Sternentänzer, Band 16 - Das Geheimnis der Schlossruine - Lisa Capelli - E-Book

Sternentänzer, Band 16 - Das Geheimnis der Schlossruine E-Book

Lisa Capelli

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Beschreibung

Dass Carolin auf dem magischen Pferd Sternentänzer bei ihren Vollmondritten manchmal merkwürdige Zukunftsvisionen hat, daran hat sie sich gewöhnt. Doch was der weiße Hengst ihr jetzt zeigt, ist ihr ein völliges Rätsel: Sie sieht sich mit ihrem geliebten Pferd allein in einem fremden Land. Was will ihr Sternentänzer damit sagen? Wird sie vielleicht ihre Mutter verlassen müssen, um in Zukunft bei ihrem Vater in Spanien zu leben? Caro hofft, die Erklärung für Sternentänzers Botschaft in der geheimnisvollen Geschichte von Schloss Amorbach zu finden. Einer Geschichte, die das Leben von Caro ziemlich durcheinanderbringt …

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In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:

Band   1: Das Rätsel um den weißen Hengst,

Band   2: Das geheimnisvolle Mädchen

Band   3: Weißer Hengst in Gefahr

Band   4: Caro unter Verdacht

Band   5: Rettung für Lindenhain

Band   6: Bedrohung für den weißen Hengst

Band   7: Letzter Auftritt des weißen Hengstes?

Band   8: Der unheimliche Pferdehof

Band   9: Zeit der Entscheidung

Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal

Band 11: Silbersterns Geheimnis

Band 12: Abschied mit Folgen

Band 13: Caro und das Mädchen im Moor

Band 14: Ponys in Not

Band 15: Eine rätselhafte Vision

Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine

Band 17: Caro und die weiße Stute

Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes

Band 19: Achterbahn der Gefühle

Band 20: Die geheimnisvollen Briefe

Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung

Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe

Band 23: Geister aus der Vergangenheit

Band 24: Die Magie des weißen Hengstes

Band 25: Voller Einsatz für Lina

Band 26: Verwirrung des Herzens

Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau

Band 28: Aufregung um Stute Aziza

Band 29: Eine Reise voller Überraschungen

Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb

Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe

Band 32: Ein unglaublicher Verdacht

Band 33: Die verschwundenen Ponys

Band 34: Caro gibt nicht auf

Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain

Band 36: Feuerprobe für die Liebe

Band 37: Wo ist Sternentänzer?

Sternentäenzer

Das Geheimnisder Schlossruine

Lisa Capelli

Band 16

Die Deutsche Bibliothek – CIP-EinheitsaufnahmeEin Titeldatensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich.

Sternentänzer, Band 16 – Das Geheimnis der Schlossruine© 2007 by Panini Verlags GmbH,Rotebühlstraße 87, 70178 StuttgartAlle Rechte vorbehalten

Chefredaktion: Claudia WeberRedaktion: Nicole Hoffart (verantw.), Birgitt KehrerLektorat: Sonja Lehmann, Helga KronthalerUmschlag: tab indivisuell, StuttgartFotos: Bob Langrish; Mauritius; pixelio.deISBN 978-3-8332-1543-8eISBN 978-3-8332-3097-4

www.panini.de

Das Geheimnis der Schlossruine

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein, und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern

Ein Brief sorgt für Aufregung

Als Carolin Baumgarten, genannt Caro, an diesem sonnigen Morgen die Augen aufschlug, wusste sie im ersten Moment gar nicht so recht, wo sie eigentlich war. Ihr Blick fiel auf große braune, mit schwarzem Filzstift beschriftete Umzugskartons und vier leere weiße Wände. Durch das gekippte Fenster hörte sie mehrstimmiges Vogelgezwitscher. Gähnend stand sie auf und tapste mit nackten Füßen über den Parkettboden zum Fenster. Ahornweg 16. Ein neues Haus, ein neues Leben.

Aber das war nicht alles. Das merkwürdige Gefühl in Carolins Bauch hatte mit dem Umzug nichts zu tun. Schlaftrunken lehnte sie sich gegen den Fensterrahmen, schloss die Augen und erinnerte sich an den Moment, als der Postbote gestern den Brief gebracht hatte. Den Brief, der möglicherweise ihr ganzes Leben ändern würde. Für immer!

„Caro!“, ertönte da von unten die Stimme ihrer Mutter. „Komm frühstücken! Es ist schon spät!“

Trotz ihres Kummers musste Carolin ein klein wenig schmunzeln. Der Aufruf zum Frühstück klang noch genau so wie zuvor in der Breitensteinstraße. Carolin streckte sich, wühlte aus einem der braunen Umzugskartons eine Jeans, durchsuchte den nächsten Karton und noch zwei weitere.

„Caro!“

Wo hab ich bloß meine T-Shirts hin?, überlegte Carolin fieberhaft und suchte weiter. Der Karton, auf dem Klamotten stand, war voller Pferdezeitschriften, Bücher und Poster. Schließlich zog sie ein dunkelblaues Shirt aus dem Karton, auf dem Bücher stand.

Mit einer schnellen Bewegung fuhr sie sich durch ihr kurzes, braunes Haar und stürmte aus ihrem Zimmer.

Auf dem Gang wäre sie fast mit Thorben zusammengestoßen, der in einem knallig blauen Spiderman-Schlafanzug und mit ziemlich verstrubbelten Locken sowie einer äußerst missmutigen Miene Richtung Bad schlurfte. „Ey, hast du Tomaten auf den Augen?“, brummte er verschlafen und schlurfte weiter.

„Ey, selber!“, gab Carolin zurück. Nein, nichts ist mehr wie früher! Überhaupt nichts!, fügte sie in Gedanken hinzu.

Carolin hastete die Stufen hinunter in die Küche. Es war ein großer, heller Raum mit einem breiten Küchentisch, auf dem vier Gedecke lagen. Es duftete nach Kaffee und verbranntem Toast. Ines hantierte auf der Arbeitsplatte mit dem Toaster. An der Art, wie sie das Gerät schüttelte, merkte Carolin, dass ihre Mutter aufgebracht war.

„Morgen, Mam“, rief Carolin ihr entgegen.

Mit einem lauten, heftigen Knall stellte Ines den Toaster auf den Tisch. „Mistding!“, wütete sie dabei. Dann fuhr sie zu Carolin herum. „Muss er denn immer alles kaputt machen?“ In ihren Augen schimmerten Tränen.

Carolin war klar, dass es Ines nicht um den Toaster ging, sondern um den Brief ihres Vaters, der gestern gekommen war. In diesem Brief hatte Paul Baumgarten angekündigt, dass er das alleinige Sorgerecht für seine Tochter beantragen und sie nach Mallorca holen wolle.

Carolin setzte sich an den großen Tisch und fühlte sich einen Moment lang völlig verloren. „Ich geh da auf überhaupt gar keinen Fall hin, Mam“, murmelte sie. Nie im Leben werde ich Lilienthal verlassen, meine Freunde, meinen Reiterhof und meinen wunderschönen, über alles geliebten Sternentänzer, fügte sie in Gedanken hinzu. Niemals, Paps! Das kannst du so was von vergessen!

Ines atmete tief durch und bemühte sich sichtlich, sich zusammenzunehmen. Sie holte die Milch aus dem Kühlschrank und goss sie in Carolins Müslischale. „Natürlich nicht“, sagte sie und versuchte, ihre Stimme heiter klingen zu lassen. „Ich ärgere mich nur über ihn, das ist alles. Und es ärgert mich noch viel mehr, dass er es immer noch schafft, mich zu ärgern.“

Carolin kippte eine Portion Schokomüsli in die Milch.

Ines goss sich Kaffee in eine Tasse und setzte sich zu ihrer Tochter. „Hast du denn was Schönes geträumt, Schatz? Du weißt ja, dass das, was man in der ersten Nacht in einem neuen Haus träumt, in Erfüllung geht.“

Carolin schüttelte den Kopf. Sie hatte tief und fest geschlafen und überhaupt nichts geträumt. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Omen? Sie tunkte ihren Löffel in die Schale und rührte durch die Milch. „Kann er das denn überhaupt?“, fragte sie dann leise.

Ines wusste sofort, was gemeint war. Liebevoll legte sie eine Hand auf Carolins Arm. „Das werde ich niemals zulassen, Caro. Darauf kannst du dich verlassen“, erklärte sie mit fester Stimme.

„Ganz so einfach ist das nämlich alles nicht.“ Mit diesen Worten betrat Dr. Sander die Küche. Er war Tierarzt in Lilienthal und hatte erst vor Kurzem Carolins Mutter geheiratet. Dr. Sander beugte sich über Ines, gab ihr einen liebevollen Kuss auf die Nasenspitze und setzte sich zu ihnen an den Tisch.

Carolins Blick wanderte von ihrer Mutter zu ihrem neuen Vater und wieder zurück. Ein merkwürdiges Gefühl, am Morgen nicht mehr allein mit Ines zu sein, sondern Thorben auf dem Weg ins Bad zu begegnen und dem Doc beim Frühstück, überlegte sie.

Geschäftig sprang Ines gleich auf. „Was magst du denn trinken, Jo?“

Dr. Sander zwinkerte Carolin zu. „Alles, außer grünen Tee.“

Carolin musste schmunzeln. Dr. Sander gehörte genau wie sie zu der bodenständigen Type Mensch und hatte mit Ines’ Vorliebe für exotische Gerichte und Getränke schon leidvolle Erfahrungen gemacht.

Da schlappte auch Thorben in die Küche, ein undeutliches „Morgen“ murmelnd. Er war inzwischen zwar gewaschen und gekämmt und trug statt des Spiderman-Schlafanzugs Jeans und einen Pulli. Doch seine Miene war immer noch ziemlich finster.

„Vorsicht, bissig!“ Dr. Sander zwinkerte Carolin noch einmal zu. „Mein Herr Sohn ist ein ausgesprochener Morgenmuffel.“

Ines stellte ihrem frisch gebackenen Ehemann eine Tasse Kaffee hin und goss Milch in Thorbens Müslischale. Dann setzte sie sich wieder hin.

Thorben starrte so beharrlich auf den Tisch, als würde er sich das rot-weiße Karomuster der Tischdecke für immer einprägen wollen.

„Jedenfalls“, meinte Dr. Sander, nachdem er einen Schluck Kaffee getrunken hatte, „geht das alles wie gesagt nicht so einfach.“ Er blickte auf seine Armbanduhr. „Ich habe jetzt gleich einen Termin bei einem Schulfreund von mir, der ist Anwalt. Mit ihm werde ich die Angelegenheit mal besprechen.“ Damit stand er auf. „Heute Nachmittag wissen wir mehr.“ Er küsste Ines kurz, schnappte sich seine große schwarze Tasche, dann war er auch schon verschwunden.

Carolin schnaufte tief durch und löffelte weiter ihr Müsli. Ab und zu warf sie einen Blick zu Thorben, der dasaß, als hätte seine Mutter – und nicht ihr Vater – angedroht, ihn wegzuholen.

Das kann ja heiter werden!, dachte Carolin bedrückt und spürte Sehnsucht nach den unbeschwerten Zeiten, als sie mit ihrer Mutter noch in der kleinen Doppelhaushälfte in der Breitensteinstraße gewohnt hatte. Da war meine Welt noch überschaubar und in Ordnung!, seufzte sie.

Auch der Schulweg war nicht mehr der alte. Vom Ahornweg aus musste Carolin ein paar Minuten länger radeln, bis sie die Bahnschranke erreicht hatte, die Lilienthal in zwei Hälften teilte. Natürlich war die Schranke geschlossen – wie konnte es auch anders sein an so einem Tag wie heute!

Ungeduldig balancierte Carolin das Rad zwischen ihren Beinen hin und her. Die Schranke stellte für sie schon seit jeher so etwas wie ein Orakel dar. War sie offen, versprach es, ein guter Tag zu werden – war sie hingegen geschlossen, bedeutete dies einen schlechten Tag für sie.

Es kam Carolin vor wie eine Ewigkeit, bis endlich der kleine Zug die Schienen entlangratterte und sich die Schranke wieder öffnete. Beinahe mit dem Gongschlag huschte sie ins Klassenzimmer. Aber sie war nicht die Allerletzte. Denn gleich darauf ging die Tür erneut auf, und Julia Schlupf kam herein.

Den Eltern der hübschen Julia gehörte die Strumpffabrik Cecilia, und sie hatten richtig viel Geld. Das ließ sich Julia nur zu gerne anmerken. Wegen ihrer verwöhnten, arroganten und zickigen Art hatte sie wenige Freunde in der Klasse. Nur Viola Glas, eine neue Mitschülerin, die genauso eingebildet und zickig war wie Julia, verstand sich bestens mit ihr. Und Heike Fichte, ein unscheinbares Mädchen mit halblangen mahagonifarbenen Haaren und Sommersprossen, die neben Julia saß und sie abgöttisch bewunderte.

An diesem Morgen sah Julia etwas merkwürdig aus. Ihre langen blonden Haare fielen in frisch geformten Wellen auf ihre zierlichen Schultern, ihre Augen waren dramatisch schwarz umrandet, und ihre Lippen schimmerten korallenrot. Außer Atem setzte sie sich auf ihren Stuhl neben Heike.

Carolin ließ sich auf ihrem Platz neben Lina nieder. Lina Schniggenfittich war Carolins beste Freundin und zugleich die Freundin von Thorben. Sie war ein ganz besonderes Mädchen, das am liebsten mehrere geblümte Röcke übereinander trug, dazu eine geschnürte Bluse und Schnürstiefel. Sie hatte eine wilde rote Lockenmähne und wunderschöne leuchtend grüne Augen.

„Und? Wie geht’s?“, fragte Lina vorsichtig. In ihrer Stimme schwang Besorgnis. Carolin hatte die Freundin noch am Abend angerufen und von dem Brief ihres Vaters erzählt.

„Schon okay.“ Carolin nickte tapfer. „Der Doc ist heute beim Anwalt. So einfach geht das alles nicht, wie sich mein Paps das vorstellt, sagt er.“

Lina blies ihre Backen auf. „Na ja, ich hätte trotzdem ganz schön Panik an deiner Stelle. Mit dem richtigen Anwalt kriegt der doch alles hin.“

Danke, Lina! Statt einer Antwort durchstöberte Carolin ihre Schultasche und kramte ein paar Hefte hervor.

„Ich wüsste echt nicht, was ich ohne dich machen soll“, fügte Lina dann noch hinzu. „Wenn du plötzlich einfach weg wärst ... und noch dazu so weit weg!“

Super, Lina! Carolin hatte alle Mühe, den dicken Kloß wegzuschlucken, der sich in ihrem Hals gebildet hatte.

In diesem Augenblick betrat zum Glück ihre Englischlehrerin Miss Somerset das Klassenzimmer, und die Unterhaltung war zwangsläufig beendet.

„Good morning, my friends“, flötete die junge Frau mit dem aschblonden kurzen Haar und zog aus ihrer Designertasche das Englischbuch heraus.

Muss Carolin nach Mallorca ziehen?

Nach der Schule machte sich Carolin schnurstracks auf den Nachhauseweg. Auf einmal klingelte es hinter ihr so heftig, dass sie vor Schreck fast vom Rad gefallen wäre.

„Hi, Stief-Halbschwester!“ Thorben schloss mit seinem Mountainbike auf.

„Hi!“ Carolin war nicht zu Scherzen aufgelegt.

„Wir haben jetzt den gleichen Schulweg“, erklärte er, während er in Schlangenlinien neben ihr herfuhr.

„Wir wohnen ja auch im gleichen Haus“, gab Carolin trocken zurück.

„Sorry wegen heute Morgen, aber gleich nach dem Aufstehen hab ich meistens superschlechte Laune.“

„Hab ich gemerkt.“ Carolin trat schneller in die Pedale.

Thorben folgte ihr. „Du hast doch bestimmt auch ein paar Macken, oder?“, rief er ihr zu.

Carolin grinste ihn an. „In Vollmondnächten – wenn alle schlafen – schleiche ich mich gelegentlich aus dem Haus, gehe nach Lindenhain und reite mit meinem magischen Sternentänzer aus, sonst bin ich okay“, versuchte sie zu witzeln und verzog spöttisch das Gesicht.

Thorben verdrehte die Augen. „Sehr witzig!“

Carolin schmunzelte in sich hinein. Wenn du wüsstest, dass das die Wahrheit ist! Sternentänzer war ihr über alles geliebtes Pferd, ein wunderschöner mondheller Araberhengst, der eine magische Gabe besaß. Wenn Carolin in Vollmondnächten auf dem Schimmel ausritt und ihm eine konkrete Frage stellte, ermöglichte er ihr durch eine Vision einen Blick in die Zukunft.

Carolin radelte wieder etwas langsamer. Thorben auch. „Wir müssen einfach die Vorteile aus unserer neuen Verbindung suchen, Caro“, sagte er dann ernst. „Ändern können wir es sowieso nicht mehr. Wir werden uns nun eine ganze Weile am Frühstückstisch und auch sonst begegnen.“

Wenn ich nicht bald bei Paul auf Mallorca sitze, schoss es Carolin mit einem Anflug von Verzweiflung durch den Kopf. Obwohl sie sich nach Kräften bemühte, nicht daran zu denken, kam ihr immer wieder dieser Gedanke.

„Wir könnten uns zum Beispiel bei der Hausi helfen“, schlug Thorben pragmatisch vor. „In welchen Fächern bist du denn gut?“ Thorben ging in die gleiche Schule, ja sogar in die gleiche Klasse wie sie.

„Na, das weißt du doch. Überall mittel und in Mathe schlecht“, erklärte Carolin und bog in den Ahornweg.

Thorben fuhr ihr nach. „Ich bin grottenschlecht in Deutsch, alles andere haut ganz gut hin.“

Vor dem hellgelben Haus mit der Nummer 16 stieg Carolin ab und parkte ihr Rad. „Dann ist meine Mathe-Hausi in Zukunft ja gerettet“, murmelte sie ohne allzu große Begeisterung. Momentan gab es in ihrem Leben ein weitaus schwierigeres Problem zu lösen als eine Matheaufgabe.

Thorben stieg auch ab und fasste sie rasch an der Schulter. „He, Caro, das mit deinem Vater kriegen wir schon geregelt“, versuchte er, sie zu trösten. „So leicht wirst du uns nicht mehr los. Wir halten zusammen.“

Carolin lächelte leicht.

Ines und Dr. Sander waren schon da, als Carolin und Thorben ins Haus kamen. Sie standen im Wohnzimmer und unterhielten sich heftig gestikulierend.

„Hi!“

Ines drehte den Kopf und winkte Carolin und Thorben heran. „Jo hat mit seinem Freund, dem Anwalt, gesprochen“, begann sie gleich. Sie ging einen Schritt auf Carolin zu und legte den Arm um die Schulter ihrer Tochter.

„Leider ist mein Freund nur auf Verkehrsrecht spezialisiert, nicht auf Familienrecht“, ergänzte Dr. Sander.

„Wie dem auch sei – jedenfalls hat er Jo versichert, dass wir keine Angst haben müssen“, erklärte Ines. „Nur wenn wirklich schwerwiegende Gründe vorliegen und ein Kind gefährdet ist, kann das Sorgerecht entzogen werden.“

„Selbst eine Änderung des Aufenthaltsbestimmungsrechts kann er nicht so einfach durchsetzen“, fügte Dr. Sander hinzu und lächelte aufmunternd in die Runde.

Liebevoll strich Ines über Carolins Haar. „Du wirst sehen, mein Schatz, alles wird gut.“

Carolin nickte tapfer, obwohl sie am Klang von Ines’ Stimme merkte, dass auch ihre Mutter noch nicht so ganz davon überzeugt war.

Ines rieb sich die Hände. „Also gut, dann werde ich mich mal um das Mittagessen kümmern.“

„Mam“, unterbrach Carolin sie. „Ich hab keinen Hunger. Kann ich gleich nach Lindenhain?“

Ines warf einen fragenden Blick zu Dr. Sander. Als der nickte, bejahte sie. „In Ordnung, aber du musst doch was essen.“

„Ich kaufe mir unterwegs ein belegtes Brötchen“, erklärte Carolin und war auch schon weg.

So schnell sie konnte, radelte sie nach Lindenhain. Dem einzigen Ort, an dem noch alles so war wie immer. Dem einzigen Ort, der ihr wirklich noch vorkam wie ein Zuhause.

An der Hofeinfahrt blieb sie kurz stehen und ließ ihren Blick schweifen. Der Reiterhof Lindenhain erhob sich auf einem sanften grünen Hügel zwischen großen, knorrigen, alten Linden. Er bestand aus einem langen, hellgelben Stall mit blauen Türen und einem Auslauf davor, einem Reitplatz, einem großen Paddock mit blauem Holzzaun, einer Reithalle, dem Haupthaus mit dem kleinen Gemüsegarten und dem Teich davor. Nicht weit entfernt davon befand sich das zweistöckige terrakottafarbene Ferienhaus mit den grünen Fensterläden und dem herrlichen Blumenschmuck vor den Fenstern. Daneben erstreckte sich die riesige Koppel für die Pferde.

Auf Lindenhain sah alles aus wie immer. Carolin schob ihr Rad in den Hof und stellte es vor dem Haupthaus ab. Schnurstracks flitzte sie dann in den Stall zu ihrem Pferd.

Sternentänzer wieherte ihr schon freudig entgegen. Carolin drückte ihre Wange gegen sein helles, seidenweiches Fell. „Mein Süßer, wenigstens du bist noch so wie immer!“

Wie zur Bestätigung drehte der Hengst den Kopf und stupste sie sanft in die Seite.

„He, lass das!“, schmunzelte Carolin und fühlte sich gleich ein bisschen besser – wie immer, wenn sie bei ihrem geliebten Pferd war. „Ach, Sternentänzer“, seufzte sie und ließ sich auf einen Strohballen in der Ecke fallen. „Warum tut mir Paps das an? Was soll das?“, murmelte sie. „Was soll ich denn auf Mallorca?“

Als Carolin ihren Vater das letzte Mal getroffen hatte, hatte er sich nicht wirklich interessiert für ihr Leben gezeigt. Und auch all seine Mails waren ziemlich nüchtern gewesen. „Paps wollte nicht mal richtig wissen, wie es mir geht. Verstehst du, Sternentänzer? Ich meine: so richtig?“ In Carolins Augen schimmerten Tränen der Verzweiflung. „Er kommt mir vor wie ein Fremder. Wie aus einer völlig anderen Welt. Und in diese Welt will er mich jetzt holen?“

Sternentänzer kam näher, schnaubte und schnupperte tröstend über ihr Gesicht. „Er hat doch immer so von seinem Leben auf Mallorca geschwärmt! Hatte immer neue Freundinnen, was soll ich denn plötzlich da?“, schniefte sie.

Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen erinnerte sich Carolin an seine letzte Mail, auf die sie nicht gerade besonders freundlich geantwortet hatte. Vielleicht hätte ich mich ein bisschen häufiger bei ihm melden sollen? Dann wäre er vielleicht auch nicht auf die bescheuerte Idee gekommen, dass ich von Ines nicht gut versorgt werde, und das ganze Problem wäre nicht aufgetaucht? Carolin fuhr sich mit beiden Händen durch ihr kurzes Haar – wie sie es immer tat, wenn sie nicht mehr weiterwusste.

Auf einmal riss ein ohrenbetäubender Krach sie aus ihren trüben Gedanken. „Verdammter Mist!“ Jan, Lindenhains Mann für alles, außer für Reitstunden, fluchte so laut, dass es durch den ganzen Stall hallte.

Carolin sprang auf und lief zu ihm. Die Schubkarre war umgekippt, und über den Boden verteilt lagen Mist und Pferdeäpfel. Zornig hatte Jan beide Hände in die Seite gestemmt und verpasste der Schubkarre noch einen so kräftigen Tritt, dass sie ein ganzes Stück weiterrumpelte.

Als er Carolins Kichern hörte, fuhr er herum. „Warum können diese dämlichen Gäule nicht auf Toilette gehen wie normale Menschen auch?!“, knurrte er. Seine blauen Augen funkelten aufgebracht, während er eine Strähne seiner halblangen blonden Haare zurückstrich, die sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst hatte.

Wortlos griff Carolin nach der Mistgabel, die er gegen die Wand einer Pferdebox gelehnt hatte. Dann richtete sie die Schubkarre wieder auf und begann, den Mist Gabel für Gabel zurück auf die Karre zu schaufeln. „Ach komm, Jan! Jeder hat mal einen schlechten Tag“, grinste sie dabei.

„Kann man wohl sagen.“ Jan formte mit seinem Cherry-Mint-Kaugummi eine dicke Blase und ließ sie zerplatzen. Dann schnaufte er tief durch, schnappte sich die Schaufel und arbeitete mit.

Carolin half Jan dabei, den ganzen Stall auszumisten. Am Abend hatte sie Schwielen an den Händen und Schmerzen im Rücken, aber zumindest hatte sie den ganzen Nachmittag nicht mehr an ihren Vater und an Mallorca gedacht.

Die Ungewissheit bleibt

Als Carolin einige Tage später mittags aus der Schule kam, war der Tisch in der Küche nur für zwei gedeckt. Fragend blickte sie zu ihrer Mutter, die gerade eine Fertigpizza aus dem Ofen balancierte.

„Wer bekommt was zu essen und wer nicht?“, erkundigte sich Carolin grinsend, während sie ihre Schuhe auszog.

„Autsch!“ Ines hatte sich an dem heißen Blech verbrannt. „Jo und Thorben sind weg, Herrenrunde.“ Sie holte das Pizzamesser aus der Schublade.

Auf der Suche nach einer Limonade öffnete Carolin den Kühlschrank. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Der Kühlschrank war zwar auch neu und groß, aber der Inhalt war gleich geblieben. Alles, nur nichts wirklich Essbares. Gut zu wissen, dass es Dinge gibt, die sich nicht ändern, dachte Carolin, während sie nach der Limoflasche griff und sich ein Glas einschenkte.

Ines legte ein Stück Pizza auf ihren Teller. „Ich weiß, dass das alles gerade ziemlich viel auf einmal für dich ist, Schatz“, sagte sie dabei leise und voller Schuldbewusstsein. „Ich wünschte, ich hätte dir das ersparen können.“

Carolin erwiderte nichts, pustete nur einmal über das heiße Pizzastück.

Ines setzte sich zu ihr. „Aber du hast ja gehört, was Jo gesagt hat, dein Vater wird mit seiner absurden Forderung keinen Erfolg haben.“ Sie schnaufte tief durch. „Pah! Ich wäre aufgrund meiner vielfältigen Interessen nicht mehr zuverlässig in der Lage, meiner Aufsichtspflicht nachzukommen ... Echt unglaublich, was der sich einbildet!“

Immer noch schweigend schnitt sich Carolin ein Stück Pizza ab.

„Der ist doch nur eifersüchtig, weil ich jetzt mit Jo glücklich bin. So sieht es doch aus“, stieß ihre Mutter aufgebracht hervor. „Aber das wird ihm nichts nützen.“

Carolin starrte auf das Stück Pizza auf ihrer Gabel. „Wie geht das jetzt alles weiter, Mam?“, fragte sie dann.

„Gar nicht!“ Ines funkelte ihre Tochter an. „Ich will, dass du nicht einmal mehr eine Sekunde über diesen dämlichen Brief nachdenkst. Vergiss es, hörst du?“

Nickend schob sich Carolin die Pizza in den Mund.

„Du und ich, wir gehören zusammen. Und ich werde es niemals zulassen, dass er dich von hier wegholt, das weißt du doch!“

Carolin nickte wieder. Der kämpferische Ton in der Stimme ihrer Mutter beruhigte sie ein wenig.

„Wahrscheinlich hatte er zu viel griechischen Wein getrunken, als er sich diesen Schwachsinn ausgedacht hat!“, tobte Ines weiter.

„Mam, Mallorca liegt in Spanien“, korrigierte Carolin mit einem kleinen Schmunzeln.

„Mir doch egal! Erst uns im Stich lassen und dann so ankommen. Nee, da hat er sich echt geschnitten.“ Mit einer wütenden Bewegung schob Ines ihren Teller weg. „Und wenn ich bis zum Bundesverfassungsgericht gehen muss, das kriegt er jedenfalls nicht durch!“ Zur Bestätigung schlug sie ein paar Mal mit der Faust auf den Tisch.

Bald nach dem Mittagessen fuhr Carolin nach Lindenhain. Auf dem Hof kam ihr Gunnar mit großen Schritten entgegen. Gunnar Hilmer war der Besitzer und Chef von Lindenhain. Jahrein, jahraus trug er Cowboyhut und Cowboystiefel.

Besorgt guckte Gunnar ihr unter seinem großen Cowboyhut entgegen. „Ich hab schon von dem Brief deines Vaters gehört“, begann er gleich. „Aber mach dir keine Sorgen, Caro! Ich kann jederzeit bezeugen, dass du hier bestens aufgehoben bist. Damit kommt er nicht durch.“