Sternentänzer, Band 6 - Bedrohung für den weißen Hengst - Lisa Capelli - E-Book

Sternentänzer, Band 6 - Bedrohung für den weißen Hengst E-Book

Lisa Capelli

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Beschreibung

Wer erfolgreich ist, hat viele Neider. Das muss Caro schmerzhaft erfahren, als sie mit ihrer Ausbildung zur Turnierreiterin beginnt. Ihre Schulfreundinnen lästern über sie, ihr Trainer wendet sich seinem zweiten Talent, Julia Schlupf, zu - und ein geheimnisvoller Journalist fängt an, in Caros Leben herumzuschnüffeln. Caros beste Freundin, Lina, muss derweil ein mystisches Heilungsritual durchführen. Ein Ritual, das Sternentänzer in große Gefahr bringen kann ...

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In der Buchreihe „Sternentänzer“ sind bisher erschienen:

Band 1:   Das Rätsel um den weißen Hengst,

Band 2:   Das geheimnisvolle Mädchen

Band 3:   Weißer Hengst in Gefahr

Band 4:   Caro unter Verdacht

Band 5:   Rettung für Lindenhain

Band 6:   Bedrohung für den weißen Hengst

Band 7:   Letzter Auftritt des weißen Hengstes?

Band 8:   Der unheimliche Pferdehof

Band 9:   Zeit der Entscheidung

Band 10: Hoffen und Bangen in Lilienthal

Band 11: Silbersterns Geheimnis

Band 12: Abschied mit Folgen

Band 13: Caro und das Mädchen im Moor

Band 14: Ponys in Not

Band 15: Eine rätselhafte Vision

Band 16: Das Geheimnis der Schlossruine

Band 17: Caro und die weiße Stute

Band 18: Die Botschaft des weißen Hengstes

Band 19: Achterbahn der Gefühle

Band 20: Die geheimnisvollen Briefe

Band 21: Eine unglaubliche Entdeckung

Band 22: Ein verhängnisvolles Erbe

Band 23: Geister aus der Vergangenheit

Band 24: Die Magie des weißen Hengstes

Band 25: Voller Einsatz für Lina

Band 26: Verwirrung des Herzens

Band 27: Caro und das Geheimnis der alten Frau

Band 28: Aufregung um Stute Aziza

Band 29: Eine Reise voller Überraschungen

Band 30: Caro und der rätselhafte Dieb

Band 31: Der Eisprinz und die große Liebe

Band 32: Ein unglaublicher Verdacht

Band 33: Die verschwundenen Ponys

Band 34: Caro gibt nicht auf

Band 35: Gefährliche Zeiten auf Lindenhain

Band 36: Feuerprobe für die Liebe

Band 37: Wo ist Sternentänzer?

Sternentänzer

Bedrohung für den weißen Hengst

Lisa Capelli

Band 6

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sternentänzer, Band 6 – Bedrohung für den weißen Hengst4. aktualisierte Auflage © 2009 by Panini Verlags GmbH,Rotebühlstraße 87, 70178 StuttgartAlle Rechte vorbehalten

Chefredaktion: Claudia WeberRedaktion: Sonja WittlingerLektorat: Helga KronthalerUmschlag: tab indivisuell, StuttgartFotos: © Juniors Bildarchiv; mauritius imagesSatz: Vanessa Buffy, MannheimISBN: 978-3-8332-1193-5eISBN: 978-3-8332-3087-5

www.panini.de

Bedrohung für den weißen Hengst

In einer stürmischen Vollmondnacht schlägt ein Blitz in eine jahrhundertealte Eiche ein und eine Sternschnuppe fällt vom Himmel. Im gleichen Moment wird ein wunderschöner Schimmel mit einem kleinen schwarzen Stern auf der Stirn geboren.

Neuanfang für Lindenhain

Carolin, genannt Caro, lag ausgestreckt im Gras und kaute in Gedanken versunken an einem Grashalm. Sie beobachtete, wie sich die Kondensstreifen der Flugzeuge am Himmel langsam auflösten, bis sie schließlich, wie von Geisterhand weggezaubert, ganz verschwunden waren. Es war ein herrlicher, sonniger Herbstnachmittag. Der Geruch von Pferden, den Carolin so sehr liebte, durchzog die warme Luft. Plötzlich wurde Carolin jäh aus ihren Träumen gerissen: Feuchte weiche Nüstern kitzelten ihre Wange. Sie zuckte zusammen, musste gleich darauf aber so heftig kichern, dass sie beinahe den Grashalm verschluckte. „Ihhhhh, Sternentänzer, du machst mich ja ganz nass!“

Mit einem Satz war Carolin auf den Beinen und jagte dem wunderschönen weißen Hengst ausgelassen hinterher. Doch bereits nach zwei Runden um die Koppel gab sie auf und sank prustend auf die Knie. „Okay, du hast gewonnen!“ Sternentänzer, dessen milchig weiße Mähne in der Sonne schimmerte wie Seide, blieb vor ihr stehen. Leise schnaubend bewegte er seinen edlen Kopf auf und ab. Es sah fast so aus, als würde er sie auslachen. Carolin sprang auf und schlang ihre Arme um den Hals des Pferdes. „Aber du hast ja auch vier Beine und ich nur zwei!“, lachte sie und schmiegte sich fest an sein samtweiches Fell. Carolin spürte die Wärme und Weichheit, die von dem Pferdekörper ausgingen, und ein Gefühl tiefer Zufriedenheit überkam sie. Sanft berührte sie den kleinen schwarzen Stern auf Sternentänzers Stirn. „Wenn ich auch vier Beine hätte, hättest du nicht die Spur einer Chance, mein Süßer.“ Kichernd gab sie ihm einen zärtlichen Klaps. Der Hengst setzte sich in Bewegung. Als er sich noch einmal kurz umwandte und sie anblickte, funkelten seine wunderschönen dunklen Augen geheimnisvoll. Dann trabte er anmutig mit hoch erhobenem Schweif davon.

Carolin klopfte sich das Gras von der Hose und kletterte auf das Gatter. Ihr Blick schweifte über den Reiterhof, der direkt vor ihr lag. Dazu gehörten der lang gestreckte hellgelbe Stall mit den blauen Türen und dem Paddock davor, die weiße Reithalle und das große von Linden umsäumte Haupthaus. Daneben die alte Holzbank, der Lieblingsplatz der Hofkatze Eulalia, auf der sie mit Vorliebe ihre erbeuteten Mäuse ablegte, und der kleine Tümpel, in dem sich im Sommer zahlreiche Frösche tummelten. Seit kurzem erhob sich rechts neben dem Haupthaus das neue zweistöckige Gästehaus. Es war terrakottafarben, hatte grüne Fensterläden und eine Holzterrasse. Beim Anblick ihres geliebten Lindenhains machte Carolins Herz vor Freude einen Riesensatz. Seit Carolin elf war, kam sie hierher. Jeden Tag. Na ja, fast!

„Na, Caro, träumst du?“

„Huch!“ Carolin rutschte vor Schreck beinahe vom Holzgatter, als plötzlich eine Stimme neben ihr ertönte. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Gunnar sich genähert hatte. Gunnar Hilmer war der Besitzer von Lindenhain und somit der Big Boss. Jahrein, jahraus, Sommer wie Winter, trug er Cowboyhut und Cowboystiefel. Carolin hatte ihn noch nie anders gesehen.

„Ich freu mich gerade“, strahlte sie ihn an.

„Aha, und worüber?“

„Über Lindenhain und das neue Gästehaus! Und dass hier alles wieder so hübsch ist!“

„Stimmt“, pflichtete ihr Gunnar bei und schob seinen Cowboyhut in den Nacken. „Wir haben eine verdammt harte Zeit hinter uns.“ Gunnar war nach einem Brand, der das Gästehaus in Schutt und Asche gelegt hatte, kurz vor der Pleite gestanden. Um ein Haar hätte er Lindenhain aufgeben müssen! Um ein Haar hätte Sternentänzer sein Zuhause verloren!

Carolin kniff ihre haselnussbraunen Augen zusammen und blinzelte in die Sonne. „Zum Glück haben wir alles überstanden.“

Gunnar nickte. „Ja, Harald von Eschenbach sei Dank.“

Ein Lächeln huschte über Carolins Gesicht. Was für ein Riesenglück war es doch gewesen, dass sie diesem Mann über den Weg gelaufen war! Carolin hatte gemeinsam mit ihrer besten Freundin Lina die Sommerferien in Berlin verbracht und dort an einem Distanzreitturnier teilgenommen. Dabei war sie Harald von Eschenbach aufgefallen, der junge begabte Nachwuchsreiter aufspürte und förderte. Er hatte Carolin wegen ihres Talents angesprochen, wollte sie trainieren lassen und auf Turniere schicken. Und dann war der noble Herr von Eschenbach genau in dem Moment auf Lindenhain aufgetaucht, als Gunnar mit dem Banker die letzte Kreditverhandlung geführt hatte.

„Der Bankmensch guckte wie ein Auto, als der Eschenbach plötzlich mit seinem dicken dunkelblauen Schlitten auf den Hof rollte. Und kaum war er ausgestiegen, plapperte er schon los von idealem Gelände, Turnierritten und großen Erfolgen.“ Gunnar grinste. „Das hat den Banker schwer beeindruckt.“

„Dich aber auch, stimmt’s?“, gab Carolin schmunzelnd zurück.

„Wohl wahr! Erst war ich platt wie eine Flunder, dann dachte ich nur, diesen Menschen schickt der Himmel. Und als die Bank kurz darauf den Kredit bewilligte, wusste ich, so sehen Engel aus.“

Carolin prustete los. „Und ich dachte immer, Engel haben lange goldene Locken und tragen weite weiße Gewänder …“

Plötzlich drangen laute Rufe an ihr Ohr. „Gunnar! Telefon!“, brüllte Vicky, Gunnars bessere Hälfte, vom Haupthaus zu ihnen herüber. Sie stand im Eingang und fuchtelte wild mit den Armen in der Luft herum, wie eine Schiffbrüchige, die einen Hubschrauber gesichtet hat.

„Prima.“ Gunnar rieb sich freudig die Hände. „Vermutlich die nächste Anmeldung. Wenn das so weitergeht, sind wir in den nächsten Wochen bald komplett ausgebucht.“ Er seufzte tief. „Zum Glück hab ich mich mit Vicky wieder versöhnt. Erst als meine Liebste weg war, wurde mir klar, wie sehr ich sie brauche! Wenn nur bloß ihre selbst gebackenen Kuchen nicht wären, die sind nämlich eine Strafe!“

Carolin hopste vom Gatter und klopfte Gunnar mitleidig auf die Schulter. „Du Ärmster“, bedauerte sie ihn aufrichtig. Denn Vickys Kuchen waren wirklich ungenießbar. Sie schaffte es sogar, fertige Backmischungen komplett zu verunstalten.

„Sag mal, Gunnar, wann kommt denn eigentlich mein Trainer?“, erkundigte sich Carolin. Harald von Eschenbach hatte inzwischen tatsächlich einen Privattrainer organisiert, um sie fürs Turnierreiten fit zu machen.

Gunnar zuckte mit den Schultern. „Schätze morgen. Aber von Eschenbach wollte sich nochmals melden und Bescheid geben.“

Carolin versenkte die Hände tief in die Hosentaschen. „Ich bin ja schon super gespannt auf den Typen. Hoffentlich ist er in Ordnung. Aber Leute, die gut mit Pferden umgehen können, sind ja meistens okay!“

„Nachdem von Eschenbach große Pläne mit dir hat, ist er ganz bestimmt ein guter Trainer.“

„Weißt du denn schon, wie er heißt?“, bohrte Carolin neugierig weiter.

„Timo Hausmann.“

„Timo. Klingt ja eigentlich ganz nett. Hm. Ein bisschen wie Nick. Vielleicht ist er ja so wie Nick?“ Carolin sah Gunnar ernst an. „Hast du denn mal wieder was von ihm gehört? Von Nick, meine ich?“

„Nee“, brummte Gunnar nur kurz. Dann schob er den Cowboyhut wieder auf seinen Kopf und lief zurück zum Haupthaus, wo ihn die immer noch winkende Vicky empfing.

Nick. Der Mann auf Lindenhain für alles und Carolins bester Kumpel. Als Gunnar nach dem Brand alles schleifen ließ, nur rumhing und auch einige Monatsgehälter schuldig blieb, hatte Nick nach einem Streit mit ihm Lindenhain wütend und traurig verlassen. Das war nun schon einige Zeit her. Carolin vermisste Nick jeden Tag mehr. Sie blickte zum Stall und sah ihn in Gedanken dort stehen. In seinem dunkelblauen Overall. Mit den kurzen blonden Haaren, die in der Sonne leuchteten. Seine samtbraunen Augen, die meist humorvoll blitzten. An seinem Arm hing ein Korb, in dem Striegel, Kamm und Lappen lagen. Doch die Einbildung hielt nur einen Wimpernschlag lang an. Dann war Nick wieder verschwunden. Enttäuscht wandte sich Carolin ab.

„Guten Morgen, mein Schatz, aufstehen!“ Carolins Mutter platzte ins Zimmer, marschierte schnurstracks zum Fenster und zog mit zwei raschen kräftigen Bewegungen die Jalousie nach oben. Im Halbschlaf drehte sich Carolin zur Wand und zog sich die Decke über den Kopf. „Beeil dich, es ist schon spät!“, fügte Ines beim Hinausgehen hinzu und lehnte die Tür nur an.

Carolin lebte mit ihrer Mutter Ines Baumgarten allein in einer Doppelhaushälfte in der Breitensteinstraße 9 in Lilienthal. Paul Baumgarten, ihr Vater, war vor ein paar Jahren von zu Hause ausgezogen. Damals hatte er sich Hals über Kopf in Rosanna, seine rothaarige Sekretärin, verliebt. Carolin hatte am Anfang schrecklich unter der Trennung ihrer Eltern gelitten, aber mittlerweile kam sie gut damit klar. Inzwischen waren die beiden auch glücklich geschieden, wie Ines immer wieder betonte. „Was bin ich froh, dass wir diesen Chaoten los sind!“, erklärte sie jedem, der es hören wollte – oder auch nicht.

„Ich mag nicht aufstehen“, murmelte Carolin. Doch im nächsten Moment fiel ihr ein, dass ja heute der neue Trainer kommen sollte. Es versprach also ein spannender Tag zu werden. Voll Elan strampelte Carolin die Decke weg und hopste aus dem Bett. Im Bad putzte sie sich ausgiebig die Zähne, beließ es ansonsten aber bei einer Katzenwäsche und fuhr nur rasch mit der Bürste einmal durch ihre kurzen kastanienbraunen Haare. Geschwind schlüpfte sie in eine Jeans, zog einen blauen Pulli über und flitzte hinunter in die Küche. Ines saß am Küchentisch – außer ein paar vorwitzigen Haarspitzen, die hinter ihrer Zeitung keck in die Höhe standen, war von ihr allerdings nichts zu sehen. Carolin kicherte. So ganz hatte sie sich noch immer nicht an die neue Kurzhaarfrisur ihrer Mutter gewöhnt.

Auf dem gedeckten Frühstückstisch standen ein Korb mit Brötchen, Aprikosenmarmelade und Butter, die ganz weich war und speckig glänzte. Carolin rümpfte die Nase. „Gibt’s heute gar kein Müsli?“

„Sorry, Schatz, bin nicht zum Einkaufen gekommen“, murmelte Ines, nippte an ihrer Kaffeetasse und vertiefte sich wieder in ihren Blätterwald.

„Haben wir dann wenigstens noch Schokocroissants?“

„Leider nicht. Aber ich hab dir die Brötchen von gestern aufgebacken.“

Und Aprikosenmarmelade. Ausgerechnet Aprikosenmarmelade! Carolin hasste schleimig gelbe Aprikosenmarmelade. Wenn schon Marmelade, dann wenigstens rote wie Erdbeer- oder Himbeermarmelade, notfalls auch Kirschmarmelade. Und dann die glänzende Butter, die fast aussah wie Sternentänzers Huffett. Carolin beschloss das Haus ohne Frühstück zu verlassen. Wozu lag schließlich die Bäckerei Bauer, in der es die besten Schokocroissants der Welt gab, auf ihrem Schulweg?

Als Carolin an der Kirche vorbeiradelte, sprang der Uhrzeiger gerade eine Minute weiter. Fast zur gleichen Zeit begann am Bahnübergang das Rotlicht hektisch zu blinken. Mist!, dachte Caro, bremste ab und rollte langsam auf die sich senkende Schranke zu. Kurz davor setzte sie beide Beine auf den Asphalt und bewegte sich die letzten Meter bis zum Übergang tapsend vorwärts. Die Bahnschranke, die Lilienthal in zwei Hälften teilte, gehörte zu Carolins Orakeln. Blieb sie offen, versprach es ein guter Tag zu werden. War sie so wie heute geschlossen, bedeutete das nichts Gutes. Hoffentlich hat das nichts mit dem neuen Trainer zu tun, überlegte Carolin, während sie das Schokocroissant aus der Bäckertüte kramte und hineinbiss.

Zwanzig Minuten später parkte sie ihr Rad auf dem Schulhof. Wie meistens, wenn die Schranke geschlossen war, huschte Carolin gerade noch im letzten Moment ins Klassenzimmer.

Armin Pfefferbeißer, ihr Klassenlehrer, war schon da. Er saß lässig auf dem Lehrerpult und putzte seine neue Nickelbrille mit dem blutroten Rahmen.

„Puh!“ Carolin ließ sich auf den Platz neben Lina fallen. „Die Schranke war wieder mal dicht“, japste sie völlig außer Puste.

Lina Schniggenfittich war Carolins beste Freundin. Sie trug meist weite geblümte Röcke, dicke Schnürstiefel und ihre wilde ungebändigte Lockenmähne fiel ihr bis über die Schultern. Doch auch sonst war Lina recht ungewöhnlich. „Heute ist ja dein großer Tag“, begrüßte sie Caro.

„Mhm.“ Carolin verputzte den letzten Rest ihres Schokocroissants. „Bin schon total gespannt auf den Trainer.“

„Was trainierst du denn?“, meldete sich Julia Schlupf von der Bank hinter ihnen. Sie grinste frech und deutete auf den Schokorand um Carolins Mund. „Wie esse ich Schokocroissants, ohne mir dabei den Mund zu verschmieren und wie ein Kleinkind auszusehen?“

„Haha, sehr witzig“, gab Carolin zurück und wischte rasch mit dem Ärmel über ihren Mund.

Julia gehörte zusammen mit Luisa, Heike und Tina zu ihrer Schulclique. Julias Eltern besaßen eine Strumpffirma und hatten Geld wie Heu, was Julia immer wieder raushängen ließ. Dadurch wirkte sie oft recht arrogant, obwohl sie im Grunde ganz in Ordnung war. Meistens zumindest.

„Ich bekomme einen Reittrainer“, erklärte ihr Carolin. „Nur für mich.“

„Dachte, du kannst schon reiten“, lästerte Julia fröhlich weiter.

Lina verdrehte genervt die Augen und wandte sich um. „Zick, zick! Hast du dir mit den Lockenwicklern die Haare verbrannt, ist dein Nagellack ausgelaufen oder was ist dir für eine Laus über die Leber gelaufen?“ Von Anfang an waren die zwei Mädchen, Lina und Julia, nicht miteinander klargekommen. Die stets von Kopf bis Fuß tipptopp durchgestylte Julia hatte auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie Lina, die immer in ihren komischen Klamotten rumlief und deren Eltern in einem Wohnwagen wohnten, nicht ausstehen konnte.

„Wer redet eigentlich mir dir, Schniggenfittich?“ Julia warf Lina unter ihren perfekt getuschten Wimpern einen betont gelangweilten Augenaufschlag zu.

Um zu verhindern, dass Julia und Lina heftiger aneinander gerieten, mischte sich Carolin rasch ein. „Der Trainer soll mit mir Distanzreiten trainieren“, erklärte sie Julia betont sachlich. Es nervte sie jedes Mal gewaltig, wenn die beiden Zoff hatten. Lass dich einfach nicht von ihr provozieren und ignorier ihre fiesen Bemerkungen, betete sie Lina dann stets vor.

Julia schaltete um auf Plauderton. „Ich hab dir ja erzählt, dass ich in den Ferien Reitunterricht hatte. In dieser superschicken Klubanlage in der Türkei. Auf einem wunderschönen Andalusier.“

„Das arme Pferd ist vermutlich traumatisiert fürs Leben“, grinste Lina.

Julia beachtete sie gar nicht und fuhr fort: „Ich fand’s so klasse, dass ich mir schon mehrmals überlegt habe, damit weiterzumachen.“

Da ertönte der Schulgong. Pfefferbeißer, der seine Brillenputzaktion inzwischen beendet hatte, blickte munter und gut gelaunt in die Klasse. „Wenn wir dann vollzählig sind, können wir ja mit dem Unterricht beginnen.“

Nach der Schule stand Lina unentschlossen neben Carolin am Fahrradständer. „Um wie viel Uhr soll der Knabe denn kommen? Ich hab nämlich nicht den ganzen Tag Zeit.“

„Aber dich plagt die Neugier.“ Carolin grinste. „Weißt du was, ich ruf Gunnar einfach kurz an und frag ihn.“ Sie holte ihr Handy heraus, das sie kürzlich von ihrem Vater bekommen hatte. Immer wenn Paul das schlechte Gewissen plagte, weil er so wenig Zeit für sie hatte, versuchte er das mit einem teuren Geschenk gut zu machen. „Noch alles unklar“, seufzte Carolin, nachdem sie das Gespräch beendet hatte. „Er hat noch einige Termine in Berlin und weiß noch nicht, wie er es schafft. Vielleicht morgen.“

Lina zog ein langes Gesicht. „Och nee, der macht’s aber spannend.“

„Echt doof!“ Carolin packte das Handy in ihre Tasche. „Diese Warterei ist ja schlimmer als an Weihnachten.“

Da kam Lina eine Idee. „Du kennst doch sicher seinen Namen.“

„Klar. Er heißt Timo Hausmann.“

Lina kickte eine leere Dose weg. „Lass uns doch im Internet nachschauen. Wenn er wirklich so supergut ist, finden wir da sicher was über ihn.“

„Stimmt, da hätte ich doch glatt auch draufkommen können. Von Eschenbach meinte, er sei einer der Besten. ‚Timo macht dich zum Superstar in der Distanzreiterklasse‘, sagte er wortwörtlich.“

Lina pustete eine dicke Locke weg, die vorwitzig in ihr Gesicht baumelte. „Also, dann mal los!“

Keine zwanzig Minuten später hingen die beiden vor dem Computer in der Bücherei im Peterbergweg.

„So, und jetzt gib seinen Namen in die Suchmaschine ein, Timo Hausmann“, dirigierte Lina.

„Oh nee“, ächzte Carolin, während sie die Ergebnistreffer checkte. „Hausmanns gibt’s wie Sand am Meer. Leander Hausmann, Günther Hausmann. Timo Hildebrandt, aber keinen Timo Hausmann.“

„Versuch’s doch mal mit ‚Distanzreiten‘ und ‚Trainer‘. Vielleicht haben wir da mehr Glück“, schlug Lina vor.

„Jede Menge Infos zum Distanzreiten und null Komma gar nix zu einem Trainer namens Timo Hausmann.“

Lina lehnte sich zurück und wickelte eine Haarsträhne um ihren Finger. „Schon etwas merkwürdig, oder?“

„Wie meinst du das?“ Carolin klickte sich durch die zahlreichen Seiten.

„Wenn der Typ wirklich der Superüberknaller ist, wie von Eschenbach sagt, warum taucht er dann nirgends auf? Warum hat er keine eigene Homepage, auf der er alle Lobeshymnen über sich veröffentlicht?“

„Tja.“ Carolin zuckte die Schultern. „Vielleicht steht er nicht auf Publicity? Vielleicht befürchtet er, dass die Leute ihm sonst die Bude einrennen? Vielleicht ist er so gut, dass er gar keine Werbung braucht?“

„Schon möglich“, murmelte Lina wenig überzeugt. Sie schulterte ihren Rucksack. „Ich hau dann mal ab, Caro! Wir sehen uns morgen in der Schule.“

„He, warte mal! Wo musst du denn eigentlich so dringend hin?“ Carolin erwischte die Freundin gerade noch am Jackenärmel.

„Nach Hause.“

„Mach’s doch nicht so spannend! Sag, was hast du vor?“

Lina riss sich los. „Nichts Besonderes“, antwortete sie kurz angebunden und weg war sie.

Nach dem Besuch in der Bücherei radelte Carolin nach Lindenhain. Oder vielmehr, sie raschelte nach Lindenhain. Denn am Straßenrand stapelten sich kniehoch Berge von Herbstlaub und es machte ihr großen Spaß, mit dem Fahrrad durchzusausen. Carolin mochte es, wenn sich im Herbst die Bäume bunt färbten. Ganz besonders liebte sie die roten Blätter. Aber auch die kunterbunten, die aussahen, als habe sich die Natur nicht entscheiden können und daher die verschiedensten Farben auf ein Blatt geklatscht.

Auf Lindenhain kam ihr Hofhund Herr Maier schwanzwedelnd entgegen. Er schien ebenfalls bester Laune zu sein. Carolin kraulte ihn zur Begrüßung zwischen den Ohren, Herr Maier knurrte genüsslich. „Na du, alles klar? Wo sind denn Carolina und die anderen Hundchen?“

Wie auf Kommando kam Carolina aus der Hundehütte geschossen und drückte sich fest an Carolins Beine. Sie wollte wohl auch gekrault werden! Carolin knuddelte sanft die langen wuscheligen Hängeohren der Hundedame. „Süßes Carolinchen.“

Da kam Vicky um die Ecke gebogen. „Hi Caro.“

„Hi Vicky.“ Carolin nahm Carolina auf den Arm und kraulte sie weiter. „Echt doof, dass dieser Timo Hausmann heute nicht kommt. Ich bin allmählich richtig heiß auf das Training.“

Vicky lachte und deutete mit dem Daumen Richtung Haupthaus. „Rat mal, wer bereits in Gunnars Büro sitzt.“

„Was?“ Vor Schreck hätte Carolin beinahe Carolina fallen lassen. „Gunnar sagte mir vorhin am Telefon, es sei noch überhaupt nicht klar, wann er kommt.“

Vicky zuckte die Schultern. „Wie’s aussieht, hat er wohl ganz spontan seine Meinung geändert, die Termine verschoben und sich hierher auf den Weg gemacht.“

Carolin setzte den Hund ab und wollte gleich ins Büro stiefeln. Seit Tagen fieberte sie darauf, ihren Trainer kennen zu lernen. Doch Vicky hielt sie am Arm zurück. „Er ist grad angekommen. Die beiden haben noch ein paar Dinge zu besprechen.“

„Manno!“, moserte Carolin ungehalten. Sie fühlte sich fast wie am allerersten Schultag. Man stand vor einem hohen, großen Gebäude und hatte keine Ahnung, was einen da drin erwartete. Man wusste nur, man würde verdammt viel Zeit dort verbringen.

Vicky schnalzte mit der Zunge. „Das ist die Ungeduld der Jugend.“

„Hast du ihn denn schon gesehen?“, wollte Carolin mit großen Augen wissen.

Vicky nickte nur.

„Und? Wie ist er? Komm, sag schon, ist er nett? Doof? Jung, alt?“ Carolin hüpfte aufgeregt hin und her wie ein Gummiball.

Vicky runzelte die Stirn. „Tja, ehrlich gesagt, mein Fall ist er nicht so ganz, aber muss ja auch nicht. Hauptsache, er ist ein guter Trainer. Du lernst ihn ja bald kennen, dann kannst du dir dein eigenes Bild machen!“

Trainer oder Popstar?

„Hallo, Carolin.“

„Hallo, Herr Hausmann.“

„Du kannst ruhig Timo zu mir sagen.“

„Hallo, Timo.“ Carolin musterte den Mann, mit dem sie in den nächsten Monaten viel Zeit verbringen sollte. Er war noch recht jung. Mitte zwanzig, schätzte Carolin. Zirka 1,80 Meter groß und breitschultrig, hatte dunkles Haar und grüne Augen. Froschgrüne Augen, um genau zu sein. Wenn er lachte, blitzte eine Reihe hollywoodweißer Zähne in seinem Mund. Bestimmt gebleacht, schoss es Carolin durch den Kopf. Seine Haut war knackig braun, so als käme er direkt aus dem Urlaub. Sonnenbank, vermutete Carolin. Er trug eine edle Jeans mit einem dicken Marken-Label am Hosenbund und sein dunkelblaues Polo-Shirt zierte ein kleines Krokodil auf der Brust. Und schweineteure Klamotten! Carolin dachte voller Wehmut an Nick. Nick! Wo bist du?

Timo klopfte ihr auf die Schulter. „Tja, Carolin, ich bin sicher, wir werden viel Spaß zusammen haben.“

„Ja“, murmelte Carolin, war sich dessen aber überhaupt nicht sicher.

„Ach Timo“, unterbrach Vicky die Begrüßung. „Ich wollte dir ja noch dein Zimmer zeigen. Kommst du gleich mit?“

„Na klar.“ Mit großen Schritten folgte Timo Vicky zum Gästehaus. „Wir sehen uns dann morgen zum ersten Training. Dann will ich mal sehen, wie es um deine Reitkünste steht und wie fit dein Pferd ist. Also, Punkt zwei Uhr vor dem Stall!“, rief er Carolin noch zu und weg war er.

Carolin blieb mit Gunnar zurück.

Gunnar rieb sich die Hände. „Macht doch einen ganz patenten Eindruck, der Junge!“

„Ich weiß nicht“, gab Carolin leicht irritiert zurück. „Scheint ein richtiger Schickimicki-Yuppie zu sein. Vom Aussehen her passt er eher in eine Boygroup als auf einen Reiterhof.“