Tür. Auf dem Kopf hatte sie einen überdimensionalen Strohhut, über ihrer Reithose trug sie eine dunkelgrüne Gärtnerschürze, und in der linken Hand hielt sie einen großen bunten Korb aus Stroh.

„Das kommt absolut überhaupt nicht in Frage!“, schimpfte Gunnar lauthals weiter.

„Ach komm, Gunnar! Ich finde, das ist eine sehr gute Idee“, beharrte Vicky.

„Vergiss es, Vicky!“

„Nein.“

„Doch!“

Carolin musste lachen. Es sah wirklich zu komisch aus, wie sich die beiden wie wild gewordene Kampfhähne gegenüberstanden. „Worum geht’s eigentlich bei euch?“, erkundigte sie sich grinsend.

„Zucchini“, erklärte Vicky, ohne sie anzusehen.

„Hä?“ Gemüse war wirklich das Allerletzte, worauf Carolin getippt hätte.

Vicky deutete auf den kleinen, verwilderten Garten direkt neben dem Haupthaus. „Ich will dort Zucchini anpflanzen, aber ...“

„Wir sind ein Reiterhof und keine Gemüsefarm“, wetterte Gunnar. „Und überhaupt, ich hasse Zucchini, und dieses Zeug kommt mir ganz bestimmt nicht in meinen Garten.“

„Aber die sind doch so gesund und würden hier in dieser Sonnenlage bestens wachsen“, beharrte Vicky mit hochrotem Kopf.

„Nur über meine Leiche!“, knurrte Gunnar.

Wütend machte Vicky auf dem Absatz ihrer Reitstiefel kehrt und lief zurück ins Haus.

Gunnar blickte ihr kopfschüttelnd hinterher. „Zucchini anpflanzen ... ausgerechnet!“

„Wenigstens kann man damit keinen Kuchen backen“, kicherte Carolin. Vickys Backkünste waren berüchtigt. Denn sie schaffte es, selbst die allereinfachste Backmischung zu ruinieren. Aber leider backte sie leidenschaftlich gern und konnte sehr ungehalten werden, wenn man ihre Kuchen nicht probierte.

Gunnar verzog das Gesicht. „Toller Trost!“ Er setzte seinen Hut auf und marschierte mit großen Schritten Richtung Stall. Carolin folgte ihm.

„Wie geht’s deinem Sternentänzer denn so – ohne Silberstern?“, wollte Gunnar wissen.

„Alles klar, denk ich“, antwortete Carolin. „Er weiß ja, dass sein Sohn bei Annit in guten Händen ist. Und schließlich hat Sternentänzer ja noch mich“, fügte sie seufzend hinzu.

Die Absätze seiner Cowboystiefel klackerten laut, als Gunnar den Stallgang entlangschritt. Vor Silbersterns ehemaliger Box blieb er stehen. Sie war leer.

„Auf ein Neues!“, murmelte Gunnar und hängte ein neues Namensschild an den Nagel neben der Boxentür. „Hier werden wir demnächst unser neues Schulpferd einquartieren.“

Carolin fuhr sich durch ihre kurzen braunen Haare. „Wo ist denn eigentlich Silbersterns Namensschild?“, fragte sie dann. „Liegt das noch irgendwo herum?“

Gunnar nickte. Ja, bei mir im Büro. Du kannst es haben, wenn du willst. Komm einfach nachher mal vorbei.“

„Danke“, strahlte Carolin. „Annit hat mir zum Abschied ein altes Hufeisen von Silberstern geschenkt, mit dem Namensschild habe ich wenigstens zwei schöne Erinnerungen an Silberstern.“

Da ertönte aus der hinteren Ecke des Stalls lautes Wiehern. Gunnar deutete mit dem Kopf in die Richtung, aus der es kam. „Dein Typ wird verlangt!“

Carolin nickte und lief zu Sternentänzers Box. „Bloß gut, dass sein Namensschild niemals entfernt werden muss“, rief sie Gunnar noch zu. „Niemals!“

Wie zur Bestätigung empfing Sternentänzer sie mit heftigem Kopfnicken. Er bewegte seinen eleganten weißen Kopf mit dem kleinen schwarzen Keilstern hoch und runter und schnaubte dabei genüsslich. Doch Sternentänzer war nicht nur ein prächtiger Araberhengst, sondern auch ein Pferd mit einer ganz besonderen Gabe. Einer magischen Gabe: Und Carolin war diejenige, die diese magische Gabe nutzen konnte – wenn sie in einer Vollmondnacht auf Sternentänzer ausritt.

Carolin liebkoste zärtlich die samtweichen Nüstern des Hengstes. „Na, mein Süßer? Weißt du eigentlich, wie lieb ich dich hab?“, sagte sie und drückte ihr Gesicht fest gegen sein Fell.

„Und was ist mit mir?“

Carolin drehte sich um. In der offenen Boxentür stand Ferdi und grinste über das ganze Gesicht.

Carolin zwinkerte ihm vergnügt zu. „Dich natürlich auch – obwohl du nur zwei Beine hast.“

„Gravierender Konstruktionsfehler“, erwiderte Ferdi ernst. „Aber leider schwer zu beheben.“

„Kannst ja nichts dafür“, lachte Carolin und winkte großzügig ab.

Ferdinand Reifenbach war ihr Freund. Zusammen hatten sie schon jede Menge Abenteuer durchstanden. Eigentlich stammte Ferdi aus Berlin, aber seit einiger Zeit wohnte er im Ferienhaus auf Lindenhain. Zum einen, um näher bei Carolin zu sein, zum anderen, um ungestört seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Eishockeyspielen, nachgehen zu können.

Am Anfang hatte das seiner Mutter, der schwerreichen vornehmen Frau Reifenbach, überhaupt nicht gefallen. Doch als Ferdi mit seiner Mannschaft in der letzten Saison den Meistertitel in der Regionalliga geholt hatte, hatte sie ihre Meinung geändert. Plötzlich tat sie alles, um ihren Sohn zu unterstützen. Denn Meistertitel blieb schließlich Meistertitel!

„Hast du schon das Neueste von Thorben gehört?“, fragte Ferdi.

Carolin verließ mit Ferdi Sternentänzers Box. „Nee, was gibt’s denn?“

Thorben war der Sohn von Doktor Sander, dem Tierarzt von Lilienthal, und der Freund von Lina. Und Lina war Carolins beste Freundin.

„Thorben fliegt in die USA“, erklärte Ferdi. „Nach New York. Vier Wochen lang.“

„Boah!“, machte Carolin. „Echt? Wie das?“

Ferdi nickte. „Er hat mich gestern angerufen und wollte wissen, ob ich mich mit dem Visumskram auskenne und ihm was über die Einreisebestimmungen sagen kann.“

„Und was macht er so lange da drüben?“, erkundigte sich Carolin und schloss die Stalltür hinter sich.

„Ferien! Er hat eine Einladung von Freunden seiner Mutter bekommen, soviel ich weiß. Kam wohl ganz spontan.“ Ferdi legte den Arm um Carolin und zog sie an sich. „Aber ich dachte, du wüsstest bereits Bescheid.“

Carolin schüttelte den Kopf. „Keinen Schimmer!“ Sie kuschelte sich an Ferdis Schulter. „Arme Lina! Dann geht’s ihr so wie mir – vier Wochen ohne Freund.“ Sie blickte Ferdi ernst an. „Du gehst in Kürze ja auch in dieses Eishockey-Trainingslager. Sieht fast aus, als hättet ihr zwei euch abgesprochen.“ Sie seufzte. „Ich werd dich vermissen. Aber so können Lina und ich wenigstens mal wieder richtig viel gemeinsam unternehmen. In letzter Zeit haben wir nämlich viel zu wenig zusammen gemacht.“ Carolin boxte Ferdi in die Seite. „Ich muss sie gleich anrufen und Pläne schmieden.“

Ferdi zog eine Grimasse. „Freu dich mal lieber nicht zu früh.“

Carolin sah ihn verwundert an. „Warum das denn?“

„Thorben wollte Lina fragen, ob sie mitkommen will.“

Carolin sah Ferdi mit großen Augen an. „Wie? Lina? Vier Wochen in New York?“

„Warum nicht?“

Carolin grinste. „Ich versuche gerade, mir Lina im Großstadtdschungel vorzustellen. Ich glaub nicht, dass sie auf so was Lust hat.“

Die ungestüme Lina – das Naturmädchen mit ihren wilden, dunklen Locken, den geblümten Röcken, die sie übereinander trug, und den dicken Schnürstiefeln. Das passte so gar nicht zu Hochhäusern, Straßenschluchten und Einkaufsmeilen.

Wie auf ein Stichwort kam Lina in diesem Augenblick auf den Hof gerollt. Sie stellte ihr klappriges Uralt-Fahrrad neben Carolins und lief mit funkelnden Augen auf die beiden zu.

„Ihr glaubt nicht, was abgeht!“, rief sie schon von Weitem. Sie schien geladen wie eine Rakete kurz vor dem Abschuss. „Thorben geht in die USA, und er wollte, dass ich mitkomme“, sprudelte es aus ihr heraus. „Und ausgerechnet zur gleichen Zeit findet dieser dämliche Kurs statt, an dem ich unbedingt teilnehmen soll.“

„Was denn für ein Kurs?“, wiederholte Carolin überrascht.

Ferdi gab Carolin einen Kuss auf die Wange. „Ich seh schon, ihr zwei habt einiges zu bequatschen. Da lass ich euch lieber mal allein.“

Carolin packte Lina am Ärmel ihrer bunt gemusterten Bluse und zog sie auf die Holzbank, auf der sie schon vorher gesessen hatte. Jetzt erzähl mal der Reihe nach.“

Lina hockte sich im Schneidersitz auf die Bank. „Also: Thorben geht für vier Wochen nach Amerika, und er hat gefragt, ob ich mitwill.“

„Und?“

Lina zuckte mit den Schultern. „Lust hätte ich schon. Aber es wird nichts. Zu teuer. Thorben wird wohl allein fliegen müssen.“

Puh!, fuhr es Carolin durch den Kopf. Sie legte den Arm um die Schulter der Freundin und zog sie an sich. „Sei nicht traurig. Ferdi geht ja auch in dieses Trainingslager, und dann machen wir beide uns eben hier eine tolle Zeit.“

Lina lehnte den Kopf gegen Carolins Schulter. „Daraus wird leider nichts, Caro.“

„Aber wenn du nicht mit nach Amerika fliegst ...?“

„Ich hab dir doch schon mal erzählt, Ami will unbedingt, dass ich diesen Kurs für Hexerei und Heilerei mache“, seufzte Lina.

Ami war Linas ungewöhnliche Großmutter. Sie arbeitete als Kräuterhexe und Heilerin, und Lina nahm seit einiger Zeit Unterricht bei ihr. „Du hast meine übersinnliche Gabe geerbt, Lina, und da du meine Nachfolgerin werden sollst, musst du wissen, wie du damit umgehst“, pflegte die weise alte Frau zu sagen. „Du brauchst sehr viel Wissen dafür und eine gute Ausbildung.“

„Es reicht doch, wenn du mir alles beibringst“, hatte sich Lina bisher immer gewehrt, da sie überhaupt keine Lust auf einen Kurs hatte. Noch dazu vier Wochen lang und weit weg von Lilienthal!

Lina ringelte eine lange Locke um ihren Zeigefinger. „Nun, du kennst ja meine Ami. Ich kann sicher sein, sie wird nicht eher Ruhe geben, bis ich diesen Kurs besucht habe. Und da dachte ich mir, wenn Thorben jetzt weg ist, passt es auch ganz gut. Eigentlich ein optimaler Zeitpunkt.“

Carolin nagte an ihrer Unterlippe und blickte hinüber zur Koppel. „Und wann geht dieser Kurs los?“

Lina sah Carolin an. „Gleich nächste Woche“, sagte sie leise. „Ich hab mich schon angemeldet.“

Carolin schluckte. Vier Wochen ohne Lina. Und Ferdi wollte auch weg. Na toll!

Zwei Abschiede an einem Tag

Der Bus, der Lina nach Westerhofen bringen sollte, wo der magische Kurs stattfand, startete gegen Mittag. Carolin bestand darauf, ihre beste Freundin zu verabschieden. Jetzt standen die zwei Mädchen sich an der Bushaltestelle in Lilienthal gegenüber und hielten sich an den Händen.

Carolin räusperte sich. „Ich werde dich vermissen.“

„Ich vermiss dich jetzt schon“, sagte Lina mit ähnlich belegter Stimme.

„Keine Ahnung, was ich vier Wochen lang ohne dich machen soll“, murmelte Carolin traurig und versuchte, die Tränen wegzublinzeln. „Das wird total langweilig.“

„Du hast ja noch Sternentänzer“, presste Lina hervor.

Carolin nickte und lächelte ein wenig. „Das ist zwar nicht das Gleiche, aber ...“

„Ich schreib dir, Caro, jeden Tag. Eine Mail oder zwei oder drei“, versprach Lina.

„Ich schreib auch immer gleich zurück“, erwiderte Carolin und leckte die erste Träne weg, die über ihre Wange bis zum Mundwinkel gekullert war.

Lina ließ eine Hand los und wischte mit dem Ärmel ihrer Bluse über ihre Augen.

Mit einem lauten Geräusch ließ der Busfahrer gleich darauf die Gepäcklade zufallen und hievte sich hinter das Steuer. „Alle einsteigen!“

„Ich muss jetzt los“, sagte Lina.

„Ja“, presste Carolin hervor und fiel der Freundin schluchzend um den Hals. „Pass gut auf dich auf und bau keinen Mist!“, nuschelte sie in Linas Haare.

„Du auch“, schniefte Lina zurück. „Die vier Wochen gehen bestimmt total schnell rum.“

„Bestimmt.“

„Und dann bin ich wieder da.“

„Ja.“

„Ich freu mich schon.“

„Ich mich auch.“

Der Busfahrer drückte einmal kurz auf die Hupe, und Lina machte sich los.

„Tschüss, Caro“, verabschiedete sie sich und stieg ein. Hinter ihr schlossen sich die Bustüren, und der Bus startete.

„Tschüss, Lina“, murmelte Carolin noch und winkte dem Bus mit beiden Armen nach. Erst als er um die Häuserecke verschwunden war, ließ sie die Arme sinken und trottete betrübt zu ihrem Fahrrad.

Zögernd stieg sie auf und radelte Richtung Lindenhain. Ein merkwürdiges, leeres Gefühl machte sich in ihrem Bauch breit. Ach Lina, ich vermiss dich jetzt schon!, dachte sie und trat kräftiger in die Pedale – als könne sie so den Abschiedsschmerz verjagen. Carolin Baumgarten, reiß dich zusammen, ermahnte sie sich kurz darauf. Lina ist nicht für immer weg, sie besucht nur einen Kurs. In vier Wochen ist sie wieder da. Kein Grund zu trauern, als würde sie für immer ans Ende der Welt ziehen! Carolin legte den Kopf zurück und ließ sich den kühlen Fahrtwind um die Ohren wehen. Und außerdem – ein paar Tage hab ich ja wenigstens Ferdi noch. Da können wir was zusammen unternehmen, tröstete sie sich. Doch da sollte sie sich wohl täuschen!

In Gedanken damit beschäftigt, was sie mit Ferdi in den nächsten zwei Tagen so alles unternehmen könnte, bog Carolin in die Einfahrt nach Lindenhain ein. Auf dem Hof wartete ein Taxi. Nanu? Auf wen wartet das denn?, wunderte sich Carolin. Sind doch gar keine Feriengäste da, die abgeholt werden müssten! Sie parkte ihr Rad und spähte neugierig umher. Wäre aber gar nicht so schlecht, wenn demnächst ein paar neue Gäste kämen, überlegte sie dabei. Wenn sie nett wären, könnte ich mich mit denen ein bisschen anfreunden.

„Hi, Caro!“ Vicky stiefelte an ihr vorbei. Sie hatte ihre grüne Gärtnerschürze abgelegt und sah wieder ganz normal aus. Die Zucchini-Frage war offenbar geklärt. Und offenbar hatte Gunnar gewonnen.

„Hi, Vicky! Was ist mit dem Taxi? Auf wen wartet das hier?“

Vicky blieb stehen und runzelte die Stirn. „Keine Ahnung. Aber das heißt nichts. Gunnar hat mich wahrscheinlich nur nicht informiert. Wir sprechen momentan nämlich nicht viel miteinander.“

„Ah, Zucchini!“, grinste Carolin.

„Zucchini“, bestätigte Vicky und nickte. „Aber das letzte Wort ist da noch nicht gesprochen.“ Damit stiefelte sie davon.

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür des Ferienhauses, und Ferdi kam heraus. Mit einer dunkelblauen Tasche, die mindestens so groß war wie er – oder vielleicht sogar noch ein bisschen größer.

„Hi, Ferdi!“, rief Carolin ihm zu.

Als Ferdi Carolin sah, ließ er seine Tasche sinken und kam sofort auf sie zu.

„Ich hab gerade Lina zum Bus gebracht“, erzählte Carolin. „Nach Westerhofen. Blödes Gefühl! Aber dafür hab ich die nächsten paar Tage, bevor du zu deinem Eishockey-Training fährst, richtig viel Zeit für dich. Freust du dich?“, sprudelte es aus ihr heraus.

„Ähm …“, machte Ferdi und blickte so angestrengt auf den Boden, als würde sich unter seinen Füßen ein Schatz befinden.

„Wir können alles Mögliche unternehmen ...“, fuhr Carolin überschwänglich fort. „Klar, ein bisschen Zeit brauch ich für Sternentänzer, aber sonst ...“

„Caro, ich ...“, begann Ferdi stockend.

„Wir können zusammen ins Kino, Eisessen gehen oder ein Picknick machen.“

„Caro!“, setzte Ferdi wieder an.

„Nur wir zwei, das wird bestimmt toll“, schwärmte Carolin.

„Nein“, sagte Ferdi dann. Einfach nur nein!

Carolin schaute ihn verwirrt an. „Wie nein? Was meinst du mit nein?“ „Daraus wird leider nichts, Caro. Ich fahr heute schon weg.“

Soll das ein Scherz sein?, schoss es Carolin durch den Kopf. Doch Ferdi wirkte ernst. Aber das hieß nichts. Gar nichts. Ferdi konnte die besten Witze reißen und dazu ein undurchdringliches Pokergesicht aufsetzen. „Sehr witzig, Ferdi!“

Ferdi schüttelte den Kopf. „Das ist kein Witz, Caro.“ Er holte tief Luft. „Meine Mutter will, dass ich sie vor dem Trainingslager noch kurz in Berlin besuche. Und das konnte ich ihr nicht ausreden.“

„Und wieso erfahre ich das erst jetzt?“, fragte Carolin verduzt.

Er sah sie schuldbewusst an. „Na ja, meine Mutter kam mit dieser Idee erst vor zwei Tagen an. Und da ich wusste, wie betrübt du wegen Linas Abreise bist, wollte ich dir nicht kurz vor ihrer Abfahrt noch eine weitere schlechte Nachricht überbringen“, gestand er schließlich.

„Und wann hattest du vor, mich zu informieren? Wenn du dann in Berlin angekommen wärst oder was?“ Carolin starrte ihn wutschnaubend an.

Ferdi runzelte die Stirn, blies die Backen auf und kratzte sich am Kopf. „Ich wollte eben, bevor ich zum Bahnhof fahre, noch bei dir vorbeikommen und dir alles sagen. Ich dachte, ein kurzer Abschied tut weniger weh.“

„Pah!“, antwortete Carolin nur. Ihre wütenden Augen funkelten.

„Ich weiß, ich hätte es dir früher sagen sollen. Aber du kennst ja meine Mutter – wenn die sich was in den Kopf setzt, ist sie nicht zu bremsen. Ich wusste, dass du traurig sein würdest und hatte daher auch überlegt, ob ich das Trainingslager absagen und nach dem Besuch bei meiner Mutter zu dir zurückkommen soll. Aber wenn ich bei dem Training nicht dabei bin, kann ich einen Platz in der Stamm-Mannschaft in der nächsten Saison abschreiben. Dann wär ich weg vom Fenster und könnte auf der Ersatzbank vor mich hinschimmeln.“ Ferdi hob etwas hilflos die Arme. „Jetzt, da wir doch aufgestiegen sind, wird richtig gepowert.“

Carolin fuhr sich mit beiden Händen durch ihre kurzen dunklen Haare. Sie schluckte. Stand da. Wusste nicht mehr, was sie noch sagen sollte. Zweimal Abschied an einem Tag war einfach zu viel. Viel zu viel. Zweimal zu viel.

Ferdi blickte sie zerknirscht an. Dann deutete er auf das wartende Taxi. „Ich glaub, ich muss los, Caro.“

Carolin nickte. „Schon okay“, murmelte sie enttäuscht. „Geh nur.“

Ferdi legte den Arm um sie. „Die Zeit geht schnell rum, Caro. Ich meld mich auch jeden Tag bei dir. Versprochen.“

„Okay.“ Carolin befreite sich aus seiner Umarmung. „Geh, dein Taxi wartet.“

Ferdi packte sie an der Schulter und zog sie zu sich. „Du bist sauer, weil ich es dir nicht früher gesagt hab. Das merk ich doch.“

Sauer? Obermegasauer trifft es eher, dachte Carolin bitter. Oder besser enttäuscht. Traurig. Entsetzt. Fassungslos. „Nee nee, passt schon“, sagte sie laut. „Ich weiß ja, wie wichtig dir dein Eishockey ist.“

Ferdi drückte sie ganz fest an sich. „Du bist die allerbeste Freundin der Welt. Ich hab dich lieb von hier bis zum Mars.“

„Schön“, murmelte Carolin.

Ferdi drückte sie noch fester an sich. „Und wenn wir alle wieder da sind, machen wir eine riesengroße Fete. Die größte Fete, die Lindenhain je gesehen hat.“

Super! Und was mach ich in der Zwischenzeit? Die Party vorbereiten?

„Pass gut auf dich auf!“ Ferdi drückte sie noch einmal ganz fest an sich, dann ließ er sie los. „Ich muss.“ Er holte seine große Tasche und lief zum Taxi.