Sternentänzer, Band 5 - Rettung für Lindenhain - Lisa Capelli - E-Book

Sternentänzer, Band 5 - Rettung für Lindenhain E-Book

Lisa Capelli

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Beschreibung

Scheinbar alle haben sich gegen Caro verschworen! Zum Einen kommt Silberstern, Sternentänzers Sohn, nicht mit seiner Herde zurecht. Dann wollen sich Caros Eltern auch noch scheiden lassen. Und Caro erfährt von Gunnar, dass er möglicherweise Lindenhain aufgeben muss. Da kommt eine Fahrt mit Lina nach Berlin gerade recht. Doch auch dort entkommt sie ihren Sorgen nicht. Wer ist der finstere Kerl, der sie und Lina verfolgt? Und wie soll Caro es schaffen, sich zu dem Turnier anzumelden, von dem die Zukunft Lindenhains abhängt? So bleibt Caro als einzige Hoffnung noch die geheimnisvolle Gabe von Sternentänzer. Doch wird er es allein schaffen, Lindenhain zu retten?

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In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:

Band 1:   Das Rätsel um den weißen Hengst,

Band 2:   Das geheimnisvolle Mädchen

Band 3:   Weißer Hengst in Gefahr

Band 4:   Caro unter Verdacht

Band 5:   Rettung für Lindenhain

Band 6:   Bedrohung für den weißen Hengst

Band 7:   Letzter Auftritt des weißen Hengstes?

Band 8:   Der unheimliche Pferdehof

Band 9:   Zeit der Entscheidung

Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal

Band 11: Silbersterns Geheimnis

Band 12: Abschied mit Folgen

Band 13: Caro und das Mädchen im Moor

Band 14: Ponys in Not

Band 15: Eine rätselhafte Vision

Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine

Band 17: Caro und die weiße Stute

Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes

Band 19: Achterbahn der Gefühle

Band 20: Die geheimnisvollen Briefe

Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung

Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe

Band 23: Geister aus der Vergangenheit

Band 24: Die Magie des weißen Hengstes

Band 25: Voller Einsatz für Lina

Band 26: Verwirrung des Herzens

Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau

Band 28: Aufregung um Stute Aziza

Band 29: Eine Reise voller Überraschungen

Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb

Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe

Band 32: Ein unglaublicher Verdacht

Band 33: Die verschwundenen Ponys

Band 34: Caro gibt nicht auf

Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain

Band 36: Feuerprobe für die Liebe

Band 37: Wo ist Sternentänzer?

Sternentänzer

Rettung für Lindenhain

Lisa Capelli

Band 5

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sternentänzer, Band 5 – Rettung für Lindenhain4. aktualisierte Auflage © 2009 by Panini Verlags GmbH,Rotebühlstraße 87, 70178 StuttgartAlle Rechte vorbehalten

Chefredaktion: Claudia WeberRedaktion: Sonja WittlingerLektorat: Heike BertholdUmschlag: tab indivisuell, StuttgartFotos: © Sorrel; mauritius imagesSatz: Greiner & Reichel, KölnISBN: 978-3-8332-1049-5eISBN: 978-3-8332-3086-8

www.panini.de

Rettung für Lindenhain

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.

Gefahr für Lindenhain

Es war ein herrlicher Sommertag. Die Vögel zwitscherten um die Wette, die Blumen dufteten und die Temperaturen waren ideal für einen Ausritt ins Grüne.

Carolin, genannt Caro, trat kräftig in die Pedale ihres Bikes. „Komm schon, du lahme Ente“, rief sie fröhlich nach hinten, wo ihre beste Freundin Lina bereits atemlos zu schnaufen begann. „Die Pferde warten schon.“

Lina winkte nur ab und gab das Rennen schließlich auf.

Carolin machte langsamer, bis Lina mit ihr auf einer Höhe war und bog dann neben ihr in die Einfahrt zum Reiterhof Lindenhain ein.

„Oh nein!“, stieß sie plötzlich hervor und bremste abrupt ab.

„Was ist los?“, fragte Lina überrascht.

„Gunnar raucht. Das ist ein schlechtes Zeichen.“ Carolin deutete mit dem Finger auf den Eingang zum Haupthaus, wo Gunnar Hilmer, der Chef von Lindenhain, mit einem Zwei-Meter-Mann stand und so kräftig an der Zigarette zog, dass sich in seinen Wangen zwei Löcher, tief wie Baugruben, bildeten. Eigentlich war Gunnar Nichtraucher, aber wenn er so richtig Sorgen hatte, dann griff er irgendwie automatisch zu einem Glimmstängel. Vicky, seine Lebensgefährtin, stand neben ihm und machte ebenfalls ein betrübtes Gesicht.

„Weißt du, wer der Riese neben ihm ist?“, erkundigte sich Lina und Carolin zuckte mit den Schultern.

„Keine Ahnung. Sieht aber offiziell aus.“ Sie begutachtete den edel geschnittenen Nadelstreifenanzug und die dunkle Krawatte des Fremden.

Lina fuhr sich mit der Hand durch ihre rote Mähne und begann damit, einzelne Strähnen zu entwirren, die der Fahrtwind durcheinandergebracht hatte. Carolin bewunderte Linas Haare, doch in Momenten wie diesen war sie froh um ihren praktischen Kurzhaarschnitt. Da gab es nichts zu entwirren. Einmal kurz mit den Fingern durchzufahren, war meist schon ausreichend.

„Schauen wir uns das mal aus der Nähe an“, schlug Lina vor und lehnte ihr Bike an den Weidezaun.

In diesem Augenblick gab der Zwei-Meter-Mann Gunnar die Hand und ging dann mit großen Schritten zu seinem Wagen, der auf dem Hof geparkt war. Gunnar schnippte die Zigarette weg und trat sie so vehement aus, als wolle er sie tief in den Boden rammen.

„Hi Gunnar“, grüßte Carolin. „Alles in Ordnung?“

„Was?“ Gunnar blickte auf. Sein Blick ließ nichts Gutes ahnen. „Nein, es ist überhaupt nichts in Ordnung“, brummte er düster und schlurfte ohne eine weitere Erklärung ins Haupthaus.

„Was ist denn mit dem los?“, wandte Carolin sich an Vicky.

„Das war eben Christian Rodeck von der Bank“, erklärte sie, während sie ihre langen dunklen Haare mit einem Gummi zusammenband, das sie an ihrem Handgelenk trug.

„Und was wollte er?“

Vicky verzog das Gesicht. „Es sieht nicht gut aus für Lindenhain.“

Carolin blickte sie mit großen Augen an. „Was meinst du damit?“

„Gunnar braucht Geld, um den Hof wieder fit zu machen, aber das hat er nicht mehr. Also müsste ein Kredit her. Na ja, und nach dem Brand und den vielen negativen Schlagzeilen der letzten Zeit, hält die Bank es für ziemlich riskant in Lindenhain zu investieren.“

„Und das bedeutet?“, wollte Carolin entsetzt wissen, obwohl sie es bereits ahnte. Bei dem Gedanken, dass ihr geliebter Reiterhof in Gefahr sein könnte, bekam sie eine Gänsehaut. Oben auf einem Hügel gelegen, zwischen großen alten Linden, mit einem langen hellgelben Stall, war er für sie zu einer zweiten Heimat geworden. Im letzten Jahr hatte Gunnar den Reiterhof zu einem Ferienreiterhof umgebaut, aber schon mit den ersten Gästen, einer Gruppe Kinder aus dem Landschulheim, hatte es Schwierigkeiten gegeben. Einer der Jungen, Danny Martens, hatte ein Problem mit Pferden gehabt, weil seine Schwester seit einem Reitunfall gelähmt war. Aus einer Art krankhafter Rache für seine Schwester hatte er erst das Pony Sophia vergiftet und dann Lindenhain in Brand gesteckt.

Vicky hob die Schultern. „Noch ist nichts entschieden. Herr Rodeck will noch einmal mit seinem Chef sprechen.“ Sie seufzte tief. „Ich sehe lieber mal nach Gunnar. Vielleicht backe ich ihm ja zur Aufmunterung einen Kuchen.“

Trotz ihrer Sorge musste Carolin ein wenig lächeln. Vicky war im Kuchenbacken ungefähr so gut wie ein Pferd im Pullistricken. Carolin versenkte ihre Hände tief in den Hosentaschen und blickte nachdenklich zur Weide, wo ihr ein wunderschöner weißer Araber mit einem schwarzen Stern auf der Stirn entgegen wieherte. Sein herrliches Fell glänzte in der Sonne und seine seidenweiche, mondhelle Mähne umrahmte seinen edlen schlanken Hals.

„Was geschieht dann mit uns, Sternentänzer?“, murmelte sie traurig und senkte den Kopf. Sternentänzer war ihr über alles geliebtes Pferd, mit dem sie schon viele Abenteuer überstanden hatte.

„Caro, du hast doch gehört. Noch ist nichts entschieden“, riss Lina sie aus ihren Gedanken. „Bestimmt finden sie eine Lösung.“

„Wahrscheinlich hast du Recht“, nickte Carolin entschlossen. Doch tief drinnen hatte sie ein verdammt schlechtes Gefühl.

Lina legte die Hand über ihre Augen und schaute zu Sternentänzer. „Wo ist eigentlich Silberstern?“

Suchend folgte Carolin ihrem Blick. Silberstern war Sternentänzers Fohlen. Er war genau wie sein Vater in einer wilden, stürmischen Vollmondnacht geboren worden und hatte sich seitdem prächtig entwickelt. Allerdings machte ihr das pechschwarze Hengstfohlen seit einigen Tagen große Sorgen. Es fraß nicht mehr richtig, wich kaum mehr von der Seite seiner Eltern und tobte nur noch selten ausgelassen über die Weide.

Beunruhigt liefen die beiden Mädchen hinüber zu dem langen hellgelben Stall. Dort stand Silberstern dicht an seine rabenschwarze Mutter Cinderella gedrängt, die gerade eines der anderen Pferde mit einem wütenden Schnauben zu vertreiben versuchte.

„He, was ist denn hier los?“

Als Silberstern Carolin erblickte, wieherte er leise und kam auf sie zu. Für einen Moment schwand die Traurigkeit aus seinen schwarzen Kohleaugen. Liebevoll legte Carolin ihren Kopf an seinen seidenweichen Hals und streichelte ihm zärtlich über den kleinen weißen Keilstern auf der Stirn.

„Vielleicht ist er krank und wir sollten den Arzt holen?“, überlegte Lina.

„Ja. Und wenn möglich einen ziemlich stark behaarten mit vier Beinen, der wiehert und höchstens in Silbersterns Alter ist“, grinste Nick, der Mann für alles auf Lindenhain, und fuhr sich mit der Hand durch seine kurzen blonden Haare.

„Warum das?“ Carolin sah ihn fragend an.

„Silberstern ist nicht krank, er vermisst Kumpels.“

„Was denn für Kumpels?“ Carolin begriff immer noch nichts.

„Spielkameraden, andere Fohlen in seinem Alter, mit denen er herumtollen kann, Streiche aushecken, Spaß machen“, erklärte Nick.

„Aber er hat doch Sternentänzer und die anderen …“, meinte Carolin.

Nick grinste. „Das ist aber nicht dasselbe. Unter den ausgewachsenen Tieren bekleidet er nun einmal den niedrigsten Rang. Und hier gibt es nicht wirklich ein Pferd, mit dem er sich messen und seine Stellung behaupten kann. Das findet er nicht gerade spaßig. Er braucht Gleichaltrige um sich, damit er sich richtig entwickeln kann.“

Carolin liebkoste die zarten Nüstern von Silberstern. „Der Ärmste! Wir bräuchten also ganz dringend neue Fohlen.“

Nick nickte. „Die würden ihn sicher schnell wieder aufmuntern. Aber woher nehmen?“

„Wie wär’s, wenn wir ein Treffen arrangieren? Oder einen Austausch?“ Carolin war Feuer und Flamme. „Wir geben eine Anzeige in der Zeitung auf oder im Internet: Fohlen gesucht. Bestimmt gibt es in der Gegend noch andere einsame Herzen …“

„Mal langsam, Caro“, winkte Nick ab. „Ich fürchte, Lindenhain hat im Moment ganz andere Probleme. Und bevor du Gunnar damit überfällst …“

„Nick!“, brüllte es auf einmal durch den Stall. Es war Gunnar. „Du wolltest doch noch den Zaun reparieren!“

Nick seufzte. „Also dann!“

Carolin ließ sich auf einen Strohballen plumpsen. „Wenn es mal nicht gut läuft, dann gleich überall, oder?“

Lina zupfte einen Strohhalm und steckte ihn sich in den Mund. „Gesetz der Serie. Seit diesem schrecklichen Brand …“

„… und seit Danny“, ergänzte Caro und ihre haselnussbraunen Augen schimmerten verdächtig.

Lina strich ganz sacht über Carolins kurzes kastanienbraunes Haar. „Der Typ liegt dir immer noch ganz schön im Magen, hm?“

Carolin schüttelte den Kopf. „Schon okay“, behauptete sie tapfer. Doch ihr Herz schmerzte immer noch, wenn sie an ihn dachte. Danny Martens aus dem Landschulheim mit den blauen Augen und den blonden Stoppelhaaren … Sie hatte sich Hals über Kopf in ihn verliebt. In manchen Augenblicken konnte sie noch immer seine Lippen fühlen. Alles hatte so schön angefangen, doch dann hatte sein Hass gegen Pferde ihn überwältigt … Carolin seufzte tief. „Ich hoffe so sehr, dass Gunnar das mit der Renovierung auf die Reihe bekommt.“ Ihr Blick blieb sorgenvoll an Silberstern hängen, der lustlos an ein paar Gräsern nagte. „Schätze, ich sollte Ferdi informieren“, meinte sie dann.

Ferdinand Reifenbach war der Besitzer von Cinderella und lebte in Berlin. Carolin hatte ihn kennen gelernt, als er Ferien bei seiner Tante Teodora in Lilienthal gemacht und Cinderella auf Lindenhain untergestellt hatte. Sternentänzer hatte sich sofort in die bildschöne schwarze Araberstute verguckt. Seitdem waren die beiden – inzwischen mit Silberstern die drei – unzertrennlich.

Lina spuckte den Strohhalm aus. „Gute Idee“, betonte sie übertrieben. „Wenn einer in Bezug auf Pferde Rat weiß, dann ganz bestimmt Ferdi.“ Ferdinand wollte eigentlich Eishockeyspieler werden und kannte sich mit Pferden in etwa so gut aus wie mit Puppen. Aber ansonsten war er schwer in Ordnung.

Carolin zuckte mit den Schultern. „Das vermutlich nicht, aber seine Cinderella ist immerhin die Mutter von Silberstern. Damit gehört das Fohlen zur Hälfte ihm.“

Noch am gleichen Abend setzte sich Carolin an den Computer ihrer Mutter, schrieb eine drei Seiten lange E-Mail nach Berlin und berichtete Ferdinand von ihren Sorgen.

Es gab Tage, da war die Schule richtig in Ordnung. Nicht sehr viele, aber ein paar. Es waren die Tage kurz vor den Sommerferien. Da waren Lehrer wie Schüler guter Laune und in Gedanken schon längst bei ihren Ferienzielen. Sogar Caro ließ sich von der guten Stimmung anstecken und konnte für eine Weile ihre Sorgen wegen Lindenhain und Silberstern vergessen.

„Ich fahre mit meinen Eltern in einen Superclub in die Türkei“, verkündete Julia Schlupf gerade, als Carolin das Klassenzimmer betrat. „Total genial. All inclusive. Wasserski, Wavebord, Paragliding und lauter schicke Leute, sagt mein Vater. Außerdem …“, sie wackelte verführerisch mit den Hüften und warf ihre langen blonden Haare nach hinten, „… mach ich dort natürlich einen Bauchtanzkurs.“

Julias Familie gehörte die Strumpffirma Cecilia. Ihre Eltern hatten Geld wie Heu, was Julia immer wieder betonte. Dadurch wirkte sie oft recht arrogant, aber im Grunde genommen war sie ganz okay.

„Wir verbringen die Ferien wie jedes Jahr an der Nordsee“, verkündete Heike strahlend. „Ich freu mich auch schon total auf meine Strandclique.“

„Vor allem auf deinen süßen Chris, hab ich Recht?“, zog Julia sie auf.

Prompt bekam Heike einen knallroten Kopf. „Ja, klar. Auf den auch.“ Sie verdrehte schwärmerisch die Augen. „Der ist so was von cool! Und der beste Surfer am ganzen Nordseestrand.“

„Ich bleib hier und mach den Baggersee unsicher“, verkündete Tina.

„Du meinst wohl eher die Eisdiele“, kicherte Julia.

„Oh ja!“, seufzte Ex-und-wieder-Pummel Tina. „Für eine doppelte Portion von Emilios Sahne-Stracciatella-Eis mit den Mega-Schokobrummern kann mir selbst der schönste Strand gestohlen bleiben!“ Tina führte einen ewigen Kampf mit den Pfunden. In den letzten Ferien hatte ihre Mutter sie zum Abspecken geschickt und Tina war auch tatsächlich rank und schlank zurück gekommen. Aber das war Geschichte. Inzwischen konnte man schon wieder die Speckröllchen unter ihrem T-Shirt zählen. Dennoch fühlte sie sich pudelwohl und war meistens gut drauf.

„Und was ist mit dir?“, wandte sich Julia an Carolin.

Carolin zuckte mit den Schultern. „Wegfahren ist bei uns nicht drin. Ich mach mir einen schönen Sommer mit Sternentänzer und Silberstern auf Lindenhain“, sagte sie und blickte zu Boden. „Das hoffe ich zumindest“, fügte sie leise hinzu, doch Julia hatte sich schon abgewandt und musterte Lina mit skeptischen Blicken.

„Dich brauch ich ja wohl nicht zu fragen. Cluburlaub ist vermutlich beim Kräuterverkauf nicht drin.“ So verwöhnt, wie Julia war, konnte sie mit Lina, die lange Röcke und dicke Schnürstiefel trug, einfach nichts anfangen. Dass Linas Eltern im Wohnwagen lebten, von einem Jahrmarkt zum anderen zogen und Kräuter verkauften, erschien ihr irgendwie anrüchig.

Bevor Lina auf Julias Frage antworten konnte, läutete die Glocke zum Unterricht.

„Good Morning.“ Peggy Strawberry trat durch die Tür.

Englisch in der ersten Stunde. Carolin lehnte sich zurück. Das versprach einigermaßen gemütlich zu werden. Doch weit gefehlt.

„Nun wollen wir uns mal die Hausaufgaben vornehmen“, begann Miss Strawberry und blickte sich suchend um. „Carol, would you start, please? Thank you!“

Oh, Mist!, dachte Carolin. Vor lauter Sorgen hatte sie die Hausaufgaben in Englisch völlig verschwitzt. „Ich hab total, ich meine … I have forgotten my homework, I’m very sorry“, stotterte sie los.

Miss Strawberry kniff die Augen zusammen und blickte sie streng an. „Completely forgotten. Soso. Und du machst dir nicht einmal die Mühe, my dear Carol, irgendeine Ausrede zu erfinden. So etwas wie …“ Sie fuchtelte wild mit den Armen durch den Raum.

„Mein Pferd hat mein Heft verspeist“, half Julia kichernd aus.

„Thank you, Julie, something like that. Zur Strafe schreibst du bis morgen 15 Ausreden auf. In english, versteht sich.“

„Na toll.“ Carolin ließ den Kopf noch tiefer sinken. Gesetz der Serie, wie Lina sagte.

Ihre Mutter, Ines Baumgarten, hing am Telefon, als Carolin nach Hause kam. Seit sich ihre Eltern vor zwei Jahren getrennt hatten, lebte Carolin allein mit ihr in der Doppelhaushälfte in der Breitensteinstraße 9 in Lilienthal.

„Nein, Florentine, das hätte ich nicht von ihm gedacht. Ich trau ihm ja vieles zu, aber so was …“, hörte Carolin Ines schimpfen, als sie das Haus betrat. Florentine war die beste Freundin ihrer Mutter und Eigentümerin der einzigen Boutique, Chez Florentine, in Lilienthal. Derjenige, über den sie gesprochen hatten, war Paul, Carolins Vater. Vor über zwei Jahren schon war er von zu Hause ausgezogen. Damals hatte er sich Hals über Kopf in Rosanna, seine Sekretärin, verliebt. Am Anfang hatte Carolin noch schrecklich darunter gelitten, aber mittlerweile kam sie gut damit klar. Seit er allerdings vor ein paar Tagen die Scheidung eingereicht hatte, drehte ihre Mutter ständig durch.

„Hi Mam“, murmelte Carolin und stockte überrascht. Sie musste zweimal hinsehen. Ihre Mutter sah völlig verändert aus. Statt langer dunkelblonder Spaghettihaare trug sie einen frechen Kurzhaarschnitt in verschiedenen Rottönen. Dazu ein ungewohnt kräftiges Augen-Make-up und knallroten Lippenstift.

„Hi Schatz.“ Ines deutete mit dem Kopf in Richtung Küche. „Ich hab uns leckeren Backfisch mitgebracht. Hatte keine Zeit zum Kochen.“ Sie deutete auf ihre Haare. „War beim Friseur. Also, wo war ich …“, widmete sie sich dann wieder dem Telefon.

Carolin sah sich suchend in der Küche um. Auf dem Tisch lag ein unförmiges Paket, das eindeutig nach Fisch roch. Skeptisch tippte sie es mit dem Finger an. Es war eiskalt. Ines musste schon seit Ewigkeiten am Telefon hängen. Na toll. Erstens Fisch und zweitens kalt. Igittigitt. Carolin holte sich das Glas mit dem Schoko-Brotaufstrich aus dem Kühlschrank, packte ein Brötchen fingerdick mit der Schokocreme voll und biss hinein. Nervennahrung. In Zeiten wie diesen bräuchte ich dreimal am Tag solche Brote und dazu eine Überdosis weiße Gummibärchen. Als ihre Mutter nach der zweiten Portion immer noch am Telefon hing, verzog sich Carolin nach oben in ihr Zimmer. Sie setzte sich an den Schreibtisch und strich liebevoll über Sternentänzers Nüstern auf dem in Silber gerahmten Bild.

„Mein lieber, schöner Sternentänzer“, seufzte sie dabei und kramte dann ihre Hefte aus der Schultasche. Bevor sie sich jedoch an die Englischaufgabe machte, beschloss sie, doch noch einen Blick ins Internet zu werfen. Vielleicht finde ich ja einen Spielkameraden für mein armes Silbersternchen.

„Sie haben Post!“, blinkte es ihr entgegen, als sie den Computer im Zimmer ihrer Mutter anmachte. Es war eine Mail von Ferdi.

Der Plan

„Hi Carolinchen“, begann die Mail. Carolinchen? Carolin musste grinsen. Was ist denn mit dem los? Sie schüttelte amüsiert den Kopf und las dann weiter. „Ich habe mit meiner Mutter über dein Problem gesprochen. Dabei erzählte sie mir, dass sie ohnehin vorhatte, Cinderella wieder nach Berlin zu holen, um sie nun doch zu einem Turnierpferd ausbilden zu lassen. Und da Cinderella ohne Silberstern sicher keinen Schritt machen würde, haben wir uns hier schon einmal nach einem passenden Plätzchen für die beiden umgesehen. In der Nähe von Berlin gibt es ein Gestüt mit einer Herde extra für Fohlen. Silberstern würde da richtig gut reinpassen und wenn ich das richtig verstanden habe, brauchst du ja wohl auch ein bisschen Abstand von deinem Nest. Großstadtluft schnuppern hebt die Laune ganz kolossal. Also, sag einfach Bescheid, dann kann meine Mutter einen Transporter bestellen. Ich erwarte eine positive Antwort, ciao und bis bald, Ferdi.“

Mit einem Satz sprang Carolin von ihrem Stuhl auf und warf ihn dabei zu Boden. Sommerferien in Berlin, mit Cinderella und Silberstern. Und sicher konnte auch Sternentänzer mitkommen! Schnell wie ein Blitz fegte sie die Treppe herunter, um Ines von der freudigen Nachricht zu berichten.

Ines war nicht mehr am Telefon, sondern hockte am Küchentisch vor dem geöffneten Paket Backfisch und starrte missmutig auf das braune Gebilde.

„Stell dir vor, was passiert ist!“, platzte Carolin heraus.

„Was denn?“

„Ferdi hat mich nach Berlin eingeladen! Mit Cinderella und Silberstern. Und bestimmt auch mit Sternentänzer.“

„Eingeladen?“ Ines nahm eine Gabel und stocherte in dem Fisch herum.

Carolin tanzte durch die Küche. „Wir sollen zu ihm kommen! Nach Berlin.“

Ines ließ die Gabel sinken, faltete das Paket samt Fisch zusammen und warf es in den Mülleimer. „Und wie stellst du dir das vor?“ Fragend musterte sie Carolin. „Wie willst du mit den Pferden im Gepäck hinkommen?“ Sie seufzte. „Berlin ist teuer. Wo willst du wohnen? Und wer soll das alles bezahlen?“

„Für den Transport würde Ferdis Mutter sorgen. Und eine Wohnung …“ Sie zuckte mit den Schultern. „Wir werden bestimmt irgendetwas finden.“

Ines schüttelte den Kopf. „Das können wir uns nicht leisten. Und ich habe auch nicht die Zeit, jetzt nach Berlin zu fahren. Mir steigt gerade alles irgendwie über den Kopf.“

Mutlos ließ Carolin die Schultern sinken und ihre Mutter stand auf und legte die Arme um sie. „Denk nicht, dass ich es dir nicht gönnen würde! Ich wünsche dir die schönsten Sommerferien aller Zeiten, aber“, sie zuckte mit den Schultern, „ich weiß einfach nicht, wie wir künftig über die Runden kommen sollen. Da sind so teuere Extras wie Urlaub mit drei Pferden einfach nicht drin, Caro.“

„Und wenn ich Paps frage? Vielleicht kann er uns das Geld geben?“

Ines funkelte sie an, als hätte sie eben um Erlaubnis gefragt, den Rest ihres Leben die Schule schwänzen zu dürfen. „Denk nicht mal daran, Caro. Das kommt überhaupt nicht in Frage!“

„Aber warum denn?“

„Carolin, ich habe Nein gesagt. Ich will nicht, dass du deinen Vater fragst. Akzeptiere das bitte.“

„Das ist nicht fair!“ Carolin stampfte wütend mit dem Fuß auf.

„Sei nicht traurig“, versuchte Ines sie zu trösten. „Wir machen es uns hier schön. Wir gehen ins Schwimmbad, in den Zoo, Eis essen, …“

„Cool“, nickte Carolin und knurrte leise. Auf die Sommerferien kann ich mich ja richtig freuen.

Missmutig radelte sie nach Lindenhain. Natürlich war die Bahnschranke, die Lilienthal in zwei Hälften unterteilte, geschlossen, als sie sie erreichte. Die Bahnschranke war eines von Carolins Orakeln. War sie geschlossen, galt dies als schlechtes Omen, und wie meistens sollte das Orakel auch diesmal Recht behalten.

Auf Lindenhain schien jeder schlechte Laune zu haben. Gunnar schlich herum mit einer Miene wie Sieben-Tage-Regenwetter und Vicky sah kaum glücklicher aus. Ihre Mundwinkel schienen bis zum Knie zu hängen.

„Was ist denn hier schon wieder los?“, erkundigte sich Carolin, als sie ihr Bike neben das Haupthaus stellte.

„Frag Gunnar!“, brummte Vicky und verschwand im Haus.

„Was gibt’s, Gunnar?“

Gunnar zog eine Zigarette aus der Schachtel, die er im Moment offenbar ständig mit sich herumtrug, und steckte sie an. Er nahm einen tiefen Zug. „Probleme, nichts als Probleme, Caro. Überall“, sagte er dann.

„Was denn?“

„Dieser verdammte Brand bricht uns noch das Genick.“ Er blies helle Kringel in die Luft. „Alles lief schon so gut. Der Anbau, die Ferienkinder und dann das verdammte Feuer.“ Sorgenvoll blickte er zu der Ruine, wo das neue, schmucke, zweistöckige Gästehaus mit rot-weiß gestrichenen Fensterläden gestanden hatte.

„Was ist denn mit dem Kredit von der Bank?“, erkundigte sich Carolin.

Gunnar zuckte mit den Schultern. „Die prüfen noch die Unterlagen. Fast täglich rufen sie an und brauchen noch Zusatzinfos. Es dauert und dauert. Und am Ende kommt doch nichts dabei heraus.“ Er nahm wieder einen tiefen Zug. „Das geht langsam ganz schön an die Substanz, das kannst du mir glauben.“ Damit wandte er sich ab und schlurfte ins Haus.

„Dämliche Karre! Verdammter Dreck!“, hörte sie plötzlich ein Fluchen. Es war Nick. Offenbar war auch er ein Opfer der allgemeinen schlechten Laune. Er kam gerade aus dem Stall und rollte einen Schubkarren voll Mist über den Hof. Dabei schimpfte und fluchte er, wie Carolin es noch nie zuvor von ihm gehört hatte.

Carolin lief zu ihm. „Hey Nick. Alles in Ordnung?“

„Caro.“ Nick nickte nur kurz und kippte die Mistladung auf den Misthaufen. „Mir steht’s bis oben hin!“, knurrte er dabei. „Gunnar soll seinen Kram allein machen!“

„Warum?“, wunderte sich Carolin, die ihn noch nie so mürrisch gesehen hatte.

Nick deutete mit dem Kopf in Richtung Haupthaus. „Gunnar zerfließt vor Selbstmitleid und mit seiner schlechten Laune geht er mir langsam auf den Wecker. Plötzlich ist jeder, mit dem er auch nur irgendwie zu tun hat, an seinen Problemen schuld. Ich kann es nicht mehr hören!“

„Er hat Probleme mit der Bank“, meinte Carolin.